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download - Familienunternehmer des Jahres

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Unternehmer & Ideen<br />

Bescheiden Das Bild von<br />

William Turner im Hintergrund<br />

sei aus <strong>des</strong>sen günstiger<br />

Phase, sagt Firmenchef<br />

Heinrich Deichmann


Der Leisetreter<br />

Heinrich Deichmann Seinen Namen kennt jeder. Die Person dahinter kaum einer. Still und<br />

unauffällig hat Heinrich Deichmann das Erbe seines Vaters angetreten und das Unternehmen<br />

zu Europas größtem Schuhhändler gemacht. Sein Rezept: traditionelle Werte<br />

[ Text: Hanna Grabbe ]<br />

Netzhaut/Dirk Hoppe<br />

Eines müsse man wissen, sagt Heinrich<br />

Deichmann. Das Ganze hier, also wirklich,<br />

man dürfe das nicht falsch interpretieren,<br />

aber das alles sei absolut<br />

nicht typisch für ihn.<br />

„Herr Deichmann, ein Foto! Hierhin gucken,<br />

bitte. Ja. Super. Passt. Daaanke!“<br />

„Dürfen wir auch ein Bild machen? Mit dem<br />

iPhone? Geht auch ganz schnell.“<br />

„Schauen Sie mal, die Pumps habe ich bei<br />

Deichmann gekauft!“<br />

„Wo gibt’s Champagner?“<br />

Hätte es nicht ein Theologenkongress sein<br />

können? Einer seiner Ethikvorträge an der Uni?<br />

Irgendwas Dezentes? Irgendwas mit Gott?<br />

Doch es ist das Foyer <strong>des</strong> schicken Hamburger<br />

Curio-Hauses. Die Sängerinnen Daisy Dee und<br />

Jasmin Wagner sind da, ein Haufen Models und<br />

ein paar mittelbekannte Schauspieler. Kameras.<br />

Blitzlicht. Mittendrin Deichmann. Er trägt einen<br />

feinen Anzug, hat Haarspray benutzt und guckt<br />

wie ein Informatikstudent in der Mädchenumkleide:<br />

befremdet, aber durchaus interessiert.<br />

Er sagt: „Glamour und roter Teppich, das ist<br />

nicht so meins.“ Dabei hat er diesen Abend –<br />

mit Glamour und rotem Teppich – höchstselbst<br />

zu verantworten: Sein Unternehmen verleiht<br />

den „Shoe Step of the Year“, den bekommen<br />

Menschen, die sich mit Schuhen beschäftigen –<br />

Modejournalisten, Fotografen, Blogger. RTL-<br />

Blondine Frauke Ludowig moderiert. Es wird<br />

eine Modenschau geben, Häppchen, Disco.<br />

Noch vor wenigen Stunden hat Deichmann<br />

