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Ich muss erzählen - Fuxx

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kam. Das 1984 in Haifa uraufgeführte Stück Ghetto wurde ein Welterfolg.<br />

Und die Botschaft? «Die Botschaft ist die, dass geistige Kraft<br />

physische Gewalt überwinden kann, vielleicht», sagte Sobol an jenem<br />

Abend im Wilnaer Puppentheater. «Natürlich kann man Menschen<br />

umbringen. Es ist sehr leicht zu töten. Aber die Ghettogemeinschaft<br />

hat bewiesen, dass man innere Quellen finden kann, um sich<br />

der Unterdrückung zu widersetzen und die Unterdrückung zu besiegen.<br />

Das ist eine große Botschaft für mich und die einzige, die ich<br />

weitergeben möchte, wenn ich mein Stück Ghetto inszeniere.»<br />

Unten im Saal ist es still. Die Zuhörer, zumeist Überlebende des<br />

Holocaust, kennen die Botschaft. Sie haben sie gelebt, und an diesem<br />

Abend ist ihnen das Erlebte wieder gegenwärtig. Einige von ihnen<br />

waren als Kinder oder Jugendliche in diesem Theater, haben sich<br />

Otto Indigs Der Mensch unter der Brücke oder David Pinskis Der ewige<br />

Jude angesehen. Was mag in ihnen vorgehen, ein halbes Jahrhundert<br />

nach dem ungeheuren Schrecken jener Jahre? Was mag Mascha<br />

Rolnikaite empfinden, die aus St. Petersburg nach Wilna gekommen<br />

ist, um an diesen «Tagen der Kunst» teilzunehmen? Vor mehr als<br />

einem halben Jahrhundert hat sie unter der Leitung von Wolf Durmaschkin<br />

im hebräischen Chor hinter den Kulissen gesungen. Nun<br />

sitzt sie im Parkett. Seit der Liquidierung des Wilnaer Ghettos am<br />

23. September 1943 war sie nie wieder hier. Auch für sie ist der Abend<br />

im Puppentheater eine Reise in die Vergangenheit, und ich traue<br />

mich fast nicht, die kleine dunkelhaarige Frau mit den großen braunen<br />

Augen, die sich so gerade hält, anzusprechen. Aber dann stellt<br />

sich heraus, dass Mascha Rolnikaite erfahren ist im Umgang mit fragenden<br />

Journalisten und Lesern, hat sie doch ihr halbes Leben damit<br />

verbracht, Zeitgenossen und Nachgeborenen zu <strong>erzählen</strong>, was damals<br />

geschehen ist. Auch mir hat sie später in vielen Gesprächen davon<br />

erzählt. Es ist dies ein Zwang, eine Pflicht, die sie sich selbst auferlegt<br />

hat: «<strong>Ich</strong> <strong>muss</strong> <strong>erzählen</strong>.» Damit sich das Schreckliche nicht<br />

wiederholt.<br />

Der Schrecken des Holocaust ist so häufig beschrieben worden,<br />

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