seitenbühne Nr. 19 - Staatsoper Hannover
seitenbühne Nr. 19 - Staatsoper Hannover
seitenbühne Nr. 19 - Staatsoper Hannover
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<strong>seitenbühne</strong> 05.06<br />
Das Journal der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>
oper Proszenium<br />
Tanz ohne Dis-Tanz, bitte!<br />
Blättert man in einem Programmheft eines Ballettabends, sieht man, dass die Tänzerinnen<br />
und Tänzer meist nicht aus der lokalen Umgebung des Theaters kommen, sondern aus den<br />
unterschiedlichsten Regionen der Erde mit den verschiedensten Temperamenten und Lebensgewohnheiten.<br />
Auf allen Kontinenten wird getanzt, gibt es professionelle Ballettausbildung, Tänzer und<br />
Tanzkompanien. In verschiedenen Regionen hat der Standard der Ausbildung interessante<br />
Ursprünge. Zum Beispiel kommen viele sehr gut ausgebildete Tänzer aus Südamerika, was<br />
damit zusammenhängt, dass die Ballets Russes von Sergei Diaghilev ihre letzte Tournee dort<br />
abbrechen mussten, weil sie in finanzielle Nöte kamen. Einige der Kompaniemitglieder blieben<br />
dort und bauten eine Struktur von Schulen auf, die bis heute weiterwirkt.<br />
Das Ballettnetz spannt sich über die ganze Welt und ist eng geknüpft. Die Wege der Tanzschaffenden<br />
kreuzen sich immer wieder an entscheidenden Punkten, bei Choreographen,<br />
Kompanien, auf Tourneen oder auch manchmal Sommerkursen.<br />
Für Tänzer ist Sprache als Arbeits-Kommunikations-Notwendigkeit nicht vorrangig. Unsere<br />
Arbeit vermittelt sich direkt über den Körper, was uns die Freiheit gibt, unabhängig von<br />
Nationalitäten grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten.<br />
In ihrer Arbeit sind Tänzer einander sehr nah, sowohl körperlich als auch emotional. Sie sind<br />
aufeinander angewiesen und tragen füreinander große Verantwortung, da sie selbst bei<br />
einer kleinen Unachtsamkeit den Partner verletzen könnten.<br />
Einerseits müssen Tänzer, wie Sänger oder Schauspieler, ihre Persönlichkeit auf der Bühne<br />
zeigen, aber anders als in den anderen Sparten müssen sie sich auch extrem unterordnen<br />
können, denn im Ensemble ist jeder kleine Fehler sofort sichtbar und wirkt sich auf die<br />
ganze Gruppe aus. Die Spanne zwischen Egozentrik und Gleichklang verlangt Flexibilität<br />
von jedem einzelnen. Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie die Zusammenarbeit all<br />
dieser unterschiedlichen Künstler funktioniert, um eine gemeinsame Vision zu erschaffen:<br />
einen Ballettabend.<br />
Die Vielfalt und Internationalität des Tanzschaffens können Sie einmal mehr im Juni erleben,<br />
wenn fast alle Kompanien und viele freie Gruppen aus Braunschweig, Bremen, Bremerhaven,<br />
Hamburg, Kiel, Oldenburg, Osnabrück und <strong>Hannover</strong> im Rahmen des »8. Norddeutschen<br />
Tanztreffens« zusammenkommen.<br />
Erleben Sie Tanzproduktionen unterschiedlichster Stilrichtungen auf den Bühnen <strong>Hannover</strong>s!<br />
Ihr<br />
Jörg Mannes<br />
Ballettdirektor
02. 03 Ballett<br />
<strong>Hannover</strong><br />
begrüsst<br />
den Tanz aus<br />
dem Norden<br />
Vom 13. bis <strong>19</strong>. Juni 2010 ist<br />
das 8. Norddeutsche Tanztreffen<br />
– Tanzplan Bremen in allen<br />
Spielstätten der Staatstheater<br />
zu Gast.<br />
SO, 13. Juni<br />
ab 10 Uhr Einschreiben<br />
ab 11 Uhr Beginn, Opernplatz<br />
»Grösste Ballettklasse<br />
der Welt«<br />
Das 8. Norddeutsche Tanztreffen<br />
wird mit einem großen Fest<br />
DI, 15. Juni<br />
10.30 + 12.30 Uhr, Ballhof Zwei<br />
seven up<br />
Tanztheater für alle ab 6<br />
Den Tanz im norddeutschen<br />
auf dem Opernplatz eröffnet –<br />
Ballett der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />
Raum in all seinen Ausprä<br />
mit Musik, Tanz und einem<br />
Choreographie Pantelis Zikas<br />
gungen und Facetten zu<br />
Weltrekordversuch! Um 10 Uhr<br />
erschließen, darzustellen, zu<br />
vernetzen und damit in einen<br />
Dialog miteinander zu bringen,<br />
eröffnet Ballettdirektor Jörg<br />
Mannes das Festival mit dem<br />
Ziel, 2000 Teilnehmer zur<br />
18 Uhr, Ballhof Eins<br />
Darkland<br />
steptext dance project, Bremen<br />
ist die Grundidee des »Nord<br />
»Größten Ballettklasse der Welt«<br />
Choreographie Helge Letonja<br />
deutschen Tanztreffens –<br />
Tanzplan Bremen«.<br />
Das 8. Norddeutsche Tanztreffen<br />
wird vom 13. bis<br />
<strong>19</strong>. Juni 2010 von der Staats<br />
zu versammeln. Alle <strong>Hannover</strong>aner,<br />
ob jung oder alt, mit<br />
Tanzerfahrung oder ohne, sind<br />
dazu eingeladen, das Tanzen<br />
an der Ballettstange zu<br />
MO, 14. Juni<br />
18 Uhr, Ballhof Eins<br />
Bacon<br />
Tanztheater Osnabrück<br />
20 Uhr, Schauspielhaus<br />
Endstation Sehnsucht<br />
BallettVorpommern<br />
Choreographie und Inszenierung<br />
oper <strong>Hannover</strong> ausgerichtet.<br />
probieren!<br />
Choreographie Nanine Linning<br />
Ralf Dörnen<br />
Spielstätten sind das Opern<br />
Nominiert für den Deutschen<br />
haus, Schauspielhaus, Ballhof<br />
Eins und Zwei.<br />
In der Festivalwoche werden<br />
zahlreiche städtische und<br />
Staatstheater-Tanzensembles<br />
14.30 Uhr, Probebühne 2,<br />
Opernhaus<br />
Die Reise ins Land der<br />
Träume<br />
Club XS der <strong>Staatsoper</strong><br />
20 Uhr, Opernhaus<br />
Macbeth<br />
Tanztheater Braunschweig<br />
Konzept, Choreographie und<br />
Inszenierung Eva-Maria Lerchen<br />
Theaterpreis DER FAUST 2009<br />
sowie Ensembles der freien<br />
<strong>Hannover</strong>, für alle ab 6<br />
berg-Thöny nach William<br />
Szene aus dem norddeutschen<br />
Shakespeare<br />
Raum zu sehen sein – mit<br />
Einführungen jeweils 30<br />
Minuten vor der Vorstellung.<br />
Darüber hinaus wird ein<br />
18.30 Uhr, Opernhaus<br />
Ein Stück Zeit/<br />
Walking Mad<br />
Ballett der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />
Rahmenprogramm mit Events,<br />
Choreographie Jörg Mannes/<br />
Ausstellungen sowie Tanzwork<br />
Johan Inger<br />
shops angeboten.
Ballett<br />
Mi, 16. Juni<br />
16 Uhr, Start: Hauptbahnhof<br />
Tanz unterm Schwanz<br />
Leitung Günther Grollitsch<br />
18 Uhr, Ballhof Zwei<br />
2 Choreographien an<br />
einem Abend:<br />
The way to get mad<br />
Ballett des Stadttheaters<br />
Do, 17. Juni<br />
18 Uhr, Ballhof Zwei<br />
Luna<br />
Tanztheater für alle ab 14<br />
steptext young artists, Bremen<br />
Konzept, Leitung Augusto Jaramillo<br />
Sa, <strong>19</strong>. Juni<br />
13 Uhr, Opernhaus<br />
Tanz aus der Reihe<br />
Ein Tanzfest für und mit<br />
Kindern und Jugendlichen<br />
Bremerhaven<br />
Choreographie Sergei Vanaev<br />
insich<br />
artblau-Tanzwerkstatt,<br />
Braunschweig<br />
Choreographie Zufit Simon<br />
Pineda<br />
20 Uhr, Opernhaus<br />
Gestrandet – Four<br />
Pieces<br />
Ballett Kiel<br />
Ausstellung<br />
Tanzstadt <strong>Hannover</strong> II<br />
Plakatieren verboten!<br />
13.–26. Juni, vor und nach den<br />
Vorstellungen, Foyer Opernhaus<br />
20 Uhr, Ballhof Eins<br />
CLOSE TO PARADISE<br />
Commedia Futura, <strong>Hannover</strong><br />
Choreographie Felix Landerer<br />
Choreographie Mario Schröder,<br />
Silvana Schröder, Itzik Galili<br />
22 Uhr, Laves-Foyer Opernhaus<br />
Party<br />
Fr, 18. Juni<br />
18 Uhr, Ballhof Eins<br />
New Steps Spezial<br />
Junge Choreographen<br />
Mediathek<br />
13. – 18. Juni, vor und nach<br />
den Vorstellungen, Foyer<br />
Opernhaus<br />
21.30 Uhr, Ballhof Zwei<br />
3 Choreographien an<br />
einem Abend:<br />
...should have a chair<br />
20.30 Uhr, Schauspielhaus<br />
Voice<br />
nordwest/Tanztheater Bremen<br />
Choreographie Urs Dietrich<br />
EINTRITTSPREISE<br />
Opernhaus/Schauspielhaus<br />
15 Euro / erm. 7,50 Euro<br />
Ballhof Eins und Zwei<br />
Choreographie Wesley D’Alessandro<br />
Peering<br />
Compagnie Fredeweß, <strong>Hannover</strong><br />
Choreographie Hans Fredeweß<br />
Miniaturen<br />
10 Euro / erm. 7,50 Euro<br />
Das ganze Festival mit<br />
einer Karte: PLUSKARTE<br />
für alle 13 Vorstellungen<br />
Choreographie Gilles Welinski<br />
55 Euro / erm. 35 Euro<br />
(nur an der Kasse erhältlich)
04. 05 oper<br />
Ulrich Lenz<br />
Wilde Weiber, freie Frauen<br />
Die Walküre – ein Stück Emanzipation<br />
»Aller musikalischer Organismus ist seiner Natur nach aber –<br />
ein weiblicher. Die Musik ist ein Weib. Die Natur des Weibes ist<br />
die Liebe.«<br />
Richard Wagner, Oper und Drama<br />
War die Welt des Rheingold ganz bestimmt von der Selbstgefälligkeit<br />
der Männer und ihrer Gier nach Macht und Anerkennung, um<br />
die sich vor allem die beiden Widersacher Alberich und Wotan, aber<br />
auch die Brüder Fafner und Fasolt streiten, begleitet vom plumpen<br />
Imponiergehabe Donners und Frohs und den opportunistischen<br />
Schachzügen Loges; blieben die Frauen im ersten Teil des Ring also<br />
zumeist nur Anhängsel einer prahlerischen Männerwelt oder schlimmer<br />
noch Objekte von deren persönlichem oder politischem Tatendrang,<br />
so sind es in der Walküre drei Frauen, die das Geschehen in<br />
nicht unerheblichem Maße beeinflussen: Sieglinde, Fricka und Brünnhilde.<br />
Es scheint nicht aus der Luft gegriffen, den zweiten Teil von<br />
Wagners Der Ring des Nibelungen als »weiblichstes« Stück der gesamten<br />
Tetralogie zu sehen.<br />
Schon die mit dem bestimmten Artikel versehenen Titel der beiden<br />
Werke scheinen die Fokusverschiebung hin zum Weiblichen anzudeuten:<br />
Nennt Das Rheingold den Gegenstand männlicher Begierde<br />
– also das Gold, aus dem der Macht verheißende Ring geschmiedet<br />
wird – so rückt Die Walküre jenes »weibliche Prinzip« in den Mittelpunkt<br />
