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Ice Station

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Aus:<br />

Kendrick, Jonathan<br />

Cambridge-Vorlesungen: Die Antarktis<br />

Der lebendige Kontinent<br />

(Vorlesung, gehalten am Trinity College, 17. März 1995)<br />

Stellen Sie sich nach Möglichkeit einen Kontinent vor, der seine Größe in einem Vierteljahr<br />

verdoppelt. Einen Kontinent in immer währender Bewegung, eine für das menschliche<br />

Auge unmerkliche Bewegung, die jedoch nichtsdestoweniger verheerend in ihren<br />

Auswirkungen ist.<br />

Stellen Sie sich vor, Sie würden aus großer Höhe auf diese weite, schneebedeckte Masse<br />

blicken. Sie würden die Merkmale der Bewegung erkennen: die aufgepeitschten Wogen der<br />

Gletscher, die sich an bergen teilen und Hänge hinabstürzen wie schäumende, auf einen<br />

Film gebannte Wasserfälle.<br />

Das ist die ›Furcht einflößende Trägheit‹, von der Eugene Linden gesprochen hat. Und<br />

wenn wir uns wie Linden vorstellen, dass wir dieses Bild im Zeitraffer betrachten, über<br />

tausende von Jahren hinweg, dann würden wir diese Bewegung erkennen.<br />

Dreißig Zentimeter Bewegung pro Jahr erscheint uns in Echtzeit nicht viel. Im<br />

Zeitraffer jedoch werden Gletscher zu strömenden Flüssen aus Eis, Eis, das sich in frei<br />

dahinfließender Anmut und Furcht einflößender, unaufhaltsamer Macht voranbewegt.<br />

Furcht einflößend? höre ich Sie spotten. Dreißig Zentimeter pro Jahr? Was könnte das denn für<br />

einen Schaden anrichten?<br />

Beträchtlichen Schaden an Ihren Steuergroschen, würde ich sagen. Haben Sie gewusst,<br />

dass die britische Regierung bei vier verschiedenen Gelegenheiten die <strong>Station</strong> Halley<br />

ersetzen musste? Sehen Sie, wie viele andere antarktische Forschungsstationen liegt die<br />

<strong>Station</strong> Halley unterirdisch, begraben im Eis - aber bloße dreißig Zentimeter Bewegung pro<br />

Jahr lassen ihre Wände zerbrechen und ihre Decken in beträchtliche Schieflage geraten.<br />

Der springende Punkt ist, dass die Wände der <strong>Station</strong> Halley unter starkem Druck<br />

stehen, unter sehr starkem Druck. Und zwar nur wegen des Eises, das sich vom Pol her<br />

nach außen schiebt, unerbittlich zum Meer hin schiebt, es will zum Meer - und es lässt sich<br />

von etwas so Unbedeutendem wie einer Forschungsstation nicht daran hindern!<br />

Doch ist Großbritannien vergleichsweise noch ziemlich gut davongekommen, wenn es<br />

um eine dramatische Bewegung des Eises geht.<br />

Denken Sie einmal an 1986, als das Filchnerschelfeis einen Eisberg von der Größe<br />

Luxemburgs in die Weddelsee gekalbt hat. Dreizehntausend Quadratkilometer Eis haben<br />

sich vom Festland gelöst... und die verlassene argentinische Basisstation Belgrano I hat es<br />

ebenso mit sich gerissen wie die sowjetische Sommerstation Druschnaja. Offenbar hatten<br />

die Sowjets Druschnaja in jenem Sommer nutzen wollen. Im Endeffekt verbrachten sie die<br />

nächsten drei Monate zwischen den drei massiven Eisbergen, die sich aus der<br />

ursprünglichen Eisbewegung gebildet hatten, auf der Suche nach ihrer verloren gegangen<br />

Basis! Und haben sie gefunden. Letzten Endes.<br />

Die Vereinigten Staaten hatten noch weniger Glück gehabt. Alle fünf der »Little<br />

America« genannten Forschungsstationen sind in den sechziger Jahren auf Eisbergen ins<br />

Meer hinausgetrieben.<br />

Meine Damen und Herren, was sie aus dem Ganzen lernen sollen, ist ziemlich einfach.<br />

Was kahl und öde zu sein scheint, muss in Wirklichkeit nicht so sein. Was eine Wüste zu<br />

sein scheint, muss in Wirklichkeit keine sein. Was leblos zu sein scheint, muss in Wirklichkeit<br />

nicht so sein.<br />

O nein! Denn lassen Sie sich von einem Blick auf die Antarktis nicht ins Bockshorn jagen!<br />

Sie sehen keinen eisbedeckten Fels. Sie sehen einen lebendigen, atmenden Kontinent.

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