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Ethische Bildung in der Bundeswehr - Reader Sicherheitspolitik

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VI. Der Soldat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Transformation<br />

1. Soldatisches Selbstverständnis<br />

Angelika Dörfler-Dierken<br />

<strong>Ethische</strong> <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong><br />

Die ethische <strong>Bildung</strong> ihrer Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten ist <strong>der</strong> politischen Leitung sowie<br />

<strong>der</strong> militärischen Führung <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Anliegen. Sie verfolgt es auf<br />

mehreren nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verlaufenden Wegen, die zu demselben Ziel führen sollen:<br />

den ethisch gebildeten, <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Situation recht handelnden Soldaten. Der<br />

Herausbildung und För<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>es solchen Menschen dient die Innere Führung, die<br />

e<strong>in</strong>erseits das soldatische Selbstverständnis prägen, an<strong>der</strong>erseits die Organisationskultur<br />

bestimmen soll.<br />

Dem Frieden zu dienen<br />

Die Innere Führung – e<strong>in</strong> Begriff und e<strong>in</strong>e Vorstellungswelt, die aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong>dividuellen Verantwortlichkeit des Soldaten vor dem Gesetz sowie vor se<strong>in</strong>em je<br />

eigenen Gewissen heraus konstruiert ist – ist selbst e<strong>in</strong>e ethisch gegründete Konzeption.<br />

<strong>Bundeswehr</strong>soldat<strong>in</strong>nen und -soldaten sollen demnach „Staatsbürger <strong>in</strong> Uniform“ se<strong>in</strong>,<br />

für die die Werte und Pr<strong>in</strong>zipien des Grundgesetzes gelten, sei es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimat o<strong>der</strong> im<br />

Ausland. All ihr bürgerliches und militärisches Handeln dient dem Ziel, welches das<br />

Grundgesetz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Präambel steckt: „dem Frieden <strong>der</strong> Welt zu dienen“.<br />

Gewissensgeleitete Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten, die als freiheitliche und verantwortliche<br />

Bürger ihren Dienst für die demokratische Gesellschaft leisten, können ihr Berufsethos<br />

nicht aus <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung unbed<strong>in</strong>gten Befehlsgehorsams o<strong>der</strong> preußisch-militärischer<br />

Tugenden heraus entwickeln.<br />

Deutlich ist schon nach dem hier nur knapp geschil<strong>der</strong>ten Anspruch <strong>der</strong> Inneren<br />

Führung, dass e<strong>in</strong>e von solchen Pr<strong>in</strong>zipien bestimmte Organisationskultur getragen<br />

werden muss von gebildeten und (selbst)reflexiven Individuen, die im S<strong>in</strong>ne des<br />

(neu)humanistischen Ideals urteilsfähige Persönlichkeiten s<strong>in</strong>d. Sie müssen mit stärksten<br />

Gewaltmitteln kontrolliert umgehen, so dass ke<strong>in</strong>e Spirale <strong>der</strong> Gewalt entsteht. Sie<br />

dürfen auch im Gefecht den Frieden als Ziel ihres Handelns nicht aus dem Blick<br />

verlieren. Deshalb ist die <strong>Bundeswehr</strong> auch als <strong>Bildung</strong>sanstalt zu beschreiben.<br />

1


Soldaten bilden<br />

<strong>Bildung</strong> können Soldat<strong>in</strong>nen und Soldat<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> allen Unterrichten zur Inneren Führung<br />

erlangen: <strong>in</strong> politischen, historischen, rechtlichen, religiösen und ethischen. Die<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>halte werden von Soldaten sowie von Zivilisten vermittelt. Bei <strong>der</strong><br />

Abgrenzung <strong>der</strong> verschiedenen <strong>Bildung</strong>sfel<strong>der</strong> vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> muss bedacht werden, dass<br />

beispielsweise politische <strong>Bildung</strong> zugleich Aspekte ethischer <strong>Bildung</strong> enthält, <strong>in</strong>sofern<br />

die Demokratie auf e<strong>in</strong>em über Jahrtausende entwickelten Wertefundament ruht.<br />

Dasselbe gilt für historische <strong>Bildung</strong>, die unter an<strong>der</strong>em analysiert, was aus e<strong>in</strong>er Armee<br />

wird, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das Recht gebeugt und <strong>der</strong> Soldat zum Kadavergehorsam gezwungen wird.<br />

<strong>Bildung</strong> umfasst auch <strong>in</strong>terkulturelle Kompetenz. Solche besteht nicht nur im<br />

äußerlichen Wissen um die Verhaltensweisen, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em fremden Land angemessen<br />

s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Haltung von Achtsamkeit und Respekt e<strong>in</strong>em jeden an<strong>der</strong>en<br />

gegenüber, gerade dann, wenn dessen Verhaltensweisen aufgrund <strong>der</strong> Verwurzelung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Kultur Ekel erregend sche<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> für grundsätzlich falsch gehalten<br />

werden. <strong>Ethische</strong> <strong>Bildung</strong> erweist sich so als Anregung zur Selbstbildung zum<br />

Menschse<strong>in</strong>. In diesem S<strong>in</strong>ne bereitet die <strong>Bundeswehr</strong> ihre Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten<br />

auf die beson<strong>der</strong>e Verantwortung vor, die sie als Träger hoheitlicher Gewalt und als<br />

Verfügungsberechtigte über Waffen mit letaler Wirkung tragen. Entsprechende<br />

Unterrichte erfolgen <strong>in</strong> allen Verwendungen und Laufbahnen. Zusätzlich verpflichtet<br />

die <strong>Bundeswehr</strong> ihre Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten vor Auslandse<strong>in</strong>sätzen zu beson<strong>der</strong>en<br />

theoretischen und praktischen Übungen <strong>in</strong> <strong>in</strong>terkultureller Kompetenz und psychischer<br />

Selbstsorge. Damit tragen Politik und militärische Führung ihrer beson<strong>der</strong>en<br />

Verantwortung gegenüber den Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten sowie etwaigen aus <strong>der</strong><br />

