Einheit 5 - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und ...
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Arbeitsrecht – <strong>Einheit</strong> 05: Die <strong>Recht</strong>squellen des Arbeitsrechts – Teil 1<br />
Die <strong>Recht</strong>squellen des Arbeitsrechts<br />
Teil 1<br />
I. Aufzählung<br />
A. Ausgangspunkt: Arbeitsvertrag mitsamt den Allgemeinen<br />
Arbeitsbedingungen – AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff<br />
BGB<br />
B. Europarecht (Verordnung, Richtlinie)<br />
C. Gr<strong>und</strong>gesetz<br />
D. BGB, HGB, arbeitsrechtliche Spezialgesetze<br />
E. Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung – Zustandekommen<br />
durch Kollektivvertragsparteien<br />
F. Spezifisch arbeitsrechtliche Erscheinungsformen<br />
1. Betriebliche Übung<br />
2. Weisung<br />
3. Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz<br />
II.<br />
Das Verhältnis der <strong>Recht</strong>squellen zueinander<br />
A. <strong>Recht</strong>squalität<br />
1. Zwingendes oder dispositives <strong>Recht</strong><br />
2. Mittelstellung: tarifvertragsdispositiv (§ 622 Abs 5 BGB –<br />
keine Abdingbarkeit durch Einzelvertrag, denn durch<br />
Tarifpartner einzelner Arbeitnehmer stärker geschützt,<br />
ebenso § 4 Abs 4 EntgeltfortzahlungsG, § 13 Abs 1 S 1<br />
BUrlG)<br />
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Arbeitsrecht – <strong>Einheit</strong> 05: Die <strong>Recht</strong>squellen des Arbeitsrechts – Teil 1<br />
B. Günstigkeitsprinzip<br />
1. Begriff (§ 4 Abs 3 TVG)<br />
a) Entgegenstehende Regelung einer rangniedrigeren<br />
<strong>Recht</strong>squelle ist wirksam, wenn ihre Geltung zu einer<br />
günstigeren <strong>Recht</strong>sstellung des Arbeitnehmers führt<br />
b) Synonym: einseitig zwingend zugunsten des<br />
Arbeitnehmers<br />
2. Beispiel: § 3 Abs 1 BUrlG 24 Werktage Urlaub,<br />
Tarifvertrag 26 Werktage Urlaub, es gilt der Tarifvertrag<br />
C. Die höherrangige <strong>Recht</strong>squelle verdrängt die <strong>Recht</strong>squelle<br />
mit niedrigerem Rang<br />
D. Bei gleichrangigen geht speziellere Regelung vor<br />
E. Jüngere Regelung löst ältere Regelung ab<br />
III.<br />
Die einzelnen <strong>Recht</strong>squellen gereiht nach ihrem Rang<br />
A. Ausgangspunkt Arbeitsvertrag<br />
1. Kein Formerfordernis bei Abschluss, aber Kündigung<br />
unterliegt seit 30.3.2000 der Schriftform<br />
a) Am Bau etwas rohere Sprache: Zieh Leine, will dich<br />
nicht mehr sehen, schleich dich, verpiss dich<br />
b) Am nächsten Tag Hinweis, dass nicht so gemeint<br />
c) Keine wirksame Kündigung, weil nicht schriftlich<br />
2. Bedeutung<br />
a) Je tiefer in der betrieblichen Hierarchie, um so kürzer der<br />
Arbeitsvertrag: Beginn der Arbeitsaufnahme <strong>und</strong><br />
Tätigkeit, ansonsten Verweis auf Gesetz, Tarifvertrag,<br />
Betriebsvereinbarung, allgemeine Arbeitsbedingungen,<br />
Weisungen haben große Bedeutung<br />
b) Je höher in der betrieblichen Hierarchie umso<br />
bedeutsamer individuell ausgehandelter Arbeitsvertrag,<br />
so namentlich bei leitenden Angestellten, keine Geltung<br />
des Tarifvertrags<br />
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Arbeitsrecht – <strong>Einheit</strong> 05: Die <strong>Recht</strong>squellen des Arbeitsrechts – Teil 1<br />
3. Allgemeine Arbeitsbedingungen<br />
a) Parallele zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen,<br />
z.B. Lieferbedingungen, Einkaufsbedingungen etc.<br />
(i)<br />
(ii)<br />
(iii)<br />
(iv)<br />
De facto einseitige Festsetzung des Inhalts durch den<br />
Arbeitgeber in einem Formular<br />
Zielsetzung: Standardisierung der Arbeitsverhältnisse<br />
Nur zulässig, soweit nicht Regelung durch ranghöhere<br />
zwingende Normen<br />
Beispiel: regelmäßige Arbeitszeit, Verpflichtung zur<br />
Erbringung von Überst<strong>und</strong>en, generelles Rauchverbot<br />
oder Raucherlaubnis nur an bestimmten Orten in den<br />
