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Kebelmann,Splitternde Kindheit,Leseprobe zur ... - Bernd Kebelmann

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*Erste Schicht: Benno. Die Schlesier. 1947-1950*<br />

*Bennos Geburt<br />

Geboren werden, erinnerungslos, gemessen, gewogen, männlich. Das Blondhaar fast weiß, die Augen sehr<br />

groß, ein blauer Doppelplanet, zwei meergesättigte Kugeln; nie bekamen sie satt zu sehen. Dies konnte am<br />

letzten Oktobertag aber noch keiner ahnen. Zunächst erblickte das Kind das rote Gesicht seiner Mutter,<br />

die Dauerwelle, von Schweiß verklebt, die ängstlichen Augen nur halb geöffnet, aber ungläubig staunend.<br />

Vor ihr lag das lange vermisste, schmerzlich ersehnte Kind. Die kleine Frau aus Niederschlesien war<br />

schon Sechsunddreißig, als sie in Kalkdorf am Bruch, in Brandenburgs erster Heimstättensiedlung,<br />

Hausnummer Einundzwanzig, im Ehebett, wo er gezeugt worden war, ihren Sohn entband, in die Arme<br />

nahm, ihn anstarrte, glücklich, erschöpft.<br />

Martha hatte nicht mehr an ein Kind geglaubt. Viel zu spät kam Kurt aus dem Krieg nach Hause. Jetzt<br />

stand er im Türrahmen, breit, muskulös, aber unsicher auf den Beinen. Er warf einen flackernden Blick<br />

auf die Frau, auf den Säugling an ihrer Seite. Ihr Hausarzt Doktor Morgenstern war aus dem Alten Grund<br />

<strong>zur</strong> Siedlung herauf gestiegen; er tat auch am Reformationstag seine ärztliche Pflicht. Jetzt wandte er sich<br />

ab und zog die Nase kraus. Kindsvater Kurt verbreitete Fuselgeruch. Dabei hatte er nur ein paar Bier und<br />

Korn, vorausahnend sozusagen; wie sich zeigte, richtig geraten! Auf den Stammhalter muss man trinken,<br />

auf Herrn Doktor natürlich auch, "ein tüchtiger Mann, der Herr Doktor"!<br />

Die Hebamme schob ihn <strong>zur</strong> Stubentür. – „Nicht mit mir“, schrie Kurt, der schnell jähzornig wurde, "das<br />

hier ist mein Haus. Ich hab's mit Vater eigenhändig gebaut, die ganze verdammte Siedlung!“<br />

Marthas bittende Stimme, das Schreien des Säuglings ging zwischen den harten Sätzen unter, die Kurt<br />

ohne Pause hervorstieß; geflohen sei er, er habe es schriftlich, aus der Gefangenschaft in der Eifel, nur um<br />

zu Martha <strong>zur</strong>ück zu kommen! Sie würde ihm nicht den Mund verbieten, sie solle sich nur hüten. Wenn<br />

hier jemand etwas verzeihen musste, dann war er es wohl; Martha wüsste schon, was er meinte …<br />

Mutter Elise kam in die Stube, schob ihren Sohn hinaus. Ihr rundlicher Schädel mit Knoten im Haar war<br />

der einzige, dem Kurt sich beugte. Er knurrte, doch er gehorchte. – Wie er gekommen war, von der Arbeit<br />

als Maurer bei Firma Reinhard, vom Tresen direkt nach Hause, lief er jetzt wieder davon. Kurt hatte etwas<br />

zu feiern. Dazu ging er in Noacks Kneipe, die Marienstraße steil abwärts, die im Kalkdorfer Platt nur<br />

'Dalevent' hieß. Ein Korn, ein Bier an der Theke, dann setzte er sich zu seinen Kollegen; mindestens ein<br />

Bekannter war immer in Noacks Kneipe; mauern machte Durst; Prost Leute, ich geb' eine Lage, mein<br />

Stammhalter ist auf der Welt "!– Kurt wäre gern im Rheinland geblieben. In Bad Honeff gefiel es ihm<br />

sehr. Er liebte die Arbeit im Sägewerk, liebte das rheinische Leben. ‚Wenn das Wasser im Rhein goldner<br />

Wein wär’, hätte Kurt nichts dagegen gehabt.<br />

Fünf Tage später war Taufe, in der Alt Kalkdorfer Kirche aus der Zeit der Zisterzienser.<br />

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