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ich lebe nicht allein zusammen - GEW

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Ich <strong>lebe</strong> n<strong>ich</strong>t <strong>allein</strong> <strong>zusammen</strong><br />

- Systemik als Haltung –<br />

Essay von Prof. Dr. Rolf Arnold<br />

(S. 20 - 25)<br />

-Zeitung<br />

3/08<br />

Rheinland-Pfalz<br />

UNTERSCHRIFTENAKTION VOR BILDUNGSMINISTERIUM<br />

FÜR LEITUNGSFREISTELLUNG IN KITAS (S. 4-5)


KOLUMNE / INHALT<br />

PARADOXIEN<br />

Zweifellos wird zumindest bis zur Änderung<br />

des Schulgesetzes die Diskussion um das neue<br />

Schulstrukturkonzept das beherrschende<br />

bildungspolitische Thema in unserem<br />

Bundesland bleiben. Und r<strong>ich</strong>tig spannend<br />

wird es danach, wenn die praktische<br />

Umsetzung ansteht. Niemand weiß, wie<br />

das Schulwahlverhalten der Eltern dann<br />

aussieht: Gibt es einen noch stärkeren Run<br />

auf die Gymnasien, weil die Realschulen<br />

durch ihre verschiedenen Plusze<strong>ich</strong>en an<br />

Anziehungskraft verlieren, oder wird die neue Schulart als Chance begriffen,<br />

den dritthöchsten Schulabschluss zu erre<strong>ich</strong>en? Oder kommt es gar zu dem,<br />

was wir uns als <strong>GEW</strong> erhoffen: zu einer Welle von Neugründungen von<br />

Integrierten Gesamtschulen? Schon in der letzten Ausgabe haben wir an<br />

dieser Stelle Zweifel geäußert, ob das der Gesetzesänderung vorausgehende<br />

Anhörungsverfahren, in dem betroffene Gruppierungen ihre Einwände<br />

vorbringen können, tatsächl<strong>ich</strong> noch viel bewirken wird und n<strong>ich</strong>t eher eine<br />

Alibiveranstaltung ist. Paradoxerweise werden diese Zweifel ausgerechnet<br />

durch zwei SPD-Landtagsabgeordnete aus Ludwigshafen genährt: Jutta<br />

Steinruck und Günther Ramsauer haben Anfang vergangenen Monats die<br />

Ludwigshafener Schuldezernentin der Untätigkeit geziehen, weil diese noch<br />

keine Initiativen zur Umsetzung der anstehenden Veränderungen ergriffen<br />

habe. Umgekehrt klopften s<strong>ich</strong> die beiden SPD-MdLs selbst kräftig auf die<br />

Schulter, indem sie s<strong>ich</strong> dafür lobten, bereits Kontakte zwischen betroffenen<br />

Schulen hergestellt zu haben. Mal abgesehen davon, dass Schulen in dieser<br />

Situation keine Hilfestellung von um ihr Profil bemühten Politikern brauchen,<br />

ist der CDU-Schuldezernentin nur zuzustimmen, wenn sie darauf<br />

verweist, erst dann konkret handeln zu können, sobald gesetzl<strong>ich</strong> Klarheit<br />

herrscht. Pikant in diesem Zusammenhang ist insbesondere die politische<br />

Akrobatik von Jutta Steinruck: Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende<br />

im Stadtrat in einer Quasi - Koalition mit der CDU und im Landtag<br />

andererseits der absoluten SPD-Mehrheit verpfl<strong>ich</strong>tet, muss sie als örtl<strong>ich</strong>e<br />

DGB-Vorsitzende die Kritik der Gewerkschaften bspw. an den kümmerl<strong>ich</strong>en<br />

Gehaltssteigerungen oder der bescheidenen Schulstrukturreform<br />

umsetzen. Verstehe eine(r), wie das funktionieren soll.<br />

Absurder Vergle<strong>ich</strong><br />

Wenn in einer Jahreszahl hinten die 8 auftaucht, wird das, was das Jahr<br />

1968 bzw. die nach ihm benannte Jugendbewegung bewirkt (oder auch<br />

anger<strong>ich</strong>tet) hat, zum Thema von Veröffentl<strong>ich</strong>ungen und Diskussionen.<br />

In der Frankfurter Rundschau geschah dies am 30. Januar(!) in einem<br />

vierseitigen Aufsatz des renommierten Historikers Götz Aly unter der<br />

provokativen Überschrift „Die Väter der 68er“. Ausgerechnet die Nazis<br />

sollten das sein. Dabei sollen Parallelen in den Blick genommen werden,<br />

„die zwischen den politischen Sturm- und Drangjahren der unmittelbar<br />

AUS DEM INHALT <strong>GEW</strong>-ZEITUNG Rheinland-Pfalz Nr. 3 / 2008:<br />

Editorial / Gastkommentar Seiten 2 - 3<br />

Sozialpädagogik Seiten 4 - 5<br />

Bildungspolitik Seiten 6 - 10<br />

Schulen Seiten 11 - 13<br />

Schulische Erfahrungen … Seiten 14 - 15<br />

Aus anderen Bundesländern / Bildung international Seiten 16 - 18<br />

Hochschulen / Essay Prof. Arnold Seiten 19 - 25<br />

Gesellschaft / SeniorInnen Seiten 25 - 27<br />

Tipps + Termine / Kreis + Region Seiten 28 - 31<br />

Zeitgeist Seite 32<br />

aufeinander folgenden Generationskohorten bestehen.“ Als Begründung<br />

angeführt wurden u. a. folgende Phänomene:<br />

• Beide Generationen sahen s<strong>ich</strong> als „Bewegung“, liebten Kampf und<br />

