07.11.2013 Aufrufe

Andrzej Stasiuk - Polish Book Institute

Andrzej Stasiuk - Polish Book Institute

Andrzej Stasiuk - Polish Book Institute

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Janusz Rudnicki Kommt, wir gehen<br />

32<br />

Einkaufen<br />

gehen – oder nicht?<br />

Und wenn mich jemand<br />

erkennt? Aber<br />

wer? Wer sollte mich schon erkennen? Ich bin gerademal zurück<br />

und hab die Fenster ausgepackt, damit mir das Gesindel<br />

aus dem Nachbarblock nicht durch die Koffer glotzt, in<br />

die Gardinen. Und außerdem bin ich allein – wie jetzt meine<br />

weißen Zähne im Spiegel, die plötzlich zum ersten Mal den<br />

Kontext des Gesichts verloren haben, meines Gesichts.<br />

Deshalb wundere ich mich beim Türklingeln, zum Teufel.<br />

Ich öffne die Tür. Die Briefträgerin. Gebückt sucht sie etwas<br />

in der Tasche, mit dem Mund hält sie eine Blume fest.<br />

Und sagt schnaufend durch die Blume:<br />

„der Scheißaufzug ist schon wieder kaputt, gude!“<br />

„Gude“<br />

antworte ich, und sie steht plötzlich wie gebannt still, ihre<br />

Augen auch. Und die Blume plumpst runter, weil sich ihre<br />

Ober- und Unterlippe immer weiter voneinander entfernen.<br />

Was denn? Ich betrachte ihre Zähne voller Plomben und<br />

Drähte, denke erst an Türen, dann an Stacheldrahtsperren,<br />

dann an Güterwaggons, in denen ich gleich auf die bewusste<br />

Rampe gebracht werde, mit anderen Worten, ich gebe mich<br />

meinen Assoziationen hin wie ein willenloser Lump, und so<br />

kriege ich die Zeit irgendwie rum. Ich langweile mich nicht,<br />

wenigstens das nicht. Bis sie schließlich sagt:<br />

„Sind das Sie?!“<br />

Sie fragt, weil wir uns gestern schon gesehen haben, im<br />

Treppenhaus, ich habe mich vorgestellt, weil ich zurückgekommen<br />

bin und alleine lebe, meine Dame, ein einsames<br />

weißes Segel auf dreißig Quadratmeter Fläche. Ich sage,<br />

„Das bin ich, erkennen Sie mich denn nicht? Das weiße Segel...“<br />

Darauf sie:<br />

„Das nenne ich weiß“,<br />

und ich erinnere mich gleich an das, was ich vergessen hatte.<br />

„Ach, Sie meinen mein Gesicht? Das kommt vom Gas im<br />

Bad, ich wollte mir eine Zigarette am Boiler anstecken, und<br />

meine Frau hat gleichzeitig in der Küche das warme Wasser<br />

aufgedreht.“<br />

Darauf sie:<br />

„Sie sind verheiratet?“,<br />

und wie erstaunt sie war!<br />

Darauf ich:<br />

„Nein“,<br />

und erstaune über meine Worte noch mehr. Was für eine<br />

meine Frau?<br />

„Nein, nein“,<br />

sage ich wieder und wieder.<br />

„das ist natürlich ein Witz, ich habe das Wasser in der Küche<br />

selbst aufgedreht und mir in der Zeit im Bad am Boiler<br />

eine Zigarette angesteckt...“<br />

Die Sätze in die eine Richtung, ich in die andere. Kehlkopfverschluss,<br />

ein Stau, ein Wall. Ihre Augen starren mich<br />

staunend an und meine sie, weil ich mich genauso über mich<br />

wundere wie sie. Und so stehen wir da. Die Türschwelle trennt<br />

uns. Und die Blume, die heruntergefallen ist.<br />

Bis sie plötzlich das Gewicht von einem Bein auf das andere<br />

verlagert. Sie muss schließlich ganz schön laufen, sie tun ihr<br />

weh. Die Bewegung der Beine versetzt auch den übrigen Teil<br />

des Körpers in Bewegung, sie kommt wieder zu sich und sagt,<br />

„es riecht hier auch irgendwie nach Gas. Ich habe ein Paket<br />

für Ihren Nachbarn, aber er ist nicht zu Hause, könnten Sie<br />

als Nachbar das Paket Ihres Nachbarn annehmen, für Ihren<br />

Nachbarn?“<br />

„Könnte ich. Könnte ich gern. Ich nehme es an.“<br />

Ich soll unterschreiben, dass ich es angenommen habe,<br />

aber:<br />

„Wo? Worauf?“<br />

Darauf sie:<br />

„Vielleicht an der Wand?“<br />

Ich versuche es einmal, zweimal an der Wand, der Kugelschreiber<br />

will nicht.<br />

„Die Minenflüssigkeit läuft so weg. Sie müssen es senkrecht<br />

machen, schreiben, wissen Sie? Nicht waagrecht.“<br />

Ich komme ins Grübeln. Eine märchenhafte Einteilung<br />

des Schreibens. Ich komme so tief ins Grübeln, dass mir die<br />

Briefträgerin vor den Augen herumfuchteln muss, um mich<br />

wieder an die Oberfläche zurückzubringen.<br />

„Hallo! Guten Tag! Hier bin ich.“<br />

„Senkrecht, sagen Sie?“<br />

zurück zum Inhaltsverzeichnis

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!