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Das Manuskript zur Sendung (pdf) - WDR 5

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Musik<br />

OT Borrmann:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Wir haben uns die Reparatur einer Turbine anschauen wollen. Jetzt reißt da plötzlich<br />

ein Kompensator - ein Einbaustück zwischen Rohrleitungen. Es staubte unheimlich.<br />

Wir kamen dort raus - von Kopf bis Fuß mit Asbestisolierung eingestaubt.<br />

OT Renn:<br />

Wir haben die ersten Berichte über Gesundheitsschäden, die medizinisch-statistisch<br />

robust waren, Ende der fünfziger Jahre gehabt. Es hat aber dann bis 1993 gedauert,<br />

bis in der Bundesrepublik Asbest verboten worden ist, in der EU sogar bis 2005 -<br />

also fast fünfzig Jahre zwischen der Erkenntnis und dem wirklichen Handeln. <strong>Das</strong> hat<br />

uns als Risikoforscher sehr stark beschäftigt.<br />

OT Otto:<br />

So eine Sanierung, möglicherweise für viele Tausende Wohnungen, ist natürlich<br />

eine teure Angelegenheit. <strong>Das</strong> muss man aber trotzdem tun. <strong>Das</strong> ist schon<br />

fahrlässig, wenn man gar nichts macht. Deshalb bin ich der Meinung, dass die<br />

zwanzig Jahre seit dem Verbot nicht so genutzt wurden, wie man sie hätte nutzen<br />

sollen.<br />

OT Packroff:<br />

<strong>Das</strong> Ganze ist, wenn man es im Nachhinein betrachtet, eine sehr, sehr traurige<br />

Geschichte.<br />

Ansage:<br />

Asbest - Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Ein Feature von Winfried Roth.<br />

Sprecher:<br />

<strong>Das</strong> gefährliche Material sieht provozierend ungefährlich aus. Im Museum des<br />

Berliner Bezirks - der einst der wichtigste Standort der deutschen Asbestbranche war<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />

Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />

vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

- liegt unter Glas ein Stück von einem alten Dachziegel aus Asbestzement, grau und<br />

verwittert. Auf keinem Schutthaufen würde es auffallen.<br />

OT Jost:<br />

Da haben wir ein Bild von Google Earth. Jetzt fliege ich mal näher an das Viertel hier<br />

heran. Hier haben wir einen Blick auf die Dächer. Da kann man schon mein Haus<br />

erkennen. Diese ganzen grauen Flächen sind Eternit-Platten. Da sieht man, dass die<br />

verrottet sind. <strong>Das</strong> ist Asbestzement. Solange der fest gebunden ist, ist der harmlos.<br />

Der fängt an zu verwittern und setzt dadurch Fasern frei.<br />

Sprecher:<br />

Anders als oft angenommen ist Asbest nicht nur ein Problem von vorgestern,<br />

sondern auch von heute und übermorgen. <strong>Das</strong> vorbehaltlose Vertrauen in diesen<br />

"Universalwerkstoff" hatte und hat verhängnisvolle, buchstäblich atemberaubende<br />

Folgen. An Erkrankungen durch Asbest sterben weltweit jedes Jahr über<br />

hunderttausend Menschen. <strong>Das</strong> Mineral - die einen sagen "der Asbest", die anderen<br />

"das Asbest"- schien ein besonders wertvolles Geschenk von "Mutter Natur". Es bot<br />

kaum glaubliche Möglichkeiten, über 150 Jahre lang verwendete man es geradezu<br />

verschwenderisch: in industriellen Herstellungsprozessen - etwa in Stahlwerken und<br />

Chemiefabriken -, in Bauten von der Garage bis zum Wolkenkratzer. Schließlich<br />

steckte das Material fast überall - zum Beispiel in Autos und Bodenfliesen, in<br />

Toastern und Haarfönen und sogar in Zahnpasta und Schmerztabletten.<br />

Zitator (Lammert):<br />

Der Gesetzgeber hat in Deutschland während der achtziger Jahre zum Umgang mit<br />

dem natürlich vorkommenden Mineral Asbest umfangreiche Gesetze und<br />

Verordnungen erlassen. Die Vorgaben zum Arbeitsschutz wurden in den Werken<br />

frühzeitig und rechtzeitig umgesetzt. Davon unabhängig erfolgte die Umstellung der<br />

Fertigung von Faserzement auf eine asbestfreie Technologie in Deutschland<br />

während der achtziger Jahre. Die vom Verband vertretenen Unternehmen freuen<br />

sich, diese schwierige Umstellung erfolgreich gemeistert zu haben.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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Sprecherin:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

So schaut Michael Lammert, der Geschäftsführer des Verbands der Faserzement-<br />

Industrie, <strong>zur</strong>ück auf die Vergangenheit seiner Branche. Wie die Firma Eternit, war<br />

der Verband nur zu einer schriftlichen Stellungnahme bereit.<br />

Atmo / Musik<br />

Sprecherin:<br />

<strong>Das</strong> riesige Areal der früheren Baustofffabrik Eternit am Rand von Neukölln: über ein<br />

halbes Jahrhundert lang, seit 1929, wurden hier Unmengen von<br />

Asbestzementprodukten von den Fertigungsstraßen auf Schiffe, Lkw oder<br />

Eisenbahnwaggons verladen.<br />

<strong>Das</strong> Gelände haben vor einigen Jahren andere Firmen übernommen, nach Abriss<br />

oder Rekonstruktion dürften Spuren des bedrohlichen Minerals nur noch mit Mühe zu<br />

entdecken sein. <strong>Das</strong> Unternehmen Eternit stellt längst an anderen Standorten<br />

Baustoffe aus anderen Materialien her. Hier erinnern an die "große Zeit" des Asbests<br />

noch einige Gebäude, die der bekannte Architekt Paul Baumgarten im luftigen Stil<br />

der fünfziger Jahre für den global player Eternit entwarf. Nichts wirkt ungewöhnlich<br />

oder beklemmend. Aber man könnte dieses Industriegebiet auch als einen Ort<br />

sehen, von dem aus ein grausames Schicksal unzählige Menschen einholte.<br />

Musik<br />

OT Borrmann:<br />

Mein Name ist Herbert Borrmann. Ich bin geboren 1943. Ich hab Betriebsschlosser<br />

gelernt. Ich bin in Berührung gekommen mit Asbest in den Jahren 1958/59, zu<br />

Beginn meiner Lehrzeit. Da war ich in einem Walzwerk tätig, hab meine Lehre dort<br />

absolviert. Dort war es zum ersten Mal, dass wir mit Asbestplatten in Berührung<br />

gekommen sind. <strong>Das</strong> Material war wie eine Platte aus Pappe. Die war weiß, die gab<br />

es in verschiedenen Stärken. Wie Pappe - man konnte das abbrechen, das<br />

bröckelte, staubte. Wir mussten Dichtungen schneiden, Rohre umwickeln usw. Dann<br />

habe ich angefangen bei den Stadtwerken Düsseldorf. 1976 war ich da als Meister<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

bzw. Werkstattleiter bis 2003. Ich war tätig im Bereich Turbinenisolierung. Es staubte,<br />

staubte unheimlich. <strong>Das</strong> war das Schlimmste. Ich hab überall Asbest gehabt - 40<br />

Jahre. Von 1958 bis 2003.<br />

OT Balzer:<br />

Man kann sich gar nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen wir früher gearbeitet<br />

haben. Ob das auf Kraftwerken war, an Hochöfen war, Kokereien - welche Anlagen<br />

gerade gebaut wurden. Chemische Werke, Raffinerien … die großen Kraftwerke. Die<br />

Dehnungsfugen - da kam Asbestschnur rein. Dann haben wir Asbestpappen<br />

verarbeitet, um die Bleche zu schützen gegen Hitze. Ich wusste ja gar nicht, welche<br />

Auswirkungen da entstehen würden.<br />

Sprecher:<br />

Der frühere Ofenmaurer Franz Balzer aus Essen hatte in den Sechzigern und<br />

Siebzigern "nur" 13 Jahre mit dem Material zu tun. Wegen Asbest wurden seit<br />

Beginn des Industriezeitalters Millionen Menschen krank - Beschäftigte in<br />

Asbestbergwerken in Russland, in der Bauwirtschaft in Deutschland, in der<br />

Werftindustrie in Italien, in Autofabriken in Japan … Risiken lauerten aber auch auf<br />

