Predigt - ZDF Fernsehgottesdienst
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Gottesdienstübertragung im <strong>ZDF</strong> – jeden Sonntag um 9.30<br />
Karl Kardinal Lehmann<br />
<strong>Predigt</strong> vom im Mainzer Dom am 2.12.2007<br />
Sperrfrist 2.12., 10.00, es gilt das gesprochene Wort<br />
Gerechtigkeit, vor allem soziale Gerechtigkeit ist das Thema unserer Zeit. Für die<br />
diesjährige Adveniat-Aktion heißt das Leitwort im Anschluss an ein Wort des<br />
Propheten Jesaja (9,6): „Gerechtigkeit jetzt und für alle Zeiten“. Unter diesem Motto<br />
wird an Weihnachten für Hilfsprojekte in Lateinamerika gesammelt, ganz besonders<br />
für die indianischen Völker, die Ureinwohner in den Andenländern, die vor allem in<br />
Peru und Chile, in Kolumbien und Ecuador, Bolivien und Argentinien oft in großer<br />
Höhe und fern von den Städten wohnen. Wir nennen diese in viele ethnische<br />
Gruppen aufgeteilten Ureinwohner auch Indigenas. Viele von ihnen sind noch<br />
Analphabeten, können also nicht lesen und nicht schreiben. Fast immer haben sie<br />
neben spanisch als offizieller Landessprache viele eigene indianische Sprachen, in<br />
ganz Lateinamerika 450. Vor allem aber fehlt nicht selten eine rechtliche<br />
Anerkennung dieser indianischer Minderheiten in der Verfassung. Wo sie schon<br />
rechtlich verbürgt ist, wird sie nicht selten mangelhaft umgesetzt.<br />
Diese einheimischen Völker sind bei der Eroberung Mittel- und Lateinamerikas und auch<br />
später unterdrückt worden. Europäische Eroberer unterwarfen die Urbevölkerung mit<br />
unbeschreiblicher Gewalt. Diese Ureinwohner waren nichts, sie hatten nichts. Sie waren<br />
nichts wert, wurden darum als „minderwertig“ eingeschätzt und galten als Bürger zweiter<br />
Klasse. Sie waren nicht nur oft krank, sondern grundlegend arm. Mütter- und<br />
Säuglingssterblichkeit sind auch heute hoch. Schulbildung und Gesundheitsfürsorge werden<br />
nicht ausreichend gewährleistet. Riesige Landstriche, oft unrechtmäßig erworben, finden sich<br />
in den Händen weniger Großgrundbesitzer. Die Urbevölkerung hat oft nur einen sehr kleinen<br />
Anteil am Land. Viele flüchten darum in die großen Städte und erhoffen sich dort ein<br />
besseres Auskommen. Sie stranden aber oft mittellos und werden bald entwurzelt.<br />
Vor allem die Kirche hat in den letzten Jahrzehnten viel getan, um diese Menschen aus ihrer<br />
elenden Situation zu befreien und ihre Lebensmöglichkeiten zu verbessern. Dabei geht es<br />
um die Sicherung der Landrechte, um den Schutz der „Mutter Erde“ gegenüber blanker<br />
Ausbeutung und um elementare Erziehung und Bildung. Die Indios sind besonders stolz,<br />
dass in Bolivien Evo Morales der erste Präsident ist, der von der Urbevölkerung abstammt.<br />
Der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler, in Brasilien tätig, hat besondere<br />
Verdienste um eine ganz neue Seelsorge für die Indianer. Adveniat, das diese neue Pastoral<br />
© Katholische Fernseharbeit beim <strong>ZDF</strong> 2007
Gottesdienstübertragung im <strong>ZDF</strong> – jeden Sonntag um 9.30<br />
unterstützt, möchte mit unserer Hilfe diesen Menschen noch mehr Lebenschancen<br />
vermitteln.<br />
Hier legt sich das Wort von der Gerechtigkeit ganz nahe. Sie besteht zunächst darin, dass<br />
wir diesen tapferen Völkern, die schon so lange in Not und Unterdrückung leben, zunächst<br />
einmal Respekt entgegenbringen. Sie haben dieselbe Würde als Menschen wie wir auch. Sie<br />
sind keineswegs minderwertige oder zweitklassige Menschen. Ihre kulturelle Vielfalt,<br />