im Flugzeug gesessen, hatte sich ein wenig gefürchtet<br />

wegen <strong>des</strong> Sturms. Er war am Morgen<br />

nicht dazu gekommen, in der Bibel zu lesen, obwohl<br />

das sein Ritual ist. Das Gebet. Jeden Morgen,<br />

vor dem Essen und zusätzlich „bei Bedarf“.<br />

Dann sagt er, dass es durchaus spannend sei,<br />

einen Abend mit diesen netten jungen Leuten<br />

zu verbringen. „Eine attraktive Sache.“ Er habe<br />

Spaß.<br />

Schließlich geht es um Schuhe. Ums Geschäft.<br />

Und damit letztlich doch um Gott. Das<br />

mit dem Glauben und das mit dem Geldverdienen<br />

sollte man nicht trennen. So jedenfalls<br />

sieht Deichmann das. Und man könnte meinen,<br />

dass Gott das auch so sieht. Es wäre jedenfalls<br />

eine Erklärung: Warum ist gerade dieses Unternehmen<br />

so erfolgreich?<br />

Deichmann ist der größte Schuhhändler in<br />

Europa. Gut 4 Mrd. Euro setzt der Essener Familienkonzern<br />

um, verteilt auf 3300 Filialen<br />

in 22 Ländern. Während die Deutschen immer<br />

weniger Geld für Schuhe ausgeben, ein Fachhändler<br />

nach dem anderen seinen Laden<br />

schließt und selbst große Filialisten wie Görtz<br />

oder Leiser straucheln, verkauft Deichmann<br />

Jahr für Jahr noch mehr Schuhe: 156 Millionen<br />

Paar waren es zuletzt. Nach Deichmann kommt<br />

im deutschen Schuhhandel lange, lange nichts.<br />

Dann irgendwann taucht Hamm Reno auf – mit<br />

einem Sechstel <strong>des</strong> Umsatzes.<br />

Umsatz mal zwei, Filialen mal drei<br />

Man mag das auf Gott schieben. Man kann aber<br />

auch sagen: Heinrich Deichmann hat, seit er<br />

vor 13 Jahren die Geschäftsführung von seinem<br />

Vater übernahm, viele kluge Entscheidungen<br />

getroffen. Leise, unauffällig und wie selbstverständlich<br />

hat er den Umsatz der Firma mehr als<br />

verdoppelt, die Zahl der Filialen mehr als verdreifacht.<br />

Dass man den Namen Deichmann<br />

heute in ganz Europa kennt, ist sein Verdienst.<br />

Doch anders als der Vater, der einst ganze Handelsketten<br />

in der Schweiz, den USA und den<br />

Niederlanden kaufte, hat sich der Sohn nie in<br />

waghalsige Abenteuer gestürzt. Er hat Laden<br />

<strong>Familienunternehmer</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>Jahres</strong> 2012<br />

