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Ausgabe März 2013 - Preußische

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No. 18 / <strong>März</strong> <strong>2013</strong><br />

zuzzzzzzzz<br />

Berichte, Kommentare, Glossen und Despektierliches<br />

für aufgeklärte, mündige Schichten<br />

Wort des Monats<br />

Die Beste Art, den Armen Gutes<br />

zu tun, ist, glaube ich,<br />

nicht die, sie in ihrer Armut<br />

zu pflegen, sondern sie aus<br />

ihren Verhältnisse herauszureißen.<br />

Käthe Kollwitz<br />

Inhalt<br />

Seite 2: Pfarrer Führer hat was<br />

gegen den Kapitalismus<br />

Seite 4: 1813 - Fanal zum Aufstand<br />

gegen die Franzosen<br />

Seite 8 : Leserbriefliches<br />

Seite 9: Luises letzte Fahrt<br />

Seite 10: Patrioten-Passagen:<br />

Seume, Görres und Gneisenau<br />

Seite 11: <strong>Preußische</strong> Daten<br />

Seite 14: Zur <strong>März</strong>-Revolution<br />

1848 in Berlin<br />

Seite 19: Friedrich Wilhelm: An<br />

Meine lieben Berliner<br />

Seite 20: Impressum<br />

Zuschriften<br />

Archiv<br />

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Abbestellung<br />

1<br />

Vorweg…<br />

…zunächst zwei Bitten: Haben Sie Anregungen, Wünsche, Kritiken oder<br />

gar Lobe für die <strong>Preußische</strong>n Monatsbriefe, dann teilen Sie uns diese<br />

doch bitte mit. Wir stellen uns gern auf Sie ein. Und: Die Ihnen per Mail<br />

zugesandten KOSTENLOSEN Monatsbriefe lassen sich unter dieser Internet-Adresse<br />

aufrufen:<br />

www.Preussische-Monatsbriefe.de<br />

Bitte geben Sie diese Adresse an wache Geister weiter. Danke<br />

▼▲▼<br />

Bismarck verdient auch heute noch großen Dank für seine epochale Tat,<br />

vor 142 Jahren die deutsche Einheit erreicht zu haben. Er brachte immerhin<br />

vier Königreiche, sechs Großherzogtümer, fünf Herzogtümer,<br />

sieben Fürstentümer, drei Freie Städte und ein Reichsland unter einen<br />

Hut. Der „Eiserne Kanzler“ ließ es nicht zu, dass sich einer der Bundesstaaten<br />

über andere erhob – was diese auch zurückgewiesen hätten.<br />

Dagegen haben es die Deutschen der Gegenwart in bald 23 Jahren nicht<br />

einmal fertiggebracht, zwei deutsche Teilstaaten zu einem „Deutschland<br />

einig Vaterland“ (DDR-Nationalhymne) bzw. in „Einigkeit und Recht und<br />

Freiheit“ (BRD-Nationalhymne) zu verschmelzen. Es geht zu wie im Kalten<br />

Krieg oder so, was Theodor Storm vor 146 Jahren auf die Palme<br />

brachte: „Wir können nicht verkennen, dass wir lediglich unter Gewalt<br />

leben. Das ist desto einschneidender, da es von denen kommt, die wir<br />

gegen die Gewalt zu Hilfe riefen und die uns jetzt, nachdem sie jene bewältigen<br />

geholfen, wie einen besiegten Stamm behandeln, indem sie die<br />

wichtigsten Einrichtungen, ohne uns zu fragen, hier über den Haufen<br />

werfen und andere dafür nach Gutdünken oktroyieren; eben an ihr<br />

schlechtes Strafgesetzbuch, worin eine Reihe von Paragraphen…ehrlichen<br />

Leuten gefährlicher sind als den Spitzbuben, die sie angeblich<br />

treffen sollen.“<br />

Um ein altes Wort abzuwandeln: Bismarck – komm hernieder und regiere<br />

deine Deutschen wieder.<br />

Die Schriftleitung<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


Rapport zur Lage<br />

Bedenket der JESUS-Mentalität des Teilens!<br />

Pfarrer Christian Führer hat auch etwas gegen den realexistierenden Kapitalismus<br />

Freundlich, aber bestimmt gab er vor Kameras, Mikrophonen und aufnahmebereiten Handys oft<br />

und gern Auskunft darüber, was Christsein in der DDR bedeutet hat, warum er im heißen Herbst<br />

der Wendezeit seine Leipziger Kirche weit für jene öffnete, die von sich erklärten „Wir sind das<br />

Volk“. Seine Friedensgebete machten Furore und DDR-Obere zornig. Er galt den braven Westdeutschen<br />

als Beispiel eines wahrhaften und wehrhaften Ost-Pfarrers, der vom realexistierenden<br />

Streitbarer Christ in Ost und West: Pfarrer Christian Führer<br />

Sozialismus „die Nase voll“ hatte. Ein Held des Einigungsprozesses: der Gemeindepfarrer Christian<br />

Führer an der Nikolaikirche zu Leipzig, von der aus am 9. Oktober 1989 die Demonstration der<br />

70 000 ausging. Der Westen behängte ihn mit Auszeichnungen, etwa mit der Theodor-Heuss-<br />

Medaille, die für bürgerschaftlich Initiative und Zivilcourage verliehen wird, mit dem Johann-<br />

Philipp-Palm-Preis für Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit, mit dem Augsburger Friedenspreis<br />

gemeinsam mit Michail Gorbatschow, mit der Hans-Böckler-Medaille, mit dem Scheidegger<br />

Friedenspreis und so weiter.<br />

Ganz plötzlich existiert der streitbare Christ und kämpferische Bürger so gut wie nicht mehr für<br />

die Medien. Er ist offensichtlich nicht mehr recht vorzeigbar, seit sich seine wachsam-kritische<br />

Haltung auch gegen den realexistierenden Kapitalismus richtet. Immerhin kann er – wie alle<br />

neuen Bundesländler - auf mehr als zwei Jahrzehnte gelebter Erfahrung mit dem „anderen System“<br />

zurückblicken. Damit kennzeichnet er sich als ein wahrer, ein echter Menschen- resp. Bürgerrechtler.<br />

Die meisten derjenigen, die diese Kennzeichnung für sich beanspruchten, waren<br />

„bestenfalls“ Antikommunisten, die bei der Verletzung von Menschen- und Bürgerrechten im<br />

„goldenen Westen“ still vor sich hinschweigen.<br />

Im Folgenden seien Ausführungen von ihm aus einem Gottesdienst in der Kieler Ansgarkirche<br />

und bei einem Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche zitiert:<br />

2<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


3<br />

Als Christen im Land der Reformation stehen wir in der besonderen Verantwortung,<br />

Zeichen zu setzen und dazu beizutragen, den gemeinsamen Glauben auch in einer<br />

gemeinsamen Kirche zu leben.<br />

Gerechter Friede – statt: gerechter Krieg. Gerechter Friede mit der Erde – statt: Klimakollaps<br />

und hemmungslose Ausbeutung. Um es auf den Punkt zu bringen: Was wir dringend<br />

brauchen, ist die Alternative zur Gewalt!<br />

Der Krieg ist trotz aller anders lautenden Beteuerungen als Mittel der Politik wieder salonfähig<br />

gemacht worden. An Rüstung und Krieg wird nach wie vor am hemmungslosesten<br />

verdient.<br />

Ein naiver Fortschrittsglaube herrscht ungebrochen, obwohl die Erde schon stöhnt und<br />

stinkt.<br />

Der Globalkapitalismus produziert immer mehr und effektiver, nur der Mensch wird<br />

krank dabei.<br />

Das Währungs- und Zinssystem sorgt unerbittlich dafür, dass die Reichen immer reicher<br />

und die Armen immer ärmer werden.<br />

Das Virus der Gewalt vermehrt sich rasant in den elektronischen Medien und Netzwerken<br />

wie in der Wirklichkeit.<br />

Unangefochtenes Macht- und Gewinnstreben als anerkannte Triebkräfte der Gesellschaft<br />

trennen Menschen und Völker immer nachhaltiger.<br />

Das sind sie heute, die peccata mundi, die Sünden der Welt.<br />

Und wie steht es mit unserer festgefahrenen, durch Gier, Macht und Krieg und auch<br />

durch Ignoranz gegenüber dem Klimaschutz gefährdeten Welt, gibt es eine Alternative?<br />

