Fotos aus den Konzentrationslagern sind in Bad Mergentheim ausgestellt, Juli 1945, aus: Drei Jahre nach Null. Geschichte der britischen Besatzungszone 1945-1948. Düsseldorf 1978 Titelfoto: Francesco Vezzoli: Election Posters for Democrazy (Bernard-Henri Lévy vs. Sharon Stone) 2007. Digital print on glossy paper - Diptych. Courtesy Gagosian Gallery RE-EDUCATION – YOU TOO CAN BE LIKE US THEMATISCHES WOCHENENDE 18. UND 19. JANUAR 2008 von stefanie wenner Wer kennt sie nicht? Die Amerika-Gedenkbibliothek, die Kongresshalle im Tiergarten, der Henry-Ford-Bau in Dahlem sind Orte, die Berlin prägen. Wer schon mal in Dahlem war oder an der Freien Universität studiert oder lehrt, hat sich vielleicht gefragt, wer John Foster Dulles war oder wer der Clay Allee ihren N<strong>am</strong>en gab. J.F. Dulles war Außenminister unter Eisenhower und wurde für seine antisowjetische Politik mit einer Straße in Berlin geehrt. Lucius Clay war von 1947-1949 Militärgouverneur der Amerikanischen Besatzungszone in Deutschland. Er gilt als Erfinder der Luftbrücke und setzte sich für eine rasche Demokratisierung seines Verantwortungsbereiches ein. An allen Ecken begegnen uns nicht nur in Berlin die Spuren der Besatzungsmächte, die – als Befreier vom Faschismus – nach dem zweiten Weltkrieg Deutschland eine neue Prägung verliehen. Amerika galt in der alten Bundesrepublik lange Zeit als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die USA als Hoffnungsträger, als Verkörperung einer auch für Deutschland möglichen besseren Zukunft nach der nationalsozialistischen Vergangenheit. Dankbarkeit für die Unterstützung, die trotz der mörderischen Zerstörung und Vernichtung, die Deutschland unter Hitler verbreitete, von den Alliierten nach dem Krieg gewährt wurde, war ein zentrales Kennzeichen der Beziehungen der Staaten untereinander, auch nachdem die Alliierten Deutschland verlassen hatten. So ist es bis heute weitgehend geblieben. Früh schon gab es aber auch Widerstand gegen die „Besatzer“, regte sich vor allem anti-<strong>am</strong>erikanisches <strong>Re</strong>ssentiment. Zwanzig Jahre später nahm mit der Kritik <strong>am</strong> Vietn<strong>am</strong>krieg der Anti-Amerikanismus eine entscheidende Wendung, um schließlich heute angesichts der Politik von George W. Bush, von Kriegen <strong>am</strong> Golf und im Zeichen des Klimawandels einen neuen Höhepunkt zu erlangen. Die Spuren, die die USA im Berliner Stadtbild hinterlassen haben, zeugen von den Wiederaufbaumaßnahmen, die man noch zu Kriegszeiten unter Geheimhaltung an Orten wie Washington und New York ersann. Das Progr<strong>am</strong>m der Alliierten zum Umgang mit der deutschen Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg war die „<strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>“, eine Umerziehung oder Umbildung nach Vorbild der USA, jedenfalls im <strong>am</strong>erikanischen Sektor. Grundlage hierfür war die Anwendung von <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> im Rahmen der psychiatrischen Behandlung von Paranoia. Es war Richard Brickner, ein Psychiater aus New York, der mit seinem Buch „Is Germany Incurable“ 1943 in den USA für Furore sorgte. Die unter seiner Leitung veranstalteten Geheimkonferenzen vers<strong>am</strong>melten wichtige Größen der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie aus Psychiatrie und Psychoanalyse in New York, um einen Plan für den Umgang mit den Deutschen nach dem Sieg der Alliierten zu entwerfen (vgl. den Text von Uta Gerhardt in dieser Beilage). In den jeweils besetzten Gebieten begann man sukzessive mit dem Progr<strong>am</strong>m