Der Preis Seit 2004 zeichnen<br />

impulse und die Intes<br />

Akademie für Familienunternehmen<br />

Personen aus,<br />

die besondere Leistungen<br />

als <strong>Familienunternehmer</strong><br />

erbracht haben, in diesem<br />

Jahr Heinrich Otto Deichmann.<br />

In den Jahren davor<br />

wurden Heinz Gries und Andreas<br />

Land, Stefan Messer,<br />

Markus Miele und Reinhard<br />

Zinkann, Bernhard Simon,<br />

Jürgen Heraeus, Peter-Alexander<br />

Wacker, Michael Stoschek<br />

und maria-Elisabeth<br />

Schaeffler ausgezeichnet.<br />

Die Jury Neben Peter May<br />

(Intes) und Nikolaus Förster<br />

(impulse): Stefan Bellinger<br />

(Die <strong>Familienunternehmer</strong><br />

– ASU), Hans Demmel (N-<br />

TV), Angelika Frölich (Ernst<br />

& Young), Wilhelm von Haller<br />

(Sal. Oppenheim), Sabine<br />

Rau (WHU), Jörg Ritter<br />

(Egon Zehnder International),<br />

Andreas van Loon<br />

(Hauck & Aufhäuser), Holger<br />

Steltzner („FAZ“).<br />

Die Laudatio auf den Preisträger<br />

von impulse-Chef-<br />

Nikolaus Förster lesen Sie<br />

unter www.impulse.de/<br />

familienunternehmer<br />

Dezember 2012 impulse 19


Vater und Sohn Während Heinz-Horst Deichmann<br />

(o. l.) sich heute viel um Hilfsprojekte in<br />

Schwellenländern kümmert, führt sein Sohn<br />

Heinrich (u.) das Geschäft. 2005 kaufte er die<br />

Markenrechte der Elefanten-Kinderschuhe<br />

Gott. Heinz-Horst Deichmann, geboren 1926,<br />

in einer Zeit, in der die Essener Kohlekumpels<br />

ihre Schuhe noch reparierten, statt neue zu<br />

kaufen, weshalb schon der Großvater sein Geld<br />

genau damit verdiente: Schuhreparatur Elektra,<br />

Borbecker Straße 77.<br />

Doch statt den Betrieb zu übernehmen, meldet<br />

Deichmann sich bei den Fallschirmjägern.<br />

Er ist jung und vom Krieg unbeeindruckt. Bis<br />

ihn ein Granatsplitter trifft. Es ist die To<strong>des</strong>angst,<br />

die ihn beschließen lässt, sein Leben Gott<br />

zu widmen, später, sollte er nur überleben – das<br />

Geschoss bleibt wenige Zentimeter von der<br />

Halsschlagader entfernt stecken. Deichmann<br />

kehrt heim und studiert Theologie. Später<br />

Medizin. Er will Menschen helfen, arbeitet als<br />

Arzt. Noch heute nennt man ihn „den Doktor“.<br />

Erst Mitte der 50er-Jahre widmet er sich ganz<br />

der Firma. Seine Idee: Die Kunden bedienen<br />

sich selbst. Das senkt die Hemmschwelle und<br />

spart Personal. Damals eine Revolution. Deichmann<br />

eröffnet ein Geschäft nach dem anderen<br />

– und versucht nun als Unternehmer, sein<br />

Versprechen gegenüber Gott einzulösen.<br />

Die Gewinne steckt Deichmann in faire Löhne,<br />

später auch in Krankenhäuser und Schulen<br />

in Indien und Afrika. „Gott wird mich am Ende<br />

nicht fragen, wie viele Schuhe ich verkauft habe.<br />

Er wird wissen wollen, ob ich wie ein wahrer<br />

Christ gelebt habe“, sagt der Alte. Er ist ein<br />

Patriarch, soll Ehen gerettet und Kunden zum<br />

Glauben bekehrt haben. Einem Lieferanten<br />

habe er einmal, so erzählt er es, einen Schuh<br />

hinterhergeworfen. Beim Betriebsausflug reitet<br />

Heinz-Horst Deichmann auf einem Elefanten.<br />

Das ist die Welt, in die nach und nach drei<br />

Mädchen und, endlich, ein Sohn geboren werden.<br />

Er bekommt den Namen <strong>des</strong> Großvaters:<br />

Heinrich. Genauer: Heinrich Otto. Heino, sagen<br />

sie zu ihm.<br />

Gott wird mich am<br />

Ende nicht fragen,<br />

wie viele Schuhe<br />

ich verkauft habe<br />

Heinz-Horst Deichmann<br />

für Laden, Land für Land erobert. Stets mit dem<br />

eigenen Geld und stets mit einem einfachen<br />

Grundsatz, der das Geschäft der Familie von<br />