Teil II der Friedlichen Revolution. Allerdings unter den erschwerten Bedingungen des<br />

Wohlstandes!<br />

Kirche ist auch hier wieder gefragt und gefordert, sich angesichts nationaler und globaler<br />

Ausbeuter- und Unrechtsstrukturen einzumischen. Sie tut das schon in vielen Bereichen.<br />

Die Banken- und Finanzkrise zeigt, dass dieses Finanz- und Wirtschaftssystem nicht zukunftsfähig<br />

ist. Kosmetische Beschönigungen nutzen nichts. Das System kann nicht die<br />

Probleme beseitigen, die es selbst hervor bringt.<br />

Die Wurzelsünde des Globalkapitalismus, das hemmungslose Profitstreben und die Anstachelung<br />

der Gier, müssen überwunden werden.<br />

Eine Wirtschaftsform der „solidarischen Ökonomie“ ist zu entwickeln, die die JESUS-<br />

Mentalität des Teilens praktiziert: Teilen von Bildung, Arbeit, Einkommen und<br />

Wohlstand, in der der Mensch an erster Stelle steht, nicht Geld und Profit. Eine Wirtschaft<br />

also, die „die Würde des Menschen, das Gemeinwohl und die Solidarität in den<br />

Mittelpunkt der ökonomischen Aktivitäten stellt.<br />

Statt der wissenschaftlichen Höchstleistung „Marslandung“ wäre es eine noch größere<br />

Höchstleistung, Kriege zu ächten und das Verhungern von Menschen auf der Erde zu<br />

verhindern.<br />

Ein neues Wirtschafts- und Finanzsystem wäre eine prima Alternative. Nicht nur ein<br />

Atemholen zwischen Krise und Krise.<br />

Leben und Glauben wäre eine prima Alternative für die übersättigten, leeren und gelangweilten<br />

Menschen der Wohlstandsländer. Wie sagt man’s ihnen, dass sie draufkommen?<br />

Schon Martin Luther stellte fest: Der Markt muss durch „Gesetz und Gewissen begrenzt“<br />

sein und den Menschen dienen, nicht umgekehrt, sonst wird der Mensch zur Ware.<br />

Mut zur Alternative – davon hängt es ab, ob wir zukunftsfähig sind! Mut zur Alternative.<br />

Vertrauen wagen, damit wir leben können! Amen<br />

Manfred Herrmann<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


Auszug aus dem Aufruf von Friedrich Wilhelm III.<br />

„Frisch auf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!"<br />

Des Königs langerwarteter Aufruf von 1813 hinkte der Realität hinterher<br />

Mit dem <strong>März</strong> 1813 beginnt der Aufstand des deutschen Volkes gegen die napoleonische<br />

Fremdherrschaft; das liegt jetzt 200 Jahre zurück. Am 20. <strong>März</strong> 1813 bringt die „Schlesische<br />

privilegirte Zeitung“ nach einer kurzen, an der Spitze stehenden Nachricht, dass „Se. Majestät<br />

der König mit dem Kaiser aller Reussen ein Off- und Defensiv-Bündnis abgeschlossen"<br />

4<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


habe, den Aufruf des Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen „An Mein Volk". Darin hieß<br />

es:<br />

„Wir erlagen der Übermacht Frankreichs. Der Frieden, der die Hälfte meiner Untertanen Mir<br />

entriss, gab uns seine Segnungen nicht; denn er schlug uns tiefere Wunden als selbst der<br />

Krieg...Aber meine reinsten Absichten wurden durch Übermuth und Treulosigkeit vereitelt,<br />

und nur zu deutlich sahen wir, dass des Kaisers Verträge mehr noch wie seine Kriege uns<br />

langsam verderben mussten. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo alle Täuschung über<br />

unsern Zustand aufhört...Es ist der letzte, entscheidende Kampf, den wir bestehen für unsere<br />

Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand; keinen andern Ausweg gibt es, als einen<br />

ehrenvollen Frieden, oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet ihr getrost entgegengehen,<br />

um der Ehre willen, weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag..."<br />

Friedrich Wilhelm III. trifft in Breslau ein<br />

Es ist das Fanal zu dem nun - endlich - beginnenden Befreiungskrieg. Der Aufruf trifft freilich<br />

auf ein Volk, das bereits aufgestanden ist. „Frisch auf mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen,<br />

hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht " dieses Lied Theodor Körners wurde bereits<br />

von den zahllosen jungen Leuten gesungen, die aus Brandenburg, Pommern, Westpreußen<br />

und natürlich aus der eigenen Provinz Schlesien nach Breslau strömten, um sich<br />

unter die preußischen Fahnen zu stellen. „Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen“,<br />

heißt es in dem Lied weiter, „Es ist ein Kreuzzug, 's ist ein heil'ger Krieg! Recht, Sitte, Tugend,<br />

Glauben und Gewissen hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen; errette sie mit deiner Freiheit<br />

Sieg".<br />

5<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


Wenn da von einem „Kreuzzug", von einem „heiligen Krieg" die Rede ist, so befinden wir uns<br />

im 19. Jahrhundert, in dem die Menschen Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen noch<br />

ernst nehmen. Und Ehre. In der Tat, die Begeisterung der Jugend, die opferfreudige Anteilnahme<br />

des ganzen Volkes für die Befreiung aus Rechtlosigkeit und Unterdrückung, aus den<br />

Drangsalierungen und räuberischen Erpressungen fremder Besatzer, die sich alles erlauben<br />

zu dürfen meinten, waren so allgemein und so offenkundig, dass sie sogar den zögerlichen<br />

König mitrissen. Der hatte noch vor einem Jahr den Plan Gneisenaus zu einer Volkserhebung<br />

in Norddeutschland mit der Bemerkung zurückgegeben: „Niemand würde kommen. Gut - als<br />

Poesie". Jetzt aber hat auch der König Zutrauen.<br />

König Friedrich Wilhelm III. von Preußen gilt in der Historiographie überwiegend als zögernd,<br />

entschlusslos und am Althergebrachten festhaltend. Moralisch vorbildlich und durchaus guten<br />

Willens, hatte er das Unglück, in der Zeit der französischen Revolution und der Napoleonischen<br />

Kriege regieren zu müssen. Außenpolitisch strikt neutral, trat Preußen 1806 überstürzt<br />

und damit allein in den Krieg gegen Napoleon, in dem es nicht nur durch die schlechte<br />

Führung der Armee und die dann rasch einsetzenden Niederlagen (Jena und Auerstedt), die<br />

Kapitulationen der meisten seiner Feldverbände und seiner Festungen, sondern auch durch<br />

die Mängel der Staatsverwaltung völlig zusammenbrach. Die wenigen Widerstand leistenden<br />

Festungen - vor allem Kolberg, Graudenz, Kosel und Glatz - und die Leistungen der geringen<br />

preußischen Truppenverbände bei Preußisch-Eylau retteten zwar die Ehre Preußens, das<br />

Land aber war niedergeworfen. Es hatte mit dem Frieden von Tilsit Bedingungen akzeptieren<br />

müssen, die seine Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit vernichteten. Allerdings zeigte<br />

Friedrich Wilhelm Einsicht und Selbstverleugnung, als er jene Männer in einflussreiche Positionen<br />

stellte, die auf Reformen drängten und diese auch in geradezu atemberaubendem<br />