Mieter und Verbraucher, die vielleicht nicht einmal wussten, wie der Stoff aussah. Die<br />

Opfer fingen eines Tages an zu husten, bekamen schließlich kaum mehr Luft, viele<br />

starben an Lungenversagen oder Krebs. Herbert Borrmann und Franz Balzer leiden<br />

an Asbestose, einer Form der "Staublunge".<br />

OT Balzer:<br />

Dann hat man schon 1997 festgestellt, dass ich Asbestose hab. Zum ersten Mal hab<br />

ich so eine Art Reißen im Rippenfell gespürt, als wenn jemand mit Drahtbürsten<br />

darüber geht. Wie Krämpfe - das war ganz furchtbar. So hat das angefangen bei mir<br />

- 1997. Und wurde dann immer schlimmer.<br />

OT Borrmann:<br />

Ich hab aus meiner Abteilung 15 Leute, die verstorben sind. Alle wegen Asbest.<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Musikakzent<br />

Sprecherin:<br />

In Deutschland sterben wegen Asbest jedes Jahr ein- bis zweitausend Menschen<br />

einen meist langwierigen, qualvollen Tod. Obwohl immer wieder einzelne Ärzte vor<br />

Gesundheitsschäden warnten, beachteten Industrie, Staat und Wissenschaft sie<br />

jahrzehntelang nicht. Seit den neunziger Jahren schränkten die Regierungen in<br />

vielen Ländern, auch in Deutschland, die Verwendung des Stoffs mehr und mehr ein.<br />

Es gibt strenge Bestimmungen zum Umgang mit Altlasten - zu einer systematischen<br />

Erfassung kam es aber nicht. Ein großer Teil des Asbests, der um 1980 in West- und<br />

Ostdeutschland "verbaut" war, ist immer noch da: etwa in Dach- und<br />

Fassadenplatten, in Trinkwasserrohren oder Bodenbelägen.<br />

OT Schäfers:<br />

Wir schätzen, dass in Deutschland rund zwölf Millionen Wohngebäude kontaminiert<br />

sind mit asbesthaltigen Stoffen. <strong>Das</strong> zeigt, wo die Bombe tickt in der Zukunft und in<br />

der Gegenwart.<br />

Sprecherin:<br />

Dietmar Schäfers, stellvertretender Bundesvorsitzender der IG Bauen - Agrar -<br />

Umwelt. Dr. Johannes Michatz, lange Jahre leitender Mitarbeiter der Eternit AG, sieht<br />

die Dinge anders, Zitat:<br />

Zitator (Michatz):<br />

Asbestzementprodukte für Dachdeckungen und Fassadenbekleidungen setzen nur<br />

relativ geringe Fasermengen frei. Nach heutiger Auffassung gehen von diesen<br />

genormten und allgemein bauaufsichtlich zugelassenen Asbestzementprodukten im<br />

e i n g e b a u t e n Zustand keine konkreten Gesundheitsgefahren aus, wenn die<br />

Produkte bestimmungsgemäß hergestellt, verarbeitet und verwendet worden sind.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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Sprecherin:<br />

Aber der Manager ist vorsichtig:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Zitator (Michatz):<br />

Seit den 1990er Jahren ist der Umgang mit Asbestzementprodukten in Deutschland<br />

eindeutig geregelt. Dennoch ist die Kenntnis über das richtige Verhalten im<br />

Zusammenhang mit Asbestzement nicht ausreichend verbreitet.<br />

Sprecherin:<br />

Daher wird bei Renovierung oder Abriss allzu oft gefährlicher Feinstaub frei.<br />

Musik<br />

OT Jost:<br />

Hier das Schlafzimmer haben wir noch nicht gesichert. Zum ersten Mal mit Asbest in<br />

Berührung gekommen bin ich 2006. Vinylasbestplatten haben wir da identifizieren<br />

können. Wir haben eine Probe testen lassen und dann festgestellt, dass da 20<br />

Prozent Asbest drin ist.<br />

Sprecherin:<br />

Der Sozialpädagoge Rudolf Jost und seine Frau wohnen in einem hübschen Altbau<br />

im Berliner Innenstadtviertel Schöneberg. Berlin war nicht nur d a s Zentrum der<br />

Asbestwirtschaft - heute protestieren gerade hier Bürgerinnen und Bürger gegen<br />

einen nachlässigen Umgang mit den "Restrisiken".<br />

OT Jost:<br />

<strong>Das</strong> sind die Platten. Die sind jetzt 32 Jahre alt - da fangen die an zu brechen. In den<br />

anderen Zimmern haben wir eine Baufolie über die Platten gelegt und die Enden mit<br />

Silikon verklebt.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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Sprecherin:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

In vielen Häusern der belebten Gegend um den Nollendorfplatz findet sich Asbest<br />

außerdem in Dachplatten, Lüftungsschächten und Wasserrohren.<br />

OT Renn:<br />

Alle Risiken, die plötzlich eintreten - etwa ein Unfall, wo an einem Tag fünfhundert<br />

Menschen sterben - haben eine ganz andere Wirkung auf die Politik als schleichende<br />

Risiken. <strong>Das</strong> gibt keine Schlagzeilen - das ist etwas, das im Verborgenen passiert.<br />

Sprecher:<br />

Der Risikoforscher Prof. Ortwin Renn von der Universität Stuttgart. <strong>Das</strong> todbringende<br />

Material wird in weiten Teilen der Welt nach wie vor gefördert und verarbeitet. Der<br />

"Fall Asbest" zeigt die Risiken einer Wachstumsökonomie, die ihre eigenen Folgen<br />

oft nicht überschaut und auch nicht überschauen will.<br />

Musik<br />

OT Schwellnus:<br />

Man fand, dass das ein tolles Produkt ist. <strong>Das</strong> war natürlich ein tolles Produkt.<br />

Sprecher:<br />

Dr. Konrad Schwellnus von der Beratungsfirma Wartig Nord in Hamburg, Experte für<br />

Asbestsanierung.<br />

OT Packroff:<br />

Es war so, dass Asbest als Wunderstoff, wie er damals genannt wurde, eine<br />

erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hatte. Hochtemperaturisolierung, Dichtung,<br />

Brandschutz - das waren die großen Themen, für die Asbest zum Einsatz kam.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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Sprecher:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Der Chemiker Dr. Rolf Packroff, Gefahrstoffexperte der Bundesanstalt für<br />

Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. Die Industrie nutzte Asbest schon in<br />

der Ära der Dampfmaschinen. Später entdeckte man es als Zusatzstoff für<br />

Zementplatten und Bodenbeläge, es fand den Weg in Fahrzeuge und Elektrogeräte.<br />

Um 1980 war das Material weltweit geradezu allgegenwärtig.<br />

Musik / Atmo<br />

Sprecher:<br />

Viele Menschen glauben, Asbest sei ein synthetisch hergestellter Stoff - aber es ist<br />

ein natürliches Mineral. Der Stoff wirkt meist fahl, spröde, faserig.<br />

Konrad Schwellnus besitzt eine kleine Sammlung:<br />

OT Schwellnus:<br />

Je nach Herkunft sehen diese Materialien unterschiedlich aus. Hier ist ein Chrysotil<br />

aus Kanada, Weißasbest wird das volkstümlich genannt. <strong>Das</strong> ist ein bisschen grün -<br />

aber wenn es aufbereitet ist, sieht das ganz weiß aus. <strong>Das</strong> hier ist Blauasbest - der<br />

sieht hier nur nicht so blau aus. Im Mikroskop betrachtet ist der blau.<br />

Sprecher:<br />

Blauasbest gilt als b e s o n d e r s gesundheitsschädlich.<br />

Sprecherin:<br />

Schon von der Steinzeit bis ins Mittelalter nutzte man dieses Mineral gelegentlich -<br />

etwa für Geschirr und in Schmiedeöfen. Asbest leitet keinen Strom, Hitze und<br />

Flammen machen ihm ebenso wenig aus wie Säuren. Es ist einfach zu bearbeiten -<br />

und weil es häufig und noch dazu dicht unter dem Boden vorkommt, ist es billig.<br />