des Betrachters, das in diesem zweiten Teil der Tetralogie tatsächlich<br />
Gestalt annimmt und in der Figur Brünnhildes auch die<br />
weiteren Teile des Dramas entscheidend mitprägen wird.<br />
Und nicht nur Brünnhilde und ihre Auflehnung gegen den dominanten<br />
Vater macht Die Walküre zu einem Stück über weibliche Emanzipation.<br />
Selbst die gemeinhin als traditionsverbunden und fortschrittsfeindlich<br />
interpretierte Fricka hat sich von einer ihren Unwillen eher<br />
wirkungslos vortragenden, zur Erlangung ihrer eigenen Interessen<br />
den Gatten zumeist umschmeichelnden Begleiterin im Rheingold zu<br />
einer entschieden ihre moralischen Vorstellungen und deren Einhaltung<br />
einfordernden Kontrahentin in der Walküre emanzipiert.<br />
Dass sie mit den aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehbaren Forderungen<br />
so unsympathisch wirkt, mag nicht zuletzt daran liegen, dass<br />
auch ihr Schöpfer Wagner – darin durchaus ein Kind seiner Zeit –<br />
sich schwer tat mit dem Bild einer freien, unabhängigen Frau.<br />
»Die Natur des Weibes ist die Liebe«, heißt es in Oper und Drama.<br />
»Aber diese Liebe ist die empfangende und in der Empfängnis rückhaltlos<br />
sich hingebende. Das Weib erhält die volle Individualität erst<br />
im Momente der Hingebung.« Das klingt wie die Quadratur des Kreises,<br />
der verzweifelte Versuch einer Vereinigung von patriarchalischer<br />
Dominanz und weiblicher Emanzipation. Die weiblichen Figuren in<br />
Wagners Tetralogie sind denn auch – anders als noch Senta, Elisabeth<br />
oder Elsa – alles andere als »rückhaltlos sich hingebende« Frauen.<br />
Fast gewinnt man den Eindruck, als lehnten sie sich gegen ihren
oper<br />
eigenen Schöpfer auf! »Die Frauen im Ring bersten ausnahmslos<br />
vor Aktivität – Freia, ohne deren Äpfel die Tetralogie<br />
schon am Vorabend zu Ende ginge, Erda, die den<br />
Lauf der Tragödie zu einem frühen Zeitpunkt aufzuhalten<br />
versucht, Sieglinde, die treibende Kraft bei der Vereinigung<br />
mit Siegmund, Fricka, die Wotan zwingt, Dinge zu<br />
tun, die er lieber lassen wollte, und schließlich Brünnhilde,<br />
die in jeder Hinsicht das letzte Wort behält.« (Silke<br />
Leopold)<br />
Und der Tatendrang der Frauen macht auch vor der Sexualität<br />
keinen Halt. Liebe wird gerade in Wagners Tetralogie<br />
immer auch als körperliche Liebe verstanden, und<br />
mehr noch: Die im Ring thematisierte Sexualität zwischen<br />
Mann und Frau droht immer wieder alle gesellschaftlichen<br />
Normen zu sprengen. Ehe und Liebe kommen im<br />
Ring selten zu einer Deckung, und nicht zufällig bleiben<br />
die Ehen von Fricka und Wotan, Sieglinde und Hunding,<br />
Gutrune und Siegfried, Brünnhilde und Gunther kinderlos.<br />
Nachkommen entstammen ausnahmslos dem Ehebruch,<br />
wie Siegmund und Sieglinde oder Hagen; Brünnhilde ist<br />
das Ergebnis einer Vergewaltigung, Siegfried der Spross<br />
einer inzestuösen Verbindung. Der gesellschaftliche<br />
Sprengstoff, der Ende des <strong>19</strong>. Jahrhunderts in einem derartigen<br />
Bühnengeschehen liegen mochte, war nicht nur
0. 0 oper<br />
einer Fricka bewusst. Einmal mehr jedoch ermöglichte der Rückgriff<br />
auf den Mythos einen freieren Umgang mit derart brisanten Themen.<br />
Die neue Freiheit und Unabhängigkeit müssen sich Wagners Bühnenheldinnen<br />
aber ebenso wie die Frauen seiner Zeit erst noch erkämpfen.<br />
Von Wotans Gemahlin Fricka einmal abgesehen, sind alle<br />
anderen Frauen in der Walküre Unterdrückte, den Männern Ausgelieferte:<br />
Sieglinde lebt in Furcht vor Hunding, die Walküren fürchten<br />
sich vor Wotans Zorn; und scheinen allen Grund dazu zu haben,<br />
denn die Strafe des Vaters für die ungehorsame Tochter ist grausam,<br />
will sie Brünnhilde doch gerade in ihrer Weiblichkeit demütigen<br />
und erniedrigen: Im Schlaf soll sie wehrlos jedem Dahergelaufenen<br />
ausgeliefert sein. Einzig und allein Brünnhildes eindringliches Flehen<br />
vermag die Strafe zu mildern: Wohl bleibt sie dem Diktat eines<br />
zukünftigen Mannes ausgeliefert, aber der Feuerkranz um ihre<br />
Schlafstatt trifft zumindest eine selektive Auswahl, wer sich ihrer<br />
bemächtigen wird.<br />
WOTAN<br />
Was keinem in Worten ich künde,<br />
unausgesprochen bleib´ es denn ewig:<br />
mit mir nur rat´ ich, red´ ich zu dir.<br />
sondern auch der entschlossene Verzicht Siegmunds auf alle Wonnen<br />
und Freuden Walhalls – aus Liebe zu Sieglinde. Utopische Momente<br />
einer neuen Zuteilung der Geschlechterrollen, einer Verschmelzung<br />
von Weiblichem und Männlichem jenseits von<br />
Sexualität.<br />
»Wenn wir jetzt von ›Mensch‹ reden, sind wir allerdings so lieblos<br />
dumm, unwillkürlich uns immer nur den Mann zu denken.<br />
Allein, der wirkliche Mensch ist Mann und Weib, und nur in der<br />
Vereinigung von Mann und Weib existiert erst der wirkliche<br />
Mensch.« (Wagner an August Röckel, 25. Januar 1854)<br />
Sowohl Sieglinde als auch Brünnhilde lehnen sich gegen das Diktat<br />
des Mannes auf. Sieglindes Ehebruch mit dem eigenen Bruder ist<br />
zunächst und vor allem ein Akt der Befreiung aus der Unterdrückung<br />
durch den Ehemann. Davon spricht auch die stets unruhig und unaufhaltsam<br />
vorwärts drängende Musik des gesamten 1. Aktes der<br />
Walküre. Brünnhilde, die »Wunschmaid«, die bisher nur dem Willen<br />
ihres Vaters folgte, emanzipiert sich von ihrer Abhängigkeit, widersetzt<br />
sich dem väterlichen Befehl und handelt, indem sie ihren Willen<br />
dem Wotans entgegenstellt, zum ersten Mal wirklich eigenständig<br />
und unabhängig.<br />
Zwischen diesen beiden Polen von Weiblichkeit scheint Wagners<br />
Walküre aufgespannt zu sein: Begegnet uns im 1. Akt der Oper die<br />
leidenschaftlich liebende Frau, die dem neu erwählten Mann bedingungslos<br />
folgt, so eröffnet ein Heer kriegerischer, männliche Gewalt<br />
und Aggression förmlich herausschreiender Frauen den 3. Akt. Und<br />
wie Wagner in seiner Musik für Sieglinde immer neue zarte Töne der<br />
Holzbläser findet, so entfesselt das Blechbläser-geschwängerte Orchester<br />
für den berühmten Walkürenritt seine ganze geballte Kraft.<br />
Im Rausch des Klanges erscheinen die Walküren mit ihren kraftvoll<br />
herausgeschleuderten »Hojotoho!«-Rufen fast wie antike Mänaden.<br />
Zwischen diesen beiden Akten aber steht nicht nur Wotans langes<br />
Gespräch mit Brünnhilde, dessen Beginn eine innere Wesenseinheit<br />
von Vater und Tochter heraufbeschwört:<br />
Die Walküre<br />
Oper von Richard Wagner<br />
Erster Tag der Tetralogie Der Ring des Nibelungen<br />
Musikalische Leitung Wolfgang Bozic Inszenierung Barrie Kosky Bühne und<br />
Licht Klaus Grünberg Kostüme Klaus Bruns Dramaturgie Ulrich Lenz<br />
Siegmund Vincent Wolfsteiner Hunding Albert Pesendorfer Wotan Robert Bork<br />
Sieglinde Kelly God Brünnhilde Brigitte Hahn Fricka Khatuna Mikaberidze<br />
Gerhilde Nicole Chevalier/Karen Frankenstein ORtlinde Carmen Fuggiss<br />
Waltraute Monika Walerowicz Schwertleite Sandra Fechner Helmwige Arantxa<br />
Armentia Siegrune Mareike Morr Grimgerde Valentina Kutzarova Rossweisse<br />
Julia Faylenbogen<br />
Einführungsmatinee Sonntag, 16. Mai 2010, 11 Uhr<br />
Premiere Sonntag, 23. Mai 2010, 16 Uhr<br />
Die Premiere wird live im Radio übertragen auf NDR Kultur.<br />
Wagner und die »Völsungar«. Isländische Quellen in »Der Ring des Nibelungen«.<br />
Vortrag des isländischen Forschers Árni Björnsson.<br />
Samstag, 8. Juni 2010, <strong>19</strong>.30 Uhr, Laves-Foyer<br />
In Zusammenarbeit mit dem Europäischen Informations-Zentrum Niedersachsen.<br />
Symposium »Musikalische Räume bei Richard Wagner«<br />
Sonntag, 9. Juni 2010, 13.15–17.30 Uhr, Hochschule für Musik und Theater<br />
BRÜNNHILDE<br />
Zu Wotans Willen sprichst du,<br />
sagst du mir, was du willst;<br />
wer bin ich, wär´ ich dein Wille nicht?<br />
Mit freundlicher Unterstützung von<br />
Hauptsponsor
Kantinenplausch<br />
Marian Joel Küster<br />
Zusammen schmeckt’s am besten!<br />
Der kroatische Tenor Ivan Turšić<br />
Wenn man Ivan Turšić nach seinem Lieblingsessen<br />
aus seiner Kindheit fragt, so muss<br />
er erst einmal kurz überlegen. »Es gab so<br />
viel, was ich gern mochte«, sagt er. »Meine<br />
Mutter hat immer sehr gut gekocht.« Doch<br />
am liebsten war ihm das traditionelle nordkroatische<br />
Weihnachtsessen: gebackene Pute<br />
mit einem speziellen Weizenteig. Er erinnert<br />
sich noch genau an die Weihnachtsfeste, an<br />
die Stimmung und die innige Gemeinschaft,<br />
die an diesen Tagen herrschte. »Morgens<br />
gab es Geschenke, dann gingen wir in den<br />
Gottesdienst. Mutter blieb zu Hause und<br />
kochte, und als wir wiederkamen, saßen wir<br />
alle zusammen und aßen die Pute. Es waren<br />
schöne Tage voller Entspannung. Wir wussten,<br />
nach dem Essen konnten wir tun was<br />
wir wollten – und später gab es Kaffee und<br />
Kuchen.« Ivan Turšić liebte es, als Kind zu<br />
malen und zu zeichnen, doch auch seine Legosteinsammlung,<br />
aus der er immer wieder<br />
neue Bauten errichtete, war beachtlich. Oft<br />
sagte man ihm: »Ivan, du wirst mal Architekt!«<br />
Doch alles sollte anders kommen,<br />
denn neben seiner Leidenschaft für die Architektur<br />
war er immer schon musikbegeistert.<br />
Er sang im Kirchenchor, spielte Akkordeon<br />
und hatte sogar ein Abonnement bei<br />
der Zagreber Oper.<br />
In der Zeit, als er im Kirchenchor sang, war<br />
einer seiner guten Freunde Organist und<br />
Leiter des Kirchenchors, und Ivan Turšić<br />
stand oft bei ihm, um ihm die Noten umzublättern.<br />
Irgendwann begann er, zu der Musik<br />