Anfang an geprägt hat: Das Unternehmen muss<br />

dem Menschen dienen.<br />

Zugetraut hatten ihm das die wenigsten.<br />

„Nach so einem Vater!“, hatte es geheißen.<br />

Und: Unter großen Eichen wachsen nur Pilze.<br />

Doch Heinrich Otto Deichmann – Jahrgang 62,<br />

aschblon<strong>des</strong> Haar, Brille, 1,81 Meter groß – er<br />

hat sie alle eines Besseren belehrt.<br />

Nach so einem Vater.<br />

Ihn muss man kennen, will man den Sohn<br />

verstehen, das Unternehmen und die Sache mit<br />

Zum Ausmisten in den Stall<br />

Heinrich Deichmann steht jetzt unter dem<br />

mächtigen Kronleuchter im Ballsaal <strong>des</strong> Curio-<br />

Hauses, ein Mikrofon in der Hand, einen goldenen<br />

Umschlag in der Jacketttasche. „Herr<br />

Deichmann, Sie haben den Gewinnerumschlag<br />

dabei …“, säuselt die Moderatorin auffordernd,<br />

und Deichmann überlegt eine Sekunde zu lang,<br />

ob das nun eine Frage war oder nicht. „Das<br />

stimmt“, entgegnet er schließlich. Verdammt,<br />

was soll man auch sagen?<br />

Er ist es nicht gewohnt, sich in den Vordergrund<br />

zu spielen. Nicht hier, nicht bei Bürgermeistern<br />

oder Verbandschefs. Sie kennen den<br />

hgm-presse; Stock4B/Michael Dannenmann<br />

20<br />

impulse Dezember 2012


Heinrich Deichmann Unternehmer & Ideen<br />

Größten ihrer Zunft „vom Sehen“, nicht weil er<br />

sich wichtig macht.<br />

Er hat früh gelernt, sich zurückzunehmen:<br />

Der Vater baut neben dem eigenen ein Waisenhaus.<br />

Heinrich muss teilen. Den Garten, die<br />

Spielsachen, die Aufmerksamkeit. Die Mutter<br />

schickt den Sohn einmal die Woche in den benachbarten<br />

Stall zum Ausmisten. Körperliche<br />

Arbeit sei wichtig für die Entwicklung, findet<br />

sie. Es stinkt und strengt an, abends fällt er erschöpft<br />

ins Bett.<br />

Willst du Lehrer werden?<br />

Dennoch: Heinrich macht, was er soll. Auch<br />

später. Abitur. Wehrdienst. BWL-Studium. Examen,<br />

Note: sehr gut. Deichmann sagt, dass er<br />

gern Theologie oder Geschichte studiert hätte.<br />

Da habe der Vater gefragt: „Willst du Lehrer<br />

werden?“ Damit war die Sache erledigt.<br />

Direkt nach dem Diplom fängt er in der Firma<br />

an. Der Alte drängt. Es sei dem Vater wichtig<br />

gewesen, dass er sofort einsteige, erzählt<br />

Deichmann. „Das hab ich dann auch getan.“<br />

Er war kein Rebell. Der Vater stets Vorbild<br />

statt Antipode. Einmal sagt Deichmann fast<br />

entschuldigend: „Ich fand das eben immer gut,<br />

was mein Vater gemacht hat.“ Fragt man ihn,<br />

was denn das Verrückteste sei, das er je getan<br />

habe, dann erzählt Deichmann vom Bergsteigen.<br />

Er liebe die Berge. Dann überlegt er kurz:<br />

„Ich weiß nicht, ist das jetzt verrückt?“<br />

Als Deichmann von der Bühne steigt, sieht er<br />

erleichtert aus. Später steht er beim Büfett, hält<br />

sich an einem Glas Weißwein fest, während<br />

seine PR-Agentin ausgewählte Gäste an ihm<br />

vorbeischleust: Die Miss Turkuaz, eine Art Miss<br />

Migrationshintergrund, ist darunter und der<br />

Modechef der „Für Sie“. Menschen, die heute<br />

Abend wichtig sind. Denn Deichmann hat sich<br />

vorgenommen, nicht mehr nur billig, sondern<br />

auch cool zu sein. „Modisch“ nennt er es. So<br />

wie H&M oder Zara.<br />

Weil seine Läden lange nur über die Coolness<br />

eines Aldi verfügten, kauft Deichmann<br />

Stars und hippe Girlbands ein, um für seine<br />

Schuhe zu werben. In der durch und durch<br />

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Die norddeutsche Art.<br />

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Unternehmer & Ideen Heinrich Deichmann<br />