besonders auch z.B. ihre Musik, aber auch ihr geschwisterliches Verhältnis zur Erde und<br />
vieles andere bereichern auch uns. Wir können ihnen helfen durch Kapellen und Schulen,<br />
durch Sozialstationen und kleine Krankenhäuser, Kindergärten, Handwerksschulen und<br />
Genossenschaften. Man kann ihnen auch helfen durch einen bestärkenden Einsatz für<br />
Demokratie und Menschenrechte, nicht zuletzt aber auch durch eine bessere Kenntnis ihrer<br />
Situation in den Medien der Welt. Wir danken vielen Männern und Frauen für ihren<br />
eindrucksvollen Dienst gerade bei den Armen im Andengebiet. Wenn sie einen Euro am Tag<br />
verdienen, ist dies schon gut. Wir können in der Tat wirksam helfen.<br />
Deshalb ist und bleibt Gerechtigkeit eine Urforderung gerade des biblischen Glaubens. Wie<br />
uns der Prophet Jesaja erinnert, kommen die Menschen seit Jahrtausenden aus der<br />
Finsternis und suchen Licht und Sonne, Gerechtigkeit und Frieden für sich und die Zukunft<br />
ihrer Kinder. Darum das Motto: „Gerechtigkeit jetzt und für alle Zeiten“. Wir müssen dabei<br />
das Wort Gerechtigkeit im Sinn der Bibel verstehen. Da geht es nicht zuerst um ein<br />
abwägendes, unparteiisches Verhalten, wie es etwa in dem Satz zum Ausdruck kommt:<br />
„Jedem das Seine“. Dies ist natürlich nicht falsch. In der Bibel geht es aber in erster Linie um<br />
ein engagiertes Sicheinsetzen für die bedrohten Menschen und Gemeinschaften, besonders<br />
in der Familie und im Volk. Da sie oft übergangen und übersehen wurden, müssen wir heute<br />
regelrecht Partei für sie ergreifen. Gerechtigkeit bedeutet, dass wir alles tun, um ihre<br />
Lebenschancen nachhaltig zu verbessern. Viele verlassen sich auf uns, gerade auch auf die<br />
zur Hilfe bereiten Bischöfe und Priester, Ordensangehörige und Laien. „Gerechtigkeit“ gibt es<br />
nur, wenn wir ständig unsere Beziehung zu diesen gefährdeten Menschen, die unsere<br />
Nächsten sind, verbessern und erneuern. Dies ist nicht nur eine einmalige, punktuelle Hilfe,<br />
sondern sie fordert uns auch künftig. Darum müssen wir die Aktion Adveniat unterstützen,<br />
die dies mit hohem Einsatz dank der Bereitschaft so vieler Menschen seit bald 50 Jahren tut.<br />
Die Bibel mahnt uns an allen Ecken und Enden zur Ausübung dieser Gerechtigkeit. Ohne sie<br />
gibt es keinen Frieden. Sie wird geradezu mit dem Leben selbst gleichgesetzt: „Wer nach<br />
Gerechtigkeit und Güte strebt, findet Leben und Ehre.“ (Spr 21,21) Gerechtigkeit ist die<br />
stärkste Stütze im Leben der Menschen. Und dies gilt auch für die ganze Menschheit. Wir<br />
können auch viel mehr erreichen, als wir gewöhnlich in unserer Bequemlichkeit und<br />
Gleichgültigkeit denken. Dazu ermutigt uns immer wieder das Wort Gottes: „Strebst du nach<br />
© Katholische Fernseharbeit beim <strong>ZDF</strong> 2007
Gottesdienstübertragung im <strong>ZDF</strong> – jeden Sonntag um 9.30<br />
Gerechtigkeit, so erlangst du sie.“ (Sir 27,8) Wir selbst sind gewiss oft träge und unfähig zu<br />
dieser im Zeitalter der Globalisierung besonders notwendigen, weltweiten Gerechtigkeit.<br />
Aber Gott verzeiht uns, erlässt uns unsere Schuld und schenkt uns einen neuen Geist, der<br />
uns mehr Mut gibt zur Befreiung der Ärmsten der Armen. Dann erfüllen wir auch den Ruf<br />
Jesu zu mehr Gerechtigkeit und brauchen nicht tödlich zu erschrecken, wenn der Herr zum<br />
Gericht kommt und uns sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder (und Schwestern)<br />
getan habt, das habt ihr mir getan.“ – oder auch nicht getan. (Mt 25,40/45)<br />
