Impulse für ein sozialdemokratisches Regierungsprogramm Bausteine
Impulse für ein sozialdemokratisches Regierungsprogramm Bausteine
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2013 – 2017
Impulse für ein sozialdemokratisches
Regierungsprogramm
Bausteine
des Vorstandes der Parlamentarischen Linken
1
Einleitung
Die Parlamentarische Linke in der SPD – Bundestagsfraktion hat seit Sommer
2012 und dem Vorliegen der ersten Entwürfe zum Regierungsprogramm der SPD
in drei Themenfeldern Impulse für das Regierungsprogramm erarbeitet, die wir
hiermit zur Diskussion stellen. Es handelt sich hierbei um eine Vorlage, die vom
Vorstand der Parlamentarischen Linken erarbeitet worden ist und verantwortet
wird.
Wir reihen uns damit ein in die Diskussionsbeiträge aus den verschiedenen
Strömungen und Gruppen der Partei, die mit ihren Anregungen und Forderungen
das Profil der SPD insgesamt stärken wollen. Viele große Programmfragen sind in
den Diskussionen und Entscheidungen der SPD in den letzten Monaten ganz in
unserem Sinne geklärt und beschlossen worden, z.B. die Politikkonzepte der SPD
für gute Arbeit, für die Bürgerversicherung, die gute Pflege, das Rentenkonzept
oder auch die neuen Vorstellungen zur Steuerpolitik und zur Regulierung der
Finanzmärkte.
Mit unseren Impulsen wollen wir aufgreifen und verstärken, was auch der
Kanzlerkandidat der SPD Peer Steinbrück als Forderung an die überfällige Debatte
um politische Inhalte und den ökonomischen und gesellschaftlichen
Transformationsprozess der Zukunft gerichtet hat: 1) Arbeitswelt und
Wertschöpfung müssen wieder mehr ins Zentrum rücken. Sowie die gerechte
Verteilung und sinnvolle Nutzung der geschaffenen Werte. 2) Der
demographische Wandel erfordert auch neue Konzepte der Teilhabe für alle
Menschen. 3) Und wir brauchen nicht nur eine neue, eine den Menschen nützliche
Reformpolitik für Deutschland, sondern auch Politik mit einer europäischen
Perspektive und in globaler Verantwortung für die Menschen.
Die vorgelegten Impulse sind Ansätze, um das SPD – Regierungsprogramm mit
konkreten Forderungen ebenso anschaulich wie verbindlich zu machen. Damit
wird dann die Grundlage dafür gelegt, dass in einem Richtungswahlkampf um die
Inhalte aus Konzepten Orientierung, aus Strategien Mehrheiten für einen neuen
Fortschritt werden. Hieran wollen wir engagiert mitarbeiten.
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Inhalt:
I. Für ein sozial gerechtes Land
- für eine Ökonomie der Solidarität
1.1. Humanisierung der Arbeit - gute Arbeit für alle
1.2. Teilhabe ermöglichen – niemanden ausschließen
1.3. Nachhaltiges Wachstum
– ressourcen- und energieeffizient wirtschaften
1.4. Genossenschaften und Mitbestimmung
– solidarische Ökonomie aufbauen
II.
Für eine Gestaltung des demographischen Wandels
– für Investitionen in die Menschen
2.1. Bildung als Menschenrecht – gute Bildung von Anfang an
2.2. Grundbildung für alle – die 2. Chance garantieren
2.3. Berufliche Bildung aufwerten – Weiterbildung fördern
III. Für ein demokratisches und soziales Europa
– für eine aktive deutsche Friedenspolitik
3.1. Europa politisieren – Europa reformieren
3.2. Mehr Demokratie wagen
- für einen neuen Verfassungskonvent
3.3. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik
- wieder zur Friedenspolitik machen
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I . Für ein sozial gerechtes Land –
für eine Ökonomie der Solidarität
1.1. Humanisierung der Arbeit – gute Arbeit für alle
Nach Jahrzehnten der wirtschaftlichen Liberalisierung ist eine andere, sozial nachhaltige
Entwicklung der Gesellschaft und der Wirtschaft dringend nötig. In den vergangenen
Jahrzehnten dominierte im sozialen Zusammenleben der Geltungsanspruch der
Profitabilität. Die Maßstäbe und die Sprache der Ökonomie sind wie ein Trojaner in alle
Lebenswelten eingedrungen. Die Folgen dieses Paradigmenwechsel lassen sich in
reduzierter Wohlfahrt, dem Mangel an Solidarität und Gerechtigkeit, einer nicht
umgesetzten Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und dem Verlust an
persönlicher Freiheit und gesellschaftlichem Frieden und Souveränität erkennen.
Es geht jetzt darum, die neoliberale Ideologie des Marktradikalismus und der
Profitoptimierung wieder aus den Institutionen unserer Gesellschaft heraus zu drängen.
Dazu muss auch die Zeit der Entstaatlichung aus Prinzip beendet werden. Wir brauchen
vielmehr einen qualitativen und quantitativen Ausbau öffentlicher Güter.
Die soziale Deformierung der Gesellschaft hat sich vor allem auch über eine veränderte
Arbeitswelt entwickelt. Die Gründe sind vielfältig: Deregulierung am Weltmarkt,
Durchsetzung der Kapital- und Shareholder - Interessen, Kostenoptimierung in den
Unternehmen, flexible Anstellungspolitik, rigide Personalbewirtschaftung in den
Unternehmen, die hohe Belastungen insbesondere durch die unzureichenden
Wertschätzung personenbezogener Dienstleistungsberufe.
Auch die Fixierung der politischen Diskussion auf die quantitativen Kennziffern des
Arbeitsmarktes hat die Frage nach der Qualität der Arbeit selbst zunehmend in den
Hintergrund treten lassen. Der gute Wert von Arbeit ist dadurch massiv beschädigt worden.
Tatsächlich nimmt die Rate ernsthafter Erkrankungen durch Arbeit insbesondere im
psychischen Bereich stetig zu. Noch nie waren die psychischen Erkrankungen durch Arbeit
so zahlreich wie jetzt. Sie stellen mittlerweile das größte Kontingent an Berufserkrankungen
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dar. Damit verbunden sind steigende Fehlzeiten, hohe Fluktuation, vorzeitiger
Berufsausstieg und eine hohen Frühverrentungsquote. Neben den gesundheitlichen und
persönlichen Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind dabei auch
die wirtschaftlichen Effekte zu beachten.
Wichtig ist deshalb, dass die Arbeitsmarktpolitik von einer durchdachten und ebenso
wichtigen Arbeitspolitik flankiert wird. Das klassische Anliegen der Sozialdemokratie von
der Humanisierung der Arbeitswelt gehört wieder ins Zentrum der Politik. Wir brauchen
eine neue Offensive zur Gestaltung der Lebens, Jahres- und Wochenarbeitszeit, die sich an
menschlichen Bedürfnissen, familiären Erfordernissen und geschlechtergerechter
Verteilung orientiert und Arbeitszeit umverteilt.
Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit und Berufsperspektiven der Beschäftigten,
und dies gilt für abhängig Beschäftigte genauso wie für Selbständige, sind als auslösende
Faktoren für Erkrankungen in Zukunft im Arbeitsschutz und in der betrieblichen
Gesundheitsvor- und fürsorge zu berücksichtigen. Berufliche Standards an die Qualität der
Arbeit müssen auch am Markt Geltung behalten. Gerade Menschen, die sich in hohem
Maße mit ihrer Arbeit identifizieren und ein besonders hohes berufliches Ethos haben,
leiden unter diesem Druck einer Erosion von Qualitätsstandards.
Die Wertschätzung und Qualität der Arbeit müssen sich auch wieder in ihrer Bezahlung und
der Qualität und Sicherheit des Arbeitsplatzes widerspiegeln. Tatsächlich sind im letzten
Jahrzehnt die Reallöhne jahresdurchschnittlich um 0,3 Prozent gesunken. Die
Nettolohnquote lag vor 1990 jahrzehntelang auf einem Niveau von über 50% und ist dann
auf 39,4 Prozent in 2010 gesunken. Über 22 Prozent der Beschäftigten arbeiten mittlerweile
im Niedriglohnsektor. 1,4 Millionen Menschen brauchen trotz Erwerbstätigkeit staatliche
Unterstützung. Die Hälfte aller neuen Arbeitsverträge ist befristet. Die Zahl der
Leiharbeitsverhältnisse hat sich in den letzten sieben Jahren verdreifacht. Mehr als jede
fünfte erwerbstätige Frau arbeitet ausschließlich in einem Minijob und 63 Prozent aller
geringfügig Beschäftigten sind Frauen. Während einige Frauen in Teilzeit arbeiten wollen,
weil aufgrund der Lohnungleichheit immer noch überwiegend die Männer den Hauptteil
des Haushaltseinkommens beisteuern, ist die überwiegende Mehrheit unfreiwillig in der
Minijobfalle gefangen.
