Impulse für ein sozialdemokratisches Regierungsprogramm Bausteine
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2013 – 2017<br />
<strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> <strong>ein</strong> <strong>sozialdemokratisches</strong><br />
<strong>Regierungsprogramm</strong><br />
Baust<strong>ein</strong>e<br />
des Vorstandes der Parlamentarischen Linken<br />
1
Einleitung<br />
Die Parlamentarische Linke in der SPD – Bundestagsfraktion hat seit Sommer<br />
2012 und dem Vorliegen der ersten Entwürfe zum <strong>Regierungsprogramm</strong> der SPD<br />
in drei Themenfeldern <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das <strong>Regierungsprogramm</strong> erarbeitet, die wir<br />
hiermit zur Diskussion stellen. Es handelt sich hierbei um <strong>ein</strong>e Vorlage, die vom<br />
Vorstand der Parlamentarischen Linken erarbeitet worden ist und verantwortet<br />
wird.<br />
Wir reihen uns damit <strong>ein</strong> in die Diskussionsbeiträge aus den verschiedenen<br />
Strömungen und Gruppen der Partei, die mit ihren Anregungen und Forderungen<br />
das Profil der SPD insgesamt stärken wollen. Viele große Programmfragen sind in<br />
den Diskussionen und Entscheidungen der SPD in den letzten Monaten ganz in<br />
unserem Sinne geklärt und beschlossen worden, z.B. die Politikkonzepte der SPD<br />
<strong>für</strong> gute Arbeit, <strong>für</strong> die Bürgerversicherung, die gute Pflege, das Rentenkonzept<br />
oder auch die neuen Vorstellungen zur Steuerpolitik und zur Regulierung der<br />
Finanzmärkte.<br />
Mit unseren <strong>Impulse</strong>n wollen wir aufgreifen und verstärken, was auch der<br />
Kanzlerkandidat der SPD Peer St<strong>ein</strong>brück als Forderung an die überfällige Debatte<br />
um politische Inhalte und den ökonomischen und gesellschaftlichen<br />
Transformationsprozess der Zukunft gerichtet hat: 1) Arbeitswelt und<br />
Wertschöpfung müssen wieder mehr ins Zentrum rücken. Sowie die gerechte<br />
Verteilung und sinnvolle Nutzung der geschaffenen Werte. 2) Der<br />
demographische Wandel erfordert auch neue Konzepte der Teilhabe <strong>für</strong> alle<br />
Menschen. 3) Und wir brauchen nicht nur <strong>ein</strong>e neue, <strong>ein</strong>e den Menschen nützliche<br />
Reformpolitik <strong>für</strong> Deutschland, sondern auch Politik mit <strong>ein</strong>er europäischen<br />
Perspektive und in globaler Verantwortung <strong>für</strong> die Menschen.<br />
Die vorgelegten <strong>Impulse</strong> sind Ansätze, um das SPD – <strong>Regierungsprogramm</strong> mit<br />
konkreten Forderungen ebenso anschaulich wie verbindlich zu machen. Damit<br />
wird dann die Grundlage da<strong>für</strong> gelegt, dass in <strong>ein</strong>em Richtungswahlkampf um die<br />
Inhalte aus Konzepten Orientierung, aus Strategien Mehrheiten <strong>für</strong> <strong>ein</strong>en neuen<br />
Fortschritt werden. Hieran wollen wir engagiert mitarbeiten.<br />
2
Inhalt:<br />
I. Für <strong>ein</strong> sozial gerechtes Land<br />
- <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e Ökonomie der Solidarität<br />
1.1. Humanisierung der Arbeit - gute Arbeit <strong>für</strong> alle<br />
1.2. Teilhabe ermöglichen – niemanden ausschließen<br />
1.3. Nachhaltiges Wachstum<br />
– ressourcen- und energieeffizient wirtschaften<br />
1.4. Genossenschaften und Mitbestimmung<br />
– solidarische Ökonomie aufbauen<br />
II.<br />
Für <strong>ein</strong>e Gestaltung des demographischen Wandels<br />
– <strong>für</strong> Investitionen in die Menschen<br />
2.1. Bildung als Menschenrecht – gute Bildung von Anfang an<br />
2.2. Grundbildung <strong>für</strong> alle – die 2. Chance garantieren<br />
2.3. Berufliche Bildung aufwerten – Weiterbildung fördern<br />
III. Für <strong>ein</strong> demokratisches und soziales Europa<br />
– <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e aktive deutsche Friedenspolitik<br />
3.1. Europa politisieren – Europa reformieren<br />
3.2. Mehr Demokratie wagen<br />
- <strong>für</strong> <strong>ein</strong>en neuen Verfassungskonvent<br />
3.3. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik<br />
- wieder zur Friedenspolitik machen<br />
3
I . Für <strong>ein</strong> sozial gerechtes Land –<br />
<strong>für</strong> <strong>ein</strong>e Ökonomie der Solidarität<br />
1.1. Humanisierung der Arbeit – gute Arbeit <strong>für</strong> alle<br />
Nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen Liberalisierung ist <strong>ein</strong>e andere, sozial nachhaltige<br />
Entwicklung der Gesellschaft und der Wirtschaft dringend nötig. In den vergangenen<br />
Jahrzehnten dominierte im sozialen Zusammenleben der Geltungsanspruch der<br />
Profitabilität. Die Maßstäbe und die Sprache der Ökonomie sind wie <strong>ein</strong> Trojaner in alle<br />
Lebenswelten <strong>ein</strong>gedrungen. Die Folgen dieses Paradigmenwechsel lassen sich in<br />
reduzierter Wohlfahrt, dem Mangel an Solidarität und Gerechtigkeit, <strong>ein</strong>er nicht<br />
umgesetzten Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und dem Verlust an<br />
persönlicher Freiheit und gesellschaftlichem Frieden und Souveränität erkennen.<br />
Es geht jetzt darum, die neoliberale Ideologie des Marktradikalismus und der<br />
Profitoptimierung wieder aus den Institutionen unserer Gesellschaft heraus zu drängen.<br />
Dazu muss auch die Zeit der Entstaatlichung aus Prinzip beendet werden. Wir brauchen<br />
vielmehr <strong>ein</strong>en qualitativen und quantitativen Ausbau öffentlicher Güter.<br />
Die soziale Deformierung der Gesellschaft hat sich vor allem auch über <strong>ein</strong>e veränderte<br />
Arbeitswelt entwickelt. Die Gründe sind vielfältig: Deregulierung am Weltmarkt,<br />
Durchsetzung der Kapital- und Shareholder - Interessen, Kostenoptimierung in den<br />
Unternehmen, flexible Anstellungspolitik, rigide Personalbewirtschaftung in den<br />
Unternehmen, die hohe Belastungen insbesondere durch die unzureichenden<br />
Wertschätzung personenbezogener Dienstleistungsberufe.<br />
Auch die Fixierung der politischen Diskussion auf die quantitativen Kennziffern des<br />
Arbeitsmarktes hat die Frage nach der Qualität der Arbeit selbst zunehmend in den<br />
Hintergrund treten lassen. Der gute Wert von Arbeit ist dadurch massiv beschädigt worden.<br />
Tatsächlich nimmt die Rate ernsthafter Erkrankungen durch Arbeit insbesondere im<br />
psychischen Bereich stetig zu. Noch nie waren die psychischen Erkrankungen durch Arbeit<br />
so zahlreich wie jetzt. Sie stellen mittlerweile das größte Kontingent an Berufserkrankungen<br />
4
dar. Damit verbunden sind steigende Fehlzeiten, hohe Fluktuation, vorzeitiger<br />
Berufsausstieg und <strong>ein</strong>e hohen Frühverrentungsquote. Neben den gesundheitlichen und<br />
persönlichen Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind dabei auch<br />
die wirtschaftlichen Effekte zu beachten.<br />
Wichtig ist deshalb, dass die Arbeitsmarktpolitik von <strong>ein</strong>er durchdachten und ebenso<br />
wichtigen Arbeitspolitik flankiert wird. Das klassische Anliegen der Sozialdemokratie von<br />
der Humanisierung der Arbeitswelt gehört wieder ins Zentrum der Politik. Wir brauchen<br />
<strong>ein</strong>e neue Offensive zur Gestaltung der Lebens, Jahres- und Wochenarbeitszeit, die sich an<br />
menschlichen Bedürfnissen, familiären Erfordernissen und geschlechtergerechter<br />
Verteilung orientiert und Arbeitszeit umverteilt.<br />
Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit und Berufsperspektiven der Beschäftigten,<br />
und dies gilt <strong>für</strong> abhängig Beschäftigte genauso wie <strong>für</strong> Selbständige, sind als auslösende<br />
Faktoren <strong>für</strong> Erkrankungen in Zukunft im Arbeitsschutz und in der betrieblichen<br />
Gesundheitsvor- und <strong>für</strong>sorge zu berücksichtigen. Berufliche Standards an die Qualität der<br />
Arbeit müssen auch am Markt Geltung behalten. Gerade Menschen, die sich in hohem<br />
Maße mit ihrer Arbeit identifizieren und <strong>ein</strong> besonders hohes berufliches Ethos haben,<br />
leiden unter diesem Druck <strong>ein</strong>er Erosion von Qualitätsstandards.<br />
Die Wertschätzung und Qualität der Arbeit müssen sich auch wieder in ihrer Bezahlung und<br />
der Qualität und Sicherheit des Arbeitsplatzes widerspiegeln. Tatsächlich sind im letzten<br />
Jahrzehnt die Reallöhne jahresdurchschnittlich um 0,3 Prozent gesunken. Die<br />
Nettolohnquote lag vor 1990 jahrzehntelang auf <strong>ein</strong>em Niveau von über 50% und ist dann<br />
auf 39,4 Prozent in 2010 gesunken. Über 22 Prozent der Beschäftigten arbeiten mittlerweile<br />
im Niedriglohnsektor. 1,4 Millionen Menschen brauchen trotz Erwerbstätigkeit staatliche<br />
Unterstützung. Die Hälfte aller neuen Arbeitsverträge ist befristet. Die Zahl der<br />
Leiharbeitsverhältnisse hat sich in den letzten sieben Jahren verdreifacht. Mehr als jede<br />
fünfte erwerbstätige Frau arbeitet ausschließlich in <strong>ein</strong>em Minijob und 63 Prozent aller<br />
geringfügig Beschäftigten sind Frauen. Während <strong>ein</strong>ige Frauen in Teilzeit arbeiten wollen,<br />
weil aufgrund der Lohnungleichheit immer noch überwiegend die Männer den Hauptteil<br />
des Haushalts<strong>ein</strong>kommens beisteuern, ist die überwiegende Mehrheit unfreiwillig in der<br />
Minijobfalle gefangen.<br />
5
Frauen sind aber so gut ausgebildet wie nie zuvor. Aber nur selten können sie ihre<br />
Ausbildung und ihre Kompetenzen im Beruf entsprechend entfalten. Das produktive Kapital<br />
der Frauen wird nicht voll genutzt. Eine neue „kurze Vollzeit“, z.B. von 32 Std. könnte sich<br />