Psalmen zu singen. Als das positiv von<br />
der Gemeinde aufgenommen wurde, weiteten<br />
sich die Gesangseinlagen des jungen<br />
Tenors aus. Seine Naturstimme wurde gern<br />
gehört und so sang er alsbald auf vielen<br />
Hochzeiten. »Manchmal hatten wir bis zu<br />
sechs Hochzeiten an einem Wochenende, in<br />
den Neunzigern wurde wohl gern geheiratet<br />
...«, schmunzelt er. Zwar wurde er nicht<br />
reich mit dem Hochzeitsgesang, doch konnte<br />
er gut 50 Euro am Wochenende verdienen.<br />
Nach seinem Abitur studierte er zunächst<br />
Bauwissenschaft und schloss das Studium<br />
mit einem Diplom ab. Doch schon während<br />
des Studiums wurde ihm klar, dass er nur<br />
singen wollte. So schrieb er sich anschließend<br />
an der Musikakademie in Zagreb ein.<br />
Schon während seiner Ausbildung stand er<br />
in verschiedenen Rollen auf der Bühne des<br />
Nationaltheaters Zagreb. Ab 2003 setzte er<br />
sein Gesangsstudium bei Dunja Vejzović an<br />
der Musikhochschule in Stuttgart fort und<br />
beendete es im Februar 2007 mit Auszeichnung.<br />
Dort war er dann auch an der Jungen<br />
Oper und der <strong>Staatsoper</strong> tätig und kam im<br />
Sommer 2007 nach <strong>Hannover</strong>.<br />
Wenn er jetzt an seine Heimat denkt, so<br />
denkt er immer an Zagreb, doch Heimweh<br />
beschleicht ihn erst, wenn ihm das Ferienhaus<br />
seiner Familie am Meer in den Sinn<br />
kommt. Und ab und an setzt er sich dann vor<br />
seinen Computer, öffnet Google Earth und<br />
schaut sich das Ferienhaus von oben an.<br />
»Man sollte sich immer einen kleinen Hafen<br />
schaffen«, sagt Ivan Turšić. Zu diesem Satz<br />
fällt ihm seine Zeit in Stuttgart ein und die<br />
Inszenierung von Erwin, das Naturtalent, in<br />
der er selbst mitwirkte. »In jedem steckt ein<br />
kleiner Erwin – und man sollte so wie er<br />
auch immer auf seine eigene kleine Insel<br />
zurück gehen können.« Einen Hafen schafft<br />
Ivan Turšić sich mal mit einem leckeren Essen,<br />
doch eher mit seiner Familie. »So lange<br />
man zur Ruhe kommt, um sich dann auf bestimmte<br />
Dinge zu konzentrieren, kann einem<br />
nicht viel passieren«. Wichtig ist für ihn die<br />
Gemeinschaft, sei es die der Familie oder die<br />
der Kollegen am Opernhaus. Sein Vater hat<br />
viele Zwetschgen- und Birnbäume, berichtet<br />
er, und daraus brennt er Schnaps. Aber<br />
auch Wurst macht der Vater selbst. »Und<br />
wenn man dann nach einem langen Arbeitstag<br />
zusammen sitzt, hole ich den<br />
Schnaps oder die Wurst aus meiner Tasche,<br />
denn: Zusammen schmeckt’s am besten!«<br />
Pute mit Plinsen<br />
(Purica s mlincima)<br />
Zutaten:<br />
Eine Putenhälfte___Gewürze___Nudelteig oder Lasagneblätter<br />
Ein beliebtes Gericht rund um Zagreb ist »Purica s<br />
mlincima« (Pute mit Plinsen). Dies ist eine mit Salz<br />
und Gewürzen eingeriebene Putenhälfte, die im Ofen<br />
gebraten wurde. Hinzu kommt in Stücke gerissener<br />
dünner Nudelteig, der kurz in sprudelnd kochendes,<br />
leicht gesalzenes Wasser gegeben wurde. Die abgetropften<br />
Mlinci werden dann in eine Bratensoße<br />
gelegt und mit der gebratenen Pute serviert.
Brigitte Knöss<br />
Nimm dir Zeit<br />
Zur Uraufführung des Balletts Ein Stück Zeit von Jörg Mannes<br />
Auch wenn der Zeiger steht, die Zeit vergeht.<br />
Sprichwort<br />
Sekunden, Minuten, Stunden – für die Physik<br />
ist die Zeit eine Größe zur Erfassung der<br />
Dauer von Vorgängen oder Ereignissen. Die<br />
Einheiten des Maßsystems sind von der Erdumdrehung,<br />
die annähernd 24 Stunden beträgt,<br />
abgeleitet. Vor der Erfindung exakter<br />
Messinstrumente wie der Uhr orientierte<br />
sich das Zeitempfinden der Menschen allein<br />
am Beobachten und Erleben – dem Wechsel<br />
zwischen Tag und Nacht, den Jahreszeiten,<br />
dem Werden und Vergehen in der Natur,<br />
dem Älterwerden. Das Phänomen Zeit als<br />
physikalische Größe formulierte Isaak Newton<br />
Ende des 17. Jahrhunderts: »Die absolute,<br />
wahre und mathematische Zeit verfließt<br />
an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig<br />
und ohne Beziehung auf irgendeinen<br />
äußeren Gegenstand.« Aber Jetzt ist nicht<br />
Jetzt: Blitz und Knall eines Schusses werden<br />
aus unmittelbarer Nähe als gleichzeitig erlebt,<br />
von weitem werden Blitz und Knall getrennt<br />
wahrgenommen. Zwei Beobachter<br />
nehmen ein Ereignis nur aus gleicher Entfernung<br />
von diesem als gleichzeitig wahr.<br />
Physikalisch gehören deshalb Zeit und Raum<br />
zusammen. Albert Einsteins Spezielle Relativitätstheorie<br />
von <strong>19</strong>05 widerlegt Newtons<br />
absoluten Zeitbegriff, indem sie den Bewegungszustand<br />
des Beobachters und der Veränderbarkeit<br />
der Masse durch ihre Beschleunigung<br />
berücksichtigt, und führt den Begriff<br />
der Raumzeit ein. Obwohl die Forschung zu<br />
immer weiter reichenden Erkenntnissen<br />
führt, bleibt das menschliche Empfinden davon<br />
nahezu unbeeinflusst: Die Zeit vergeht<br />
und lässt sich nicht umkehren.<br />
Einszweidrei, im Sauseschritt<br />
läuft die Zeit, wir laufen mit.<br />
Wilhelm Busch<br />
Philosophisch betrachtet ist die Zeit an die<br />
Veränderung gekoppelt. Aristoteles sieht die<br />
Zeit als eine Kontinuität, in der das Jetzt wie<br />
ein Punkt auf einer Linie in die Zukunft läuft<br />
und die Gegenwart hinter sich lässt. Zeit<br />
und Raum sind für Gottfried Wilhelm Leibniz<br />
lediglich gedankliche Konstruktionen, um<br />
die Beziehung zwischen Ereignissen zu beschreiben.<br />
Keine Realität haben Zeit und<br />
Raum nach Immanuel Kant, sind aber als<br />
unmittelbare menschliche Welterkenntnis<br />
untrennbar mit unserem Dasein verbunden.<br />
Verweile doch! Du bist so schön.<br />
Johann Wolfgang von Goethe<br />
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind<br />
mit individueller Erinnerung, Befindlichkeit<br />
und Erwartung verknüpft. Zwischen subjektiv<br />
wahrgenommener und objektiv messbarer<br />
Zeit besteht ein oft deutlicher Unterschied.<br />
Die Alten Griechen benutzten für<br />
letztere – die äußere Zeit – den Begriff Chronos,<br />
während sie das unregelmäßige innere<br />
Zeitgefühl mit Kairos bezeichneten. Unaufhaltsam<br />
läuft die Zeit, manchmal scheint sie<br />
uns endlos, dann wieder vergeht sie ›wie im<br />
Flug‹. Ereignisreiche Zeitspannen erleben<br />
wir als kurz, in der Erinnerung erscheinen
sie dann allerdings lang, während sich ereignisarme<br />
Zeiträume zu dehnen scheinen,<br />
im Rückblick aber kurz wirken.<br />
Sie litten alle unter der Angst, keine Zeit<br />
für alles zu haben, und wussten nicht,<br />
dass Zeit haben nichts anderes heißt, als<br />
keine Zeit für alles zu haben.<br />
Robert Musil<br />
Ein Stück Zeit<br />
Der reine Tanz in Relation zu einem Element<br />
stand schon in Jörg Mannes´ Ballett Lux im<br />
Zentrum. Nach dieser sowohl tänzerisch als<br />
auch visuell subtilen und überraschenden<br />
Auseinandersetzung mit dem Licht umkreist<br />
Jörg Mannes jetzt die Zeit. Mit den Mitteln<br />
der Bühne und der Choreographie wird<br />
dieses Phänomen in seiner neuen Arbeit Ein<br />
Stück Zeit ästhetisch überhöht und neu erfahrbar.<br />
Jörg Mannes: Die Zeit ist eines der großen<br />
Mysterien, wir können sie in gewisser Weise<br />
messen, aber nicht wirklich erfassen.<br />
Wie schon bei Lux arbeite ich in Ein Stück<br />
Zeit eher assoziativ, greife einzelne Aspekte<br />
heraus und umspiele sie. In diesem reinen<br />
Tanzstück spielt die Lust an der Bewegung<br />
eine große Rolle, und immer stellen sich feine<br />
Bezüge zum Thema Zeit her. Dabei suche<br />
ich nicht so sehr nach allgemein gültigen<br />
Aussagen, sondern gehe eher mit den realen<br />
Gegebenheiten der Bühne und der<br />
Tänzer um.<br />
Das Zeitempfinden ist individuell unterschiedlich,<br />
aber gerade im Ballett kommt es<br />
häufig darauf an, als Gruppe und mit dem<br />
Orchester im Gleichklang zu sein.<br />
Tänzer sind diesbezüglich sehr feinfühlig,<br />
sie schöpfen ihr Zeitempfinden aus der Bewegung,<br />
und sie reagieren aufgrund ihrer<br />
Ausbildung und der langjährigen Praxis<br />
ganz instinktiv. Dabei stellt die Schwerkraft<br />
eine wichtige Konstante dar: Bei jedem<br />
Sprung weißt du, wie viel Kraft du aufgewendet<br />
hast, und es braucht eine gewisse<br />
Zeit, bis du wieder am Boden bist. Du spürst<br />
die Zeit förmlich ...<br />
Aus dem weiten Feld des Themas greift Jörg<br />
Mannes einige Aspekte der Zeit heraus und<br />
visualisiert sie durch Tanz.<br />
Verzögerung und Beschleunigung untersuche<br />
ich anhand wiedererkennbarer Bewegungsfolgen,<br />
um das Phänomen für das Publikum<br />
nachvollziehbar zu machen. Auch mit zeitlicher<br />
Begrenzung und Verschiebung arbeite<br />
ich. Das genaue Timing zwischen Tänzern<br />
spielt in gewissen Teilen dieser Choreographie<br />
eine besondere Rolle – etwa weil<br />
sie sich sonst verfehlen würden –, aber auch<br />
das zeitliche Auseinanderdriften verwende<br />
ich bewusst. Zudem mache ich gewisse szenische<br />
Setzungen, wie einen Kreis als Zeit-<br />
Raum und dessen Umfeld als nicht-zeitlichen<br />
Raum. Mir liegt daran, dem Mysterium Zeit<br />
mit den Mitteln der Kunst interessante Aspekte<br />
abzugewinnen und durch den Tanz<br />
die Zuschauer sehr spielerisch zu einer ungewohnten<br />
Sichtweise zu führen.<br />
Nimm dir Zeit, um zu träumen; das ist der<br />
Weg zu den Sternen. Irisches Sprichwort
Walking Mad<br />
Herausragende Werke international renommierter<br />
Choreographen sind ein fester Bestandteil<br />
im Programm des Balletts der<br />
<strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>. Nach Choreographien<br />
von Nacho Duato, William Forsythe und<br />
Mauro Bigonzetti wird die Reihe mit Walking<br />
Mad von Johan Inger fortgesetzt.<br />
Maurice Ravels Boléro erfährt in Johan Ingers<br />
Walking Mad eine eigenwillige und<br />
faszinierende Interpretation. Der Choreograph<br />
balanciert mit seiner verrückten Komödie<br />
zwischen reinem Tanz und theatralem<br />
Effekt. In die Begegnung dreier Frauen<br />
mit den Männern ihres Lebens mischt sich<br />
Witz mit einem ernsten Unterton. Die oft bizarren,<br />
surrealen Situationen werden bestimmt<br />
vom Rhythmus des Bolero, der die<br />
Tänzer erfasst und durch das Stück treibt.<br />
Johan Inger<br />
Der Schwede Johan Inger erhielt seine Ausbildung<br />
an der Royal Swedish Ballet School<br />
und der National Ballet School in Toronto,<br />
Kanada. Seine Laufbahn begann <strong>19</strong>85 im<br />
Ensemble des Royal Swedish Ballet, wo er<br />
<strong>19</strong>89 zum Solisten avancierte. Inger folgte<br />
ein Jahr später dem Ruf Jiří Kyliáns nach<br />
Den Haag und entwickelte sich zu einem der<br />
profiliertesten Tänzer des Nederlands Dans<br />
Theater 1. Nach ersten Choreographien im<br />
Rahmen von Workshops des NDT hatte Inger<br />
sein offizielles Debüt als Choreograph beim<br />
Holland Dance Festival mit Mellantid, das<br />
ihm im Jahr <strong>19</strong>96 den Philip Morris Finest<br />
Selection Award in der Kategorie Zeitgenössischer<br />
Tanz einbrachte. Im Jahr 2001 wurde<br />
das Stück für den Laurence Olivier Award<br />
in der Kategorie Best New Dance Production<br />
nominiert. Auf Mellantid folgten viele weitere<br />
Choreographien für die drei Ensembles<br />
des renommierten NDT, wie Sammanfall,<br />
Couple of Moments, Round Corners und Out<br />
of breath. Für seine Ballette Dream Play und<br />
Walking Mad erhielt Inger im Jahr 2001 den<br />
Lucas Hoving Production Award. Walking<br />
Mad – in der späteren Fassung für das<br />
schwedische Cullberg Ballett – wurde zudem<br />
mit dem Danza & Danza’s Award 2005<br />
ausgezeichnet.<br />
Im Jahr 2003 verließ Johan Inger das Nederlands<br />
Dans Theater, um die künstlerische<br />
Leitung des Cullberg Balletts zu übernehmen.<br />
In den folgenden sechs Jahren schuf er<br />
eine Vielzahl von Choreographien für diese<br />
Compagnie, wie Home and Home, Phases,<br />
In Two Within Now, As if, Negro con Flores<br />
und Blanco. Zum 40. Geburtstag des Cullberg<br />
Balletts kreierte Inger 2007 Points of<br />
eclipse. Im Sommer 2008 legte er seine<br />
Stelle als Künstlerischer Direktor nieder, um<br />
sich ganz der Choreographie zu widmen.<br />
2009 entstand Position of Elsewhere für das<br />
Cullberg Ballett. Im selben Jahr wurde Johan<br />
Inger Associate Choreographer des Nederlands<br />
Dans Theaters, zu dessen 50. Jubiläum<br />
er dissolve in this schuf.<br />
Ein Stück Zeit / Walking Mad<br />
Ballette von Jörg Mannes und Johan Inger<br />
Ballett der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />
Ein Stück Zeit<br />
Ballett von Jörg Mannes (Uraufführung)<br />
Musik von Alberto Iglesias, Michael Nyman, Dustin<br />
O’Halloran, Giovanni Sollima und anderen<br />
Choreographie Jörg Mannes Bühne Lars Peter Kostüme<br />
Heidi de Raad Licht Peter Hörtner Dramaturgie<br />
Brigitte Knöß<br />
Walking Mad<br />
Ballett von Johan Inger. Musik von Maurice Ravel<br />
Choreographie, Bühne und Kostüme Johan Inger<br />
Licht Erik Berglund<br />
Premiere 10. Juni 2010, <strong>19</strong>.30 Uhr<br />
Weitere Vorstellungen 13. und 22. Juni 2010
Neue Presse, 12.04.10<br />
»So macht Rossini richtig Spaß!«<br />
<strong>Hannover</strong>sche Allgemeine<br />
Zeitung, 12.04.10<br />
»An diesem Abend wird der Wunsch zur Wirklichkeit:<br />
gute Unterhaltung!«<br />
Frankfurter Rundschau, 13.04.10<br />
»Die phantastische Musik von Rossini [wird] unter<br />
der Leitung von Gregor Brühl mit exquisitem<br />
Espressivo und, wo nötig, auch in vital-virtuoser<br />
Herrlichkeit vom Orchester interpretiert. ... Das<br />
zeigt uns wieder, wie einfach das Leben, die Liebe<br />
und besonders die komische Oper sein können,<br />
wenn man sie nicht hypertrophiert oder zersetzt,<br />
sondern einfach ihrem Esprit vertraut. Und wenn<br />
man, was in <strong>Hannover</strong> der glückliche Fall ist, ein<br />
Ensemble vereint, das unglaublich großen Spaß am<br />
eigenen Tun hat. Chapeau!«<br />
Il viaggio a Reims<br />
(Die Reise nach Reims)<br />
von Gioacchino Rossini<br />
in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln<br />
Musikalische Leitung Gregor Bühl Inszenierung<br />
Matthias Davids Bühne Marina Hellmann Kostüme<br />
Leo Kulaš Dramaturgie Ulrich Lenz<br />
Corinna Karen Frankenstein/Dorothea Maria Marx<br />
La Marchesa Melibea Julia Faylenbogen/Monika<br />
Walerowicz La Contessa di Folleville Nicole Chevalier/Hinako<br />
Yoshikawa Madama Cortese Carmen<br />
Fuggiss/Ania Vegry Il Cavaliere Belfiore Ivan Turšić<br />
Il Conte di Libenskof Sung-Keun Park Lord Sidney<br />
Tobias Schabel Don Profondo Frank Schneiders Il<br />
Barone di Trombonok Shavleg Armasi Don Alvaro Jin-<br />
Ho Yoo/Stefan Zenkl Don Prudenzio Young Myoung<br />
Kwon Delia Anke Briegel Maddalena Mareike Morr<br />
Modestina Sandra Fechner Antonio Marek Durka/Peter<br />
Michailov<br />
Chor der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />
Niedersächsisches Staatsorchester <strong>Hannover</strong><br />
Die letzten Vorstellungen 7. und 9. Mai, 2. und 23.<br />
Juni 2010
12. 13 oper<br />
Sylvia Roth<br />
»Man muss es fühlen ...«<br />
Der neue 1. Kapellmeister Ivan Repušić dirigiert Rigoletto<br />
»Ich brauche mehr Proben mit den Sängern!«<br />
– das ist das erste, was Ivan Repušić sagt,<br />
als er voller Tatendrang in die Kantine der<br />
<strong>Staatsoper</strong> stürmt. Gestern Abend erst aus<br />
Kroatien in <strong>Hannover</strong> eingetroffen, hat er<br />
bereits eine zweistündige Korrepetition mit<br />
den Sängern hinter sich und verhandelt nun<br />
mit Studienleiter Robert Roche über zusätzliche<br />
Probenzeiten. Eine enorme Energie ist<br />
es, die er dabei verbreitet – und eine große<br />
Begeisterung für das, was er tut. Ab der<br />
kommenden Spielzeit wird der junge Dirigent<br />
als 1. Kapellmeister in <strong>Hannover</strong> engagiert<br />
sein; nun kann man ihn im Vorfeld<br />
bereits als musikalischen Leiter der Wiederaufnahme<br />
von Rigoletto erleben.<br />
Zwar dirigiert Repušić den Rigoletto zum<br />
ersten Mal (und mit ihm debütieren auch<br />
mehrere Sänger, so zum Beispiel Nicole Chevalier<br />
und Ania Vegry als Gilda), doch in seiner<br />
Position als Chefdirigent in Split hat er<br />
bereits zahlreiche Verdi-Opern geleitet. »In<br />
Split wird mehr italienisches als deutsches<br />
Repertoire gespielt«, berichtet er und äußert<br />
seinen großen Respekt vor Verdis Œuvre<br />
und insbesondere dem Rigoletto: »Man muss<br />
diese Partitur so ernst nehmen wie eine Beethoven-Sinfonie,<br />
denn das Ziel ist, sie vollkommen<br />
zu durchdringen.« Um den Verlauf<br />
der Geschichte zu intensivieren, sei es ihm<br />
wichtig, in seinem Dirigat eine Linie vom<br />
Anfang bis zum Ende zu ziehen: »Ich will,<br />
dass man das Schicksal, das in dem Stück<br />
drin ist, von der ersten Note an spürt«, erklärt<br />
er leidenschaftlich und schwärmt von<br />
der Reinheit, die in der Gilda-Partie zum<br />
Ausdruck komme, von den tragischen Momenten<br />
des Rigoletto, dem Freiheitsdrang<br />
des Duca und der Dramatik, die der Fluch<br />
des Monterone mit sich bringe. Verdi habe<br />
in den Phrasierungen der Gesangspartien<br />
alles notiert, was für die Interpretation der<br />
Charaktere wichtig sei – man müsse es nur<br />
finden, fühlen und interpretieren. Diesen<br />
Findungsprozess vollzieht Repušić gemeinsam<br />
mit den Sängern und er legt viel Wert<br />
darauf, dass das Orchester dabei nicht zur<br />
bloßen Begleitung degradiert wird, sondern<br />
ebenfalls vom Geist des Stückes durchdrungen<br />
ist. »Das Orchester spielt eine ebenso<br />
große Rolle wie die Sänger. Dirigieren bedeutet,<br />
Solisten, Chor und Orchester zu<br />
einem Klang zusammenzufassen.«<br />
Die Begeisterung für sein Metier hatte<br />
Repušić schon als 14-Jähriger, als er kurzerhand<br />
beschloss, die Leitung eines Kirchenchors<br />
seiner Heimatstadt Zadar an der kroatischen<br />
Küste zu übernehmen. »Das erfüllte<br />
mich mit sehr viel Glück«, erinnert er sich,<br />
»und ich merkte, dass ich das unbedingt beruflich<br />
machen will.« Also nahm er das Studium<br />
an der Hochschule in Zagreb auf und<br />
assistierte im Anschluss bei Kazushi Ono in<br />
Karlsruhe. Neugierig auf die Praxis, fing er<br />
schon mit 23 Jahren als Dirigent am Opernhaus<br />
in Split an, dessen Chefdirigent er von<br />
2005 bis 2009 war. Neben zahlreichen Gastdirigaten<br />
– auch im sinfonischen Bereich –<br />
hat er außerdem die künstlerische Leitung<br />
der Sommerspiele in Dubrovnic inne.<br />
Nun wechselt er also nach <strong>Hannover</strong>. »Man<br />
muss auch mal aus dem Heimatland raus<br />
und Erfahrungen im Ausland sammeln«, sagt<br />
er und freut sich auf das neue Opernhaus,<br />
denn er habe bei den Vordirigaten einen<br />
Eindruck vom exzellenten Niveau des Orchesters<br />
und der Sänger bekommen. Und<br />
nachdem er es tatsächlich geschafft hat, bei<br />
Studienleiter Roche noch ein paar Korrepetitionsstunden<br />
herauszuschlagen, eilt er<br />
schnell weiter zur nächsten Probe. Bei so<br />
viel Engagement besteht kein Zweifel, dass<br />
das Ergebnis hörenswert sein wird!
