Das Manuskript zur Sendung (pdf) - WDR 5
Das Manuskript zur Sendung (pdf) - WDR 5
Das Manuskript zur Sendung (pdf) - WDR 5
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Musik<br />
OT Borrmann:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Wir haben uns die Reparatur einer Turbine anschauen wollen. Jetzt reißt da plötzlich<br />
ein Kompensator - ein Einbaustück zwischen Rohrleitungen. Es staubte unheimlich.<br />
Wir kamen dort raus - von Kopf bis Fuß mit Asbestisolierung eingestaubt.<br />
OT Renn:<br />
Wir haben die ersten Berichte über Gesundheitsschäden, die medizinisch-statistisch<br />
robust waren, Ende der fünfziger Jahre gehabt. Es hat aber dann bis 1993 gedauert,<br />
bis in der Bundesrepublik Asbest verboten worden ist, in der EU sogar bis 2005 -<br />
also fast fünfzig Jahre zwischen der Erkenntnis und dem wirklichen Handeln. <strong>Das</strong> hat<br />
uns als Risikoforscher sehr stark beschäftigt.<br />
OT Otto:<br />
So eine Sanierung, möglicherweise für viele Tausende Wohnungen, ist natürlich<br />
eine teure Angelegenheit. <strong>Das</strong> muss man aber trotzdem tun. <strong>Das</strong> ist schon<br />
fahrlässig, wenn man gar nichts macht. Deshalb bin ich der Meinung, dass die<br />
zwanzig Jahre seit dem Verbot nicht so genutzt wurden, wie man sie hätte nutzen<br />
sollen.<br />
OT Packroff:<br />
<strong>Das</strong> Ganze ist, wenn man es im Nachhinein betrachtet, eine sehr, sehr traurige<br />
Geschichte.<br />
Ansage:<br />
Asbest - Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Ein Feature von Winfried Roth.<br />
Sprecher:<br />
<strong>Das</strong> gefährliche Material sieht provozierend ungefährlich aus. Im Museum des<br />
Berliner Bezirks - der einst der wichtigste Standort der deutschen Asbestbranche war<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
1
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
- liegt unter Glas ein Stück von einem alten Dachziegel aus Asbestzement, grau und<br />
verwittert. Auf keinem Schutthaufen würde es auffallen.<br />
OT Jost:<br />
Da haben wir ein Bild von Google Earth. Jetzt fliege ich mal näher an das Viertel hier<br />
heran. Hier haben wir einen Blick auf die Dächer. Da kann man schon mein Haus<br />
erkennen. Diese ganzen grauen Flächen sind Eternit-Platten. Da sieht man, dass die<br />
verrottet sind. <strong>Das</strong> ist Asbestzement. Solange der fest gebunden ist, ist der harmlos.<br />
Der fängt an zu verwittern und setzt dadurch Fasern frei.<br />
Sprecher:<br />
Anders als oft angenommen ist Asbest nicht nur ein Problem von vorgestern,<br />
sondern auch von heute und übermorgen. <strong>Das</strong> vorbehaltlose Vertrauen in diesen<br />
"Universalwerkstoff" hatte und hat verhängnisvolle, buchstäblich atemberaubende<br />
Folgen. An Erkrankungen durch Asbest sterben weltweit jedes Jahr über<br />
hunderttausend Menschen. <strong>Das</strong> Mineral - die einen sagen "der Asbest", die anderen<br />
"das Asbest"- schien ein besonders wertvolles Geschenk von "Mutter Natur". Es bot<br />
kaum glaubliche Möglichkeiten, über 150 Jahre lang verwendete man es geradezu<br />
verschwenderisch: in industriellen Herstellungsprozessen - etwa in Stahlwerken und<br />
Chemiefabriken -, in Bauten von der Garage bis zum Wolkenkratzer. Schließlich<br />
steckte das Material fast überall - zum Beispiel in Autos und Bodenfliesen, in<br />
Toastern und Haarfönen und sogar in Zahnpasta und Schmerztabletten.<br />
Zitator (Lammert):<br />
Der Gesetzgeber hat in Deutschland während der achtziger Jahre zum Umgang mit<br />
dem natürlich vorkommenden Mineral Asbest umfangreiche Gesetze und<br />
Verordnungen erlassen. Die Vorgaben zum Arbeitsschutz wurden in den Werken<br />
frühzeitig und rechtzeitig umgesetzt. Davon unabhängig erfolgte die Umstellung der<br />
Fertigung von Faserzement auf eine asbestfreie Technologie in Deutschland<br />
während der achtziger Jahre. Die vom Verband vertretenen Unternehmen freuen<br />
sich, diese schwierige Umstellung erfolgreich gemeistert zu haben.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
2
Sprecherin:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
So schaut Michael Lammert, der Geschäftsführer des Verbands der Faserzement-<br />
Industrie, <strong>zur</strong>ück auf die Vergangenheit seiner Branche. Wie die Firma Eternit, war<br />
der Verband nur zu einer schriftlichen Stellungnahme bereit.<br />
Atmo / Musik<br />
Sprecherin:<br />
<strong>Das</strong> riesige Areal der früheren Baustofffabrik Eternit am Rand von Neukölln: über ein<br />
halbes Jahrhundert lang, seit 1929, wurden hier Unmengen von<br />
Asbestzementprodukten von den Fertigungsstraßen auf Schiffe, Lkw oder<br />
Eisenbahnwaggons verladen.<br />
<strong>Das</strong> Gelände haben vor einigen Jahren andere Firmen übernommen, nach Abriss<br />
oder Rekonstruktion dürften Spuren des bedrohlichen Minerals nur noch mit Mühe zu<br />
entdecken sein. <strong>Das</strong> Unternehmen Eternit stellt längst an anderen Standorten<br />
Baustoffe aus anderen Materialien her. Hier erinnern an die "große Zeit" des Asbests<br />
noch einige Gebäude, die der bekannte Architekt Paul Baumgarten im luftigen Stil<br />
der fünfziger Jahre für den global player Eternit entwarf. Nichts wirkt ungewöhnlich<br />
oder beklemmend. Aber man könnte dieses Industriegebiet auch als einen Ort<br />
sehen, von dem aus ein grausames Schicksal unzählige Menschen einholte.<br />
Musik<br />
OT Borrmann:<br />
Mein Name ist Herbert Borrmann. Ich bin geboren 1943. Ich hab Betriebsschlosser<br />
gelernt. Ich bin in Berührung gekommen mit Asbest in den Jahren 1958/59, zu<br />
Beginn meiner Lehrzeit. Da war ich in einem Walzwerk tätig, hab meine Lehre dort<br />
absolviert. Dort war es zum ersten Mal, dass wir mit Asbestplatten in Berührung<br />
gekommen sind. <strong>Das</strong> Material war wie eine Platte aus Pappe. Die war weiß, die gab<br />
es in verschiedenen Stärken. Wie Pappe - man konnte das abbrechen, das<br />
bröckelte, staubte. Wir mussten Dichtungen schneiden, Rohre umwickeln usw. Dann<br />
habe ich angefangen bei den Stadtwerken Düsseldorf. 1976 war ich da als Meister<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
3
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
bzw. Werkstattleiter bis 2003. Ich war tätig im Bereich Turbinenisolierung. Es staubte,<br />
staubte unheimlich. <strong>Das</strong> war das Schlimmste. Ich hab überall Asbest gehabt - 40<br />
Jahre. Von 1958 bis 2003.<br />
OT Balzer:<br />
Man kann sich gar nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen wir früher gearbeitet<br />
haben. Ob das auf Kraftwerken war, an Hochöfen war, Kokereien - welche Anlagen<br />
gerade gebaut wurden. Chemische Werke, Raffinerien … die großen Kraftwerke. Die<br />
Dehnungsfugen - da kam Asbestschnur rein. Dann haben wir Asbestpappen<br />
verarbeitet, um die Bleche zu schützen gegen Hitze. Ich wusste ja gar nicht, welche<br />
Auswirkungen da entstehen würden.<br />
Sprecher:<br />
Der frühere Ofenmaurer Franz Balzer aus Essen hatte in den Sechzigern und<br />
Siebzigern "nur" 13 Jahre mit dem Material zu tun. Wegen Asbest wurden seit<br />