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Frauen sind aber so gut ausgebildet wie nie zuvor. Aber nur selten können sie ihre
Ausbildung und ihre Kompetenzen im Beruf entsprechend entfalten. Das produktive Kapital
der Frauen wird nicht voll genutzt. Eine neue „kurze Vollzeit“, z.B. von 32 Std. könnte sich
an den Wünschen vieler Frauen (mehr Erwerbsarbeit) aber auch an denen viele Männer
(weniger Erwerbsarbeit) orientieren. Gleichzeitig würde sie die Umverteilung von
Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern wie auch die Lebenszufriedenheit beider
Geschlechter fördern. Die Aufstiegschancen von Frauen würden steigen.
Aus Gründen der individuellen Flexibilität wechseln viele Menschen in selbstbestimmte
Arbeitsverhältnisse. Die so genannten Soloselbstständigen müssen aber angehalten
werden, ihre Arbeit einem Richtwert nach anzubieten, mit dem ihr Arbeitgeberanteil an
den Versicherungskosten abgedeckt ist. Berufsverbände und Zusammenschlüsse von
Freiberuflern müssten sich auf entsprechende Stunden- und Tagessätze als öffentlich
bekannten Preis für freiberufliche Dienstleistungen einigen.
Unsere Impulse für das Wahlprogramm:
Das Prinzip der Flächentarifverträge wird gestärkt, indem die
Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erleichtert wird und konkurrierende
Tarifverträge für ein Tarifgebiet ausgeschlossen werden.
Um Missbrauch in der Leiharbeit wie auch bei Werkverträgen vorzubeugen, muss
das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ab dem ersten Tag gelten. Die Verleihzeit darf
dabei maximal ein Jahr betragen. Für die Qualifizierung und Weiterbildung der
Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter wird eine Branchenumlage eingeführt, aus deren
Weiterbildungsfonds der Anspruch auf Weiterbildung in der verleihfreien Zeit sichergestellt
werden kann.
Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter dürfen beim verleihenden Unternehmen nicht
nur für die Zeit angestellt werden, in der sie verliehen sind. Betriebsräte im Entleihbetrieb
müssen darüber hinaus mehr Mitbestimmungsrecht erhalten. Verträge von unter drei
Monaten Dauer müssen grundsätzlich signifikant besser vergütet werden als die
Referenzstelle in der Stammbelegschaft.
Um den Missbrauch von Werkverträgen zur Ersetzung von
sozialversicherungspflichtiger Arbeit möglichst auszuschließen, müssen die
Abgrenzungskriterien zur Arbeitnehmerüberlassung abschließend definiert und wirksam
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werden. Bei konsequenter Anwendung der Abgrenzungsmerkmale durch die Behörden
werden viele existierende Werkverträge als illegale Leiharbeit zu qualifizieren sein.
Zur Durchsetzung des Entgeldgleichheitsgebotes zwischen Männern und Frauen wird
ein Gesetz erlassen. Alle Unternehmen der Privatwirtschaft und des öffentliche Dienstes,
die betrieblichen Interessenvertretungen und die Tarifvertragsparteien werden durch
gesetzliche Verpflichtung veranlasst, die Herstellung von Entgeldgleichheit umzusetzen. Ziel
des verbindlichen Rahmens ist die Beseitigung der Lohnlücke zwischen Frauen und
Männern von derzeit 22 Prozent.
In börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen müssen mindestens 40
Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder Frauen sein. Wir werden dieses Ziel
stufenweise erreichen. Da die Unternehmen ihre Selbstverpflichtung nicht umgesetzt
haben, ist die Zeit reif für die gesetzliche Frauenquote.
Das Ziel einer inklusiven Arbeitsgesellschaft, in der die materielle Existenzsicherung
primär über Erwerbsarbeit realisiert werden kann, sollte Schritt für Schritt vorangebracht
werden. Durch gesetzliche Änderungen ist auf die Durchsetzung eines „neuen
Normalarbeitsverhältnisses“ einzuwirken, das die Leitbilder des gendergerechten,
inklusiven und kooperativen Arbeitens integriert und der zunehmenden Arbeitsverdichtung
und Zeitnot entgegenwirkt.
Eine sogenannte „kurze Vollzeit“ wird als Angebot für eine partnerschaftlichere
Aufteilung von familiären Pflichten und beruflichen Möglichkeiten zwischen den
Geschlechtern eingeführt. Diese „kurze Vollzeit“, von z.B. 32 Std, muss eine
Geringverdienerkomponente beinhalten. Das heißt, es sollte eine Förderung von
mindestens 10% des wegfallenden Lohnes vorgesehen werden, wenn zwei Partner ihre
Arbeitszeit partnerschaftlich um 20% senken.
Gleichzeitig wollen wir die geringfügige Beschäftigung wieder in
sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse überführen.
Entsprechend der Anti-Stress Initiative der IG-Metall werden Regelungen geschaffen,
der nach Beschäftigte das Arbeitsziel mit den vorhandenen Ressourcen ohne
gesundheitliche Beeinträchtigung realisieren können. Eine dauerhafte Erreichbarkeit darf
nur die absolute Ausnahme sein.
Das Recht älterer Beschäftigter auf eine altersgerechte Unternehmenskultur als
Bestandteil guter Arbeit muss über das Betriebsverfassungs- und die
Personalvertretungsgesetze abgesichert werden. Hierzu gehört u.a. ein Initiativrecht und
Durchsetzungsrecht der Betriebs- und Personalräte für Bereiche wie betriebliches
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Gesundheitsmanagement, für Präventions- und Mentoring - Programme sowie eine
entsprechende Arbeitsplatzgestaltung.
Über ein effektives Präventionsgesetz zu Gesundheitspflege und Gesundheitsschutz
werden entsprechende Mittel und Strukturen für eine umfassende Gesundheitsprävention
gesichert.
In Anlehnung an das Altersteilzeit-Kurzarbeitergeld der IG-BAU wird eine
arbeitsmarktpolitische Regelung für Beschäftigte getroffen, die zeitweise oder dauerhaft
von Leistungsminderung betroffen sind, jedoch keinen Anspruch auf
Erwerbsminderungsrente geltend machen können.
Um Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu eröffnen und in den ersten Arbeitsmarkt
zu integrieren, sollen die Möglichkeiten öffentlicher Beschäftigung ausgeweitet werden.
Für Soloselbstständigen wird ein Einstieg in die Gesetzliche Rentenversicherung mit
einem eigenen Tarifregime geprüft. Die Arbeitsgemeinschaft berufsständischer
Versorgungseinrichtungen hat zum Beispiel vorgeschlagen, dass Selbstständige in einem
eigenen Abrechnungsverband innerhalb der GRV nur einen 10% Beitragssatz (mit
entsprechend geminderter Leistung) bei doppelter Beitragsbemessungsgrenze leisten.
1.2. Teilhabe ermöglichen – niemanden im Sozialstaat ausschließen
Der Sozialstaat mit seinen großen Versicherungssystemen ist nicht zuletzt durch die
Gewerkschaften und die SPD in der langen, jetzt schon 150-jährigen Geschichte der
organisierten Arbeiterbewegung hart erkämpft worden. Sie stärken den sozialen
Zusammenhalt unserer Gesellschaft und bieten dem Einzelnen eine Sicherheit, die er
individuell nicht erreichen würde.
Diesen Sozialstaat gilt es zu sichern und weiter zu entwickeln, in seinem Versorgungsniveau
und der Versorgungssicherheit genauso wie in seinen vorsorgenden Qualitäten. In der
richtigen Balance von Sozialversicherungsleistungen und steuerfinanzierten Leistungen darf
kein Mensch von der Teilhabe und der Sicherung von sozialen Mindestrechten- und
Leistungen ausgeschlossen werden. Hier ist es unabdingbar, auch immer wieder
selbstkritisch zu prüfen, ob die vorhandenen Angebote und Regelungen den Prinzipien der
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Teilhabe und der
kommen muss.
Fairness entsprechen oder ob es hier zur Korrekturen und Reformen
So wirft die Reform der Arbeitslosenversicherung nach wie vor große Probleme auf. Sieben
Jahre nach der Reform gibt es immer noch eine Klageflut vor den Sozialgerichten – vor
allem wegen der Möglichkeit der Jobcenter, Betroffene zu sanktionieren.
Das Asylbewerberleistungsgesetz ist nicht zuletzt durch die kritische Beurteilung durch das
Bundesverfassungsgericht nachdrücklich auf den Prüfstand gestellt worden. Hier gilt es jetzt
neue Regelungen zu finden, die dem Anspruch auf Menschenwürde auch gegenüber
Flüchtlingen gerecht werden.
Und auch die große Gruppe der Menschen mit Behinderungen erlebt immer wieder neu,
wie schwer es ist, in der Arbeitswelt anerkannt und nach den jeweiligen Bedingungen und
Voraussetzungen beschäftigt und gefördert zu werden.