Tempo durchführten (die Bauernbefreiung, die Selbstverwaltung der Städte, die Öffnung des<br />

Offizierskorps für Bürgerliche, die Gleichstellung von Adel und Bürgertum im Recht auf<br />

Landbesitz, die Gewerbefreiheit und die bürgerliche Gleichstellung der Juden).<br />

Einer der erbittertsten Gegner dieser Stein-Hardenbergschen Reformen, Friedrich August<br />

Ludwig v. d. Marwitz, der für seine Gegnerschaft sogar einige Wochen in Festungshaft genommen<br />

worden war und der Friedrich Wilhelm III. mit Respekt, aber nicht mit Zuneigung<br />

gegenüberstand, hat uns in seinen bekannten Memoiren ein Zeugnis über diesen König hinterlassen,<br />

das allerdings ein ganz anderes Licht auf ihn wirft: Der König habe 1807 in einem<br />

Gespräch mit ihm, dem um Jahre jüngeren Rittmeister, freimütig zugegeben, all die gravierenden<br />

Fehler im Feldzug von 1806 gekannt zu haben, ihm aber auf dessen kecke Frage, warum<br />

er es dann nicht besser gemacht habe, vorgestellt, ob es denn zu verwundern wäre,<br />

wenn man sich selbst nicht für klüger hielte als alle übrigen Menschen, wenn man so viele<br />

ältere und erfahrenere Leute um sich hätte, die schon ihren Ruhm bewährt hätten.<br />

Sein Zögern aber hatte noch einen anderen Grund, den der Historiker Otto Hintze in seinem<br />

umfassenden Geschichtswerk von 1915 benannte: Im Gegensatz zu der „Patriotenpartei" um<br />

Stein, Scharnhorst, Gneisenau, Boyen und Clausewitz, Arndt und Schleiermacher, die schon<br />

in den Krisen von 1808, 1809 und 1811 für den Aufstand plädierten, weil sie an die Kraft des<br />

ganzen deutschen Volkes glaubten, hielt sich der König an die politischen Gegebenheiten -<br />

Preußen war fest in der Hand des französischen Eroberers und dessen Armee und der Erfolg<br />

6<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


einer Erhebung höchst zweifelhaft, der endgültige Untergang Preußens dann aber auch gewiss.<br />

Nach der Anschauung der Patrioten sollte sich Preußen für die deutsche Sache einsetzen<br />

und notfalls auch opfern; der König aber dachte folgerichtig zuerst an den Weiterbestand<br />

Preußens.<br />

Jetzt aber, am 17. <strong>März</strong> 1813, erließ dieser König den Aufruf „An Mein Volk". Jetzt waren die<br />

Bedingungen herangereift, in denen der Kampf gewagt werden konnte, aber eben gewagt.<br />

Nicht allein, dass jeder Krieg ein Wagnis bleibt; im <strong>März</strong> 1813 war der zugesagte militärische<br />

Beistand Russlands noch sehr unzulänglich (trotz des Bündnisvertrages, aber das hatte wir<br />

schon oft), waren der notwendige Eintritt Österreichs in das Bündnis und die Unterstützung<br />

Englands noch ungewiss. Friedrich Wilhelm hatte sich mit der Kriegserklärung an Frankreich<br />

in einer solchen Situation wissentlich auf glattes Eis begeben.<br />

Die Patriotenpartei freilich sah sich damals im Aufwind. Für sie und für die inzwischen entstandene<br />

breite Volksbewegung verbanden sich <strong>Preußische</strong>s und Deutsches zur Einheit. Ging<br />

es doch nicht allein um die Überwindung des Elends der Fremdherrschaft, sondern positiv<br />

um die Einheit und Freiheit ganz Deutschlands. „Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen!"<br />

Und es war kein leeres Wort, wenn der Aufruf des Königs auch an die persönliche Ehre<br />

appellierte.<br />

Es ist allerdings 200 Jahre her, dass mit gutem Recht behauptet werden konnte, der Deutsche<br />

könne ehrlos nicht leben. Wie weit haben wir uns doch von unseren Wurzeln entfernt!<br />

Hans Sima<br />

7<br />

Ein Grabkreuz an der Kirche von Criewen (Nationalpark<br />

Unteres Odertal) erinnert an Pfarrer<br />

Carl Friedrich Ludwig Michaelsen, der hier<br />

von 1802 bis 1826 seines geistlichen Amtes<br />

waltete. 1807 ließ er 500 preußische Soldaten<br />

verstecken, verpflegen und über die Oder<br />

bringen, um sie vor der Gefangennahme<br />

durch Napoleonische Truppen zu schützen.<br />

Für seinen ehrenvollen Widerstand gegen die<br />

französische Besatzungsmacht erhielt er von<br />

König Friedrich Wilhelm III. das Goldene Zivilehrenzeichen<br />

1.Klasse.<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


Leserbriefliches<br />

Winterliche Oder-Impressionen<br />

Von einem Ausflug an die winterliche Oder schicke ich Ihnen diese stimmungsvollen Bilder,<br />

verbunden mit einem Dankeschön für Ihre monatlichen Preußen-Briefe, die ich gern lese.<br />

Natürlich vergesse ich nicht, daran zu erinnern, dass Friedrich der Große das Oderbruch trockenlegte.<br />

Matthias Lehmann, Prenzlau<br />

Mit wie viel Maß wird in der Bundesrepublik gemessen?<br />

Dass Bundespräsident Wulff mit oft billigen Tricks und fadenscheinigen Vorwürfen aus dem<br />

Amt gefegt wurde, hat nicht nur meinen Unmut erregt. So geht man nicht, zumal vor aller<br />

Welt, mit einem Menschen um. Schon gar nicht mit dem höchsten Repräsentanten Deutschlands.<br />

Einer der hanebüchenen Vorwürfe lautete, er habe mit einem Anruf an einen ihm bekannten<br />

Chefredakteur die Medienfreiheit zu gängeln versucht und damit gegen Recht und<br />

Ordnung verstoßen. Zeitungen, Fernsehsender und Radiostationen konnten sich ausschütten<br />

mit Vorwürfen. Dagegen blieben sie merkwürdig oder bezeichnend still, als der von ihnen<br />

zum Bundespräsident der Herzen Hochstilisierte jetzt öffentlich an Medien negative Zensuren<br />

verteilte: Ihm habe ihre Berichterstattung über seine Begegnung mit Freunden und Verwandten<br />

von Mordopfern mutmaßlich der NSU-Gruppe missfallen. 5 – setzen!<br />

Ein weiteres Beispiel: Gegen den Linken-Fraktionsvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten<br />

Gysi werden staatsanwaltliche Ermittlungen geführt, weil er eine falsche eidesstattliche<br />

Versicherung im Zusammenhang mit der Stasi abgegeben haben soll. Dagegen finden im<br />

folgenden Beispiel seit Jahr und Tag keine staatsanwaltlichen Ermittlungen statt: Herr Gauck<br />

hat am 19. Mai 2000 öffentlich in der Wochenzeitung „freitag“ ebenfalls eine eidesstattliche<br />

Versicherung dergestalt abgegeben, dass er „zu keinem Zeitpunkt bewusst… mit dem Staatssicherheitsdienst<br />

zusammengearbeitet" habe, was wohl durch den Bericht eines Stasi-<br />

Hauptmanns (siehe Zeitung „Die Welt“ vom 23. April 1991) widerlegt wird. Darin erklärt der<br />

MfS-Mann u.a.: „Weiterhin wurde in diesem Zusammenhang Gauck gedankt für seine Initiativen,<br />

für seine langfristig gute Zusammenarbeit und Durchführung des Kirchentages…“. Dass<br />

sich im Fall Gysi die Medien in ihren Berichten und Kommentaren überschlagen und im anderen<br />

