PDF-Download - Bayerische Staatsoper
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28<br />
Göttermacht und<br />
Menschenwerk<br />
29<br />
Von der Entwicklung der<br />
Demokratie dank Selbstbewusstsein<br />
und Selbstbeschränkung<br />
Essay Karsten Fischer<br />
Bilder Philipp Fürhofer<br />
Siegfried II, 2012<br />
Acryl und Öl auf Acrylglas, Haushaltsschwämme, Lappen<br />
und Fotodruck, 124 x 122 x 10 cm<br />
Politischer Wandel<br />
als Frage der Perspektive<br />
Bis weit in die europäische Neuzeit hinein<br />
haben Gesellschaften politische<br />
Machtwechsel mit geradezu apokalyptischen<br />
Befürchtungen verbunden.<br />
Denn gleich, ob man an eine für Götter<br />
wie Menschen verbindliche Weltordnung<br />
glaubte, wie sie die Ma’at im<br />
alten Ägypten bezeichnete, oder an<br />
eine vom souveränen Schöpfergott<br />
gewünschte Ordnung des weltlichen<br />
Geschehens – stets musste eine Änderung<br />
in dieser Ordnung als Frevel<br />
empfunden werden und begleitete<br />
sie also der im Vorspiel zu Wagners<br />
Götterdämmerung von den Nornen<br />
geäußerte Weltuntergangsverdacht:<br />
„Der ewigen Götter Ende dämmert<br />
ewig da auf.“<br />
Dies weiß man heute ideologiekritisch<br />
als Wirkung repressiver Herrschaftsmythen<br />
aufzuklären, die zur Stabilität<br />
autoritärer Regime beitragen. Doch<br />
die auf Aristoteles zurückgehende<br />
Idee, dass politisch-soziale Ordnung<br />
der natürlichen Bestimmung des Menschen<br />
entspricht und deren Gegenteil<br />
nichts weiter als einen widernatürlichen<br />
Aufruhr bedeutet, hat nicht<br />
bloß eine über zwei Jahrtausende<br />
währende Wirkungsgeschichte. Bis<br />
heute ist sie außerhalb der westlichen<br />
Welt in Teilen noch virulent, und in<br />
Form der immer wieder aufflackernden<br />
Skepsis gegenüber Parteien und<br />
Interessengruppen sogar in westlichen<br />
Demokratien. Die Sehnsucht nach einer<br />
harmonischen oder gar homogenen<br />
Gesellschaft anstelle eines individualistischen<br />
Pluralismus lässt dabei<br />
gerne übersehen, dass Konflikte ein<br />
Lebenselixier von Gesellschaften sind,<br />
und politischer Wandel eine Form der<br />
Konfliktbearbeitung ist.<br />
Eine Änderung der traditionellen<br />
Herrschaftsauffassung ergab sich erst<br />
in der europäischen Neuzeit, als sich<br />
die Vorstellung, Ordnung sei natürlich<br />
und Unordnung widernatürlich, ins Gegenteil<br />
verkehrte. Unter dem Eindruck<br />
jahrzehntelanger (Bürger-)Kriege sah<br />
man Unordnung infolge von Aufruhr<br />
als natürliche Neigung des Menschen<br />
und Ordnung als künstliche und also<br />
fragile, vertragliche Vereinbarung, die<br />
von der rationalen Erkenntnis der<br />
eigenen (Überlebens-)Interessen abhängt.<br />
Die Ordnung wurde dabei aber<br />
lediglich anders gedacht und begründet;<br />
ihre unbedingte, alternativlose<br />
Geltung blieb hiervon unberührt, wie<br />
sich exemplarisch und wirkungsmächtig<br />
ab Mitte des 17. Jahrhunderts bei<br />
Thomas Hobbes zeigte.<br />
Doch war einmal die Künstlichkeit<br />
von Ordnung zum Gemeingut<br />
geworden, konnten in der Moderne<br />
bewusste Alternativen zur bestehenden<br />
Ordnung zum positiven Ziel politischen<br />
Handelns erklärt werden. Nicht<br />
umsonst ist die Moderne das Zeitalter<br />
der Revolutionen, die mit dem Sturz<br />
überkommener Ordnungen regelrechte<br />
Heilserwartungen zu verbinden begannen.<br />
Auch politischer Umsturz, oder<br />
kurz und neutral: politischer Wandel,<br />
ist also eine Frage der Perspektive.<br />
Doch um zu erfassen, was unsere heutige,<br />
demokratische Sicht der Dinge<br />
auszeichnet, müssen wir zurück zum<br />
historischen Ursprung der Politik, wie<br />
wir sie verstehen, nämlich zu dem, was<br />
der Althistoriker Christian Meier mit<br />
dem Titel seines berühmten Buches<br />
Die Entstehung des Politischen bei den<br />
Griechen genannt hat.