Berliner Zustände - Mbr
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Definitions hoheit<br />
und Demütigungskultur<br />
Der alltägliche<br />
Rassismus der Polizei<br />
Mit dem Blick auf diese Geschehen stellt sich für die<br />
Beratungsprojekte die Frage, wie wir uns vor der Definitionsgewalt<br />
der Ermittlungsbehörden schützen<br />
können. Wieder einmal hat sich bestätigt, dass die<br />
Darstellung der Geschehnisse durch die Betroffenen<br />
extrem wichtig ist.<br />
Wir schreiben hier über einige wenige »ganz normale«<br />
Fälle, keine Morde zum Glück. Die Schilderungen<br />
<strong>Berliner</strong> Zeitung, 5.02.2002 | Morgenpost, 5.02.2002 |<br />
ReachOut<br />
Der Chronikeintrag sagt nichts über die Tragödie aus,<br />
die sich nach diesem Angriff abspielte. Zur besseren<br />
Nachvollziehbarkeit der Erschütterung des Betroffenen<br />
schildern wir im Folgenden etwas genauer, was<br />
geschehen war.<br />
hung« befand sich Herr R. zur Befragung beim LKA.<br />
Die Polizisten unterstellten ihm, dass Herr R. den<br />
Überfall vorgetäuscht habe und die Werkzeuge in der<br />
Wohnung oder im Keller versteckt haben könnte.<br />
In der Woche nach dem Überfall hatte Herr R. täglich<br />
Termine bei der Polizei. Er war krank geschrieben,<br />
musste jedoch trotzdem von morgens bis abends für<br />
Aussagen zur Verfügung stehen. Insgesamt fühlte er<br />
der Betroffenen geben uns Einblicke in ein System,<br />
Herr R. verließ nach einem Streit mit seiner Lebens-<br />
sich wie ein Verbrecher behandelt und keineswegs<br />
dessen Abgründe im Zusammenhang mit den Ta-<br />
gefährtin die gemeinsame Wohnung. Kurz darauf<br />
wie eine geschädigte Person, die einen Überfall an-<br />
ten des NSU nun auch einer größeren Öffentlichkeit<br />
wurde er angegriffen. Er trug Kleidung und Werk-<br />
zeigt.<br />
deutlich werden.<br />
zeuge für den nächsten Arbeitstag mit sich. Da er<br />
Erst als Herr R. klarmachte, dass er sich unter diesen<br />
Die Behörden sagen, dass sie alte nicht zweifelsfrei<br />
keine andere Möglichkeit sah, nach dem Angriff<br />
Umständen einen Anwalt besorgen wolle, verlief die<br />
ermittelte »Fälle« noch einmal prüfen wollen. Das<br />
Hilfe zu organisieren, ging er zurück zur gemeinsa-<br />
Befragung durch einen Beamten, der bisher nicht<br />
tun auch wir.<br />
men Wohnung. Auf seinem Weg konnte Herr R. die<br />
beteiligt war, korrekt.<br />
Täter noch von weitem sehen. Sie unterhielten sich<br />
Sowohl die Lebensgefährtin als auch Herr R. hat-<br />
Nicht Freund, nicht Helfer,<br />
laut, lachten und schleppten seine Koffer mit sich.<br />
ten den Eindruck, dass sich die Polizeibeamt_innen<br />
aber definitionsmächtig<br />
Zuhause angekommen, rief er die Polizei. Sie nahm<br />
insgesamt mehr für die Familienverhältnisse als für<br />
Wir schildern einen alltäglichen rassistisch moti-<br />
Herrn R. und seine Lebensgefährtin mit zur Wache.<br />
den eigentlichen Überfall interessierten. Einen gro-<br />
vierten Angriff, der mittlerweile zehn Jahre zurück-<br />
Herr R. erstattete Anzeige wegen Körperverletzung.<br />
ßen Teil ihrer Kraft mussten beide aufwenden, um<br />
liegt. Der Fall hatte nach Ansicht der Ermittlungs-<br />
Da die Polizei sich nicht für den Tatort interessiert<br />
die Unterstellung, die Lebensgefährtin habe Herrn<br />
behörden nicht stattgefunden. An einem weiteren<br />
hatte, suchten Herr R. und die Partnerin selbst auf<br />
R. verletzt, zu entkräften.<br />
Beispiel zeigen wir, welche Verletzungen Polizeibe-<br />
ihrem Nachhauseweg nach Spuren und fanden den<br />
amte bei ihrem ersten Auftritt an einem Tatort bei<br />
bis dahin vermissten Ohrring und die Armbanduhr.<br />
