BAG-Report 02-2012 - BAG Bau Holz Farbe
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Aus- und Fortbildung zum Polier in Deutschland und Frankreich<br />
hat also das Niveau Bac +3. Formal ist<br />
sie damit der Licence gleichgestellt,<br />
die im französischen Universitätssystem<br />
dem Bachelor-Grad entspricht.<br />
Die Vorbereitung auf die Licence Pro<br />
hat einen Gesamtumfang von 536<br />
Stunden; ein Absolvent der Licence<br />
Pro hat also einschließlich der vorher<br />
absolvierten Ausbildung zum BTS rund<br />
2.580 Stunden Ausbildung absolviert,<br />
bevor er eine Position als chef de<br />
chantier übernimmt. Im Unterschied<br />
zur Ausbildung, die auf das BTS vorbereitet<br />
und die zu einem Teil noch<br />
allgemeine technisch-naturwissenschaftliche<br />
Grundlegung ist, enthält<br />
die Ausbildung zur Licence Pro so gut<br />
wie ausschließlich auf direkte berufliche<br />
Anwendung ausgerichtete Inhalte.<br />
Etwas über 60 % entfallen auf Fachgebiete,<br />
die zum <strong>Bau</strong>betrieb oder zur<br />
<strong>Bau</strong>konstruktion zu rechnen sind, 13 %<br />
auf Inhalte aus dem Bereich der Personal-<br />
und Unternehmensführung und<br />
10 % auf den Umgang mit Informations-<br />
und Kommunikationstechnologien.<br />
In diesem Stundenumfang sind die<br />
vorgeschriebene Durchführung eines<br />
Projektes sowie das Praktikum nicht<br />
enthalten (CNPC O.J., S. 3).<br />
In der Vollzeitform umfasst die Ausbildung<br />
26 Wochen zu jeweils durchschnittlich<br />
rund 21 Stunden sowie ein<br />
betreutes Praktikum von 16 Wochen.<br />
Die Praktika bereiten in einigen Fällen<br />
den Eintritt des Bewerbers nach<br />
dem Examen in das Unternehmen vor,<br />
dienen also indirekt auch der Arbeitssuche.<br />
Wird die Licence Pro in einer<br />
betrieblichen Lehre absolviert, beruht<br />
sie auf einem befristeten dreiseitigen<br />
Vertrag (Bewerber, Universität und<br />
Betrieb). In dem untersuchten Fall der<br />
Universität Valenciennes hat der größere<br />
Teil, in einigen Jahren waren es<br />
sogar alle Bewerber, die Licence Pro in<br />
einer betrieblichen Lehre vorbereitet.<br />
Ausbildungsqualität und Praxisbezug<br />
kommen auch darin zum Ausdruck,<br />
dass ein Antrag auf Fortführung der<br />
Förderung des Programms ausdrücklich<br />
von der regionalen Gliederung<br />
des Unternehmerverbandes Fédération<br />
française du bâtiment unterstützt<br />
worden ist (UNIVERSITÉ VALENCI-<br />
ENNES 2010, p. 6). Für die Vorbereitung<br />
der Licence pro in der betrieblichen<br />
Lehre ist das Programm in der<br />
Universität das gleiche, wie für die<br />
vollzeituniversitäre Ausbildung. Es wird<br />
allerdings in 17 Wochen während des<br />
Jahres abgewickelt und zwar in wechselnder<br />
Abfolge (fünfmal drei Wochen<br />
und einmal zwei Wochen in der Universität<br />
und jeweils fünf Wochen im Betrieb).<br />
Die übrigen 35 Wochen werden<br />
im Betrieb absolviert.<br />
Bewerber können bis zu 50 % der geforderten<br />
Prüfungsleistungen auch<br />
durch ein Verfahren der Anerkennung<br />
in früheren Lernprozessen erworbener<br />
Kompetenzen erbringen (VAE). Nach<br />
der Erfahrung nutzen Bewerber diese<br />
Möglichkeit, um entweder Zeit für mehr<br />
(Erwerbs-)Arbeit zu gewinnen oder für<br />