Unsere Impulse für das Wahlprogramm
Künftig soll nur solche Arbeit zumutbar sein, die tariflich entlohnt wird. Dort, wo dies
in Ermangelung eines tariflichen Lohnes nicht möglich ist, ist nur eine ortsüblich bezahlte
Arbeit zumutbar. In jedem Fall darf ein Mindestlohn von 8,50 EUR nicht unterschritten sein,
wenn die Arbeitsaufnahme mit Verweis auf Sanktionen gefordert wird.
Der Bereich der Sanktionen gegen ALG II Empfänger wird überprüft. Das gilt zum
Beispiel für Meldeversäumnisse wie die Nichtwahrnehmung eines Termins, die nicht mit
einer Arbeitsverweigerung gleichzusetzen sind.
Ehrenamtliche Tätigkeiten sollen in der Arbeitsvermittlung nicht als
Vermittlungshindernis bewertet, sondern als entsprechende Qualifikation gewertet
werden.
Die Regelsätze für das Arbeitslosengeld II (SGB II) und die Sozialhilfe (SGB XII),
insbesondere auch diejenigen für Kinder, müssen transparent sowie bedarfs- und
realitätsgerecht ermitteln werden, um ein ordentliches menschenwürdiges Existenzminimum
zu erreichen. Die derzeitigen Regelsätze bleiben hinter den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichtes und sozialpolitischen Notwendigkeiten zurück.
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Um menschenwürdige Lebensbedingungen für Asylsuchende und Geduldete
sicherzustellen, muss das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) grundlegend und im
Einklang mit den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen aufgestellt
hat, reformiert werden. Insbesondere die Leistungen müssen verfassungskonform neu
festgesetzt und fortlaufend aktualisiert werden. Das Sachleistungsprinzip und die
Sammelunterkünfte werden abgeschafft, die Gesundheitsversorgung verbessert sowie die
Geltungsdauer auf maximal 12 Monate begrenzt.
Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird für Flüchtlinge erleichtert, damit die
Lebensunterhaltssicherung durch eigene Arbeit ermöglicht wird. Im Übrigen ist die
aufenthaltsrechtliche Situation von Flüchtlingen so zu verbessern, dass ihr räumlicher
Aufenthalt nicht länger beschränkt werden kann (Residenzpflicht).
Deutlich mehr Menschen mit einer Behinderung als bisher könnten und sollten auf
dem ersten Arbeitsmarkt teilhaben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die Rolle der
Unterstützungssysteme – wie Werkstätten und Berufsbildungswerke – neu definieren.
Integrationsprojekte und –unternehmen werden dafür in der Zukunft eine deutlich stärkere
Rolle spielen. Deshalb müssen im Sozialgesetzbuch, besonders im Neunten Buch und in
den Verordnungen, die entsprechenden Grundlagen geschaffen werden.
Deutschland muss barrierefrei werden. Behinderung ist kein „Defekt“ des Menschen.
Sie entsteht durch die Wechselwirkung von Menschen mit Beeinträchtigungen auf der
einen und Barrieren auf der anderen Seite. Alle Menschen müssen eigenständig mobil sein
können, alle müssen gleichberechtigt an Bildung, Kultur und am Arbeitsmarkt partizipieren
können. Informationen müssen allen zur Verfügung stehen.
1.3. Nachhaltiges Wachstum
– ressourcen- und energieeffizient wirtschaften
Wettbewerbsfähigkeit darf sich nicht länger vorrangig über den Abbau von Arbeitsplätzen
und Sozialstandards definieren. Sie muss sich vielmehr an der möglichst guten Umsetzung
der Grundfunktion des Wirtschaftssystems orientieren, nämlich gute Arbeit und gute
Einkommen für alle Teilnehmer am Wirtschaftsleben zu gewährleisten und neue Produkte
und Technologien zu entwickeln und zu vermarkten. Und zwar Produkte und
Produktionsverfahren, die in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der ökologischen
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Nachhaltigkeit und der Ressourceneffizienz stehen. In diesem Sinne geht es darum, auch
die fiskalischen und wirtschaftspolitischen Möglichkeiten des Staates für ein nachhaltiges
Wachstum zu nutzen.
Natürliche Ressourcen galten viel zu lange Zeit als unerschöpflich und wurden infolge der
ersten industriellen Revolution, des technologischen Fortschritts und der wachsenden
Nachfrage in immer größerem Stil genutzt und abgebaut. Obwohl heute Klarheit über die
Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und die Folgen des massiven Abbaus besteht,
funktionieren die betriebliche, die öffentliche und die private Ökonomie vielfach noch nach
alten verschwenderischen Prinzipien.
Eine alternative Strategie gilt es jetzt im Rahmen der „ökologischen Industriepolitik“
weiterzuentwickeln, beispielsweise mit entsprechend ambitionierten Regelungen zur
Ressourcen und Energieeffizienz.
Globalisierung und der technische Fortschritt haben das Warenangebot vervielfältigt und
die Auswahl breiter gefächert. Der Markt ist gleichzeitig intransparenter und der
Konsumalltag der Menschen komplexer geworden. Umso wichtiger, weil potentiell
wirksamer, ist die Repolitisierung der Verbrauchermacht geworden. Verbraucherpolitik
muss hierzu aus der Nische, in die sie in den letzten Jahren abgedrängt worden ist, wieder
ins Zentrum einer nachhaltigen Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik geführt werden. Ziel
einer Stärkung der Nutzer- und Verbraucherrechte müssen hochwertige, langlebige wie
transparente Produkte sein.
Dazu muss nicht zuletzt das Ungleichgewicht des Wissens zwischen den Verbrauchern als
Nachfrageseite und den Unternehmen als Anbieterseite ausgeglichen werden. Es bedarf
unabhängiger Institutionen, die den Markt aus dem Fokus der Verbraucherinnen und
Verbraucher systematisch nach Fehlentwicklungen untersuchen und Missstände präventiv
aufspüren. Die Antwort auf diese Herausforderung ist das „Marktwächterkonzept“.
Und auch die unmittelbare Nachfragekraft des Staates kann erhebliche soziale und
ökologische Effekte haben, denn nicht zuletzt aus der erheblichen Masse der Nachfrage
von Bund, Ländern und Kommunen ergeben sich gewichtige ökonomische und
gesellschaftliche Steuerungsmöglichkeiten. Das Prinzip der Profitabilität jedoch hat eine
Maxime befördert, die nur ein Kriterium berücksichtigt: den niedrigsten Preis. Hiermit wird
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jedoch eine weitgreifende Stellschraube politischer Gestaltungsmöglichkeit aus der Hand
gegeben.
Unsere Impulse für das Wahlprogramm:
Für die Steigerung der Energieeffizienz sollte ein Gesetz alle rechtlichen Maßnahmen
in diesem Bereich zusammenfassen. Es wäre anwenderfreundlicher als viele verstreute
Regelungen und sollte die Bereiche Gebäude, produzierendes Gewerbe und Verkehr
umfassen.
Mit der Einrichtung eines Energieeffizienzfonds könnten Information, Beratung und
auch Investitionen in energieeffiziente Produkte verbilligt oder ganz kostenlos gemacht
werden. Ein solcher Fond, dessen konkrete Ausgestaltung sich an den Erfahrung anderer
Länder orientieren muss, sollte aus Energiesteuern oder dem Handel mit
Emissionszertifikaten finanziert werden.
Gebrauchsgüter müssen möglichst so gestaltet werden, dass sie recyclingfähig sind
oder keinen Müll erzeugen. Das Ziel einer wirklichen Kreislaufwirtschaft kann jedoch nicht
nur durch verstärktes Werben erreicht werden, sondern muss auch durch
ordnungspolitische Maßnahmen, wie etwa einer Verschärfung der Rücknahme- und
Wiederverwertungsverpflichtungen, begleitet werden.
Verbraucher müssen dazu angehalten werden, zu einer Erhöhung der Recyclingquote
beizutragen, z.B. durch die Einführung einer Pfandpflicht für Elektro- und Elektronik-
Kleinprodukte sein.
Für eine Erhöhung der Recyclingquote sollten in einer öffentlichen Gesellschaft unter
Kostenbeteiligung der Wirtschaft die derzeit nebeneinander bestehenden Sammelsysteme
zusammengeführt werden. Eine solche Gesellschaft könnte ein dichtes Netz an
Sammelstellen zur Verfügung stellen und grundsätzlich durch eine „Belohnung“ die
Bereitschaft zur Rückgabe fördern. Bestimmte Produkte und Rohstoffe (beispielsweise
Mobiltelefone) könnten aufgrund ihres hohen Materialwertes sogar angekauft werden.
