Zeitschrift für Islamische Studien
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Yaşar Sarıkaya: Die Authentizität des al-Ǧāmiʿ aṣ-ṣaḥīḥ<br />
Dr. Yaşar Sarıkaya<br />
DIE AUTHENTIZITÄT DES AL-ǦĀMIʿ AṢ-ṢAḤĪḤ: EINE SKIZZE DER KLASSISCHEN<br />
ḤADĪṮKRITIK AN DEM ṢAḤĪḤ VON AL-BUḪĀRĪ<br />
Teil I: Kritik hinsichtlich der Überliefererkette (isnād)<br />
Einführung<br />
Im sunnitischen Denken gilt der Ḥadīṯ, die Überlieferung vom und über den Propheten<br />
Muḥammad, als die zweite Quelle des Islam neben dem Koran. Die Berichte<br />
über Aussprüche, Handlungen und Anweisungen des Propheten Muḥammad<br />
wurden zunächst von seinen Gefährten – von wenigen Ausnahmen abgesehen<br />
– mündlich erzählt und gelangten so zur nächsten Generation. Darauf sind<br />
sie im dritten Jahrhundert des Islam in sechs großen Sammelwerken (al-kutub as<br />
-sitta) zusammengestellt worden. Autoren dieser Kollektionen – al-Buḫārī (g.<br />
256/870), Muslim, Ibn Māǧa, at-Tirmiḏī, an-Nasāʾī und Abū Dāwūd – waren Ḥadīṯexperten<br />
ihrer Zeit. Sie haben die Berichte gesammelt, die damals im Umlauf<br />
waren, und nach bestimmten Auswahlkriterien in ihre Werke aufgenommen. Damit<br />
wurden mehrere Tausend Ḥadīṯe in diesen sechs Ḥadīṯkollektionen schriftlich<br />
fixiert und gesichert.<br />
In der sunnitischen Welt herrscht über Jahrhunderte hinweg bis heute die Vorstellung,<br />
dass diese sechs Ḥadīṯgelehrten bei ihrer Sammeltätigkeit ihr Bestes getan<br />
haben, um nur solche Überlieferungen aufzunehmen, die überwiegend<br />
„authentisch“ sind, weil sie sich durch eine Kette von Gewährsmännern ununterbrochen<br />
bis auf den Propheten zurückführen lassen. Ihre nach einem Kanonisierungsprozess<br />
als „die sechs Bücher“ (al-kutub as-sitta) bekannt gewordenen<br />
Sammelwerke genießen bis heute kanonischen Status und gelten damit als die<br />
wichtigste Quelle der Religion des Islam nach dem Koran. 1<br />
Auch wenn man diese sechs Sammlungen allesamt <strong>für</strong> kanonisch hält, genoss<br />
doch eine von ihnen in der sunnitischen Welt die höchste Anerkennung. Das ist<br />
die Kollektion des Ismāʿīl al-Buḫārī mit dem Titel al-Ǧāmiʿ aṣ-ṣaḥīḥ, bekannt<br />
als Ṣaḥīḥ al-Buḫārī. Überlieferungen zufolge soll der Autor aus 600.000 Ḥadīṯen,<br />
die er auf seiner weiten Reise gesammelt hat, nur 7275 Ḥadīṯe in sein<br />
Werk aufgenommen haben, weil nur sie einer genauen Überprüfung standhielten<br />
und somit seinen Kriterien zufolge „authentisch“ seien. Seine Ḥadīṯsammlung,<br />
die durch seine Schüler abgeschrieben und weiter tradiert wurde, umfasst 97 Kapitel<br />
und etwa 3450 Abschnitte mit eigener Überschrift. 2<br />
Tatsächlich genoss in der islamischen Welt abgesehen vom Koran kein anderes<br />
Werk so ein überragendes Ansehen wie der Ṣaḥīḥ von al-Buḫārī. Ihm wird eine<br />
dem Koran nahezu gleichkommende Geltung zugeschrieben. Ihn ganz zu lesen<br />
oder vorzutragen, war – und ist in vielen Teilen der sunnitischen Welt – fast so<br />
wichtig, wie die vollständige Lektüre oder Rezitation des Korans. Er wird als<br />
heilig angesehen und zu solchen Zwecken rezitiert, wie der Koran selbst, <strong>für</strong> den<br />
Schutz vor Übel und Krankheit oder <strong>für</strong> den Sieg im Krieg.<br />
Manche arabischen Gelehrten gehen sogar soweit zu sagen, dass der Ṣaḥīḥ „das<br />
bedeutendste Buch der Araber nach dem Koran“ sei. 3 Diese überragende Autorität<br />
hat L. Krehl bereits im 19. Jahrhundert festgestellt: Der Ṣaḥīḥ gilt „<strong>für</strong> die<br />
besten arabischen, persischen und türkischen Schriftsteller aller Zeiten als eine<br />
reiche Quelle der Kenntnis von den Aussprüchen und Handlungen Muḥammad‘s.“<br />
4<br />
Die Autorität des Ṣaḥīḥ al-Buḫārīs wurde zusammen mit der des Ṣaḥīḥ von Mus-<br />
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