Gigantische Gruben entstanden auf Zypern, in Russland, China, Simbabwe, Kanada<br />

oder Brasilien.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Musik<br />

Sprecherin:<br />

Zuerst verwendete man das Material vor allem <strong>zur</strong> Isolierung - in Kraftwerken, in der<br />

Stahlindustrie, im Maschinenbau. Es nutzte durchaus auch der Arbeitssicherheit. So<br />

zog der Ofenmaurer Franz Balzer manchmal Schutzkleidung aus Asbest an - wie<br />

Hochofenarbeiter oder Feuerwehrleute. Raffinerien, Chemiefabriken oder Brauereien<br />

arbeiteten mit Asbestfiltern.<br />

Musik<br />

Sprecherin:<br />

Konstrukteure hielten den vielseitigen Rohstoff außerdem in Lokomotiven, Schiffen,<br />

Panzern oder Autos für unverzichtbar - als Hitzeisolierung, aber auch als<br />

stabilisierenden Zusatz in Bremsbelägen.<br />

Musik<br />

Sprecherin:<br />

Am meisten Asbest verbrauchte die Bauwirtschaft. Behörden schrieben es zum<br />

Brandschutz vor, an Stahlträgern, Heizkörpern, Stromleitungen oder in Klimaanlagen<br />

- nicht selten in Form von Spritzasbest, einem schaumähnlichen Material. Begeisterte<br />

Ingenieure und entschlossene Manager entdeckten immer neue Anwendungsmöglichkeiten.<br />

So macht Asbest auch Zement stabiler.<br />

Musik<br />

Sprecher:<br />

Sogar die Berliner Mauer enthielt das Material. Ein fast unüberschaubares Sortiment<br />

an Asbestzementprodukten bot die Firma Eternit an. Solche Ziegel, Dach- und<br />

Fassadenplatten bedecken bis heute viele Gebäude. Der Stoff kann auch in alten<br />

Kaminen stecken, in Dachpappe, Akustikdecken oder Blumenkästen.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Musik<br />

Sprecher:<br />

Rudolf Jost begegnet dem Risikomaterial nicht nur in seiner Wohnung, sondern auch<br />

in seinem Keller.<br />

OT Jost:<br />

<strong>Das</strong> sind jetzt die Eternit-Rohre von dem Abwassersystem. <strong>Das</strong> ist Asbestzement.<br />

Teilweise gibt es auch Wasserzuleitungen mit Asbest, das heißt, man hat im<br />

Trinkwasser Asbestpartikel.<br />

Sprecherin:<br />

Die Substanz eroberte den Alltag fast bis in den letzten Winkel. In Wohnungen und<br />

Büros verlegten Handwerker oder Mieter unzählige Quadratmeter komfortabler<br />

asbesthaltiger Bodenbeläge. Der Mineralstoff macht das jeweilige Grundmaterial<br />

fester und haltbarer.<br />

OT Schwellnus:<br />

Wir haben hier Bodenbeläge, hier eine auf PVC-Basis hergestellte Bodenplatte mit<br />

Asbestfasern. Auf der Rückseite sehen wir noch einen Rest von Bitumenkleber - die<br />

sind auch sehr oft asbesthaltig. <strong>Das</strong> ist ein alter Linoleumbelag, man sieht den<br />

Juterücken. Auch solche Beläge können asbesthaltig sein. Steinholz - Industriehallen<br />

sind oft mit Tausenden von Quadratmetern von so einem Material ausgeführt.<br />

Sprecherin:<br />

Auch für Öfen, Herde, Bügeleisen, Toaster, Haarföne oder Radios sahen die<br />

Konstrukteure oft Asbest vor. Als Füllstoff geriet es sogar in Zahncreme, in<br />

Medikamente und Kosmetika.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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OT Packroff:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Insgesamt hatten wir in den siebziger Jahren einen Jahresimport von ungefähr<br />

150 000 Tonnen, 5000 Lkws pro Jahr - im Westen. In der DDR sah es ähnlich aus -<br />

dort war der Jahresimport 70 000 Tonnen, also eine erhebliche Menge.<br />

Die Zahl, die es gibt, ist, dass zwischen 1950 und 1990 ungefähr 32 Millionen<br />

Tonnen an Asbestzementprodukten hergestellt worden sind.<br />

Sprecher:<br />

Über die Zahl der Menschen, die in Fabriken oder auf Baustellen gefährdet waren,<br />

sagt Rolf Packroff, der Arbeitsschutzexperte aus Dortmund:<br />

OT Packroff:<br />

Zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland sind in Betracht zu<br />

ziehen.<br />

Musik<br />

OT Renn:<br />

Ich denke, Asbest war ein Schlüsselereignis - insofern, als sehr deutlich wurde, dass<br />

die Erkenntnis von gesundheitlichen Schäden noch lange nicht bedeutet, dass etwas<br />

geschieht, um diese Schäden zu verhindern.<br />

Sprecher:<br />

Prof. Renn, der Risikoforscher von der Universität Stuttgart. Konnte man die<br />

"Tragödie Asbest" verhindern ? Kein Arbeiter, kein Ingenieur fiel tot um, wenn er den<br />

"Universalwerkstoff" in die Hand nahm oder seinen Staub einatmete, allenfalls<br />

hustete er kurz. Viel zu spät, erst Mitte des 20. Jahrhunderts, nahmen Manager und<br />

Politiker <strong>zur</strong> Kenntnis, dass das Material nach Jahren tödliche Krankheiten<br />

verursachen kann.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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OT Packroff:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Die Heimtücke des Asbests ist - er setzt ultrafeine Fasern frei. Diese werden<br />

eingeatmet, sie gelangen bis in die tiefen Lungenbläschen, sie verbleiben dort. Sie<br />

führen dort zu Entzündungen.<br />

Sprecherin:<br />

Rolf Packroff.<br />

Sprecherin:<br />

Die häufigste Erkrankung ist die Asbestose. Sie droht etwa Bergleuten in<br />

Asbestgruben und Bauarbeitern, die sich j a h r e l a n g im Staub aufhielten.<br />

OT Balzer:<br />

Man kann nicht mehr von Heilbehandlung sprechen - es gibt keine Heilbehandlung.<br />

Mit einer Verschlimmerung muss ich auf jeden Fall rechnen. Ich kämpfe bis zum<br />

Schluss.<br />

Sprecherin:<br />

Franz Balzer aus Essen. Diese Form der "Staublunge" macht den Opfern mit<br />

Erstickungsanfällen das Leben oft <strong>zur</strong> Hölle, im ungünstigsten Fall führt sie zu<br />

Lungenversagen.<br />

Sprecherin:<br />

Außerdem kann das Einatmen des Mineralstaubs Lungen-, Kehlkopf- oder<br />

Speiseröhrenkrebs verursachen - und das sonst sehr seltene Mesotheliom, eine<br />

Krebserkrankung des Rippenfells. Anders als bei Asbestose reichen dafür schon<br />

g e r i n g e Mengen Staub aus. Mesotheliome sind nicht heilbar. Ob Asbest auch<br />

andere Formen von Krebs hervorrufen kann, ist umstritten.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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OT Renn:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Wenn ich Asbestfasern einatme, heißt es nicht, dass ich mit Sicherheit Krebs<br />

bekomme - sondern nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Die Mehrheit<br />

derjenigen, die asbestexponiert waren, haben keinen Krebs bekommen. <strong>Das</strong> heißt<br />

aber wenig, denn es waren sehr viele, die exponiert waren. Seit 1978 sind etwa<br />

27 000 Menschen an Asbest gestorben - das ist eine sehr, sehr hohe Zahl. Aber<br />

exponiert waren Millionen.<br />

Sprecher:<br />

Warnungen vor den Risiken von Asbest gab es schon vor dem Ersten Weltkrieg.<br />

Konrad Schwellnus:<br />

OT Schwellnus:<br />

Die Lebensversicherungen haben schon damals angefangen, Leute abzulehnen, die<br />

beim Asbestabbau beschäftigt sind.<br />

Sprecher:<br />

Aber die Arbeitsmediziner interessierten sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts fast<br />

ausschließlich für k u r z f r i s t i g e Gesundheitsschäden.<br />

OT Borrmann:<br />

<strong>Das</strong> wurde geschnitten mit dem Messer oder mit einer Säge - alles ohne<br />