der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>, das neben Unterricht in Demokratie und Maßnahmen zur Entnazifierung unter anderem ein neues Curriculum für Schulen und Universitäten entwarf. Margret Mead ist es zu danken, dass ein Augenmerk auf die Stärkung der Rolle der Frau gerichtet wurde, um die autoritäre patriarchale F<strong>am</strong>ilienstruktur Deutschlands zu modifizieren. Talcott Parsons zeichnete verantwortlich für einen Entwurf des Wirtschaftssystems und neuer Strukturen in Institutionen. Auch Erich Fromm, Ruth Benedict und Kurt Lewin standen Pate für dieses Vorhaben, das Züge eines utopischen Unternehmens trägt und sich auf die Stärkung von ganz Europa bezog, wie sich an den Investitionen im Rahmen des Marshall Plans nachvollziehen lässt. Ein entscheidender Faktor war eine gezielt gesetzte Medienstrategie, die die Stukturen, die man unter Hitler geschaffen hatte, für Erziehung in Demokratie umnutzte. Galt vor 1945 ein striktes Bilderverbot für die Konzentrations- und Vernichtungslager, so wurden nun an zentralen Orten in den Städten Bildtafeln errichtet, die die Deutschen mit Folterungen und Massentötungen dieser Lager konfrontierte. Die Filme, die direkt im Anschluss an ihre Befreiung in den Lagern gedreht wurden, waren Pflichtprogr<strong>am</strong>m. Bereits im Rahmen der Brickner Conferences hatte man sich darüber Gedanken gemacht, wie ein Schuldbewusstsein der Deutschen zu erzeugen sei, und sah in den „Atrocity Pictures“ ein probates Mittel. Mit den „Todesmühlen“ oder Kompilationen wie „Lager des Grauens“ versuchte man die Bevölkerung zu erreichen. Ein perfektes Verbrechen zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nachvollzogen werden kann. Die Spuren verwischt, Überreste getilgt, keine Archivalien hinterlassen. Nachvollzogen und re-inszeniert werden kann nur, wovon wir uns ein Bild machen können. Das war der SS sehr wohl bewusst und ihr an verschiedenen Stellen bezeugtes Ziel war es daher, keine Bilder von den Massentötungen in KZs herstellen zu lassen. Die Macht der Bilder und ihre Zeugenschaft stand auch für die Alliierten außer Frage, wie die Überzeugung, Bilder aus den KZs seien ein probates Gegenmittel gegen den Nazismus, bezeugt. Zuletzt ist der Streit über die Abbildbarkeit der Nazi-Verbrechen erneut aufgefl<strong>am</strong>mt. Während der Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman fordert, wir sollten uns nicht hinter der „Unfassbarkeit“ der Nazigreueltaten verstecken und uns mit den Bildzeugnissen des Holocaust auseinander setzen, thematisiert Harun Farocki in seiner Annäherungsweise die Verfahren der Dokumentierung um 1945 selbst. Auch die Aufnahmen der Befreier der KZs sprechen eine unbewusste Botschaft aus, die es aus dem Abstand der Jahre zu entziffern gilt. Zudem entfachen Bilder noch jeden Krieges selbst einen Krieg, machen Opfer oftmals erneut zu Opfern. Heute schmücken beispielsweise im Libanon Bilder von „Märtyrern“ des Krieges die Wände der Stadt Beirut. Ihr Tod wird eingesetzt in einem medialen Krieg der Bilder, der die Tragödie des Krieges zu verdecken sucht. D<strong>am</strong>it werden die Opfer der Verbrechen erneut zum Opfer (vgl. den Text von Zeina Maasri). Im Rahmen der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> wurden auch Filme entwickelt, die zur Umorientierung dienen sollten und den <strong>am</strong>erikanischen Lebensstil propagierten. In Zeichentrickfilmen wie „Der Schuhmacher und der Hutmacher“ erklärte man Vorteile und Funktionsweise grenzenlosen Handels und pries die freie Marktwirtschaft. Sogar auf dem Theater galt es, <strong>am</strong>erikanische Stoffe umzusetzen und der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> Raum zu geben. Auch <strong>am</strong> Hebbel-Theater spielte man „Unsere kleine Stadt“ und „Wir sind nochmal davon gekommen“ (vgl. hierzu den Artikel von Carola Jüllig). Der Systemwechsel sollte sich kulturell an möglichst vielen gesellschaftlich relevanten Orten vollziehen. Das <strong>am</strong>erikanische Radio wurde zu Kult. „You too can be like us!