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Das Wort des Rabbi - Jüdische Liberale Gemeinde – Or Chadasch

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B. MYSTIK<br />

<strong>Rabbi</strong>ner Awraham Jehoschua Heschel: „Wer in der modernen Gesellschaft weigert zu sagen, dass die<br />

Realität gleich ist an der körperlichen Welt, ist ein Mystiker.“ 4 Der Mystiker ist sich bewusst, dass etliche<br />

Ereignisse und auch scheinbare Widersprüche auf eine verborgene Art und Weise miteinander verbunden<br />

sind. Alles ist Ein, oder wie Juden es sagen, Gott ist Ein.<br />

Der Mystiker erträgt die Definition eines Ereignisses als Zufall, Glücksfall, Chance oder Schicksal nicht.<br />

Gemäss dem Mystiker ist der Mensch mystischer Erfahrungen fähig, öffnet sich ihnen aber nicht von selbst.<br />

Die Kabbala ist die bekannteste jüdische Variante der Mystik. Die klassische Kabbala kann man grob<br />

gerechnet in drei Kategorien einteilen:<br />

Kabbalistische Ethik<br />

Praktische Kabbala<br />

Theoretische Kabbala<br />

1. Kabbalistische Ethik<br />

Der grösste Teil der jüdischen ethischen Literatur wurde von praktizierenden Kabbalisten geschrieben 5 . Die<br />

Beschäftigung mit der Mystik führt <strong>–</strong> so scheint es <strong>–</strong> zur Ethik. Sich in höheren spirituellen Sphären zu<br />

befinden geht offenbar Hand in Hand mit einer grösseren Sensibilität für den Andern. Man kann sich<br />

tatsächlich kaum vorstellen, dass man nach einer wahrhaftigen spirituellen Erfahrung im nächsten Moment<br />

seinen Nächsten betrügt.<br />

2. Praktische Kabbala<br />

In der praktischen Kabbala finden wir Bräuche sowie das Meditieren; das Benützen eines Mantras; das<br />

Aussprechen von Kawanot - meditativen Texten, die in spirituelle Sphären bringen sollen; das Austreiben<br />

böser Geister wie den Dybuk; Transmigration der Seele; das Tragen von einem roten Pulsfaden, das<br />

Vorhandensein von Kabbala, Wasser im Haus und Amulette mit Sprüchen für Gesundheit, Reichtum und<br />

Ruhm. In der Tora 6 steht ein eindeutiges Verbot mit Geistern zu reden, was aber nicht heisst, die Tora<br />

verneine das Bestehen von Geistern . Die von mir geliebte und oft benützte Gematria, das Spielen mit dem<br />

Zahlenwert der hebräischen Buchstaben, gehört auch zur praktischen Kabbala. Ich sehe das manchmal<br />

wunderbare Ergebnis dieses ‚Spieles‘ jedoch nicht als Göttliches Zeichen. Ich betreibe die Gematria rein<br />

hobbymässig und auf sehr einfachem Niveau.<br />

3. Theoretische Kabbala<br />

Die theoretische Kabbala will das Undefinierbare definieren. Anhand eines Diagramms mit zehn Schichten,<br />

Sferot genannt, wird das göttliche Sein, die menschliche Seele und die ganze Realität beschrieben. In der<br />

kabbalistischen Literatur wird die in der Tora verordnete zwischenmenschliche Gerechtigkeit als ein<br />

göttliches Bedürfnis dargestellt.<br />

4. Und heute?<br />

Es hat sich inzwischen einiges geändert im <strong>Liberale</strong>n Judentum. Der homines spiritualis hat sich ins<br />

<strong>Liberale</strong> Judentum eingeschlichen. Den Beweis dafür finden wir in unserem Siddur. Seit dem 16.<br />

Jahrhundert eroberte die Kabbala die jüdischen Gebetbücher. Die ersten <strong>Liberale</strong>n <strong>Rabbi</strong>ner <strong>des</strong> 19.<br />

Jahrhunderts entnahmen dem Kabbalat Schabbat 7 im liberalen Siddur die Kawanot und die mystischen<br />

Gesänge und Gebete. Heute sind sie teilweise wieder präsent. <strong>Das</strong> L e cha Dodi zum Beispiel, populär und<br />

massenhaft mitgesungen, wimmelt von mystischen Verweisungen. So wird die Beziehung zwischen Gott<br />

4 A. J. Heschel, God in search of Man, 1976, S. 142.<br />

5 Eines der bekanntesten Bücher der jüdischen Ethik ist das von Mosche Chaim Luzatto geschriebene M e ssilat J e scharim, Gleis<br />

der (Ge)Rechten<br />

6 Wajikra [3. BM] 19, 31; 20, 6.<br />

7 Sidur ‚Ha’awoda schebalew‘, S. 69-74.

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