Aktion.<br />

• Die Machtergreifung war Beginn einer Jugenddiktatur.<br />

• Auch für NS - Studenten waren die Erzfeinde die Spießbürger.<br />

• Wer wie die Studenten den neuen Menschen schaffen will, legt s<strong>ich</strong> mit<br />

der Staatsgewalt an.<br />

• An die Stelle des Nationalismus der Eltern setzten die 68er den Internationalismus.<br />

Auch wenn es auf der Erscheinungsebene durchaus Parallelen gibt, ist Alys<br />

Vergle<strong>ich</strong> absurd. Natürl<strong>ich</strong> ähneln s<strong>ich</strong> die Denkstrukturen von totalitär<br />

eingestellten Menschen, an welchem politischen Rand sie auch stehen. Und<br />

natürl<strong>ich</strong> ist das, wohin Teile der 68er abdrifteten - ob in den Terror der<br />

RAF oder in die Apologie gegenüber Diktaturen - n<strong>ich</strong>t verzeihbar. Nur:<br />

Im Kern war 68 eine antiautoritäre Bewegung gegen überkommene hierarchische<br />

Strukturen, deren positiven Auswirkungen noch heute deutl<strong>ich</strong><br />

spürbar sind. Es wird halt n<strong>ich</strong>t mehr gekuscht, nur weil jemand einen<br />

tollen Titel, ein w<strong>ich</strong>tiges Amt oder einen dicken Geldbeutel hat. Gerade<br />

unser zentrales Thema, die Bildung, rückte damals in den Blickpunkt,<br />

was u. a. zu explodierenden Studierendenzahlen in den entsprechenden<br />

Fächern führte: die soziale Segregation durch das gegliederte Schulwesen,<br />

die Bedeutung des frühkindl<strong>ich</strong>en Lernens, die Notwendigkeit eines Lernkulturwandels,<br />

all dies und noch viel mehr, was s<strong>ich</strong> erst jetzt langsam<br />

durchsetzt, war damals schon Thema und hat junge Menschen motiviert,<br />

einen pädagogischen Beruf zu ergreifen. N<strong>ich</strong>t um im Schoße von Vater<br />

Staat ein bequemes Leben führen zu können, sondern aus der Motivation,<br />

durch ein gerechteres Bildungswesen eine humanere Gesellschaft zu<br />

bekommen. War vielle<strong>ich</strong>t etwas naiv, verdient aber ganz und gar n<strong>ich</strong>t,<br />

mit Massenmördern auf eine Stufe gestellt zu werden.<br />

Provinz Rheinland-Pfalz<br />

Einen verdammt harten Job haben die KollegInnen unserer „großen<br />

Schwester“ „Erziehung und Wissenschaft“. Verdammt hart deshalb, weil die<br />

vielfältigen Erwartungen, denen sie s<strong>ich</strong> aus den verschiedenen Fachgruppen,<br />

Regionen und gewerkschaftspolitischen Strömungen ausgesetzt sehen,<br />

eigentl<strong>ich</strong> unerfüllbar sind. Irgendwer fühlt s<strong>ich</strong> garantiert auf die Füße<br />

getreten oder vernachlässigt - so wie wir jetzt. Dennoch gibt es immer wieder<br />

Bemühungen, allen gerecht zu werden, neuerdings durch Sonderseiten,<br />

in denen die spezifischen Themen diverser Sparten angesprochen werden.<br />

Löbl<strong>ich</strong> auch eine Serie, in der die Charakteristika der Bildungspolitik in<br />

den verschiedenen Bundesländern dargestellt werden. In der letzten Ausgabe<br />

war nun Rheinland-Pfalz dran. Eigentl<strong>ich</strong> müsste man erwarten, dass dies<br />

in einer Gewerkschaftszeitung aus gewerkschaftl<strong>ich</strong>er Perspektive geschieht.<br />

Irrtum, vermutl<strong>ich</strong> ist bei uns Provinzlern in der <strong>GEW</strong> niemand dazu<br />

in der Lage, denn die E&W-Redaktion beauftragte einen FR-Redakteur<br />

mit dem Artikel.<br />

Die Folge: Journalistisch astrein gemacht, inhaltl<strong>ich</strong> aber aus rheinlandpfälzischer<br />

<strong>GEW</strong>-S<strong>ich</strong>t lückenhaft. Zwar wurde unser Landesvorsitzender<br />

ausführl<strong>ich</strong> im Zusammenhang mit der Kritik am Modell Realschule plus<br />

zitiert, bei zwei anderen zentralen bildungspolitischen Themen fehlten<br />

jedoch <strong>GEW</strong>-Aspekte: So lobenswert die Vielzahl von Ganztagsschulen in<br />