Organisationskultur des Militärs entstehenden Friktionen Rechnung.<br />

Speziell e<strong>in</strong> Unterrichtszusammenhang verpflichtet die Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten zu<br />

e<strong>in</strong>er reflexiven Verständigung über die je eigenen Werte und den Auftrag: <strong>der</strong><br />

Lebenskundliche Unterricht (LKU).<br />

Häufig – <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e nach Skandalen – hörte man die Klage, die <strong>Bundeswehr</strong> tue im<br />

Vergleich zu an<strong>der</strong>en Armeen zu wenig für die ethische <strong>Bildung</strong> ihrer Soldaten. Dieses<br />

Urteil dürfte nur dann berechtigt se<strong>in</strong>, wenn man nur e<strong>in</strong>zelne Lehrgänge und<br />

Unterrichtsstunden zählt, nicht dagegen, wenn man das gesamte Feld verpflichten<strong>der</strong><br />

ethischer <strong>Bildung</strong>sangebote <strong>in</strong> den Blick nimmt. Zusätzlich ermöglicht die <strong>Bundeswehr</strong><br />

ihren Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten die Teilnahme an (fast) allen Weiterbildungsangeboten<br />

politisch-weltanschaulicher und kirchlicher Träger.<br />

2


Die Analyse stellt im Folgenden die Strukturen <strong>der</strong> ethischen <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong><br />

<strong>in</strong> den Mittelpunkt und analysiert die Angebote an e<strong>in</strong>em herausgehobenen Standort:<br />

Hamburg.<br />

<strong>Ethische</strong> Fundamente <strong>der</strong> ZDv 10/1 „Innere Führung“<br />

2008 hat <strong>der</strong> damalige Verteidigungsm<strong>in</strong>ister Franz-Josef Jung e<strong>in</strong>e Neufassung <strong>der</strong><br />

Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 „Innere Führung. Selbstverständnis und<br />

Führungskultur <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong>“ erlassen. Diese Fassung <strong>der</strong> Vorschrift ist die dritte<br />

Überarbeitung nach den „Hilfen für die Innere Führung“ (1972) und <strong>der</strong> ZDv 10/1<br />

„Innere Führung“ von 1993. Die Konzeption Innere Führung wurde maßgeblich von<br />

Wolf Stefan Traugott Graf von Baudiss<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>der</strong> 1950er-Jahre<br />

entwickelt.<br />

Graf Wolf von Baudiss<strong>in</strong> war<br />

maßgeblich am Aufbau <strong>der</strong><br />

<strong>Bundeswehr</strong> und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

an <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Inneren<br />

Führung beteiligt.<br />

Foto: <strong>Bundeswehr</strong>/Munker<br />

Dem Anspruch nach sollen die Werte des Grundgesetzes und die Grundrechte, die allen<br />

deutschen Staatsbürgern garantiert s<strong>in</strong>d, auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> <strong>in</strong> Geltung stehen<br />

und den Dienst <strong>der</strong> Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten <strong>in</strong> allen „Gestaltungsfel<strong>der</strong>n“ <strong>der</strong> Inneren<br />

Führung prägen. Dementsprechend ist Ethik ke<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Handlungsfeld für<br />

militärische Vorgesetzte, son<strong>der</strong>n Grundlage aller Gestaltungsfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Inneren<br />

Führung, <strong>der</strong>en Umsetzung den Vorgesetzten anbefohlen ist. Tatsächlich ist die Innere<br />

Führung <strong>in</strong> ihrem Kern also e<strong>in</strong>e ethische Konzeption, denn sie beansprucht nichts<br />

weniger als die Dilemmata zwischen Gehorsam und Verantwortung zu gestalten, <strong>in</strong><br />

welche <strong>der</strong> Dienst <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten br<strong>in</strong>gen mag. Die<br />

historische Negativfolie bietet die Wehrmacht, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es nicht möglich war, zugleich<br />

verantwortlich und <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit dem je eigenen Gewissen zu dienen.<br />

3


Innere Führung wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> ZDv 10/1 folgen<strong>der</strong>maßen def<strong>in</strong>iert: Innere Führung „bildet<br />

die Pr<strong>in</strong>zipien von Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit <strong>in</strong> den Streitkräften ab“<br />

(Nr. 301). Sie ruht auf ethischen, rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen<br />

„Grundlagen und Grundsätzen“. Die ethischen Grundlagen <strong>der</strong> Inneren Führung<br />

werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorschrift auf das „Wertesystem des Grundgesetzes“ zurückgeführt, das<br />

„auf e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Europa über Jahrhun<strong>der</strong>te entwickelten Philosophie und Ethik sowie auf<br />

beson<strong>der</strong>en geschichtlichen Erfahrungen“ (Nr. 304) beruht. Als zentrale Werte werden<br />

genannt: Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und<br />

Demokratie. Dabei wird die <strong>Bundeswehr</strong> vor allem auf „Achtung und Schutz <strong>der</strong><br />

Menschenwürde“ verpflichtet. Das Grundgesetz mit se<strong>in</strong>em Wertesystem liefert die<br />

„ethische Rechtfertigung“ für den Soldatendienst. „Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Würde des Menschen<br />

begründeten Werte s<strong>in</strong>d auch die Grundlage für die Grundsätze <strong>der</strong> Inneren Führung<br />

und damit für die Rechtsnomen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> sowie die Gestaltung <strong>der</strong><br />

Inneren Ordnung“ (Nr. 305).<br />

Verantwortlich ist <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne Soldat, <strong>der</strong> den Befehl se<strong>in</strong>es übergeordneten Führers<br />

umsetzt. Entsprechend heißt es im Code of Conduct, den die Bundesrepublik<br />

Deutschland 1994 unterzeichnet hat: „31. Die Teilnehmerstaaten werden<br />

gewährleisten, daß die mit Befehlsgewalt ausgestatteten Angehörigen <strong>der</strong> Streitkräfte<br />

diese im E<strong>in</strong>klang mit dem e<strong>in</strong>schlägigen <strong>in</strong>nerstaatlichen Recht und dem Völkerrecht<br />

ausüben und daß ihnen bewußt gemacht wird, daß sie nach diesem Recht für die<br />

unrechtmäßige Ausübung ihrer Befehlsgewalt persönlich zur Verantwortung gezogen<br />

werden können und daß Befehle, die gegen das <strong>in</strong>nerstaatliche Recht und das<br />