Um die Produktverantwortung des Herstellers konsequent zu verstärken, sollten
Steuerungsinstrumente entwickelt werden, die Anreize bieten schon bei der
Produktentwicklung auf Ressourceneffizienz und Recycelbarkeit zu achten. So könnten
Beispielsweise zertifizierte Gebrauchsprodukte, die vollständig kompostierbar oder
recyclingfähig sind, mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz versehen werden.
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Mit einer Weiterentwicklung der bestehenden Produzenten- oder
Produktverantwortung könnten neue Impulse gesetzt werden um die
Ressourcenproduktivität zukünftig weiter zu steigern. So sollten Produkte mit einer
Ressourcenabgabe belegt werden, deren Höhe sich nach den entstehenden Aufbereitungsund
Gewinnungskosten richtet, um die Rohstoffe wieder am Beginn der Produktion
einzusetzen. Dadurch entstünde für Produzenten ein finanzieller Anreiz langlebige,
wiederverwendbare und gut recycelbare Produkte zu produzieren.
Sowohl aus sozialen wie auch aus Effizienzgründen ist es erforderlich,
Einkommensschwache Haushalte bei der Anschaffung energieeffizienter Technologien zu
unterstützen. Geeignet hierzu wären Kleinkreditprogramme oder Anschaffungszuschüsse,
finanziert durch einen Energieeffizienzfonds oder die KfW, die Ersatzbeschaffungen fördern
und damit dafür Sorge tragen, dass alte, ineffiziente Geräte außer Betrieb genommen
werden.
Eine strikt auf Ressourcenschonung ausgerichtet öffentliche Beschaffungspolitik kann
einen wesentlichen Beitrag zur Entkopplung leisten. Entsprechend müssen die betreffenden
Normen, von EU-Richtlinien bis hin zum Gemeindewirtschaftsrecht in den Bundesländern,
umgestaltet werden.
Ressourceneffizienz ist bisher nicht Teil der betriebswirtschaftlichen Ausbildung. Es
müssen deshalb Zusatzkurse für aktive Manager angeboten werden, deren erfolgreicher
Abschluss, mit einem Zertifikat testiert, Voraussetzung für die Teilnahme an bestimmten
öffentlichen Ausschreibungen ist. In der Ausbildung des Manager-Nachwuchses ist in den
betreffenden Studiengängen für einen verpflichtenden Teil „Ressourceneffizienz“ Sorge zu
tragen.
Die Herausforderungen einer wachsender Weltbevölkerung, unterschiedlicher
Wirtschaftsdynamiken und knapper werdender Ressourcen sind mit einer zunehmenden
Komplexität verbunden, die partizipatives und Verantwortung und Handlung aktivierendes
„Wissen“ erfordern. Kernelemente einer Bildung für nachhaltige Entwicklung müssen
verbindlich in Bildungs- und Lernplänen implementiert werden. Das gilt für das ganze
Bildungssystem von der Kindertagesstätte bis zur begleitenden beruflichen Weiterbildung.
Der Wandel vom Besitz von Gütern hin zu einer stärkeren Nutzung von
Dienstleistungen sollte durch ordnungspolitische Instrumente ebenso wie durch
fiskalpolitische Anreize gestärkt werden. Beispielhaft hierfür kann das Carsharing stehen,
dessen Verbreitung beispielsweise durch kostenlose Parkmöglichkeiten in Innenstädte oder
die Abschaffung der Kfz-Steuer für umweltfreundliche Autos unterstützt werden kann.
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1.4. Genossenschaften und Mitbestimmung
– eine solidarische Ökonomie aufbauen
Die globalisierte Wirtschaft heute ist überwiegend im Interesse von Kapitaleignern gestaltet
statt im Interesse aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer und Wertschaffenden. Im Verlaufe
der Wirtschaftskrise seit 2008 hat sich jedoch gezeigt, dass Unternehmer und Arbeitnehmer
solche Krise am besten gemeinsam bewältigen und die umfassende Beteiligung der
Gewerkschaften und Betriebsräte und die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen ein
Schlüssel auch zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Unternehmen sind. Das System der
Mitbestimmung und der Tarifautonomie in Deutschland ist und bleibt ein Grundpfeiler
dieses Erfolgsmodells und sollte mittels der Möglichkeit, europäische Betriebsräte zu
bilden, auch über Deutschland hinaus ausgebaut werden.
Aber auch in Deutschland selbst muss die Mitbestimmung erweitert werden. Wir brauchen
noch mehr Betriebe in der Mitbestimmung und wir brauchen auch mehr Rechte für die
Mitbestimmung. So muss die Mitbestimmung in Deutschland mit Blick auf die Leiharbeit
gestärkt werden. Auch bei Fragen der innerbetrieblichen Weiterbildung im Zusammenhang
mit immer schnelleren Produktzyklen müssen die Rechte der Betriebsräte ausgebaut
werden. Dies gilt auch, wenn es um Verkäufe und feindliche Übernahmen geht.
In Deutschland muss auch wieder die Gewinnbeteiligung der Belegschaften thematisiert
werden. Die SPD hat hierzu das Konzept des sog. Deutschlandfonds in die Diskussion
eingebracht. Wir wollen eine Erweiterung dieser Diskussion mit Blick auf den
Genossenschaftsgedanken. Dabei streben wir eine starke Förderung der
genossenschaftlichen Organisation auch von Industriebetrieben im Sinne einer
„solidarischen Ökonomie“ an. Solidarische Ökonomie meint, dass die Organisation der
Betriebe sich an den genossenschaftlichen Merkmalen orientiert wie Kooperation statt
Konkurrenz, Einheitlichkeit von Eigentums- und Nutzungsinteresse, Förderung und
gegenseitige Unterstützung mittels Produktion oder Dienstleistungen für die Mitglieder der
Genossenschaft, Basisdemokratie bzw. Stimmrecht qua Mitgliedschaft statt nach
Kapitaleinlage.
14
Unsere Impulse für das Wahlprogramm
Die Schwellenwerte für das Mitbestimmungsgesetz werden auf 1000 Beschäftigte
und für das Drittelbeteiligungsgesetz auf 250 Beschäftigte verringert.
Es wird ein gesetzlicher Mindestkatalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte für
zentrale unternehmerische Entscheidungen – insbesondere Betriebsschließungen,
Standortverlagerungen und Unternehmensverkäufe – im Aufsichtsrat eingeführt. Eine
qualifizierte Minderheit im Aufsichtsrat von einem Drittel seiner Mitglieder soll berechtigt
sein, den Katalog zustimmungsbedürftiger Geschäfte zu ergänzen.
Bei Gründungsförderung und -beratung muss besser auf die Besonderheit des
Genossenschaftswesens abgestellt werden. Die Strukturen der Wirtschaftsförderung sind
stärker für die Gründung von Sozialunternehmen zu öffnen. Auch die
Genossenschaftsgesetze müssen auf die besondere Entwicklung von Unternehmen mit
kulturellen und sozialen Zwecken und deren Förderung hin angepasst werden.
Entsprechend sollten die Rechtsform der Genossenschaft und die Erfahrungen mit
ihrem Betrieb in der Ausbildung und Lehre von Betriebs-, Volkswirtinnen und Volkswirten,
Juristinnen und Juristen und Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger stärker verankert
werden.
Um Belegschaftsinitiativen eine Chance einzuräumen, soll es ein verbessertes
Vorkaufsrecht der Beschäftigten bei Insolvenz geben. Die Möglichkeit der
Betriebsweiterführung in Form einer Genossenschaft ist über entsprechende Fördergelder
abzusichern.
Die Stärkung von Selbständigen und kleinen Unternehmen bei ihrem Bemühen, gute
und attraktive Arbeitgeber zu sein, ist ein wichtiger Bestandteil von Strategien zur
Umwandlung prekärer Beschäftigung in sichere und gute Arbeit. Kooperationen mit der
Zielsetzung der betrieblichen Bindung und Entwicklung der Qualifikation der Beschäftigten
in Form des genossenschaftlich organisierten Arbeitgeberzusammenschlusses (AGZ) sind zu
fördern.
15
II. Für eine Gestaltung des demographischen Wandels –
für Investitionen in die Menschen
2.1. Bildung als Menschenrecht – gute Bildung von Anfang an
Ein leistungsfähiges und sozial gerechtes Bildungssystem ist entscheidend für die
individuellen Lebenschancen unserer Kinder und zugleich eine zentrale Voraussetzung für
den ökonomischen Erfolg und den sozialen Zusammenhalt in unserem Land.
Chancengleichheit im Bildungssystem und Aufstieg durch Bildung sind gesellschaftliche
Versprechen, für deren Einhaltung wir immer wieder neu arbeiten und Prioritäten setzen
müssen. Die gute frühkindliche Bildung ist dabei die Voraussetzung für alle folgenden
Entwicklungen. Dies ist heute gesellschaftlicher Konsens, ohne dass daraus schon
ausreichende Konsequenzen gezogen worden sind. Wer bei der frühkindlichen Bildung
spart und nicht in Qualität und Quantität investiert, verfestigt Unterprivilegierung und
Diskriminierung.