Angebotsform auch ist, wir propagieren nach wie vor verpfl<strong>ich</strong>tende Ganztagsschulen<br />

mit rhythmisierten Strukturen und sehen additive Angebote nur<br />

als die zweitbeste Lösung. Bundesweit herausragend ist s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> auch das<br />

Programm zur frühen Förderung. Nur wird dieses - so sagen unsere Experten<br />

- scheitern, wenn die notwendigen Ressourcen fehlen (vgl. den Artikel S. 4<br />

f. zur Forderung nach mehr Entlastung der Kita - Leitungen).<br />

Für diese kurzen Hinweise hätte schon noch Platz sein müssen.<br />

Günter Helfr<strong>ich</strong><br />

2<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


GASTKOMMENTAR<br />

8. MÄRZ 2008<br />

INTERNATIONALER FRAUENTAG<br />

Dorothea Schäfer, stellv.<br />

<strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

In meinem Arbeitszimmer hängt ein Plakat<br />

von 1976, signiert von Klaus Staeck. Es zeigt<br />

einen Blick in den Deutschen Bundestag. Es<br />

zeigt ausschließl<strong>ich</strong> Männer, Männer in Anzügen<br />

und mit Krawatten, Männer zuhörend<br />

oder nachdenkl<strong>ich</strong>. Es trägt die schl<strong>ich</strong>te<br />

Überschrift: „Jeder zweite Abgeordnete ist<br />

eine Frau.“<br />

S<strong>ich</strong>er ist die Situation heute anders. Wir<br />

Frauen haben viel erre<strong>ich</strong>t. Aber der internationale<br />

Frauentag hat auch heute seine<br />

Funktion als Protesttag n<strong>ich</strong>t verloren. Als<br />

gesellschaftl<strong>ich</strong>es Mahnmal weist er auf Menschenrechtsverletzungen,<br />

Benachteiligungen<br />

und Diskriminierungen von Mädchen und<br />

Frauen hin und hebt die geschlechtergerechte<br />

Gle<strong>ich</strong>stellung für Mädchen und Frauen auf<br />

die politische Agenda.<br />

„Deutschland weiterhin Entwicklungsland für Frauen!“<br />

- titelt Lissy Gröner, die frauenpolitische Sprecherin der<br />

Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE)<br />

im Europäischen Parlament, anlässl<strong>ich</strong> des aktuellen<br />

Ber<strong>ich</strong>ts zur Gle<strong>ich</strong>stellung von Frauen und Männern<br />

in der EU 2008. Und sie hat Recht. Nach dem Ber<strong>ich</strong>t<br />

ist die Beschäftigungsquote von Frauen zwar prinzipiell<br />

gestiegen, die Beteiligung an höherwertigen Stellen<br />

entspr<strong>ich</strong>t aber bei weitem n<strong>ich</strong>t dem Anteil der Frauen,<br />

die Universitätsabschlüsse haben und über ein besseres<br />

Bildungsniveau verfügen als Männer. Vor allem die Bezahlung<br />

ihrer Arbeit bleibt weit hinter der ihrer männl<strong>ich</strong>en<br />

Kollegen zurück.<br />

Im EU-Durchschnitt verdienen Frauen 15 Prozent weniger<br />

pro Arbeitsstunde, in Deutschland klafft die Schere<br />

in einigen Branchen sogar bis zu 30 Prozent auseinander.<br />

Deutschland schneidet im europäischen Vergle<strong>ich</strong> bei<br />

fast allen gemessenen Indikatoren schlecht ab und zeigt<br />

erhebl<strong>ich</strong>e Defizite bei der Gle<strong>ich</strong>stellung von Frauen<br />

und Männern.<br />

Während z. B. in Norwegen ein Gesetz zur Frauenförderung<br />

in der Wirtschaft geschaffen wurde, nach dem ein<br />

Unternehmen die Börsennotierung verliert, wenn n<strong>ich</strong>t<br />

mindestens 30 Prozent der Frauen im Aufs<strong>ich</strong>tsrat vertre-<br />

ten sind, hinkt Deutschland wieder einmal einer solchen<br />

Entwicklung hinterher. Elterngeld für Väter und damit<br />

die Mögl<strong>ich</strong>keit, zwei Monate länger Elterngeld beziehen<br />

zu können, ist s<strong>ich</strong>er ein Schritt in die r<strong>ich</strong>tige R<strong>ich</strong>tung.<br />