oper<br />
Orchester<br />
Darja Schäfer<br />
FESTLICHER<br />
OPERNABEND<br />
Als »führenden Verdi-Bariton seiner Generation«<br />
bezeichnete ihn das englische Fachmagazin<br />
Opera 2008, »wohl der einzig wirklich<br />
authentische Repräsentant dieser<br />
offensichtlich aussterbenden Spezies«: Der<br />
italienische Bariton Paolo Gavanelli debütierte<br />
<strong>19</strong>85; es folgten innerhalb von fünf<br />
Jahren Auftritte an der Metropolitan Opera<br />
New York, der Mailänder Scala, dem Gran<br />
Teatre del Liceu in Barcelona, der Bayerischen<br />
<strong>Staatsoper</strong> München und dem Teatro<br />
la Fenice in Venedig. Mit Verdis Titelhelden<br />
Nabucco, Macbeth, Simon Boccanegra, Falstaff<br />
und Rigoletto ist er berühmt geworden,<br />
letzteren wird er auch in <strong>Hannover</strong> verkörpern.<br />
An seiner Seite steht der italienische<br />
Tenor Roberto Aronica. Er ist im italienischen<br />
Fach auf allen großen Bühnen der Welt zu<br />
Hause und sang unter anderem an der Metropolitan<br />
Opera New York sowie an den<br />
<strong>Staatsoper</strong>n in Wien, Dresden und München.<br />
mit Paolo Gavanelli (Rigoletto) und Roberto Aronica<br />
(Herzog) am 06.06.10<br />
Rigoletto<br />
Oper von Giuseppe Verdi<br />
Musikalische Leitung Ivan Repušić/Lutz de Veer<br />
Inszenierung Karsten Wiegand Bühne Bärbl Hohmann<br />
Kostüme Moritz Junge Chor Dan Ratiu<br />
Reingehört!<br />
Das imposanteste aller Instrumente ist es, das Ulrich<br />
Stamm seit <strong>19</strong>91 im Niedersächsischen Staatsorchester<br />
<strong>Hannover</strong> spielt: die Tuba. Bereits im Alter von sechs Jahren<br />
begann Ulrich Stamm mit Klavierunterricht an der Musikschule<br />
seiner Heimatstadt Oldenburg, angeregt durch<br />
seine Eltern, die selbst gerne Musik hören. Jedoch sollte<br />
es nicht beim Klavier bleiben, da die Zuneigung zum Blasorchester<br />
schon immer bestand – vielleicht, weil der Vater<br />
in seiner Jugend ebenfalls ein Blechblasinstrument, die<br />
Posaune, spielte. So wechselte Ulrich Stamm mit 14 Jahren<br />
über Trompete und Horn zur Tuba, weil das Blasorchester<br />
der Musikschule einen Tubisten suchte. Unterricht<br />
bekam er durch den Tuba-Spieler des Theaters Oldenburg,<br />
er trat dem Landesjugendorchester Niedersachsen bei und<br />
wurde Bundessieger beim Wettbewerb »Jugend musiziert«.<br />
Darüber hinaus spielte Ulrich Stamm im Bundesjugendorchester und studierte an der Hochschule<br />
für Musik und Theater in <strong>Hannover</strong> von <strong>19</strong>86 bis <strong>19</strong>91 bei seinem Vorgänger im<br />
Niedersächsischen Staatsorchester, Clemens Pröpper. Zusätzlich absolvierte er ein Privatstudium<br />
in Stockholm bei Michael Lind.<br />
Bei so starkem Engagement in der klassischen Musik hört der verheiratete Vater zweier<br />
Kinder in seiner Freizeit zum Großteil lieber Jazz, populäre Musik und Rock. Die Blechbläsergruppe<br />
»Mnozil brass« gehört dabei zu seinen absoluten Favoriten. Die sieben Österreicher<br />
haben dabei ihren ganz eigenen Stil (»Wir spielen angewandte Blechmusik, und zwar für<br />
alle Lebenslagen«, so beschreibt die Band selbst ihre Musik) und schaffen jede Menge gute<br />
Laune. Außerdem macht Ulrich Stamm in seiner Freizeit in einem Blechbläser-Quintett sogar<br />
selbst Jazz-Musik. Trotzdem gehört auch zu seinen Lieblings-CDs ein klassisches Werk: die<br />
Live-Aufnahme der Bayreuther Festspiele mit Parsifal von Richard Wagner unter dem Dirigenten<br />
James Levine, den er selbst als Student erlebt hat. Aber sein persönlicher heiliger<br />
Gral ist und bleibt immer noch die Tuba ...<br />
Die Aufnahme<br />
Richard Wagner: Parsifal. Bayreuther Festspiele <strong>19</strong>85. James Levine (Philips Classics)<br />
Der Herzog von Mantua Sung-Keun Park Rigoletto<br />
Nikola Mijailović Gilda Nicole Chevalier/Karen<br />
Frankenstein/Ania Vegry Graf von Monterone<br />
Shavleg Armasi/Young Myoung Kwon Sparafucile<br />
Shavleg Armasi/Albert Pesendorfer Maddalena<br />
Okka von der Damerau/Khatuna Mikaberidze<br />
Wiederaufnahme 29. April 2010<br />
Weitere Vorstellungen 4., 12., 16., 25. und<br />
29. Mai 2010<br />
Ein Leben für das Orchester<br />
Zum 1. Mai 2010 ist Orchesterwart Klaus Rothardt in den Ruhestand gegangen. Seit <strong>19</strong>78<br />
hat er für das Niedersächsische Staatsorchester <strong>Hannover</strong> gearbeitet und in seiner Dienstzeit<br />
vier Intendanten und noch mehr Generalmusikdirektoren erlebt. Klaus Rothardt war ein<br />
Orchesterwart der zweiten Generation, bereits sein Vater hatte diesen Beruf ausgeübt – mit<br />
großer Zuverlässigkeit, viel Herz und Seele für seine Arbeit und für die Menschen am Opernhaus.<br />
Wir wünschen ihm alles Gute für seinen (Un-)Ruhestand!