an den Wünschen vieler Frauen (mehr Erwerbsarbeit) aber auch an denen viele Männer<br />
(weniger Erwerbsarbeit) orientieren. Gleichzeitig würde sie die Umverteilung von<br />
Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern wie auch die Lebenszufriedenheit beider<br />
Geschlechter fördern. Die Aufstiegschancen von Frauen würden steigen.<br />
Aus Gründen der individuellen Flexibilität wechseln viele Menschen in selbstbestimmte<br />
Arbeitsverhältnisse. Die so genannten Soloselbstständigen müssen aber angehalten<br />
werden, ihre Arbeit <strong>ein</strong>em Richtwert nach anzubieten, mit dem ihr Arbeitgeberanteil an<br />
den Versicherungskosten abgedeckt ist. Berufsverbände und Zusammenschlüsse von<br />
Freiberuflern müssten sich auf entsprechende Stunden- und Tagessätze als öffentlich<br />
bekannten Preis <strong>für</strong> freiberufliche Dienstleistungen <strong>ein</strong>igen.<br />
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm:<br />
Das Prinzip der Flächentarifverträge wird gestärkt, indem die<br />
Allgem<strong>ein</strong>verbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erleichtert wird und konkurrierende<br />
Tarifverträge <strong>für</strong> <strong>ein</strong> Tarifgebiet ausgeschlossen werden.<br />
Um Missbrauch in der Leiharbeit wie auch bei Werkverträgen vorzubeugen, muss<br />
das Prinzip "Gleicher Lohn <strong>für</strong> gleiche Arbeit" ab dem ersten Tag gelten. Die Verleihzeit darf<br />
dabei maximal <strong>ein</strong> Jahr betragen. Für die Qualifizierung und Weiterbildung der<br />
Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter wird <strong>ein</strong>e Branchenumlage <strong>ein</strong>geführt, aus deren<br />
Weiterbildungsfonds der Anspruch auf Weiterbildung in der verleihfreien Zeit sichergestellt<br />
werden kann.<br />
Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter dürfen beim verleihenden Unternehmen nicht<br />
nur <strong>für</strong> die Zeit angestellt werden, in der sie verliehen sind. Betriebsräte im Entleihbetrieb<br />
müssen darüber hinaus mehr Mitbestimmungsrecht erhalten. Verträge von unter drei<br />
Monaten Dauer müssen grundsätzlich signifikant besser vergütet werden als die<br />
Referenzstelle in der Stammbelegschaft.<br />
Um den Missbrauch von Werkverträgen zur Ersetzung von<br />
sozialversicherungspflichtiger Arbeit möglichst auszuschließen, müssen die<br />
Abgrenzungskriterien zur Arbeitnehmerüberlassung abschließend definiert und wirksam<br />
6
werden. Bei konsequenter Anwendung der Abgrenzungsmerkmale durch die Behörden<br />
werden viele existierende Werkverträge als illegale Leiharbeit zu qualifizieren s<strong>ein</strong>.<br />
Zur Durchsetzung des Entgeldgleichheitsgebotes zwischen Männern und Frauen wird<br />
<strong>ein</strong> Gesetz erlassen. Alle Unternehmen der Privatwirtschaft und des öffentliche Dienstes,<br />
die betrieblichen Interessenvertretungen und die Tarifvertragsparteien werden durch<br />
gesetzliche Verpflichtung veranlasst, die Herstellung von Entgeldgleichheit umzusetzen. Ziel<br />
des verbindlichen Rahmens ist die Beseitigung der Lohnlücke zwischen Frauen und<br />
Männern von derzeit 22 Prozent.<br />
In börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen müssen mindestens 40<br />
Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder Frauen s<strong>ein</strong>. Wir werden dieses Ziel<br />
stufenweise erreichen. Da die Unternehmen ihre Selbstverpflichtung nicht umgesetzt<br />
haben, ist die Zeit reif <strong>für</strong> die gesetzliche Frauenquote.<br />
Das Ziel <strong>ein</strong>er inklusiven Arbeitsgesellschaft, in der die materielle Existenzsicherung<br />
primär über Erwerbsarbeit realisiert werden kann, sollte Schritt <strong>für</strong> Schritt vorangebracht<br />
werden. Durch gesetzliche Änderungen ist auf die Durchsetzung <strong>ein</strong>es „neuen<br />
Normalarbeitsverhältnisses“ <strong>ein</strong>zuwirken, das die Leitbilder des gendergerechten,<br />
inklusiven und kooperativen Arbeitens integriert und der zunehmenden Arbeitsverdichtung<br />
und Zeitnot entgegenwirkt.<br />
Eine sogenannte „kurze Vollzeit“ wird als Angebot <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e partnerschaftlichere<br />
Aufteilung von familiären Pflichten und beruflichen Möglichkeiten zwischen den<br />
Geschlechtern <strong>ein</strong>geführt. Diese „kurze Vollzeit“, von z.B. 32 Std, muss <strong>ein</strong>e<br />
Geringverdienerkomponente b<strong>ein</strong>halten. Das heißt, es sollte <strong>ein</strong>e Förderung von<br />
mindestens 10% des wegfallenden Lohnes vorgesehen werden, wenn zwei Partner ihre<br />
Arbeitszeit partnerschaftlich um 20% senken.<br />
Gleichzeitig wollen wir die geringfügige Beschäftigung wieder in<br />
sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse überführen.<br />
Entsprechend der Anti-Stress Initiative der IG-Metall werden Regelungen geschaffen,<br />
der nach Beschäftigte das Arbeitsziel mit den vorhandenen Ressourcen ohne<br />
gesundheitliche Be<strong>ein</strong>trächtigung realisieren können. Eine dauerhafte Erreichbarkeit darf<br />
nur die absolute Ausnahme s<strong>ein</strong>.<br />
Das Recht älterer Beschäftigter auf <strong>ein</strong>e altersgerechte Unternehmenskultur als<br />
Bestandteil guter Arbeit muss über das Betriebsverfassungs- und die<br />
Personalvertretungsgesetze abgesichert werden. Hierzu gehört u.a. <strong>ein</strong> Initiativrecht und<br />
Durchsetzungsrecht der Betriebs- und Personalräte <strong>für</strong> Bereiche wie betriebliches<br />
7
Gesundheitsmanagement, <strong>für</strong> Präventions- und Mentoring - Programme sowie <strong>ein</strong>e<br />
entsprechende Arbeitsplatzgestaltung.<br />
Über <strong>ein</strong> effektives Präventionsgesetz zu Gesundheitspflege und Gesundheitsschutz<br />
werden entsprechende Mittel und Strukturen <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e umfassende Gesundheitsprävention<br />
gesichert.<br />
In Anlehnung an das Altersteilzeit-Kurzarbeitergeld der IG-BAU wird <strong>ein</strong>e<br />
arbeitsmarktpolitische Regelung <strong>für</strong> Beschäftigte getroffen, die zeitweise oder dauerhaft<br />
von Leistungsminderung betroffen sind, jedoch k<strong>ein</strong>en Anspruch auf<br />
Erwerbsminderungsrente geltend machen können.<br />
Um Langzeitarbeitslosen <strong>ein</strong>e Perspektive zu eröffnen und in den ersten Arbeitsmarkt<br />
zu integrieren, sollen die Möglichkeiten öffentlicher Beschäftigung ausgeweitet werden.<br />
Für Soloselbstständigen wird <strong>ein</strong> Einstieg in die Gesetzliche Rentenversicherung mit<br />
<strong>ein</strong>em eigenen Tarifregime geprüft. Die Arbeitsgem<strong>ein</strong>schaft berufsständischer<br />
Versorgungs<strong>ein</strong>richtungen hat zum Beispiel vorgeschlagen, dass Selbstständige in <strong>ein</strong>em<br />
eigenen Abrechnungsverband innerhalb der GRV nur <strong>ein</strong>en 10% Beitragssatz (mit<br />
entsprechend geminderter Leistung) bei doppelter Beitragsbemessungsgrenze leisten.<br />
1.2. Teilhabe ermöglichen – niemanden im Sozialstaat ausschließen<br />
Der Sozialstaat mit s<strong>ein</strong>en großen Versicherungssystemen ist nicht zuletzt durch die<br />
Gewerkschaften und die SPD in der langen, jetzt schon 150-jährigen Geschichte der<br />
organisierten Arbeiterbewegung hart erkämpft worden. Sie stärken den sozialen<br />
Zusammenhalt unserer Gesellschaft und bieten dem Einzelnen <strong>ein</strong>e Sicherheit, die er<br />
individuell nicht erreichen würde.<br />
Diesen Sozialstaat gilt es zu sichern und weiter zu entwickeln, in s<strong>ein</strong>em Versorgungsniveau<br />
und der Versorgungssicherheit genauso wie in s<strong>ein</strong>en vorsorgenden Qualitäten. In der<br />
richtigen Balance von Sozialversicherungsleistungen und steuerfinanzierten Leistungen darf<br />
k<strong>ein</strong> Mensch von der Teilhabe und der Sicherung von sozialen Mindestrechten- und<br />
Leistungen ausgeschlossen werden. Hier ist es unabdingbar, auch immer wieder<br />
selbstkritisch zu prüfen, ob die vorhandenen Angebote und Regelungen den Prinzipien der<br />
8
Teilhabe und der<br />
kommen muss.<br />
Fairness entsprechen oder ob es hier zur Korrekturen und Reformen<br />
So wirft die Reform der Arbeitslosenversicherung nach wie vor große Probleme auf. Sieben<br />
Jahre nach der Reform gibt es immer noch <strong>ein</strong>e Klageflut vor den Sozialgerichten – vor<br />
allem wegen der Möglichkeit der Jobcenter, Betroffene zu sanktionieren.<br />
Das Asylbewerberleistungsgesetz ist nicht zuletzt durch die kritische Beurteilung durch das<br />
Bundesverfassungsgericht nachdrücklich auf den Prüfstand gestellt worden. Hier gilt es jetzt<br />
neue Regelungen zu finden, die dem Anspruch auf Menschenwürde auch gegenüber<br />
Flüchtlingen gerecht werden.<br />
Und auch die große Gruppe der Menschen mit Behinderungen erlebt immer wieder neu,<br />
wie schwer es ist, in der Arbeitswelt anerkannt und nach den jeweiligen Bedingungen und<br />
Voraussetzungen beschäftigt und gefördert zu werden.<br />
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm<br />
Künftig soll nur solche Arbeit zumutbar s<strong>ein</strong>, die tariflich entlohnt wird. Dort, wo dies<br />
in Ermangelung <strong>ein</strong>es tariflichen Lohnes nicht möglich ist, ist nur <strong>ein</strong>e ortsüblich bezahlte<br />
Arbeit zumutbar. In jedem Fall darf <strong>ein</strong> Mindestlohn von 8,50 EUR nicht unterschritten s<strong>ein</strong>,<br />
wenn die Arbeitsaufnahme mit Verweis auf Sanktionen gefordert wird.<br />
