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die Kunst des Sammelns - Julian Klein

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CHARLES OLIVER COLEMAN<br />

TOD IM GLAS<br />

Tod im Museum<br />

DIE GEFÜHLSLAGE<br />

Der Tod von Tieren hat offenbar etwas Trauriges. Das Töten von Tieren erscheint<br />

insbesondere den Stadtbewohnern als unmoralisch. Die meisten<br />

Menschen akzeptieren das Töten von Tieren für Ernährungszwecke oder wenn<br />

Tiere Menschen bedrohen oder sie krank machen. So werden auch unsere Museumsbesucher<br />

den Tod im Glas ganz unterschiedlich erleben. Der abgeschnittene<br />

Elefantenfuß aus der Kolonialzeit, der damals als Papierkorb verwendet wurde,<br />

wird emotional komplett abgelehnt, <strong>die</strong> Sammlung von Tsetsefliegen dagegen für<br />

sinnvoll erachtet.<br />

WISSENSCHAFTLICHES MATERIAL<br />

Für uns Zoologen ist das Töten von Tieren an der Tagesordnung und Teil unserer<br />

Profession – eine wissenschaftliche Methode, ohne <strong>die</strong> <strong>die</strong> Arbeit im Museum<br />

unmöglich wäre. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Wissenschaftler mit dem<br />

Töten genauso wenig ein Problem hat wie der Schlachter im Schlachthof.<br />

Dass Zoologen ihr Töten als etwas anderes Begreifen als <strong>die</strong> Schlachter, sieht<br />

man schon an der Terminologie, <strong>die</strong> damit verknüpft ist: Töten heißt hier fixieren,<br />

<strong>die</strong> Tiere werden zu Material. Mit dem Fixieren ist es noch nicht getan, <strong>die</strong> Tiere<br />

werden nicht wie im Schlachthof zerlegt, sondern präpariert. Aus einer Leiche wird<br />

ein wissenschaftliches … wenn ich sage Objekt dann trifft das <strong>die</strong> Sache nicht … es<br />

wird daraus ein wissenschaftliches Dokument.<br />

BESEELTE LEICHEN?<br />

Je<strong>des</strong> Museumsobjekt halte ich für beseelt.<br />

Der Begriff der Seele, obschon auch in der Psychologie gebräuchlich, wird zumin<strong>des</strong>t<br />

im religiösen Kontext meist mit dem Übergang eines Lebenden zum Tode<br />

verwendet. Die Seele ist das, was unabhängig von der Leiche »bleibt«. In einer To<strong>des</strong>anzeige<br />

fand ich folgenden schönen Spruch: »Tot ist nur der, an den nicht<br />

mehr gedacht wird«. Ist <strong>die</strong> Seele <strong>die</strong> Summe der Erinnerungen an einen Menschen,<br />

<strong>die</strong> auch nach dem Tode eine mehr oder weniger lange Zeit in den Köpfen<br />

von uns Mitmenschen weiterleben? So gäbe es große Seelen, wie <strong>die</strong> von Mozart,<br />

<strong>des</strong>sen Geschichte und Gefühle in seiner Musik überleben. In <strong>die</strong>sem Sinne sind<br />

Seelen auch nicht isoliert zu betrachten, sondern entstehen nur durch Berührungen<br />

mit anderen Seelen. Mozart beseelt uns heute noch.<br />

Alle Museumsobjekte haben ihre individuellen Geschichten, <strong>die</strong> untrennbar mit<br />

den Wissenschaftlern verknüpft sind, <strong>die</strong> sie zur Hand genommen haben, sie<br />

präpariert und stu<strong>die</strong>rt haben – und damit beseelen. Das beginnt schon mit dem<br />

Sammeln der Tiere. Die Verknüpfung von Wissenschaftler und Objekt wird im<br />

Museum in der Sammlungsdokumentation fortgeschrieben und archiviert. Dies<br />

wird vor allem durch den Riesenfundus an Dokumenten, Tagebüchern, Briefen<br />

und Abbildungen unserer historischen Arbeitsstelle unmittelbar ersichtlich.<br />

Über <strong>die</strong>se individuellen wissenschaftlichen Geschichten hinaus sind <strong>die</strong>se<br />

Objekte natürlich auch mit der Naturgeschichte verknüpft. Diese komplexe Naturgeschichte<br />

nachzuzeichnen ist <strong>die</strong> Aufgabe und das Vergnügen von uns Museumswissenschaftlern.<br />