14. 15 konzert<br />
Dorothea Hartmann<br />
Wanderer zwischen den Welten<br />
»Lange Nacht der Romantik« zum Abschluss der Spielzeit<br />
Die Kunst ist unendlich, endlich<br />
aller Künstler Wissen und<br />
Können. Caspar David Friedrich<br />
Als die »romantischste aller Künste« bezeichnete<br />
E. T. A. Hoffmann die Musik, denn die<br />
Klangkunst »schließt dem Menschen ein unbekanntes<br />
Reich auf«. Noch wenige Jahre<br />
zuvor hatten die Aufklärer dem Dunkel der<br />
Welt und jeglichem »unbekannten Reich«<br />
den Kampf angesagt: Rational und systematisch,<br />
mit Listen, Gleichungen und Gesetzen<br />
versuchten sie, die Vorgänge in Natur,<br />
Mensch und Gesellschaft zu verstehen. Den<br />
Romantikern schien kurz darauf an der<br />
Schwelle zum <strong>19</strong>. Jahrhundert nichts mehr<br />
erklärbar. Als zu komplex und unübersichtlich<br />
nahmen sie die Welt wahr, als dass sie<br />
sie hätten in Systeme zwängen können. Und<br />
so stürzte man sich geradezu in »unbekannte<br />
Reiche« und interessierte sich für jene Bereiche,<br />
die der Aufklärung diametral entgegengesetzt<br />
waren: von der Logik zur Irrationalität,<br />
von der Vernunft zur Phantasie, von<br />
der Kausalität zur Assoziation, vom Licht zur<br />
Nacht, vom enzyklopädischen Versuch der<br />
Welterklärung zum Aphorismus und Fragment.<br />
»Nächstens mehr«, beendet Hölderlin<br />
seinen Roman Hyperion: Seine Erzählung<br />
von der Welt kann kein Ende finden. Der Roman<br />
bleibt Fragment und schließt durch den<br />
fehlenden Schlusspunkt alles Weitere nicht<br />
nur einer Welt, sondern unendlich vieler<br />
Welten mit ein. Ähnlich unabgeschlossen<br />
sind die romantischen Romane Heinrich von<br />
Ofterdingen von Novalis und Ludwig Tiecks<br />
Franz Sternbalds Wanderungen. Kein Wunder<br />
also, dass gerade die Instrumentalmusik<br />
den Frühromantikern, jenem Dichterkreis<br />
um Tieck, Novalis und die Brüder Schlegel,<br />
als die »romantischste« aller Künste erschien,<br />
entziehen sich doch auch die begrifflosen<br />
Töne der konkreten Definition, beinhalten<br />
sie doch ebenfalls unendliche Möglichkeiten<br />
und vermögen an »unbekannte Reiche« zu<br />
rühren. In diesem Sinne nahm E. T. A. Hoffmann<br />
etwa die Musik von Beethovens 5.<br />
Sinfonie wahr und schrieb in seiner berühmten<br />
Rezension: »Die Musik bewegt die<br />
Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens,<br />
des Schmerzes und erweckt jene unendliche<br />
Sehnsucht, die das Wesen der Romantik<br />
ist.«<br />
Verbindet sich die Musik mit inhaltlichen<br />
Ideen und der Sprache wie in der Oper,<br />
dann greifen die Romantiker nach Märchen<br />
und Sagen, beschwören Geister und Feen,<br />
tauchen ein in phantastische Welten und<br />
lassen diese mit dem Menschen in Kontakt<br />
treten. Webers Oberon verbindet das Wunderreich<br />
der Elfen mit der schillernden Folklore<br />
des Orients und einer mythischen Vergangenheit<br />
mittelalterlichen Rittertums. E.T.A.<br />
Hoffmanns Undine erzählt von der Verbindung<br />
eines Wassergeistes mit einem menschlichen<br />
Wesen und damit von der romantischen<br />
Sehnsucht nach der Vereinigung<br />
von Mensch und Natur. Grenzgänger bevölkern<br />
diese Opern: Getriebene und Zerrissene,<br />
die die eigenen Grenzen zu sprengen<br />
versuchen und auf Erlösung in einer anderen<br />
Welt hoffen. Die bekanntesten Vertreter<br />
dieser Wanderer zwischen den Welten schuf<br />
Richard Wagner in seinen sogenannten »romantischen<br />
Opern« mit dem Fliegenden Holländer,<br />
Tannhäuser und Lohengrin. Ebenfalls<br />
ein Unbehauster ist Heinrich Marschners<br />
Vampyr, der den Blick lenkt auf die schwarzen<br />
und schauerlichen Grenzbereiche der<br />
menschlichen Existenz, auf das Triebhafte,<br />
Caspar David Friedrich: Der Wanderer über dem Nebelmeer (1817/18)
konzert<br />
Exzessive und Tödliche. Die romantischen<br />
Opern künden von der beunruhigenden Einsicht,<br />
dass der von Begierden, Sehnsüchten<br />
und Verdrängungen getriebene Mensch nicht<br />
Herr im eigenen Haus ist.<br />
Auch in der Instrumentalmusik wie etwa in<br />
Schuberts Unvollendeter bricht sich eine<br />
grundlegend neuartige musikalische Haltung<br />
Bahn: Nicht mehr das dualistische, affirmative<br />
Prinzip der Wiener Klassiker bestimmt<br />
die Struktur, sondern schweifende, in sich<br />
kreisende und suchende Elemente. Das<br />
Fragment wird zum wesentlichen Moment<br />
– unabhängig davon, ob man die Unvollendete<br />
nun äußerlich als abgeschlossen betrachtet<br />
oder nicht. Offen und fragmentarisch<br />
ist etwa der geheimnisvoll sprechende<br />
Beginn in den tiefen Streichern, der zu keinem<br />
klaren Ende findet, sondern im Ungefähren<br />
eines langen Liegetons endet. Schuberts<br />
Musik erzählt in assoziativen Feldern<br />
von Heimatlosigkeit und Gebrochenheit, von<br />
Erinnerung und Sehnsucht, von der Vergangenheit<br />
und von einer zerklüfteten und von<br />
düsteren Einbrüchen durchsetzten Gegenwart.<br />
Ganz im Sinne von Schlegels Idee der<br />
romantischen Literatur als einer »progressiven<br />
Universalpoesie« ist auch Schuberts<br />
Musik eine fortschreitende, nichts ausschließende,<br />
immer wieder Räume ins Unendliche<br />
öffnende Kunst.<br />
Als einen Romantiker unserer Zeit könnte<br />
man den <strong>19</strong>47 geborenen italienischen Komponisten<br />
Salvatore Sciarrino bezeichnen.<br />
Denn auch er macht sich immer wieder auf<br />
zu den Grenzbereichen der menschlichen<br />
Existenz: In seinem Musiktheater, das äußerlich<br />
oft handlungsarm, entwicklungslos<br />
und statisch erscheint, spielen sich die<br />
Dramen im Innern der Figuren ab – ganz im<br />
Sinne von Novalis’ »Nach innen führt der geheimnisvolle<br />
Weg«. Auch die Vorliebe für<br />
das Dunkle und Geheimnisvolle der Nacht<br />
teilt Sciarrino mit den Romantikern: Immer<br />
wieder komponiert er Nachtstücke und<br />
nennt sie Claire de lune, Il paese senz’alba<br />
(Das Land ohne Sonnenaufgang), Che sai tu,<br />
guardiano, della notte? (Was weißt du,<br />
Wächter, von der Nacht?) Introduzione all´<br />
oscuro (Einführung ins Dunkel), Nocturnes,<br />
De la nuit oder die sich auf Felix Mendelssohn<br />
Bartholdys beziehende Komposition<br />
Allegoria della notte. In diesem <strong>19</strong>85 entstandenen<br />
Werk erobert sich nach originalen<br />
Fragmenten aus Mendelssohns Violinkonzert<br />
die wunderbare Welt von Sciarrinos<br />
Musik der Stille den Raum: musikalische<br />
Flächen, die nur aus Luft und Geräusch zu<br />
bestehen scheinen, kaum wahrnehmbare,<br />
fahle Klänge und gehauchte Flageoletts der<br />
Solovioline, die sich mit luftigen Flötentönen<br />
mischen und kaum voneinander zu unterscheiden<br />
sind. Fetzenhaft blitzen Tongebilde<br />
auf und haben sich, kaum angedeutet, schon<br />
wieder aus der Welt verflüchtigt. Dabei<br />
schaffen diese leisen und ungemein präzisen<br />
Figuren eine beredte und emotionale<br />
Klangsprache. Sie reagieren aufeinander<br />
und lassen als feinste Schwingungen der<br />
Luft die Grenze zwischen innerem und äußerem<br />
Hören verschwinden. Sciarrinos Allegoria<br />
della notte ist eine fragmentarische<br />
und assoziative Musik, die sich nicht entwickelt,<br />
nie lautstark und affirmativ behauptet,<br />
sondern im Sinne der Romantiker einen<br />
Raum aufspannt, der immer offen bleibt für<br />
unendlich viele Räume dahinter.<br />
Konzertfest zum<br />
8. Sinfoniekonzert<br />
Lange Nacht der Romantik<br />
26. und 27. Juni 2010<br />
Sa <strong>19</strong> Uhr / So 17 Uhr<br />
Große Bühne<br />
8. Sinfoniekonzert<br />
Carl Maria von Weber: Ouvertüre zu Oberon<br />
Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzert für Violine und<br />
Orchester e-Moll op. 64<br />
Salvatore Sciarrino: Allegoria della notte<br />
für Violine und Orchester<br />
Franz Schubert: Sinfonie <strong>Nr</strong>. 7 h-Moll<br />
(Unvollendete) D 759<br />
Solistin Baiba Skride (Violine)<br />
Dirigent Wolfgang Bozic<br />
Sa 21 u. 22.30 Uhr / So <strong>19</strong> u. 20.30 Uhr<br />
Marschner-Saal<br />
Rendezvous mit einem Vampyr<br />
Auszüge aus Heinrich Marschners Der Vampyr<br />
Mit Dorothea Maria Marx, Brian Davis,<br />
Young Hoon Heo, Tobias Schabel<br />
Laves-Foyer<br />
Am Brunnen vor dem Tore –<br />
Romantische Männerchöre<br />
Mit Mitgliedern des Opernchores<br />
Garderoben<br />
Romantische Kammermusik<br />
Mit Musikern des Niedersächsischen Staatsorchesters<br />
Romantische Gedichte<br />
Mit Moritz Dürr<br />
Sa 21.45 Uhr / So <strong>19</strong>.45 Uhr<br />
Mendelssohn: Schottische<br />
Felix Mendelssohn Bartholdy:<br />
Sinfonie <strong>Nr</strong>. 3 a-Moll (Schottische)<br />
Niedersächsisches Jugendsinfonieorchester<br />
Dirigent Alexander Rumpf<br />
Sa 23.15 Uhr / So 21.15 Uhr<br />
Romantische Filmnacht<br />
Frühlingssinfonie (<strong>19</strong>83) von Peter Schamoni, mit<br />
Herbert Grönemeyer als Robert Schumann und<br />
Nastassja Kinski als Clara Schumann
16. 17 Kinder und Jugendliche<br />
Eva Bessert-Nettelbeck<br />
Das Royal Basement Ensemble bei open stage 2010<br />
Auch in dieser Spielzeit haben junge Musiker<br />
die Möglichkeit, sich und ihre Musik im<br />
Rahmen von »open stage« im Opernhaus zu<br />
präsentieren.<br />
Unter den 22 ausgewählten Gruppen befinden<br />
sich fünf junge Musiker, die seit zweieinhalb<br />
Jahren unter dem Namen Royal<br />
Basement Ensemble nicht nur eigene Kompositionen<br />
sondern auch einen ganz eigenen<br />
Musikstil entwickeln. Nach eher poppigen,<br />
funkigen Stücken zu Beginn hat sich<br />
mit der Weiterentwicklung in Richtung Jazz<br />
auch die Besetzung erweitert: Mit Klavier<br />
(Valentin, 18), Schlagzeug (Robin, 17), E-<br />
Bass (Sebastian, <strong>19</strong>), Trompete (Philipp, <strong>19</strong>)<br />
und Saxophon (Sven, 18) beweist die überaus<br />
musikalische Combo, dass auch ohne<br />
Gesang und Gitarre ein packender Mix aus<br />
U- und E-Musik entstehen kann.<br />
Momentan konzentrieren sich die Fünf darauf,<br />