Der Bereich der Sanktionen gegen ALG II Empfänger wird überprüft. Das gilt zum<br />
Beispiel <strong>für</strong> Meldeversäumnisse wie die Nichtwahrnehmung <strong>ein</strong>es Termins, die nicht mit<br />
<strong>ein</strong>er Arbeitsverweigerung gleichzusetzen sind.<br />
Ehrenamtliche Tätigkeiten sollen in der Arbeitsvermittlung nicht als<br />
Vermittlungshindernis bewertet, sondern als entsprechende Qualifikation gewertet<br />
werden.<br />
Die Regelsätze <strong>für</strong> das Arbeitslosengeld II (SGB II) und die Sozialhilfe (SGB XII),<br />
insbesondere auch diejenigen <strong>für</strong> Kinder, müssen transparent sowie bedarfs- und<br />
realitätsgerecht ermitteln werden, um <strong>ein</strong> ordentliches menschenwürdiges Existenzminimum<br />
zu erreichen. Die derzeitigen Regelsätze bleiben hinter den Vorgaben des<br />
Bundesverfassungsgerichtes und sozialpolitischen Notwendigkeiten zurück.<br />
9
Um menschenwürdige Lebensbedingungen <strong>für</strong> Asylsuchende und Geduldete<br />
sicherzustellen, muss das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) grundlegend und im<br />
Einklang mit den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in s<strong>ein</strong>en Urteilen aufgestellt<br />
hat, reformiert werden. Insbesondere die Leistungen müssen verfassungskonform neu<br />
festgesetzt und fortlaufend aktualisiert werden. Das Sachleistungsprinzip und die<br />
Sammelunterkünfte werden abgeschafft, die Gesundheitsversorgung verbessert sowie die<br />
Geltungsdauer auf maximal 12 Monate begrenzt.<br />
Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird <strong>für</strong> Flüchtlinge erleichtert, damit die<br />
Lebensunterhaltssicherung durch eigene Arbeit ermöglicht wird. Im Übrigen ist die<br />
aufenthaltsrechtliche Situation von Flüchtlingen so zu verbessern, dass ihr räumlicher<br />
Aufenthalt nicht länger beschränkt werden kann (Residenzpflicht).<br />
Deutlich mehr Menschen mit <strong>ein</strong>er Behinderung als bisher könnten und sollten auf<br />
dem ersten Arbeitsmarkt teilhaben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die Rolle der<br />
Unterstützungssysteme – wie Werkstätten und Berufsbildungswerke – neu definieren.<br />
Integrationsprojekte und –unternehmen werden da<strong>für</strong> in der Zukunft <strong>ein</strong>e deutlich stärkere<br />
Rolle spielen. Deshalb müssen im Sozialgesetzbuch, besonders im Neunten Buch und in<br />
den Verordnungen, die entsprechenden Grundlagen geschaffen werden.<br />
Deutschland muss barrierefrei werden. Behinderung ist k<strong>ein</strong> „Defekt“ des Menschen.<br />
Sie entsteht durch die Wechselwirkung von Menschen mit Be<strong>ein</strong>trächtigungen auf der<br />
<strong>ein</strong>en und Barrieren auf der anderen Seite. Alle Menschen müssen eigenständig mobil s<strong>ein</strong><br />
können, alle müssen gleichberechtigt an Bildung, Kultur und am Arbeitsmarkt partizipieren<br />
können. Informationen müssen allen zur Verfügung stehen.<br />
1.3. Nachhaltiges Wachstum<br />
– ressourcen- und energieeffizient wirtschaften<br />
Wettbewerbsfähigkeit darf sich nicht länger vorrangig über den Abbau von Arbeitsplätzen<br />
und Sozialstandards definieren. Sie muss sich vielmehr an der möglichst guten Umsetzung<br />
der Grundfunktion des Wirtschaftssystems orientieren, nämlich gute Arbeit und gute<br />
Einkommen <strong>für</strong> alle Teilnehmer am Wirtschaftsleben zu gewährleisten und neue Produkte<br />
und Technologien zu entwickeln und zu vermarkten. Und zwar Produkte und<br />
Produktionsverfahren, die in Über<strong>ein</strong>stimmung mit den Erfordernissen der ökologischen<br />
10
Nachhaltigkeit und der Ressourceneffizienz stehen. In diesem Sinne geht es darum, auch<br />
die fiskalischen und wirtschaftspolitischen Möglichkeiten des Staates <strong>für</strong> <strong>ein</strong> nachhaltiges<br />
Wachstum zu nutzen.<br />
Natürliche Ressourcen galten viel zu lange Zeit als unerschöpflich und wurden infolge der<br />
ersten industriellen Revolution, des technologischen Fortschritts und der wachsenden<br />
Nachfrage in immer größerem Stil genutzt und abgebaut. Obwohl heute Klarheit über die<br />
Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und die Folgen des massiven Abbaus besteht,<br />
funktionieren die betriebliche, die öffentliche und die private Ökonomie vielfach noch nach<br />
alten verschwenderischen Prinzipien.<br />
Eine alternative Strategie gilt es jetzt im Rahmen der „ökologischen Industriepolitik“<br />
weiterzuentwickeln, beispielsweise mit entsprechend ambitionierten Regelungen zur<br />
Ressourcen und Energieeffizienz.<br />
Globalisierung und der technische Fortschritt haben das Warenangebot vervielfältigt und<br />
die Auswahl breiter gefächert. Der Markt ist gleichzeitig intransparenter und der<br />
Konsumalltag der Menschen komplexer geworden. Umso wichtiger, weil potentiell<br />
wirksamer, ist die Repolitisierung der Verbrauchermacht geworden. Verbraucherpolitik<br />
muss hierzu aus der Nische, in die sie in den letzten Jahren abgedrängt worden ist, wieder<br />
ins Zentrum <strong>ein</strong>er nachhaltigen Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik geführt werden. Ziel<br />
<strong>ein</strong>er Stärkung der Nutzer- und Verbraucherrechte müssen hochwertige, langlebige wie<br />
transparente Produkte s<strong>ein</strong>.<br />
Dazu muss nicht zuletzt das Ungleichgewicht des Wissens zwischen den Verbrauchern als<br />
Nachfrageseite und den Unternehmen als Anbieterseite ausgeglichen werden. Es bedarf<br />
unabhängiger Institutionen, die den Markt aus dem Fokus der Verbraucherinnen und<br />
Verbraucher systematisch nach Fehlentwicklungen untersuchen und Missstände präventiv<br />
aufspüren. Die Antwort auf diese Herausforderung ist das „Marktwächterkonzept“.<br />
Und auch die unmittelbare Nachfragekraft des Staates kann erhebliche soziale und<br />
ökologische Effekte haben, denn nicht zuletzt aus der erheblichen Masse der Nachfrage<br />
von Bund, Ländern und Kommunen ergeben sich gewichtige ökonomische und<br />
gesellschaftliche Steuerungsmöglichkeiten. Das Prinzip der Profitabilität jedoch hat <strong>ein</strong>e<br />
Maxime befördert, die nur <strong>ein</strong> Kriterium berücksichtigt: den niedrigsten Preis. Hiermit wird<br />
11
jedoch <strong>ein</strong>e weitgreifende Stellschraube politischer Gestaltungsmöglichkeit aus der Hand<br />
gegeben.<br />
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm:<br />
Für die Steigerung der Energieeffizienz sollte <strong>ein</strong> Gesetz alle rechtlichen Maßnahmen<br />
in diesem Bereich zusammenfassen. Es wäre anwenderfreundlicher als viele verstreute<br />
Regelungen und sollte die Bereiche Gebäude, produzierendes Gewerbe und Verkehr<br />
umfassen.<br />
Mit der Einrichtung <strong>ein</strong>es Energieeffizienzfonds könnten Information, Beratung und<br />
auch Investitionen in energieeffiziente Produkte verbilligt oder ganz kostenlos gemacht<br />
werden. Ein solcher Fond, dessen konkrete Ausgestaltung sich an den Erfahrung anderer<br />
Länder orientieren muss, sollte aus Energiesteuern oder dem Handel mit<br />
Emissionszertifikaten finanziert werden.<br />
Gebrauchsgüter müssen möglichst so gestaltet werden, dass sie recyclingfähig sind<br />
oder k<strong>ein</strong>en Müll erzeugen. Das Ziel <strong>ein</strong>er wirklichen Kreislaufwirtschaft kann jedoch nicht<br />
nur durch verstärktes Werben erreicht werden, sondern muss auch durch<br />
ordnungspolitische Maßnahmen, wie etwa <strong>ein</strong>er Verschärfung der Rücknahme- und<br />
Wiederverwertungsverpflichtungen, begleitet werden.<br />
Verbraucher müssen dazu angehalten werden, zu <strong>ein</strong>er Erhöhung der Recyclingquote<br />
beizutragen, z.B. durch die Einführung <strong>ein</strong>er Pfandpflicht <strong>für</strong> Elektro- und Elektronik-<br />
Kl<strong>ein</strong>produkte s<strong>ein</strong>.<br />
Für <strong>ein</strong>e Erhöhung der Recyclingquote sollten in <strong>ein</strong>er öffentlichen Gesellschaft unter<br />
Kostenbeteiligung der Wirtschaft die derzeit neben<strong>ein</strong>ander bestehenden Sammelsysteme<br />
zusammengeführt werden. Eine solche Gesellschaft könnte <strong>ein</strong> dichtes Netz an<br />
Sammelstellen zur Verfügung stellen und grundsätzlich durch <strong>ein</strong>e „Belohnung“ die<br />
Bereitschaft zur Rückgabe fördern. Bestimmte Produkte und Rohstoffe (beispielsweise<br />
Mobiltelefone) könnten aufgrund ihres hohen Materialwertes sogar angekauft werden.<br />
Um die Produktverantwortung des Herstellers konsequent zu verstärken, sollten<br />
Steuerungsinstrumente entwickelt werden, die Anreize bieten schon bei der<br />
Produktentwicklung auf Ressourceneffizienz und Recycelbarkeit zu achten. So könnten<br />
Beispielsweise zertifizierte Gebrauchsprodukte, die vollständig kompostierbar oder<br />
recyclingfähig sind, mit <strong>ein</strong>em reduzierten Mehrwertsteuersatz versehen werden.<br />
12
Mit <strong>ein</strong>er Weiterentwicklung der bestehenden Produzenten- oder<br />
Produktverantwortung könnten neue <strong>Impulse</strong> gesetzt werden um die<br />
Ressourcenproduktivität zukünftig weiter zu steigern. So sollten Produkte mit <strong>ein</strong>er<br />
Ressourcenabgabe belegt werden, deren Höhe sich nach den entstehenden Aufbereitungsund<br />
Gewinnungskosten richtet, um die Rohstoffe wieder am Beginn der Produktion<br />
<strong>ein</strong>zusetzen. Dadurch entstünde <strong>für</strong> Produzenten <strong>ein</strong> finanzieller Anreiz langlebige,<br />
wiederverwendbare und gut recycelbare Produkte zu produzieren.<br />
