Montaigne Die Vielheit der Welt im Spiegel des Selbst - Seminar für ...
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Dinge, denn kein extramentales Ding wird von mehreren ausgesagt, son<strong>der</strong>n nur konventionelle Laute<br />
o<strong>der</strong> Schriftzeichen.“ 42<br />
Über die <strong>Welt</strong> und die Wirklichkeit lassen sich demnach nur Einzelurteile epistemologisch<br />
verlässlich fällen, da sich Allgemeinbegriffe (ohne die keine Wissenschaft auskommt) nur<br />
vermittels singulärer Termini, die individuelle Dinge bezeichnen, auf die Realität beziehen. 43<br />
So kommt er zu <strong>der</strong> <strong>für</strong> damalige Verhältnisse sehr radikalen Aussage:<br />
„Alle Autoritäten, die sagen, dieses o<strong>der</strong> jenes Wissen handle von diesen o<strong>der</strong> jenen Dingen, müssen<br />
folgen<strong>der</strong>maßen ausgelegt werden: Sie handeln von Termini, die <strong>für</strong> jene Dinge supponieren. Wenn<br />
gesagt wird, ein best<strong>im</strong>mtes Wissen handle von werdenden und vergänglichen Dingen, so bedeutet dies,<br />
es handle von Termini, die in gewußten Aussagen <strong>für</strong> <strong>der</strong>artige werdende o<strong>der</strong> vergängliche Dinge<br />
supponieren.“ 44<br />
Was Ockham hier zum Ausdruck bringt, kann zugespitzt als linguistic turn <strong>des</strong> Mittelalters<br />
bezeichnet werden. Da man nur über Termini (also Begriffe) Aussagen machen kann,<br />
schneidet <strong>der</strong> Ockham`sche sprachphilosophische Nominalismus die Frage nach dem Wesen<br />
<strong>der</strong> Dinge ab, weil sie aus dieser Betrachtung heraus sinnlos geworden ist. <strong>Die</strong>ses<br />
Sprachverständnis gründet in einer Grundüberzeugung Ockhams, nach <strong>der</strong> die <strong>Welt</strong> nicht<br />
notwendig so ist, wie sie ist, son<strong>der</strong>n dass sie kontingent ist. Das ist eine Annahme, die er aus<br />
<strong>der</strong> scholastischen Diskussion um die Vereinbarkeit von Naturnotwendigkeit und <strong>der</strong> Freiheit<br />
<strong>des</strong> Willens gewonnen hatte. <strong>Die</strong> Probleme, die hinter dieser Diskussion steht, lassen sich<br />
stark vereinfacht wie folgt formulieren: Wenn Gott von Anfang an weiß, wie zukünftige<br />
Ereignisse stattfinden werden, wo bleibt dann die Freiheit <strong>des</strong> Einzelnen, sich <strong>für</strong> o<strong>der</strong> gegen<br />
eine Handlung zu entscheiden? Und wie lässt sich die Vorsehung Gottes mit seiner Allmacht<br />
in Einklang bringen? Wenn Gott allmächtig ist, muss er zwangsläufig über einen freien<br />
Willen verfügen – wie kann er sich dann aber auf etwas festlegen, das in <strong>der</strong> Zukunft eintreten<br />
muss? Ockhams Antwort auf diese Fragen ist, dass Gott, wenn er eine <strong>Welt</strong> schaffen wollte,<br />
aus beliebig vielen <strong>Welt</strong>en eine <strong>Welt</strong> geschaffen hat, ohne dass da<strong>für</strong> ein Grund angegeben<br />
werden kann. 45 Was in dieser <strong>Welt</strong> gilt, gilt nur <strong>für</strong> diese <strong>Welt</strong>, die auch ganz an<strong>der</strong>s sein<br />
42 Wilhelm von Ockham, „Prologus in expositionem super VIII libros Physicorum“, in: Wilhelm von Ockham,<br />
Texte zur Theorie <strong>der</strong> Erkenntnis und <strong>der</strong> Wissenschaft, Lateinisch/Deutsch, Hrsg. und Übersetzung Ruedi<br />
Imbach, Reclam, Stuttgart 1984, S. 209<br />
43 <strong>Die</strong>se Darstellung <strong>des</strong> Ockham´schen Nominalismus ist sehr grob, zu einer eingehen<strong>der</strong>en Darstellung siehe:<br />
Marilyn McCord Adams, „Ockham`s Individualisms“, in: <strong>Die</strong> Gegenwart Ockhams, Hrsg. Wilhelm<br />
Vossenkuhl und Rolf Schönberger, VCH Verlagsgesellschaft, Weinhe<strong>im</strong> 1990, S. 3-24<br />
44 Ebd., S. 209<br />
45 Vgl: Franz Schupp, „Ockham und die Wissenschaft <strong>des</strong> 14. Jahrhun<strong>der</strong>ts“, in: Geschichte <strong>der</strong> Philosophie <strong>im</strong><br />
Überblick, 3 Bde., Hrsg. Franz Schupp, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2003, Bd. 2: Christliche Antike und<br />
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