Grundsätzlich gilt, dass wir in Deutschland auch im Durchschnitt der OECD – Staaten rund
20 Milliarden Euro zu wenig bereitstellen für die Förderung der Bildung. Besonders
problematisch ist dabei allerdings, dass wir in Deutschland vor allen Dingen am Anfang der
Bildungsbiographie zu wenig Mittel für die frühkindliche Bildung bereitstellen. Wir
brauchen mehr Unterstützung und Anerkennung für die Arbeit der Fachkräfte, eine bessere
Einbindung der frühkindlichen Bildungseinrichtungen in das weitere Bildungssystem und
mehr Qualitätssicherung in Ausbildung, Weiterbildung und Wissenschaft.
Unsere Impulse für das Wahlprogramm
Bildung ist ein Menschenrecht für alle. Deshalb wollen wir schrittweise eine
gebührenfreie Bildung in der Kindertageseinrichtung einführen, so wie auch die Schulen
und die Hochschulen als öffentliche Bildungseinrichtungen kostenfrei sind und bleiben.
Ein entscheidender Schlüssel zur Förderung der pädagogischen Qualität in den
Kindertagesstätten liegt in der Aufwertung des Berufsbildes der Erzieherin und des
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Erziehers. Die Bezahlung muss deutlich verbessert werden. Aufstiegs- und
Spezialisierungsmöglichkeiten müssen geschaffen werden. Die Schaffung einer
akademischen Ausbildung in der frühkindlichen Pädagogik ist aufzunehmen, so dass es zwei
Qualifikationswege für diesen wichtigen Bildungsbereich gibt. Damit sollen auch mehr
Männer für diesen pädagogischen Arbeitsbereich gewonnen werden.
Differenzierte bedarfsgerechte Öffnungszeiten der Kindestagesstätten von der
Krippe bis zum Hort sind ebenso notwendig wie ein Umdenken in der Arbeitszeitgestaltung
von Eltern mit Kindern. Wir brauchen eine Förderung der 30 Stunden – Woche für junge
Väter und Mütter im Anschluss an die 3 - jährige Elternzeit, die für maximal drei weitere
Jahre in Anspruch genommen werden kann.
Für die gute Förderung der Kinder in der Schule wie für die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie für die Eltern ist der gesetzliche Anspruch auf den Besuch einer Ganztagsschule
bis zum Jahr 2020 verbindlich umzusetzen. Hierfür ist ein Bund – Länder – Programm
aufzulegen. Das Kooperationsverbot des Grundgesetzes in der Bildungsförderung ist
aufzuheben.
2.2. Grundbildung für alle – die 2. Chance garantieren
Zur guten Grundbildung für alle gehört eine ausreichende Kompetenz in elementaren
Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen und in sozialen, kulturellen und medialen
Schlüsselqualifikationen genauso wie eine ausreichende Berufsausbildung, die zu einer
selbstbestimmten Gestaltung des eigenen Lebensweges befähigt. Es sollte für eine
hochentwickelte Gesellschaft und Ökonomie wie in Deutschland eigentlich
selbstverständlich sein, dass diese Voraussetzungen für jeden Menschen durch eine
entsprechende Bereitstellung und Förderung von Bildungsangeboten ermöglicht werden.
Wir brauchen eine solche Bildungsgesellschaft auch der 2. und der 3. Chance, wenn es sein
muss und möglich ist, denn die Bildungsdefizite sind in breiten Schichten der Bevölkerung
und für viel zu viele einzelne Menschen viel zu groß. Das gilt insbesondere für diejenigen,
die keinen Schulabschluss haben. Aber auch aktuell 7,5 Millionen funktionale
Analphabeten, über 12 Millionen Menschen mit unzureichende Lese- und
Schreibkompetenz, über 1,3 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ohne
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eine abgeschlossene Berufsausbildung und geschätzte 7 Millionen Erwerbstätige insgesamt
ohne eine formale Berufsqualifikation zeigen hier die Dringlichkeit einer bildungspolitischen
Offensive der 2. Chance.
Unsere Impulse für das Wahlprogramm
Die Förderangebote zur Alphabetisierung sind in einem Nationalen Pakt für
Grundbildung in den nächsten 10 Jahren massiv zu erhöhen, zu koordinieren und
institutionell abzusichern. Hierzu muss auch der Bund einen nachhaltigen finanziellen
Beitrag leisten.
In Deutschland ist das Prinzip der einfachen oder der leichten Sprache noch
weitgehend unterentwickelt. Mit einer Initiative zur Verbreitung dieser leichter
zugänglichen Texte soll nicht nur der Zugang und die Teilhabe am öffentlichen Leben für
eine große Zahl Betroffener erleichtert werden, sondern auch ein Anreiz zum Weiterlernen
und zur Weiterbildung durch Erfolgserlebnisse.
Beinahe 300.000 Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich heute in
Brückenangeboten und im Übergangsystem aus der Schule in die Berufswelt, ohne dass
damit der Zugang zu einer Berufsausbildung zwingend verbunden ist. Wir brauchen eine
Ausbildungsplatzgarantie für jeden jungen Menschen, für die mehr betriebliche
Ausbildungsplätze bereitzustellen und ergänzend auch vollzeitschulische Ausbildungen
vorzuhalten sind. Für die jungen Erwachsenen ohne abgeschlossene Schul- und
Berufsausbildung sind Rechtsansprüche auf das Nachholen von Schul- und
Berufsabschlüssen zu schaffen und umzusetzen.
2.3. Berufliche Bildung aufwerten – Weiterbildung fördern
Immer wieder neue Bildungschancen ein Leben lang sind nicht nur ein Menschenrecht,
sondern auch ein ökonomisches Erfordernis für ein Hochtechnologieland wie Deutschland,
dessen relativer Wohlstand auf der Kompetenz und der Weiterbildungsbereitschaft seiner
Fachkräfte in allen Bereichen beruht. Die berufliche Erstausbildung ist in der Zukunft
deshalb dringlicher denn je mit dem Recht und der Möglichkeit zur beruflichen
Weiterbildung zu verbinden.
18
Berufliche Weiterbildung ist dabei mehr als nur betriebliche Anpassungsfortbildung. Sie
muss sich auch an den Weiterbildungswünschen und biographischen Konzepten der
Betroffenen orientieren und berufliche Weiterbildung mit allgemeiner, kultureller und
politischer Weiterbildung verbinden. Diese persönliche Perspektive ist durch die
Arbeitgeber in den Firmen und Verwaltungen wie durch politische und gesetzgeberische
Maßnahmen mit einzulösen. Sie darf auch nicht mehr an Alter und Herkommen gebunden
sein. Wer eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht ausschließt, muss erst recht dafür
eintreten, dass die Weiterbildungsbereitschaft und die Weiterbildungsfähigkeiten von allen
Menschen zu allen Phasen ihres Berufslebens gestärkt werden.
Insbesondere müssen auch die persönlichen Potentiale der Menschen, die nach
Deutschland eingewandert sind, geweckt und gefördert werden. Ein Drittel der
Jugendlichen mit einem sogenannten Migrationshintergrund erhalten keine Lehrstelle. Und
über 500.000 zugewanderte Menschen können die Qualifikationen, die sie aus ihrem
Herkunftsland mitbringen, in Deutschland nicht einbringen und müssen deshalb unter
ihrem Leistungs- und Kompetenzniveau arbeiten. Das kann niemanden ruhen lassen.
Das längere Leben enthält auch die Chance und das Erfordernis, Weiterbildungsinteresse
und Weiterbildungsfähigkeit rechtzeitig aufzubauen und mit positiven Erfahrungen so zu
besetzen, dass Freude und Erfolge im Lernen und in der Bildung lebensbegleitend und
lebensbereichernd anhalten. Tatsächlich kann persönliche Bildung nicht nur dem einzelnen
Menschen bis ins hohe Alter Sinngebung und Erfüllung sein. Sie ist auch Voraussetzung zur
Teilhabe im sich verändernden praktischen Leben, mit neuen Technologien aller Art, mit
neuen Lebensumständen und in der Gewinnung und Pflege auch neuer sozialer
Beziehungen.
Diese Teilhabe muss sich dabei in neuen Formen vollziehen, die nicht mehr aus dem
Berufsleben und seinen Möglichkeiten wie Erfordernissen der Qualifizierung und
Weiterbildung abgeleitet sind. Hier eine neue Kultur der Teilhabe aufzubauen, wird nur
gelingen können, wenn es eine neue Lern- und Bildungskultur für das Alter und seine
verschiedenen differenzierten Lebensphasen gibt. Das längere Lernen im längeren Leben
braucht hierzu entsprechende Voraussetzungen im Staat, Gesellschaft,
19
Bildungsinstitutionen und non – formalen und informellen Zusammenhängen, die noch
unzureichend entwickelt sind, qualitativ und quantitativ.