Sowohl aus sozialen wie auch aus Effizienzgründen ist es erforderlich,<br />
Einkommensschwache Haushalte bei der Anschaffung energieeffizienter Technologien zu<br />
unterstützen. Geeignet hierzu wären Kl<strong>ein</strong>kreditprogramme oder Anschaffungszuschüsse,<br />
finanziert durch <strong>ein</strong>en Energieeffizienzfonds oder die KfW, die Ersatzbeschaffungen fördern<br />
und damit da<strong>für</strong> Sorge tragen, dass alte, ineffiziente Geräte außer Betrieb genommen<br />
werden.<br />
Eine strikt auf Ressourcenschonung ausgerichtet öffentliche Beschaffungspolitik kann<br />
<strong>ein</strong>en wesentlichen Beitrag zur Entkopplung leisten. Entsprechend müssen die betreffenden<br />
Normen, von EU-Richtlinien bis hin zum Gem<strong>ein</strong>dewirtschaftsrecht in den Bundesländern,<br />
umgestaltet werden.<br />
Ressourceneffizienz ist bisher nicht Teil der betriebswirtschaftlichen Ausbildung. Es<br />
müssen deshalb Zusatzkurse <strong>für</strong> aktive Manager angeboten werden, deren erfolgreicher<br />
Abschluss, mit <strong>ein</strong>em Zertifikat testiert, Voraussetzung <strong>für</strong> die Teilnahme an bestimmten<br />
öffentlichen Ausschreibungen ist. In der Ausbildung des Manager-Nachwuchses ist in den<br />
betreffenden Studiengängen <strong>für</strong> <strong>ein</strong>en verpflichtenden Teil „Ressourceneffizienz“ Sorge zu<br />
tragen.<br />
Die Herausforderungen <strong>ein</strong>er wachsender Weltbevölkerung, unterschiedlicher<br />
Wirtschaftsdynamiken und knapper werdender Ressourcen sind mit <strong>ein</strong>er zunehmenden<br />
Komplexität verbunden, die partizipatives und Verantwortung und Handlung aktivierendes<br />
„Wissen“ erfordern. Kernelemente <strong>ein</strong>er Bildung <strong>für</strong> nachhaltige Entwicklung müssen<br />
verbindlich in Bildungs- und Lernplänen implementiert werden. Das gilt <strong>für</strong> das ganze<br />
Bildungssystem von der Kindertagesstätte bis zur begleitenden beruflichen Weiterbildung.<br />
Der Wandel vom Besitz von Gütern hin zu <strong>ein</strong>er stärkeren Nutzung von<br />
Dienstleistungen sollte durch ordnungspolitische Instrumente ebenso wie durch<br />
fiskalpolitische Anreize gestärkt werden. Beispielhaft hier<strong>für</strong> kann das Carsharing stehen,<br />
dessen Verbreitung beispielsweise durch kostenlose Parkmöglichkeiten in Innenstädte oder<br />
die Abschaffung der Kfz-Steuer <strong>für</strong> umweltfreundliche Autos unterstützt werden kann.<br />
13
1.4. Genossenschaften und Mitbestimmung<br />
– <strong>ein</strong>e solidarische Ökonomie aufbauen<br />
Die globalisierte Wirtschaft heute ist überwiegend im Interesse von Kapitaleignern gestaltet<br />
statt im Interesse aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer und Wertschaffenden. Im Verlaufe<br />
der Wirtschaftskrise seit 2008 hat sich jedoch gezeigt, dass Unternehmer und Arbeitnehmer<br />
solche Krise am besten gem<strong>ein</strong>sam bewältigen und die umfassende Beteiligung der<br />
Gewerkschaften und Betriebsräte und die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen <strong>ein</strong><br />
Schlüssel auch zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Unternehmen sind. Das System der<br />
Mitbestimmung und der Tarifautonomie in Deutschland ist und bleibt <strong>ein</strong> Grundpfeiler<br />
dieses Erfolgsmodells und sollte mittels der Möglichkeit, europäische Betriebsräte zu<br />
bilden, auch über Deutschland hinaus ausgebaut werden.<br />
Aber auch in Deutschland selbst muss die Mitbestimmung erweitert werden. Wir brauchen<br />
noch mehr Betriebe in der Mitbestimmung und wir brauchen auch mehr Rechte <strong>für</strong> die<br />
Mitbestimmung. So muss die Mitbestimmung in Deutschland mit Blick auf die Leiharbeit<br />
gestärkt werden. Auch bei Fragen der innerbetrieblichen Weiterbildung im Zusammenhang<br />
mit immer schnelleren Produktzyklen müssen die Rechte der Betriebsräte ausgebaut<br />
werden. Dies gilt auch, wenn es um Verkäufe und f<strong>ein</strong>dliche Übernahmen geht.<br />
In Deutschland muss auch wieder die Gewinnbeteiligung der Belegschaften thematisiert<br />
werden. Die SPD hat hierzu das Konzept des sog. Deutschlandfonds in die Diskussion<br />
<strong>ein</strong>gebracht. Wir wollen <strong>ein</strong>e Erweiterung dieser Diskussion mit Blick auf den<br />
Genossenschaftsgedanken. Dabei streben wir <strong>ein</strong>e starke Förderung der<br />
genossenschaftlichen Organisation auch von Industriebetrieben im Sinne <strong>ein</strong>er<br />
„solidarischen Ökonomie“ an. Solidarische Ökonomie m<strong>ein</strong>t, dass die Organisation der<br />
Betriebe sich an den genossenschaftlichen Merkmalen orientiert wie Kooperation statt<br />
Konkurrenz, Einheitlichkeit von Eigentums- und Nutzungsinteresse, Förderung und<br />
gegenseitige Unterstützung mittels Produktion oder Dienstleistungen <strong>für</strong> die Mitglieder der<br />
Genossenschaft, Basisdemokratie bzw. Stimmrecht qua Mitgliedschaft statt nach<br />
Kapital<strong>ein</strong>lage.<br />
14
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm<br />
Die Schwellenwerte <strong>für</strong> das Mitbestimmungsgesetz werden auf 1000 Beschäftigte<br />
und <strong>für</strong> das Drittelbeteiligungsgesetz auf 250 Beschäftigte verringert.<br />
Es wird <strong>ein</strong> gesetzlicher Mindestkatalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte <strong>für</strong><br />
zentrale unternehmerische Entscheidungen – insbesondere Betriebsschließungen,<br />
Standortverlagerungen und Unternehmensverkäufe – im Aufsichtsrat <strong>ein</strong>geführt. Eine<br />
qualifizierte Minderheit im Aufsichtsrat von <strong>ein</strong>em Drittel s<strong>ein</strong>er Mitglieder soll berechtigt<br />
s<strong>ein</strong>, den Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte zu ergänzen.<br />
Bei Gründungsförderung und -beratung muss besser auf die Besonderheit des<br />
Genossenschaftswesens abgestellt werden. Die Strukturen der Wirtschaftsförderung sind<br />
stärker <strong>für</strong> die Gründung von Sozialunternehmen zu öffnen. Auch die<br />
Genossenschaftsgesetze müssen auf die besondere Entwicklung von Unternehmen mit<br />
kulturellen und sozialen Zwecken und deren Förderung hin angepasst werden.<br />
Entsprechend sollten die Rechtsform der Genossenschaft und die Erfahrungen mit<br />
ihrem Betrieb in der Ausbildung und Lehre von Betriebs-, Volkswirtinnen und Volkswirten,<br />
Juristinnen und Juristen und Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger stärker verankert<br />
werden.<br />
Um Belegschaftsinitiativen <strong>ein</strong>e Chance <strong>ein</strong>zuräumen, soll es <strong>ein</strong> verbessertes<br />
Vorkaufsrecht der Beschäftigten bei Insolvenz geben. Die Möglichkeit der<br />
Betriebsweiterführung in Form <strong>ein</strong>er Genossenschaft ist über entsprechende Fördergelder<br />
abzusichern.<br />
Die Stärkung von Selbständigen und kl<strong>ein</strong>en Unternehmen bei ihrem Bemühen, gute<br />
und attraktive Arbeitgeber zu s<strong>ein</strong>, ist <strong>ein</strong> wichtiger Bestandteil von Strategien zur<br />
Umwandlung prekärer Beschäftigung in sichere und gute Arbeit. Kooperationen mit der<br />
Zielsetzung der betrieblichen Bindung und Entwicklung der Qualifikation der Beschäftigten<br />
in Form des genossenschaftlich organisierten Arbeitgeberzusammenschlusses (AGZ) sind zu<br />
fördern.<br />
15
II. Für <strong>ein</strong>e Gestaltung des demographischen Wandels –<br />
<strong>für</strong> Investitionen in die Menschen<br />
2.1. Bildung als Menschenrecht – gute Bildung von Anfang an<br />
Ein leistungsfähiges und sozial gerechtes Bildungssystem ist entscheidend <strong>für</strong> die<br />
individuellen Lebenschancen unserer Kinder und zugleich <strong>ein</strong>e zentrale Voraussetzung <strong>für</strong><br />
den ökonomischen Erfolg und den sozialen Zusammenhalt in unserem Land.<br />
Chancengleichheit im Bildungssystem und Aufstieg durch Bildung sind gesellschaftliche<br />
Versprechen, <strong>für</strong> deren Einhaltung wir immer wieder neu arbeiten und Prioritäten setzen<br />
müssen. Die gute frühkindliche Bildung ist dabei die Voraussetzung <strong>für</strong> alle folgenden<br />
Entwicklungen. Dies ist heute gesellschaftlicher Konsens, ohne dass daraus schon<br />
ausreichende Konsequenzen gezogen worden sind. Wer bei der frühkindlichen Bildung<br />
spart und nicht in Qualität und Quantität investiert, verfestigt Unterprivilegierung und<br />
Diskriminierung.<br />
Grundsätzlich gilt, dass wir in Deutschland auch im Durchschnitt der OECD – Staaten rund<br />
20 Milliarden Euro zu wenig bereitstellen <strong>für</strong> die Förderung der Bildung. Besonders<br />
problematisch ist dabei allerdings, dass wir in Deutschland vor allen Dingen am Anfang der<br />
Bildungsbiographie zu wenig Mittel <strong>für</strong> die frühkindliche Bildung bereitstellen. Wir<br />
brauchen mehr Unterstützung und Anerkennung <strong>für</strong> die Arbeit der Fachkräfte, <strong>ein</strong>e bessere<br />
Einbindung der frühkindlichen Bildungs<strong>ein</strong>richtungen in das weitere Bildungssystem und<br />
mehr Qualitätssicherung in Ausbildung, Weiterbildung und Wissenschaft.<br />
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm<br />
Bildung ist <strong>ein</strong> Menschenrecht <strong>für</strong> alle. Deshalb wollen wir schrittweise <strong>ein</strong>e<br />
gebührenfreie Bildung in der Kindertages<strong>ein</strong>richtung <strong>ein</strong>führen, so wie auch die Schulen<br />