Pausen, Mankogelder<br />
b) § 310 Abs 4 BGB<br />
(i)<br />
(ii)<br />
Keine Anwendung bei Tarifvertrag<br />
Im übrigen Anwendung gr<strong>und</strong>sätzlich ja, aber<br />
Besonderheiten des Arbeitsrechts Rechnung zu<br />
tragen<br />
c) Wirksam nur bei Einbeziehung in den Vertrag<br />
B. Europarecht – wachsende Bedeutung, Vorrang gegenüber<br />
nationalem <strong>Recht</strong><br />
1. Primäres Europarecht: EG-Vertrag<br />
a) Inländergleichbehandlung (Art 48 – 51 EG)<br />
b) Aufsehen erregend Bosmann-Urteil des EuGH NJW<br />
1996, 505<br />
(i)<br />
(ii)<br />
(iii)<br />
(iv)<br />
(v)<br />
Fußballer bei Standard Lüttich<br />
Nach seiner Meinung nach Beendigung des<br />
Vertrags zu hohe Ablösesumme <strong>für</strong> Wechsel zu<br />
Zweitlegisten Dünkirchen (Frankreich)<br />
Verstoß gegen Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU<br />
780.000.- € Schadenersatz<br />
EuGH: Im Ergebnis Stattgebung des Begehrens<br />
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Arbeitsrecht – <strong>Einheit</strong> 05: Die <strong>Recht</strong>squellen des Arbeitsrechts – Teil 1<br />
c) Folge<br />
(i)<br />
(ii)<br />
(iii)<br />
(iv)<br />
Abschaffung der Ablösesummen nach Vertragsende<br />
In der EU keine Quoten mehr <strong>für</strong> Bürger der EU<br />
Schlussendlich gar keine Ausländerquoten mehr<br />
Durchsetzung des Anspruchs 9 Jahre nach<br />
Prozessbeginn: Fussballlaufbahn dann vorbei<br />
d) Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz von Mann <strong>und</strong> Frau in den<br />
Art 94 <strong>und</strong> 141 EG – Umsetzung im Allgemeinen<br />
Gleichbehandlungsgesetz (AGG)<br />
e) Verbot des Arbeitgebers, bei Einstellung nach<br />
Geschlecht zu differenzieren<br />
f) Sanktion<br />
(i)<br />
(ii)<br />
Kein Einstellungsanspruch des übergangenen<br />
Bewerbers<br />
Schadenersatzanspruch bis zu 3 Monatsgehältern,<br />
selbst dann, wenn er nicht der bestqualifizierteste<br />
Bewerber war<br />
g) Verbot mittelbarer Diskriminierungen<br />
(i)<br />
(ii)<br />
Geschlechtsneutrale Formulierung, etwa keine<br />
Alterssicherung <strong>für</strong> Teilzeitbeschäftigte (BAG NZA<br />
1992, 259)<br />
Da typischerweise viel mehr Frauen teilzeitbeschäftigt,<br />
handelt es sich um mittelbare Diskriminierung, die<br />
unwirksam ist<br />
2. Sek<strong>und</strong>äres Europarecht<br />
a) Verordnungen – gelten unmittelbar, z.B. VO 1612/68 vom<br />
15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in<br />
der Gemeinschaft<br />
b) Richtlinien<br />
(i)<br />
Verbindlichkeit erst nach Umsetzung ins nationale<br />
<strong>Recht</strong><br />
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Arbeitsrecht – <strong>Einheit</strong> 05: Die <strong>Recht</strong>squellen des Arbeitsrechts – Teil 1<br />
(ii)<br />
Bei Säumnis mit der Umsetzung<br />
Staatshaftungsanspruch<br />
<br />
<br />
Benachteiligter Bürger kann verlangen, vom<br />
Staat vermögensmäßig so gestellt zu werden,<br />
als ob rechtzeitig umgesetzt worden wäre<br />
Kein Anspruch gegen den Vertragspartner<br />
(iii)<br />
Beispiel RL 75/117 vom 10.2.1975 über gleiches<br />
Entgelt <strong>für</strong> Männer <strong>und</strong> Frauen<br />
C. Gr<strong>und</strong>gesetz<br />
1. Primäre Zielrichtung eines Gr<strong>und</strong>rechts<br />
a) Abwehrrecht gegen den Staat<br />
b) Historisch: Freiraum der Bürger (vertreten durch das<br />
Parlament) gegen den Staat (Monarchen <strong>und</strong> der ihm<br />
unterstehenden Verwaltung)<br />
c) Keine unmittelbare Geltung im Verhältnis zwischen<br />
Privatpersonen, mag zwischen diesen auch ein<br />
ähnliches Machtungleichgewicht bestehen wie zwischen<br />
dem Staat <strong>und</strong> dem einzelnen Bürger<br />
2. Mittelbare Wirkung der Gr<strong>und</strong>rechte<br />
a) Ausdruck besonders bedeutsamer gesetzgeberischer<br />
Wertentscheidungen<br />
b) Einfluß über Generalklauseln wie § 242 BGB (Treu <strong>und</strong><br />