Insgesamt gibt es aber immer noch zu viele Appelle und<br />

freiwillige Vereinbarungen und zu wenig verbindl<strong>ich</strong>e<br />

gesetzl<strong>ich</strong>e Regelungen.<br />

Auch wenn es für<br />

die im Bildungsbere<strong>ich</strong><br />

Beschäftigten<br />

im Prinzip<br />

die gle<strong>ich</strong>e Bezahlung<br />

für Frauen<br />

und Männer<br />

gibt, ist die Benachteiligung<br />

offenkundig und<br />

vielfältig:<br />

• Frauen unterbrechen<br />

ihre<br />

Berufstätigkeit<br />

aufgrund der<br />

Familienplanung<br />

häufiger, arbeiten überproportional in Teilzeit und<br />

verz<strong>ich</strong>ten auf Beförderungsstellen, insbesondere auf<br />

Leitungspositionen.<br />

• In den schlechter bezahlten Erziehungsberufen in Kindergärten,<br />

Kindertagesstätten oder Jugendhilfeeinr<strong>ich</strong>tungen<br />

arbeiten überwiegend Frauen. Zum Teil müssen<br />

sie befristete Stellen annehmen und sind abhängig von<br />

der Verlängerung ihrer Verträge oder der Einr<strong>ich</strong>tung<br />

neuer Projekte.<br />

• Die Lehrkräfte an Grundschulen z.B. gehören zu den<br />

am schlechtesten bezahlten Lehrerinnen und Lehrern<br />

mit den geringsten Beförderungsmögl<strong>ich</strong>keiten. Selbst<br />

die Übernahme einer Schulleitungsstelle bringt wenig<br />

mehr Bezahlung, dabei aber viel mehr Arbeit und Verantwortung.<br />

Auch hier sind überwiegend Frauen betroffen.<br />

Es gibt viel zu tun - packen wir‘s an. Nehmen wir den<br />

Internationalen Frauentag zum Anlass, die Gle<strong>ich</strong>stellung<br />

der Geschlechter als w<strong>ich</strong>tiges Arbeitsgebiet für Frauen<br />

und Männer neu auf unsere Agenda zu setzen. Nehmen<br />

wir Gendermainstreaming endl<strong>ich</strong> ernst und wenden<br />

es an!<br />

Erstabdruck in: neue deutsche schule,<br />

Mitgliedermagazin der <strong>GEW</strong> NRW, Ausgabe 2/08<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

3


SOZIALPÄDAGOGIK<br />

Freistellung für Leitungstätigkeiten in Kindertagesstätten gefordert<br />

Rund 14.000 Unterschriften an Staatssekretärin Reiß übergeben<br />

Am 7. Februar haben Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung<br />

und Wissenschaft Rheinland-Pfalz Staatssekretärin Vera<br />

Reiß vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und<br />

Kultur ca. 14.000 Unterschriften übergeben, mit denen Erzieherinnen<br />

und Eltern von Kindergartenkindern eine Gewerkschaftsforderung<br />

unterstützen.<br />

Fotos Titelseite und<br />

Seiten 4-5: <strong>GEW</strong><br />

„Im Personalschlüssel jeder Kindertageseinr<strong>ich</strong>tung<br />

muss mindestens eine viertel Stelle je Gruppe für Leitungstätigkeiten<br />

berücks<strong>ich</strong>tigt werden“, forderte der<br />

<strong>GEW</strong>-Vorsitzende Tilman Boehlkau. Um das zahlre<strong>ich</strong>e<br />

Engagement für diese Forderung s<strong>ich</strong>tbar zu machen,<br />

wurden die Listen als 330 Meter langer „gelber Tepp<strong>ich</strong>“<br />

vor dem MBWJK ausgerollt.<br />

„Immer wieder signalisieren uns Beschäftigte aus Kindertagesstätten,<br />

dass sie zur Umsetzung der hohen Ansprüche<br />

des Konzeptes „Zukunftschance Kinder - Bildung<br />

von Anfang an“ dringend bessere Rahmenbedingungen<br />

brauchen“, so Boehlkau bei der Übergabe der Unterschriften.<br />

In einem ersten Schritt für bessere Rahmenbedingungen<br />

legt die <strong>GEW</strong> dabei den Fokus auf die Leitungskräfte in<br />

den Kindertagesstätten. Die Gewerkschaft fordert geregelte<br />

und garantierte Zeitressourcen für Leitungstätigkeiten<br />

in diesen Einr<strong>ich</strong>tungen und will, dass die Personalschlüssel<br />

entsprechend erhöht werden.<br />

„Nur so kann landesweit gewährleistet werden, dass<br />

• Leitungskräfte mit ihrer Tätigkeit den hohen Ansprüchen<br />

an eine professionelle Kindertagesstättenarbeit<br />

gerecht werden und<br />

• die pädagogische Arbeit in den Gruppen sowie die<br />

Angebote zur individuellen Förderung der Kinder<br />

wunschgemäß stattfinden können“, stellte der <strong>GEW</strong>-<br />

Vorsitzende fest.<br />

Die zurzeit geltende Beliebigkeit bei der Personalbemessung<br />

bezügl<strong>ich</strong> Stunden für Leitungstätigkeit müsse durch<br />

eine verbindl<strong>ich</strong>e landesweite Regelung ersetzt werden, die<br />

eine Erhöhung der Personalschlüssel für Leitungstätigkeiten<br />

in Kindertagestätten um eine viertel Stelle je Gruppe<br />

vorsieht, so die Vorstellung der <strong>GEW</strong>.<br />

Größenordnungen zur Stundenbemessung für Leitungstätigkeiten,<br />

wie sie aus einem sogenannten Controlling-<br />

Papier, das im Jahr 2000 entwickelt worden ist, immer<br />

wieder zitiert werden, erteilt die <strong>GEW</strong> eine klare Absage.<br />

Viele zeitnahe Entwicklungen und Bedingungen in den<br />

Kindertagesstätten seien in dieser Vereinbarung n<strong>ich</strong>t<br />

berücks<strong>ich</strong>tigt, sodass das Papier als Grundlage zur Stundenbemessung<br />

