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In der Wand zu hängen und auch mal am Seil zu schwingen, hat Iris Auerbach geliebt. Bis der Unfall ihre Füße zerschlagen hat. Wenn die heute 51-Jährige mit Spezialschuhen Mountainbike-Touren unternimmt, ist sie fast schmerzfrei - und glücklich: "Das ist Freiheit pur" Eigentlich war es Routine. Iris Auerbach hing in 20 MeterHöhe in der Felswand, um eine Kletterroute zu sichern, die Zehen auf einen winzigen Vorsprung gepresst, nichts Aufregendes. Sie kletterte seit Jahren, leidenschaftlich und versiert. Doch gerade als sie das Seil in den Karabiner hängen wollte, brach der Felsvorsprung weg - und ihre Füße rutschten ab. "ICH DACHTE, NA JA, jetzt wirst du etwa zehn Meter runterfallen, aber spätestens dann wird dich eine zwischensicherung sanft abfangen", erinnert sich die heute SI-Jährige. Doch das passierte nicht. Im freien Fall wurde ihr klar, dass sie irgendwo einen Sicherungsfehler gemacht haben musste. "Daschoss mir nur noch ein Gedanke durch den Kopf: .Iris, sieh zu, dass du auf die Füße kommst." Welche Bedeutung dieser Satz für ihr späteres Leben haben sollte, konnte sie da noch nicht ahnen. Sie spricht zögerlich, wenn sie die Sekunden dieses Sommertages noch einmal Revue passieren lässt. Und gleichzeitig beschreibt sie die Szene so sachlich, als spräche eine Flugzeugpilotin über eine Notlandung: "Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Ich zwang mich, nach unten zu gucken, strikt die Landefläche anzupeilen, denn ich wusste, wenn ich nicht mit den Füßen zuerst aufkomme, würde ich seitlich stumpf auf den Boden knallen und mir wahrscheinlich alles Mögliche brechen." Vollgepumpt mit Adrenalin spürte sie nach dem Aufschlag keine Schmerzen, obwohl sie bei vollem Bewusstsein war. Die Schreie der Leute um sie herum bezog sie zunächst gar nicht auf sich: "Deine Füße! Was ist mit deinen Füßen?" Als Iris Auerbach an sich herunterschaute, sah sie es selbst Beide Knöchel waren zerschmettert, die Füße zur Seite weggeknickt. hingen nur noch an den äußeren Sehnen. Ihre Reaktion ist selbst in diesem Moment pragmatisch: Sie lässt sich ihr Handy geben. "Ich wusste, bald würden die Schmerzen kommen oder ich würde ohnmächtig werden, ich hatte also nur ein kleines Zeitfenster, um meinen Mann zu informieren. Das wollte ich nutzen:' DASSIRIS AUERBACHden Sturz aus dieser Höhe überlebte, grenzt an ein Wunder. Dennoch begann mit dem Abtrausport durch den Rettungshubschrauber für sie ein jahrelanger Kampf: um ihre Füße, um ihre Würde, um die Chance, wieder das tun zu können, was sie liebte - Sport treiben. Es folgte ein Operationsmarathon: I9-mal in 14 Monaten, anfangs fast wöchentlich, weil es immer wieder misslang, zu verhindern, dass sich die offenen Wunden lebensbedrohlich infizierten. Die 1,65Meter kleine, ohnehin schlanke Frau magerte auf 42 Kilo ab. Die ganze Zeit klammerte sie sich an ein einziges Ziel: Hauptsache, die Füße wachsen wieder an! Dann endlich die Entscheidung der Ärzte: keine Amputation. Aber: Das linke Fußgelenk muss komplett entfernt werden, das Bein wird dadurch drei Zentimeter kürzer. Beide Füße bleiben für immer steif. "Ich hatte immer einen perfekten, durchtrainierten Körper, der mir keine Grenzen gesetzt hat", sagt Iris Auerbach und ihre Stimme zittert ein wenig. "Dass ich Schritt für Schritt immer mehr zum Krüppel wurde - das war schwer zu ertragen." Leistungsturnen, Klettern, Windsurfen, Ski-, Rennrad- und Mountainbikefahren - ihr Leben war Sport. Sie ging Skitouren auf die Gipfel von Viertausendern in der ganzen Welt, fuhr waghalsige Tiefschneeabfahrten, arbeitete nach dem Studium lange als Skiund Windsurflehrerin. Sie war immer die Schnellste, die Wagemutigste, die Wildeste. "Natürlich sehne ich mich oft nach diesem unbeschwerten Leben zurück. Aber r» I' " I active life 69
