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Golem FAZ.htm - Wolf Euba

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Gustav Meyrink<br />

Der <strong>Golem</strong><br />

Ungekürzte Hörfassung<br />

8 CD 480 Minuten<br />

Gelesen von <strong>Wolf</strong> <strong>Euba</strong><br />

Ullstein Hörverlag 9/2003<br />

EUR 35.-<br />

Zu diese Hörbuch schrieb WOLFGANG SCHNEIDER in der <strong>FAZ</strong> vom 17.12.2003:<br />

Durst nach dem Wunderbaren<br />

Aufgeräumt: Gustav Meyrinks "<strong>Golem</strong>", gelesen von <strong>Wolf</strong> <strong>Euba</strong><br />

Armselig der Schriftsteller, dessen Gebiet nicht größer sei als die sichtbare Natur, schrieb Gustav<br />

Meyrink 1913 in seiner Einleitung zum "Gespensterbuch". "Wirklich immer wieder müssen Gastwirte,<br />

Felder, Oberlehrer, Kühe und Kommerzienratstöchter geschildert werden? - Als ob's noch nicht genug<br />

Gastwirte, Felder, Oberlehrer, Kühe und Kommerzienratstöchter gäbe." Im "<strong>Golem</strong>" bleibt der Leser<br />

von dergleichen verschont. Dafür bekommt er es mit Magie, Mystik und Kabbalismus zu tun.<br />

"Ich kann mir nicht helfen, das Übersinnliche ist doch das Reizvollste", meint der Marionettenspieler<br />

Zwakh; eine andere Figur will von Jugend an einen "unsagbaren Durst nach dem Wunderbaren"<br />

verspürt haben. Das gilt auch für den Autor selbst. Jede Praktik des Paranormalen probierte er aus,<br />

trieb alchimistische Experimente, interessierte sich für Geheimgesellschaften und Religionen aller Art.<br />

Er stand mit solchen Neigungen nicht allein. Es waren die neuromantischen Tendenzen, mit denen<br />

sich viele Autoren nach 1900 der Vorherrschaft des Realen widersetzten.<br />

"Der <strong>Golem</strong>", 1915 bei Kurt <strong>Wolf</strong>f erschienen und neben Kubins "Die andere Seite" einer der wenigen<br />

Klassiker deutschsprachiger Phantastik, war der erste Bestseller, für den auf Litfaßsäulen geworben<br />

wurde, ein Qualitätsprodukt des Prager Expressionismus. Flackernd und unsicher sind die Identitäten<br />

in diesem Buch, vor allem die des Erzählers. Er weiß nie so genau, wer er eigentlich ist - seit er sich<br />

den falschen Hut aufgesetzt hat. Damit hat er sich nämlich zugleich die Lebensgeschichte eines<br />

anderen übergestülpt. Plötzlich findet er sich wieder im neunzehnten Jahrhundert, im alten Prager<br />

Judengetto, in der Haut eines Gemmenschneiders namens Athanasius Pernath.<br />

Leider hat auch dieser Pernath nach einer unglücklichen Liebesgeschichte einen größeren Teil seines<br />

Gedächtnisses eingebüßt, weshalb der ins fremde Schicksal geworfene Erzähler dem Leser in<br />

Sachen Verständnis nie weit voraus ist. Gemeinsam tappt man im dunkeln und versucht, sich einen<br />

Reim auf merkwürdige Menschen und Geschehnisse zu machen. Zum Beispiel auf diesen Trödler, der<br />

gegenüber tagein, tagaus vor seinem Ramschladen steht und sich mit der Beißzange die Fingernägel<br />

abzwickt. Offenbar laufen die Geschäfte schlecht. Bald stellt sich jedoch heraus, daß Aaron<br />

Wassertrum ein steinreicher Mann ist, dem das halbe Getto gehört. Er ist die giftige Spinne im<br />

weitverzweigten Netz einer Intrigenhandlung, bei der es übersinnliche Rätsel zu lösen und sinnlichzarte<br />