für Leitungstätigkeiten n<strong>ich</strong>t ausre<strong>ich</strong>t.<br />

Boehlkau dazu: „Die Anforderungen an eine professionelle<br />

Leitungstätigkeit in Kindertagesstätten haben s<strong>ich</strong><br />

in den vergangenen Jahren außerordentl<strong>ich</strong> erhöht. Die<br />

Kindertagestätten erweitern ständig ihre Öffnungszeiten<br />

und nehmen immer mehr Kinder unter drei Jahren auf.<br />

Die Bildungsarbeit in den Kindertagesstätten wird regelmäßig<br />

weiterentwickelt. Es kommen Bildungsinhalte wie<br />

beispielsweise mathematische und naturwissenschaftl<strong>ich</strong>e<br />

Bildung neu hinzu. Andere Bere<strong>ich</strong>e wie Sprachförderung<br />

oder die Zusammenarbeit mit den Grundschulen<br />

werden ausgebaut. Zudem werden heute die Lern- und<br />

Entwicklungsschritte aller Kinder dokumentiert. Dies<br />

alles sind fachl<strong>ich</strong> anspruchsvolle und zeitintensive Aufgaben,<br />

für die die Leitung einer Einr<strong>ich</strong>tung besondere<br />

Verantwortung trägt.“<br />

„Wir wollen n<strong>ich</strong>t zusehen“, so Boehlkau weiter, „wie<br />

das wirkl<strong>ich</strong> gute inhaltl<strong>ich</strong>e Konzept ´Zukunftschance<br />

Kinder - Bildung von Anfang an` daran scheitert, dass die<br />

Bedingungen in den Einr<strong>ich</strong>tungen n<strong>ich</strong>t den Ansprüchen<br />

an die pädagogische Arbeit angepasst werden.“<br />

Die Forderungen der <strong>GEW</strong> kosteten zusätzl<strong>ich</strong>es Geld. Es<br />

sei aber feste Überzeugung der <strong>GEW</strong>, dass ein verbessertes<br />

Bildungswesen ohne deutl<strong>ich</strong>e zusätzl<strong>ich</strong>e Investitionen<br />

n<strong>ich</strong>t zu haben sei, erläuterte Boehlkau abschließend.<br />

Reiß: Leitung von Kindertagesstätten ist<br />

w<strong>ich</strong>tige Aufgabe und wird gefördert<br />

Eine Umfrage über den landesweiten tatsächl<strong>ich</strong>en<br />

Umfang der Leitungsfreistellung in den rund 2.500<br />

Kindertagesstätten landesweit soll klären, inwieweit die<br />

im Jahr 2000 von einer Arbeitsgruppe der katholischen<br />

Bistümer, der evangelischen Landeskirchen, des Städtetags<br />

und des Landkreistags erarbeitete Vereinbarung zur<br />

Freistellung für Leitungsaufgaben in Kindertagesstätten<br />

aktuell umgesetzt ist. Das kündigte Bildungs- und Jugendstaatssekretärin<br />

Vera Reiß anlässl<strong>ich</strong> der Übergabe<br />

der Unterschriftenliste für eine verstärkte Freistellung für<br />

4<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


SOZIALPÄDAGOGIK<br />

die Leitung von Kindertagesstätten durch die <strong>GEW</strong> an.<br />

Die Staatssekretärin unterstr<strong>ich</strong>: „Das Land fördert die<br />

Freistellung für Leitungsaufgaben in Kindertagesstätten,<br />

wenn die Träger dies wünschen und die kommunalen<br />

Jugendämter der Einsetzung von zusätzl<strong>ich</strong>em Erziehungspersonal<br />

zustimmen. Die Leitung von Kindertagesstätten<br />

ist aus S<strong>ich</strong>t der Landesregierung eine sehr<br />

w<strong>ich</strong>tige und verantwortungsvolle Aufgabe.“ Regelungen<br />

im Kindertagesstättengesetz und in der entsprechenden<br />

Durchführungsverordnung s<strong>ich</strong>erten daher den Trägern<br />

von Kindertagesstätten eine Landesförderung für zusätzl<strong>ich</strong><br />

eingestelltes Personal auch für Leitungsaufgaben.<br />

Maßstab für die Entscheidungen der Jugendämter und<br />

die Anerkennung von Zusatzpersonal durch das Landesjugendamt<br />

sei die im Jahr 2000 erarbeitete Vereinbarung<br />

der Träger von Kindertagesstätten und der Träger der<br />

Kinder- und Jugendhilfe, die für Leitungsaufgaben eine<br />

Basisanrechnung von sechs Wochenstunden (für Kindertagesstätten<br />

mit einer Gruppe) und von jeweils drei<br />

Stunden für jede weitere Gruppe festgeschrieben habe.<br />

„Es gibt allerdings keine verlässl<strong>ich</strong>en Daten darüber, in<br />

welchem Umfang diese Vereinbarung tatsächl<strong>ich</strong> umgesetzt<br />

ist“, sagte Vera Reiß.<br />

Dass in Kindertagesstätten die Entlastung für Leitungsaufgaben<br />

häufiger als unzure<strong>ich</strong>end empfunden werde, sei<br />

bekannt und werde auch durch die jetzige <strong>GEW</strong>-Aktion<br />

nochmals deutl<strong>ich</strong>, so die Bildungs- und Jugendstaatssekretärin.<br />