Völkerrecht verstoßen, nicht erteilt werden dürfen. Die Verantwortlichkeit <strong>der</strong><br />

Vorgesetzten entb<strong>in</strong>det die Untergebenen von ke<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen ihrer persönlichen<br />

Verantwortlichkeiten.“<br />

Der „Staatsbürger <strong>in</strong> Uniform“ – e<strong>in</strong> 1952 geprägter Ausdruck für den neuen Typus<br />

e<strong>in</strong>es Recht und Freiheit schützenden Soldaten, für den Militärdienst bruchlos mit<br />

se<strong>in</strong>en vorherigen sozialen Erfahrungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft kompatibel se<strong>in</strong> sollte –,<br />

leistete bis 1989 se<strong>in</strong>en Beitrag zur Bewahrung und Verteidigung des Westens gegen<br />

den totalitären, das Individuum unterdrückenden Osten. Das <strong>der</strong>zeit modifizierte<br />

Aufgabenprofil <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong>, das durchaus Konsequenzen für das Selbstbild und die<br />

Identität von Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten haben kann, soll allerd<strong>in</strong>gs nach den<br />

Verteidigungspolitischen Richtl<strong>in</strong>ien von 2011 ke<strong>in</strong>e grundsätzlichen Verän<strong>der</strong>ungen im<br />

Verständnis <strong>der</strong> Inneren Führung zur Folge haben. In zahlreichen Reden hat <strong>der</strong><br />

4


Bundesm<strong>in</strong>ister <strong>der</strong> Verteidigung (BMVg), Thomas de Maizière, die Bedeutung <strong>der</strong><br />

Inneren Führung für den Dienst <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> herausgestellt.<br />

Wächter und Partner <strong>der</strong> Inneren Führung<br />

Im Auftrag des Bundestages wacht <strong>der</strong> Wehrbeauftragte über die E<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong><br />

Grundsätze <strong>der</strong> Inneren Führung. Jährlich erstattet er dem Bundestag Bericht. Se<strong>in</strong>e<br />

Problemmeldungen werden im Parlament diskutiert. Der Bundesm<strong>in</strong>ister <strong>der</strong><br />

Verteidigung lässt sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Entscheidungen – auch h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> ethischen<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>der</strong> Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten – vom Beirat für Fragen <strong>der</strong> Inneren Führung<br />

beraten, e<strong>in</strong>em 1958 erstmals e<strong>in</strong>berufenen Gremium.<br />

Der Wehrbeauftragten des Deutschen<br />

Bundestages, Hellmut Königshaus,<br />

während e<strong>in</strong>er Debatte im Deutschen<br />

Bundestag.<br />

Foto: <strong>Bundeswehr</strong>/Bienert<br />

Problemmeldungen durch das Sozialwissenschaftliche Institut <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> (SOWI),<br />

durch große und kle<strong>in</strong>e parlamentarische Anfragen, Berichte von zivilen<br />

Forschungs<strong>in</strong>stituten, wie <strong>der</strong> Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung<br />

(HSFK) o<strong>der</strong> dem Institut für Friedensforschung und <strong>Sicherheitspolitik</strong> an <strong>der</strong> Universität<br />

Hamburg (IFSH), – e<strong>in</strong>e Gründung von Baudiss<strong>in</strong> aus dem Jahr 1972 – sowie<br />

Skandalisierungen von problematischen Verhaltensweisen mancher Soldat<strong>in</strong>nen und<br />

Soldaten <strong>in</strong> Zeitungen und sozialen Medien machen aufmerksam darauf, dass die<br />

ethische Aus-, Fort- und Weiterbildung <strong>der</strong> Angehörigen <strong>der</strong> Streitkräfte e<strong>in</strong>e<br />

5


Daueraufgabe ist, die sich unter den Bed<strong>in</strong>gungen von Auslandse<strong>in</strong>sätzen <strong>in</strong> fremden<br />

Kulturkreisen noch <strong>in</strong>tensiviert hat.<br />

E<strong>in</strong>richtungen zur Aus-, Fort- und Weiterbildung <strong>in</strong> Innerer Führung<br />

Das Zentrum Innere Führung (ZInFü) ist mit <strong>der</strong> Vermittlung <strong>der</strong> Grundsätze und<br />

Grundlagen <strong>der</strong> Inneren Führung, mit <strong>der</strong> Erstellung von Arbeitsunterlagen<br />

beispielsweise „Deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens“ o<strong>der</strong> „Umgang mit<br />

Verwundung und Tod“ 1 , für entsprechende Unterrichte durch die jeweiligen<br />

Vorgesetzten und von ihnen beauftragte Lehrkräfte sowie mit <strong>der</strong> Durchführung von<br />

Lehrgängen zu Fragen <strong>der</strong> Inneren Führung betraut. Den im engeren S<strong>in</strong>ne ethischen<br />

Fragen widmen sich beson<strong>der</strong>s die dort tätigen Theologen, e<strong>in</strong> evangelischer und e<strong>in</strong><br />

katholischer. Sie wirken <strong>in</strong> den Lehrgängen zur Inneren Führung mit und führen<br />

ihrerseits Lebenskundliche Unterrichte durch. Auch Kursangebote zu aktuellen Themen<br />

wie <strong>in</strong>terkultureller Kompetenz o<strong>der</strong> zur psychischen Selbst- und Kameradenhilfe o<strong>der</strong><br />

spezielle Coach<strong>in</strong>g-Angebote für militärische Führer werden hier konzipiert und<br />

durchgeführt. Dazu kommt e<strong>in</strong> breites Angebot zur politischen <strong>Bildung</strong>. Als<br />