Laden für Laden Mit seinem<br />

damals revolutionären<br />

Selbstbedienungskonzept<br />

eroberte Deichmann im Nu<br />

den deutschen Markt<br />

konservativen Firmenzentrale ein absolutes<br />

Novum.<br />

„Diese Popgruppen, das ist nicht meine<br />

Sache“, raunt der Alte. Und so viel ist sicher,<br />

die Sache <strong>des</strong> Sohns, der Schumann<br />

liebt und sich klassische Musiker zu Hauskonzerten<br />

einlädt, ist es auch nicht. Doch<br />

er erkennt, dass die jungen Mädchen, die<br />

bei ihm Schuhe kaufen, „diese Popgruppen“<br />

gut finden. Und er weiß, dass sie nicht nur<br />

Grace land, eine von Deichmanns Eigenmarken,<br />

tragen wollen, sondern auch Puma oder<br />

Adidas. So beginnt er, bei Markenherstellern<br />

zu ordern – oder kauft die Marke gleich ganz,<br />

so wie Gallus oder Elefanten.<br />

Derzeit wirbt das Bond-Girl Halle Berry<br />

für Deichmann. Als die beiden sich zum ersten<br />

Mal begegnen, an einem kühlen Märztag<br />

in Berlin, erzählt Berry Deichmann von ihrem<br />

Scheidungsärger, den Problemen mit dem Sorgerecht,<br />

dass sie auf Mallorca gewesen sei und<br />

sich den Fuß gebrochen und ein Schäfer sie<br />

gerettet habe. Und Deichmann? „Oh, ich habe<br />

über unser Unternehmen gesprochen.“<br />

Er tut sich schwer, persönlich zu werden. Das<br />

sagt er selbst. Doch man weiß nicht so recht, ob<br />

er einfach seine Ruhe haben will. Oder ob er<br />

tatsächlich zu bescheiden ist, um zu begreifen,<br />

dass die Menschen nicht nur über seine Firma,<br />

sondern auch etwas über ihn, den Schuhkönig,<br />

wissen wollen. „Schuhkönig? Schreiben Sie lieber,<br />

dass der Kunde bei uns König ist.“<br />

Nächstes Jahr feiert das Unternehmen sein<br />

100-jähriges Jubiläum. In dieser ganzen Zeit<br />

hat Deichmann genau vier Pressekonferenzen<br />

gegeben. „Der Heinrich schnurrt im Hintergrund,<br />

und irgendwann sind die Dinge, wie sie<br />

sind“, sagt einer, der die Familie kennt.<br />

So war das auch mit dem, was die Branche<br />

„Vertikalisierung“ nennt: Heinrich Deichmann<br />

hat sich nicht damit zufrieden gegeben, Schuhe<br />

nur zu verkaufen, sondern bringt auch das<br />

Schuhmachen unter seine Kontrolle, schaltet<br />

die Zwischenhändler aus und lässt selbst in China<br />

und Vietnam produzieren. Seine Einkäufer<br />

bestimmen Design, Materialien und Verarbeitung.<br />

So ist Deichmann unabhängig, kann<br />

schneller auf Trends reagieren – und am Ende<br />

die gesamte Marge kassieren.<br />

„Ein extrem professionell geführtes Unternehmen“,<br />

sagt Matthias Händle. Er ist der<br />

Chef von Hamm Reno, der Nummer zwei in<br />

Deutschland. Vertikal seien inzwischen zwar<br />

alle Großen im Business, doch kaum einer<br />

und – leider – man selbst auch nicht, gehe dabei<br />

so weit wie Deichmann.<br />

Deshalb kann er der Billigste sein – und bleiben.<br />

Ein Paar Deichmann-Schuhe kostet heute<br />

das Gleiche wie vor 50 Jahren: 20 Euro im<br />

Durchschnitt. Die kann selbst ein Hartz-IV-<br />

Vom Absatzmacher zum Milliardär<br />

Mit einem kleinen Laden fing alles an. In dritter Generation managt Heinrich Deichmann heute ein Schuhimperium<br />