„Wir wollen mit der flächendeckenden Abfrage<br />

nun aber objektive und aktuelle Daten erheben. Die<br />

Abfrage und deren Ergebnisse fließen selbstverständl<strong>ich</strong><br />

in die Spitzengespräche mit Trägern und Kommunen<br />

über Verbesserungen bei der Umsetzung der Vereinbarung<br />

ein.“<br />

pms<br />

LANDESWEITE WARNSTREIKS IN DEN KINDERTAGESSTÄTTEN<br />

In vielen kommunalen Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz<br />

wurde am 20. Februar n<strong>ich</strong>t gearbeitet. Hunderte Erzieherinnen<br />

und Erzieher im ganzen Land sind dem Aufruf der <strong>GEW</strong><br />

gefolgt und nahmen an den Warnstreiks im öffentl<strong>ich</strong>en<br />

Dienst teil.<br />

Nachdem in der vorhergehenden Woche auch die dritte<br />

Runde der Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des<br />

Bundes und der Kommunen ohne Ergebnis geblieben<br />

waren, haben die Gewerkschaften des öffentl<strong>ich</strong>en Dienstes<br />

zu Warnstreiks in den Kindertagesstätten aufgerufen,<br />

um den Forderungen nach 8 Prozent Gehaltserhöhung,<br />

mindestens aber 200 Euro mehr, bei einer tarifl<strong>ich</strong>en<br />

Laufzeit von einem Jahr für die Beschäftigten Nachdruck<br />

zu verleihen.<br />

In einigen Städten und Gemeinden, z.B. in Wittl<strong>ich</strong><br />

und Wörrstadt, wurden die Kindertagesstätten komplett<br />

oder überwiegend bestreikt, zum Teil wurden Notdienste<br />

einger<strong>ich</strong>tet. Rund 400 Erzieherinnen und Erzieher sind<br />

mit von der <strong>GEW</strong> organisierten Bussen oder privat nach<br />

Mainz angereist und haben s<strong>ich</strong> im Streikbüro der <strong>GEW</strong><br />

im DGB-Haus in der Kaiserstraße in die Streiklisten<br />

eingetragen.<br />

Bund und Kommunen haben 4 Prozent Tabellenlohnerhöhung<br />

und 1 Prozent Erhöhung des Leistungsentgelts<br />

angeboten, aber gestreckt und in mehreren Schritten<br />

über 24 Monate, sowie die Erhöhung der Arbeitszeit von<br />

derzeit 38,5 auf 40 Wochenstunden.<br />

„Die Beschäftigten sollen bei dem so genannten Arbeitgeberangebot<br />

noch drauflegen. Die geforderte Erhöhung<br />

der Arbeitszeit frisst die angebotene Lohnerhöhung mehr<br />

als auf“, erklärte Ilse Schaad, im <strong>GEW</strong>-Hauptvorstand für<br />

Tarifpolitik zuständiges Mitglied des Geschäftsführenden<br />

Vorstands, auf der Kundgebung der <strong>GEW</strong> im DGB-Haus.<br />

Die Stimmung bei den Erzieherinnen sei gereizt. Die<br />

Beschäftigten erwarteten spürbare Lohnzuwächse und<br />

lehnten das Arbeitgeberangebot als Zumutung ab. Die<br />

qualifizierte Arbeit der Erzieherinnen sei mehr wert, als<br />

die Arbeitgeber bisher zahlen. Auch die Eingruppierung<br />

neu eingestellter Erzieherinnen und Erzieher spiele in der<br />

laufenden Tarifrunde eine Rolle. Anschließend zogen die<br />

Streikenden in einem Demonstrationszug vom DGB-<br />

Haus zum Deutschhausplatz, dem Sitz des Kommunalen<br />

Arbeitgeberverbandes Rheinland-Pfalz, wo sie an einer<br />

Kundgebung mit der Gewerkschaft ver.di teilnahmen.<br />

pm<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

5


BILDUNGSPOLITIK<br />

LÄNGER GEMEINSAM LERNEN<br />

Das <strong>GEW</strong>-Jahresthema 2007 „Gemeinsam länger lernen<br />

- eine Schule für alle“ fand Ende vergangenen<br />

Jahres seinen Höhepunkt und seine Zusammenfassung<br />

im Heinr<strong>ich</strong> Pesch Haus in Ludwigshafen.<br />

Noch immer dominiere in Deutschland die Abschiebe-<br />

statt die Förderkultur, stellte der rheinland-pfälzische<br />

<strong>GEW</strong>-Vorsitzende Tilman Boehlkau in seiner<br />

Begrüßungsrede fest. „Wir machen die Kinder schulgerecht,<br />

n<strong>ich</strong>t die Schule kindgerecht und pressen<br />

Kinder nach wie vor in Schulschubladen.“ Es gebe 18<br />

Länder weltweit, in denen die Kinder schon sehr früh<br />

aufgeteilt werden: „16 davon liegen in Deutschland.“<br />

Die zahlre<strong>ich</strong>en Veranstaltungen zum <strong>GEW</strong>-Jahres-<br />