Schwerpunkt hat sich am ZInFü <strong>in</strong> den letzten Jahren die Vorbereitung auf den<br />

Auslandse<strong>in</strong>satz herausgebildet. Vor zwei Jahren ist <strong>der</strong> Koblenzer Entscheidungs-Check<br />

vorgestellt worden, sozusagen e<strong>in</strong>e „Taschenkarte für Ethik“ als Hilfestellung für<br />

Situationen, die e<strong>in</strong>er beson<strong>der</strong>en ethischen Reflexion bedürfen. Hier werden Kriterien<br />

für ethisch-moralisches Handeln zur Herstellung von persönlicher Verhaltenssicherheit<br />

<strong>in</strong> komplexen militärischen Lagen als Fragen zur <strong>in</strong>dividuellen Selbstprüfung<br />

formuliert 2 .<br />

Da die Teilnahme an den Veranstaltungen des ZInFü <strong>der</strong>zeit nur für Führungspersonal<br />

verpflichtend ist, ist noch ke<strong>in</strong>eswegs je<strong>der</strong> Soldat o<strong>der</strong> jede Soldat<strong>in</strong> auch nur e<strong>in</strong>mal<br />

während se<strong>in</strong>er o<strong>der</strong> ihrer Dienstzeit dort gewesen. Das ZInFü entwickelt <strong>der</strong>zeit e<strong>in</strong><br />

„Ethik-Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsboard“ für Gruppenarbeiten und veranstaltet jährliche Konferenzen<br />

deutscher, österreichischer und schweizerischer Militärethiker.<br />

1 Im Intranet <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> herunterzuladen, z. T. auch über das Internet käuflich zu<br />

erwerben.<br />

2 Vgl. Thomas Elßner: Praxisorientierte Ethikausbildung <strong>in</strong> den deutschen Streitkräften. In: Hans-<br />

Christian Beck/ Christian S<strong>in</strong>ger (Hrsg.): Entscheiden – Führen – Verantworten. Soldatse<strong>in</strong> im 21.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t, Berl<strong>in</strong> 2011, S. 84–94.<br />

6


Im Rahmen <strong>der</strong> strukturellen Verän<strong>der</strong>ungen, die aus <strong>der</strong> Neuausrichtung <strong>der</strong><br />

<strong>Bundeswehr</strong> resultieren, ist <strong>der</strong> Beauftragte für Erziehung und Ausbildung <strong>der</strong><br />

<strong>Bundeswehr</strong> (BEA) am ZInFü <strong>in</strong>tegriert worden. Zudem betreibt das ZInFü seit 2010 die<br />

Zentrale Ansprechstelle für <strong>Ethische</strong> Ausbildung (ZEThA) sowie die Zentrale<br />

Koord<strong>in</strong>ationsstelle für Interkulturelle Kompetenz (ZKIK).<br />

Für speziell historische <strong>Bildung</strong> im Rahmen <strong>der</strong> politischen <strong>Bildung</strong>, die bekanntlich<br />

auch ethische Dimensionen aufweist, ist das Militärgeschichtliche Forschungsamt<br />

zuständig, das demnächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neu aufzustellenden „Zentrum für Militärgeschichte<br />

und Sozialwissenschaften <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong>“ (Arbeitsbegriff) aufgehen wird.<br />

Seelsorge und Religionsausübung<br />

Die ZDv 10/1 Innere Führung (2008) sieht vor, dass neben den Unterrichten <strong>in</strong> den neun<br />

Gestaltungsfel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Inneren Führung:<br />

o Menschenführung,<br />

o Politische <strong>Bildung</strong>,<br />

o Recht und soldatische Ordnung,<br />

o Dienstgestaltung und Ausbildung,<br />

o Informationsarbeit,<br />

o Organisation und Personalführung,<br />

o Fürsorge und Betreuung,<br />

o Vere<strong>in</strong>barkeit von Familie und Dienst,<br />

o Sanitätsdienstliche Versorgung<br />

e<strong>in</strong> weiteres Gestaltungsfeld von den militärischen Vorgesetzten beachtet wird, für das<br />

die evangelische und die katholische Militärseelsorge zuständig s<strong>in</strong>d: „Seelsorge und<br />

Religionsausübung“ (ZDv 10/1, Nr. 670–674).<br />

Der grundgesetzlich garantierte „Anspruch auf Seelsorge und ungestörte<br />

Religionsausübung“ (Nr. 671) wird von den beiden großen christlichen Kirchen <strong>in</strong><br />

eigener Verantwortung für die Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten sowie <strong>der</strong>en Angehörige<br />

realisiert (Nr. 673). Durch Gottesdienste o<strong>der</strong> im Seelsorgegespräch wird ethische<br />

<strong>Bildung</strong> geleistet, auch wenn diese grundsätzlichen ethischen Orientierungen, für die<br />

Militärgeistliche qua Amt e<strong>in</strong>zustehen haben, nicht immer im Blick s<strong>in</strong>d. Frieden,<br />

Sanftmütigkeit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit s<strong>in</strong>d charakteristische Begriffe <strong>der</strong><br />

Botschaft Jesu, die durch die Militärgeistlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> mit Gewaltmitteln arbeitenden<br />

hoheitlichen Institution laut werden sollen. Inzwischen ist unbestritten, dass für<br />

7


Militärgeistliche ebenso wie für die zivilen Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer die<br />

friedensorientierten Worte und Denkschriften <strong>der</strong> zivilen Mutterkirchen <strong>in</strong> Geltung<br />

stehen. Der Gang zum Militärseelsorger steht allen Soldaten offen. Die gesetzlichen<br />

Regelungen auf <strong>der</strong> Grundlage e<strong>in</strong>es Staatsvertrags mit e<strong>in</strong>em jeweils verb<strong>in</strong>dlichen<br />