und die Hochschulen als öffentliche Bildungs<strong>ein</strong>richtungen kostenfrei sind und bleiben.<br />
Ein entscheidender Schlüssel zur Förderung der pädagogischen Qualität in den<br />
Kindertagesstätten liegt in der Aufwertung des Berufsbildes der Erzieherin und des<br />
16
Erziehers. Die Bezahlung muss deutlich verbessert werden. Aufstiegs- und<br />
Spezialisierungsmöglichkeiten müssen geschaffen werden. Die Schaffung <strong>ein</strong>er<br />
akademischen Ausbildung in der frühkindlichen Pädagogik ist aufzunehmen, so dass es zwei<br />
Qualifikationswege <strong>für</strong> diesen wichtigen Bildungsbereich gibt. Damit sollen auch mehr<br />
Männer <strong>für</strong> diesen pädagogischen Arbeitsbereich gewonnen werden.<br />
Differenzierte bedarfsgerechte Öffnungszeiten der Kindestagesstätten von der<br />
Krippe bis zum Hort sind ebenso notwendig wie <strong>ein</strong> Umdenken in der Arbeitszeitgestaltung<br />
von Eltern mit Kindern. Wir brauchen <strong>ein</strong>e Förderung der 30 Stunden – Woche <strong>für</strong> junge<br />
Väter und Mütter im Anschluss an die 3 - jährige Elternzeit, die <strong>für</strong> maximal drei weitere<br />
Jahre in Anspruch genommen werden kann.<br />
Für die gute Förderung der Kinder in der Schule wie <strong>für</strong> die Ver<strong>ein</strong>barkeit von Beruf<br />
und Familie <strong>für</strong> die Eltern ist der gesetzliche Anspruch auf den Besuch <strong>ein</strong>er Ganztagsschule<br />
bis zum Jahr 2020 verbindlich umzusetzen. Hier<strong>für</strong> ist <strong>ein</strong> Bund – Länder – Programm<br />
aufzulegen. Das Kooperationsverbot des Grundgesetzes in der Bildungsförderung ist<br />
aufzuheben.<br />
2.2. Grundbildung <strong>für</strong> alle – die 2. Chance garantieren<br />
Zur guten Grundbildung <strong>für</strong> alle gehört <strong>ein</strong>e ausreichende Kompetenz in elementaren<br />
Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen und in sozialen, kulturellen und medialen<br />
Schlüsselqualifikationen genauso wie <strong>ein</strong>e ausreichende Berufsausbildung, die zu <strong>ein</strong>er<br />
selbstbestimmten Gestaltung des eigenen Lebensweges befähigt. Es sollte <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e<br />
hochentwickelte Gesellschaft und Ökonomie wie in Deutschland eigentlich<br />
selbstverständlich s<strong>ein</strong>, dass diese Voraussetzungen <strong>für</strong> jeden Menschen durch <strong>ein</strong>e<br />
entsprechende Bereitstellung und Förderung von Bildungsangeboten ermöglicht werden.<br />
Wir brauchen <strong>ein</strong>e solche Bildungsgesellschaft auch der 2. und der 3. Chance, wenn es s<strong>ein</strong><br />
muss und möglich ist, denn die Bildungsdefizite sind in breiten Schichten der Bevölkerung<br />
und <strong>für</strong> viel zu viele <strong>ein</strong>zelne Menschen viel zu groß. Das gilt insbesondere <strong>für</strong> diejenigen,<br />
die k<strong>ein</strong>en Schulabschluss haben. Aber auch aktuell 7,5 Millionen funktionale<br />
Analphabeten, über 12 Millionen Menschen mit unzureichende Lese- und<br />
Schreibkompetenz, über 1,3 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ohne<br />
17
<strong>ein</strong>e abgeschlossene Berufsausbildung und geschätzte 7 Millionen Erwerbstätige insgesamt<br />
ohne <strong>ein</strong>e formale Berufsqualifikation zeigen hier die Dringlichkeit <strong>ein</strong>er bildungspolitischen<br />
Offensive der 2. Chance.<br />
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm<br />
Die Förderangebote zur Alphabetisierung sind in <strong>ein</strong>em Nationalen Pakt <strong>für</strong><br />
Grundbildung in den nächsten 10 Jahren massiv zu erhöhen, zu koordinieren und<br />
institutionell abzusichern. Hierzu muss auch der Bund <strong>ein</strong>en nachhaltigen finanziellen<br />
Beitrag leisten.<br />
In Deutschland ist das Prinzip der <strong>ein</strong>fachen oder der leichten Sprache noch<br />
weitgehend unterentwickelt. Mit <strong>ein</strong>er Initiative zur Verbreitung dieser leichter<br />
zugänglichen Texte soll nicht nur der Zugang und die Teilhabe am öffentlichen Leben <strong>für</strong><br />
<strong>ein</strong>e große Zahl Betroffener erleichtert werden, sondern auch <strong>ein</strong> Anreiz zum Weiterlernen<br />
und zur Weiterbildung durch Erfolgserlebnisse.<br />
B<strong>ein</strong>ahe 300.000 Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich heute in<br />
Brückenangeboten und im Übergangsystem aus der Schule in die Berufswelt, ohne dass<br />
damit der Zugang zu <strong>ein</strong>er Berufsausbildung zwingend verbunden ist. Wir brauchen <strong>ein</strong>e<br />
Ausbildungsplatzgarantie <strong>für</strong> jeden jungen Menschen, <strong>für</strong> die mehr betriebliche<br />
Ausbildungsplätze bereitzustellen und ergänzend auch vollzeitschulische Ausbildungen<br />
vorzuhalten sind. Für die jungen Erwachsenen ohne abgeschlossene Schul- und<br />
Berufsausbildung sind Rechtsansprüche auf das Nachholen von Schul- und<br />
Berufsabschlüssen zu schaffen und umzusetzen.<br />
2.3. Berufliche Bildung aufwerten – Weiterbildung fördern<br />
Immer wieder neue Bildungschancen <strong>ein</strong> Leben lang sind nicht nur <strong>ein</strong> Menschenrecht,<br />
sondern auch <strong>ein</strong> ökonomisches Erfordernis <strong>für</strong> <strong>ein</strong> Hochtechnologieland wie Deutschland,<br />
dessen relativer Wohlstand auf der Kompetenz und der Weiterbildungsbereitschaft s<strong>ein</strong>er<br />
Fachkräfte in allen Bereichen beruht. Die berufliche Erstausbildung ist in der Zukunft<br />
deshalb dringlicher denn je mit dem Recht und der Möglichkeit zur beruflichen<br />
Weiterbildung zu verbinden.<br />
18
Berufliche Weiterbildung ist dabei mehr als nur betriebliche Anpassungsfortbildung. Sie<br />
muss sich auch an den Weiterbildungswünschen und biographischen Konzepten der<br />
Betroffenen orientieren und berufliche Weiterbildung mit allgem<strong>ein</strong>er, kultureller und<br />
politischer Weiterbildung verbinden. Diese persönliche Perspektive ist durch die<br />
Arbeitgeber in den Firmen und Verwaltungen wie durch politische und gesetzgeberische<br />
Maßnahmen mit <strong>ein</strong>zulösen. Sie darf auch nicht mehr an Alter und Herkommen gebunden<br />
s<strong>ein</strong>. Wer <strong>ein</strong>e Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht ausschließt, muss erst recht da<strong>für</strong><br />
<strong>ein</strong>treten, dass die Weiterbildungsbereitschaft und die Weiterbildungsfähigkeiten von allen<br />
Menschen zu allen Phasen ihres Berufslebens gestärkt werden.<br />
Insbesondere müssen auch die persönlichen Potentiale der Menschen, die nach<br />
Deutschland <strong>ein</strong>gewandert sind, geweckt und gefördert werden. Ein Drittel der<br />
Jugendlichen mit <strong>ein</strong>em sogenannten Migrationshintergrund erhalten k<strong>ein</strong>e Lehrstelle. Und<br />
über 500.000 zugewanderte Menschen können die Qualifikationen, die sie aus ihrem<br />
Herkunftsland mitbringen, in Deutschland nicht <strong>ein</strong>bringen und müssen deshalb unter<br />
ihrem Leistungs- und Kompetenzniveau arbeiten. Das kann niemanden ruhen lassen.<br />
Das längere Leben enthält auch die Chance und das Erfordernis, Weiterbildungsinteresse<br />
und Weiterbildungsfähigkeit rechtzeitig aufzubauen und mit positiven Erfahrungen so zu<br />
besetzen, dass Freude und Erfolge im Lernen und in der Bildung lebensbegleitend und<br />
lebensbereichernd anhalten. Tatsächlich kann persönliche Bildung nicht nur dem <strong>ein</strong>zelnen<br />
Menschen bis ins hohe Alter Sinngebung und Erfüllung s<strong>ein</strong>. Sie ist auch Voraussetzung zur<br />
Teilhabe im sich verändernden praktischen Leben, mit neuen Technologien aller Art, mit<br />
neuen Lebensumständen und in der Gewinnung und Pflege auch neuer sozialer<br />
Beziehungen.<br />
Diese Teilhabe muss sich dabei in neuen Formen vollziehen, die nicht mehr aus dem<br />
Berufsleben und s<strong>ein</strong>en Möglichkeiten wie Erfordernissen der Qualifizierung und<br />
Weiterbildung abgeleitet sind. Hier <strong>ein</strong>e neue Kultur der Teilhabe aufzubauen, wird nur<br />
gelingen können, wenn es <strong>ein</strong>e neue Lern- und Bildungskultur <strong>für</strong> das Alter und s<strong>ein</strong>e<br />
verschiedenen differenzierten Lebensphasen gibt. Das längere Lernen im längeren Leben<br />
braucht hierzu entsprechende Voraussetzungen im Staat, Gesellschaft,<br />
19
Bildungsinstitutionen und non – formalen und informellen Zusammenhängen, die noch<br />
unzureichend entwickelt sind, qualitativ und quantitativ.<br />
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm:<br />
Erstausbildung und Weiterbildung müssen als Bildungsrecht <strong>für</strong> jeden Menschen<br />
zusammen geführt werden, in <strong>ein</strong>em Recht <strong>für</strong> alle Menschen auf <strong>ein</strong>e vollqualifizierende<br />
Erstausbildung von mindestens drei Jahren und von mindestens drei Jahren beruflicher<br />
Weiterbildung in ihrer Lebensbiographie.<br />
Durch <strong>ein</strong> Erwachsenenbildungsförderungsgesetz sind klare transparente Regelungen<br />
<strong>für</strong> die finanzielle Förderung, die Gewährung von Freiräumen <strong>für</strong> die Teilnahme an Fortund<br />
Weiterbildung sowie <strong>für</strong> die Bildungsberatung in Deutschland zu treffen, die<br />
länderübergreifend wirksam sind.<br />
Die Arbeitslosenversicherung ist zu <strong>ein</strong>er Arbeitsversicherung zu erweitern, die<br />
Rechtsansprüche auf finanzielle Förderung von Weiterbildung <strong>ein</strong>schließt, die vom<br />