Beginn des Industriezeitalters Millionen Menschen krank - Beschäftigte in<br />
Asbestbergwerken in Russland, in der Bauwirtschaft in Deutschland, in der<br />
Werftindustrie in Italien, in Autofabriken in Japan … Risiken lauerten aber auch auf<br />
Mieter und Verbraucher, die vielleicht nicht einmal wussten, wie der Stoff aussah. Die<br />
Opfer fingen eines Tages an zu husten, bekamen schließlich kaum mehr Luft, viele<br />
starben an Lungenversagen oder Krebs. Herbert Borrmann und Franz Balzer leiden<br />
an Asbestose, einer Form der "Staublunge".<br />
OT Balzer:<br />
Dann hat man schon 1997 festgestellt, dass ich Asbestose hab. Zum ersten Mal hab<br />
ich so eine Art Reißen im Rippenfell gespürt, als wenn jemand mit Drahtbürsten<br />
darüber geht. Wie Krämpfe - das war ganz furchtbar. So hat das angefangen bei mir<br />
- 1997. Und wurde dann immer schlimmer.<br />
OT Borrmann:<br />
Ich hab aus meiner Abteilung 15 Leute, die verstorben sind. Alle wegen Asbest.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
4
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Musikakzent<br />
Sprecherin:<br />
In Deutschland sterben wegen Asbest jedes Jahr ein- bis zweitausend Menschen<br />
einen meist langwierigen, qualvollen Tod. Obwohl immer wieder einzelne Ärzte vor<br />
Gesundheitsschäden warnten, beachteten Industrie, Staat und Wissenschaft sie<br />
jahrzehntelang nicht. Seit den neunziger Jahren schränkten die Regierungen in<br />
vielen Ländern, auch in Deutschland, die Verwendung des Stoffs mehr und mehr ein.<br />
Es gibt strenge Bestimmungen zum Umgang mit Altlasten - zu einer systematischen<br />
Erfassung kam es aber nicht. Ein großer Teil des Asbests, der um 1980 in West- und<br />
Ostdeutschland "verbaut" war, ist immer noch da: etwa in Dach- und<br />
Fassadenplatten, in Trinkwasserrohren oder Bodenbelägen.<br />
OT Schäfers:<br />
Wir schätzen, dass in Deutschland rund zwölf Millionen Wohngebäude kontaminiert<br />
sind mit asbesthaltigen Stoffen. <strong>Das</strong> zeigt, wo die Bombe tickt in der Zukunft und in<br />
der Gegenwart.<br />
Sprecherin:<br />
Dietmar Schäfers, stellvertretender Bundesvorsitzender der IG Bauen - Agrar -<br />
Umwelt. Dr. Johannes Michatz, lange Jahre leitender Mitarbeiter der Eternit AG, sieht<br />
die Dinge anders, Zitat:<br />
Zitator (Michatz):<br />
Asbestzementprodukte für Dachdeckungen und Fassadenbekleidungen setzen nur<br />
relativ geringe Fasermengen frei. Nach heutiger Auffassung gehen von diesen<br />
genormten und allgemein bauaufsichtlich zugelassenen Asbestzementprodukten im<br />
e i n g e b a u t e n Zustand keine konkreten Gesundheitsgefahren aus, wenn die<br />
Produkte bestimmungsgemäß hergestellt, verarbeitet und verwendet worden sind.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
5
Sprecherin:<br />
Aber der Manager ist vorsichtig:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Zitator (Michatz):<br />
Seit den 1990er Jahren ist der Umgang mit Asbestzementprodukten in Deutschland<br />
eindeutig geregelt. Dennoch ist die Kenntnis über das richtige Verhalten im<br />
Zusammenhang mit Asbestzement nicht ausreichend verbreitet.<br />
Sprecherin:<br />
Daher wird bei Renovierung oder Abriss allzu oft gefährlicher Feinstaub frei.<br />
Musik<br />
OT Jost:<br />
Hier das Schlafzimmer haben wir noch nicht gesichert. Zum ersten Mal mit Asbest in<br />
Berührung gekommen bin ich 2006. Vinylasbestplatten haben wir da identifizieren<br />
können. Wir haben eine Probe testen lassen und dann festgestellt, dass da 20<br />
Prozent Asbest drin ist.<br />
Sprecherin:<br />
Der Sozialpädagoge Rudolf Jost und seine Frau wohnen in einem hübschen Altbau<br />
im Berliner Innenstadtviertel Schöneberg. Berlin war nicht nur d a s Zentrum der<br />
Asbestwirtschaft - heute protestieren gerade hier Bürgerinnen und Bürger gegen<br />
einen nachlässigen Umgang mit den "Restrisiken".<br />
OT Jost:<br />
<strong>Das</strong> sind die Platten. Die sind jetzt 32 Jahre alt - da fangen die an zu brechen. In den<br />
anderen Zimmern haben wir eine Baufolie über die Platten gelegt und die Enden mit<br />
Silikon verklebt.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
6
Sprecherin:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
In vielen Häusern der belebten Gegend um den Nollendorfplatz findet sich Asbest<br />
außerdem in Dachplatten, Lüftungsschächten und Wasserrohren.<br />
OT Renn:<br />
Alle Risiken, die plötzlich eintreten - etwa ein Unfall, wo an einem Tag fünfhundert<br />
Menschen sterben - haben eine ganz andere Wirkung auf die Politik als schleichende<br />
Risiken. <strong>Das</strong> gibt keine Schlagzeilen - das ist etwas, das im Verborgenen passiert.<br />
Sprecher:<br />
Der Risikoforscher Prof. Ortwin Renn von der Universität Stuttgart. <strong>Das</strong> todbringende<br />
Material wird in weiten Teilen der Welt nach wie vor gefördert und verarbeitet. Der<br />
"Fall Asbest" zeigt die Risiken einer Wachstumsökonomie, die ihre eigenen Folgen<br />
oft nicht überschaut und auch nicht überschauen will.<br />
Musik<br />
OT Schwellnus:<br />
Man fand, dass das ein tolles Produkt ist. <strong>Das</strong> war natürlich ein tolles Produkt.<br />
Sprecher:<br />
Dr. Konrad Schwellnus von der Beratungsfirma Wartig Nord in Hamburg, Experte für<br />
Asbestsanierung.<br />
OT Packroff:<br />
Es war so, dass Asbest als Wunderstoff, wie er damals genannt wurde, eine<br />
erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hatte. Hochtemperaturisolierung, Dichtung,<br />
Brandschutz - das waren die großen Themen, für die Asbest zum Einsatz kam.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
7
Sprecher:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Der Chemiker Dr. Rolf Packroff, Gefahrstoffexperte der Bundesanstalt für<br />
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. Die Industrie nutzte Asbest schon in<br />
der Ära der Dampfmaschinen. Später entdeckte man es als Zusatzstoff für<br />
Zementplatten und Bodenbeläge, es fand den Weg in Fahrzeuge und Elektrogeräte.<br />
Um 1980 war das Material weltweit geradezu allgegenwärtig.<br />
Musik / Atmo<br />
Sprecher:<br />
Viele Menschen glauben, Asbest sei ein synthetisch hergestellter Stoff - aber es ist<br />
ein natürliches Mineral. Der Stoff wirkt meist fahl, spröde, faserig.<br />
Konrad Schwellnus besitzt eine kleine Sammlung:<br />
OT Schwellnus:<br />
Je nach Herkunft sehen diese Materialien unterschiedlich aus. Hier ist ein Chrysotil<br />
aus Kanada, Weißasbest wird das volkstümlich genannt. <strong>Das</strong> ist ein bisschen grün -<br />
aber wenn es aufbereitet ist, sieht das ganz weiß aus. <strong>Das</strong> hier ist Blauasbest - der<br />
sieht hier nur nicht so blau aus. Im Mikroskop betrachtet ist der blau.<br />
Sprecher:<br />
Blauasbest gilt als b e s o n d e r s gesundheitsschädlich.<br />
Sprecherin:<br />
Schon von der Steinzeit bis ins Mittelalter nutzte man dieses Mineral gelegentlich -<br />
etwa für Geschirr und in Schmiedeöfen. Asbest leitet keinen Strom, Hitze und<br />
Flammen machen ihm ebenso wenig aus wie Säuren. Es ist einfach zu bearbeiten -<br />