Neues zu komponieren und dabei den<br />
eigenen musikalischen Stil zu festigen. »Wir<br />
machen zusammen Musik, weil wir uns verwirklichen<br />
wollen. Weil wir Musik machen<br />
wollen, die uns voll entspricht!«, konstatiert<br />
ein Bandmitglied selbstbewusst. Keinesfalls<br />
möchten sich die klassisch ausgebildeten<br />
Musiker einer bestimmten Musikrichtung<br />
anpassen, sondern vielmehr ihren eigenen<br />
Weg gehen.<br />
Ihr ganz persönlicher Stil entsteht nicht zuletzt<br />
durch Improvisation – was die sympathischen<br />
Jungs bei Live-Auftritten in einen<br />
Zwiespalt führt: »Einerseits möchte man die<br />
Zuhörer beeindrucken, sie mit der Musik berühren,<br />
und andererseits möchten wir einfach<br />
unsere Musik rüberbringen, ohne vorher<br />
jeden Ton genau festzulegen.« Denn erst<br />
das spontane Miteinander macht die besondere<br />
Wirkung aus: Während einer Session<br />
entsteht diese gewisse Lebendigkeit erst<br />
durch die intuitive musikalische Kommunikation<br />
miteinander.<br />
Das Klischee, Jazz sei etwas für ältere Leute,<br />
lässt sich mit diesem jungen und mitreißenden<br />
Ensemble nachhaltig entkräften: So<br />
ist es dem Royal Basement Ensemble ein<br />
Anliegen, mit ihrer Musik möglichst vielen<br />
jungen Leuten etwas von ihrer eigenen Begeisterung<br />
für Jazz mitzugeben und ihnen<br />
etwas von dem Spaß zu vermitteln, den sie<br />
selber daran haben: Im Idealfall sollte das<br />
Publikum sehen können, wie die Musiker<br />
jeden einzelnen Ton leben – »denn genau<br />
da ist der Punkt, an dem man das Publikum<br />
berührt: Wenn es durch Schauen und Hören<br />
gewahr wird, was die Musiker dabei fühlen,<br />
wenn sie Musik machen.«<br />
Jugendkonzert »open stage«<br />
Freitag, 28. Mai 2010, 18.00 Uhr<br />
Niedersächsisches Staatsorchester <strong>Hannover</strong><br />
Dirigent Lutz de Veer<br />
Mit 7 Inches Besides, Big Band der Goetheschule,<br />
Big Band der Käthe-Kollwitz-Schule, Cellibration,<br />
Cindy MacKensen, Danderline, Das Gehölz, Der<br />
große Trommelwirbel, JackWrack, Klangstabn Peine,<br />
La Winds, Knox & Ikarus, onewayticket, Orchester<br />
des KWR, Riverpilots, Rockmobil-Band, Royal Basement<br />
Ensemble, Sincap, Sinfonieorchester der Goetheschule,<br />
Sinfonisches Jugendblasorchester Sarstedt,<br />
Swing´n´ Ska Project, The Little Allegation<br />
Förderer des Kinder- und Jugendprogramms
Kinder und Jugendliche<br />
gundel gebauer<br />
»Klappe, die erste! Und Action!«<br />
Jugendliche Darsteller bei der Probenarbeit zu »Rheingold – der Film«<br />
Rheingold – Der Film, ein Gemeinschaftsprojekt<br />
des MusikZentrum <strong>Hannover</strong>, der <strong>Staatsoper</strong><br />
<strong>Hannover</strong> und TVN GROUP Film- und<br />
TV-Production ist in vollem Gange: Seit Februar<br />
treffen sich 40 Jugendliche mehrmals<br />
wöchentlich und an Wochenenden zu Proben.<br />
Die bekannte Filmregisseurin Franziska<br />
Stünkel (Vineta) hat gemeinsam mit ihrem<br />
Kreativteam, dem musikalischen Leiter<br />
Christoph van Hal (Trompeter bei »Wir sind<br />
Helden«), Choreographin Katrin Helmerichs-<br />
Naujok, Schlagzeuger Oliver Schmidt und<br />
den Kostüm- und Setdesignern Anja Lütgens<br />
und Mira Rommel, schon viele Elemente der<br />
vier entstehenden Musikvideoclips geprobt,<br />
deren Grundlage Richard Wagners Das<br />
Rheingold ist. Musiktheaterpädagogin Gundel<br />
Gebauer hat nach einer Probe Stimmen<br />
eingefangen.<br />
Friederike (Streetdrumming) Ich bin eigentlich<br />
nicht der große Wagnerfan, aber<br />
ich finde es toll, in diesem Projekt mit Leuten<br />
in Kontakt zu kommen, die ich sonst nicht<br />
kennen gelernt hätte. Und mein Traum ist<br />
es, später auf Opernbühnen zu singen. Ich<br />
nehme schon eine Weile Gesangsunterricht,<br />
und in dieser Talentschmiede kann ich noch<br />
viel lernen. Mit solchen Projekten bekommt<br />
man doch auch junge Leute ins Opernhaus.<br />
Das finde ich einfach klasse! Helen (Choreographie/Wasserballett)<br />
Ich freue mich jedes<br />
Mal auf das Wasserballett. Denn ich liebe es<br />
zu schwimmen, und Wasser ist einfach mein<br />
Element! Das Tanzen macht mir auch viel<br />
Spaß. Da kann ich einfach glücklich sein<br />
oder anders gesagt: Ich kann mein Glücklichsein<br />
durch das Tanzen auch anderen<br />
zeigen, und das finde ich schön. Ron (Streetdrumming)<br />
Ich habe noch nie so einen Industrial-Sound<br />
gemacht wie auf diesen Fässern,<br />
und Ketten. Das sind geile Klänge! Ich weiß<br />
zwar vom Rappen, wie ich meine Stimme<br />
einem Beat anzupassen habe, aber jetzt<br />
muss ich meine Füße und Hände gleichzeitig<br />
koordinieren und im Rhythmus bleiben. Das<br />
fällt mir echt schwer, aber bis zu den Drehs<br />
kriege ich das hin. Marleny (Choreographie/Wasserballett)<br />
Ich war auch schon bei<br />
der Rapoper dabei und finde es toll, dass<br />
wir dieses Mal einen Film drehen. Das ist<br />
einfach noch mal was ganz Anderes, vor der<br />
Kamera zu stehen. Ich glaube, es ist auch<br />
ein bisschen leichter, als auf der großen<br />
Opernbühne zu spielen, denn wenn man einen<br />
Fehler macht hat, kann man es ja einfach<br />
wiederholen. Manchmal gluckere ich<br />
übrigens noch im Wasser unter, hoffentlich<br />
passiert mir das nicht mehr beim Dreh. Lisa<br />
(Streetdrumming) Ich hatte damals viel von der<br />
Rap-Oper gehört und wollte dieses Mal unbedingt<br />
dabei sein. Helena (Choreographie/<br />
Wasserballett) Ein Musikvideoclip zu drehen,<br />
so richtig mit einem kompletten Kamerateam<br />
und professioneller Regie, das ist einfach<br />
fett! Ich habe übrigens immer Lampenfieber.<br />
Aber wenn ich dann auf der Bühne bin, bin<br />
ich einfach in meinem Element. Und ich<br />
glaube, so wird es vor der Kamera auch sein.<br />
Duke (Streetdrumming) Ich war noch nie im<br />
Opernhaus, aber ich wollte immer schon<br />
mal wissen, wie es da ist. Marlene (Choreographie/Wasserballett)<br />
Theater oder Film liefert<br />
einen Selbstfindungsprozess, und das<br />
finde ich toll. Ich glaube, dass man durch die<br />
Schauspielerei sich selbst besser kennen<br />
lernt und an sich Seiten entdeckt, die man<br />
an sich noch nicht kannte!<br />
REISE INS LAND DER TRÄUME.<br />
Eine Musiktheaterproduktion des Kinderclubs XS.<br />
12. (15 Uhr) und 13. Juni 2010 (14.30 Uhr),<br />
Probebühne 2
18. <strong>19</strong> Aus den Abteilungen<br />
Yvonne Götzl<br />
Rauchende Colts und blutende Messer<br />
Der Beruf des Rüstmeisters<br />
Ritterliche Rüstungen, smaragdsteinbesetzte<br />
Totenschädel, Regale voller Helme und Waffen<br />
aller Jahrhunderte: Wir befinden uns<br />
mitten im Rüstfundus des Opernhauses, den<br />
man auch die »Schatzkammer des Rüstmeisters«<br />
nennen könnte. Markus Ahrenstedt leitet<br />
seit 25 Jahren den Fundus und seit Januar<br />
2009 auch die Rüstwerkstatt, in der jegliche<br />
Waffen und metallene Sonderanfertigungen<br />
für Produktionen der Oper und des Schauspiels<br />
hergestellt werden. »Es gibt nichts,<br />
was wir nicht machen könnten«, strahlt Felix<br />
Fleischer, die rechte Hand des Meisters.<br />
Seit zweieinhalb Jahren ist er Rüstgeselle<br />
bei Markus Ahrenstedt. Der gelernte Metallbauer<br />
wollte eigentlich Maschinenbau studieren,<br />
doch durch einen Aushilfsjob in der<br />
Rüstwerkstatt kam er zu seinem eigentlichen<br />
Berufswunsch: Rüstmeister. Gerade hat er<br />
Militär-Orden aus Blei für die Schauspielproduktion<br />
Trollmanns Kampf gegossen.<br />
Die Rüstwerkstatt befindet sich im Kellergeschoss<br />
des Opernhauses und könnte ein<br />
ganz normaler kleiner Metallverarbeitungsbetrieb<br />
sein – wären da nicht der waffengesäumte<br />
Korridor am Eingang und die Ritterrüstungen<br />
auf dem Schrank. »Es ist einfach<br />
spannend und schön«, sagt Felix Fleischer<br />
und deutet auf ein massives Schwert vor<br />
sich auf dem Tisch: »Solche Sachen, die wir<br />
hier fertigen, die macht man sonst nirgendwo.<br />
Von dem Schwert hier machen wir noch<br />
ein zweites, das zerbrechen kann!« Es handelt<br />
sich um Nothung, das Schwert aus dem<br />
Ring des Nibelungen.<br />
Neben der Herstellung ist aber auch der Gebrauch<br />
der Waffen Teil des Berufs. Wenn auf<br />
der Bühne geschossen wird, wie bei der Inszenierung<br />
von Rossinis Il viaggio a Reims,<br />
ist der Rüstmeister gefragt. Sicherheit ist<br />
hier die oberste Maxime: Geschossen werden<br />
darf auf der Bühne nur aus drei Metern<br />
Abstand, auch wenn nur Platzpatronen verwendet<br />
werden. Den zweiten Schuss bei Il<br />
viaggio a Reims feuert daher der Rüstmeister<br />
auf ein Zeichen des Inspizienten von der<br />
Seitenbühne aus ab. Der Sänger erhält nur<br />
einen sogenannten »Dummy«. »Echte Waffen<br />
gibt es im Rüstfundus und der Rüstwerkstatt<br />
keine, die Colts und Pistolen sind alle<br />
Schreckschusswaffen«, bestätigt Felix Fleischer.<br />
»Auch die Messer mit integrierter Blutfunktion<br />
sind alle stumpf.« An der Säule in<br />
der Werkstatt hängt mahnend ein Artikel<br />
»Unfall bei Selbstmordszene im Wiener<br />
Burgtheater – Messer war echt«. So echt soll<br />
es dann doch nicht sein!<br />
Die traditionellen Kniffe des Berufs hat Felix<br />
Fleischer mittlerweile verinnerlicht: »Alles,<br />
was ich gelernt habe, hat mein Meister mir<br />
beigebracht«. Wenn Markus Ahrenstedt mal<br />
in Rente geht, wird der Gehilfe seinen Posten<br />
übernehmen. »So ist das immer, denn<br />
den Beruf des Rüstmeisters gibt es als Ausbildung<br />
gar nicht mehr«, erklärt der Meister.<br />
Deutschlandweit gibt es nur noch um die<br />
100 Rüstmeister, fast alle sind an Theatern<br />
beschäftigt. Eine kleine Zunft, die ihr Handwerk<br />
mit großer Sorgfalt und Freude weiterführt.<br />
Beim Verlassen der Rüstwerkstatt klingelt<br />
ein Türglöckchen, und Felix Fleischer lacht:<br />
»Das haben wir auch selber gemacht!«
Foyer<br />
Eva Bessert-Nettelbeck<br />
Oper gehört einfach zur Woche dazu<br />
Leoni Kießling ist vierzehn alt und bereits<br />
seit vielen Jahren regelmäßige Operngängerin.<br />