Vertragspartner als Körperschaft des öffentlichen Rechts würden bei steigen<strong>der</strong> Zahl<br />

von Angehörigen an<strong>der</strong>er Religionsgeme<strong>in</strong>schaften auch die E<strong>in</strong>richtung von<br />

islamischer o<strong>der</strong> jüdischer Militärseelsorge erlauben. Militärische Vorgesetzte sollen den<br />

Militärgeistlichen „die Gelegenheit geben, zu allen grundsätzlichen Fragen <strong>der</strong> Inneren<br />

Führung Stellung zu nehmen“ (Nr. 674). Militärgeistliche haben somit das Recht und die<br />

Pflicht, sich um ethische Fragen <strong>der</strong> Inneren Führung zu kümmern.<br />

Der evangelische (li.) und<br />

<strong>der</strong> römisch-katholische<br />

Militärpfarrer (re.) halten<br />

geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>en<br />

Feldgottesdienst im Camp<br />

Marmal.<br />

Foto: ISAFmedia<br />

Lebenskundlicher Unterricht<br />

E<strong>in</strong>e für die Vermittlung ethischer Fragestellungen beson<strong>der</strong>s wichtiges Aufgabenfeld<br />

<strong>der</strong> Inneren Führung ist <strong>der</strong> Lebenskundliche Unterricht. Er ist geordnet <strong>in</strong> <strong>der</strong> ZDv 10/4<br />

„Selbstverantwortlich leben – Verantwortung für an<strong>der</strong>e übernehmen können“ und<br />

wird verpflichtend für alle Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten im Umfang von e<strong>in</strong>er<br />

Doppelstunde pro Monat erteilt. Es gibt genaue Durchführungsbestimmungen zum<br />

Blocken dieser Unterrichte, zu Unterrichten bei Lehrgängen etc. Bearbeitet werden soll<br />

e<strong>in</strong> breites Spektrum von Themen 3 . Erteilt wird <strong>der</strong> LKU häufig von<br />

Militärseelsorger<strong>in</strong>nen und Militärseelsorgern, die hier als vom Staat beauftragte Lehrer<br />

für berufsethische Fragen (also nicht als Geistliche ihrer jeweiligen Konfession)<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden. Die Akzeptanz des neu geordneten Lebenskundlichen Unterrichts ist<br />

bei Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten ebenso wie bei den Dozent<strong>in</strong>nen und Dozenten von den<br />

3 Vgl. dazu ZDV 10/4, Anlage 3 (Themenfel<strong>der</strong>).<br />

8


eiden Militärseelsorgen nach den Untersuchungen des SOWI sehr groß. Das ist<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>der</strong> diskursiven Atmosphäre geschuldet, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dilemma-Situationen gut<br />

diskutiert werden können.<br />

Die katholische Militärseelsorge unterhält am Institut für Theologie und Frieden (IThF)<br />

<strong>in</strong> Hamburg e<strong>in</strong> Zentrum für <strong>Ethische</strong> <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> den Streitkräften (ZEBIS), das <strong>der</strong><br />

Weiterbildung von Militärgeistlichen und an<strong>der</strong>en Ethik-Multiplikatoren <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Bundeswehr</strong> dient. Das ZEBIS veranstaltet Studientage und Workshops 4 . Daneben<br />

betreibt das ZEBIS e<strong>in</strong> Didaktik-Internetportal mit zielgruppenspezifischen<br />

Unterrichtsentwürfen und -materialien für den LKU. Hier s<strong>in</strong>d zu dessen zehn<br />

Themenbereichen Unterrichtsentwürfe, audiovisuelle Medien und diverse<br />

H<strong>in</strong>tergrundmaterialien zur Vorbereitung für die Dozent<strong>in</strong>nen und Dozenten im LKU<br />

abrufbar. Sämtliche gegenwärtig e<strong>in</strong>gestellten Materialien s<strong>in</strong>d zwar katholisch<br />

approbiert, stehen aber auch evangelischen Ethiklehrern zur Verfügung. Durch die<br />

Anb<strong>in</strong>dung an das IThF s<strong>in</strong>d wissenschaftliche Qualitätsstandards gesichert.<br />

Da die Themenfel<strong>der</strong> des Lebenskundlichen Unterrichts weitgehend den<br />

„Gestaltungsfel<strong>der</strong>n“ <strong>der</strong> ZDv 10/1 entsprechen, erhalten Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten zu<br />

jedem Thema mehrere und unterschiedliche Anregungen – sowohl aus <strong>der</strong> militärischen<br />

als auch aus e<strong>in</strong>er zivilen ethischen Perspektive. Weil das Grundgesetz mit se<strong>in</strong>en<br />

Pr<strong>in</strong>zipien und Wertentscheidungen auch beim Militär gilt, gibt es nur e<strong>in</strong>en Werte-<br />

Bezugsrahmen und e<strong>in</strong>e Ethik für die deutsche Zivilgesellschaft wie für die <strong>Bundeswehr</strong>.<br />

Grundthema des Militärs ist die Frage <strong>der</strong> verantwortbaren Anwendung von Gewalt,<br />

Grundthema <strong>der</strong> Gesellschaft ist die E<strong>in</strong>dämmung und Bändigung von Gewalt.<br />

Zusammenfassung<br />

<strong>Ethische</strong> <strong>Bildung</strong> erfolgt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> im Rahmen <strong>der</strong> Inneren Führung immer auf<br />

zwei Gleisen: durch die Unterrichte <strong>der</strong> militärischen Vorgesetzen o<strong>der</strong> von ihnen<br />

beauftragter Dozenten im Rahmen <strong>der</strong> Inneren Führung und die Unterrichte ziviler<br />

Ethik-Fachkräfte. Neben den Befehlsstrang, <strong>der</strong> grundsätzlich auch im Rahmen <strong>der</strong><br />

Inneren Führung gilt, wird durch die Implementierung e<strong>in</strong>es berufsethischen Unterrichts<br />

durch Zivilisten (gegenwärtig vor allem aus dem Bereich <strong>der</strong> Kirchen), e<strong>in</strong> zweiter<br />

Strang gestellt, <strong>der</strong> vom Gedanken <strong>der</strong> Freiwilligkeit und Offenheit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