Unsere Impulse für das Wahlprogramm:
Erstausbildung und Weiterbildung müssen als Bildungsrecht für jeden Menschen
zusammen geführt werden, in einem Recht für alle Menschen auf eine vollqualifizierende
Erstausbildung von mindestens drei Jahren und von mindestens drei Jahren beruflicher
Weiterbildung in ihrer Lebensbiographie.
Durch ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz sind klare transparente Regelungen
für die finanzielle Förderung, die Gewährung von Freiräumen für die Teilnahme an Fortund
Weiterbildung sowie für die Bildungsberatung in Deutschland zu treffen, die
länderübergreifend wirksam sind.
Die Arbeitslosenversicherung ist zu einer Arbeitsversicherung zu erweitern, die
Rechtsansprüche auf finanzielle Förderung von Weiterbildung einschließt, die vom
Arbeitgeber wie vom Arbeitnehmer, je nach der jeweiligen Interessensausrichtung
Ausrichtung der Bildungszeit, komplementär zu finanzieren sind. Das Volumen ist
mittelfristig auf mindestens 1 Punkt der Arbeitsversicherungsbeiträge zu steigern.
Steuermittel sind in den Fällen zur Finanzierung heranzuziehen, die keinen unmittelbaren
Bezug zur Arbeitswelt und der beruflichen Weiterbildung haben.
Die Initiativ- und Mitbestimmungsrechte der Betriebs- und Personalräte für die
Weiterbildung sind auszubauen.
Für Menschen, die nach Deutschland einwandern, ist ein Rechtsanspruch auf
Feststellung und Evaluierung ihrer Qualifikation mit einem Rechtsanspruch auf
angemessene Nachqualifikation zu vertretbaren Bedingungen zu verbinden. Die
finanziellen Eigenleistungen sind hierbei fair zu begrenzen.
Für die Zukunft des längeren Lernens im längeren Leben ergeben sich zwingende
Handlungserfordernisse mit Blick auf allgemeine und berufliche Weiterbildung, auf
Sabbatjahre und Freistellungszeiten für Bildung, auf ein Erwachsenen - Bafög und
Zuschüsse und Prämien für Bildungsmaßnahmen. Hierzu müssen die rechtlichen Ansprüche
und Voraussetzungen geschaffen werden.
Die öffentliche Verantwortung für den Erhalt und Ausbau von kommunalen
Bildungseinrichtungen wie den Volkshochschulen, den Bibliotheken und den Bürgerzentren
20
Die Weiterentwicklung und Integration der kommunalen Bildungslandschaft mit sozialen
Institutionen und Angeboten ist finanziell abzusichern.
Neue digitale Lern- und Bildungsangebote in Verbindung mit sozialen Lernarrangements
sind zu entwickeln und aufzubauen, weil gerade Menschen mit eingeschränkter Mobilität
damit angesprochen und eingebunden werden können. Dazu zählt auch die Umstellung von
Medien auf mehr Zugänglichkeit auch bei altersbedingten Handicaps.
Bildungspolitik wird hier zur Generationenpolitik: Mit der Kombination von
generationsspezifischen Lern- und Bildungsangeboten und von generationsübergreifenden
Lernformen, der Nutzung von Alterskompetenz als Bildungslotse wie Aktivierung von
jüngeren Menschen für die Aufgabe des Lernberaters und – begleiters im Alter.
III. Für ein demokratisches und soziales Europa
- für eine aktive deutsche Friedenspolitik
3.1. Europa politisieren – Europa reformieren
Europa muss wieder mehr Politik wagen. Wir brauchen eine gemeinsame europäische
Politik, die für die Menschen in allen Ländern wirklich nachhaltige wirtschaftliche und
soziale Fortschritte bringt. Die besten sozialen Systeme und Errungenschaften der
Mitgliedsstaaten müssen in europäische Politik überführt und für die Menschen
gesichert und ausgebaut werden. Art. 9 des Vertrages über die Arbeitsweise der
Europäischen Union gibt hier die Richtung vor:
„Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen trägt
die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen
Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen
Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen
Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes
Rechnung.“
21
Es ist jetzt an der Zeit, dass die EU wieder als gesellschaftliche Gestaltungsmacht in
Zeiten weltweiten Wettbewerbs wahrgenommen wird; als Instanz, die stark genug ist,
das Primat der Politik gegen globalisierte Märkte durchzusetzen. Dafür brauchen die
Bürgerinnen und Bürger die Sicherheit und die gesellschaftliche Solidarität eines
leistungsfähigen Sozialstaats.
Krisenbedingte Weichenstellungen wie der Fiskalpakt, das so genannte Six-Pack oder
auch Vereinbarungen wie der Euro-Plus-Pakt sind einseitige Antworten einer konservativ
dominierten Europapolitik gewesen, die jetzt dringend der Korrektur durch eine aktive
Politik zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung, zum Ausbau von Bildung und
Forschung und zur Sicherung der öffentlichen Güter und ökologischer Vorsorge
bedürfen.
Ein soziales Europa erreichen wir durch die Aufmerksamkeit und die Anerkennung der
breiten Schichten der Bevölkerung in Europa, der Arbeitnehmerschaft und ihrer Familien,
des Mittelstandes, der Jugend. Gerade diese breiten Schichten der Bevölkerung drohen
sich aber aktuell von der europäischen Idee abzuwenden.
Orientierungsrahmen für eine andere bessere Politik für und in Europa sind Konzepte wie
der „Marshallplan für Europa“ des DGB, mit dem europaweit massive Investitionen von
durchschnittlich 110 Mrd. Euro jährlich eingeleitet werden sollen. Es ist mehr als überfällig,
dass sich auch die europäischen Institutionen und Parteien mit diesen wegweisenden
Vorschlägen und Forderungen aus der Arbeitnehmerschaft und ihren Gewerkschaften in
Europa auseinandersetzen und diese Impulse konstruktiv aufnehmen und umsetzen.
Auch bei der Finanzierung dieser Zukunftskonzepte für das soziale Europa sind endlich neue
Wege zu gehen.
Ein weiterer Eckpunkt für ein modernes, an den Zukunftschancen seiner Bürger
ausgerichtetes Europa ist eine gemeinsame „europäische Energiewende“. Die europäische
Spitzenreiterposition für Umwelttechnologien und Nachhaltigkeitsstandards muss gefestigt
und dazu genutzt werden, auch die globale Energiewende von den Standards wie von den
Technologien und der nachhaltigen Ressourcennutzung voranzubringen. Dies ist auch gut
für Wachstum und Beschäftigung.
22
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zeigt in seinen Studien, dass die
Verschärfung des Treibhausgasreduktionsziels in der EU bis 2020 von 20 auf 30 Prozent zu
massiven positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekten führt: Das jährliche BIP-
Wachstum in der EU würde um 0,6 Prozentpunkte, das EU-BIP 2020 um 642 Mrd. € (5,8
Prozent) über dem Basisszenario liegen. Bis zu 6 Mio. zusätzliche Arbeitsplätze würden
geschaffen.
Unsere Impulse für das Wahlprogramm:
Das soziale Europa braucht starke soziale Grundrechte und Mindeststandards bei
Löhnen und in den Sozialversicherungssystemen, damit die drohenden Verarmungs- und
Spaltungsprozesse endlich gebremst und aufgehoben werden. Mindestlöhne in allen
Mitgliedsstaaten sind unabdingbar. Es ist ein europäischer Skandal, dass es noch keinen
gesetzlichen Mindestlohn im größten EU –Mitgliedsstaat Deutschland gibt.
Europa muss einen Pakt für soziale Standards (PSS) abschließen. Der PSS umfasst für
alle Mitgliedstaaten ein festes Mindestmaß an sozialen Standards, jeweils in Relation zur
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes. Er ist verbindlich und verpflichtend, ohne
dabei die Eigenständigkeit der gewachsenen nationalen Sozialsysteme anzutasten. Zum PSS
gehört weiterhin eine europäische Vermögensbesteuerung sowie einheitliche
Bemessungsgrundlagen bei der Unternehmenssteuer.
Zur Finanzierung muss neben der Heranziehung von hohen Einkommen und Erträgen
aus Vermögen in allen Ländern Europas auch die überfällige Besteuerung von
Finanzaktivitäten dienen. Deshalb ist die Einführung einer europaweiten
Finanztransaktionssteuer ein zentrales sozialdemokratisches Ziel. Wir setzen uns für eine
Steuer ein, die eine möglichst breite Bemessungsgrundlage mit möglichst niedrigem und
einheitlichem Steuersatz von 0,5 Prozent auf jede Transaktion hat. Das muss auch heißen,
dass insbesondere Derivatgeschäfte und Devisentransaktionen mit in die Besteuerung
einbezogen werden. Die Umsetzung des Konzepts der EU-Kommission durch die elf Staaten
der erweiterten Zusammenarbeit muss noch in diesem Jahr erfolgen.