den Besuch von Kursen, die die Wahrscheinlichkeit<br />
des Prüfungserfolgs vergrößern.<br />
In der für diese Teilstudie untersuchten<br />
Ausbildung in der Universität Valenciennes<br />
ergab eine Befragung von Absolventen<br />
des Jahrgangs 2009, dass<br />
24 von 29 Absolventen in der <strong>Bau</strong>leitung<br />
tätig waren, davon elf als chef de<br />
chantier, drei als conducteur de travaux<br />
und zehn in einer Assistenten- oder Aspirantenfunktion<br />
für eine dieser beiden<br />
Positionen. Fünf Absolventen übten<br />
technisch-ökonomische Funktionen in<br />
<strong>Bau</strong>unternehmen, bei <strong>Bau</strong>trägern oder<br />
im Öffentlichen Dienst aus. Alle gaben<br />
an, unmittelbar nach dem Abschluss<br />
der Ausbildung eine Beschäftigung<br />
gefunden zu haben (UNIVERSITÉ VA-<br />
LENCIENNES 2010, P. 8).<br />
5. Ein Ziel, zwei Wege?<br />
Der wachsende Bedarf an Kompetenzen<br />
für den Polier verlangt neue Bildungskonzepte.<br />
Die jüngsten Entwicklungen<br />
in der beruflichen Bildung für<br />
die Position des Poliers bzw. des chef<br />
de chantier in der <strong>Bau</strong>stellenleitung in<br />
Deutschland und Frankreich lassen unterschiedliche<br />
Tendenzen erkennen. In<br />
Deutschland wird eine grundsätzliche<br />
Reform der Prüfungsstruktur vorbereitet,<br />
die das Prinzip der Handlungsorientierung<br />
umfassend verankern soll.<br />
Diese Reform wird eine wesentliche<br />
Modernisierung der Berufsvorbereitung<br />
der Poliere zur Folge haben. Sie<br />
wird aber nur wirksam auf der Ebene<br />
des individuellen Lernens. Das System<br />
der beruflichen Fortbildung mit seiner<br />
dominanten Betonung informeller<br />
Lernformen und des Lernens am Arbeitsplatz<br />
bleiben dabei unverändert.<br />
In Frankreich ist eine grundlegende<br />
Änderung auf der Systemebene<br />
eingeführt worden. Die betriebliche<br />
Lehre und die alternance wurden als<br />
grundsätzlich gleichberechtigte Ausbildungsformen<br />
eingeführt, ohne aber<br />
dass der Umfang der Vermittlung theoretischen<br />
Wissens wesentlich reduziert<br />
worden wäre. Dadurch müssen auch<br />
solche Bewerber, die ihre Ausbildung<br />
zum chef de chantier in einer betrieblichen<br />
Lehre absolvieren, deutlich höhere<br />
Anteile systematischen Lernens und<br />
theoretischen Wissens bewältigen, als<br />
Anwärter auf eine Funktion als Polier in<br />
Deutschland; nicht zuletzt müssen alle<br />
Bewerber, unabhängig von ihrem Lernweg,<br />
die gleiche Prüfung bestehen. Im<br />
Falle der Vorbereitung auf die Position<br />
des chef de chantier ist die klassische<br />
Stärke des französischen technischen<br />
Ausbildungssystems durch die Adaptation<br />
der „deutschen“ Philosophie des<br />
beruflichen Lernens an zwei Lernorten<br />
ergänzt worden. Diese Entwicklung<br />
wird besonders deutlich durch die Einführung<br />
der Licence Pro. In diesem Bildungsgang<br />
werden Bewerber für eine<br />
Polierfunktion, auch in einer betrieblichen<br />
Lehre, auf dem Niveau eines Bachelor<br />
ausgebildet. Zugleich wird der<br />
praxisbezogene Charakter dieser Ausbildung<br />
dadurch unterstrichen, dass<br />
der überwiegende Teil der Bewerber<br />
für eine Licence Pro seine Ausbildung<br />
14 <strong>BAG</strong>-<strong>Report</strong> <strong>02</strong>/<strong>2012</strong>