Beispiel beredt schweigen, muss nicht betont werden. Aber sagt nicht unser Grundgesetz<br />

im Artikel 3: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“?<br />

Steffi Hanke, Rostock<br />

8<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


Königin Luises letzte Fahrt<br />

Als Preußen-König Friedrich Wilhelm III. vor 200 Jahren<br />

das Eiserne Kreuz stiftete, datierte er die am 20. <strong>März</strong><br />

1813 in der „Schlesischen privilegirten Zeitung“ abgedruckte<br />

Stiftungsurkunde auf den 10. <strong>März</strong> vor, auf den<br />

Geburtstag seiner 1810 verstorbenen Gemahlin Luise. Er<br />

verlieh ihr den Orden postum, was in offiziellen Statistiken<br />

nicht verzeichnet ist. Luise Auguste Wilhelmine Amalie<br />

Herzogin zu Mecklenburg wurde am 10. <strong>März</strong> 1776 in<br />

Hannover geboren und starb am 19. Juli 1810 auf Schloss<br />

Hohenzieritz als Königin von Preußen. Gedenkstätten<br />

säumen ihren letzten Weg vom mecklenburgischen<br />

Schloss nach Berlin. Dort wurde sie drei Tage im Hohenzollernschloss<br />

aufgebahrt und am 30. Juli im Berliner Königin Luise<br />

Dom beigesetzt. Ihre letzte Ruhestätte fand sie am 23.<br />

Dezember 1810 in einem Mausoleum im Park des Schlosses Berlin-Charlottenburg.<br />

Sterbezimmer als Gedenkstätte im Schloss<br />

Hohenzieritz. Aufnahme von 1910<br />

Gedenkstein nahe Fürstenwalde…<br />

…an der B 96. Hier, an der Zollstation der damaligen Grenze zwischen Mecklenburg und<br />

Brandenburg, wurden die Pferde des Trauerzuges gewechselt. Inschriften an den Seiten:<br />

„Sie war die Zierde der Frauen, der Jugend leuchtendes Vorbild“ und „Mehr als Purpur und<br />

Krone umstrahlt Sie Liebe des Volkes“. In der Nacht zum 26. Juli 1810 wurde der Sarg auf<br />

dem Neuen Markt zu Gransee aufgebahrt. Schinkel schuf das am 19.Oktober 1811 aufgestellte<br />

Denkmal (unten links) und Rauch die Skulptur im Mausoleum Charlottenburg.<br />

9<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


Patrioten-Passagen<br />

JOHANN GOTTFRIED SEUME<br />

An das deutsche Volk<br />

Im Jahre 1810<br />

…Trennung, Eigennutz und Knechtswuth haben<br />

Allen öffentlichen Sinn begraben,<br />

Dass der Deutsche nur in Horden lebt;<br />

Und dass dummheitstrunken tiefe Horden<br />

Um die Wette sich für Fremde morden,<br />

Dass die mild’re Menschheit weint und bebt…<br />

Offen stehn dem Untergang die Thüren,<br />

Und wir prunken mit den Krebsgeschwüren,<br />

Die ein Rachegeist uns zürnend schlug.<br />

Unsre Werke sind nur Völkerfrohnen,<br />

Und wir sind ein Spott der Nationen,<br />

Kaum zu Satelliten gut genug.<br />

Frommen sind dies Gottes Strafgerichte,<br />

Weisen unsers alten Unsinns Früchte;<br />

Wo der Eigennutz das Blutrecht hielt,<br />

Wo zur Schmach und Schande seiner Würde,<br />

Wer nur kann, sich losreißt von der Bürde<br />

Und den allgemeinen Beitrag stiehlt…<br />

Hass und Spaltung herrscht in unsern Stämmen,<br />

Einheit nur kann das verderben hemmen,<br />

Und die Einheit flieh’n wir, wie die Pest.<br />

Eh’ man öffentlich, was recht ist, ehret,<br />

Jauchzet man, wenn Gau den Gau verheeret,<br />

Und die Volksschmach wird ein Freudenfest.<br />

Unsre Edlen suchen fremde Ketten,<br />

Wer soll nun das Vaterland erretten?<br />

Jeder theilt sich gierig in den Raub.<br />

Wo der blinde Eigennutz gebietet,<br />

Wo man für Obolen Söldner miethet,<br />

Bleibt man für den Ruf der Ehre taub.<br />

Gleich den Thoren, die nach Schande dürsten,<br />

Blicken in die Wette unsre Fürsten<br />

Stolz auf Knechtschaft, hin in’s fremde Land;<br />

Kriechen dort in dem Clienten-Heere,<br />

Haschen gierig nach Satrapen-Ehre,<br />

Wo man Ihnen ihre Fesseln wand.<br />

Halbe Männer, die vor wenig Jahren<br />

Nullen noch in ihrem Volke waren,<br />

Treiben Deutsche mit dem Eisenstock.<br />

Spott ist nun des Vaterlandes Weise<br />

Und mit Zähneknirschen sinken Greise,<br />

Zeugen beßrer Zeiten, in das Grab.<br />

Werden unsre aufgehäuften Sünden<br />

Nicht vielleicht noch einen Heiland finden?<br />

Oder soll das Glück den Vormund seyn?<br />

Wen noch jetzt ein edler Zorn beweget,<br />

Wem noch reines Blut im Herzen schläget,<br />

Halt es fluthend, heilig, heiß und rein!<br />

Blicke, Genius des Vaterlandes,<br />

Mit dem Licht gemeineren Verstandes<br />

Auf die Hohen und das Volk herab,<br />

Dass wir Einheit, Freiheit, Recht erwerben,<br />

Oder all die Geschwächten sterben,<br />

Und die Weltgeschichte gräbt das Grab.<br />

JOHANN JOSEPH GÖRRES<br />

Es geht ein Geist der Verwesung in unserem Staatsgebäude um; wie in alten Ruinen hört man an<br />

Wänden und Grundfesten jenes leise Knistern, als nage vornehmlich der Zahn der Zeit an ihrem Bau;<br />

Tragpfeiler bersten, Steine schürren herab, Mauern rücken, und nur der grüne Efeu, der sie umrankt,<br />

hält sie notdürftig noch zusammen. Nur die Masse, mit dem Urfels, aus dem sie gehauen, immer<br />

noch in geheimem Zusammenhang und mit ihm im gemeinsamen Naturleben unverwüstlich lebend…ist<br />

noch gesund und zu einer Gestaltung wohl empfänglich.<br />

(Aus: Deutschland und die Revolution“, 1819)<br />

AUGUST NEIDHARDT VON GNEISENAU<br />

Wenn Sie der tapferen russischen Nation angehören, der Europa seine Befreiung aus der Sklaverei<br />

schuldig ist, so empfangen Sie hiermit die Huldigung, die ich derselben darbringe. Ohne den vortrefflichen<br />

Geist in derselben, ohne ihren Hass gegen fremde Unterdrückung, würde die zivilisierte Welt<br />

in dem Despotismus eines verwegenen Tyrannen untergegangen sein.<br />

10<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


<strong>Preußische</strong> Daten<br />

2.<strong>März</strong> 1873 (vor 140 Jahren): Die nach Plänen von August Orth errichtete Zionskirche in der<br />

ehemaligen Rosenthaler Vorstadt im Berliner Ortsteil Mitte wird eingeweiht. Sie war Wirkungsstätte<br />

u. a. von Dietrich Bonhoeffer.<br />

3.<strong>März</strong> 1813 (200): Russische Truppen schließen die Festung und Stadt Spandau ein, die von<br />

napoleonischen Truppen besetzt gehalten wird.<br />

3.<strong>März</strong> 1888 (125): Mit dem Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse auch einem Laienpublikum<br />

zugänglich zu machen, gründet sich auf Initiative des Astronomen Max Wilhelm Meyer und<br />

des Sternwartendirektors Wilhelm Julius Foerster die wissenschaftliche Gesellschaft Urania.<br />