Frauen zu retten gilt.<br />

Wassertrums Gegenspieler ist sein eigener unehelicher Sohn, der Student Charousek, eine Gestalt,<br />

wie von Dostojewski geklont: intelligent, fanatisch und ebenso edel wie bettelarm. Der junge Mann<br />

laboriert an einer Krankheit zum Tode, die er sich damit erklärt, daß sein Körper das Wassertrumsche<br />

Blut abstoße. Jüdischer Selbst- und expressionistischer Vaterhaß kommen in dieser Figur zusammen.<br />

Am Ende begeht Charousek Selbstmord auf Wassertrums Grab: schneidet sich die Pulsadern auf und<br />

bohrt die Arme in den Boden, damit das ekle Blut zum Erzeuger zurücksickern kann. Schaurig,<br />

schaurig; aber das soll es ja auch sein.<br />

Zwar hat Meyrink mit Rassenbiologie nichts im Sinn - für den heutigen Leser ist die Rede vom bösen<br />

Blut jedoch historisch kontaminiert. Kein Zweifel auch, daß der dämonische Trödler einer<br />

antisemitischen Karikatur zum Verwechseln ähnlich sieht. Indessen schildert Meyrink den gnadenlos<br />

häßlichen Bösewicht als leidende, also mitleidsträchtige Kreatur. Wassertrum hat etwas<br />

Alberichhaftes; auch er ist ein Mann des Liebesfluchs, weshalb er nach Geld und Macht gieren muß.<br />

Sein reines Gegenbild ("in jedem Atom das Gegenteil") ist der Schriftgelehrte Schemajah Hillel,


Archivar des jüdischen Rathauses und Vater einer Tochter, deren Liebreiz es Pernath angetan hat.<br />

Meyrink steigert die schablonierte Charakterzeichnung zu einer grotesken Überdeutlichkeit, die ans<br />

Parodistische grenzt. Man ahnt hier, was einer Literatur, die allen Stereotypen korrekt ausweichen<br />

möchte, an Plastizität verlorengeht.<br />

Meyrink selbst war im übrigen - bei aller Faszination, die das Judentum auf ihn ausübte - nicht<br />

jüdischer Herkunft. 1868 als unehelicher Sohn eines württembergischen Ministers und einer<br />

bayrischen Hofschauspielerin geboren, wirkte er eine Weile als Bankdirektor und wurde in<br />

Ehrenhändel und Duelle verwickelt, ein Mensch, der Aufsehen erregte. Nach der Pleite seines<br />

Bankhauses kam er wegen Betrugsverdachts ins Gefängnis - wie die Erzählerfigur des "<strong>Golem</strong>".<br />

Später wandte sich Meyrink der Schriftstellerei zu und kam als Satiriker des "Simplizissimus" bald zu<br />

Ruhm. Gelegentlich schimmert das komische Talent im "<strong>Golem</strong>" angenehm durch.<br />

Mit dem aus Lehm erschaffenen künstlichen Menschen der jüdischen Legende hat der Roman nur<br />

noch wenig zu tun. Hier hat sich der <strong>Golem</strong> spiritualisiert und psychologisiert, als Kollektivseele des<br />

uralten Judengettos, dessen schiefe Mauern Albträume ausdünsten. Es herrscht schwüle, vergiftete<br />

Luft; selbst der Fluß schäumt "voll Haß gegen die Fundamente". 1885 wurde das heruntergekommene<br />

Getto assaniert. Die Handlung des Romans ist exakt auf dieser Schwelle angesiedelt; am Ende<br />

beginnen die Baumaschinen ihr Abbruchwerk. Die alte Gettowelt der dunklen Höfe und Winkel, der<br />

labyrinthischen Gänge und geheimen Zimmer, der dämmrigen Gotteshäuser und Kneipen, der<br />

Puppenspieler, Wahrsager, Bänkelsänger und Beter spukt jedoch herüber in die neue Zeit. Die<br />

Grenze zwischen Traum, Wahn und Wirklichkeit ist hier besonders durchlässig.<br />