Grundstein Reparatur<br />

Großvater und Namensvetter<br />

Heinrich Deichmann (mit Tochter<br />

Ellen) legt den Grundstein<br />

für das Unternehmen: mit der<br />

1913 eröffneten Schuhreparatur<br />

Elektra in Borbeck, das damals<br />

noch nicht zu Essen gehörte.<br />

Krieg und Aufschwung<br />

Die erste Filiale eröffnet bereits<br />

1930. Zum Kriegsende hin geht<br />

das Geschäft fast zugrunde.<br />

Doch dann folgt ein rasanter<br />

Aufschwung. Vater Heinz-Horst<br />

Deichmann versorgt die ganze<br />

Region mit günstigen Schuhen.<br />

Ungebremstes Wachstum<br />

1978 errichtet Deichmann sein<br />

erstes großes Distributionszentrum<br />

in Bottrop. Heute sind es<br />

europaweit acht, ein weiteres<br />

ist geplant. Das Unternehmen<br />

verkauft mittlerweile 156 Millionen<br />

Paar Schuhe pro Jahr.<br />

Weg zur Lifestylemarke<br />

Seit Enkel Heinrich die Geschäfte<br />

führt, hat sich die Zahl<br />

der Filialen verdreifacht. Die<br />

Firma verkauft und produziert<br />

international. Läden und Schuhe<br />

sind heute nicht nur preiswert,<br />

sondern auch modisch.<br />

Deichmann (3); ddp images Imago/Hans Blossey<br />

22<br />

impulse Dezember 2012


Seltener Moment 2011 enthüllt Heinrich<br />

Deichmann das modernisierte Logo. Ansonsten<br />

ist der große Auftritt nicht seine Sache<br />

Empfänger mal entbehren. Auch das versteht<br />

Deichmann unter Nächstenliebe.<br />

Umso mehr ärgert es ihn, wenn die Presse<br />

sagt, dass es dort, wo seine Schuhe hergestellt<br />

werden, nicht fair zuginge. Mehr als zehn Jahre<br />

ist es her, dass ein Journalist schwere Vorwürfe<br />

gegen die Firma erhob. Später stellte<br />

sich heraus, dass das meiste gar nicht stimmte,<br />

doch noch immer wird Deichmann bei dem<br />

Thema schmallippig: „Wir haben unsere Hausaufgaben<br />

gemacht.“<br />

Mehr noch. Er hat seine Regeln extra aufgeschrieben,<br />

von Kinderarbeit bis Umweltschutz,<br />

für jeden einsehbar, um sich daran messen zu<br />

lassen. Und trotzdem: Sie suchen alle, immer<br />

aufs Neue. Vielleicht weil man denkt, dass bei<br />

dieser ganzen Menschenfreundlichkeit doch<br />

irgendwo der Wurm drin sein müsse: Kururlaub<br />

auf Firmenkosten, übertarifliche Bezahlung, eine<br />

Notkasse, Hochzeits- und Geburtenprämien.<br />

Die ganze Palette.<br />

Nein, Deichmann sei bei den Gewerkschaftssprechstunden<br />

kein Thema, sagt Verdi-Sekretär<br />

Folkert Küpers, der in Nordrhein-Westfalen für<br />

Handel zuständig ist. Dass Deichmann vor zwei<br />

Jahren sogar die 400-Euro-Jobs abgeschafft<br />

hat, weil die zu Altersarmut führen, findet Küpers<br />

aber nicht christlich, sondern nur klug.<br />

„Weniger Fluktuation. Erhöht die Bindung ans<br />

Unternehmen.“ Die Liste der Firmenjubilare ist<br />

lang: Frau Schopinski aus Verkaufsstelle 0002<br />

in Oberhausen, 35 Jahre dabei. Frau Kirsch, aus<br />

der 0035 in Neuss, 40 Jahre. Frau Herrmann,<br />

Hauptverwaltung, 45 Jahre.<br />

Christ und knochenharter Rechner<br />

All das könnte Deichmann lauter sagen, es würde<br />

sich gut machen. Fürs Marketing zum Beispiel.<br />

Auch dass sein Unternehmen je<strong>des</strong> Jahr<br />

mehr als 10 Mio. Euro für Hilfsprojekte ausgibt,<br />

wissen die wenigsten. Deichmann sagt: „Warum<br />

sollte ich das tun?“ Diesen Satz hört man<br />

oft von ihm. „Das ist mir eine Herzensangelegenheit.“<br />

Worte, die abgedroschen klingen.<br />

Doch Deichmann meint es genau so: Herzensangelegenheit.<br />

„Wer wissen will, wie der Unternehmer tickt,<br />

muss nur ins Unternehmen gucken“, sagt der<br />

Gründer der Intes Akademie für Familienunternehmen,<br />

Peter May, der auch der Jury zum<br />

„<strong>Familienunternehmer</strong> <strong>des</strong> <strong>Jahres</strong>“ vorsitzt. Bei<br />