Der Verkauf von Finanzprodukten muss auf eine neue Grundlage gestellt werden.
Dazu gehören maximale Transparenz über die Kosten, eine Kennzeichnungspflicht für
Finanzprodukte und ein Ausbau der Honorarberatung. Besonders risikoreiche oder
komplexe Finanzprodukte müssen verboten werden. Die Finanzaufsicht in Deutschland
muss zudem einheitlich bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
23
liegen. Dafür braucht die BaFin schließlich einen klaren gesetzlichen
verbraucherschutzpolitischen Auftrag als eine ihrer Kernaufgaben.
Die ökomische Krise insbesondere für die südlichen Staaten der europäischen Union
muss zum Ausgangspunkt einer industriepolitisch motivierten „Solaroffensive für
Südeuropa“ gemacht werden. So kann die große Idee eines ökologisch–sozialen New Deal
für ganz Europa mit einer soliden Beschäftigungsperspektive für alle Länder in Europa
verbunden werden. Die natürlichen Vorteile und damit verbundenen Wohlstandsgewinne
in den südlichen Ländern können hier in Korrespondenz gebracht werden mit den
technologischen Leistungen und Gewinnen der nördlichen Länder. Das gemeinsame
Interesse ist hier auch die gemeinsame Chance.
Daseinsvorsorge und wesentliche Infrastrukturen gehören in öffentliche
Verantwortung und nicht mehr unter ein Liberalisierungs- und Privatisierungsdiktat seitens
der europäischen Politik. Dies gilt aktuell beispielsweise für den Schienenverkehr, die
Dienstleistungen und Dienstleistungskonzessionen im Bereich der Daseinsvorsorge, und
den Bildungs- und Sozialsektor. Die Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik in allen
bisher davon betroffenen Bereichen bedarf einer grundsätzlichen Evaluation und ggf.
Rückabwicklung oder Korrektur.
Die Instrumente, mit denen derzeit das Kohäsionsziel der Europäischen Union
verfolgt wird, sind zu reformieren. Strukturfondsmittel sollten grundsätzlich als
revolvierende Fonds eingerichtet werden, nicht nur als Mittelabfluss. Die Forschungs- und
Innovationsförderung muss neben der Projekt- auch als Strukturmittelförderung
eingerichtet werden. Um das Ziel von 3 % Forschungs- und Entwicklungsausgaben am BiP
zu erreichen, muss beispielsweise die Agrarförderung in Zukunft hinter der Investition in die
Köpfe der Menschen zurückstehen.
3.2. Mehr Demokratie wagen – für einen neuen Verfassungskonvent
Rettungsschirme und Stabilisierungsmechanismen können die Entwicklung einer
zukunftsweisenden politischen Perspektive nicht ersetzen. Diese Perspektive enthält die
weitere Integration Europas, auch bei gemeinamer Besteuerung, finanziellem
Lastenausgleich und entsprechender politischer Repräsentation.
24
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon verneint eine
Staatswerdung Europas auf der Grundlage des Grundgesetzes, lässt aber die Möglichkeit
einer Verwirklichung europäischer Bundestaatlichkeit nach Anforderung des Art. 146 GG.
Die SPD setzt sich seit dem Heidelberger Programm von 1925 bis zum Hamburger
Programm in 2007 für eine europäische Einheit durch die Vereinigten Staaten von Europa
ein. Diese Forderung ist aktueller denn je. Denn gerade die Banken- und
Staatsschuldenkrise der letzten Jahre braucht auch neue institutionelle Antworten zur
Stärkung von europäischer Demokratie und europäischer Souveränität.
Europa muss die bestehenden Verträge im Sinne sozialdemokratischer Politik schon jetzt
besser ausschöpfen. Aus den Regelungen von Maastricht bis Lissabon können wir in den
Politikbereichen Soziales, Steuern und Finanzmarkt mehr machen. Dabei darf es aber nicht
stehen bleiben.
So wie das Vereinigte Europa den nationalen Mitgliedsstaaten ihre Souveränität im
Föderalismus gegen das Zinsdiktat der Finanzmärkte garantiert, so garantiert nur noch die
fortschreitende Integration Europas dem vereinigten Kontinent eine Souveränität im
Prozess der ökonomischen und politischen Globalisierung.
Unsere Impulse für das Wahlprogramm
Das Europa der Zukunft muss ein demokratisches Europa sein. Mit einer
europäischen Regierung, einem echten Zwei – Kammer – System mit einem starken direkt
gewählten europäischem Parlament als erster Kammer und einer zweiten Kammer als
Vertretung der Mitgliedsstaaten. Diesem langfristigen demokratischen Aufbau sind die
kurz- und mittelfristigen Reformen der europäischen Institutionen konsistent zuzuordnen.
Dort wo Europa schon jetzt an die rechtlichen Grenzen des politisch
Notwendigen stößt, müssen die notwendigen Verfassungsänderungen zügig eingeleitet
werden. Auf der Basis von Artikel 48 EUV soll daher nach der Europawahl ein Konvent auch
aus Vertretern der nationalen Parlamente zusammenkommen.
Wir brauchen in der Zukunft eine Stärkung auch des nationalen
Parlamentarismus in europäischen Angelegenheiten. Die Unterrichtungspflichten der
Bundesregierung müssen erweitert werden. Ebenso das Fragerecht zu europäischen
25
Gipfeln. Generell bedarf es der Stärkung der Instrumente direkter Demokratie wie dem EU-
Bürgerbegehren und der Volksabstimmung.
3.3. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik
- wieder zur Friedenspolitik machen
Der mit dem Ende des „Kalten Krieges“ erhoffte weltweite Frieden ist nicht eingetreten.
Vielmehr hat die Welt eine Vielzahl von Umbrüchen erlebt, die neue Kraftzentren aber auch
neue Krisenherde haben entstehen lassen. Klimaschutz, der verantwortliche Umgang mit
natürlichen Ressourcen, die weltweite Sicherung der Nahrungsmittelversorgung, neue
wirtschaftliche Verflechtungen oder die Bedrohungen durch den internationalen
Terrorismus – all dies sind Herausforderungen unserer Zeit, die sich der klassischen
Machtpolitik und damit den traditionellen Formen von Außen- und Sicherheitspolitik
entziehen.
Eine Außen- und Sicherheitspolitik für das 21. Jahrhundert muss viele Dimensionen haben
und insgesamt eine Querschnittsaufgabe sein, die Fragen der Friedens- und
Entwicklungspolitik, der Umwelt- und Klimaschutzpolitik, der Zusammenarbeit in Bildung,
Wissenschaft und Forschung, der Wirtschaftspolitik und vieler anderer gesellschaftlicher
und politischer Felder beinhaltet.
Es gibt keinen Frieden ohne ein Mindestmaß an sozialem Ausgleich und sozialer Sicherheit,
ohne eine gegenseitige Achtung der Religionen und Weltanschauungen, ohne die
Überwindung von Hass und Diskriminierung und ohne eine funktionierende
Zivilgesellschaft. Nicht zuletzt der Weltentwicklungsbericht der Weltbank aus dem Jahr
2011 macht deutlich, dass Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung und die Wahrung der
Menschenrechte zusammen gehören und nicht getrennt voneinander betrachtet werden
können. Frieden, Sicherheit und Entwicklung bedingen einander und müssen auf neue
Weise miteinander verzahnt werden.
Dabei reicht die Konzentration auf staatliche Stabilität und Sicherheit allein nicht aus.
Vielmehr geht es um die Wiederherstellung zerstörter gesellschaftlicher
26
Vertrauensbeziehungen wie auch um den Aufbau funktionierender und legitimer staatlicher
Institutionen. Ohne zunächst ein Mindestmaß an Gerechtigkeit und Wohlergehen für alle
Bürger – im Sinne des „human security“-Konzeptes der UN - zu schaffen, können diese Ziele
nicht erreicht werden. Sicherheit kann deshalb nur einer von mehreren Bausteinen einer
umfassenden Friedenspolitik sein.
Heute sind es nicht mehr in erster Linie Staaten, die miteinander Kriege führen. Der Frieden
wird von innen heraus gefährdet. Nichtstaatliche Akteure, Terroristen, Rebellen, religiöse
Fundamentalisten, Clans oder ethnische Gruppen destabilisieren ganze Regionen, tragen
ihre Konflikte mit Gewalt aus. Autokratische Herrscher bangen um ihre Pfründe und führen
Krieg gegen das eigene Volk.