Arbeitgeber wie vom Arbeitnehmer, je nach der jeweiligen Interessensausrichtung<br />
Ausrichtung der Bildungszeit, komplementär zu finanzieren sind. Das Volumen ist<br />
mittelfristig auf mindestens 1 Punkt der Arbeitsversicherungsbeiträge zu steigern.<br />
Steuermittel sind in den Fällen zur Finanzierung heranzuziehen, die k<strong>ein</strong>en unmittelbaren<br />
Bezug zur Arbeitswelt und der beruflichen Weiterbildung haben.<br />
Die Initiativ- und Mitbestimmungsrechte der Betriebs- und Personalräte <strong>für</strong> die<br />
Weiterbildung sind auszubauen.<br />
Für Menschen, die nach Deutschland <strong>ein</strong>wandern, ist <strong>ein</strong> Rechtsanspruch auf<br />
Feststellung und Evaluierung ihrer Qualifikation mit <strong>ein</strong>em Rechtsanspruch auf<br />
angemessene Nachqualifikation zu vertretbaren Bedingungen zu verbinden. Die<br />
finanziellen Eigenleistungen sind hierbei fair zu begrenzen.<br />
Für die Zukunft des längeren Lernens im längeren Leben ergeben sich zwingende<br />
Handlungserfordernisse mit Blick auf allgem<strong>ein</strong>e und berufliche Weiterbildung, auf<br />
Sabbatjahre und Freistellungszeiten <strong>für</strong> Bildung, auf <strong>ein</strong> Erwachsenen - Bafög und<br />
Zuschüsse und Prämien <strong>für</strong> Bildungsmaßnahmen. Hierzu müssen die rechtlichen Ansprüche<br />
und Voraussetzungen geschaffen werden.<br />
Die öffentliche Verantwortung <strong>für</strong> den Erhalt und Ausbau von kommunalen<br />
Bildungs<strong>ein</strong>richtungen wie den Volkshochschulen, den Bibliotheken und den Bürgerzentren<br />
20
Die Weiterentwicklung und Integration der kommunalen Bildungslandschaft mit sozialen<br />
Institutionen und Angeboten ist finanziell abzusichern.<br />
Neue digitale Lern- und Bildungsangebote in Verbindung mit sozialen Lernarrangements<br />
sind zu entwickeln und aufzubauen, weil gerade Menschen mit <strong>ein</strong>geschränkter Mobilität<br />
damit angesprochen und <strong>ein</strong>gebunden werden können. Dazu zählt auch die Umstellung von<br />
Medien auf mehr Zugänglichkeit auch bei altersbedingten Handicaps.<br />
Bildungspolitik wird hier zur Generationenpolitik: Mit der Kombination von<br />
generationsspezifischen Lern- und Bildungsangeboten und von generationsübergreifenden<br />
Lernformen, der Nutzung von Alterskompetenz als Bildungslotse wie Aktivierung von<br />
jüngeren Menschen <strong>für</strong> die Aufgabe des Lernberaters und – begleiters im Alter.<br />
III. Für <strong>ein</strong> demokratisches und soziales Europa<br />
- <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e aktive deutsche Friedenspolitik<br />
3.1. Europa politisieren – Europa reformieren<br />
Europa muss wieder mehr Politik wagen. Wir brauchen <strong>ein</strong>e gem<strong>ein</strong>same europäische<br />
Politik, die <strong>für</strong> die Menschen in allen Ländern wirklich nachhaltige wirtschaftliche und<br />
soziale Fortschritte bringt. Die besten sozialen Systeme und Errungenschaften der<br />
Mitgliedsstaaten müssen in europäische Politik überführt und <strong>für</strong> die Menschen<br />
gesichert und ausgebaut werden. Art. 9 des Vertrages über die Arbeitsweise der<br />
Europäischen Union gibt hier die Richtung vor:<br />
„Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen trägt<br />
die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung <strong>ein</strong>es hohen<br />
Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung <strong>ein</strong>es angemessenen sozialen<br />
Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit <strong>ein</strong>em hohen<br />
Niveau der allgem<strong>ein</strong>en und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes<br />
Rechnung.“<br />
21
Es ist jetzt an der Zeit, dass die EU wieder als gesellschaftliche Gestaltungsmacht in<br />
Zeiten weltweiten Wettbewerbs wahrgenommen wird; als Instanz, die stark genug ist,<br />
das Primat der Politik gegen globalisierte Märkte durchzusetzen. Da<strong>für</strong> brauchen die<br />
Bürgerinnen und Bürger die Sicherheit und die gesellschaftliche Solidarität <strong>ein</strong>es<br />
leistungsfähigen Sozialstaats.<br />
Krisenbedingte Weichenstellungen wie der Fiskalpakt, das so genannte Six-Pack oder<br />
auch Ver<strong>ein</strong>barungen wie der Euro-Plus-Pakt sind <strong>ein</strong>seitige Antworten <strong>ein</strong>er konservativ<br />
dominierten Europapolitik gewesen, die jetzt dringend der Korrektur durch <strong>ein</strong>e aktive<br />
Politik zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung, zum Ausbau von Bildung und<br />
Forschung und zur Sicherung der öffentlichen Güter und ökologischer Vorsorge<br />
bedürfen.<br />
Ein soziales Europa erreichen wir durch die Aufmerksamkeit und die Anerkennung der<br />
breiten Schichten der Bevölkerung in Europa, der Arbeitnehmerschaft und ihrer Familien,<br />
des Mittelstandes, der Jugend. Gerade diese breiten Schichten der Bevölkerung drohen<br />
sich aber aktuell von der europäischen Idee abzuwenden.<br />
Orientierungsrahmen <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e andere bessere Politik <strong>für</strong> und in Europa sind Konzepte wie<br />
der „Marshallplan <strong>für</strong> Europa“ des DGB, mit dem europaweit massive Investitionen von<br />
durchschnittlich 110 Mrd. Euro jährlich <strong>ein</strong>geleitet werden sollen. Es ist mehr als überfällig,<br />
dass sich auch die europäischen Institutionen und Parteien mit diesen wegweisenden<br />
Vorschlägen und Forderungen aus der Arbeitnehmerschaft und ihren Gewerkschaften in<br />
Europa aus<strong>ein</strong>andersetzen und diese <strong>Impulse</strong> konstruktiv aufnehmen und umsetzen.<br />
Auch bei der Finanzierung dieser Zukunftskonzepte <strong>für</strong> das soziale Europa sind endlich neue<br />
Wege zu gehen.<br />
Ein weiterer Eckpunkt <strong>für</strong> <strong>ein</strong> modernes, an den Zukunftschancen s<strong>ein</strong>er Bürger<br />
ausgerichtetes Europa ist <strong>ein</strong>e gem<strong>ein</strong>same „europäische Energiewende“. Die europäische<br />
Spitzenreiterposition <strong>für</strong> Umwelttechnologien und Nachhaltigkeitsstandards muss gefestigt<br />
und dazu genutzt werden, auch die globale Energiewende von den Standards wie von den<br />
Technologien und der nachhaltigen Ressourcennutzung voranzubringen. Dies ist auch gut<br />
<strong>für</strong> Wachstum und Beschäftigung.<br />
22
Das Potsdam-Institut <strong>für</strong> Klimafolgenforschung zeigt in s<strong>ein</strong>en Studien, dass die<br />
Verschärfung des Treibhausgasreduktionsziels in der EU bis 2020 von 20 auf 30 Prozent zu<br />
massiven positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekten führt: Das jährliche BIP-<br />
Wachstum in der EU würde um 0,6 Prozentpunkte, das EU-BIP 2020 um 642 Mrd. € (5,8<br />
Prozent) über dem Basisszenario liegen. Bis zu 6 Mio. zusätzliche Arbeitsplätze würden<br />
geschaffen.<br />
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm:<br />
Das soziale Europa braucht starke soziale Grundrechte und Mindeststandards bei<br />
Löhnen und in den Sozialversicherungssystemen, damit die drohenden Verarmungs- und<br />
Spaltungsprozesse endlich gebremst und aufgehoben werden. Mindestlöhne in allen<br />
Mitgliedsstaaten sind unabdingbar. Es ist <strong>ein</strong> europäischer Skandal, dass es noch k<strong>ein</strong>en<br />
gesetzlichen Mindestlohn im größten EU –Mitgliedsstaat Deutschland gibt.<br />
Europa muss <strong>ein</strong>en Pakt <strong>für</strong> soziale Standards (PSS) abschließen. Der PSS umfasst <strong>für</strong><br />
alle Mitgliedstaaten <strong>ein</strong> festes Mindestmaß an sozialen Standards, jeweils in Relation zur<br />
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes. Er ist verbindlich und verpflichtend, ohne<br />
dabei die Eigenständigkeit der gewachsenen nationalen Sozialsysteme anzutasten. Zum PSS<br />
gehört weiterhin <strong>ein</strong>e europäische Vermögensbesteuerung sowie <strong>ein</strong>heitliche<br />
Bemessungsgrundlagen bei der Unternehmenssteuer.<br />
Zur Finanzierung muss neben der Heranziehung von hohen Einkommen und Erträgen<br />
aus Vermögen in allen Ländern Europas auch die überfällige Besteuerung von<br />
Finanzaktivitäten dienen. Deshalb ist die Einführung <strong>ein</strong>er europaweiten<br />
Finanztransaktionssteuer <strong>ein</strong> zentrales <strong>sozialdemokratisches</strong> Ziel. Wir setzen uns <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e<br />
Steuer <strong>ein</strong>, die <strong>ein</strong>e möglichst breite Bemessungsgrundlage mit möglichst niedrigem und<br />
<strong>ein</strong>heitlichem Steuersatz von 0,5 Prozent auf jede Transaktion hat. Das muss auch heißen,<br />
dass insbesondere Derivatgeschäfte und Devisentransaktionen mit in die Besteuerung<br />
<strong>ein</strong>bezogen werden. Die Umsetzung des Konzepts der EU-Kommission durch die elf Staaten<br />
der erweiterten Zusammenarbeit muss noch in diesem Jahr erfolgen.<br />
Der Verkauf von Finanzprodukten muss auf <strong>ein</strong>e neue Grundlage gestellt werden.<br />
Dazu gehören maximale Transparenz über die Kosten, <strong>ein</strong>e Kennzeichnungspflicht <strong>für</strong><br />
Finanzprodukte und <strong>ein</strong> Ausbau der Honorarberatung. Besonders risikoreiche oder<br />
komplexe Finanzprodukte müssen verboten werden. Die Finanzaufsicht in Deutschland<br />
muss zudem <strong>ein</strong>heitlich bei der Bundesanstalt <strong>für</strong> Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)<br />
23