und weil es häufig und noch dazu dicht unter dem Boden vorkommt, ist es billig.<br />
Gigantische Gruben entstanden auf Zypern, in Russland, China, Simbabwe, Kanada<br />
oder Brasilien.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
8
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Musik<br />
Sprecherin:<br />
Zuerst verwendete man das Material vor allem <strong>zur</strong> Isolierung - in Kraftwerken, in der<br />
Stahlindustrie, im Maschinenbau. Es nutzte durchaus auch der Arbeitssicherheit. So<br />
zog der Ofenmaurer Franz Balzer manchmal Schutzkleidung aus Asbest an - wie<br />
Hochofenarbeiter oder Feuerwehrleute. Raffinerien, Chemiefabriken oder Brauereien<br />
arbeiteten mit Asbestfiltern.<br />
Musik<br />
Sprecherin:<br />
Konstrukteure hielten den vielseitigen Rohstoff außerdem in Lokomotiven, Schiffen,<br />
Panzern oder Autos für unverzichtbar - als Hitzeisolierung, aber auch als<br />
stabilisierenden Zusatz in Bremsbelägen.<br />
Musik<br />
Sprecherin:<br />
Am meisten Asbest verbrauchte die Bauwirtschaft. Behörden schrieben es zum<br />
Brandschutz vor, an Stahlträgern, Heizkörpern, Stromleitungen oder in Klimaanlagen<br />
- nicht selten in Form von Spritzasbest, einem schaumähnlichen Material. Begeisterte<br />
Ingenieure und entschlossene Manager entdeckten immer neue Anwendungsmöglichkeiten.<br />
So macht Asbest auch Zement stabiler.<br />
Musik<br />
Sprecher:<br />
Sogar die Berliner Mauer enthielt das Material. Ein fast unüberschaubares Sortiment<br />
an Asbestzementprodukten bot die Firma Eternit an. Solche Ziegel, Dach- und<br />
Fassadenplatten bedecken bis heute viele Gebäude. Der Stoff kann auch in alten<br />
Kaminen stecken, in Dachpappe, Akustikdecken oder Blumenkästen.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
9
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Musik<br />
Sprecher:<br />
Rudolf Jost begegnet dem Risikomaterial nicht nur in seiner Wohnung, sondern auch<br />
in seinem Keller.<br />
OT Jost:<br />
<strong>Das</strong> sind jetzt die Eternit-Rohre von dem Abwassersystem. <strong>Das</strong> ist Asbestzement.<br />
Teilweise gibt es auch Wasserzuleitungen mit Asbest, das heißt, man hat im<br />
Trinkwasser Asbestpartikel.<br />
Sprecherin:<br />
Die Substanz eroberte den Alltag fast bis in den letzten Winkel. In Wohnungen und<br />
Büros verlegten Handwerker oder Mieter unzählige Quadratmeter komfortabler<br />
asbesthaltiger Bodenbeläge. Der Mineralstoff macht das jeweilige Grundmaterial<br />
fester und haltbarer.<br />
OT Schwellnus:<br />
Wir haben hier Bodenbeläge, hier eine auf PVC-Basis hergestellte Bodenplatte mit<br />
Asbestfasern. Auf der Rückseite sehen wir noch einen Rest von Bitumenkleber - die<br />
sind auch sehr oft asbesthaltig. <strong>Das</strong> ist ein alter Linoleumbelag, man sieht den<br />
Juterücken. Auch solche Beläge können asbesthaltig sein. Steinholz - Industriehallen<br />
sind oft mit Tausenden von Quadratmetern von so einem Material ausgeführt.<br />
Sprecherin:<br />
Auch für Öfen, Herde, Bügeleisen, Toaster, Haarföne oder Radios sahen die<br />
Konstrukteure oft Asbest vor. Als Füllstoff geriet es sogar in Zahncreme, in<br />
Medikamente und Kosmetika.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
10
OT Packroff:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Insgesamt hatten wir in den siebziger Jahren einen Jahresimport von ungefähr<br />
150 000 Tonnen, 5000 Lkws pro Jahr - im Westen. In der DDR sah es ähnlich aus -<br />
dort war der Jahresimport 70 000 Tonnen, also eine erhebliche Menge.<br />
Die Zahl, die es gibt, ist, dass zwischen 1950 und 1990 ungefähr 32 Millionen<br />
Tonnen an Asbestzementprodukten hergestellt worden sind.<br />
Sprecher:<br />
Über die Zahl der Menschen, die in Fabriken oder auf Baustellen gefährdet waren,<br />
sagt Rolf Packroff, der Arbeitsschutzexperte aus Dortmund:<br />
OT Packroff:<br />
Zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland sind in Betracht zu<br />
ziehen.<br />
Musik<br />
OT Renn:<br />
Ich denke, Asbest war ein Schlüsselereignis - insofern, als sehr deutlich wurde, dass<br />
die Erkenntnis von gesundheitlichen Schäden noch lange nicht bedeutet, dass etwas<br />
geschieht, um diese Schäden zu verhindern.<br />
Sprecher:<br />
Prof. Renn, der Risikoforscher von der Universität Stuttgart. Konnte man die<br />
"Tragödie Asbest" verhindern ? Kein Arbeiter, kein Ingenieur fiel tot um, wenn er den<br />
"Universalwerkstoff" in die Hand nahm oder seinen Staub einatmete, allenfalls<br />
hustete er kurz. Viel zu spät, erst Mitte des 20. Jahrhunderts, nahmen Manager und<br />
Politiker <strong>zur</strong> Kenntnis, dass das Material nach Jahren tödliche Krankheiten<br />
verursachen kann.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
11
OT Packroff:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Die Heimtücke des Asbests ist - er setzt ultrafeine Fasern frei. Diese werden<br />
eingeatmet, sie gelangen bis in die tiefen Lungenbläschen, sie verbleiben dort. Sie<br />
führen dort zu Entzündungen.<br />
Sprecherin:<br />
Rolf Packroff.<br />
Sprecherin:<br />
Die häufigste Erkrankung ist die Asbestose. Sie droht etwa Bergleuten in<br />
Asbestgruben und Bauarbeitern, die sich j a h r e l a n g im Staub aufhielten.<br />
OT Balzer:<br />
Man kann nicht mehr von Heilbehandlung sprechen - es gibt keine Heilbehandlung.<br />
Mit einer Verschlimmerung muss ich auf jeden Fall rechnen. Ich kämpfe bis zum<br />
Schluss.<br />
Sprecherin:<br />
Franz Balzer aus Essen. Diese Form der "Staublunge" macht den Opfern mit<br />
Erstickungsanfällen das Leben oft <strong>zur</strong> Hölle, im ungünstigsten Fall führt sie zu<br />
Lungenversagen.<br />
Sprecherin:<br />
Außerdem kann das Einatmen des Mineralstaubs Lungen-, Kehlkopf- oder<br />
Speiseröhrenkrebs verursachen - und das sonst sehr seltene Mesotheliom, eine<br />
Krebserkrankung des Rippenfells. Anders als bei Asbestose reichen dafür schon<br />
g e r i n g e Mengen Staub aus. Mesotheliome sind nicht heilbar. Ob Asbest auch<br />
andere Formen von Krebs hervorrufen kann, ist umstritten.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
12
OT Renn:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Wenn ich Asbestfasern einatme, heißt es nicht, dass ich mit Sicherheit Krebs<br />
bekomme - sondern nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Die Mehrheit<br />
derjenigen, die asbestexponiert waren, haben keinen Krebs bekommen. <strong>Das</strong> heißt<br />
aber wenig, denn es waren sehr viele, die exponiert waren. Seit 1978 sind etwa<br />
27 000 Menschen an Asbest gestorben - das ist eine sehr, sehr hohe Zahl. Aber<br />
exponiert waren Millionen.<br />
Sprecher:<br />
Warnungen vor den Risiken von Asbest gab es schon vor dem Ersten Weltkrieg.<br />
Konrad Schwellnus:<br />
OT Schwellnus:<br />
Die Lebensversicherungen haben schon damals angefangen, Leute abzulehnen, die<br />
beim Asbestabbau beschäftigt sind.<br />
Sprecher:<br />
Aber die Arbeitsmediziner interessierten sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts fast<br />
ausschließlich für k u r z f r i s t i g e Gesundheitsschäden.<br />
OT Borrmann:<br />