Im Schnitt kann man sie zwei Mal im<br />
Monat – meist zusammen mit ihren Eltern<br />
– bei Vorstellungen im Opernhaus antreffen.<br />
In ihren Augen entspricht das Genre<br />
ganz und gar nicht dem Klischee, dass Oper<br />
eher was für ältere Menschen sei, wie vielleicht<br />
einige ihrer Klassenkameraden meinen:<br />
»Dieses Zusammenspiel aus Theater<br />
und Musik ist doch so vielseitig, da ist für<br />
jede Generation was dabei!«<br />
Die 13-jährige Nika Heuveldop ist derselben<br />
Meinung. Ihre erste Oper ist auch zugleich<br />
ihre und Leonis Lieblingsoper: Mozarts<br />
Zauberflöte. Sie finden das Werk<br />
»einfach atemberaubend, mit dieser fantasievollen<br />
Story und den abstrakten facettenreichen<br />
Figuren.« Es war das Gesamtpaket,<br />
das Nika auf Anhieb zum Opernfan<br />
gemacht hat: »Dieses riesige Bühnenbild<br />
und diese Leute, die so hoch singen können<br />
… das fand ich sofort toll!« Regelmäßige<br />
Opernbesuche mit der Familie ergänzt Nika<br />
seit diesem Schuljahr mit einem Schülerabo.<br />
»Das geniale an einem Abo ist, dass man<br />
sich auch mal Stücke anguckt, auf die man<br />
von alleine gar nicht gekommen wäre.«<br />
Ihre Begeisterung für Musiktheater leben<br />
Leoni und Nika nicht nur als Zuschauer aus:<br />
Schon seit einigen Jahren kommen die beiden<br />
regelmäßig zu den Jugendclubproben<br />
ins Opernhaus, um zusammen mit anderen<br />
theaterbegeisterten Menschen ihres Alters<br />
ein Musiktheaterstück auf die Beine zu stellen,<br />
das jeweils am Ende einer Spielzeit vor<br />
Publikum auf der Probebühne 2 aufgeführt<br />
wird. Beide beteuern, dass der Opernclub<br />
für sie sehr viel mehr ist als nur ein Hobby.<br />
Deshalb treffen sie sich sogar in den Ferien,<br />
um sich intensiv mit ihren Rollen auseinanderzusetzen.<br />
Thematisch kreist der Club XM in dieser<br />
Spielzeit um absurdes Theater im Allgemeinen<br />
und Becketts Warten auf Godot im Besonderen.<br />
Die Grenzen des Sprechtheaterstücks<br />
werden aufgelöst und durch alt<br />
bekannte Gassenhauer und solche, die es<br />
werden wollen, musikalisch erweitert. Nun<br />
schon im zweiten Jahr mit von der Partie ist<br />
Komponist Peter Francesco Marino, der in<br />
der Rolle des musikalischen Leiters, in diesem<br />
Jahr erstmals im Rahmen des Jugendclubs<br />
ein Musikstück für eine der Rollen<br />
komponiert hat. Darüber hinaus werden<br />
verschiedene Musikgenres miteinander vermischt,<br />
so dass auch diejenigen, die sonst<br />
nicht so viel mit Oper zu tun haben, einen<br />
leichteren Zugang bekommen: »Bei unseren<br />
Stücken trifft eine Opernarie auf ein Stück<br />
aus einem Musical, und dann wieder auf einen<br />
Song aus den Charts. Es ist gut, wenn<br />
Modernes und Oper miteinander verschmelzen,<br />
denn dann wird der Bezug zur eigenen<br />
Gegenwart deutlicher«, erklärt Nika mit<br />
Überzeugung.<br />
Am besten gefällt den Mädchen, dass das<br />
diesjährige Stück des Club XM Alle warten<br />
auf Godot so realitätsnah ist: »Im Grunde interessiert<br />
sich jeder immer nur für die eigenen<br />
Belange. Die meiste Zeit reden alle aneinander<br />
vorbei. Auf die Frage ›Wie geht es<br />
Dir?‹ wollen die wenigsten eine ehrliche<br />
Antwort haben.«<br />
Die Probe des Clubs gehört für Leoni und<br />
Nika »zur Woche dazu«: Dabei ist es mehr als<br />
nur ein Hobby, sondern vielmehr eine regelmäßige<br />
Verabredung mit Freunden, mit denen<br />
man zusammen etwas Großes auf die<br />
Beine stellt. Am meisten genießen sie die<br />
Endprobenphasen, »wenn sich die Spannung<br />
so richtig aufbaut«. Der aufregendste<br />
Moment ist jedes Jahr wieder der, wenn<br />
man bei der Premiere ein neues Stück zum<br />
ersten Mal dem Publikum präsentiert: »Wenn<br />
wir dann als Gruppe vor den Zuschauern<br />
stehen und gemeinsam singen und gemeinsam<br />
Theater spielen, verschmilzt man irgendwie<br />
auf geheimnisvolle Weise miteinander<br />
zu einem großen Ganzen. Das ist ein<br />
geniales Erlebnis!«
20 fundus<br />
Hannoperaner unterwegs<br />
Lesetipps<br />
Die Sängerinnen und Sänger des Ensembles<br />
waren und sind auch in der Spielzeit<br />
2009/10 an zahlreichen Bühnen zu Gast.<br />
Die amerikanische Sopranistin Nicole Chevalier<br />
singt im Juni noch einmal in ihrer<br />
früheren küstlerischen Heimat Kassel: die<br />
Marguérite in Charles Gounods Faust. Die<br />
Mezzosopranistin Julia Faylenbogen wird<br />
in der kommenden Spielzeit in der Rheingold-Premiere<br />
an der Oper Halle als Erda auf<br />
der Bühne stehen. Carmen Fuggiss, Sopran,<br />
hat in der Wiederaufnahme der preisgekrönten<br />
hannoverschen Produktion Al gran<br />
sole carico d’amore in der Inszenierung von<br />
Peter Konwitschny an der Oper Leipzig im<br />
Herbst 2009 gastiert. Im Februar 2010 sang<br />
sie die Premiere der Oper Doctor Atomic von<br />
John Adams am Staatstheater Saarbrücken<br />
– die musikalische Leitung hatte Andreas<br />
Wolf, ehemals 2. Kapellmeister in <strong>Hannover</strong>.<br />
Kelly God bleibt ihrer niederländischen<br />
Heimat in Gastengagements verbunden: Die<br />
Sopranistin sang an der Nationale Reisopera<br />
Anfang 2010 Amelia in Verdis Un ballo in<br />
maschera; im Herbst 2010 wird sie dort<br />
auch als Sieglinde in Wagners Walküre zu<br />
erleben sein. Dorothea Maria Marx hingegen<br />
zieht es in den Süden: Im Mai singt sie<br />
die Königin der Nacht in der Premiere der<br />
Zauberflöte am Staatstheater am Gärtnerplatz<br />
in München. In noch wärmeren Gefilden<br />
gastierte Bariton Stefan Adam im Februar<br />
2010: In Catania auf Sizilien sang er<br />
den Orest in Richard Strauss’ Elektra; im Oktober<br />
wird er an seine frühere Wirkungsstätte<br />
Kassel zurückkehren in der Titelpartie<br />
der Wiederaufnahme Der fliegende Holländer.<br />
Wetterabhängiger wird Bass Shavleg<br />
Armasi die Theaterferien verbringen: Bei<br />
den Schweriner Schlossfestspielen wird er<br />
als Padre Guardiano in Verdis La forza del<br />
destino auf der Open-Air-Bühne im Alten Zwei Publikationen sind erschienen, die ihren<br />
Ursprung an der <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong><br />
Garten zu erleben sein. Sein Fachkollege Albert<br />
Pesendorfer wird erst später aus den haben: Die Vorträge des Symposions Tanz<br />
Theaterferien nach <strong>Hannover</strong> zurückkehren: im Musiktheater – Tanz als Musiktheater,<br />
Im Spätsommer 2010 gastiert er als Hans das anlässlich der Ballettproduktion Molière<br />
Sachs am Landestheater Linz. Ebenfalls nach im Herbst 2006 am Opernhaus stattfand,<br />
Österreich zieht es Bariton Stefan Zenkl, sind Ende 2009 als 22. Band der Thurnauer<br />
den wir zur kommenden Spielzeit in Richtung<br />
seiner Heimat verabschieden müssen men. Im Band 147 der Reihe Musik-Kon-<br />
Schriften zum Musiktheater herausgekom<br />
(aber noch als Gast in <strong>Hannover</strong> begrüßen zepte sind die Vorträge des Symposions zu<br />
dürfen): Zenkl und Pesendorfer werden sich Karl Amadeus Hartmanns Simplicius Simplicissimus<br />
nachzulesen, das anlässlich der In<br />
ab Ende Juli bei den Opernfestspielen St.<br />
Margarethen als Papageno und Sarastro in szenierung von Frank Hilbrich 2008 veranstaltet<br />
der Zauberflöte begegnen.<br />
wurde.<br />
Opernrätsel<br />
Bei der gesuchten Oper handelt es sich um ein Werk, das der französische Komponist selbst<br />
nie komplett auf der Bühne gesehen hat. Sie gleicht einem Mammutunternehmen in fünf<br />
Akten, das auch in zwei Teilen aufgeführt werden kann. Erst <strong>19</strong>69, zum 100. Todestag des<br />
Komponisten, kam es zu einer weitgehend vollständigen Aufführung beider Teile.<br />
Mit Themen wie Liebe, Aufbruch, Trennung, Katastrophe, Untergang, Mythos, Schicksal,<br />
Verzweiflung, Tod und Selbstzerstörung ist sie wahrlich eine Grand opéra. Zwei Frauengestalten<br />
bilden den Mittelpunkt des dramatischen Geschehens. Schöne Heldinnen im Spektrum<br />
leidenschaftlicher weiblicher Gefühlswelten. Zwei Frauen, zwei Völker – und am Ende<br />
stehen Assimilation und Suizid.<br />
Der Hang zum Monumentalen wird anhand der kolossalen Tableaux aus Aufzügen, Festen,<br />
Balletten, Liebesszenen, Duetten, Arien, Chören, großen Ensembles und kultischen Zeremonien<br />
deutlich. Ein farbenreiches musikalisches Feuerwerk entzündet sich über mehr als vier<br />
Stunden Spieldauer. Bereits in den fünfziger Jahren des <strong>19</strong>. Jahrhunderts erwies sich dieser<br />
Stoff als zu sperrig für den Geschmack des Publikums, so dass dieses oft unterschätzte Meisterwerk<br />
leider nie sein Bayreuth fand. Dafür schaffte es die gesuchte Oper, besser eine Sonate,<br />
nach Hollywood – »Locutus of Borg: Resistance is futile.«<br />
Unsere Frage Wie heißen Komponist und Oper? Ihre Lösung schicken Sie bitte auf einer<br />
Postkarte bis Dienstag, den 01.06.10 an die <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
. Opernplatz 1 . 30159 <strong>Hannover</strong>. Vergessen Sie nicht Ihren Absender!<br />
Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir 5 x 2 Karten für die letzte Vorstellung von<br />
Gioacchino Rossinis Oper Il viaggio a Reims am Mittwoch, den 23.06.10 im Opernhaus.<br />
Die Lösung des letzten Opernrätsels in der <strong>seitenbühne</strong> 03/04.2010: Giuseppe Verdi, Macbeth.<br />
Impressum Herausgeber Niedersächsische Staatstheater <strong>Hannover</strong> GmbH, <strong>Staatsoper</strong> <strong>Hannover</strong>, Opernplatz 1, 30159 <strong>Hannover</strong> Intendant Dr. Michael Klügl Redaktion<br />
Dramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit Gestaltung María José Aquilanti, Birgit Schmidt Druck Steppat Druck Fotos Yvonne Götzl (18), Thomas Huppertz (13), Thomas M.<br />
Jauk (4-6, <strong>19</strong>), Marek Kruszewski (1, 7), Jörg Landsberg (11), Pablo Mendizábal (16/17), Thilo Nass (12), Norddeutsche Theater und freie Compagnien (2/3), Gert Weigelt<br />
(Titel) und privat Titelbild Gefährliche Liebschaften, Karine Seneca (Tourvel), Denis Piza (Valmont)
<strong>seitenbühne</strong> . Mai / Juni 2010