Vom Studium der Toten im Glas können wir mehr über <strong>die</strong><br />

Tiere, ihre Evolution und auch den Evolutionsprozess an sich lernen als durch <strong>die</strong><br />

zwangsläufig kurzzeitige Beobachtung lebender Tiere im Feld oder während eines<br />

Experiments. Beide Arten von Geschichten machen je<strong>des</strong> Museumsobjekt zu<br />

einem ganz einzigartigen Kultur- und Wissenschaftsdokument.<br />

Alles, was mit dem<br />

Leben zu tun hat, hat<br />

auch gleichzeitig etwas<br />

mit Tod zu tun. Gleichzeitig.<br />

Und <strong>des</strong>wegen<br />

Charles Oliver ist jede Untersuchung<br />

Coleman<br />

<strong>des</strong> Lebens gleichzeitig<br />

eine Untersuchung <strong>des</strong> To<strong>des</strong>. Bei uns in<br />

der Biologie ist <strong>die</strong> wichtigste Methode,<br />

ehrlich gesagt und ohne, dass man das<br />

beschönigen muss, das Töten und Auseinandernehmen.<br />

Wir töten <strong>die</strong> Tiere.<br />

Die können wir gar nicht untersuchen,<br />

wenn wir sie nur angucken. Wir töten<br />

sie, nehmen sie auseinander und gehen<br />

ins Detail und gucken sehr genau hin.<br />

Übrigens lernen Mediziner auch am<br />

Anfang ihres Studiums Pathologie.<br />

Ich bin froh über jeden Mediziner, der<br />

in der Pathologie gut aufgepasst hat,<br />

zumin<strong>des</strong>t wenn er später Chirurg wird<br />

und mich operiert! Ich möchte nicht,<br />

dass eine Generation von Medizinern<br />

heranwächst, <strong>die</strong> nicht schnippeln wollen,<br />

<strong>die</strong> nicht am Toten arbeiten, sondern<br />

<strong>die</strong> Medizin an Plastikmodellen lernen.<br />

Das ist eine völlig romantisierende Vorstellung,<br />

was das Leben angeht. Leben<br />

hat unauslöschlich mit dem Tod zu tun.<br />

Und ich finde das auch nicht schlimm.<br />

Ich kann Ihnen versichern,<br />

von vielen<br />

Sammlern, von denen<br />

wir zoologische Objekte<br />

haben, gibt es selbstverständlich<br />

auch<br />

HANNELORE anthropologische Ob-<br />

LANDSBERG<br />

jekte. Das wird nicht<br />

popularisiert, einfach, um <strong>die</strong>sen Diskussionen<br />

aus dem Weg zu gehen. Da<br />

würden Sie erst blanke Augen kriegen,<br />

wenn Sie <strong>die</strong>se Sammlung an der<br />

Charité sehen würden (lacht). Ja, bloß:<br />

Das sind ganz andere Hintergründe,<br />

da geht es eben wirklich um eine ethische<br />

Dimension und für mich dann auch<br />

um eine wissenschaftshistorische. Denn<br />

je<strong>des</strong> Objekt, das vor 200 Jahren hierher<br />

gebracht wurde, hat einen Sammler –<br />

»Was wissen wir über den?« –, hat<br />

einen Fundort – »Was wissen wir über<br />

den Fundort?«, »Was ist drum herum<br />

passiert?« Und das ist eben bei menschlichem<br />

Material eine ganz andere<br />

Diskussion als bei einer Termite, <strong>die</strong> im<br />

afrikanischen Busch gesammelt wurde.<br />

Da ist <strong>die</strong> Gesellschaft, glaube ich, noch<br />

nicht soweit, das emotionsfrei zu diskutieren.<br />

Tod<br />

d e r t o d u n d d a s r ä d c h e n<br />

HEINRICH ANTON COLLIN OLIGOCHAETA (WENIGBORSTER) Stylaria lacustris (TEICHSCHLANGE) LACERTIDAE (EIDECHSEN) Panthera leo (LÖWE) Panthera tigris (TIGER) CHAGALL …...… MAYER 17.12.2007: PRIMATES (PRIMATEN) Homo sapiens (MENSCH)<br />

Gorilla (GORILLAS) Gorilla gorilla (WESTLICHE GORILLA) Panthera tigris (TIGER) Panthera pardus (LEOPARD) Panthera leo (LÖWE) FELIDAE (KATZEN) Felis catus (HAUSKATZE) Thylacinus cynocephalus (BEUTELWOLF) METATHERIA (BEUTELSÄUGER) MARSUPIALIA

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