die Kunst des Sammelns - Julian Klein

2. akt >>> sammlung crustacea (krebse)
Lebensspuren g a l e r i e
Blick zurück
Was für mich sehr
wichtig ist: Respekt von
meinen Kollegen, dass
meine Kollegen gut
finden, was ich mache
Charles Oliver und dass mein Hand-
Coleman
werk gut ist. Das ist
mir sehr viel wert. Aber nicht, dass ich
die Welt verändere, indem ich jetzt
einen tollen Flohkrebs beschreibe. Das
finde ich uninteressant. Manchmal habe
ich ein schlechtes Gefühl bei dem, was
ich mache, und stelle das auch sehr in
Frage. Ich stelle mich selbst andauernd
in Frage. Dadurch habe ich vielleicht
auch nicht die Kraft, die »ganz große
Nummer« zu werden. Aber ich möchte
das vielleicht auch gar nicht. Ich hatte
einen Kollegen, dem seine kleinen
Scherenasseln wichtiger waren als seine
Familie. Und auch seiner Familie
war ganz offensichtlich klar, dass diese
Scherenasseln diesen Mann beherrschten
und dass seine Kinder keine große
Bedeutung für ihn hatten, dass seine
Ehefrau keine große Bedeutung hatte.
Das war sehr deutlich bei meinem Besuch
bei diesem sterbenden Mann, dass
er in seinem Leben irgendwie etwas
falsch gemacht hat.
Und daraus habe ich ein bisschen was
gelernt. Das ist irgendwie mein Geheimrezept,
um etwas beurteilen zu können:
Wenn es irgendwie schwierig ist, eine
Situation zu beurteilen, oder wenn man
Stress hat mit irgendjemand, dann stelle
ich mir vor, ich liege auf dem Totenbett
und blicke zurück auf dieses Problem.
Und dann probiere ich abzuschätzen,
inwieweit es mein Leben irgendwie beeinflusst
hätte. Ob es irgendeine Wichtigkeit
hätte. Und dann bekommen die
Dinge eine ganz andere Sichtweise.
Im Büro von Stephan Schultka
Kustodensammlung Crustacea
d e r t o d u n d d a s r ä d c h e n
Schellenbergs Bein
Charles Oliver Als ich vor elf Jahren
Coleman
hier angefangen habe,
hat mich mein Vorgänger eingeführt,
Herr Gruner. Da gab es schon diese
Laborbank dort hinten mit den Mikroskopen,
die war offensichtlich schon
immer die Laborbank. Und Gruners
Vorgänger, Herr Schellenberg, der hatte
ein steifes Bein aus dem ersten Weltkrieg
und immer, wenn er sich ans Mikroskop
setzte, dann kratzte er mit seinem
steifen Bein über den Boden, bis in dem
Boden eine tiefe Furche war. Das Linoleum
war komplett weg und der Estrich
war schon aufgerissen. Das ganze Museum
ist voller Lebensspuren von Leuten,
die hier gewesen sind und gearbeitet
haben. Bei meinen Lebensspuren wird
das vielleicht ein bisschen schwieriger,
weil ich so viele digitale Spuren hinterlasse.
Die werden nicht aufgezeichnet.
Die verschwinden. Alles Mögliche verschwindet,
was wir heute so machen.
Zeit
(BRAXE) Ascaris lumbricoides (SPULWURM) Enterobius vermicularis (MADENWURM) Dracunculus medinensis (MEDINAWURM) SPHENISCIDAE (PINGUINE) Fissuroferes higginsi Fissuroderes rangi (HIMMELGOTT-WURM) Fissuroderes papai (ERDGOTT-WURM) Fissuroderes novezealandiae
Fissuroderes thermoi (THERMO FISHER SCIENTIFIC WURM) ARACHNIDA (SPINNENTIERE) CRUSTACEA (KREBSE) GASTROPODA (SCHNECKEN) ORTHOPTERA (HEUSCHRECKEN) GASTROTRICHA (BAUCHHÄRLINGE) Caenorhabditis elegans (FADENWURMART) GERHARDT HARTWICH