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Rezension zu Büchern von Michel Foucault und ... - Thomas Schwarz

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<strong>Thomas</strong> <strong>Schwarz</strong> (Keimyung-Universität, Daegu) 3<br />

Boulainvilliers, es war also längst vor Clausewitz präsent, der <strong>zu</strong> ihm lediglich die<br />

Kontrafaktur geliefert hat. Es erlebt seinen ersten vorläufigen Höhepunkt im Anschluss an<br />

Darwin bei den Eugenikern <strong>und</strong> Rassenbiologen des ausgehenden 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Vielleicht<br />

am deutlichsten fassbar wird es in der europäischen Kolonialpolitik, die sich ideologisch auf<br />

die Umformulierung der biologischen Theorie vom ‚permanenten Krieg der Arten‘ <strong>zu</strong> einem<br />

‚Rassenkampf‘ stützt (60, 73f.). <strong>Foucault</strong> zeichnet das Bild eines Kampfes nach, der <strong>von</strong> einer<br />

„wahren Rasse aus geführt wird, nämlich jener, welche die Macht innehat <strong>und</strong> die Norm<br />

vertritt, gegen jene, die <strong>von</strong> dieser Norm abweichen <strong>und</strong> für das biologische Erbe eine Gefahr<br />

darstellen“ sollen. Aus dieser Konstellation heraus entsteht ein „Staatsrassismus“, in dem sich<br />

die Gesellschaft im Namen der Notwendigkeit einer „Reinigung“ gegen sich selbst wendet<br />

(75). „Es geht nicht mehr um Schlacht im kriegerischen Sinn, sondern um Kampf im<br />

biologischen Sinn: um Differenzierung der Arten, Selektion des Stärksten, Bewahrung der am<br />

besten angepaßten Rassen usw.“ (94) Eine Gesellschaft imaginiert sich als „biologisch<br />

monistisch“, als bedroht <strong>von</strong> „heterogenen Elementen“, <strong>von</strong> „Fremden“, die sich<br />

„einschleichen“. Der rassistische Staat wirft sich <strong>zu</strong>m Wächter über die „Reinheit der Rasse“<br />

auf, die er mit Hilfe <strong>von</strong> „medizinisch-normalisierenden Techniken“ <strong>zu</strong> sichern sucht (95f.).<br />

Es ist klar, dass dies dann vor allem für die Nazi-Diktatur gilt, aber <strong>Foucault</strong> macht in diesem<br />

Zusammenhang auch auf den Staatsrassismus sowjetischen Typs aufmerksam, der den<br />

‚Klassenfeind‘ <strong>zu</strong>m Abweichler, <strong>zu</strong>m Kranken <strong>und</strong> Verrückten stempelt, gegen den eine<br />

„medizinische Polizei“ aufgeboten wird (97).<br />

<strong>Foucault</strong>s Genealogie des Staatsrassismus geht <strong>von</strong> zwei historischen Schüben aus, die sich<br />

ineinander verklammern. Erstens die Entwicklung der Disziplinarmacht im 17. <strong>und</strong> 18.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, die sich auf die Dressur des individuellen Körpers richtete, eine<br />

Disziplinartechnologie der Arbeit, die im Dienst der Rationalisierung <strong>und</strong> Ökonomisierung<br />

ein System <strong>von</strong> Überwachen <strong>und</strong> Strafen installierte. Damit verknüpft sich im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

die „Bio-Macht“, deren „Biopolitik“ sich über den einzelnen Körper hinaus mit statistischen<br />

<strong>und</strong> demographischen Methoden auf die Bevölkerung <strong>und</strong> das Problem ihrer medizinischen<br />

Versorgung richtet, auf die Kontrolle <strong>von</strong> Geburt- <strong>und</strong> Sterberaten, der Fruchtbarkeit <strong>und</strong> der<br />

Krankheit (279ff.). Das Herausfallen aus dem Feld der Arbeitsfähigkeit, sei es durch Unfall,<br />

Gebrechen oder Alter wird <strong>von</strong> der Biopolitik als Überschreitung einer Grenze ins Feld der<br />

Anomalien gefasst, die es <strong>zu</strong> kontrollieren gilt. Die Erfindung flächendeckender<br />

Versicherungen <strong>und</strong> des kollektiven Sparens, aber auch Maßnahmen im Zuge einer<br />

Antiseuchenpolitik wie die Trockenlegung <strong>von</strong> Sümpfen haben hier ihren historischen Ort<br />

(282ff.). Diese neue Regulierungsmacht konzentriert sich derart auf das Leben, dass in der<br />

Geschichte des Todes eine Verdrängung hinter die Kulissen einsetzt, während die Sexualität<br />

ins Rampenlicht der Geschichte tritt (285ff.). Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts setzte die<br />

Disziplinierung der Sexualität beim Kind ein, indem man auf Techniken sann, die es vom<br />

Masturbieren abhalten sollten. Doch geht es hier nur scheinbar um eine Tabuisierung, in<br />

Wirklichkeit entzündet sich am Thema Sexualität eine in aller Öffentlichkeit geführte<br />

Debatte. Der Zusammenhang <strong>von</strong> Sexualität <strong>und</strong> Fortpflan<strong>zu</strong>ng rief die Bio-Macht in ihrer<br />

Funktion als Regulierungsmacht auf den Plan. Die „extreme medizinische Aufwertung der<br />

Sexualität im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert“ ergibt sich für <strong>Foucault</strong> aus deren Position zwischen Körper<br />

<strong>und</strong> Bevölkerung. In diesem Kontext bildet sich die „medizinische Vorstellung“, der <strong>zu</strong>folge<br />

eine <strong>und</strong>isziplinierte Sexualität zwei Auswirkungen zeitigt: Einerseits werden die sexuellen<br />

Ausschweifungen mit dem Risiko der Geschlechtskrankheit verkoppelt. Hierher gehört auch<br />

die Vorstellung, dass das masturbierende Kind <strong>von</strong> lebenslanger Krankheit bedroht sei.<br />

Andererseits gibt es das Konstrukt eines Effekts für die Bevölkerung, deren sexuell<br />

ausschweifendem Teil nachgesagt wird, seine Perversitäten würden sich über Generationen<br />

hinweg vererben. Aus der daraus entstehenden Degenerationspanik leitet sich der Aufstieg der<br />

Eugenik ab, die mit dem Anspruch auftritt, solche Probleme regulieren <strong>zu</strong> können. Die<br />

Medizin als Leitdisziplin macht sich hier als politische Interventionstechnik an der

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