thema im Land hätten viele Impulse für ein längeres<br />

gemeinsames Lernen gebracht. Jetzt gelte es, die individuelle<br />

Förderung eines jeden Kindes mit modernen<br />

Lehr- und Lernmethoden zu verbinden.<br />

Hins<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong> der Pläne zu einer veränderten Schulstruktur<br />

aus dem Bildungsministerium in Mainz bleiben<br />

nach Boehlkau eine Menge Fragen offen, z.B.:<br />

Wie wird die Lehrerausbildung dem neuen System<br />

angepasst? Was passiert mit den fragwürdigen Empfehlungen<br />

nach der 4. Klasse? Wie groß ist die<br />

Durchlässigkeit nach der Klasse 6?<br />

Gerade wegen der halbherzigen Reform aus Mainz,<br />

so Boehlkau, behalte die <strong>GEW</strong> ihr Hauptziel fest im<br />

Auge: Gemeinsam länger lernen in einer Schule für<br />

alle Kinder.<br />

psw<br />

WAS WIR VON ANDEREN LÄNDERN LERNEN KÖNNEN<br />

Fachvortrag von Renate Hendricks<br />

In ihrem Fachvortrag bei der bildungspolitischen Konferenz der<br />

<strong>GEW</strong> ließ die langjährige Schulelternbeiratsvorsitzende und<br />

heutige SPD-Landtagsabgeordnete in NRW, Renate Hendricks,<br />

erfolgre<strong>ich</strong>e Schulen aus aller Welt Revue passieren.<br />

„Es fasziniert m<strong>ich</strong>, wie man dort mit Kindern umgeht. Man<br />

schätzt sie um ihrer selbst willen. Jedes Kind ist willkommen,<br />

keines stört.“ Dies gelte auch für manche deutsche Schule, denn<br />

n<strong>ich</strong>t alle deutschen Schulen seien schlecht, z.B. die Bodenseeschule<br />

in Friedr<strong>ich</strong>shafen, eine katholische Privatschule. Jahrgangsklassen<br />

und 45-Minuten-Stunden gibt es dort n<strong>ich</strong>t, dafür viel freie<br />

Stillarbeit und vernetzten Unterr<strong>ich</strong>t, der die Grenzen der Fächer<br />

überschreitet. Tests machen die Kinder erst, wenn sie s<strong>ich</strong> fit fühlen,<br />

der Unterr<strong>ich</strong>t wird individualisiert. Der Lehrer ist Lernbegleiter<br />

und n<strong>ich</strong>t einer, der Wissen in Kinderköpfe füllt.<br />

Ein anderes Beispiel: die Max-Brauer-Schule in Hamburg, eine<br />

staatl<strong>ich</strong>e Gesamtschule mit 1200 Kindern aus 30 Nationen. Hier<br />

finden s<strong>ich</strong> alle Jahrgänge von der Vorschule bis zum Abitur, für<br />

Hendricks „Vielfalt als Re<strong>ich</strong>tum“. Für sie ist das Dilemma an<br />

unseren Schulen: „Was Lehrerinnen und Lehrer gelernt haben,<br />

können sie n<strong>ich</strong>t anwenden, denn die Kinder, für die sie ausgebildet<br />

wurden, gibt es n<strong>ich</strong>t“. Den Satz „Ihr Kind passt n<strong>ich</strong>t hierher“<br />

bekommen Eltern in Hamburg n<strong>ich</strong>t zu hören. Die Fiktion von<br />

der homogenen Gruppe ist für Hendricks das „Grundübel unseres<br />

Systems“. Die angebl<strong>ich</strong> überforderten Kinder würden einfach<br />

nach unten weitergere<strong>ich</strong>t“. In einem integrativen System dagegen<br />

bleibe der Schule gar n<strong>ich</strong>ts anderes übrig, als eine Lösung für<br />

jeden noch so schwierigen Fall zu finden - in anderen Ländern<br />

selbstverständl<strong>ich</strong>.<br />

FINNLAND: ZUWENDUNG FÜR JEDES EINZELNE<br />

KIND<br />

In Deutschland, so Hendricks, öffneten wir mit jeder Schulform<br />

eine neue Begabungsschublade, und die Hauptaufgabe in der vierten<br />

Klasse sei es, herauszufinden, welches Kind in welche Schublade<br />

passe. Wie halten es andere Länder mit der Schulstruktur? „Sämtl<strong>ich</strong>e<br />

PISA-Sieger trennen ihre Schüler sehr viel später. In Finnland,<br />

Japan oder Kanada müssen s<strong>ich</strong> die Lehrer deshalb stärker jedem<br />

ENTTÄUSCHUNG ÜBER EINE<br />

NICHT-REFORM<br />

Umfrage von Paul Schwarz bei der<br />

bildungspolitischen Konferenz<br />

„In spätestens fünf Jahren werden wir Bilanz ziehen, dass die Realschule<br />

plus das gle<strong>ich</strong>e Schicksal erleiden wird wie die Regionale Schule.<br />

Der Druck auf das Gymnasium wird zunehmen, immer mehr Eltern<br />

werden ihre Kinder auf dem Gymnasium anmelden. Die Gymnasien<br />

müssen s<strong>ich</strong> weiterentwickeln. Es kann n<strong>ich</strong>t sein, dass nach der 5.<br />

oder 6. Klasse viele Schüler abgeschult werden, weil die gymnasialen<br />

Klassen überfüllt sind und die Lehrkräfte den Kindern bezügl<strong>ich</strong> der<br />

individuellen Förderung n<strong>ich</strong>t gerecht werden können. Ich hätte mir aus<br />