Mundschutz. So haben wir da gearbeitet.<br />

Musik / Atmo<br />

Sprecher:<br />

Der frühere Asbestisolierer Herbert Borrmann aus Düsseldorf .<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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OT Balzer:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Da hat man oft die Handlampe nicht mehr gesehen, so hat das gestaubt. "Stell dich<br />

nicht so an !" - das war der Spruch. Gar nichts, nichts - niemand hat uns aufgeklärt.<br />

Da gab es keine Sicherheitsingenieure. Da gab es auch keine richtigen Masken -<br />

unsere Masken waren früher Schwämme. So war der Arbeitsschutz in den sechziger<br />

Jahren. Wichtig war immer der Helm - dass der Helm aufgesetzt war.<br />

Sprecherin:<br />

Viele Unternehmen argumentieren, es fehlten E r s a t z s t o f f e . Industrie und<br />

Bauwirtschaft müssten die Produktion teilweise einstellen, Autos seien ohne<br />

asbesthaltige Bremsbeläge nicht mehr sicher. Gegen einen raschen "Ausstieg"<br />

sperrten sich auch manche Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter - sie hatten<br />

Angst um Arbeitsplätze. Franz Balzer:<br />

OT Balzer:<br />

Die Gewerkschaft hat sich nie für uns eingesetzt, kein bisschen. "Kann man nix<br />

machen, Kollege". Machen wir denen auch immer wieder zum Vorwurf. Nur<br />

Lohnpolitik - arbeitsschutzmäßig überhaupt nichts. ch bin 97 aus der Gewerkschaft<br />

rausgegangen, weil da überhaupt keine Unterstützung kam.<br />

Sprecherin:<br />

Dietmar Schäfers von der IG Bauen - Agrar - Umwelt sieht es so:<br />

OT Schäfers:<br />

Wir haben niemals den Arbeitsplatz höher gestellt als den Arbeits- und<br />

Gesundheitsschutz. Aber in der Tat - kampagnenmäßig und zielorientiert diskutieren<br />

wir das Thema erst seit Mitte der siebziger Jahre.<br />

Sprecherin:<br />

Weil Asbest schließlich in ganz vielen Gebäuden und auch Konsumgütern zu finden<br />

war, gerieten überspitzt gesagt theoretisch fast alle Einwohner der Industrieländer<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />

Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />

vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />

14


DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

unter die "Risikopersonen". Dennoch war von i h r e r Bedrohung lange kaum die<br />

Rede.<br />

OT Jost:<br />

Man hat da kein sinnliches Empfinden dafür. Und die Gefahr ist in die Zukunft<br />

verlagert.<br />

Musik / Atmo<br />

Sprecherin:<br />

Generationen von Autos hinterließen nach jedem Bremsen kaum sichtbare Schleier<br />

von Mineralstaub. Rolf Packroff:<br />

OT Packroff:<br />

An Arbeitsplätzen reden wir über Millionen Fasern, teilweise über Milliarden Fasern.<br />

Dann waren die Spitzenbelastungen, die man zum Beispiel an Kreuzungen in NRW<br />

gemessen hat, bei mehreren t a u s e n d Fasern pro Kubikmeter. Zum Vergleich an<br />

Arbeitsplätzen, reden wir nicht über mehrere tausend, sondern über das<br />

tausendfache. Wir reden über Millionen Fasern, bis zu Milliarden Fasern.<br />

Sprecherin:<br />

Dennoch war das eine Gefahr. Besonders bedroht waren überdies die Angehörigen<br />

von Asbestarbeitern:<br />

OT Balzer:<br />

Die Arbeitskleidung hab ich mit nach Hause genommen und die Frau hat sie<br />

gewaschen. Die war stark belastet.<br />

OT Borrmann:<br />

Wir hatten bei uns auch so einen Fall. Der Mann hat nichts. Aber von der<br />

Arbeitskleidung ist die Frau erkrankt - hatte das Mesotheliom und ist verstorben.<br />

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15


MONTAGE / HISTORISCHER O-TON:<br />

Erster Werftarbeiter:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Die Erfahrungen waren so, dass wir früher in Unwissenheit in Asbest gearbeitet<br />

haben. Dadurch sind sehr viele Kollegen erkrankt, einige schon verstorben. <strong>Das</strong> sind<br />

die leidvollen Erfahrungen, die wir machen mussten.<br />

Sprecher:<br />

Arbeiter der Bremer VULKAN-Werft sprachen 1983 über ihre Befürchtungen.<br />

MONTAGE / HISTORISCHER O-TON:<br />

Zweiter Werftarbeiter:<br />

Nach meiner Meinung - und der Meinung sind wir alle - gibt es hundertprozentige<br />

Schutzmassnahmen bei Asbest nicht.<br />

Erster Werftarbeiter:<br />

Aus eigener Erfahrung wollen wir nicht Totengräber unserer Kollegen sein. Deshalb<br />

wollen wir uns ganz energisch dafür einsetzen, dass auf diesem Schiff keiner von<br />

uns arbeiten wird.<br />

Dritter Werftarbeiter:<br />

Ich möchte ablehnen, weil ich ja länger leben will. Was heißt Arbeitsplatz ? Ich will ja<br />

nicht meinen Arbeitsplatz sichern, um meine Gesundheit zu gefährden und meine<br />

Lebensdauer zu verkürzen. <strong>Das</strong> geht ja nicht.<br />

Musik<br />

Sprecher:<br />

Seit den siebziger Jahren setzte die Öffentlichkeit sich mehr und mehr mit den<br />

Wirkungen von Industriematerialien auf Beschäftigte, Konsumenten oder die Umwelt<br />

auseinander. Neben DDT, Blei, Dioxin, PCB und vielen anderen Stoffen geriet auch<br />

Asbest in Verruf.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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16


OT Schäfers:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Wir haben bereits Anfang der achtziger Jahre ein "Asbestbüro" unterhalten in<br />

Mülheim an der Ruhr, eingerichtet durch den DGB. Ich kann mich noch an viele<br />

Diskussionen erinnern, wie zwiespältig das teilweise betrachtet wurde in der<br />

Wirtschaft, dass wir "die Leute wild machen" wegen Asbest.<br />

Sprecher:<br />

Dietmar Schäfers, der stellvertretende Vorsitzende der IG BAU.<br />

1972 verbot man in den USA, 1979 in der Bundesrepublik wenigstens die<br />

gefährlichste Verwendungsform des Minerals: Spritzasbest. Noch 1992 sah Paul<br />

Wörnemann, Direktor von Eternit, kein Risiko durch Asbestz e m e n t :<br />

Historischer O-TON:<br />

Wörnemann:<br />

Im späteren Verlauf sind eingebaute Asbestzementprodukte völlig ungefährlich. Im<br />

Gegensatz dazu steht die Situation beim Spritzasbest, wo sie sehr hohe<br />

Faserkonzentrationen hatten beim Aufspritzen. <strong>Das</strong> ist bei Asbestzement nicht der<br />

Fall - auch nicht bei Dach- oder Fassadenplatten, wenn sie fest eingebaut sind.<br />

Sprecher:<br />

Aber diese Platten sind nicht unzugänglich oder versiegelt. Ein endgültiges Verbot<br />

von Asbest - genauer gesagt ein Verbot des Verkaufs und der Neuverwendung -<br />

beschloss man in Schweden 1982, in Deutschland 1993, in der EU 2005.<br />

OT Balzer:<br />

Wut und Enttäuschung ist schon mit dabei. Wir brauchen ja nur daran zu denken,<br />

Eternit, der Prozess Schmidheiny oder Baron de Cartier mit Menschen umgegangen<br />

sind.<br />

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17


Sprecher:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Stephan Schmidheiny aus der Schweiz und Louis de Cartier aus Belgien waren<br />

Eigentümer des Unternehmens Eternit, das in vielen Ländern Asbestprodukte<br />

herstellte. Gegen sie und einige andere Industrielle gab es vor allem in Italien und<br />

den USA Prozesse. Die meisten Beschuldigten erschienen nicht vor Gericht - wegen<br />

schlechter Gesundheit oder weil sie im Ausland lebten. Verurteilungen blieben daher<br />

folgenlos. Auch von den verantwortlichen Politikern und Beamten wurde fast<br />

niemand <strong>zur</strong> Rechenschaft gezogen. Die 2012 eingeleiteten Ermittlungen gegen die<br />

frühere französische Arbeitsministerin Martine Aubry waren eine Ausnahme.<br />

MUSIKAKZENT<br />

Sprecher:<br />

Weithin herrscht in der Öffentlichkeit die Vorstellung, Deutschland habe kein<br />