Bei aller Neigung zur Zahlen- und Buchstabenmystik, zu parapsychologischen Zusammenhängen und<br />

okkulter Symbolik vermeidet Meyrink den raunenden Stil. In den besten Passagen ist seine Prosa von<br />

luzider Intensität, und das macht sie zur guten Hörbuchvorlage. Zwar ist die Handlung verwinkelt wie<br />

die Gäßchen des Gettos, und der Hörer, der ein paar Sätze verpaßt, verliert schnell die Orientierung.<br />

Aber wozu gibt es die Rücklauftaste? Und immerhin haben wir es bereits mit einer aufgeräumten<br />

Fassung des Stoffes zu tun. Nachdem Meyrink in einem Atem die ersten achtzig Seiten<br />

niedergeschrieben hatte, wußte er zunächst nicht weiter. Bis ein Freund ihm das Handlungsgewirr<br />

ordnete und von den 120 Figuren erst einmal neunzig entfernte.<br />

"Niemand würde die Hände ringen, wenn es nicht vom Theater erfunden worden wäre", heißt es an<br />

einer Stelle. Theatralisches Bewußtsein und forcierte Gebärden kennzeichnen den ganzen Roman.<br />

Da spricht jemand mit "mimenhaft erstickter Stimme", Student Charousek "schluchzte, als könne er<br />

vor Ergriffenheit kaum weitersprechen", dann wieder liegt "ein komödiantenhafter Zug von<br />

Schmerzlichkeit in seiner Fratze". <strong>Wolf</strong> <strong>Euba</strong>, geborener Nürnberger, liest dergleichen mit Nachdruck,<br />

aber ohne jede expressionistische Steilheit. Eher setzt sein süddeutscher Zungenschlag einen<br />

Kontrapunkt zur überspannten Textur der Vorlage. Am Schriftbild des Romans fällt das Unruhige,<br />

beinahe Zerhackte auf; lauter kleine Abschnitte mit oft nicht mehr als ein oder zwei Sätzen. Der<br />

akustische Erzählfluß des Hörbuchs bringt eine Glättung, die dem Text gut bekommt.<br />

<strong>Euba</strong>s Ton bildet die aufgewühlten Seelenregungen ab (anstatt sie etwa ironisch von sich abzurücken<br />

oder zu verfremden), ohne daß der Vortrag je hektisch und zerfahren würde. Die Ereignisse<br />

überschlagen sich, nicht die Stimme des Vorlesers. Den Formulierungen psychischer Extremwerte<br />

("würgende Verzweiflung", "lähmende Schrecknis des Unfaßbaren", "es schrie auf in mir vor Weh und<br />

wilder Sehnsucht"), an denen man sich bei der Lektüre stören kann, gibt <strong>Euba</strong> suggestive Plausibilität<br />

- als könnte es gar nicht anders sein. Daß er das Pathos nicht ins Lächerliche zieht, treibt die<br />

untergründige Komik um so mehr hervor. Man höre nur die kuriose Moritat vom Raubmörder Babinsky<br />

oder die kafkaeske Rühr-Groteske über den Rechtsgelehrten Dr. Hulbert und sein "Batallion", eine<br />

Organisation der Prager Trinker und Parkbank-Existenzen.<br />

Die Rezitation holt auch aus den trivialen Schlaglöchern des Textes das Letzte heraus. <strong>Euba</strong> verdünnt<br />

die Figuren nicht ins Chargenhafte; die Spannweite seiner stimmlichen Charakterisierung reicht von<br />

sanften Mädchengemütern über die Arroganz einer "Durchlaucht Fürst Ferri Athenstädt" bis zu den<br />

Abgründen verfluchter Seelen. Auch die Sprachvielfalt Prags wird problemlos bewältigt, ob es sich um<br />

fiesesten österreichischen Schmäh oder unterschiedliche Ausprägungen des Jiddischen handelt.<br />

Kurzum: Besser als <strong>Wolf</strong> <strong>Euba</strong> kann man dieses Buch nicht lesen.

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