4 Vgl. dazu das Interview mit <strong>der</strong> Leiter<strong>in</strong> Dr. Veronika Bock unter<br />

http://www.zebis.eu/dev/<strong>in</strong>dex.php.<br />

9


Durchführung <strong>der</strong> Unterrichte geprägt ist. Der Besuch dieser Veranstaltungen ist<br />

allerd<strong>in</strong>gs verpflichtend.<br />

<strong>Ethische</strong> <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> umfasst zwei Bereiche, die traditionell als<br />

Individual- und Sozialethik o<strong>der</strong> Politische Ethik – im katholischen Bereich ist auch <strong>der</strong><br />

Begriff Moraltheologie gebräuchlich – unterschieden werden: Sie zielt e<strong>in</strong>erseits auf die<br />

Unterstützung des Individuums <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Selbstverhältnis und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em sozialen<br />

Umfeld (Familie, Kollegen und Freunde), an<strong>der</strong>erseits auf die Dimension <strong>der</strong><br />

verantwortlichen Weltgestaltung (Gesellschaft und Politik).<br />

Luftwaffensoldaten beim<br />

Feierlichen Gelöbnis <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />

Foto: <strong>Bundeswehr</strong>/Wilke<br />

Die ethische <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> kann ihrem Wesen nach als Friedensethik<br />

beschrieben werden, denn um die friedensorientierte Transformation von Konflikten<br />

geht es <strong>in</strong> allen Zusammenhängen des menschlichen Lebens, beson<strong>der</strong>s aber dann,<br />

wenn Waffen e<strong>in</strong>gesetzt werden. Der Beruf des Soldaten ist wegen des ständigen<br />

Umgangs mit potentiell letalen Gewaltmitteln <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Weise durch Gewalt<br />

gefährdet. Die aktuellen Diskussionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> akademischen Ethik zielen weniger auf die<br />

alle ethische Reflexion e<strong>in</strong>igenden Pr<strong>in</strong>zipien, wie sie im Grundgesetz angelegt s<strong>in</strong>d, als<br />

auf Vielfältigkeit. So unterscheidet man sogenannte Bereichsethiken, wie etwa<br />

10


Mediz<strong>in</strong>-, Kultur-, Wirtschafts- o<strong>der</strong> Umweltethik und fragt nach unterschiedlichen<br />

ethischen Grundsätzen verschiedener Kulturkreise und Religionen. Der katholische<br />

Theologe Hans Küng hat mit se<strong>in</strong>em Projekt Weltethos den Gedanken populär<br />

gemacht, dass es fünf ethische Grundsätze gibt, die <strong>in</strong> allen Religionen und Kulturen<br />

gleich s<strong>in</strong>d 5 . Internationale militärethische Vere<strong>in</strong>igungen wie <strong>der</strong> europäische Ableger<br />

von ISME bemühen sich um Vere<strong>in</strong>heitlichung <strong>der</strong> e<strong>in</strong>schlägigen Debatten. Zudem ist<br />

die jährliche Zusammenkunft von Militärgeistlichen, Soldaten und Friedensforschern bei<br />

<strong>der</strong> Konferenz Council of Christian Approaches to Defense and Disarmament (CCADD)<br />

zu nennen.<br />

Beispiele für die Umsetzung von ethischer <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong><br />

Aus Hamburg werden im Folgenden e<strong>in</strong>ige Beispiele für Maßnahmen zur ethischen<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> angeführt, die zeigen, wie vielfältig das ethische Terra<strong>in</strong><br />

gegenwärtig bestellt wird, und andeuten, wie pluralistisch und offen die Debatte<br />

militärisch-berufsethischer und an<strong>der</strong>er ethischer Fragen ist:<br />

An <strong>der</strong> Helmut-Schmidt-Universität, Universität <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> (HSU) f<strong>in</strong>det die<br />

ethische <strong>Bildung</strong> gegenwärtig mehrgleisig statt:<br />

Zum e<strong>in</strong>en muss je<strong>der</strong> Studierende am Anfang se<strong>in</strong>es Bachelorstudiums e<strong>in</strong>e<br />

Lehrveranstaltung aus dem Inhaltsbereich II <strong>der</strong> Interdiszipl<strong>in</strong>ären Studienanteile (ISA)<br />

erwerben. Dieser Inhaltsbereich leistet ke<strong>in</strong>en Ergänzungsbedarf zum Fachstudium und<br />

ist auch nicht nur allgeme<strong>in</strong>bildend, son<strong>der</strong>n bietet „ethische und<br />

handlungsorientierende Angebote für die <strong>Bildung</strong> von Führungspersönlichkeiten“.<br />

Gelernt werden kann <strong>in</strong> den Modulen dieses Inhaltsbereichs nicht nur theoretisch,<br />

son<strong>der</strong>n auch praktisch durch Service Learn<strong>in</strong>g (hier engagieren sich Studenten<br />

ehrenamtlich <strong>in</strong> konkreten Projekten zur Leseför<strong>der</strong>ung bei Grundschulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n im<br />

Hamburger Stadtteil Wandsbek; dabei werden sie wissenschaftlich begleitet).<br />

Verpflichtend ist nur <strong>der</strong> Besuch e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> ethische und Handlung orientierende<br />

Kompetenz vermittelnden Angebote (fünf Leistungspunkte müssen von e<strong>in</strong>em jeden<br />

Bachelorabsolventen <strong>in</strong> diesem Feld nachgewiesen werden). E<strong>in</strong> zweites Modul (weitere<br />

fünf Leistungspunkte) kann zusätzlich gewählt werden. Weitere ISA-Leistungspunkte<br />

müssen allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Inhaltsbereich erworben werden. Für die<br />

Masterstudiengänge an <strong>der</strong> HSU s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Angebote im Gebiet <strong>der</strong> Ethik vorgesehen;<br />

5 Vgl. http://www.weltethos.org/.<br />

11


es ist grundsätzlich aber natürlich möglich, entsprechende Fragen <strong>in</strong> den<br />

fachwissenschaftlichen Betrieb e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.<br />