Von unterschiedlichen Arten der Verletzung<br />
Geschädigten hinterlassen können. Welche Folgen<br />
Herr R. wurde am nächsten Tag von zu Hause ab-<br />
19. August 2010 Berlin-Lichtenberg<br />
die Anwesenheit zum falschen Zeitpunkt am fal-<br />
geholt und zum Landeskriminalamt gebracht. Er<br />
Gegen 17.30 Uhr wird eine 43-jährige Frau von einer 36-jäh-<br />
Helga Seyb und Biplab Basu (ReachOut & KOP)<br />
schen Ort mit der falschen Hautfarbe haben kann,<br />
meinte, einen der Schläger bei der Lichtbildvorlage<br />
rigen Frau rassistisch beleidigt, als sie mit dem Auto in die<br />
wird das dritte Beispiel aus der Beratungspraxis zei-<br />
erkannt zu haben.<br />
Herzbergstraße einbiegt. Die 36-Jährige tritt gegen das Auto,<br />
Im Zusammenhang mit der Tatsa-<br />
gen. In den Beispielen, zu denen wir viele andere<br />
hinzufügen könnten, wird deutlich, dass Polizeibe-<br />
Mehrmals wurde Herrn R. bei seiner Befragung gesagt,<br />
dass man ihm den geschilderten Angriff nicht<br />
zerrt die Fahrerin aus dem Wagen und entreißt ihr das Handy,<br />
mit dem diese die Polizei anrufen will. Die 43-jährige Frau<br />
che, dass es einen »Nationalsozialistischen<br />
Untergrund« (NSU) gibt,<br />
dem bisher zehn Morde zugerechnet<br />
werden, erlangten wir Klarheit<br />
über Ermittlungsbehörden, die<br />
nicht in der Lage oder nicht Willens<br />
waren und sind, Hinweise auf<br />
amt_innen zuerst jedes andere Motiv für eine Tat in<br />
Betracht ziehen, bevor sie von Rassismus sprechen.<br />
Es wird auch deutlich, dass alleine Hautfarbe und<br />
seine vermeintliche Herkunft einen Menschen in<br />
Verdacht bringen, straffällig geworden zu sein.<br />
Ein Überfall, der nie stattfand<br />
2. Februar 2002 Berlin-Lichtenberg<br />
Ein schwarzer Portugiese wird nachts auf der Straße von drei<br />
Männern rassistisch angepöbelt. Einer der Männer greift an<br />
und schlägt und würgt den Portugiesen. Als drei weitere Män-<br />
glauben würde. Die Polizei versuchte mit großem<br />
Aufwand, ihre Version der Geschehnisse zu belegen.<br />
Ein Beamter, der sich als »Chef« der ganzen Abteilung<br />
vorstellte, sagte zu Herrn R., dass ja nun die<br />
Beziehung zu seiner Lebensgefährtin vorbei sei und<br />
dass, wenn Herr R. jetzt die Wahrheit sagen würde,<br />
sie vielleicht doch nicht vorbei sein könnte. Herr R.<br />
fühlte sich wie ein Kind behandelt.<br />
Einen Tag später waren sowohl Herr R. als auch<br />
die Lebensgefährtin vorgeladen. Sie wurden getrennt<br />
durch unterschiedliche Beamt_innen befragt.<br />
muss im Krankenhaus behandelt werden.<br />
Pressemeldung der Polizei, 20.08.2010 | Taz, 21.08.2010<br />
ND, 21.08.2010 | Antifa Hohenschönhausen | ReachOut<br />
So lautet die Meldung in unserer Chronik. Sie klingt,<br />
als sei es ein Fall, der schnell wieder in Vergessenheit<br />
gerät, idealerweise auch für die angegriffenen<br />
Frau. Leider war dem nicht so. Und zwar nicht, weil<br />
die Täterin sie verletzt hätte. Das wurde schnell nebensächlich:<br />
Die Polizei kam zum Tatort und sprach zuerst mit<br />
mögliche Tatmotivationen ernst zu<br />
nehmen.<br />
ner sich nähern, kann er sich befreien. Er sucht ohne Erfolg<br />
Hilfe, indem er an einem Wohnhaus klingelt und um Hilfe ruft.<br />
Er kann flüchten. Die Täter werden nicht gefasst.<br />
Die Beamtin, die die Lebensgefährtin befragt hatte,<br />
forderte von Herrn R. den Schlüssel zur gemeinsamen<br />
Wohnung. Während der »Wohnungsbege-<br />
allen anderen Personen, auch mit der Täterin. Sie<br />
sprach nicht Frau V. an, die sie zur Hilfe gerufen<br />
hatte. Sie fragte nicht nach ihren Verletzungen und<br />
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