Asbestproblem mehr. <strong>Das</strong> ist aber keineswegs so.<br />

In vielen Städten fallen "Asbestruinen" auf. E i n Symbol für die Verwandlung des<br />

Universalwerkstoffs in einen angstauslösenden Gefahrstoff und schließlich in eine<br />

kostspielige Altlast ist das 1980 fertig gestellte Hochhaus der Deutschen Welle in<br />

Köln. Zehn Jahre später stand die Sanierung auf der Tagesordnung. In einer <strong>WDR</strong>-<br />

Live-<strong>Sendung</strong> meinte damals ein aufgebrachter Mitarbeiter:<br />

Historischer O-TON:<br />

DW-Mitarbeiter:<br />

Wir sind alle sehr, sehr beunruhigt, dass hier Asbestfasern eingeatmet werden. Fünf,<br />

sieben Jahre - die ganze Sanierung hindurch sollen wir hier drin bleiben. Um uns<br />

herum in Köln werden Schulen geschlossen, Theater, öffentliche Gebäude werden<br />

geräumt. Wir haben die Aussicht, Jahre hier drin zu bleiben, obwohl wir<br />

wahrscheinlich schon genug Fasern in uns haben. <strong>Das</strong> ist eine ganz fürchterliche<br />

Aussicht.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Musik<br />

Sprecher:<br />

<strong>Das</strong> Hochhaus steht schon lange leer. In manchen Etagen lauert immer noch Asbest.<br />

Sprecherin:<br />

Trotz aller teilweisen Verbote ist der "Ausstieg aus dem Asbest" zum großen Teil<br />

eine Wunschvorstellung geblieben. Im Grunde sind alle vor Mitte der neunziger Jahre<br />

fertiggstellten Gebäude verdächtig.<br />

Sprecher:<br />

Allerdings, so Michael Lammert vom Verband der Faserzement-Industrie, Zitat:<br />

Zitator (Lammert):<br />

Eine Sanierungspflicht für Dächer oder Fassaden aus Asbestzement besteht nicht,<br />

da hiervon bei sachgemäßem Umgang keine Gefahr ausgeht.<br />

Sprecher:<br />

Rudolf Jost ist unzufrieden mit der Rechtslage:<br />

OT Jost:<br />

Der Staat hat da noch keinen Handlungsbedarf gesehen. Da gibt es noch keine<br />

Vorschriften, dass die entfernt werden müssen, wenn die Fasern freisetzen. Es gibt<br />

nur Vorschriften, w i e sie saniert werden müssen, wenn sie verwittert sind - aber<br />

nicht, d a s s sie saniert werden müssen.<br />

Sprecher:<br />

S y s t e m a t i s c h untersucht wurde nur ein kleiner Teil der Gebäude in<br />

Deutschland. <strong>Das</strong> ist auch ein schwieriges Vorhaben, weil Bauarbeiter und<br />

Heimwerker den - ohnehin unauffälligen - Stoff oft planlos und kleinflächig<br />

verwendeten.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Atmo / Baustelle<br />

Sprecher:<br />

V o l l s t ä n d i g entfernt hat man Asbest aus vielen öffentlichen Gebäuden. Private<br />

Eigentümer ließen am ehesten Spritzasbest beseitigen - etwa an Stahlträgern oder<br />

Rohrleitungen.<br />

Sprecherin:<br />

Der weniger bedrohliche, aber viel häufiger verwendete Asbestzement ist noch an<br />

u n z ä h l i g e n Bauten in Dach- und Fassadenplatten, in Rohrleitungen,<br />

Schornsteinen und Installationsschächten vorhanden.<br />

Andreas Otto, Bauexperte der Grünen im Berliner Landesparlament, verweist auf ein<br />

anderes vergessenes Problem - asbesthaltige Bodenbeläge:<br />

OT Otto:<br />

Die sind vielleicht dreißig Jahre alt und die gehen jetzt eben kaputt, sei es durch<br />

mechanische Beanspruchung, oder wenn jemand an dem Fußboden arbeitet.<br />

Sprecherin:<br />

<strong>Das</strong> unscheinbare natürliche Mineral hat ein eigenes Universum des Risikos<br />

entstehen lassen: es kann auch versteckt sein in Verteilerdosen, Fensterkitt,<br />

Fliesenklebern …<br />

Konrad Schwellnus von der Beratungsfirma Wartig Nord:<br />

OT Schwellnus:<br />

Hier in Hamburg läuft ein Untersuchungsprogramm, um zu ermitteln - wo sind unter<br />

Umständen asbesthaltige Putze in Schulen. Die Altlasten in Deutschland - mit denen<br />

werden wir noch Jahrzehnte zu tun haben.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

MUSIK<br />

OT Schäfers:<br />

Oft verfährt man ja in den Betrieben nach dem Motto "Es wird schon gut gehen".<br />

Aber wir wissen alle - es geht nicht immer gut. Und man hat nur ein Leben. Die<br />

wichtigsten Gefährdungen sind im Bereich der Altbausanierung. Viele wissen gar<br />

nicht - wenn sie Bodenbeläge entsorgen, wenn sie Fliesen abklopfen, wenn sie<br />

Isoliermaterial aus den Dächern herausnehmen -, dass sie mit Asbest in Kontakt<br />

kommen.<br />

Sprecher:<br />

Dietmar Schäfers von der IG BAU.<br />

OT Jost:<br />

Vor etwa drei Monaten ist bei dem Haus hier an der Ecke das Dach abgerissen<br />

worden. Ich hab keinen Arbeiter mit Schutzkleidung gesehen, der das fachgerecht<br />

gemacht hat.<br />

Sprecher:<br />

Rudolf Jost aus der Nollendorfstraße in Berlin-Schöneberg. Wie wird man das<br />

verrufene Material endgültig los? Bei den Versuchen der Problemlösung entstehen<br />

oft neue Probleme.<br />

OT Heldt:<br />

Wenn es ein Eternit-Dach ist, sagen wir natürlich, da geht erst mal keine Gefahr von<br />

aus, weil es stark gebundener Asbest ist - da ist eine Gesundheitsgefährdung<br />

eigentlich nur da, wenn jemand u n s a c h g e m ä ß daran arbeitet.<br />

Sprecher:<br />

Philip Heldt, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Verbraucherzentrale NRW.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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21


Sprecherin:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Asbestzement verwittert im Lauf der Jahre - gefährliche Staubmengen werden dabei<br />

aber nicht frei. Im Einzelfall kann es natürlich anders sein.<br />

Sprecher:<br />

Noch einmal das Beispiel Dachplatten.<br />

Rolf Packroff von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz in Dortmund:<br />

OT Packroff:<br />

Da gilt die besondere Heimtücke des Asbests. In dem Moment, wo jemand hingeht,<br />

nimmt die Flex raus, sägt einmal durch - da hab ich Belastungen bis 50 Millionen<br />

Fasern pro Kubikmeter.<br />

Musik / Atmo<br />

OT Schwellnus:<br />

Sie wollen einen Dübel in die Wand bohren - ist die asbesthaltig, dürfte man das<br />

nicht ohne Schutzmaßnahmen machen.<br />

Sprecherin:<br />

Der erste Schritt bei der Sanierung ist sachverständige Beratung. Ein Beispiel:<br />

OT Heldt:<br />

<strong>Das</strong> sieht aus wie ein ganz normaler PVC-Bodenbelag. Es gibt andere Materialien,<br />

die asbestfrei sind, die denen sehr ähnlich sehen. <strong>Das</strong> kann man mit bloßem Auge<br />

nicht entscheiden - da muss man eine Analyse machen lassen.<br />

Sprecherin:<br />

Soll Material entfernt werden, sind - je nach Risiko - unterschiedliche Abläufe<br />

vorgesehen. Philip Heldt von der NRW-Verbraucherzentrale hebt hervor:<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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OT Heldt:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Es gibt kein direktes Verbot, Asbest selbst zu entfernen. Ich würde aber aus<br />

gesundheitlichen Gründen i m m e r davon abraten und eine Fachfirma nehmen.<br />