schicksal France: II43 Höhenmeter, auf einer Strecke von 13,8Kilometern, mit einer fast durchgängigen Steigung von zehn Prozent. "Damals tat jede einzelne Pedalumdrehung höllisch weh", erzählt die ebenso zierliche wie drahtige Frau und guckt dabei genauso entschlossen, wie sie damals gewesen sein muss. Drei Jahre später ist sie wieder hingefahren, hat den Berg hinaufgeschaut und gedacht: "Mit dir habe ich noch eine Rechnung offen, Bürschchen." Dieses Mal braucht sie für die Strecke I Stunde und 20 Minuten. Nur etwa 40 Minuten länger als professionelle Etappensieger. I 1 I j I \ 11 I, I 70 ich habe mir noch im Krankenhaus selbst eingetrichtert: .lris, es ist, wie es ist, schau nach vorn und mach das Beste draus." Als ein Krankenhauspsychologe bei ihr am Bett saß, hat sie zu ihm gesagt: "Es lohnt sich noch nicht mal, hier aus dem zweiten Stock aus dem Fenster zu springen, die Höhe hab ich ja schon überstanden!" SIE STELLTIHRE Lieblingsfotos von früher auf den Tisch neben das Bett: sie selbst beim Skifahren in Frankreich, beim Klettern in Italien, beim Rennradfahren in den Schweizer Alpen. "Ich wollte mir jeden Tag vor Augen halten: Dawill ich wieder hin ..." Ihre Freunde, ihre Familie, ihre Arbeitskollegen waren so oft es geht bei ihr in der Klinik. Allen voran ihr Mann Stephan. Die Liebe und Unterstützung, sagt Iris Auerbach, hätten ihr die Kraft gegeben zu kämpfen. Und das tat sie. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, musste sie monatelang im Rollstuhl sitzen. Wie hart diese Zeit war, erwähnt sie nur am Rande. Stattdessen erzählt sie: "Ich habe damals jede Menge Kunststücke geübt. Am Ende konnte ich nur auf den Hinterreifen meines Rollstuhls durch die Wohnung flitzen - Wheelie im Wheelchair!" Sie lacht laut. Schließlich trainierte sie, an Krücken zu activelife Nach der Bike-Tour ist vor der Bike-Tour, da sind sich Iris Auerbach und ihr Mann Stephan einig. Und wenn eine Schiebepassage kommt? "Dann trägt er mich und mein Rad schon mal ein Stück den Berg rauf" laufen. Wegen des verkürzten Beines mehr ein Eiern als ein Gehen, jeder Schritt ein stechender Schmerz. "Aber bei jeder Runde um den Block sagte ich mir: ,Wenn du schon humpelst wie eine 90-Jährige, dann genieß wenigstens die frische Luft dabei!" 19 Operationen in 14 Monaten, anfangs fast Der Alltag hinter dem schwarzen Humor sieht anders aus. Auch wenn Iris Auerbach 14 Monate nach dem Unfall wieder in ihren Job als Wirtschaftsinformatikerin zurückkehren konnte: Es vergeht keine Stunde, in der sie nicht an ihre Behinderung erinnert wird. Bei jedem Schritt, egal wo. Jede Nacht wecken sie Schmerzen, weil die Bänder und Sehnen an ihren Füßen sich so stark zusammenziehen, dass die Wadenmuskeln minutenlang verkrampfen. Doch Iris Auerbachs Leben ist nach wie vor der Sport. Schon als sie noch nicht wieder ohne Krücken laufen konnte, setzte sie sich aufs Rennrad. Sie fuhr den. Pass L'Alpe d'Huez in den französischen Alpen, eine der berühmtesten Etappen der Tour de HEUTE FÄHRT IRIS Auerbach 6500 bis 7000 Kilometer im Jahr auf dem Rennrad oder Mountainbike, mit speziell für sie angefertigten Schuhen. Sie liebt es, dabei alles zu geben. "Laufen oder Wandern ist immer noch sehr mühselig", sagt sie. "Aber wenn ich im Sattel sitze, spüre ich mittlerweile fast keine Schmerzen mehr. Das ist für mich Freiheit pur!" Was sie von ihrem Körper fordert, mag für Außenstehende fast krankhaft ehrgeizig wirken. Oder besessen. Doch für Iris Auerbach sind die sportlichen Ziele ein Weg, den Unfall zu verarbeiten: Hat sie eines erreicht, ist das für sie der Beweis, dass ihre Behinderung gar nicht so schlimm ist. In den Momenten der Leistung und der Adrenalinkicks scheint alles wie früher: Ihr Körper funktioniert, und sie ist, wie eh und je, die wilde Iris. "Ich freue mich, dass ich das Freiheitsgefühl auf dem Rad gemeinsam mit meinem Mann Stephan erleben kann", erzählt sie. "Dass er mich über all die Jahre so wahnsinnig unterstützt hat und die Beziehung an meinem Unfall nicht zerbrochen ist, das ist nicht selbstverständlich." Fünf Jahre lang hatten die beiden ihre gesamte Freizeit gemeinsam verbracht - Sport auf höchstem Niveau. Der Absturz und seine Folgen haben dieses Band zunächst völlig zerschnitten. "Aberwir sind ein Team geblieben. Statt zum Skifahren zu gehen, fliegen wir nun im Winter eben in den Süden und machen dort tolle Mountainbiketouren. Und wenn mal eine Schiebepassage kommt, dann trägt mein Göttergatte mich und mein Rad auch schon mal ein Stück den Berg rauf", erzählt Iris Auerbach glücklich und lacht. Ob der Unfall ihre Einstellung zum Leben verändert hat? Diese Frage beantwortet Iris Auerbach mit einem breiten Grinsen im Gesicht - und ihren zwei Lebensmottos: "Nach dem Bikeurlaub ist vor dem Bikeurlaub,' Und: "Sieh immer zu, dass du wieder auf die Füße kommst." {«

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