Weihnachten, das Fest der Menschwerdung Gottes und damit auch der Würde eines jeden<br />
Menschen, mahnt und rührt uns ganz besonders in unserem Herzen und in unserem<br />
Gewissen. Geben wir von unserem Überfluss, dann werden Arme wenigstens ein bisschen<br />
reich. Verschieben wir es nicht: „Gerechtigkeit jetzt und für alle Zeiten.“ Die Kollekte der<br />
Aktion Adveniat an Weihnachten macht es uns leicht. Darum bitte ich Sie und danke Ihnen,<br />
vor allem im Namen der armen Indios. Amen.<br />
© Katholische Fernseharbeit beim <strong>ZDF</strong> 2007
Gottesdienstübertragung im <strong>ZDF</strong> – jeden Sonntag um 9.30<br />
Gerechtigkeit<br />
P. Dr. Hermann Josef Burbach<br />
Die Geschichte der Menschen in den Andenländern Lateinamerikas<br />
ist eine Geschichte der Ungerechtigkeit.<br />
Noch immer verdienen die Indigenas,<br />
wie die Ureinwohner der Andenländer genannt werden,<br />
im Durchschnitt weniger, als ihre Arbeitskollegen mit weißer Hautfarbe,<br />
noch immer besuchen sie die schlechteren Schulen,<br />
bekommen sie die schlechteren Arbeitsplätze.<br />
Sie leben in den ärmeren Wohngebieten<br />
und erhalten die schlechtere medizinische Versorgung.<br />
Die stille, unausgesprochene Herablassung,<br />
mit der man ihnen begegnet,<br />
erzeugt ein Gefühl von Minderwertigkeit.<br />
So entstehen Wunden, die von Generation zu Generation vererbt werden.<br />
Die Indigenas haben ihre eigenen Strategien entwickelt,<br />
um sich dagegen zur Wehr zu setzen.<br />
Die wirklichen Reichtümer ihrer Kultur<br />
– so die Lehre aus ihrer langen Leidensgeschichte -<br />
geben sie selten preis.<br />
Nur der, dem sie vertrauen, bekommt einen wirklichen Einblick in ihre Welt.<br />
Die Aktion Adveniat möchte nicht über hilflose Opfer klagen,<br />
sondern an Menschen erinnern,<br />
die sich mit Würde, Gottvertrauen und unbändigem Lebensmut<br />
gegen die Widrigkeiten des Lebens stemmen.<br />
Die Kirche unterstützt sie und will sie weiter unterstützen<br />
durch vielfältige Initiativen.<br />
Die Quelle,<br />
aus der die Menschen vor allem Hoffnung und Kraft schöpfen,<br />
ist ihr Glaube an Gott.<br />
Papst Benedikt betete im brasilianischen<br />
Wallfahrtsort Aparecida:<br />
„Jesus, du Weg, Wahrheit und Leben,<br />
menschliches Antlitz Gottes und göttliches<br />
Antlitz des Menschen, entzünde in unseren<br />
Herzen die Liebe zum Vater im Himmel…<br />
wecke in uns die Liebe zu unsern Schwestern<br />
und Brüdern, vor allem zu den Betrübten, …<br />
komm und sende uns! Amen!“<br />
© Katholische Fernseharbeit beim <strong>ZDF</strong> 2007
Gottesdienstübertragung im <strong>ZDF</strong> – jeden Sonntag um 9.30<br />
Bundespräsident Horst Köhler<br />
Grußwort<br />
beim Eröffnungsgottesdienst zur diesjährigen Aktion Adveniat<br />
am 2. Dezember 2007<br />
in Mainz<br />
Sperrfrist 2.12., 10.30, es gilt das gesprochene Wort<br />
Meine Damen und Herren, und, wie ich hier gerne sage: liebe Schwestern und<br />
Brüder,<br />
diese Anrede beschreibt ja die Verbundenheit im Glauben, die fremde Menschen<br />
einander nahe sein lässt. Die gemeinsame Basis schafft starke Bande. Schwestern<br />
und Brüder vergessen einander nicht. Adveniat ist eine Form der geliebten<br />
Brüderlichkeit, die sich seit über vierzig Jahren als großer Segen erweist.<br />
Es ist eine gute Tradition, dass die deutschen Katholiken an Weihnachten für die<br />
Kirche in Lateinamerika spenden. Und sie können stolz auf das sein, was durch<br />
Adveniat in den vergangenen Jahrzehnten geschehen ist. Es ist ein leuchtendes<br />