<strong>Das</strong> wurde geschnitten mit dem Messer oder mit einer Säge - alles ohne<br />
Mundschutz. So haben wir da gearbeitet.<br />
Musik / Atmo<br />
Sprecher:<br />
Der frühere Asbestisolierer Herbert Borrmann aus Düsseldorf .<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
13
OT Balzer:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Da hat man oft die Handlampe nicht mehr gesehen, so hat das gestaubt. "Stell dich<br />
nicht so an !" - das war der Spruch. Gar nichts, nichts - niemand hat uns aufgeklärt.<br />
Da gab es keine Sicherheitsingenieure. Da gab es auch keine richtigen Masken -<br />
unsere Masken waren früher Schwämme. So war der Arbeitsschutz in den sechziger<br />
Jahren. Wichtig war immer der Helm - dass der Helm aufgesetzt war.<br />
Sprecherin:<br />
Viele Unternehmen argumentieren, es fehlten E r s a t z s t o f f e . Industrie und<br />
Bauwirtschaft müssten die Produktion teilweise einstellen, Autos seien ohne<br />
asbesthaltige Bremsbeläge nicht mehr sicher. Gegen einen raschen "Ausstieg"<br />
sperrten sich auch manche Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter - sie hatten<br />
Angst um Arbeitsplätze. Franz Balzer:<br />
OT Balzer:<br />
Die Gewerkschaft hat sich nie für uns eingesetzt, kein bisschen. "Kann man nix<br />
machen, Kollege". Machen wir denen auch immer wieder zum Vorwurf. Nur<br />
Lohnpolitik - arbeitsschutzmäßig überhaupt nichts. ch bin 97 aus der Gewerkschaft<br />
rausgegangen, weil da überhaupt keine Unterstützung kam.<br />
Sprecherin:<br />
Dietmar Schäfers von der IG Bauen - Agrar - Umwelt sieht es so:<br />
OT Schäfers:<br />
Wir haben niemals den Arbeitsplatz höher gestellt als den Arbeits- und<br />
Gesundheitsschutz. Aber in der Tat - kampagnenmäßig und zielorientiert diskutieren<br />
wir das Thema erst seit Mitte der siebziger Jahre.<br />
Sprecherin:<br />
Weil Asbest schließlich in ganz vielen Gebäuden und auch Konsumgütern zu finden<br />
war, gerieten überspitzt gesagt theoretisch fast alle Einwohner der Industrieländer<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
14
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
unter die "Risikopersonen". Dennoch war von i h r e r Bedrohung lange kaum die<br />
Rede.<br />
OT Jost:<br />
Man hat da kein sinnliches Empfinden dafür. Und die Gefahr ist in die Zukunft<br />
verlagert.<br />
Musik / Atmo<br />
Sprecherin:<br />
Generationen von Autos hinterließen nach jedem Bremsen kaum sichtbare Schleier<br />
von Mineralstaub. Rolf Packroff:<br />
OT Packroff:<br />
An Arbeitsplätzen reden wir über Millionen Fasern, teilweise über Milliarden Fasern.<br />
Dann waren die Spitzenbelastungen, die man zum Beispiel an Kreuzungen in NRW<br />
gemessen hat, bei mehreren t a u s e n d Fasern pro Kubikmeter. Zum Vergleich an<br />
Arbeitsplätzen, reden wir nicht über mehrere tausend, sondern über das<br />
tausendfache. Wir reden über Millionen Fasern, bis zu Milliarden Fasern.<br />
Sprecherin:<br />
Dennoch war das eine Gefahr. Besonders bedroht waren überdies die Angehörigen<br />
von Asbestarbeitern:<br />
OT Balzer:<br />
Die Arbeitskleidung hab ich mit nach Hause genommen und die Frau hat sie<br />
gewaschen. Die war stark belastet.<br />
OT Borrmann:<br />
Wir hatten bei uns auch so einen Fall. Der Mann hat nichts. Aber von der<br />
Arbeitskleidung ist die Frau erkrankt - hatte das Mesotheliom und ist verstorben.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
15
MONTAGE / HISTORISCHER O-TON:<br />
Erster Werftarbeiter:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Die Erfahrungen waren so, dass wir früher in Unwissenheit in Asbest gearbeitet<br />
haben. Dadurch sind sehr viele Kollegen erkrankt, einige schon verstorben. <strong>Das</strong> sind<br />
die leidvollen Erfahrungen, die wir machen mussten.<br />
Sprecher:<br />
Arbeiter der Bremer VULKAN-Werft sprachen 1983 über ihre Befürchtungen.<br />
MONTAGE / HISTORISCHER O-TON:<br />
Zweiter Werftarbeiter:<br />
Nach meiner Meinung - und der Meinung sind wir alle - gibt es hundertprozentige<br />
Schutzmassnahmen bei Asbest nicht.<br />
Erster Werftarbeiter:<br />
Aus eigener Erfahrung wollen wir nicht Totengräber unserer Kollegen sein. Deshalb<br />
wollen wir uns ganz energisch dafür einsetzen, dass auf diesem Schiff keiner von<br />
uns arbeiten wird.<br />
Dritter Werftarbeiter:<br />
Ich möchte ablehnen, weil ich ja länger leben will. Was heißt Arbeitsplatz ? Ich will ja<br />
nicht meinen Arbeitsplatz sichern, um meine Gesundheit zu gefährden und meine<br />
Lebensdauer zu verkürzen. <strong>Das</strong> geht ja nicht.<br />
Musik<br />
Sprecher:<br />
Seit den siebziger Jahren setzte die Öffentlichkeit sich mehr und mehr mit den<br />
Wirkungen von Industriematerialien auf Beschäftigte, Konsumenten oder die Umwelt<br />
auseinander. Neben DDT, Blei, Dioxin, PCB und vielen anderen Stoffen geriet auch<br />
Asbest in Verruf.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
16
OT Schäfers:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Wir haben bereits Anfang der achtziger Jahre ein "Asbestbüro" unterhalten in<br />
Mülheim an der Ruhr, eingerichtet durch den DGB. Ich kann mich noch an viele<br />
Diskussionen erinnern, wie zwiespältig das teilweise betrachtet wurde in der<br />
Wirtschaft, dass wir "die Leute wild machen" wegen Asbest.<br />
Sprecher:<br />
Dietmar Schäfers, der stellvertretende Vorsitzende der IG BAU.<br />
1972 verbot man in den USA, 1979 in der Bundesrepublik wenigstens die<br />
gefährlichste Verwendungsform des Minerals: Spritzasbest. Noch 1992 sah Paul<br />
Wörnemann, Direktor von Eternit, kein Risiko durch Asbestz e m e n t :<br />
Historischer O-TON:<br />
Wörnemann:<br />
Im späteren Verlauf sind eingebaute Asbestzementprodukte völlig ungefährlich. Im<br />
Gegensatz dazu steht die Situation beim Spritzasbest, wo sie sehr hohe<br />
Faserkonzentrationen hatten beim Aufspritzen. <strong>Das</strong> ist bei Asbestzement nicht der<br />
Fall - auch nicht bei Dach- oder Fassadenplatten, wenn sie fest eingebaut sind.<br />
Sprecher:<br />
Aber diese Platten sind nicht unzugänglich oder versiegelt. Ein endgültiges Verbot<br />
von Asbest - genauer gesagt ein Verbot des Verkaufs und der Neuverwendung -<br />
beschloss man in Schweden 1982, in Deutschland 1993, in der EU 2005.<br />
OT Balzer:<br />
Wut und Enttäuschung ist schon mit dabei. Wir brauchen ja nur daran zu denken,<br />
Eternit, der Prozess Schmidheiny oder Baron de Cartier mit Menschen umgegangen<br />
sind.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
17
Sprecher:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Stephan Schmidheiny aus der Schweiz und Louis de Cartier aus Belgien waren<br />
Eigentümer des Unternehmens Eternit, das in vielen Ländern Asbestprodukte<br />
herstellte. Gegen sie und einige andere Industrielle gab es vor allem in Italien und<br />
den USA Prozesse. Die meisten Beschuldigten erschienen nicht vor Gericht - wegen<br />
schlechter Gesundheit oder weil sie im Ausland lebten. Verurteilungen blieben daher<br />
folgenlos. Auch von den verantwortlichen Politikern und Beamten wurde fast<br />
niemand <strong>zur</strong> Rechenschaft gezogen. Die 2012 eingeleiteten Ermittlungen gegen die<br />
