Andrzej Stasiuk - Polish Book Institute
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Janusz Rudnicki Kommt, wir gehen<br />
32<br />
Einkaufen<br />
gehen – oder nicht?<br />
Und wenn mich jemand<br />
erkennt? Aber<br />
wer? Wer sollte mich schon erkennen? Ich bin gerademal zurück<br />
und hab die Fenster ausgepackt, damit mir das Gesindel<br />
aus dem Nachbarblock nicht durch die Koffer glotzt, in<br />
die Gardinen. Und außerdem bin ich allein – wie jetzt meine<br />
weißen Zähne im Spiegel, die plötzlich zum ersten Mal den<br />
Kontext des Gesichts verloren haben, meines Gesichts.<br />
Deshalb wundere ich mich beim Türklingeln, zum Teufel.<br />
Ich öffne die Tür. Die Briefträgerin. Gebückt sucht sie etwas<br />
in der Tasche, mit dem Mund hält sie eine Blume fest.<br />
Und sagt schnaufend durch die Blume:<br />
„der Scheißaufzug ist schon wieder kaputt, gude!“<br />
„Gude“<br />
antworte ich, und sie steht plötzlich wie gebannt still, ihre<br />
Augen auch. Und die Blume plumpst runter, weil sich ihre<br />
Ober- und Unterlippe immer weiter voneinander entfernen.<br />
Was denn? Ich betrachte ihre Zähne voller Plomben und<br />
Drähte, denke erst an Türen, dann an Stacheldrahtsperren,<br />
dann an Güterwaggons, in denen ich gleich auf die bewusste<br />
Rampe gebracht werde, mit anderen Worten, ich gebe mich<br />
meinen Assoziationen hin wie ein willenloser Lump, und so<br />
kriege ich die Zeit irgendwie rum. Ich langweile mich nicht,<br />
wenigstens das nicht. Bis sie schließlich sagt:<br />
„Sind das Sie?!“<br />
Sie fragt, weil wir uns gestern schon gesehen haben, im<br />
Treppenhaus, ich habe mich vorgestellt, weil ich zurückgekommen<br />
bin und alleine lebe, meine Dame, ein einsames<br />
weißes Segel auf dreißig Quadratmeter Fläche. Ich sage,<br />
„Das bin ich, erkennen Sie mich denn nicht? Das weiße Segel...“<br />
Darauf sie:<br />
„Das nenne ich weiß“,<br />
und ich erinnere mich gleich an das, was ich vergessen hatte.<br />
„Ach, Sie meinen mein Gesicht? Das kommt vom Gas im<br />
Bad, ich wollte mir eine Zigarette am Boiler anstecken, und<br />
meine Frau hat gleichzeitig in der Küche das warme Wasser<br />
aufgedreht.“<br />
Darauf sie:<br />
„Sie sind verheiratet?“,<br />
und wie erstaunt sie war!<br />
Darauf ich:<br />
„Nein“,<br />
und erstaune über meine Worte noch mehr. Was für eine<br />
meine Frau?<br />
„Nein, nein“,<br />
sage ich wieder und wieder.<br />
„das ist natürlich ein Witz, ich habe das Wasser in der Küche<br />
selbst aufgedreht und mir in der Zeit im Bad am Boiler<br />
eine Zigarette angesteckt...“<br />
Die Sätze in die eine Richtung, ich in die andere. Kehlkopfverschluss,<br />
ein Stau, ein Wall. Ihre Augen starren mich<br />
staunend an und meine sie, weil ich mich genauso über mich<br />
wundere wie sie. Und so stehen wir da. Die Türschwelle trennt<br />
uns. Und die Blume, die heruntergefallen ist.<br />
Bis sie plötzlich das Gewicht von einem Bein auf das andere<br />
verlagert. Sie muss schließlich ganz schön laufen, sie tun ihr<br />
weh. Die Bewegung der Beine versetzt auch den übrigen Teil<br />
des Körpers in Bewegung, sie kommt wieder zu sich und sagt,<br />
„es riecht hier auch irgendwie nach Gas. Ich habe ein Paket<br />
für Ihren Nachbarn, aber er ist nicht zu Hause, könnten Sie<br />
als Nachbar das Paket Ihres Nachbarn annehmen, für Ihren<br />
Nachbarn?“<br />
„Könnte ich. Könnte ich gern. Ich nehme es an.“<br />
Ich soll unterschreiben, dass ich es angenommen habe,<br />
aber:<br />
„Wo? Worauf?“<br />
Darauf sie:<br />
„Vielleicht an der Wand?“<br />
Ich versuche es einmal, zweimal an der Wand, der Kugelschreiber<br />
will nicht.<br />
„Die Minenflüssigkeit läuft so weg. Sie müssen es senkrecht<br />
machen, schreiben, wissen Sie? Nicht waagrecht.“<br />
Ich komme ins Grübeln. Eine märchenhafte Einteilung<br />
des Schreibens. Ich komme so tief ins Grübeln, dass mir die<br />
Briefträgerin vor den Augen herumfuchteln muss, um mich<br />
wieder an die Oberfläche zurückzubringen.<br />
„Hallo! Guten Tag! Hier bin ich.“<br />
„Senkrecht, sagen Sie?“<br />
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