Daneben gibt es im militärischen Bereich verpflichtende Weiterbildungsmaßnahmen für<br />

die studierenden Offiziere im Rahmen ihrer Allgeme<strong>in</strong>militärischen Ausbildung (AMA)<br />

durch den militärischen Studentenbereich: Für vier Jahre, also während des ganzen<br />

Studiums, muss verpflichtend zusätzlich zum akademischen Studium e<strong>in</strong> Curriculum<br />

unter dem Thema „Innere Führung: <strong>Ethische</strong> und politische Haltung und Orientierung<br />

für den Offizier“ absolviert werden. Das soll die zukünftigen Führungskräfte dazu<br />

anhalten, sich <strong>in</strong>tensiv mit den politischen und ethischen Grundlagen des<br />

Soldatenberufs ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen. Die Veranstaltungsreihe wird vom Leiter des<br />

Studentenfachbereichs verantwortet und von den Diszipl<strong>in</strong>arvorgesetzten <strong>der</strong><br />

Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten durchgeführt. Die Militärgeistlichen arbeiten <strong>in</strong> dem<br />

Curriculum mit, für die studierenden Soldaten wird ke<strong>in</strong> LKU angeboten. Nicht<br />

abzusehen ist bisher, ob sich <strong>der</strong> Gedanke durchsetzt, dass militärische Vorgesetzte<br />

neben das akademische Fachstudium e<strong>in</strong> eigenes Curriculum setzen 6 .<br />

Zudem bieten die Militärseelsorger <strong>der</strong> beiden großen christlichen Konfessionen diverse<br />

freiwillige Veranstaltungen von Gottesdiensten über K<strong>in</strong>oabende bis h<strong>in</strong> zu Rüstzeiten<br />

an, sowohl für das militärische Stamm- und Führungspersonal als auch für die<br />

Studierenden.<br />

Dem militärischen Stammpersonal an <strong>der</strong> HSU wird regelmäßig LKU erteilt.<br />

An <strong>der</strong> Führungsakademie <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> (FüAkBw) sehen die Lehrgänge für<br />

Berufssoldaten und Generalstabsoffiziere im Bereich <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>bildenden humanund<br />

sozialwissenschaftlichen Ausbildung (HSW) die Möglichkeit zum Besuch von<br />

Lehrveranstaltungen von zwei zivilen akademischen Ethikern (beide ihrer Profession<br />

nach Theologen, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e katholisch, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e evangelisch) vor.<br />

6 Vgl. Interview mit dem Leiter des Studentenbereichs Oberst Dr. Uwe Hartmann unter<br />

http://www.katholischemilitaerseelsorge.de/<strong>in</strong>dex.php?id=269&L=0%2F%2F%2Fadm<strong>in</strong>%2Fdoeditconfig.php%3Fthispat<br />

h%3D..%2F<strong>in</strong>cludes%2Fadm<strong>in</strong>%2Fdoeditconfig.php%3Fthispath%3D..%2F<strong>in</strong>cludes<br />

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Lehrgangsteilnehmer an <strong>der</strong> Führungsakademie <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> <strong>in</strong> Hamburg (Generalstabsund<br />

Admiralstabsdienst International und National) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Prüfung. Foto: <strong>Bundeswehr</strong>/Rott<br />

Die Ausbildung speziell <strong>in</strong> Innerer Führung und zu <strong>der</strong>en zehn Gestaltungsfel<strong>der</strong>n ist<br />

am Fachbereich Führung, Militärische Führungslehre und Organisation (FMO)<br />

angesiedelt. Themen aus den Gestaltungsfel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Inneren Führung werden <strong>in</strong><br />

beiden Ausbildungszusammenhängen unterrichtet. Die Zusammenarbeit von HSW und<br />

FMO soll durch das Internationale Forum Berufsethik für militärische Führungskräfte<br />

(IFE), das unter <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Leitung bei<strong>der</strong> Fachbereiche steht und e<strong>in</strong>e<br />

Auftaktveranstaltung 2010 durchgeführt hat, <strong>in</strong>tensiviert werden. Zudem bieten die<br />

evangelische und die katholische Militärseelsorge an <strong>der</strong> FüAkBw vielfältige<br />

Lebenskundliche Unterrichte und Rüstzeiten für die an den Lehrgängen teilnehmenden<br />

Berufssoldaten an. Zudem ist <strong>in</strong> Hamburg das ZEBIS am IThF angesiedelt.<br />

Erstmals hat das Interdiszipl<strong>in</strong>äre Studienangebot Peacebuild<strong>in</strong>g/Friedensbildung <strong>der</strong><br />

Universität Hamburg im Sommer 2012 e<strong>in</strong>e Exkursion nach Strausberg und Berl<strong>in</strong><br />

veranstaltet und mit <strong>Bundeswehr</strong>e<strong>in</strong>richtungen wie <strong>der</strong> Akademie für Information und<br />

Kommunikation (AIK) und dem Sozialwissenschaftlichen Institut <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> (SOWI)<br />

kooperiert. Die Dokumentation dieser Veranstaltung zeigt exemplarisch, welche<br />

Vermittlungsaufgaben für die Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> aus <strong>der</strong><br />

Gesellschaft, hier vertreten durch die zivilen Studierenden, erwachsen, und welche ethischen<br />

Grundentscheidungen sie vor Familie und Öffentlichkeit vertreten können sollten.<br />

Diese Beispiele aus Hamburg zeigen, wie vielfältig die ethischen <strong>Bildung</strong>se<strong>in</strong>flüsse s<strong>in</strong>d,<br />

denen die Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten im Rahmen ihrer militärischen Ausbildung nach<br />

dem Willen des Dienstherrn gezielt ausgesetzt werden. Sie machen auch darauf<br />

13


aufmerksam, dass e<strong>in</strong>e noch <strong>in</strong>tensivere <strong>Bildung</strong> von militärisch und zivil Studierenden<br />

möglich wäre. Ziel dieses komplexen und komplizierten Geflechts von zivilen,<br />

kirchlichen und militärischen Verantwortungsträgern, die im Rahmen <strong>der</strong> Inneren<br />