Diese neuen Konfliktursachen und -formen überfordern die althergebrachten
Lösungsansätze und bringen neue Herausforderungen für das nationale wie internationale
politische Handeln mit sich. Friedliche und zivile Antworten auf diese Herausforderungen
finden sich nicht mehr alleine in den Mitteln der traditionellen Diplomatie. Vielmehr
müssen wir ihnen auch mit Instrumenten der Entwicklungspolitik, der Umwelt-, Bildungsund
Wirtschaftspolitik begegnen. Erfolgreiches Handeln setzt hier deshalb übergreifende
Strategien voraus, die nicht an politischen Ressortgrenzen und Zuständigkeitsbereichen
scheitern.
Im Sinne Willy Brandts muss deutsche Außenpolitik wieder stärker eine auf zivilen
Elementen basierende Friedenspolitik werden. Diesem Anspruch, der nicht zuletzt im
Friedensgebot des Grundgesetzes seinen Ausgangspunkt hat, werden wir nur mit
langfristigen Strategien und Konzepten gerecht werden können. Ihn konsequent
umzusetzen, bedeutet einen ganzheitlichen Ansatz, nicht nur in der Außenpolitik sondern in
der Politik der gesamten Bundesregierung, zu verfolgen, klare Prioritäten zu benennen und
Schwerpunkte neu zu setzen.
Hierzu bedarf es einer starken politischen Führung im Auswärtigen Amt und im
Bundeskanzleramt und der Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Ressourcen. Um einen
neuen Aufbruch zu erreichen, müssen in einem strategischen Gesamtkonzept Grundlagen,
Interessen, Ziele und Prioritäten deutschen Handelns in diesen Politikfeldern neu bestimmt
werden. Dazu braucht es einen transparenten und offenen Prozess, der sich auch kritisch
27
mit dem eigenen Handeln auseinandersetzt und unterschiedliche staatliche wie
nichtstaatliche Akteure und Institutionen einbezieht.
Deutsche Friedenspolitik kann auf Dauer nur im Rahmen der einschlägigen internationalen
Institutionen erfolgreich sein. In erster Linie gilt dies für die Vereinten Nationen und die
Europäische Union, die besondere Verantwortung für nachhaltigen Frieden und Sicherheit
in ihrer Nachbarschaft trägt. Deutschland muss deshalb vor allem im multilateralen
Zusammenhang Verantwortung für Friedensförderung und Konflikttransformation
übernehmen und dabei als verlässlicher und berechenbarer Partner agieren.
Grundsätzliches Ziel deutscher Politik muss es sein, militärische Auseinandersetzungen zu
verhindern und politische Lösungen für Konflikte zu suchen. Leider muss jedoch immer
wieder festgestellt werden, dass zivile Ansätze alleine nicht ausreichend sind. Militärische
Komponenten können wichtige Funktionen bei der Überwachung von Waffenstillständen,
beim Eigenschutz von Friedensmissionen und zunehmend beim Schutz der Zivilbevölkerung
vor gewaltsamen Übergriffen übernehmen.
Im Ausnahmefall kann es deshalb erforderlich sein, rechtzeitig militärische
Zwangsmaßnahmen anzuwenden um gewaltsame Vertreibungen oder gar Völkermord zu
verhindern. Militärische Maßnahmen dürfen jedoch immer nur ultima ratio sein und
müssen sich grundsätzlich in einen politischen Prozess einordnen, der eine dauerhafte
Konflikttransformation zum Ziel hat. Wichtig ist es anzuerkennen, dass es in jeder
Konfliktsituation unterschiedliche Antworten auf die Frage gibt, wie Konflikte bearbeitet,
abgebaut und die Zivilbevölkerung geschützt werden kann. Die Transformation des
internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan und der notwendige Abzug aller
Kampftruppen bis Ende 2014 machen, deutlich wie wichtig es ist, die eingesetzten Mittel
immer wieder zu überprüfen.
Eine der wichtigsten Entwicklungen des Völkerrechts der vergangenen Jahre ist die
Einführung und Anwendung des Prinzips der Schutzverantwortung (Responsibility to
Protect). Das Konzept bedarf jedoch der weiteren Ausgestaltung und einer völkerrechtlich
legitimierten Implementierung. Hierzu ist ein intensiver Dialog mit verschiedenen Akteuren
zu führen und einem Missbrauch durch geeignete Maßnahmen entschieden
28
entgegenzuwirken. Im Sinne einer Friedensverantwortung (Responsibility for Peace) gilt es
vor allem die präventive Säule der Schutzverantwortung international zu stärken.
Unsere Impulse für das Wahlprogramm
Um deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wieder stärker zu einer Friedenspolitik zu
machen, muss eine Strategie für Friedensförderung und Konflikttransformation erarbeitet
werden. Damit diese Bereiche als Querschnittsaufgabe deutscher Politik verankert werden
können, muss eine solche Strategie Grundlagen, Interessen, Ziele und Prioritäten deutschen
Handelns bestimmen und dafür Sorge tragen, dass die erforderlichen Ressourcen
bereitgestellt werden.
Auf europäischer Ebene muss es vorrangiges Ziel sein, Synergien im Sinne eines
umfassenden Ansatzes zu erzeugen und ein zielgerichtetes europäisches Handeln zu
stärken. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Instrumente und Strukturen des
Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) und deren Zusammenspiel mit jenen der
Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten.
Deutschland muss politische Führungsverantwortung in der Weiterentwicklung und
Erneuerung der Strukturen der Vereinten Nationen übernehmen. Wesentliches
Kernanliegen muss es sein, die Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates um
Schwellenmächte des globalen Südens zu erweitern und ein gemeinsames europäisches
Auftreten zu stärken. Gleichzeitig gilt es multidimensionale Friedensmissionen angemessen
finanziell und personell auszustatten und eine Reform der Finanzierungs- und
Unterstützungsmechanismen für politische Missionen anzustreben.
Im Hinblick auf die Besetzung von Führungspositionen braucht es ein neues
Personalkonzept der Bundesregierung, welches die Personalpolitik für die internationalen
Organisationen strategisch ausrichtet.
Im Auswärtigen Amt ist ein(e) Beauftragte(r) der Bundesregierung für
Friedensförderung und Konflikttransformation im Range eines Staatsministers / einer
Staatsministerin zu benennen und der derzeit bestehende Ressortkreis auf Ebene der
Staatssekretäre aufzuwerten. Gleichzeitig muss der entsprechende Arbeitsstab im
Auswärtigen Amt ausgebaut und um VertreterInnen aller beteiligten Ressorts erweitert
sowie ein ressortübergreifender Budgetpool für Friedensförderung und
Konflikttransformation eingerichtet werden.
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Die parlamentarische Begleitung deutscher Friedenspolitik muss weiter gestärkt und
institutionalisiert werden, insbesondere durch die Fortführung des Unterausschusses „Zivile
Krisenprävention und Vernetze Sicherheit“ des Auswärtigen Ausschusses auch in den
kommenden Legislaturperioden.
Die bestehenden deutschen Instrumente und Institutionen gilt es, konzeptionell zu
stärken und mit zusätzlichen materiellen wie personellen Ressourcen auszustatten. Dazu
gehört die dringend notwendige Erhöhung des Stiftungskapitals der Deutschen Stiftung
Friedensforschung, damit diese auch weiterhin umfassende Fördermöglichkeiten
sicherstellen kann. Gleichzeitig muss das erfolgreiche Zentrum für Internationale
Friedenseinsätze (ZIF) zu einem deutschen Kompetenzzentrum für Friedensförderung und
Konflikttransformation ausgebaut werden. Der Zivile Friedensdienst (zfd) ist vor dem
Hintergrund seiner Evaluierung weiterzuentwickeln und auszubauen.
Zur Ausbildung, Gewinnung und Bereitstellung von Personal für konfliktbearbeitende
Aktivitäten braucht es verstärkte Anstrengungen und ressortübergreifende
Personalentwicklungs-, Weiterbildungs- und Betreuungsmaßnahmen. Ebenso braucht es
verstärkte Anreize, um Fachkräfte des öffentlichen Dienstes aus Justiz, Verwaltung, Polizei
und anderen Bereichen für eine Teilnahme an Friedensmissionen zu gewinnen.
Durch eine umfassende Bund-/Länder-Vereinbarung muss Deutschland die
rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen dafür schaffen, seinen
internationalen Verpflichtungen beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in
Friedensmissionen stärker gerecht zu werden.
Die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen der Friedensförderung ist auszubauen
und so zu gestalten, dass sie ein längerfristiges, nachhaltiges Engagement ermöglicht und
Planungssicherheit bietet. Um die Transparenz staatlicher Fördermaßnahmen zu erhöhen
soll eine Förderdatenbank eingerichtet werden.
Für die Weiterentwicklung von Strukturen und Instrumenten deutscher
Friedenspolitik müssen wissenschaftliche Kapazitäten der Konflikt- und Akteursanalyse
erweitert und stärker gefördert, die wissenschaftlich basierte Politikberatung ausgebaut
und eine verbesserte Vernetzung der vorhandenen Einrichtungen sichergestellt werden.
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