Sie finanziert sich durch Aktien, u. a. erwarb Werner Siemens Aktien im Wert von 10 000<br />

Mark.<br />

4.<strong>März</strong> 1813 (200): Die französische Garnison unter Marschall Nicolas-Charles Oudinot verlässt<br />

Berlin durch das im Süden gelegene das Hallesche Tor, während gleichzeitig die russische<br />

Avantgarde unter Fürst Repnin durch das Oranienburger Tor in die Stadt einmarschiert.<br />

Die fliehenden Franzosen werden von Kosaken verfolgt.<br />

6.<strong>März</strong> 1873 (140): Die Berliner Stadtverordnetenversammlung beschließt die allgemeine<br />

und systematische Kanalisation Berlins nach Plänen des Ingenieurs James Hobrecht. Er unterteilte<br />

die Stadt in zwölf unabhängige<br />

Kanalsysteme und installierte Pumpwerke<br />

an den jeweils tiefsten Punkten. Von ihnen<br />

aus wurden die Abwässer auf Rieselfelder<br />

außerhalb der Stadt geleitet.<br />

7.<strong>März</strong> 1883 (130): Kaiser Wilhelm I. gibt<br />

das Blücherschen Husarenregiments an den<br />

Prinzen von Wales, den späteren König Edward<br />

VII.<br />

8.<strong>März</strong> 1708 (305): Das etwa 25 Meter lange<br />

und 7 Meter breite Prunkschiff "Liburnica",<br />

das sich Preußen-König Friedrich I. in<br />

Amsterdam bauen ließ, trifft in Berlin ein.<br />

Es glich äußerlich den holländischen breiten<br />

Bojer-Jachten, getakelt einer russischen<br />

Ketsch mit Gaffelsegeln.<br />

9.<strong>März</strong> 1888 (125): Tod von Kaiser Wilhelm<br />

I.; Kaiser Friedrich III. übernimmt todkrank<br />

das Szepter für 99 Tage, dann stirbt er. Ihm<br />

folgt Kaiser Wilhelm II. auf den Thron, den<br />

er 1918 verliert. 1888 gilt als Drei-Kaiser-Jahr.<br />

Die prächtige Liburnica ankert in Berlin<br />

10. <strong>März</strong> 1813 (200): Stiftung des Eisernen Kreuzes. 1863 folgt das Gesetz über die Gewährung<br />

eines Ehrensoldes an die Inhaber des Eisernen Kreuzes aus den Jahren 1813 bis 1815.<br />

12.<strong>März</strong> 1658 (355): Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm fordert per Dekret die „Advocaten<br />

und Partheyen“ auf, den „Cammer-Gerichts-Räthen gebührenden Respect“ zu erweisen<br />

„und in der Audientz-Stube nicht auf- und nieder zu gehen“.<br />

15.<strong>März</strong> 1813 (200): Treffen Zar Alexanders I. von Russland mit König Friedrich Wilhelm III.<br />

in Breslau. Einen Tag später erfolgt die preußische Kriegserklärung an Napoleon.<br />

11<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


16.<strong>März</strong> 1813 (200): Festgottesdienst zur Segnung der gegen den Feind ausziehenden Truppen<br />

in Breslau<br />

16.<strong>März</strong> 1888 (125): Trauerfeier für den am 9. <strong>März</strong> verstorbenen Kaiser Wilhelm I. im Berliner<br />

Dom. Der Leichnam wird im Mausoleum des Charlottenburger Parks beigesetzt. Die Berliner<br />

bildeten während der Überführung Spalier bis nach Charlottenburg.<br />

17. <strong>März</strong> 1813 (200): Mit dem Aufruf „An Mein Volk“ wendet sich der preußische König<br />

Friedrich Wilhelm III. nach langem Zögern am 17. <strong>März</strong> 1813 in Breslau (veröffentlicht am<br />

20.<strong>März</strong> in der „Schlesischen privilegirten Zeitung“) an seine Untertanen, „Preußen und<br />

Deutsche“, und bittet um Unterstützung für den Kampf gegen Kaiser Napoleon I., zu dem er<br />

sich mit Russland verbündet hatte.<br />

17.<strong>März</strong> 1813 (200): General Johann David Ludwig Yorck von Wartenberg zieht – trotz frenetischen<br />

Jubels der Berliner unbewegten Gesichtes - mit seinem Korps in Berlin ein.<br />

18. <strong>März</strong> 1848 (165): Revolutionäre Barrikadenkämpfe<br />

in Berlin. (Siehe Anhang)<br />

19.<strong>März</strong> 1888 (125): Der Reichstag beschließt die<br />

Errichtung eines Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm<br />

I. an der Westseite des Hohenzollernschlosses.<br />

Das Reiterstandbild von Reinhold Begas wurde am<br />

27.<strong>März</strong> 1897 enthüllt und 1949/1950 abgetragen.<br />

Zwei Löwengruppen des Denkmals befinden sich im<br />

Tierpark Berlin, eine der Adlerfiguren ist im Besitz<br />

des Märkischen Museums. An der Stelle des ehemaligen<br />

Nationaldenkmals soll ein zentrales Freiheitsund<br />

Einheitsdenkmal zur deutschen Wiedervereinigung<br />

von 1989/90 entstehen. Viele erkennen im<br />

Modell eine überdimensionierte Obstschale (Volksmund:<br />

Ost-Bananenträger) bzw. eine Wippe<br />

(Volksmund: Klappt's oder klappt's nicht?).<br />

20.<strong>März</strong> 1853 (160): Die 1845 als antikirchliche Protestbewegung<br />

innerhalb des Katholizismus gebildete<br />

Freireligiöse Gemeinde Berlin - sie trug zunächst<br />

die Bezeichnung Deutsch-Katholische Gemeinde<br />

bzw. Christlich-Katholische Gemeinde - zelebriert<br />

mit acht Knaben und sechs Mädchen eine Jugendweihe.<br />

Die Kaisergalerie (Passage)<br />

20.<strong>März</strong> 1873 (140): In Anwesenheit von Kaiser Wilhelm I. wird die 130 Meter lange Kaisergalerie<br />

ihrer Bestimmung übergeben. Die als Passage bezeichnete Laden- und Restaurantstraße<br />

führt vom Boulevard Unter den Linden in gebrochener Linie zur Friedrich-/Ecke Behrenstraße.<br />

Das Publikum durfte sie ab Kaisers Geburtstag am 22.<strong>März</strong> betreten. Zur Attraktion<br />

gehörte Castans Panoptikum. In Guckkästen waren plastische Bilder aus fremden Ländern,<br />

von Schlachten und Katastrophen zu sehen. Großes Interesse erregten Darstellungen<br />

des menschlichen Körpers, die von Damen und Herren nur getrennt voneinander besichtigt<br />

werden durften. Außerdem enthielt das Panoptikum ein Wachsfigurenkabinett von Größen<br />

der Politik ebenso wie von weltbekannten Verbrechern.<br />

12<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


Schneemassen auf der Köpenicker Schloßinsel – wie idyllisch!<br />

Schneeberge in der Berliner Innenstadt – wie schrecklich…<br />

20.<strong>März</strong> 1888 (125): Berlin leidet seit 61 Tagen unter der Last ungewöhnlicher Schneemengen.<br />

Zweitausend Lastwagen und fünfhundert Arbeiter sind fünfunddreißig Tage damit beschäftigt,<br />

die ungeheuren Schneemassen aus der Stadt zu schaffen. Bis zwei Meter hohe<br />

Schneeberge säumten die Straßen<br />

23.<strong>März</strong> 1813 (200): Prinzessin Marianne von Preußen ruft die Frauen im preußischen Staat<br />

zur Gründung eines ''Frauenvereins zum Wohle des Vaterlandes'' auf.<br />

23.<strong>März</strong> 1888 (125): Berlins Polizeipräsident Bernhard Ludwig Eduard Freiherr von Richthofen<br />

warnt die Berliner vor dem Verzehr mangelhaft untersuchten Schweinefleischs.<br />

