VERGESELLSCHAFTETE STADTWERKE FOTO: TOM MAERCKER Im Moment z.T. noch an die Privatwirtschaft vergeben - die Stadt sollte Ihre Müllentsorgung sowie das Wasserwerk rekommunalisieren.
0.21 __ //// TITELTHEMA Kreativ, energisch, entschlossen - lachend, weinend, kämpfend, über Generationen hinweg MARIA SCHULZ Menschen sitzen, eng aneinandergekuschelt, mit Decken umhüllt, zusammen, einige tanzen ausgelassen zu Samba-Trommel-Musik, andere rücken dicht an die Feuerstellen, heiße Suppe wird in Schalen durch die Reihen gegeben, weitere Menschen strömen dazu... Die Stimmung wirkt wie auf einem Festival oder einem Naturausflug unter Freuden. Es ist jedoch der größte Anti-Atom-Protest seid Jahrzehnten. Zum Hintergrund: Tausende Menschen lehnen den Beschluss der Regierung ab, weiter auf eine lebensbedrohliche, ineffiziente und sehr kostenintensive Energiegewinnung zu setzen und damit die längst fällige Energierevolution Richtung Komplett- Versorgung durch erneuerbare Energien zu blockieren. Die von der Bundesregierung gefällte Entscheidung, den 2002 verabschiedeten Atomausstieg rückgängig zu <strong>machen</strong>, erscheint aus keiner Perspektive sinnvoll. Wie kann eine Technologie weiter durch Milliarden von Steuergeldern unterstützt werden, die einen Müll produziert, für den es auf dem gesamten Erdball keine sichere Verwahrung gibt und der für Millionen von Jahren das Leben auf diesem Planeten gefährdet? Der Müll, der durch die Atomenergie bisher entstanden ist und in maroden Lagerhallen oder unter der Erde aufbewahrt wird, ist schon jetzt die größte Umweltkatastrophe in Deutschland und hat das Potential, über Landesgrenzen hinweg Lebensraum zu zerstören. Der augenscheinliche Grund, diese Technologie, trotz der breiten Kritik, weiter zu fördern, liegt wohl einzig und allein in der kapitalistischen Denk- und Wirtschaftsweise dieser Gesellschaft. Die Energiekonzerne, die ihre Millionen Gewinne privatisieren aber Risiken und Kosten auf die Gesellschaft abwälzen, haben ihre Kontakte zur Regierung aufgefrischt und deren klares, nachhaltiges und langfristiges Denken „verstrahlt“. Oder aber Einzelne Entscheidungsträger stellen ihr privates Interesse als Verbündete der Atomlobby über das Gemeinschaftswohl. Beides ist verwerflich und sollte aufgedeckt, kritisiert und vor allem abgewählt werden. Im Herbst 2010 bot sich der fast jährlich stattfindende Castortransport ins Zwischenlager Gorleben an, um der breiten gesellschaftlichen Wut und Verzweiflung Luft zu <strong>machen</strong>. In Gorleben – einem Ort im Wendland, das landschaftlich den weiten Feldern und seichten Hügeln Mecklenburg Vorpommerns ähnelt - treffen Extreme aufeinander: Bio-Bauernhöfe und Biogasanlagen, die nachhaltiges, umweltschützendes Arbeiten und Wirtschaften ermöglichen, und das Atommülllager, das den §20a im Grundgesetz mit Füßen tritt, welches den Staat zu verantwortungsvollem Handeln zum Schutz künftiger Generationen verpflichtet. In dem Spannungsfeld hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Protestinfrastruktur entwickelt, die in Deutschland ihresgleichen sucht. In diesem Jahr wurden die traditionellen ProtestlerInnen und widerständigen AnwohnerInnen durch viele hunderte Angereiste unterstützt. Der Protest gegen den Castortransport entfaltet sich über mehrere Tage auf vielfältige Art und Weise. Die medienwirksamen Massenaktionen, in denen erst hunderte, dann tausende Menschen Gleise und Straßen blockieren, oder engagierte Einzelaktionen, in denen sich Menschen ins Gleisbett betonieren oder von Bäumen an der Gleisstrecke abseilen, werden durch eine zuverlässige, kollektiv organisierte und solidarische Infrastruktur ermöglicht. Auf großen Feuerstellen wird in badewannengroßen Töpfen gekocht. Aus Säcken voller Kartoffeln, Reis und biologisch angebautem Gemüse wird vier Tage lang rund um die Uhr leckeres Essen gezaubert. Eine eigens eingerichtete Protestradiofrequenz versorgt das Wendland mit Berichten, Information und guter Musik – und ruft zur Unterstützung der Protestierenden auf. Ausgelöst durch so einen Aufruf werden am zentralen, von Freiwilligen betreuten Infopoint Massen von Decken und Isomatten von der Bevölkerung abgegeben und zu den Menschen auf den Gleisen und Straßen gebracht. Der Infopoint bündelt alle aktuellen Ereignisse und lädt an einer Feuerstelle zum Aufwärmen, Austauschen, Verweilen und Stärken ein. Private PKWs voller Brötchen und warmem Kaffee fahren bis an die Blockadepunkte, um die Motivation der Aktiven dort hoch zu halten. Menschen öffnen ihre Häuser und Scheunen, bieten Schlafplätze für Unbekannte. Das Symbol des Widerstandes - ein gelbes Kreuz - hängt in bürgerlichen Wohnzimmerfenstern, schmückt Schaufensterpuppen in Modehäusern, durchzieht ganze Ortschaften. Eine ganze Region zeigt sich solidarisch. Setzt sich kollektiv für das eigene Interesse ein. Alle auf ihre Art, Jede/r was er/sie kann. Ungeachtet der sozialen und ökonomischen Barrieren, die diese Gesellschaft zwischen uns Menschen zieht, wird im Wendland eine Solidarität und ein Zusammenhalt gelebt, der alle Beteiligten voller Energie und Sicherheit wieder in ihren Alltag ziehen lässt. Energie um weiter zu kämpfen, sich zu vernetzten und für eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft zu engagieren. Sicherheit darin, dass der Mensch im Kollektiv leben kann, sich gemeinsam für ein bestimmtes Ziel einsetzen und organisieren kann - gemeinsam für das Wohl Aller. Der Widerstand war so erfolgreich wie noch nie in den vielen Jahren, die es die Anti-Atom-Bewegung inzwischen gibt, und ein kleiner Erfolg auf dem Weg zu einer nachhaltigen und sicheren Energieversorgung. Lasst uns lernen von den Protesten im Wendland und der gelebten Solidarität. Lasst uns lernen, uns wieder mehr zusammen zu denken, füreinander einzustehen und gemeinsam für ein Leben in Gerechtigkeit zu wirken. Alle auf ihre Art, Jede/r was er/sie kann ... ¬