Sprecherin:<br />

Wie findet man eine seriöse Firma?<br />

OT Heldt:<br />

Erzählen kann man natürlich viel. Insofern ist es günstig, nach Zertifikaten zu fragen<br />

oder die Handwerkskammer an<strong>zur</strong>ufen.<br />

Sprecherin:<br />

Ein Beispiel: angenommen, in einem Korridor liegen unbeschädigte, nicht verklebte<br />

Bodenplatten mit fest gebundenem Asbest.<br />

OT Schwellnus:<br />

Die unterste Schutzstufe - das kann ein Bodenleger, der eine Schulung mitgemacht<br />

hat, machen. Der geht in den Raum, er braucht einen für Asbest zugelassenen<br />

Sauger, er sollte eine Maske mithaben. Dann kann er mit dem Spachtel vorsichtig<br />

eine Platte nach der anderen wegnehmen. Wenn es schwierigere Sachen sind,<br />

schwach gebundene Asbestprodukte wie eine Pappe am Heizkörper - wie kann die<br />

Firma das machen? Die kann eine Abschottung aufbauen aus Folie. Da geht der<br />

Techniker rein, nimmt die Pappe vorsichtig ab, macht alles sauber. Vor der<br />

Abschottung muss eine Schleuse stehen, in der sich den Schutzanzug anzieht.<br />

Sprecherin:<br />

Die höchste Risikostufe:<br />

OT Schwellnus:<br />

Wenn zum Beispiel ein Cushion-Vinyl-Belag auf einem Betonboden in der Küche<br />

verklebt ist - ich brauche dann eine Vierkammerschleuse, mit Dusche, ich brauche<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

ein Lüftungsgerät und nach der Arbeit muss eine Messung gemacht werden, von<br />

einem Asbestsachverständigen oder einer akkreditierten Messstelle.<br />

Musik<br />

Zitator (Michatz):<br />

Jedoch sind Arbeiten auch in Eigenregie im eigenen Gebäude zulässig und bedürfen<br />

keiner Anzeige oder behördlichen Genehmigung. Oberstes Gebot ist auch hier die<br />

Freisetzung von Asbestfeinstaub zu vermeiden. Bei Asbestzement sind die<br />

entsprechenden Abschnitte der Technischen Regeln für Gefahrstoffe zu beachten.<br />

Sprecher:<br />

Zitat: Johannes Michatz von Eternit. Aber unter welchen Bedingungen gelten welche<br />

Vorschriften? <strong>Das</strong> ist keine einfache Frage. Manche Hausbesitzer oder Heimwerker<br />

sehen alles viel unkomplizierter:<br />

OT Schwellnus:<br />

Es gibt Leute, die sagen sich "<strong>Das</strong> ist so teuer - was soll's, keiner hat's gesehen, weg<br />

damit !" Ja, die wollen oft gar nichts davon wissen. Es ist ein Drama.<br />

Sprecher:<br />

Defizite gibt es auch bei Baufirmen. Dietmar Schäfers:<br />

OT Schäfers:<br />

Wir haben gute Regelungen. Aber oft sieht die Praxis auf den Baustellen ganz<br />

anders aus. Da geht es schnell, schnell. Leider unterschätzen auch Arbeitnehmer oft<br />

die Gefahren von Asbest.<br />

Sprecher:<br />

Rudolf Jost - der eine Stadtteilinitiative mitgegründet hat - griff bei<br />

Sanierungsarbeiten ein …<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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OT Jost:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

… weil wir mitbekommen hatten, dass in Nachbarwohnungen ganz sorglos mit den<br />

Platten umgegangen wurde. Rausgebrochen, mit Eimern runtergetragen - man hat<br />

da überhaupt keine Schutzmaßnahmen eingehalten. Daraufhin haben wir der<br />

Wohnungsgesellschaft mitgeteilt, die sollen das fachgerecht entsorgen.<br />

Sprecher:<br />

Für kurze Zeit - so erinnert sich der Mieter - wurde anders gearbeitet:<br />

OT Jost:<br />

Aber als der Chef weg war, haben wir gesehen, dass die Platten in kleine Stücke<br />

zersägt worden sind. Dann haben wir das Aufsichtsamt angerufen. Da mussten die<br />

alles dekontaminieren.<br />

Bei einem weiteren Vorfall in seinem Haus wandte sich Rudolf Jost an einen der<br />

Bauarbeiter:<br />

OT Jost:<br />

Dann hab ich ihn angesprochen, ob er wahnsinnig ist - er gefährdet seine eigene<br />

Gesundheit und die der Mieter hier. Dann kam der Vorarbeiter, der hat mich<br />

angeschrienen "Lassen Sie mich mit dem Scheiß in Ruhe! <strong>Das</strong> ist alles Blödsinn!"<br />

Dann hat er die Tür zugeknallt.<br />

Sprecher:<br />

Eine Strafanzeige gegen die Baufirma ist in Bearbeitung.<br />

Sprecherin:<br />

Der grüne Abgeordnete Andreas Otto kritisiert Staat und Wohnungswirtschaft:<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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25


OT Otto:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

<strong>Das</strong> ist sicherlich richtig, dass man keine Panik erzeugen will. Andererseits - eine<br />

vollständige Information halte ich für unerlässlich.<br />

Sprecherin:<br />

Außerdem werden Asbestsanierungsarbeiten - wie viele andere Bereiche der<br />

Arbeitswelt - nicht ausreichend kontrolliert, sagt der Gewerkschafter Schäfers:<br />

OT Schäfers:<br />

Sie müssen sehen, dass auf zehntausend gewerbliche Arbeitnehmer ein<br />

Aufsichtsbeamter kommt. <strong>Das</strong> ist viel zu wenig, um eine Gefahreneinschätzung<br />

vorzunehmen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Hat natürlich auch seinen Grund in<br />

der Sparpolitik der Öffentlichen Hand, die mehr und mehr Aufsichtsbeamte einspart.<br />

Verantwortungslos ist das sicherlich.<br />

OT Otto:<br />

Wir schlagen eine Bestandsaufnahme vor, die ein Register enthalten kann, aber<br />

auch durchaus eine Kennzeichnung der Gebäude. Die Gebäude könnte man<br />

kennzeichnen nach dem Vorbild des Energieausweises, man könnte im<br />

Treppenhaus einen Asbest- oder Schadstoffpass aushängen. Dann wüssten alle, die<br />

da einziehen, oder eine Wohnung besichtigen: "Hier ist was".<br />

Musik<br />

Zitator (Lammert):<br />

Mittlerweile ist die Verwendung von Asbest in der ganzen EU verboten. <strong>Das</strong> ist<br />

keineswegs selbstverständlich. In außereuropäischen Ländern ist die Verwendung<br />

weiterhin erlaubt.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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26


Sprecher:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Zitat: Michael Lammert, der Geschäftsführer des Verbands der Faserzement-<br />

Industrie.<br />

Sprecherin:<br />

In Russland, China, Kasachstan, Brasilien und anderen Ländern läuft der Abbau<br />

weiter - zugleich verwenden Bauwirtschaft und Industrie dort Asbest in großem<br />

Umfang. Manche europäische Unternehmen haben seit den neunziger Jahren ihre<br />

Produktion in solche Länder verlegt. Dietmar Schäfers:<br />

OT Schäfers:<br />

Ich selbst war in Malaysia und habe mir dort angeschaut die Produktion von<br />

Feuerschutztüren, die weiterhin in Teile von Europa exportiert werden, obwohl das<br />

hier verboten ist. Beschäftigte dieser Fabrik, die wir angetroffen haben, waren<br />

ahnungslos, dassAsbest ihre Gesundheit und ihr Leben gefährdet.<br />

Sprecher:<br />

Weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation heute etwa 125 Millionen<br />

Arbeiterinnen und Arbeiter dem schädlichen Staub ausgesetzt.<br />

OT Packroff:<br />

Wir haben <strong>zur</strong> Zeit - 2011 - knapp 1500 offizielle Todesfälle. <strong>Das</strong> sind fast 60 Prozent<br />

aller berufsbedingten Todesfälle.<br />

Sprecherin:<br />

Zwanzig Jahre nach dem Verbot sterben in Deutschland an Asbestose und an<br />

asbestbedingtem Lungen- oder Rippenfellkrebs vor allem ehemalige Arbeiter.<br />

Weltweit ist der Stoff jedes Jahr für mindestens hunderttausend Tote verantwortlich.<br />