24.<strong>März</strong> 1783 (230): Königliches Edikt gestattet Frauen Handwerkstätigkeit.<br />

25.<strong>März</strong> 1528 (485): Kurfürstin Elisabeth, Gemahlin Joachims I. Nestor, wegen ihres evangelischen<br />

Glaubens hart bedrängt, flüchtet von Berlin nach Sachsen.<br />

25.<strong>März</strong> 1848 (165): Der Berliner Magistrat beschließt Maßnahmen zur Linderung der größten<br />

Not, als sich die Zahl der Notstandsarbeiter mehr als verdreifacht hatte. So werden<br />

Schulgeld- und Mietschulden erlassen.<br />

27.<strong>März</strong> 1888 (125): Unter großem Beifall trägt der Schauspieler Wirth vom Deutschen Theater<br />

im dramatischen Verein das patriotische Gedicht „Kaiser Wilhelms Begegnung mit dem<br />

Veteranen Wille im Himmel“ von Otto Mylius vor.<br />

30.<strong>März</strong> 1763 (250): König Friedrich II. kehrt am späten Abend nach Beendigung des Siebenjährigen<br />

Krieges in Begleitung von Herzog Ferdinand von Braunschweig und General von Lentulus<br />

in seine Residenz Berlin zurück. Er meidet einen jubelnden Empfang der Berliner, indem<br />

er auf Umwegen zum Schloss kutschiert. „Zu jubeln ziemt nicht, kein Triumf wird sein“,<br />

heißt es bei Stefan George.<br />

31.<strong>März</strong> 1798 (215): Der Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso (Louis Charles<br />

Adélaide de Chamisso) wird zum Fähnrich beim Regiment von Götze in Berlin ernannt.<br />

13<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


Anhang zur <strong>März</strong>revolution von 1848<br />

Heiße <strong>März</strong>-Tage in Berlin<br />

Das Volk ging auf die Barrikaden -<br />

der König zog vor den Opfern seinen Hut<br />

Was Arnulf Baring 2002 forderte, war im <strong>März</strong> 1848 harte Realität<br />

Als belesener Mann hätte Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, wachsam sein müssen:<br />

„Hüte dich vor den Iden des <strong>März</strong>“ hatte Wahrsager Spurinna den römischen Diktator Julius<br />

Cäsar gewarnt. Der winkte ab. Doch 23 Dolchstöße streckten den Tyrannen am 15. <strong>März</strong> 44<br />

v. Chr. nieder. 1892 Jahre später nahm das preußische Imperatorchen Friedrich Wilhelm IV.<br />

die Warnzeichen der <strong>März</strong>-Iden ebenfalls nicht ernst: Paris hatte den König verjagt und die<br />

Republik ausgerufen, Fürst Metternich floh in Panik aus Wien, in Budapest proklamierte Petöfi<br />

die Selbständigkeit Ungarns. Und auch in Krakau, Prag, Mailand und Venedig stand das<br />

Volk auf. Europa bebte im Sturm, Berlin brodelte und explodierte drei Tage nach den Iden<br />

des <strong>März</strong>. Was dann passierte, ließ den dabei zwar nicht verblichenen, doch erbleichten König<br />

später zu seinem Biographen Leopold Ranke sagen: „Damals lagen wir alle auf dem Bauche.“<br />

Schauen wir uns an, was sich vor 165 Jahren in den Straßen der Residenz ereignete und was<br />

sich im Schloss tat. Vorausgeschickt sei die Frage: Wie steht es um aktuelle Parallelen?<br />

Viele meinen, es kracht seit langem im politischen und gesellschaftlichen Gebälk der Republik.<br />

Immerhin forderte Historiker und Publizist Professor Dr. jur. Arnulf Baring bereits November<br />

2002 in einem Beitrag für die F.A.Z.: „Bürger, steigt auf die Barrikaden!“ Gegen einen<br />

bürokratischen Apparat, der „seinen Staat“ lenkt „ohne klare ordnungspolitische Vorstellun-<br />

14<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


gen, ohne je die Welt gesehen zu haben, ohne je eigene Erfahrungen im Wirtschaftsleben machen<br />

zu müssen: eine drohnenhafte Herrschaftskaste“… „Uns lähmt die Leisetreterei und Verantwortungsscheu<br />

der beiden Großparteien der Mitte.“ So wie bisher gehe es auf keinen Fall<br />

weiter. „Die Situation ist reif für einen Aufstand gegen das erstarrte Parteiensystem. Ein massenhafter<br />

Steuerboykott, passiver und aktiver Widerstand, empörte Revolten liegen in der<br />

Luft…! „Wir dürfen nicht zulassen, dass alles weiter bergab geht, hilflose Politiker das Land verrotten.<br />

Alle Deutschen sollten unsere Leipziger Landsleute als Vorbilder entdecken, sich ihre Parole<br />

zu eigen machen: Wir sind das Volk!“<br />

Fürwahr starke Worte - noch vor der weiter gärenden Finanz-und Wirtschaftskrise, noch vor horrenden<br />

Mieterhöhungen, massiv steigenden Energiekosten und Abzockerei auf allen Ebenen. In<br />

ebenfalls krisengeschüttelten EU-Bruderstaaten gingen die Bürger auf die Barrikaden. Bei uns<br />

beschäftigt sich die Öffentlichkeit mit Altherren-Scherzchen und Spuren von Pferdefleisch. Der<br />

deutsche Michel räsoniert bestenfalls inwendig oder am Stammtisch. Vielleicht gibt es einen<br />

Ruck, wenn eintrifft, wovor Philipp Bagus, Professor für Volkswirtschaft und Experte für Geldund<br />

Konjunkturtheorie, warnt: vor der geplanten Bankenunion. Mit ihr würde Deutschland für<br />

die Südbanken haften, die mit 18,1 Billionen Euro Bankschulden zu Buche stehen. „Dieser Vorgang<br />

musste natürlich verschleiert werden. Und so wurde die Nebelkerze der gemeinsamen<br />

Bankenaufsicht gezündet.“ Sein beängstigendes Fazit: „Durch die Bankenunion droht etwas<br />

Größeres als der deutsche Staatsbankrott: der deutsche Volksbankrott.“<br />

Doch zurück in die Barrikadenzeit.<br />

Preise und Arbeitslosenzahlen stiegen erbarmungslos<br />

Berlin zählte 1848 mehr als 400.000 Einwohner. Ein unterbrochener Zuzug von Mittellosen<br />

sowie zunehmende Mechanisierung führten zu einer hohen Arbeitslosenquote. Die soziale<br />

Lage der unteren Schichten war katastrophal. Armenfürsorge nahm etwa 40 Prozent des<br />

städtischen Haushalts in Anspruch.<br />

Kartoffel-Revolution von 1847<br />

Als unter diesen Umständen raffgierige Händler 1847 auf dem Gendarmenmarkt mit fadenscheinigen<br />

Begründungen die Metze Kartoffeln (ungefähr fünf Pfund) um das Drei- bis Vierfache<br />

verteuerten, hob das erste Grollen der Revolution an. Aus Frauenmündern. Unter<br />

15<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


gar nicht zarten Händen barsten Fässer und zerrissen Säcke. Taschen füllten sich mit unbezahlten<br />

Kartoffeln und Brot. Steine flogen, Rufe nach „Revolution“ erklangen. Oberbürgermeister<br />