Deichmann sehe man „einen Kapitalisten, klar,<br />

aber einen mit ethischem Fundament“.<br />

Er bringt das manchmal etwas hölzern rüber.<br />

Nicht wie der Vater, der in Indien die Leprakranken<br />

herzt, Kinderhände hält und von Hilfsprojekt<br />

zu Hilfsprojekt jettet. Der Sohn stellt<br />

Fragen: Kann man diesen Leuten vertrauen?<br />

Können die das? Bringt das was? „Heinrich ist<br />

ein knochenharter Rechner“, sagt Heiner Beilharz,<br />

ein mit der Familie befreundeter Unternehmer.<br />

Er meint das anerkennend. Deichmann<br />

ist Christ, nicht dumm.<br />

Er sei eben keiner, der nur mit strahlenden<br />

Augen Halleluja ruft, sagt ein Freund, ein CDU-<br />

Mann, der es in der Partei weit gebracht hat.<br />

Wenn die beiden abends zusammensitzen, will<br />

Deichmann über Bibelstellen diskutieren. Im<br />

Urlaub liest er Theologiebücher. Zu Hause<br />

manchmal „Asterix“.<br />

Deichmann ist Mitglied einer evangelischen<br />

Freikirche, eine rund 50 Mitglieder zählende<br />

Gemeinde, zu deren Regeln gehört, dass nicht<br />

dpa Picture-Alliance/Julian Stratenschulte<br />

24<br />

impulse Dezember 2012


Heinrich Deichmann Unternehmer & Ideen<br />

nur der Pfarrer predigen darf, sondern jeder,<br />

dem das wichtig ist. So kommt es vor, dass<br />

Deichmann ein ganzes Wochenende lang die<br />

Bibel studiert – und unzählige Auslegungen.<br />

Denkt. Formuliert. Um dann am Sonntag in<br />

einem bis auf das Kreuz schmucklosen Raum<br />

über Gott zu sprechen. „Sehr solide exegetische<br />

Arbeit“, kommentiert sein ehemaliger Gemeindeleiter<br />

Dietrich Kuhl. Sehr solide, das glaubt<br />

man ihm sofort.<br />

Inzwischen wird das Büfett im<br />

Curio-Haus wieder abgeräumt.<br />

Deichmann steht noch immer<br />

an derselben Stelle, hat noch<br />

immer nichts gegessen. „Ein Gesprächsmarathon“,<br />

murmelt er,<br />

und dass es langsam anstrengend<br />

werde. Er könnte jetzt auf<br />

Durchzug schalten, ein wenig<br />

lächeln, ein wenig nicken, aha,<br />

hmm und Ja, Ja sagen. Keiner<br />

würde das merken. Doch selbst an einem Abend<br />

wie diesem, zwischen Bussis und Schampus,<br />

will Deichmann jedem zuhören, nachfragen<br />

und das Gesprochene in seinem Kopf bewegen.<br />

Die Oberfläche ist nicht sein Terrain.<br />

Er versucht, Dinge durch Nachdenken zu lösen.<br />

Das hat er von der Uni, nicht vom Vater.<br />

Dessen berühmtes Bauchgefühl ersetzt der<br />

Sohn lange durch Fleiß und Akribie. Entscheidungen<br />

zu treffen fällt ihm nicht immer leicht,<br />

schließlich will er alles richtig machen.<br />

Doch am Ende ist es diese zurückhaltende,<br />

manchmal etwas zu grüblerische Art, mit der er<br />

sich gegenüber dem Vater durchsetzt. Er spielt<br />

nicht den Konkurrenten, sondern erledigt, was<br />

gerade dran ist. Aufgabe für Aufgabe. Das kann<br />

man langweilig nennen. Oder souverän.<br />

Es geht nicht mit dem Bauch allein<br />

„Der Heino hat nie mit den Füßen gescharrt“,<br />

sagt Henning Kreke. Der Douglas-Vorstand ist<br />

seit Jahren ein guter Freund. Deichmann gibt<br />

dem Vater Zeit loszulassen. Sich daran zu gewöhnen,<br />

dass der Sohn Dinge anders macht,<br />

dass man in einem internationalen Milliardenkonzern<br />