Hinzu kommen noch viel mehr Asbestoseerkrankungen, die nicht tödlich enden.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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27


OT Borrmann:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Ich hab auch 20 Kilo abgenommen durch meine Krankheit. Wenn man merkt, man<br />

kann kaum noch laufen, ohne stehenzubleiben - dann nervt das. Ich kann mit meinen<br />

Enkelkindern nichts unternehmen - oder der Frau behilflich sein. Wenn ich die<br />

Treppe hochkomme, muss ich für eine Etage drei Mal stehe bleiben.<br />

Sprecherin:<br />

Herbert Borrmann ist die meiste Zeit auf Sauerstoffgeräte angewiesen:<br />

OT Borrmann:<br />

<strong>Das</strong> ist 1,20 Meter hoch, ein Durchmesser von 35 Zentimeter. <strong>Das</strong> ist gefüllt mit<br />

Flüssigsauerstoff. Damit komme ich aus ungefähr 14 Tage. Nachts stelle ich mir so<br />

ein Ding ans Bett, damit ich jederzeit Zugriff habe, wenn es mir schlechter geht.<br />

Sprecherin:<br />

Asbestosekranke leben auch mit einem deutlich erhöhten Risiko, Krebs zu<br />

bekommen. Bei dem ehemaligen Werkstattleiter aus Düsseldorf schien es schon im<br />

Jahr 2000 soweit:<br />

OT Borrmann:<br />

Ich bin zum Arzt gegangen. Da wurde eine Röntgenaufnahme, eine CT, gemacht.<br />

Dann hat man bei mir gemeint, das ist Krebs. "Sieht aus wie eine Zeitbombe.<br />

Hochexplosiv" - weil er das für ein Karzinom gehalten hat.<br />

Sprecherin:<br />

Man stellte ein "Lungenkarzinom, nicht operabel" fest - zum Glück wurde die<br />

Diagnose widerrufen.<br />

OT Borrmann:<br />

Ich bin erster Vorsitzender unserer "Asbestose-Selbsthilfegruppe Essen/NRW". Wir<br />

versuchen, uns gegenseitig zu helfen und Erfahrungen auszutauschen.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />

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vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />

28


Sprecherin:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Herbert Borrmann ist - wie Franz Balzer - auch in einer b u n d e s w e i t e n Initiative<br />

von Asbestopfern aktiv.<br />

Asbestose droht nur Beschäftigten, die jahrelang im Asbeststaub standen. Für die<br />

Entstehung von Krebs reichen dagegen schon geringe Staubmengen aus.<br />

OT Schäfers:<br />

Wir erwarten, dass die Hochzeit dieser Erkrankungswelle 2020 bis 2030 kommen<br />

wird. Da müssen wir uns darauf einstellen, dass es Hunderttausende von Fällen sind.<br />

Sprecherin:<br />

Seit dem Verbot der Neuverwendung gehen in Deutschland Risiken in erster Linie<br />

von unvorsichtigen Abriss- und Renovierungsarbeiten aus. Wer Wasser aus den in<br />

vielen Orten noch vorhandenen Rohrleitungen aus Asbestzement trinkt, schadet sich<br />

nicht. Wer duscht, fängt sich mit dem Wasserdampf in seinen Lungen allerdings<br />

Asbestfasern ein.<br />

Musik<br />

Sprecher:<br />

Beim "Drama Asbest" geht es vor allem um Asbestose, um Krebs und<br />

millionenfachen Tod. Wie fällt eine w i r t s c h a f t l i c h e Bilanz aus ?<br />

Sprecherin:<br />

Einerseits machte das Material mit seinen faszinierenden Eigenschaften zweihundert<br />

Jahre lang viele Produktionsverfahren einfacher und billiger. Auch ein Nutzen für<br />

Konsumentinnen und Konsumenten war unbestreitbar. Die andere Seite der Bilanz:<br />

Gesundheits- und Umweltschäden summierten sich wahrscheinlich auf hunderte<br />

Milliarden Euro - exakte Berechnungen sind nicht möglich.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />

Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />

vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Sprecher:<br />

Rolf Packroff:<br />

OT Packroff:<br />

Da sind Schätzungen von Seiten der Unfallversicherung, die Behandlungskosten und<br />

Renten für die Betroffenen und Hinterbliebenen umfassen - allein diese Kosten<br />

summieren sich bis 2011 schon auf 5,7 Milliarden Euro.<br />

Historischer O-Ton: NDR-Reportage: Sprengung in Hamburg 1995<br />

Sprecher:<br />

Ein Bericht von der Sprengung eines asbestverseuchten Hochhauses in Hamburg<br />

1995:<br />

Historischer O-Ton: NDR-Reportage: Sprengung in Hamburg 1995<br />

Sprecher:<br />

Genaues über die b i s h e r i g e n Kosten von Abriss oder Sanierung belasteter<br />

Wohn- oder Bürogebäude, Schulen, Kongresszentren usw. weiß man nicht. Schon<br />

die Entfernung von Bodenbelägen aus einer kleinen Wohnung kann viele tausend<br />

Euro kosten. Der "Palast der Republik" in Ost-Berlin musste für über 100 Millionen<br />

Euro abgerissen werden. Für die Sanierung mehrerer Gebäude der Universität<br />

Bielefeld gab der Staat über 70 Millionen aus. Für geplante Arbeiten in der Zentrale<br />

der Europäischen Kommission in Brüssel schätzt man Kosten von 120 Millionen, für<br />

die Universitäten "Paris VI" und "Paris VII" zusammen fast eine Milliarde Euro - viel<br />

mehr als die ursprünglichen Baukosten.Kaum vorstellbare Summen werden in den<br />

nächsten Jahrzehnten weltweit fällig, wenn die meisten im 20. Jahrhundert<br />

entstandenen Gebäude das Ende ihrer Nutzungszeit erreicht haben und abgerissen<br />

werden müssen. Ein großer Teil von ihnen dürfte das unheilvolle Material enthalten.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Musik<br />

Sprecherin:<br />

Alternativen zu einer Risikotechnologie zu finden ist nicht einfach. Die Kampagne<br />

"Weg mit dem tödlichen Asbest!" in den achtziger und neunziger Jahren löste<br />

zunächst einen Boom von Ersatzstoffen aus. Zu ihnen gehörten verschiedene<br />

Mineralfasern - etwa Steinwolle, Glaswolle und Keramikfasern.<br />

OT Packroff:<br />

Keramikfasern - das sind spezielle Mineralwollen, die für sehr hohe Temperaturen<br />

eingesetzt werden.<br />

Sprecherin:<br />

Rolf Packroff. Keramikfasern verwendet man in industriellen Anlagen, in der<br />

Isolierung von Autokatalysatoren, in Gasthermen und Küchenherden. Unternehmen<br />

boten in den achtziger und neunziger Jahren diese Stoffe als Ersatz für Asbest an,<br />

ohne dass man über sie genau Bescheid wusste. Wie sich herausstellte, können<br />

aber auch manche Keramikfasern Krebs verursachen. Immerhin:<br />

OT Packroff:<br />

Sie haben ein geringeres Risiko bei diesen Produkten im Vergleich zu Asbest.<br />

Sprecherin:<br />

Erst 2002 gab man in Deutschland die Produktion einiger besonders<br />

gesundheitsschädlicher Arten von Keramikfasern auf. Als Altlasten sind sie oft noch<br />

vorhanden - es gelten ähnliche Bestimmungen wie bei Asbest. Die Daten zu<br />

Erkrankungen durch Keramikfasern sind sehr lückenhaft.<br />

Musik<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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Sprecher:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Ist die Geschichte des Asbests nur ein "bedauerlicher Einzelfall"? Der Risikoforscher<br />

Ortwin Renn:<br />

OT Renn:<br />

Als die Kernenergie in den fünfziger, sechziger Jahren eingeführt worden ist, hat man<br />

erst später gemerkt, welche Risiken auch damit verbunden sind und wie eine solche<br />