Heinrich Wilhelm Krausnick nahm Partei. Es komme jetzt „auf die Schutzgewährung<br />

für die besitzende gegen die besitzlose Klasse" an.<br />

Erneute Preissteigerungen und zunehmende Arbeitslosigkeit verschärften Anfang <strong>März</strong> 1848<br />

die Lage. So warf die Maschinenfabrik Borsig weitere 400 Arbeiter auf die Straße. Vielen<br />

klang wie Hohn in den Ohren, als Friedrich Wilhelm IV. in einer Ansprache am 5. <strong>März</strong> pathetisch<br />

ausrief: „Schart Euch, wie eine eherne Mauer, in lebendigem Vertrauen um Euren König,<br />

um Euren besten Freund..., um der Welt zu zeigen, dass in Preußen der König, das Volk<br />

und das Heer dieselben sind von Geschlecht zu Geschlecht."<br />

Friedrich Wilhelm IV. und Kartätschenprinz Wilhelm (rechts). Beider Mutter war Luise, die<br />

Gemahlin von Friedrich Wilhelm III.<br />

Mehr als 10 000 Berliner strömten am 13. <strong>März</strong> 1848, einem Arbeitstag, zum Tiergarten und<br />

postulierten ihre bürgerlich-demokratischen Forderungen an seine Majestät. Zurückkehrende<br />

Teilnehmer wurden am Brandenburger Tor von Kürassieren angegriffen. Auf dem Schlossplatz<br />

ging Infanterie mit gefälltem Bajonett gegen Demonstranten vor. Die Unruhe unter den<br />

Berlinern wuchs. Bei Zusammenstößen zwischen Soldaten und Bürgern wurde der neunzehnjährige<br />

Kupferschmiedelehrling Carl August Wagner vom Militär erschossen. Er war der<br />

erste Tote der Berliner <strong>März</strong>revolution. Bis zum 16. <strong>März</strong> standen insgesamt zwanzig Tote<br />

und 150 Verwundete zu Anklagebuche.<br />

Bürgerversammlungen berieten, wie man sich bewaffnen könne und wie volksfeindliche Minister<br />

zu stürzen seien. Vier modifizierte Forderungen sollten dem König am 18. <strong>März</strong> unterbreitet<br />

werden:<br />

16<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


• Abzug des Militärs;<br />

• Einrichtung einer bewaffneten Bürgergarde;<br />

• Gewährung der Pressefreiheit;<br />

• Einberufung des Vereinigten Landtages.<br />

In den Mittagsstunden des 18. <strong>März</strong> versammelten sich Tausende auf dem Schlossplatz. Gegen<br />

14 Uhr zeigte sich Friedrich Wilhelm IV. auf dem Balkon. Beifall wich Zornesrufen, als die<br />

Menge das im Schlosshof aufgestellte Militär erblickte. Betrug, Verrat! Angesichts der wütenden<br />

Berliner befahl der Monarch dem kommandierenden General des Gardecorps, Generalleutnant<br />

Karl Ludwig von Prittwitz, mit der Kavallerie den Schlossplatz zu räumen, um<br />

„dem dort herrschenden Skandal ein Ende zu machen". Dragoner und Infanterie vertrieben<br />

die Berliner vom Schlossplatz. Dabei fielen Schüsse. Die unbewaffneten Berliner fassten diese<br />

Schüsse als Signal zum Angriff gegen sie auf. Der offene Kampf entbrannte. Binnen kurzer<br />

Frist entstanden in der Stadt mehr als 1 000 Barrikaden.<br />

Junge Kämpfer: Ernst Zinna<br />

und Wilhelm Glasewaldt (r.)<br />

Einer von den spontanen Rebellen war der damals 29<br />

Jahre alte Theodor Fontane. Er verließ seinen Arbeitsplatz,<br />

die Jungschen Apotheke Neue König-/Ecke<br />

Georgenkirchstraße, und eilte zur Georgenkirche, um<br />

mit dem Sturmläuten zu beginnen. Er besorgte sich<br />

ein altes Theatergewehr für den Kampf.<br />

In der Friedrichstraße sollte ein tiefgestaffeltes Verteidigungssystem<br />

die Soldaten des Königs zurückhalten.<br />

Die Barrikade an der Jägerstraße wurde von<br />

Handwerkern, Arbeitern und Studenten verteidigt,<br />

konnte sie jedoch nicht halten. Den Rückzug deckten<br />

der 17-jährige Schlosserlehrling Ernst Zinna und der<br />

19-jähriger Schlossergeselle Wilhelm Glasewaldt. Der<br />

eine hielt einen verrosteten krummen Säbel in der<br />

Hand, der andere ein altes Gewehr.<br />

Ein Augenzeuge berichtete: „Beim Heranrücken des<br />

Militärs stürzt der Knabe Zinna plötzlich aus der Barrikade<br />

hervor und blindlings auf einen der voranmarschierenden<br />

Offiziere los, dem er - alle seine Kräfte<br />

zusammenraffend - mit seiner Waffe einen mächtigen Hieb in den Hals versetzt... Dann ereilt<br />

ihn eine Kugel. „Er bedeckt die heftig blutende Wunde des Unterleibs mit seinen beiden<br />

Händen und flüchtet sich in eine geöffnete Haustüre, unerschrocken, kein Zeichen des physischen<br />

Schmerzes in seinen Zügen. Bald darauf verschied er."<br />

Rund 3 500 Berliner kämpften an diesem Tage - Zehntausende standen ihnen zur Seite. General<br />

Prittwitz dagegen verfügte über Truppen, deren Gefechtsstärke 14 000 Mann betrug,<br />

und über 36 Geschütze.<br />

Am 17. <strong>März</strong> richtete Friedrich Wilhelm IV. eine Kabinettsordre an das Gouvernement, die<br />

als allerhöchtes „Weiter so!“ verstanden werden musste: „Ich trage Ihnen auf, den sämtli-<br />

17<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


chen in diesen Tagen hier gegen die Tumultanten tätig gewesenen Truppen ohne alle Ausnahme<br />

Meine volle Anerkennung für die von ihnen bewiesene musterhafte Haltung, Ausdauer<br />

und Disziplin auszusprechen." Innenminister von Bodelschwingh konstatierte und<br />

irrte sich: „An drei Abenden zog der Pöbel in Trupps durch die Straßen… Seit gestern ist alles<br />

ruhig und kein Zeichen der Erneuerung vorhanden." Doch die Revolution tobte weiter.<br />

Prinz Wilhelm, späterer populärer erster Kaiser Deutschlands, favorisierte eine gewaltsame<br />

Niederschlagung der Rebellen. Er wollte – das Volk täuschend - das Militär aus der Stadt abziehen<br />

und diese von außen mit Kanonen (Kartätschen) sturmreif schießen. Sein Plan wurde<br />

ruchbar und trug ihm den Zorn der Berliner sowie den bis heute geläufigen Namen „Kartätschenprinz“<br />

ein. Unter dem Pseudonym Lehmann floh der Prinz am 21. <strong>März</strong> nach London.<br />

In der Nacht vom 18. zum 19. <strong>März</strong> fand Friedrich Wilhelm IV. keinen Schlaf. Auf den erschöpften<br />

Monarchen prasselten einander oft widersprechende Lageberichte und Ratschläge<br />

ein. Polizeipräsident Minutoli informierte über einen geplanten Attentatsplan gegen den<br />

König, die Königin flehte ihn an, den Kampf zu beenden. Innenminister Ernst von Bodelschwingh<br />

befürchtete, der König sei den Anforderungen nicht gewachsen und werde den<br />

Verstand verlieren. Schriftsteller Ludwig Rellstab bestätigte: „Sein Anblick nach der fruchtbaren,<br />

weltgeschichtlichen Nacht hätte jeden erschüttern müssen.“<br />

Friedrich Wilhelm IV. oder wer auch immer bosselte im nächtlichen Schloss an der berühmtberüchtigten<br />