nicht nur auf den Bauch hören darf.<br />

Dass es nicht mehr mit handgeschriebenen<br />

Karteikarten funktioniert, sondern Programme<br />

braucht, die den unschönen Namen „Gesamtplanungsliste“<br />

tragen.<br />

Deichmann sagt: „Ach, ich könnte viele Dinge<br />

nennen, die ich ganz anders mache. Aber:<br />

Warum sollte ich das tun?“ Statt<strong>des</strong>sen erzählt<br />

er, wie er eines Tages, 1999 war es, zehn Jahre<br />

Deichmann ist ein<br />

Kapitalist, klar,<br />

aber einer mit<br />

ethischem<br />

Fundament<br />

Peter May Gründer der<br />

Intes Akademie für<br />

Familienunternehmen<br />

nach seinem ersten Tag in der Firma, ins Büro<br />

<strong>des</strong> Vaters geht und sagt, dass er, Heinrich, ja<br />

faktisch längst die Geschäfte führe, ob man das<br />

nicht auch mal so nennen möge?!<br />

Deichmann schweigt, sieht einen Moment<br />

fast vergnügt aus und sagt: „Kurz darauf haben<br />

wir das Organigramm geändert.“ Er weiß, wie<br />

viele Familienunternehmen an diesem Punkt<br />

scheitern, weil der Alte nicht loslassen kann<br />

und der Junge zu viel will.<br />

Der Vater habe das nicht ganz<br />

so toll gefunden, sagt Deichmann<br />

später. Aber alles in allem<br />

sei die Sache so gewesen. Kein<br />

Streit, keine Intrigen. Nur das<br />

Organigramm. „Viele in der<br />

Branche haben anfangs geglaubt,<br />

dass die Schuhe <strong>des</strong> Vaters<br />

für den Sohn zu groß sind,<br />

aber das waren sie nicht. Er hat<br />

den Generationswechsel hervorragend<br />

gemeistert“, sagt sein Geschäftspartner,<br />

der Tamaris-Schöpfer Horst Wortmann. Deichmann<br />

hat die Außenstehenden überrascht. Mal<br />

wieder. Im Hintergrund geschnurrt.<br />

Diese Geschichte passt zu ihm. Es würde aber<br />

auch passen, dass er einfach nichts Schlechtes<br />

sagen will, den Alten schützen, so wie alle, die<br />

ihm lieb sind. Vor allem seine Familie.<br />

Deichmanns Sohn studiert Wirtschaft. Die<br />

Frage, ob auch er dem Vater folgen wird, drängt<br />

sich auf. Deichmann schweigt. Er will keinen<br />

Druck aufbauen, dem Jungen die Wahl lassen.<br />

Die Tochter geht auf ein Internat. Ohne die Kinder<br />

fühlt es sich einsamer an in dem Haus, das<br />

er für seine Familie gebaut hat. Kein großes,<br />

aber ein perfekt gelegenes, im vornehmen Essener<br />

Süden mit freiem Blick in die Natur. Und<br />

ein Schwimmbad, das hat er sich, bei aller Bescheidenheit,<br />

dann doch gegönnt.<br />

Es ist kurz vor elf. Deichmann sitzt auf einem<br />

Hocker neben der Tanzfläche, sagt, dass er nie<br />

einen Tanzkurs gemacht habe. „Aber ein bisschen<br />

rumhüpfen, das kann ich schon.“ Macht<br />

er aber nicht. Dabei hat man ihn jüngst durchaus<br />

bei dem, was er Rumhüpfen nennt, gesehen,<br />

spät nachts und nicht mal schlecht.<br />

Doch das ist heute nicht dran. Nicht Deichmanns<br />

Aufgabe. Das Geschäft wartet nicht, bis<br />

er ausgeschlafen hat. So sieht man ihn kurze<br />

Zeit später, gerade als die Musik lauter und das<br />

Publikum lockerer wird, in ein Taxi steigen. Er<br />

will noch vor Mitternacht im Bett sein.<br />

Sollen ihn die anderen doch langweilig nennen.<br />

Oder souverän.<br />

Dezember 2012 impulse 25

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