liegen. Da<strong>für</strong> braucht die BaFin schließlich <strong>ein</strong>en klaren gesetzlichen<br />
verbraucherschutzpolitischen Auftrag als <strong>ein</strong>e ihrer Kernaufgaben.<br />
Die ökomische Krise insbesondere <strong>für</strong> die südlichen Staaten der europäischen Union<br />
muss zum Ausgangspunkt <strong>ein</strong>er industriepolitisch motivierten „Solaroffensive <strong>für</strong><br />
Südeuropa“ gemacht werden. So kann die große Idee <strong>ein</strong>es ökologisch–sozialen New Deal<br />
<strong>für</strong> ganz Europa mit <strong>ein</strong>er soliden Beschäftigungsperspektive <strong>für</strong> alle Länder in Europa<br />
verbunden werden. Die natürlichen Vorteile und damit verbundenen Wohlstandsgewinne<br />
in den südlichen Ländern können hier in Korrespondenz gebracht werden mit den<br />
technologischen Leistungen und Gewinnen der nördlichen Länder. Das gem<strong>ein</strong>same<br />
Interesse ist hier auch die gem<strong>ein</strong>same Chance.<br />
Das<strong>ein</strong>svorsorge und wesentliche Infrastrukturen gehören in öffentliche<br />
Verantwortung und nicht mehr unter <strong>ein</strong> Liberalisierungs- und Privatisierungsdiktat seitens<br />
der europäischen Politik. Dies gilt aktuell beispielsweise <strong>für</strong> den Schienenverkehr, die<br />
Dienstleistungen und Dienstleistungskonzessionen im Bereich der Das<strong>ein</strong>svorsorge, und<br />
den Bildungs- und Sozialsektor. Die Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik in allen<br />
bisher davon betroffenen Bereichen bedarf <strong>ein</strong>er grundsätzlichen Evaluation und ggf.<br />
Rückabwicklung oder Korrektur.<br />
Die Instrumente, mit denen derzeit das Kohäsionsziel der Europäischen Union<br />
verfolgt wird, sind zu reformieren. Strukturfondsmittel sollten grundsätzlich als<br />
revolvierende Fonds <strong>ein</strong>gerichtet werden, nicht nur als Mittelabfluss. Die Forschungs- und<br />
Innovationsförderung muss neben der Projekt- auch als Strukturmittelförderung<br />
<strong>ein</strong>gerichtet werden. Um das Ziel von 3 % Forschungs- und Entwicklungsausgaben am BiP<br />
zu erreichen, muss beispielsweise die Agrarförderung in Zukunft hinter der Investition in die<br />
Köpfe der Menschen zurückstehen.<br />
3.2. Mehr Demokratie wagen – <strong>für</strong> <strong>ein</strong>en neuen Verfassungskonvent<br />
Rettungsschirme und Stabilisierungsmechanismen können die Entwicklung <strong>ein</strong>er<br />
zukunftsweisenden politischen Perspektive nicht ersetzen. Diese Perspektive enthält die<br />
weitere Integration Europas, auch bei gem<strong>ein</strong>amer Besteuerung, finanziellem<br />
Lastenausgleich und entsprechender politischer Repräsentation.<br />
24
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon vern<strong>ein</strong>t <strong>ein</strong>e<br />
Staatswerdung Europas auf der Grundlage des Grundgesetzes, lässt aber die Möglichkeit<br />
<strong>ein</strong>er Verwirklichung europäischer Bundestaatlichkeit nach Anforderung des Art. 146 GG.<br />
Die SPD setzt sich seit dem Heidelberger Programm von 1925 bis zum Hamburger<br />
Programm in 2007 <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e europäische Einheit durch die Ver<strong>ein</strong>igten Staaten von Europa<br />
<strong>ein</strong>. Diese Forderung ist aktueller denn je. Denn gerade die Banken- und<br />
Staatsschuldenkrise der letzten Jahre braucht auch neue institutionelle Antworten zur<br />
Stärkung von europäischer Demokratie und europäischer Souveränität.<br />
Europa muss die bestehenden Verträge im Sinne sozialdemokratischer Politik schon jetzt<br />
besser ausschöpfen. Aus den Regelungen von Maastricht bis Lissabon können wir in den<br />
Politikbereichen Soziales, Steuern und Finanzmarkt mehr machen. Dabei darf es aber nicht<br />
stehen bleiben.<br />
So wie das Ver<strong>ein</strong>igte Europa den nationalen Mitgliedsstaaten ihre Souveränität im<br />
Föderalismus gegen das Zinsdiktat der Finanzmärkte garantiert, so garantiert nur noch die<br />
fortschreitende Integration Europas dem ver<strong>ein</strong>igten Kontinent <strong>ein</strong>e Souveränität im<br />
Prozess der ökonomischen und politischen Globalisierung.<br />
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm<br />
Das Europa der Zukunft muss <strong>ein</strong> demokratisches Europa s<strong>ein</strong>. Mit <strong>ein</strong>er<br />
europäischen Regierung, <strong>ein</strong>em echten Zwei – Kammer – System mit <strong>ein</strong>em starken direkt<br />
gewählten europäischem Parlament als erster Kammer und <strong>ein</strong>er zweiten Kammer als<br />
Vertretung der Mitgliedsstaaten. Diesem langfristigen demokratischen Aufbau sind die<br />
kurz- und mittelfristigen Reformen der europäischen Institutionen konsistent zuzuordnen.<br />
Dort wo Europa schon jetzt an die rechtlichen Grenzen des politisch<br />
Notwendigen stößt, müssen die notwendigen Verfassungsänderungen zügig <strong>ein</strong>geleitet<br />
werden. Auf der Basis von Artikel 48 EUV soll daher nach der Europawahl <strong>ein</strong> Konvent auch<br />
aus Vertretern der nationalen Parlamente zusammenkommen.<br />
Wir brauchen in der Zukunft <strong>ein</strong>e Stärkung auch des nationalen<br />
Parlamentarismus in europäischen Angelegenheiten. Die Unterrichtungspflichten der<br />
Bundesregierung müssen erweitert werden. Ebenso das Fragerecht zu europäischen<br />
25
Gipfeln. Generell bedarf es der Stärkung der Instrumente direkter Demokratie wie dem EU-<br />
Bürgerbegehren und der Volksabstimmung.<br />
3.3. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik<br />
- wieder zur Friedenspolitik machen<br />
Der mit dem Ende des „Kalten Krieges“ erhoffte weltweite Frieden ist nicht <strong>ein</strong>getreten.<br />
Vielmehr hat die Welt <strong>ein</strong>e Vielzahl von Umbrüchen erlebt, die neue Kraftzentren aber auch<br />
neue Krisenherde haben entstehen lassen. Klimaschutz, der verantwortliche Umgang mit<br />
natürlichen Ressourcen, die weltweite Sicherung der Nahrungsmittelversorgung, neue<br />
wirtschaftliche Verflechtungen oder die Bedrohungen durch den internationalen<br />
Terrorismus – all dies sind Herausforderungen unserer Zeit, die sich der klassischen<br />
Machtpolitik und damit den traditionellen Formen von Außen- und Sicherheitspolitik<br />
entziehen.<br />
Eine Außen- und Sicherheitspolitik <strong>für</strong> das 21. Jahrhundert muss viele Dimensionen haben<br />
und insgesamt <strong>ein</strong>e Querschnittsaufgabe s<strong>ein</strong>, die Fragen der Friedens- und<br />
Entwicklungspolitik, der Umwelt- und Klimaschutzpolitik, der Zusammenarbeit in Bildung,<br />
Wissenschaft und Forschung, der Wirtschaftspolitik und vieler anderer gesellschaftlicher<br />
und politischer Felder b<strong>ein</strong>haltet.<br />
Es gibt k<strong>ein</strong>en Frieden ohne <strong>ein</strong> Mindestmaß an sozialem Ausgleich und sozialer Sicherheit,<br />
ohne <strong>ein</strong>e gegenseitige Achtung der Religionen und Weltanschauungen, ohne die<br />
Überwindung von Hass und Diskriminierung und ohne <strong>ein</strong>e funktionierende<br />
Zivilgesellschaft. Nicht zuletzt der Weltentwicklungsbericht der Weltbank aus dem Jahr<br />
2011 macht deutlich, dass Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung und die Wahrung der<br />
Menschenrechte zusammen gehören und nicht getrennt von<strong>ein</strong>ander betrachtet werden<br />
können. Frieden, Sicherheit und Entwicklung bedingen <strong>ein</strong>ander und müssen auf neue<br />
Weise mit<strong>ein</strong>ander verzahnt werden.<br />
Dabei reicht die Konzentration auf staatliche Stabilität und Sicherheit all<strong>ein</strong> nicht aus.<br />
Vielmehr geht es um die Wiederherstellung zerstörter gesellschaftlicher<br />
26
Vertrauensbeziehungen wie auch um den Aufbau funktionierender und legitimer staatlicher<br />
Institutionen. Ohne zunächst <strong>ein</strong> Mindestmaß an Gerechtigkeit und Wohlergehen <strong>für</strong> alle<br />
Bürger – im Sinne des „human security“-Konzeptes der UN - zu schaffen, können diese Ziele<br />
nicht erreicht werden. Sicherheit kann deshalb nur <strong>ein</strong>er von mehreren Baust<strong>ein</strong>en <strong>ein</strong>er<br />
umfassenden Friedenspolitik s<strong>ein</strong>.<br />
Heute sind es nicht mehr in erster Linie Staaten, die mit<strong>ein</strong>ander Kriege führen. Der Frieden<br />
wird von innen heraus gefährdet. Nichtstaatliche Akteure, Terroristen, Rebellen, religiöse<br />
Fundamentalisten, Clans oder ethnische Gruppen destabilisieren ganze Regionen, tragen<br />
ihre Konflikte mit Gewalt aus. Autokratische Herrscher bangen um ihre Pfründe und führen<br />
Krieg gegen das eigene Volk.<br />
Diese neuen Konfliktursachen und -formen überfordern die althergebrachten<br />
Lösungsansätze und bringen neue Herausforderungen <strong>für</strong> das nationale wie internationale<br />
politische Handeln mit sich. Friedliche und zivile Antworten auf diese Herausforderungen<br />
finden sich nicht mehr all<strong>ein</strong>e in den Mitteln der traditionellen Diplomatie. Vielmehr<br />
müssen wir ihnen auch mit Instrumenten der Entwicklungspolitik, der Umwelt-, Bildungsund<br />
Wirtschaftspolitik begegnen. Erfolgreiches Handeln setzt hier deshalb übergreifende<br />
Strategien voraus, die nicht an politischen Ressortgrenzen und Zuständigkeitsbereichen<br />
scheitern.<br />
Im Sinne Willy Brandts muss deutsche Außenpolitik wieder stärker <strong>ein</strong>e auf zivilen<br />
Elementen basierende Friedenspolitik werden. Diesem Anspruch, der nicht zuletzt im<br />