Glauben), § 315 BGB (Bestimmung nach billigem<br />
Ermessen<br />
c) Größere Bedeutung als im BGB, dort am bekanntesten<br />
Entscheidung des BVerfG zur Angehörigenbürgschaft (§<br />
138 BGB)<br />
(i)<br />
(ii)<br />
(iii)<br />
(iv)<br />
Krasse Überforderung<br />
Emotionale Bindung<br />
Ausnutzen durch den Gläubiger<br />
Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht<br />
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Arbeitsrecht – <strong>Einheit</strong> 05: Die <strong>Recht</strong>squellen des Arbeitsrechts – Teil 1<br />
3. Konkrete Beispiele<br />
a) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art 1 Abs 1 <strong>und</strong> 2 Abs<br />
1 GG)<br />
(i) Sachverhalt der E BVerfG NZA 1992, 307<br />
Chefredakteur einer deutschen Zeitung äußert sich<br />
bei einem Telefonat nach Wien mit einem<br />
österreichischen Journalisten abfällig über den<br />
Herausgeber der Zeitung<br />
Herausgeber nimmt das zum Anlass <strong>für</strong> eine fristlose<br />
Kündigung<br />
(ii)<br />
<br />
<br />
<br />
<strong>Recht</strong>liche Beurteilung<br />
aufgr<strong>und</strong> des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />
besteht ein <strong>Recht</strong> am gesprochenen Wort<br />
selbst wenn Telefonat von einem Diensttelefon geführt<br />
worden ist, besteht dieses <strong>Recht</strong><br />
kein Verwertungsrecht der gemachten Äußerung<br />
aufgr<strong>und</strong> des Gr<strong>und</strong>rechts<br />
b) Meinungsfreiheit (Art 5 Abs 1 GG)<br />
(i) Sachverhalt der E BAG NJW 1984, 826<br />
Arzt war in einem katholischen Krankenhaus<br />
angestellt<br />
aufgr<strong>und</strong> des Arbeitsvertrags war er zur Einhaltung<br />
christlicher Gr<strong>und</strong>sätze verpflichtet<br />
Mitunterzeichner eines Leserbriefs im Stern, wonach<br />
er Verständnis <strong>für</strong> Schwangerschaftsabbruch bei<br />
ungewollten Schwangerschaften äußerte<br />
Arzt wurde daraufhin ordentlich gekündigt<br />
(ii)<br />
<br />
<br />
<br />
<strong>Recht</strong>liche Beurteilung<br />
Kirche ist als Tendenzbetrieb nach Art 137 GG<br />
berechtigt, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen<br />
<strong>und</strong> den Angestellten Pflichten aufzuerlegen, die ein<br />
anderer Arbeitgeber seinen Angestellten nicht<br />
wirksam auferlegen könnte<br />
Spannungsverhältnis der Besorgung der inneren<br />
Angelegenheiten durch die Kirche (Art 137 GG) <strong>und</strong><br />
der Meinungsäußerungsfreiheit (Art 5 GG)<br />
Verstoß gegen Loyalitätspflichten angenommen, aber<br />
Verstoß nicht so schwerwiegend, daß Sanktion<br />
Kündigung gerechtfertigt, auch weil Brief nicht gegen<br />
die Kirche direkt gerichtet war<br />
anders bei einem Bankangestellten, der<br />
bankenfeindliches Flugblatt der DKP verteilte (BAG<br />
NJW 1973, 77)<br />
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Arbeitsrecht – <strong>Einheit</strong> 05: Die <strong>Recht</strong>squellen des Arbeitsrechts – Teil 1<br />
c) Ehe <strong>und</strong> Familie (Art 6 Abs 1 GG)<br />
unwirksam Klausel, daß Arbeitsvertrag endet mit Heirat<br />
(Stewardessen), ebenso Verpflichtung <strong>für</strong> Frau,<br />
empfängnisverhütende Mittel einzunehmen<br />
WP-Gesellschaft – Zahlung der Ausbildung abhängig<br />
vom Nachweis der Sterilisation<br />
unwirksam Zölibatsklausel, Ausnahme Kirchen<br />
bei diesen auch zulässig, daß bei Scheidung oder Heirat<br />
eines geschiedenen Ehepartners Arbeitsvertrag beendet<br />
wird, vor allem <strong>für</strong> Verkündungsträger, nicht <strong>für</strong> die<br />
Putzfrau<br />
d) Koalitionsfreiheit (Art 9 Abs 3 GG)<br />
(i)<br />
(ii)<br />
Unwirksamkeit einer Klausel in Arbeitsvertrag, daß<br />
dieser nur gültig, wenn Arbeitnehmer mit Eintritt in das<br />
Unternehmen Mitgliedschaft bei Gewerkschaft<br />
beendet<br />
Unwirksam auch Kündigung wegen Mitgliedschaft bei<br />
Gewerkschaft<br />
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