frühere französische Arbeitsministerin Martine Aubry waren eine Ausnahme.<br />
MUSIKAKZENT<br />
Sprecher:<br />
Weithin herrscht in der Öffentlichkeit die Vorstellung, Deutschland habe kein<br />
Asbestproblem mehr. <strong>Das</strong> ist aber keineswegs so.<br />
In vielen Städten fallen "Asbestruinen" auf. E i n Symbol für die Verwandlung des<br />
Universalwerkstoffs in einen angstauslösenden Gefahrstoff und schließlich in eine<br />
kostspielige Altlast ist das 1980 fertig gestellte Hochhaus der Deutschen Welle in<br />
Köln. Zehn Jahre später stand die Sanierung auf der Tagesordnung. In einer <strong>WDR</strong>-<br />
Live-<strong>Sendung</strong> meinte damals ein aufgebrachter Mitarbeiter:<br />
Historischer O-TON:<br />
DW-Mitarbeiter:<br />
Wir sind alle sehr, sehr beunruhigt, dass hier Asbestfasern eingeatmet werden. Fünf,<br />
sieben Jahre - die ganze Sanierung hindurch sollen wir hier drin bleiben. Um uns<br />
herum in Köln werden Schulen geschlossen, Theater, öffentliche Gebäude werden<br />
geräumt. Wir haben die Aussicht, Jahre hier drin zu bleiben, obwohl wir<br />
wahrscheinlich schon genug Fasern in uns haben. <strong>Das</strong> ist eine ganz fürchterliche<br />
Aussicht.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
18
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Musik<br />
Sprecher:<br />
<strong>Das</strong> Hochhaus steht schon lange leer. In manchen Etagen lauert immer noch Asbest.<br />
Sprecherin:<br />
Trotz aller teilweisen Verbote ist der "Ausstieg aus dem Asbest" zum großen Teil<br />
eine Wunschvorstellung geblieben. Im Grunde sind alle vor Mitte der neunziger Jahre<br />
fertiggstellten Gebäude verdächtig.<br />
Sprecher:<br />
Allerdings, so Michael Lammert vom Verband der Faserzement-Industrie, Zitat:<br />
Zitator (Lammert):<br />
Eine Sanierungspflicht für Dächer oder Fassaden aus Asbestzement besteht nicht,<br />
da hiervon bei sachgemäßem Umgang keine Gefahr ausgeht.<br />
Sprecher:<br />
Rudolf Jost ist unzufrieden mit der Rechtslage:<br />
OT Jost:<br />
Der Staat hat da noch keinen Handlungsbedarf gesehen. Da gibt es noch keine<br />
Vorschriften, dass die entfernt werden müssen, wenn die Fasern freisetzen. Es gibt<br />
nur Vorschriften, w i e sie saniert werden müssen, wenn sie verwittert sind - aber<br />
nicht, d a s s sie saniert werden müssen.<br />
Sprecher:<br />
S y s t e m a t i s c h untersucht wurde nur ein kleiner Teil der Gebäude in<br />
Deutschland. <strong>Das</strong> ist auch ein schwieriges Vorhaben, weil Bauarbeiter und<br />
Heimwerker den - ohnehin unauffälligen - Stoff oft planlos und kleinflächig<br />
verwendeten.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
19
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Atmo / Baustelle<br />
Sprecher:<br />
V o l l s t ä n d i g entfernt hat man Asbest aus vielen öffentlichen Gebäuden. Private<br />
Eigentümer ließen am ehesten Spritzasbest beseitigen - etwa an Stahlträgern oder<br />
Rohrleitungen.<br />
Sprecherin:<br />
Der weniger bedrohliche, aber viel häufiger verwendete Asbestzement ist noch an<br />
u n z ä h l i g e n Bauten in Dach- und Fassadenplatten, in Rohrleitungen,<br />
Schornsteinen und Installationsschächten vorhanden.<br />
Andreas Otto, Bauexperte der Grünen im Berliner Landesparlament, verweist auf ein<br />
anderes vergessenes Problem - asbesthaltige Bodenbeläge:<br />
OT Otto:<br />
Die sind vielleicht dreißig Jahre alt und die gehen jetzt eben kaputt, sei es durch<br />
mechanische Beanspruchung, oder wenn jemand an dem Fußboden arbeitet.<br />
Sprecherin:<br />
<strong>Das</strong> unscheinbare natürliche Mineral hat ein eigenes Universum des Risikos<br />
entstehen lassen: es kann auch versteckt sein in Verteilerdosen, Fensterkitt,<br />
Fliesenklebern …<br />
Konrad Schwellnus von der Beratungsfirma Wartig Nord:<br />
OT Schwellnus:<br />
Hier in Hamburg läuft ein Untersuchungsprogramm, um zu ermitteln - wo sind unter<br />
Umständen asbesthaltige Putze in Schulen. Die Altlasten in Deutschland - mit denen<br />
werden wir noch Jahrzehnte zu tun haben.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
20
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
MUSIK<br />
OT Schäfers:<br />
Oft verfährt man ja in den Betrieben nach dem Motto "Es wird schon gut gehen".<br />
Aber wir wissen alle - es geht nicht immer gut. Und man hat nur ein Leben. Die<br />
wichtigsten Gefährdungen sind im Bereich der Altbausanierung. Viele wissen gar<br />
nicht - wenn sie Bodenbeläge entsorgen, wenn sie Fliesen abklopfen, wenn sie<br />
Isoliermaterial aus den Dächern herausnehmen -, dass sie mit Asbest in Kontakt<br />
kommen.<br />
Sprecher:<br />
Dietmar Schäfers von der IG BAU.<br />
OT Jost:<br />
Vor etwa drei Monaten ist bei dem Haus hier an der Ecke das Dach abgerissen<br />
worden. Ich hab keinen Arbeiter mit Schutzkleidung gesehen, der das fachgerecht<br />
gemacht hat.<br />
Sprecher:<br />
Rudolf Jost aus der Nollendorfstraße in Berlin-Schöneberg. Wie wird man das<br />
verrufene Material endgültig los? Bei den Versuchen der Problemlösung entstehen<br />
oft neue Probleme.<br />
OT Heldt:<br />
Wenn es ein Eternit-Dach ist, sagen wir natürlich, da geht erst mal keine Gefahr von<br />
aus, weil es stark gebundener Asbest ist - da ist eine Gesundheitsgefährdung<br />
eigentlich nur da, wenn jemand u n s a c h g e m ä ß daran arbeitet.<br />
Sprecher:<br />
Philip Heldt, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Verbraucherzentrale NRW.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
21
Sprecherin:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Asbestzement verwittert im Lauf der Jahre - gefährliche Staubmengen werden dabei<br />
aber nicht frei. Im Einzelfall kann es natürlich anders sein.<br />
Sprecher:<br />
Noch einmal das Beispiel Dachplatten.<br />
Rolf Packroff von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz in Dortmund:<br />
OT Packroff:<br />
Da gilt die besondere Heimtücke des Asbests. In dem Moment, wo jemand hingeht,<br />
nimmt die Flex raus, sägt einmal durch - da hab ich Belastungen bis 50 Millionen<br />
Fasern pro Kubikmeter.<br />
Musik / Atmo<br />
OT Schwellnus:<br />
Sie wollen einen Dübel in die Wand bohren - ist die asbesthaltig, dürfte man das<br />
nicht ohne Schutzmaßnahmen machen.<br />
Sprecherin:<br />
Der erste Schritt bei der Sanierung ist sachverständige Beratung. Ein Beispiel:<br />
OT Heldt:<br />
<strong>Das</strong> sieht aus wie ein ganz normaler PVC-Bodenbelag. Es gibt andere Materialien,<br />
die asbestfrei sind, die denen sehr ähnlich sehen. <strong>Das</strong> kann man mit bloßem Auge<br />
nicht entscheiden - da muss man eine Analyse machen lassen.<br />
Sprecherin:<br />
Soll Material entfernt werden, sind - je nach Risiko - unterschiedliche Abläufe<br />
vorgesehen. Philip Heldt von der NRW-Verbraucherzentrale hebt hervor:<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
22
OT Heldt:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Es gibt kein direktes Verbot, Asbest selbst zu entfernen. Ich würde aber aus<br />
gesundheitlichen Gründen i m m e r davon abraten und eine Fachfirma nehmen.<br />