Friedensgebot des Grundgesetzes s<strong>ein</strong>en Ausgangspunkt hat, werden wir nur mit<br />
langfristigen Strategien und Konzepten gerecht werden können. Ihn konsequent<br />
umzusetzen, bedeutet <strong>ein</strong>en ganzheitlichen Ansatz, nicht nur in der Außenpolitik sondern in<br />
der Politik der gesamten Bundesregierung, zu verfolgen, klare Prioritäten zu benennen und<br />
Schwerpunkte neu zu setzen.<br />
Hierzu bedarf es <strong>ein</strong>er starken politischen Führung im Auswärtigen Amt und im<br />
Bundeskanzleramt und der Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Ressourcen. Um <strong>ein</strong>en<br />
neuen Aufbruch zu erreichen, müssen in <strong>ein</strong>em strategischen Gesamtkonzept Grundlagen,<br />
Interessen, Ziele und Prioritäten deutschen Handelns in diesen Politikfeldern neu bestimmt<br />
werden. Dazu braucht es <strong>ein</strong>en transparenten und offenen Prozess, der sich auch kritisch<br />
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mit dem eigenen Handeln aus<strong>ein</strong>andersetzt und unterschiedliche staatliche wie<br />
nichtstaatliche Akteure und Institutionen <strong>ein</strong>bezieht.<br />
Deutsche Friedenspolitik kann auf Dauer nur im Rahmen der <strong>ein</strong>schlägigen internationalen<br />
Institutionen erfolgreich s<strong>ein</strong>. In erster Linie gilt dies <strong>für</strong> die Ver<strong>ein</strong>ten Nationen und die<br />
Europäische Union, die besondere Verantwortung <strong>für</strong> nachhaltigen Frieden und Sicherheit<br />
in ihrer Nachbarschaft trägt. Deutschland muss deshalb vor allem im multilateralen<br />
Zusammenhang Verantwortung <strong>für</strong> Friedensförderung und Konflikttransformation<br />
übernehmen und dabei als verlässlicher und berechenbarer Partner agieren.<br />
Grundsätzliches Ziel deutscher Politik muss es s<strong>ein</strong>, militärische Aus<strong>ein</strong>andersetzungen zu<br />
verhindern und politische Lösungen <strong>für</strong> Konflikte zu suchen. Leider muss jedoch immer<br />
wieder festgestellt werden, dass zivile Ansätze all<strong>ein</strong>e nicht ausreichend sind. Militärische<br />
Komponenten können wichtige Funktionen bei der Überwachung von Waffenstillständen,<br />
beim Eigenschutz von Friedensmissionen und zunehmend beim Schutz der Zivilbevölkerung<br />
vor gewaltsamen Übergriffen übernehmen.<br />
Im Ausnahmefall kann es deshalb erforderlich s<strong>ein</strong>, rechtzeitig militärische<br />
Zwangsmaßnahmen anzuwenden um gewaltsame Vertreibungen oder gar Völkermord zu<br />
verhindern. Militärische Maßnahmen dürfen jedoch immer nur ultima ratio s<strong>ein</strong> und<br />
müssen sich grundsätzlich in <strong>ein</strong>en politischen Prozess <strong>ein</strong>ordnen, der <strong>ein</strong>e dauerhafte<br />
Konflikttransformation zum Ziel hat. Wichtig ist es anzuerkennen, dass es in jeder<br />
Konfliktsituation unterschiedliche Antworten auf die Frage gibt, wie Konflikte bearbeitet,<br />
abgebaut und die Zivilbevölkerung geschützt werden kann. Die Transformation des<br />
internationalen Militär<strong>ein</strong>satzes in Afghanistan und der notwendige Abzug aller<br />
Kampftruppen bis Ende 2014 machen, deutlich wie wichtig es ist, die <strong>ein</strong>gesetzten Mittel<br />
immer wieder zu überprüfen.<br />
Eine der wichtigsten Entwicklungen des Völkerrechts der vergangenen Jahre ist die<br />
Einführung und Anwendung des Prinzips der Schutzverantwortung (Responsibility to<br />
Protect). Das Konzept bedarf jedoch der weiteren Ausgestaltung und <strong>ein</strong>er völkerrechtlich<br />
legitimierten Implementierung. Hierzu ist <strong>ein</strong> intensiver Dialog mit verschiedenen Akteuren<br />
zu führen und <strong>ein</strong>em Missbrauch durch geeignete Maßnahmen entschieden<br />
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entgegenzuwirken. Im Sinne <strong>ein</strong>er Friedensverantwortung (Responsibility for Peace) gilt es<br />
vor allem die präventive Säule der Schutzverantwortung international zu stärken.<br />
Unsere <strong>Impulse</strong> <strong>für</strong> das Wahlprogramm<br />
Um deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wieder stärker zu <strong>ein</strong>er Friedenspolitik zu<br />
machen, muss <strong>ein</strong>e Strategie <strong>für</strong> Friedensförderung und Konflikttransformation erarbeitet<br />
werden. Damit diese Bereiche als Querschnittsaufgabe deutscher Politik verankert werden<br />
können, muss <strong>ein</strong>e solche Strategie Grundlagen, Interessen, Ziele und Prioritäten deutschen<br />
Handelns bestimmen und da<strong>für</strong> Sorge tragen, dass die erforderlichen Ressourcen<br />
bereitgestellt werden.<br />
Auf europäischer Ebene muss es vorrangiges Ziel s<strong>ein</strong>, Synergien im Sinne <strong>ein</strong>es<br />
umfassenden Ansatzes zu erzeugen und <strong>ein</strong> zielgerichtetes europäisches Handeln zu<br />
stärken. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Instrumente und Strukturen des<br />
Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) und deren Zusammenspiel mit jenen der<br />
Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten.<br />
Deutschland muss politische Führungsverantwortung in der Weiterentwicklung und<br />
Erneuerung der Strukturen der Ver<strong>ein</strong>ten Nationen übernehmen. Wesentliches<br />
Kernanliegen muss es s<strong>ein</strong>, die Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates um<br />
Schwellenmächte des globalen Südens zu erweitern und <strong>ein</strong> gem<strong>ein</strong>sames europäisches<br />
Auftreten zu stärken. Gleichzeitig gilt es multidimensionale Friedensmissionen angemessen<br />
finanziell und personell auszustatten und <strong>ein</strong>e Reform der Finanzierungs- und<br />
Unterstützungsmechanismen <strong>für</strong> politische Missionen anzustreben.<br />
Im Hinblick auf die Besetzung von Führungspositionen braucht es <strong>ein</strong> neues<br />
Personalkonzept der Bundesregierung, welches die Personalpolitik <strong>für</strong> die internationalen<br />
Organisationen strategisch ausrichtet.<br />
Im Auswärtigen Amt ist <strong>ein</strong>(e) Beauftragte(r) der Bundesregierung <strong>für</strong><br />
Friedensförderung und Konflikttransformation im Range <strong>ein</strong>es Staatsministers / <strong>ein</strong>er<br />
Staatsministerin zu benennen und der derzeit bestehende Ressortkreis auf Ebene der<br />
Staatssekretäre aufzuwerten. Gleichzeitig muss der entsprechende Arbeitsstab im<br />
Auswärtigen Amt ausgebaut und um VertreterInnen aller beteiligten Ressorts erweitert<br />
sowie <strong>ein</strong> ressortübergreifender Budgetpool <strong>für</strong> Friedensförderung und<br />
Konflikttransformation <strong>ein</strong>gerichtet werden.<br />
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Die parlamentarische Begleitung deutscher Friedenspolitik muss weiter gestärkt und<br />
institutionalisiert werden, insbesondere durch die Fortführung des Unterausschusses „Zivile<br />
Krisenprävention und Vernetze Sicherheit“ des Auswärtigen Ausschusses auch in den<br />
kommenden Legislaturperioden.<br />
Die bestehenden deutschen Instrumente und Institutionen gilt es, konzeptionell zu<br />
stärken und mit zusätzlichen materiellen wie personellen Ressourcen auszustatten. Dazu<br />
gehört die dringend notwendige Erhöhung des Stiftungskapitals der Deutschen Stiftung<br />
Friedensforschung, damit diese auch weiterhin umfassende Fördermöglichkeiten<br />
sicherstellen kann. Gleichzeitig muss das erfolgreiche Zentrum <strong>für</strong> Internationale<br />
Friedens<strong>ein</strong>sätze (ZIF) zu <strong>ein</strong>em deutschen Kompetenzzentrum <strong>für</strong> Friedensförderung und<br />
Konflikttransformation ausgebaut werden. Der Zivile Friedensdienst (zfd) ist vor dem<br />
Hintergrund s<strong>ein</strong>er Evaluierung weiterzuentwickeln und auszubauen.<br />
Zur Ausbildung, Gewinnung und Bereitstellung von Personal <strong>für</strong> konfliktbearbeitende<br />
Aktivitäten braucht es verstärkte Anstrengungen und ressortübergreifende<br />
Personalentwicklungs-, Weiterbildungs- und Betreuungsmaßnahmen. Ebenso braucht es<br />
verstärkte Anreize, um Fachkräfte des öffentlichen Dienstes aus Justiz, Verwaltung, Polizei<br />
und anderen Bereichen <strong>für</strong> <strong>ein</strong>e Teilnahme an Friedensmissionen zu gewinnen.<br />
Durch <strong>ein</strong>e umfassende Bund-/Länder-Ver<strong>ein</strong>barung muss Deutschland die<br />
rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen da<strong>für</strong> schaffen, s<strong>ein</strong>en<br />
internationalen Verpflichtungen beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in<br />
Friedensmissionen stärker gerecht zu werden.<br />
Die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen der Friedensförderung ist auszubauen<br />
und so zu gestalten, dass sie <strong>ein</strong> längerfristiges, nachhaltiges Engagement ermöglicht und<br />
Planungssicherheit bietet. Um die Transparenz staatlicher Fördermaßnahmen zu erhöhen<br />
soll <strong>ein</strong>e Förderdatenbank <strong>ein</strong>gerichtet werden.<br />
Für die Weiterentwicklung von Strukturen und Instrumenten deutscher<br />
Friedenspolitik müssen wissenschaftliche Kapazitäten der Konflikt- und Akteursanalyse<br />
erweitert und stärker gefördert, die wissenschaftlich basierte Politikberatung ausgebaut<br />
und <strong>ein</strong>e verbesserte Vernetzung der vorhandenen Einrichtungen sichergestellt werden.<br />
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