Führung zusammenwirken, ist die Schärfung des je eigenen Gewissens und die<br />

Ermutigung zur Übernahme von wertegebundener und ethisch reflektierter<br />

Verantwortung.<br />

Anregungen zur Weiterentwicklung <strong>der</strong> ethischen <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong><br />

Der Weg verstärkter Integration unterschiedlicher, komplementärer o<strong>der</strong> gar<br />

gegensätzlicher E<strong>in</strong>flüsse sollte noch <strong>in</strong>tensiviert werden. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

geme<strong>in</strong>schaftliche <strong>Bildung</strong>sveranstaltungen von Militärangehörigen und Zivilisten<br />

sollten geför<strong>der</strong>t werden, denn e<strong>in</strong> solcher Austausch m<strong>in</strong>imiert die Probleme, die mit<br />

e<strong>in</strong>er spezifisch militärischen Sozialisation verbunden se<strong>in</strong> können (Son<strong>der</strong>ethos),<br />

för<strong>der</strong>t die Integration <strong>der</strong> Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten <strong>in</strong> die Gesellschaft und bei<br />

Zivilisten das Verständnis für die Beson<strong>der</strong>heiten und Grenzen des soldatischen Berufs.<br />

Gerade <strong>der</strong> Wissenschaftsstandort Hamburg (ebenso aber auch <strong>der</strong> <strong>in</strong> München und<br />

grundsätzlich natürlich auch <strong>der</strong> Standort Koblenz) könnte vielfältige Möglichkeiten für<br />

weitere Vernetzungen zum Zweck <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> ethischen <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Bundeswehr</strong> bieten.<br />

Autor<strong>in</strong><br />

Prof. Dr. Angelika Dörfler-Dierken, Jahrgang 1955, ist Wissenschaftliche Direktor<strong>in</strong> und<br />

Forschungsschwerpunktleiter<strong>in</strong> für „Militär, Ethik, Innere Führung“ am<br />

Sozialwissenschaftlichen Institut <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong>. Sie betreut hier die<br />

Forschungsprojekte „<strong>Ethische</strong> Fundamente <strong>der</strong> Inneren Führung“ und „Gerechter Krieg –<br />

gerechter Frieden.“<br />

Literatur<br />

Wolf Graf von Baudiss<strong>in</strong>, Als Mensch h<strong>in</strong>ter den Waffen. Hrsg. und komm. von Angelika<br />

Dörfler-Dierken, Gött<strong>in</strong>gen 2006.<br />

Heiko Biehl, Aus den Augen, aus dem S<strong>in</strong>n? Überlegungen zur gesellschaftlichen<br />

Integration <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong> nach Aussetzung <strong>der</strong> Wehrpflicht.<br />

In: Uwe Hartmann u.a, Jahrbuch Innere Führung 2012: Der Soldatenberuf im Spagat<br />

zwischen gesellschaftlicher Integration und sui generis-Ansprüchen, Berl<strong>in</strong> 2012, S. 53–72.<br />

14


Angelika Dörfler-Dierken, <strong>Ethische</strong> Fundamente <strong>der</strong> Inneren Führung. Baudiss<strong>in</strong>s<br />

Leitgedanken: Gewissensgeleitetes Individuum – Verantwortlicher Gehorsam – Konfliktund<br />

friedensfähige Mitmenschlichkeit. SOWI-Berichte 77, Strausberg 2005.<br />

Angelika Dörfler-Dierken, <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong>: politisch, historisch, ethisch. In:<br />

Uwe Hartmann u.a: Jahrbuch Innere Führung 2012: Der Soldatenberuf im Spagat zwischen<br />

gesellschaftlicher Integration und sui generis-Ansprüchen, Berl<strong>in</strong> 2012, S.102–117.<br />

Klaus Ebel<strong>in</strong>g, Militär und Ethik. Moral- und militärkritische Reflexionen zum<br />

Selbstverständnis <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong>. Beiträge zur Friedensethik 41, Stuttgart 2006.<br />

Thomas Elßner : Praxisorientierte Ethikausbildung <strong>in</strong> den deutschen Streitkräften. In: Hans-<br />

Christian Beck/Christian S<strong>in</strong>ger (Hrsg.): Entscheiden – Führen – Verantworten. Soldatse<strong>in</strong> im<br />

21. Jahrhun<strong>der</strong>t, Berl<strong>in</strong> 2011, S. 84–94.<br />

Evangelisches Kirchenamt für die <strong>Bundeswehr</strong> (Hrsg.), Friedensethik im E<strong>in</strong>satz. E<strong>in</strong><br />

Handbuch <strong>der</strong> Evangelischen Seelsorge <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundeswehr</strong>, Gütersloh 2009.<br />

Rudolf J. Schlaffer/ Wolfgang Schmidt (Hrsg.), Wolf Graf von Baudiss<strong>in</strong>, 1907–1993.<br />

Mo<strong>der</strong>nisierer zwischen totalitärer Herrschaft und freiheitlicher Ordnung, München 2007.<br />

H<strong>in</strong>weise<br />

www.<strong>in</strong>nerefuehrung.bundeswehr.de<br />

Zentrum Innere Führung<br />

www.eka.militaerseelsorge.bundeswehr.de<br />

Evangelische Militärseelsorge<br />

www.kmba.militaerseelsorge.bundeswehr.de<br />

Katholisches Militärbischofsamt (KMBA)<br />

www.zebis.eu<br />

Zentrum für ethische <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> den Streitkräften<br />

www.euroisme.org/<br />

The European Chapter of the International Society for Military Ethics<br />

www.ccadd.org.uk<br />

Council on Christian Approaches to Defence and Disarmament<br />

www.znf.uni-hamburg.de/Friedensbildung/<strong>in</strong>dex.html<br />

Initiative „Friedensbildung/ Peacebuild<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Universität Hamburg<br />

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