Sprecherin:<br />
Wie findet man eine seriöse Firma?<br />
OT Heldt:<br />
Erzählen kann man natürlich viel. Insofern ist es günstig, nach Zertifikaten zu fragen<br />
oder die Handwerkskammer an<strong>zur</strong>ufen.<br />
Sprecherin:<br />
Ein Beispiel: angenommen, in einem Korridor liegen unbeschädigte, nicht verklebte<br />
Bodenplatten mit fest gebundenem Asbest.<br />
OT Schwellnus:<br />
Die unterste Schutzstufe - das kann ein Bodenleger, der eine Schulung mitgemacht<br />
hat, machen. Der geht in den Raum, er braucht einen für Asbest zugelassenen<br />
Sauger, er sollte eine Maske mithaben. Dann kann er mit dem Spachtel vorsichtig<br />
eine Platte nach der anderen wegnehmen. Wenn es schwierigere Sachen sind,<br />
schwach gebundene Asbestprodukte wie eine Pappe am Heizkörper - wie kann die<br />
Firma das machen? Die kann eine Abschottung aufbauen aus Folie. Da geht der<br />
Techniker rein, nimmt die Pappe vorsichtig ab, macht alles sauber. Vor der<br />
Abschottung muss eine Schleuse stehen, in der sich den Schutzanzug anzieht.<br />
Sprecherin:<br />
Die höchste Risikostufe:<br />
OT Schwellnus:<br />
Wenn zum Beispiel ein Cushion-Vinyl-Belag auf einem Betonboden in der Küche<br />
verklebt ist - ich brauche dann eine Vierkammerschleuse, mit Dusche, ich brauche<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
23
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
ein Lüftungsgerät und nach der Arbeit muss eine Messung gemacht werden, von<br />
einem Asbestsachverständigen oder einer akkreditierten Messstelle.<br />
Musik<br />
Zitator (Michatz):<br />
Jedoch sind Arbeiten auch in Eigenregie im eigenen Gebäude zulässig und bedürfen<br />
keiner Anzeige oder behördlichen Genehmigung. Oberstes Gebot ist auch hier die<br />
Freisetzung von Asbestfeinstaub zu vermeiden. Bei Asbestzement sind die<br />
entsprechenden Abschnitte der Technischen Regeln für Gefahrstoffe zu beachten.<br />
Sprecher:<br />
Zitat: Johannes Michatz von Eternit. Aber unter welchen Bedingungen gelten welche<br />
Vorschriften? <strong>Das</strong> ist keine einfache Frage. Manche Hausbesitzer oder Heimwerker<br />
sehen alles viel unkomplizierter:<br />
OT Schwellnus:<br />
Es gibt Leute, die sagen sich "<strong>Das</strong> ist so teuer - was soll's, keiner hat's gesehen, weg<br />
damit !" Ja, die wollen oft gar nichts davon wissen. Es ist ein Drama.<br />
Sprecher:<br />
Defizite gibt es auch bei Baufirmen. Dietmar Schäfers:<br />
OT Schäfers:<br />
Wir haben gute Regelungen. Aber oft sieht die Praxis auf den Baustellen ganz<br />
anders aus. Da geht es schnell, schnell. Leider unterschätzen auch Arbeitnehmer oft<br />
die Gefahren von Asbest.<br />
Sprecher:<br />
Rudolf Jost - der eine Stadtteilinitiative mitgegründet hat - griff bei<br />
Sanierungsarbeiten ein …<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
24
OT Jost:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
… weil wir mitbekommen hatten, dass in Nachbarwohnungen ganz sorglos mit den<br />
Platten umgegangen wurde. Rausgebrochen, mit Eimern runtergetragen - man hat<br />
da überhaupt keine Schutzmaßnahmen eingehalten. Daraufhin haben wir der<br />
Wohnungsgesellschaft mitgeteilt, die sollen das fachgerecht entsorgen.<br />
Sprecher:<br />
Für kurze Zeit - so erinnert sich der Mieter - wurde anders gearbeitet:<br />
OT Jost:<br />
Aber als der Chef weg war, haben wir gesehen, dass die Platten in kleine Stücke<br />
zersägt worden sind. Dann haben wir das Aufsichtsamt angerufen. Da mussten die<br />
alles dekontaminieren.<br />
Bei einem weiteren Vorfall in seinem Haus wandte sich Rudolf Jost an einen der<br />
Bauarbeiter:<br />
OT Jost:<br />
Dann hab ich ihn angesprochen, ob er wahnsinnig ist - er gefährdet seine eigene<br />
Gesundheit und die der Mieter hier. Dann kam der Vorarbeiter, der hat mich<br />
angeschrienen "Lassen Sie mich mit dem Scheiß in Ruhe! <strong>Das</strong> ist alles Blödsinn!"<br />
Dann hat er die Tür zugeknallt.<br />
Sprecher:<br />
Eine Strafanzeige gegen die Baufirma ist in Bearbeitung.<br />
Sprecherin:<br />
Der grüne Abgeordnete Andreas Otto kritisiert Staat und Wohnungswirtschaft:<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
25
OT Otto:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
<strong>Das</strong> ist sicherlich richtig, dass man keine Panik erzeugen will. Andererseits - eine<br />
vollständige Information halte ich für unerlässlich.<br />
Sprecherin:<br />
Außerdem werden Asbestsanierungsarbeiten - wie viele andere Bereiche der<br />
Arbeitswelt - nicht ausreichend kontrolliert, sagt der Gewerkschafter Schäfers:<br />
OT Schäfers:<br />
Sie müssen sehen, dass auf zehntausend gewerbliche Arbeitnehmer ein<br />
Aufsichtsbeamter kommt. <strong>Das</strong> ist viel zu wenig, um eine Gefahreneinschätzung<br />
vorzunehmen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Hat natürlich auch seinen Grund in<br />
der Sparpolitik der Öffentlichen Hand, die mehr und mehr Aufsichtsbeamte einspart.<br />
Verantwortungslos ist das sicherlich.<br />
OT Otto:<br />
Wir schlagen eine Bestandsaufnahme vor, die ein Register enthalten kann, aber<br />
auch durchaus eine Kennzeichnung der Gebäude. Die Gebäude könnte man<br />
kennzeichnen nach dem Vorbild des Energieausweises, man könnte im<br />
Treppenhaus einen Asbest- oder Schadstoffpass aushängen. Dann wüssten alle, die<br />
da einziehen, oder eine Wohnung besichtigen: "Hier ist was".<br />
Musik<br />
Zitator (Lammert):<br />
Mittlerweile ist die Verwendung von Asbest in der ganzen EU verboten. <strong>Das</strong> ist<br />
keineswegs selbstverständlich. In außereuropäischen Ländern ist die Verwendung<br />
weiterhin erlaubt.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
26
Sprecher:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Zitat: Michael Lammert, der Geschäftsführer des Verbands der Faserzement-<br />
Industrie.<br />
Sprecherin:<br />
In Russland, China, Kasachstan, Brasilien und anderen Ländern läuft der Abbau<br />
weiter - zugleich verwenden Bauwirtschaft und Industrie dort Asbest in großem<br />
Umfang. Manche europäische Unternehmen haben seit den neunziger Jahren ihre<br />
Produktion in solche Länder verlegt. Dietmar Schäfers:<br />
OT Schäfers:<br />
Ich selbst war in Malaysia und habe mir dort angeschaut die Produktion von<br />
Feuerschutztüren, die weiterhin in Teile von Europa exportiert werden, obwohl das<br />
hier verboten ist. Beschäftigte dieser Fabrik, die wir angetroffen haben, waren<br />
ahnungslos, dassAsbest ihre Gesundheit und ihr Leben gefährdet.<br />
Sprecher:<br />
Weltweit sind laut Weltgesundheitsorganisation heute etwa 125 Millionen<br />
Arbeiterinnen und Arbeiter dem schädlichen Staub ausgesetzt.<br />
OT Packroff:<br />
Wir haben <strong>zur</strong> Zeit - 2011 - knapp 1500 offizielle Todesfälle. <strong>Das</strong> sind fast 60 Prozent<br />
aller berufsbedingten Todesfälle.<br />
Sprecherin:<br />
Zwanzig Jahre nach dem Verbot sterben in Deutschland an Asbestose und an<br />
asbestbedingtem Lungen- oder Rippenfellkrebs vor allem ehemalige Arbeiter.<br />
Weltweit ist der Stoff jedes Jahr für mindestens hunderttausend Tote verantwortlich.<br />