Zeichen christlicher Solidarität.<br />
In dieser Stunde gehen meine Gedanken auch zur Elisabethkirche in Marburg, wo<br />
zur gleichen Zeit die evangelischen Christen die Aktion „Brot für die Welt“ eröffnen.<br />
Die Christen beider großen Kirchen in Deutschland denken gerade in der<br />
Weihnachtszeit an die Ärmsten der Armen und spenden großzügig. Dafür will ich<br />
heute als Bundespräsident danke sagen. Durch diese Hilfswerke wird nicht zuletzt<br />
auch das gute Ansehen Deutschlands in den armen Ländern der Welt wesentlich<br />
geprägt. Das konnte ich selber auf meinen Reisen oft erfahren.<br />
„Adveniat“ und „Brot für die Welt“ sind Werke der Solidarität. An ihrer Arbeit kann<br />
man sehen, dass Solidarität sehr viel mehr ist als materielle Hilfe.<br />
Solidarität heißt, dem anderen mit Respekt zu begegnen und seine Würde zu achten.<br />
© Katholische Fernseharbeit beim <strong>ZDF</strong> 2007
Gottesdienstübertragung im <strong>ZDF</strong> – jeden Sonntag um 9.30<br />
Solidarität heißt, auch hierzulande Bewusstsein zu schaffen für die Lage etwa in<br />
Lateinamerika oder Afrika – und auch das Bewusstsein für die gegenseitige<br />
Abhängigkeit.<br />
Solidarität – das sind auch dauerhafte menschliche Bindungen, oft auf der Ebene<br />
von Gemeindepartnerschaften.<br />
Solidarität heißt schließlich auch, dem anderen keine Lösungen von außen<br />
aufzudrängen, sondern schlicht dabei mitzuhelfen, dass die Menschen vor Ort ihren<br />
eigenen Weg zur Gerechtigkeit finden.<br />
Ich bin auch hier, weil mir Lateinamerika schon lange am Herzen liegt. Es ist ein<br />
Kontinent der Hoffnung – aber auch ein Kontinent großer Armut, großer Ausbeutung<br />
und großer Ungerechtigkeiten. Kaum irgendwo auf der Welt gibt es so krasse<br />
Unterschiede zwischen arm und reich. Niemand glaubt mehr, dass solche Zustände<br />
von heute auf morgen verändert werden können. Es soll aber auch niemand<br />
glauben, dass uns diese Zustände gleichgültig lassen könnten. In der globalisierten<br />
Welt betrifft uns auch das, was scheinbar weit entfernt ist.<br />
Veränderung erreicht nur, wer sich klare Ziele setzt und einen langen Atem hat.<br />
Adveniat hat gezeigt, dass politische Bildung, Bewusstseinsbildung und vor allem<br />
ethische Bildung zu den Grundvoraussetzungen einer gerechteren Entwicklung<br />
gehören. Es geht darum, dass die Armen und Unterdrückten ein Bewusstsein ihrer<br />
Würde bekommen – das ist eine buchstäblich emanzipatorische Bildung aus<br />
christlichem Geist.<br />
Die Kirche Lateinamerikas hat sich vor Jahrzehnten bereits eindeutig auf die Seite<br />
der Armen gestellt.<br />
Es ist aber ebenso wichtig, die Herrschenden, die so genannten politischen und<br />
ökonomischen Eliten, an ihre Verantwortung zu erinnern, ja – leider muss man das<br />
so sagen – ein Bewusstsein ihrer Verantwortung oft erst einmal zu bilden.<br />
© Katholische Fernseharbeit beim <strong>ZDF</strong> 2007
Gottesdienstübertragung im <strong>ZDF</strong> – jeden Sonntag um 9.30<br />
Christen wissen, dass moralische Belehrung nichts hilft, wenn sie nicht durch die Tat<br />
gedeckt ist. Für sie gilt die Aufforderung aus dem Gleichnis vom barmherzigen<br />
Samariter: „Handle ebenso!“ Letztlich zählt nur das Beispiel der gelebten<br />
Nächstenliebe. Gelebte Nächstenliebe kennt viele Formen und Ausdrucksweisen.<br />
Unter anderem trägt sie die Namen „Brot für die Welt“ und „Adveniat“. Noch einmal:<br />
Herzlichen Dank dafür.<br />
© Katholische Fernseharbeit beim <strong>ZDF</strong> 2007