Die Presse Schaufenster
Die Presse Schaufenster
Die Presse Schaufenster
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
»<br />
Gruppenbild mit Schiff. Blick aus einer<br />
Pinguin-Kolonie auf die MS Bremen.<br />
Und, verblüffend genug, die Pinguine beim<br />
Museum ziehen mehr Nachwuchs groß als die<br />
ungestört lebenden. Über die Gründe kann man<br />
nur spekulieren, wahrscheinlich sorgen die Touristen<br />
nicht nur für Stress, sie vertreiben auch die<br />
natürlichen Feinde, etwa Raubmöwen, für die die<br />
Eier der Pinguine und ihre Babys eine Delikatesse<br />
sind.<br />
Zurück an Bord fällt das Dinner, das Abend für<br />
Abend zelebriert wird, burschikoser aus. Heute<br />
essen wir – wie die anderen sechs Gäste an Tisch 42,<br />
mit denen wir uns prächtig verstehen – in Outdoor-<br />
Kluft. Denn gegen 21 Uhr beginnt einer der Höhepunkte<br />
dieser Reise, wir fahren in den Lemaire-Kanal.<br />
Es ist eine etwa 13 Kilometer lange Meerenge,<br />
eingefasst von Gletschern und teils schroff aufragenden<br />
Felswänden, an der schmalsten Stelle kaum<br />
500 Meter breit. Den Eingang zum Kanal markiert<br />
der charakteristische Doppelgipfel Kap Renard, er<br />
Manche Momente kann man nicht festhalten,<br />
wurde von britischen Seeleuten in „Una’s Titts“<br />
umbenannt, als eigenwillige Anerkennung einer<br />
sondern nur erleben.<br />
offenbar gut ausgestatteten Truppenbetreuerin.<br />
Langsam tastet sich die Bremen durch das von Eisbrocken<br />
übersäte Wasser. Zum Greifen nah sind die Felsund<br />
Eiswände, die von der tief stehenden Mitternachtssonne<br />
in goldenes Licht getaucht werden. Andächtig<br />
stehen Gäste und Crew auf dem Vordeck, eine große<br />
Gemeinschaft, die – sehr unterschiedlich vermögend –<br />
alle denselben Luxus erleben. Staunend. Fotografierend.<br />
Und irgendwann lassen wir einfach die Kameras an den<br />
Hälsen baumeln. <strong>Die</strong>sen Moment kann man nicht festhalten.<br />
<strong>Die</strong>sen Moment kann man nur erleben. s<br />
Hügel. Der Blick geht über die vereiste Caldera. Wir<br />
genießen die Stille und das Gefühl einer Einsamkeit, die<br />
alles in den Schatten stellt, was wir bisher empfunden<br />
haben. Bevor es mit dem Zodiac zurückgeht, nehmen<br />
wir ein Bad. Wir stürzen uns schreiend in das eiskalte<br />
Meer. Früher durfte man sich kleine Wannen schaufeln,<br />
das Wasser erwärmte sich über dem heißen Sand. Heute<br />
ist das aus Umweltschutzgründen nicht mehr erlaubt.<br />
Danach sitzen wir in der Schiffssauna mit den fünf anderen<br />
Passagieren, die sich auf diese brutalstmögliche<br />
Weise abgekühlt haben. Und wissen, dass wir uns an diesen<br />
kalten Augenblick ein Leben lang erinnern.<br />
Später lässt Kapitän Behrend die Muskeln spielen und<br />
rammt die 6600 PS starke Bremen in das Eis, das die Caldera<br />
bedeckt. Es ist verblüffend, wie schnell das Schiff<br />
steckenbleibt. Zurück lässt der mit höchster Eisklasse<br />
verstärkte Bug einen v-förmigen Einschnitt im Eis, ein<br />
Winkel der Vergeblichkeit. Und spätestens jetzt<br />
empfinden wir noch mehr Respekt vor der Kraft<br />
dieses Kontinents.<br />
Pinguine zählen. Der Anker fällt vor Port Lockroy.<br />
Der von einem belgischen Entdecker benannte Ort<br />
ist Sitz einer britischen Station, der bekanntesten<br />
der Antarktis. Florence, eine der Mitarbeiterinnen,<br />
sagt, dass im Sommer 15.000 Kreuzfahrtgäste kommen.<br />
<strong>Die</strong> Arbeit des vierköpfigen Teams besteht<br />
darin, Pinguine zu zählen, Besucher durch das<br />
Museum zu führen und im Shop Anstecknadeln,<br />
T-Shirts, Bücher und Schirmmützen zu verkaufen.<br />
Ist das nicht eine seltsame Tätigkeit für eine Wissenschaftlerin?<br />
Florence lacht und sagt, dass sie das<br />
gern in Kauf nimmt für das Privileg, hier wissenschaftlich<br />
arbeiten zu dürfen.<br />
Was haben die bisherigen Forschungen auf Lockroy<br />
erbracht? Das Team um Florence ermittelt die Bruterfolge<br />
der Pinguine. <strong>Die</strong> Kolonie ist geteilt in zwei Gruppen,<br />
eine dicht beim Museum, an dem viele Besucher<br />
vorbeikommen. <strong>Die</strong> anderen Pinguine leben in einem<br />
abgeschiedenen Bereich, den niemand betreten dürfe.<br />
2<br />
3<br />
1<br />
01 Poetisch. Gavin Francis, ein Mediziner<br />
aus Edinburgh, bereiste nach seinem<br />
Studium zehn Jahre hindurch fast alle<br />
Kontinente der Erde, am meisten faszinierte<br />
ihn die europäische Arktis, der er sein<br />
erstes Buch, „True North“, widmete. Nur<br />
das Sehnsuchtsziel, die Antarktis, blieb<br />
unerreicht – bis er einen Jahresvertrag als<br />
Arzt in der britischen Forschungsstation<br />
Halley erhielt. Seine Erfahrungen mit Weite,<br />
Eis, Einsamkeit, der dreimonatigen<br />
Dunkelheit im Winter und den psychischen<br />
Belastungen im Kreis des kleinen<br />
Teams liegen nun in „Empire Antarctica“<br />
vor: Reiseliteratur vom Feinsten mit einer<br />
zarten poetischen Note. Dumont Reiseabenteuer,<br />
14,99 Euro, mairdumont.com .<br />
02 Beherzt. MS Bremen-Käpt‘n Mark<br />
Behrend, 47, erläutert die Wetterkarte. Der<br />
Autor wurde von Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten<br />
eingeladen, für die Flüge kam er selbst<br />
auf. <strong>Die</strong> Kreuzfahrt BRE1223 dauert 22<br />
Tage (alle Antarktiskreuzfahrten von Hapag-Lloyd<br />
sind bis Februar 2014 ausgebucht).<br />
hlkf.de; seetour-austria.at<br />
03 Plakativ. Stempel aus Südgeorgien<br />
und Port Lockroy im Reisepass.<br />
Fotos: Dirk Lehmann<br />
40 <strong>Schaufenster</strong>