Hinzu kommen noch viel mehr Asbestoseerkrankungen, die nicht tödlich enden.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
27
OT Borrmann:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Ich hab auch 20 Kilo abgenommen durch meine Krankheit. Wenn man merkt, man<br />
kann kaum noch laufen, ohne stehenzubleiben - dann nervt das. Ich kann mit meinen<br />
Enkelkindern nichts unternehmen - oder der Frau behilflich sein. Wenn ich die<br />
Treppe hochkomme, muss ich für eine Etage drei Mal stehe bleiben.<br />
Sprecherin:<br />
Herbert Borrmann ist die meiste Zeit auf Sauerstoffgeräte angewiesen:<br />
OT Borrmann:<br />
<strong>Das</strong> ist 1,20 Meter hoch, ein Durchmesser von 35 Zentimeter. <strong>Das</strong> ist gefüllt mit<br />
Flüssigsauerstoff. Damit komme ich aus ungefähr 14 Tage. Nachts stelle ich mir so<br />
ein Ding ans Bett, damit ich jederzeit Zugriff habe, wenn es mir schlechter geht.<br />
Sprecherin:<br />
Asbestosekranke leben auch mit einem deutlich erhöhten Risiko, Krebs zu<br />
bekommen. Bei dem ehemaligen Werkstattleiter aus Düsseldorf schien es schon im<br />
Jahr 2000 soweit:<br />
OT Borrmann:<br />
Ich bin zum Arzt gegangen. Da wurde eine Röntgenaufnahme, eine CT, gemacht.<br />
Dann hat man bei mir gemeint, das ist Krebs. "Sieht aus wie eine Zeitbombe.<br />
Hochexplosiv" - weil er das für ein Karzinom gehalten hat.<br />
Sprecherin:<br />
Man stellte ein "Lungenkarzinom, nicht operabel" fest - zum Glück wurde die<br />
Diagnose widerrufen.<br />
OT Borrmann:<br />
Ich bin erster Vorsitzender unserer "Asbestose-Selbsthilfegruppe Essen/NRW". Wir<br />
versuchen, uns gegenseitig zu helfen und Erfahrungen auszutauschen.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
28
Sprecherin:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Herbert Borrmann ist - wie Franz Balzer - auch in einer b u n d e s w e i t e n Initiative<br />
von Asbestopfern aktiv.<br />
Asbestose droht nur Beschäftigten, die jahrelang im Asbeststaub standen. Für die<br />
Entstehung von Krebs reichen dagegen schon geringe Staubmengen aus.<br />
OT Schäfers:<br />
Wir erwarten, dass die Hochzeit dieser Erkrankungswelle 2020 bis 2030 kommen<br />
wird. Da müssen wir uns darauf einstellen, dass es Hunderttausende von Fällen sind.<br />
Sprecherin:<br />
Seit dem Verbot der Neuverwendung gehen in Deutschland Risiken in erster Linie<br />
von unvorsichtigen Abriss- und Renovierungsarbeiten aus. Wer Wasser aus den in<br />
vielen Orten noch vorhandenen Rohrleitungen aus Asbestzement trinkt, schadet sich<br />
nicht. Wer duscht, fängt sich mit dem Wasserdampf in seinen Lungen allerdings<br />
Asbestfasern ein.<br />
Musik<br />
Sprecher:<br />
Beim "Drama Asbest" geht es vor allem um Asbestose, um Krebs und<br />
millionenfachen Tod. Wie fällt eine w i r t s c h a f t l i c h e Bilanz aus ?<br />
Sprecherin:<br />
Einerseits machte das Material mit seinen faszinierenden Eigenschaften zweihundert<br />
Jahre lang viele Produktionsverfahren einfacher und billiger. Auch ein Nutzen für<br />
Konsumentinnen und Konsumenten war unbestreitbar. Die andere Seite der Bilanz:<br />
Gesundheits- und Umweltschäden summierten sich wahrscheinlich auf hunderte<br />
Milliarden Euro - exakte Berechnungen sind nicht möglich.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
29
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Sprecher:<br />
Rolf Packroff:<br />
OT Packroff:<br />
Da sind Schätzungen von Seiten der Unfallversicherung, die Behandlungskosten und<br />
Renten für die Betroffenen und Hinterbliebenen umfassen - allein diese Kosten<br />
summieren sich bis 2011 schon auf 5,7 Milliarden Euro.<br />
Historischer O-Ton: NDR-Reportage: Sprengung in Hamburg 1995<br />
Sprecher:<br />
Ein Bericht von der Sprengung eines asbestverseuchten Hochhauses in Hamburg<br />
1995:<br />
Historischer O-Ton: NDR-Reportage: Sprengung in Hamburg 1995<br />
Sprecher:<br />
Genaues über die b i s h e r i g e n Kosten von Abriss oder Sanierung belasteter<br />
Wohn- oder Bürogebäude, Schulen, Kongresszentren usw. weiß man nicht. Schon<br />
die Entfernung von Bodenbelägen aus einer kleinen Wohnung kann viele tausend<br />
Euro kosten. Der "Palast der Republik" in Ost-Berlin musste für über 100 Millionen<br />
Euro abgerissen werden. Für die Sanierung mehrerer Gebäude der Universität<br />
Bielefeld gab der Staat über 70 Millionen aus. Für geplante Arbeiten in der Zentrale<br />
der Europäischen Kommission in Brüssel schätzt man Kosten von 120 Millionen, für<br />
die Universitäten "Paris VI" und "Paris VII" zusammen fast eine Milliarde Euro - viel<br />
mehr als die ursprünglichen Baukosten.Kaum vorstellbare Summen werden in den<br />
nächsten Jahrzehnten weltweit fällig, wenn die meisten im 20. Jahrhundert<br />
entstandenen Gebäude das Ende ihrer Nutzungszeit erreicht haben und abgerissen<br />
werden müssen. Ein großer Teil von ihnen dürfte das unheilvolle Material enthalten.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
30
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Musik<br />
Sprecherin:<br />
Alternativen zu einer Risikotechnologie zu finden ist nicht einfach. Die Kampagne<br />
"Weg mit dem tödlichen Asbest!" in den achtziger und neunziger Jahren löste<br />
zunächst einen Boom von Ersatzstoffen aus. Zu ihnen gehörten verschiedene<br />
Mineralfasern - etwa Steinwolle, Glaswolle und Keramikfasern.<br />
OT Packroff:<br />
Keramikfasern - das sind spezielle Mineralwollen, die für sehr hohe Temperaturen<br />
eingesetzt werden.<br />
Sprecherin:<br />
Rolf Packroff. Keramikfasern verwendet man in industriellen Anlagen, in der<br />
Isolierung von Autokatalysatoren, in Gasthermen und Küchenherden. Unternehmen<br />
boten in den achtziger und neunziger Jahren diese Stoffe als Ersatz für Asbest an,<br />
ohne dass man über sie genau Bescheid wusste. Wie sich herausstellte, können<br />
aber auch manche Keramikfasern Krebs verursachen. Immerhin:<br />
OT Packroff:<br />
Sie haben ein geringeres Risiko bei diesen Produkten im Vergleich zu Asbest.<br />
Sprecherin:<br />
Erst 2002 gab man in Deutschland die Produktion einiger besonders<br />
gesundheitsschädlicher Arten von Keramikfasern auf. Als Altlasten sind sie oft noch<br />
vorhanden - es gelten ähnliche Bestimmungen wie bei Asbest. Die Daten zu<br />
Erkrankungen durch Keramikfasern sind sehr lückenhaft.<br />
Musik<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
31
Sprecher:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Ist die Geschichte des Asbests nur ein "bedauerlicher Einzelfall"? Der Risikoforscher<br />
Ortwin Renn:<br />
OT Renn:<br />
Als die Kernenergie in den fünfziger, sechziger Jahren eingeführt worden ist, hat man<br />
erst später gemerkt, welche Risiken auch damit verbunden sind und wie eine solche<br />
Technologielinie - von der Uranförderung bis <strong>zur</strong> Endlagerung - mehr<br />
Nebenwirkungen zeigte, als man ursprünglich dachte.<br />
Sprecher:<br />
Heute lautet eine verbreitete Vorstellung: "Alle Chemikalien und anderen Stoffe, die<br />
in unserer Arbeits- und Konsumwelt in Umlauf sind, hat man vielfach untersucht -<br />