Proklamation „An meine lieben Berliner". Darin heißt es, eine Rotte von Bösewichtern<br />

sei verantwortlich für die Auseinandersetzungen in der Stadt. Würden sich die Berliner<br />

von ihnen trennen, würden Truppen abgezogen. Entsprechende Plakate wurden in der<br />

ganzen Stadt aufgehängt resp. geklebt - und sofort abgerissen.<br />

Die schroffe Abwehr-Reaktion seiner „lieben Berliner“, die sinkende Moral der Truppe und<br />

ihn bestürmende Deputationen bewegten den entnervten Monarchen schließlich, den Befehl<br />

zum Abzug des Militärs zu geben. General von Prittwitz: „Der Abzug der Truppen gab<br />

dem Aufstand das Gepräge einer siegreichen Revolution."<br />

Zu ihr gehörten auch diese Veränderungen: Mit königlicher Genehmigung wurde in Berlin<br />

die Bürgerbewaffnung organisiert. Zudem bildete der König die Regierung um. Oberbürgermeister<br />

Wilhelm Krausnick trat zurück. Eine allgemeine Amnestie für politische Gefangene<br />

wurde verkündet. Der Erlass zur Pressefreiheit entsprach ebenfalls einer Bürgerforderung.<br />

189 Särge auf den Stufen des Deutschen Doms<br />

189 revolutionäre Barrikadenkämpfer verloren allein in der Nacht vom 18. zum 19. <strong>März</strong><br />

1848 ihr Leben. Augenzeuge Karl Frenzel: „Am 19. <strong>März</strong> wurden Tote auf Brettern, Tragbahren,<br />

Handwagen in das Schloss geschafft… Alle schrien nach dem König. Er erschien in der<br />

inneren Galerie über der Wendeltreppe. Unter Anstimmen des Liedes ,Jesus meine Zuversicht!'<br />

wurden ihm und der Königin an seiner Seite die Leichen entgegengehalten."<br />

Am 22. <strong>März</strong>, dem Tag der Bestattung der <strong>März</strong>gefallenen, trug Berlin Schwarz. Trauergottesdienste<br />

in allen Kirchen. Vor dem Deutscher Dom auf dem Gendarmenmarkt standen auf<br />

einer Estrade 189 Särge. Geistliche aller Konfessionen hielten Andacht. Im Trauerzug befan-<br />

18<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


den sich bewaffnete und unbewaffnete Handwerker, die Leitung der Universität (unter ihnen<br />

Alexander von Humboldt), der Magistrat und die Stadtverordneten sowie Geistliche aller<br />

Konfessionen. Als der Zug das Schloss erreichte, trat der König mit Ministern und Adjutanten<br />

auf den Balkon. Eine schwarz-rot-goldene Fahne - flankiert von zwei Trauerfahnen - wurden<br />

herabgesenkt. Friedrich Wilhelm ehrte die Toten, indem er entblößten und geneigten Hauptes<br />

dem Vorbeizug der Särge beiwohnte.<br />

Auf dem eigens angelegten Ehrenfriedhof der <strong>März</strong>gefallenen im Volkspark Friedrichshain<br />

erhielten die Revolutionsopfer ihre letzten Ruhestätten. Bischof Neander sprach den Segen,<br />

dann gab das Schützenkorps eine Ehrensalve. Achtzehn gefallene Soldaten wurden am 24.<br />

<strong>März</strong> auf dem Invalidenfriedhof bestattet.<br />

Erinnert wird in Berlin an das Geschehen von 1848 mit dem erwähnten Friedhof der <strong>März</strong>gefallenen<br />

im Volkspark Friedrichshain. Die Gedenkstätte war auf Beschluss der Berliner Stadtverordneten<br />

1848 angelegt und 1925 vom Berliner Architekten und Stadtbaurat Ludwig<br />

Hoffmann gestaltet worden. Seit 1998 heißt ein Terrain vor dem Brandenburger Tor verschämt<br />

"Platz des 18. <strong>März</strong>".<br />

Gustav von Trump<br />

Proklamation des Königs vom 18./19. <strong>März</strong> 1848:<br />

An Meine lieben Berliner<br />

„Durch Mein Einberufungs-Patent vom heutigen Tage habt Ihr das Pfand der<br />

treuen Gesinnung Eures Königs zu Euch und zum gesamten deutschen Vaterlande<br />

empfangen. Noch war der Jubel, mit dem unzählige treue Herzen Mich begrüßt hatten,<br />

nicht verhallt, so mischte ein Haufe Ruhestörer aufrührerische und freche Forderungen<br />

ein und vergrößerte sich in dem Maaße, als die Wohlgesinnten sich entfernten.<br />

Da ihr ungestümes Vordringen bis in’s Portal des Schlosses mit Recht arge<br />

Absichten befürchten ließ und Beleidigungen wider Meine tapfern und getreuen Soldaten<br />

ausgestoßen wurden; musste der Platz durch Cavallerie im Schritt und mit eingesteckter<br />

Waffe gesäubert werden und zwei Gewehre der Infanterie entluden sich<br />

von selbst, Gottlob! ohne irgend Jemand zu treffen. Eine Rotte von Bösewichtern,<br />

meist aus Fremden bestehend, die sich seit einer Woche, obgleich aufgesucht, doch zu<br />

verbergen gewusst hatten, haben diesen Umstand im Sinne ihrer argen Pläne, durch<br />

augenscheinliche Lüge verdreht und die erhitzten Gemüther von Vielen Meiner treuen<br />

und lieben Berliner mit Rache-Gedanken, um vermeintlich vergossenes Blut! erfüllt,<br />

und sind so die gräulichen Urheber von Blutvergießen geworden. Meine Truppen,<br />

Eure Brüder und Landsleute, haben erst dann von der Waffe Gebrauch gemacht, als<br />

sie durch viele Schüsse aus der Königsstraße dazu gezwungen wurden. Das siegreiche<br />

Vordringen der Truppen war die nothwendige Folge davon.<br />

An Euch, Einwohner Meiner geliebten Vaterstadt ist es jetzt, größerem Unheil vorzubeugen.<br />

Erkennt, Euer König und treuester Freund beschwört Euch darum, bei Allem<br />

was Euch heilig ist, den unseeligen Irrthum! kehrt zum Frieden zurück, räumt die<br />

19<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe


Barrikaden, die noch stehen, hinweg, und entsendet an Mich Männer, voll des ächten<br />

alten Berliner Geistes mit Worten, wie sie sich Eurem König gegenüber geziemen,<br />

und Ich gebe Euch Mein Königliches Wort, dass alle Straßen und Plätze sogleich<br />

von den Truppen geräumt werden sollen und die militairische Besatzung nur auf die<br />

nothwendigen Gebäude, des Schlosses, des Zeughauses und weniger anderer, und auch<br />

da nur auf kurze Zeit beschränkt werden wird. Hört die väterliche Stimme Euers Königs,<br />

Bewohner Meines treuen und schönen Berlins, und vergesset das Geschehene,<br />

wie ich es vergessen will und werde in Meinem Herzen, um der großen Zukunft Willen,<br />

die unter dem Friedens-Segen Gottes für Preußen und durch Preußen für<br />

Deutschland anbrechen wird.<br />

Eure liebreiche Königin und wahrhaft treue Mutter und Freundin, die sehr leidend<br />

darnieder liegt, vereint ihre innigen, thränenreichen Bitten mit den Meinigen.<br />

Geschrieben in der Nacht vom 18 – 19. <strong>März</strong> 1848.<br />

IMPRESSUM:<br />

Friedrich Wilhelm.“<br />

CHEFREFDAKTEUR (V.I.S.D.P.): PETER MUGAY; info@preussische-monatsbriefe.de;<br />

( 0173 7089448 ); www.preussische-monatsbriefe.de<br />

20<br />

<strong>Preußische</strong> Monatsbriefe

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