Technologielinie - von der Uranförderung bis <strong>zur</strong> Endlagerung - mehr<br />

Nebenwirkungen zeigte, als man ursprünglich dachte.<br />

Sprecher:<br />

Heute lautet eine verbreitete Vorstellung: "Alle Chemikalien und anderen Stoffe, die<br />

in unserer Arbeits- und Konsumwelt in Umlauf sind, hat man vielfach untersucht -<br />

wenn man mit ihnen vorsichtig umgeht, sind sie unbedenklich".<br />

OT Renn:<br />

Wir kennen nicht einmal von 5 Prozent aller Chemikalien in ihren toxikologischen<br />

Eigenschaften. Zwar wissen wir bei den anderen 95 Prozent viel über ihre<br />

Klassenzugehörigkeit. Aber wir finden immer wieder Überraschungen - dass<br />

bestimmte Chemikalien doch anders wirken, als man es vorhergesagt hatte. Und wir<br />

haben natürlich immer wieder neue Chemikalien.<br />

Sprecher:<br />

In Deutschland und der EU wurden erst spät Initiativen für eine andere Risikopolitik<br />

gestartet - vor allem das EU-Programm REACH. REACH steht für "Registration,<br />

Evaluation, Authorization and Restriction of Chemicals" - auf Deutsch "Registrierung,<br />

Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien". Inbegriffen sind auch<br />

Werkstoffe natürlicher Herkunft. <strong>Das</strong> Ziel: eine Überprüfung gerade auf<br />

l a n g f r i s t i g e gesundheitliche Risiken wie Krebs, Allergien oder Schädigungen<br />

des Immunsystems.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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OT Renn:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

REACH hat den großen Vorteil, dass es auch die Altchemikalien mit einbezieht. Mit<br />

REACH haben wir erstmals im europäischen Raum eine Verordnung, die auch bei<br />

Chemikalien, die schon im Verkehr sind, deutlich macht - wenn dort die Risiken nicht<br />

abgeschätzt sind, muss das nachträglich gemacht werden. Da ist man im Moment<br />

dabei, das ist ein enormer Aufwand.<br />

Musik<br />

Sprecherin:<br />

Diese "Chemikalienverordnung" trat 2007 in Kraft. Allerdings - bis die wichtigsten<br />

dreißigtausend Stoffe - von über hunderttausend - geprüft sind, dürften noch lange<br />

Jahre vergehen. Bisher kam es nur zu wenigen Verboten. Auf eine besondere Lücke<br />

weist Ortwin Renn hin: die meisten Materialien mit einer Jahresproduktion von unter<br />

zehn Tonnen bleiben zunächst ausgeklammert.<br />

OT Renn:<br />

Da sind wir bei einem problematischen Teil - dass heute, wenn wir an<br />

Nanomaterialien denken, die "Tonnenideologie" nicht mehr zieht. Hier geht es ja um<br />

sehr kleine Mengen, die aber große Wirkungen haben können. Da würde ich<br />

Nachbesserungsbedarf sehen.<br />

Sprecherin:<br />

Ein weiteres Defizit von REACH: auch bei den "durchleuchteten" Stoffen ist oft wenig<br />

bekannt über mögliche Wechselwirkungen. In den Körpern der Menschen in den<br />

Industrieländern lagern sich irritierend viele Chemikalien ab. Auch wenn es<br />

gewöhnlich nur Spuren sind - was geschieht bei einem Aufeinandertreffen?<br />

Erstaunlich ist auch, meint der Risikoexperte, dass in Deutschland die Forschung zu<br />

Giftstoffen - die Toxikologie – seit einigen Jahren "<strong>zur</strong>ückgefahren" wird.<br />

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OT Renn:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

<strong>Das</strong> ist ein Punkt, auf den ich <strong>zur</strong>ückkommen muss, dass wir nicht weniger, sondern<br />

mehr Toxikologie brauchen. Wir sehen das mit großer Sorge. Es ist der Eindruck<br />

entstanden - wir haben jetzt viel Toxikologie gemacht, die möglichen toxischen Stoffe<br />

kennen wir. Von daher brauchen wir das nur noch anzuwenden. Dieser Eindruck ist<br />

einfach falsch.<br />

Musik<br />

Sprecherin:<br />

Im größten Teil der Welt zog man aus der "Tragödie Asbest" überhaupt keine<br />

Konsequenzen. In Deutschland und der EU kam es zu einem zögernden Umdenken<br />

in der "Risikopolitik". Immer noch - trotz des REACH-Programms - werden auch hier<br />

zehntausende weitgehend unerforschte Stoffe verwendet.<br />

Sprecherin:<br />

Rudolf Jost ist seit 2011 in der Mietergruppe in Berlin-Schöneberg aktiv. Insgesamt<br />

gibt es in Deutschland nur wenige Initiativen von Asbestbetroffenen.<br />

OT Jost:<br />

<strong>Das</strong> ist Verdrängungsprozess bei ganz vielen Leuten. Wir haben ja diese Initiative ins<br />

Leben gerufen und auch an vielen Haustüren geklingelt und die Leute eingeladen -<br />

bei vielen ist uns passiert, dass die gesagt haben "<strong>Das</strong> geht uns nichts an" - oder<br />

"Ich hab kein Interesse daran".<br />

OT Renn:<br />

Wenn ich großen Druck mache - hier sind 10 000 Leute, die protestieren -, dann<br />

muss sich Politik damit beschäftigen. Wenn es um Asbest geht, steht keiner auf der<br />

Straße. Dann können solche schleichenden Risiken schnell übersehen werden.<br />

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Sprecherin:<br />

DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Eine Ausnahme waren die Proteste seit 2011 gegen den geplanten Transport<br />

gigantischer Mengen von Asbestabfällen aus Wunstorf in Niedersachsen auf<br />

angeblich sicherere Deponien.<br />

OT Renn:<br />

Themen werden zunächst einmal aufgegriffen und wenn sie die üblichen Merkmale<br />

erfüllen - dass es einen Bösewicht gibt, dass Unschuldige betroffen sind - dann<br />

haben wir die sensationelle Nachricht. Sie verbraucht sich dann aber auch sehr<br />

schnell. Dieser Zyklus der öffentlichen Aufmerksamkeit ist etwas, was uns häufig viel<br />

Kopfzerbrechen macht - weil häufig am Anfang Hysterie ist, obwohl es gar nicht so<br />

kritisch ist, und dann, wenn es wirklich kritisch ist, dann ist es vergessen.<br />

Musik<br />

Sprecher:<br />

Millionen Menschen sind wegen Asbest schwer erkrankt oder gestorben. Hinzu<br />

kamen gewaltige Wohlstandsverluste. Es war eine der größten Technikkatastrophen.<br />

Obwohl Betroffene und Wissenschaftler früh auf Risiken hinwiesen, änderte sich<br />

jahrzehntelang kaum etwas. Hat man genug Konsequenzen gezogen? Die Frage<br />

bleibt unbeantwortet. Sicher ist aber: Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.<br />

Dr. Konrad Schwellnus, der Experte für Asbestsanierung.<br />

OT Schwellnus:<br />

<strong>Das</strong> ist schon ein Drama, wenn Sie schauen, in wie vielen Gebäuden solche<br />

Produkte eingebaut sind. Da gibt es viele, viele Altlasten. Allein die ganzen<br />

Asbestzementdächer, die Asbestzementfassaden …<br />

Da stehen wir erst am Anfang. <strong>Das</strong> ist ein Thema, das wir noch lange haben werden.<br />

Wir werden in 20 Jahren nicht durch sein.<br />

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DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />

Asbest –<br />

Eine Tragödie ohne Ende?<br />

Musik<br />

ABSAGE<br />

ASBEST – EINE TRAGÖDIE OHNE ENDE?<br />

EIN FEATURE VON WINFRIED ROTH.<br />

Es sprachen:<br />

Hanns Jörg Krumpholz<br />

An Kuohn<br />

Frauke Poolman<br />

Rainer Homann<br />

Wolfgang Rüter<br />

Technische Realisation: Ilse Siewecke und Steffen Jahn<br />

Regieassistenz: Ellen Versteegen<br />

Regie: Axel Pleuser<br />

Redaktion: Frank Christian Starke<br />

Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2013.<br />

© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />

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