wenn man mit ihnen vorsichtig umgeht, sind sie unbedenklich".<br />
OT Renn:<br />
Wir kennen nicht einmal von 5 Prozent aller Chemikalien in ihren toxikologischen<br />
Eigenschaften. Zwar wissen wir bei den anderen 95 Prozent viel über ihre<br />
Klassenzugehörigkeit. Aber wir finden immer wieder Überraschungen - dass<br />
bestimmte Chemikalien doch anders wirken, als man es vorhergesagt hatte. Und wir<br />
haben natürlich immer wieder neue Chemikalien.<br />
Sprecher:<br />
In Deutschland und der EU wurden erst spät Initiativen für eine andere Risikopolitik<br />
gestartet - vor allem das EU-Programm REACH. REACH steht für "Registration,<br />
Evaluation, Authorization and Restriction of Chemicals" - auf Deutsch "Registrierung,<br />
Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien". Inbegriffen sind auch<br />
Werkstoffe natürlicher Herkunft. <strong>Das</strong> Ziel: eine Überprüfung gerade auf<br />
l a n g f r i s t i g e gesundheitliche Risiken wie Krebs, Allergien oder Schädigungen<br />
des Immunsystems.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
32
OT Renn:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
REACH hat den großen Vorteil, dass es auch die Altchemikalien mit einbezieht. Mit<br />
REACH haben wir erstmals im europäischen Raum eine Verordnung, die auch bei<br />
Chemikalien, die schon im Verkehr sind, deutlich macht - wenn dort die Risiken nicht<br />
abgeschätzt sind, muss das nachträglich gemacht werden. Da ist man im Moment<br />
dabei, das ist ein enormer Aufwand.<br />
Musik<br />
Sprecherin:<br />
Diese "Chemikalienverordnung" trat 2007 in Kraft. Allerdings - bis die wichtigsten<br />
dreißigtausend Stoffe - von über hunderttausend - geprüft sind, dürften noch lange<br />
Jahre vergehen. Bisher kam es nur zu wenigen Verboten. Auf eine besondere Lücke<br />
weist Ortwin Renn hin: die meisten Materialien mit einer Jahresproduktion von unter<br />
zehn Tonnen bleiben zunächst ausgeklammert.<br />
OT Renn:<br />
Da sind wir bei einem problematischen Teil - dass heute, wenn wir an<br />
Nanomaterialien denken, die "Tonnenideologie" nicht mehr zieht. Hier geht es ja um<br />
sehr kleine Mengen, die aber große Wirkungen haben können. Da würde ich<br />
Nachbesserungsbedarf sehen.<br />
Sprecherin:<br />
Ein weiteres Defizit von REACH: auch bei den "durchleuchteten" Stoffen ist oft wenig<br />
bekannt über mögliche Wechselwirkungen. In den Körpern der Menschen in den<br />
Industrieländern lagern sich irritierend viele Chemikalien ab. Auch wenn es<br />
gewöhnlich nur Spuren sind - was geschieht bei einem Aufeinandertreffen?<br />
Erstaunlich ist auch, meint der Risikoexperte, dass in Deutschland die Forschung zu<br />
Giftstoffen - die Toxikologie – seit einigen Jahren "<strong>zur</strong>ückgefahren" wird.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
33
OT Renn:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
<strong>Das</strong> ist ein Punkt, auf den ich <strong>zur</strong>ückkommen muss, dass wir nicht weniger, sondern<br />
mehr Toxikologie brauchen. Wir sehen das mit großer Sorge. Es ist der Eindruck<br />
entstanden - wir haben jetzt viel Toxikologie gemacht, die möglichen toxischen Stoffe<br />
kennen wir. Von daher brauchen wir das nur noch anzuwenden. Dieser Eindruck ist<br />
einfach falsch.<br />
Musik<br />
Sprecherin:<br />
Im größten Teil der Welt zog man aus der "Tragödie Asbest" überhaupt keine<br />
Konsequenzen. In Deutschland und der EU kam es zu einem zögernden Umdenken<br />
in der "Risikopolitik". Immer noch - trotz des REACH-Programms - werden auch hier<br />
zehntausende weitgehend unerforschte Stoffe verwendet.<br />
Sprecherin:<br />
Rudolf Jost ist seit 2011 in der Mietergruppe in Berlin-Schöneberg aktiv. Insgesamt<br />
gibt es in Deutschland nur wenige Initiativen von Asbestbetroffenen.<br />
OT Jost:<br />
<strong>Das</strong> ist Verdrängungsprozess bei ganz vielen Leuten. Wir haben ja diese Initiative ins<br />
Leben gerufen und auch an vielen Haustüren geklingelt und die Leute eingeladen -<br />
bei vielen ist uns passiert, dass die gesagt haben "<strong>Das</strong> geht uns nichts an" - oder<br />
"Ich hab kein Interesse daran".<br />
OT Renn:<br />
Wenn ich großen Druck mache - hier sind 10 000 Leute, die protestieren -, dann<br />
muss sich Politik damit beschäftigen. Wenn es um Asbest geht, steht keiner auf der<br />
Straße. Dann können solche schleichenden Risiken schnell übersehen werden.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
34
Sprecherin:<br />
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Eine Ausnahme waren die Proteste seit 2011 gegen den geplanten Transport<br />
gigantischer Mengen von Asbestabfällen aus Wunstorf in Niedersachsen auf<br />
angeblich sicherere Deponien.<br />
OT Renn:<br />
Themen werden zunächst einmal aufgegriffen und wenn sie die üblichen Merkmale<br />
erfüllen - dass es einen Bösewicht gibt, dass Unschuldige betroffen sind - dann<br />
haben wir die sensationelle Nachricht. Sie verbraucht sich dann aber auch sehr<br />
schnell. Dieser Zyklus der öffentlichen Aufmerksamkeit ist etwas, was uns häufig viel<br />
Kopfzerbrechen macht - weil häufig am Anfang Hysterie ist, obwohl es gar nicht so<br />
kritisch ist, und dann, wenn es wirklich kritisch ist, dann ist es vergessen.<br />
Musik<br />
Sprecher:<br />
Millionen Menschen sind wegen Asbest schwer erkrankt oder gestorben. Hinzu<br />
kamen gewaltige Wohlstandsverluste. Es war eine der größten Technikkatastrophen.<br />
Obwohl Betroffene und Wissenschaftler früh auf Risiken hinwiesen, änderte sich<br />
jahrzehntelang kaum etwas. Hat man genug Konsequenzen gezogen? Die Frage<br />
bleibt unbeantwortet. Sicher ist aber: Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.<br />
Dr. Konrad Schwellnus, der Experte für Asbestsanierung.<br />
OT Schwellnus:<br />
<strong>Das</strong> ist schon ein Drama, wenn Sie schauen, in wie vielen Gebäuden solche<br />
Produkte eingebaut sind. Da gibt es viele, viele Altlasten. Allein die ganzen<br />
Asbestzementdächer, die Asbestzementfassaden …<br />
Da stehen wir erst am Anfang. <strong>Das</strong> ist ein Thema, das wir noch lange haben werden.<br />
Wir werden in 20 Jahren nicht durch sein.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
35
DOK 5 – das Feature, 04.08.2013<br />
Asbest –<br />
Eine Tragödie ohne Ende?<br />
Musik<br />
ABSAGE<br />
ASBEST – EINE TRAGÖDIE OHNE ENDE?<br />
EIN FEATURE VON WINFRIED ROTH.<br />
Es sprachen:<br />
Hanns Jörg Krumpholz<br />
An Kuohn<br />
Frauke Poolman<br />
Rainer Homann<br />
Wolfgang Rüter<br />
Technische Realisation: Ilse Siewecke und Steffen Jahn<br />
Regieassistenz: Ellen Versteegen<br />
Regie: Axel Pleuser<br />
Redaktion: Frank Christian Starke<br />
Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2013.<br />
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012<br />
Dieses <strong>Manuskript</strong> einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen<br />
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des <strong>WDR</strong> unzulässig. Insbesondere darf das <strong>Manuskript</strong> weder<br />
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.<br />
36