“ war dabei nur einer der Slogans, die den American Way of Life auch für Deutschland propagierten. Und was ist daraus geworden? Der Kulturtransfer ist weiterhin in vollem Gange. Wir konsumieren von Kindesbeinen an nord<strong>am</strong>erikanische Fernsehserien und Burger. Der Kaffee wurde - einmal in Europa etabliert - in die USA exportiert und in Form von Kaffeehausketten reimportiert. Deutschland ist ein demokratisches Land und gilt unter Angela Merkel auch wieder als befreundetes Land der USA. Während das Projekt der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> in Deutschland insges<strong>am</strong>t als gelungen gilt, sind Versuche der USA, dieses Progr<strong>am</strong>m in anderen kulturellen Kontexten einzusetzen, eher gescheitert. Nicht nur in Deutschland setzte man <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>-Progr<strong>am</strong>me um, auch in Japan und Vietn<strong>am</strong> unternahm man mit unterschiedlichem Erfolg ähnliche Versuche. Heute scheitern die USA an dem Krieg im Irak, in dem zunächst eben keine <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong> vorgesehen war (vgl. hierzu den Artikel von Jörg Lau). „Democracy Promotion“ aber hat Erfolg in osteuropäischen Ländern, wo sich die USA an den sogenannten „<strong>Re</strong>genbogenrevolutionen“ auch finanziell beteiligten. Amerika, die USA, sind eine Marke geworden, eine Art Franchise Unternehmen, das nach wie vor expandiert. Auch im Zeichen des kollabierenden Klimas stehen die Zeichen auf Wachstum und Prosperität. Den Preis zahlen andere. Demokratie in der Variante der USA scheint mehr mit Starkult gemein zu haben als mit offen ausgetragenem Disput und prozessualer Meinungsbildung. Bis an die entlegensten Orte der Welt transferieren die USA ihre Kultur. Bilder spielen dabei immer eine entscheidende Rolle. Die Begriffe „Demokratie“ und „Freiheit“ wirken in diesem Kontext selbst wie Propaganda, wie Worthülsen, hinter denen sich wenig mehr als wirtschaftliche Interessen zu verbergen scheinen. Medieninszenierungen versprechen eine bessere Welt und Zukunft, wenn wir nur den <strong>Re</strong>geln der <strong>am</strong>erikanischen Demokratie und Marktwirtschaft gehorchen. Dennoch bleibt Demokratie ein Versprechen mit utopischem Gehalt. Ihre Praxis gilt es zu verteidigen, auch gegen die Instrumentalisierung in imperialen Zus<strong>am</strong>menhängen. Auch darum riskieren wir den Blick zurück in die Zeit der Demokratisierung Deutschlands. Die Sehnsucht nach einem Ursprung wäre reaktionär. Die Fragen allerdings nach den Wechselwirkungen zwischen den Kulturen, nach der Wirks<strong>am</strong>keit der <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>, nach Kontinuitäten und Brüchen vor und nach 1945, sind legitim, notwendig und dringlich. Stefanie Wenner Autorin und Kuratorin, arbeitet an der Schnittstelle von Philosophie und Kunst. Mitbegründerin der Diskursiven Poliklinik und verantwortlich für Veranstaltungen wie u.a. die Kollektiv-Körper-Konferenz an der Schaubühne 2001, Kunst und Verbrechen <strong>am</strong> HAU 2003 und jetzt <strong>Re</strong>-<strong>Education</strong>. Habilitiert in der Philosophie an der FU Berlin mit einem Projekt zu Paarbildung in Philosophie und Kunst.