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wurde duroli das Vcrfassungsgeselz vom 11. März der Staatsrat aurgehoben.<br />
Kinijic seiner Befugnisse wurden dem Präsidenten der Nationalversaninilung:<br />
übertragen, der damit zugleich die Funktion eines Präsidenten der Rcpul)Iilc<br />
üliernahnv. zum ersten Präsidenten wurde Scitz gcwärilt. Die eigentliche<br />
Regierungsgewalt aber ging auf die Staatsregierung über, die nunmehr unmittelbar<br />
vom Parlament gewählt wurde. Die Zeit der Kooperation aller<br />
Parteien war damit vorüber. Es galt nunmehr, innerhalb des Parlamentseine<br />
Mehrheit zu bilden, die die Regierung wählen und stützen sollte.<br />
Die Regierung stand damals immer wieder den leidenschaftlichen Demonstra<br />
Honen der Heimkehrer, der Arbeitslosen, der Kriegsinvaliden gegenüber.<br />
Sie stand der vom Geiste der proletarischen Revolution erfüllten<br />
Volkswehr gegenüber. Sie stand täglich schweren, gefahrdrohenden<br />
Konflikten in den Fabriken, auf den Eisenbahnen gegenüber. Und<br />
die Regierung hatte keine Mittel der Gewalt zur Verfügung: die<br />
bewaffnete Macht war kein Instrument gegen die von revolutionären<br />
Leidenschaften erfüllten Proletariermassen. Nur durch den täglichen<br />
Appell an die eigene Einsicht, an die eigene Erkenntnis,<br />
an das eigene Verantwortungsgefühl hungernder, frierender, durch Krieg,<br />
und Revolution aufgewühlter Massen konnte die Regierung verhüten, daß<br />
die revolutionäre Bewegung in einem die Revolution vernichtenden Bürgerkrieg<br />
endet. Keine bürgerliche Regierung hätte diese Aufgabe bevv^ältigen<br />
können. Sie wäre wehrlos dem Mißtrauen und dem Haß der Proletariermassen<br />
gegenübergestanden. Sie wäre binnen acht Tagen durch Straßenaufruhr<br />
gestürzt, von ihren eigenen Soldaten verhaftet worden. Nur Sozialdemokraten<br />
konnten diese Aufgabe von beispielloser Schwierigkeit bewältigen.<br />
Nur ihnen vertrauten die Proletariermassen. Nur sie konnten die-<br />
Massen überzeugen, daß die entsetzliche Not dieses ersten Winters nach<br />
dem Kriege nicht die Schuld der Regierung, sondern die unentrinnbare<br />
Wirkung weltgeschichtlicher Umwälzung, daß sie nicht durch gewaltsanrien<br />
Umsturz zu brechen, sondern nur allmählich zu überwinden war. Nur<br />
Sozialdemokraten konnten wild erregte Demonstralionen durch Verhandlungen<br />
und Ansprachen friedlich beenden, nur Sozialdem.okraten konnten<br />
sich mit den Arbeitslosen verständigen, die Volkswehr führen, die Arbeitermassen<br />
von der Versuchung zu revolutionären Abenteuern, die der Revolution<br />
zum Verhängnis gew^orden wären, abhalten. Die Funktion, die damals<br />
die wichtigste Funktion- der Regierung war, konnte nur von Sozialdemokraten<br />
erfüllt werden. Die tiefe Erschütterung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung<br />
fand darin ihren anschaulichsten Ausdruck, daß eiae<br />
bürgerliche Regierung, eine Regierung ohne Sozialdemokraten schlechthin<br />
unmöglich geworden war.<br />
Aber so wenig wie eine bürgerliche Regierung möglich war, so wenig<br />
war eine rein sozialdemokratische Regierung möglich. So wenig das große<br />
Industriegebiet Wiens, Wiener-Neustadis und der Obersteiermark eine rein<br />
bürgerliche Regierung ertragen hätte, so wenig hätte das große Agrargebiet<br />
der Länder eine rein sozialdemokratische Regierung ertragen. Eine rein<br />
sozialdemokratische Regierung hätte jeden Einfluß auf die Landesregierungen<br />
verloren, sie hätte den Abfall der Länder nicht zu hindern vermocht,<br />
sie wäre ohnmächtig der offenen Auflehnung der Bauernschaft<br />
gegenübergestanden. Ohne Mehrheit im Parlament, hätte sie zu dikla-<br />
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