Mainz einen flächendeckenden Ausbau der Integrierten Gesamtschule<br />

gewünscht mit einer gymnasialen Oberstufe. Ich habe mir von einer<br />

SPD-Regierung, die so gerne das Wort von der Chancengle<strong>ich</strong>heit im<br />

Munde führt, mehr erwartet als diese Halbherzigkeit.“<br />

Christine, Hauptschullehrerin<br />

„Als Form wird die Hauptschule abgeschafft, als Bildungsgang bleibt<br />

sie erhalten. Eine Mogelpackung. Mehr Mut, Frau Ahnen, denn die<br />

Probleme liegen n<strong>ich</strong>t im Vorschulbere<strong>ich</strong> und n<strong>ich</strong>t in der Oberstufe,<br />

sondern in der Sekundarstufe I, und hier wird alles so gelassen, wie es ist.<br />

Es ist schon traurig, was aus der SPD-Bildungspolitik geworden ist.“<br />

Rudolf, Hauptschullehrer<br />

„Wir brauchen das längere gemeinsame Lernen, wie es uns die erfolgre<strong>ich</strong>en<br />

PISA-Länder vormachen. In Rheinland-Pfalz laufen die<br />

6<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


BILDUNGSPOLITIK<br />

einzelnen widmen. Sogar in den Niederlanden mit seinem gegliederten<br />

Schulwesen gehen die meisten Schüler acht Jahre lang<br />

gemeinsam in eine Klasse.“<br />

Was die Tiere fressen, ist das Thema in diesem Biologieunterr<strong>ich</strong>t der<br />

2. Klasse in der finnischen Grundschule in Espoo.<br />

Schulen halten ihre Prüfungen zur selben Zeit. Noten gibt es ab<br />

Klasse 6. Sitzen bleiben kann man n<strong>ich</strong>t, allenfalls einzelne Kurse<br />

wiederholen, wenn das Ergebnis zu schlecht war. Das Geheimnis<br />

des finnischen Erfolgs, meint Hendricks, sei die Zuwendung, die<br />

jedes Kind von Lehrerinnen und Lehrern erfährt, aber auch von den<br />

anderen Menschen, die an der Schule arbeiten: Sonderpädagogen<br />

und Gesundheitsfürsorger, Schulassistenten und Stundenlehrer.<br />

KANADA: SCHÜLER INDIVIDUELL WAHRNEH-<br />

MEN<br />

Kanada lag bei PISA erneut weit vorn. Warum sind kanadische<br />

Schulen so erfolgre<strong>ich</strong>? Drei der Kinder von Renate Hendricks<br />

haben jeweils ein halbes Jahr lang eine kanadische Schule besucht.<br />

Allen kanadischen Schulen, so ihr Fazit, ist eines gemeinsam: der<br />

Schüler ist als Person w<strong>ich</strong>tig. Alle Schüler werden individuell<br />

wahrgenommen, Lehrer sind Unterstützer und Begleiter, n<strong>ich</strong>t<br />

Stoff- oder Wissensvermittler. Kanada ist genau wie Deutschland<br />

ein föderaler Staat, in dem jede Provinz ihr eigenes Bildungsministerium<br />

hat. Der entscheidende Unterschied zu Deutschland liegt in<br />

der Struktur: Kanadas Schulen sind Gesamtschulen. Sechs bis acht<br />

Jahr dauert die Grundschule, dann folgen drei Jahre Junior High<br />

School, die zwei Zweige haben. Der eine führt zum Studium, der<br />

In Finnland, ber<strong>ich</strong>tet Hendricks, beträgt die Schulpfl<strong>ich</strong>t neun<br />

Jahre, für Kinder mit großen Lernproblemen sind es elf, „anders<br />

als bei uns, wo die Schwächsten die kürzeste Ausbildung haben“.<br />

In den siebziger Jahren sahen s<strong>ich</strong> die Finnen viele Schulen an. Sie<br />

übernahmen schließl<strong>ich</strong> das System der DDR, das in der deutschen<br />

Strukturdebatte gern als „sozialistische Einheitsschule“ beschimpft<br />

wird. In Finnland betreuen Kindertagesstätten die Kinder ab dem<br />

ersten Lebensjahr. In die Vorschule gehen 98 Prozent aller Kinder,<br />

obwohl sie freiwillig ist, und die Hälfte lernt dort Lesen und<br />

Rechnen. Mit sieben Jahren kommen die Kinder in die neunjährige<br />

Gemeinschaftsschule und gehen anschließend auf ein Gymnasium<br />

oder eine Berufsschule. Die gymnasiale Oberstufe führt in zwei, drei<br />

oder vier Jahren zum Abitur, Prüfungen kann man wiederholen, um<br />

die Noten zu verbessern. Ab der 7. Klasse haben die Jugendl<strong>ich</strong>en<br />

regelmäßige Beratungsgespräche, weil sie selbst über ihre Schullaufbahn<br />

entscheiden. Die finnischen Schulen sind sehr selbstständig.<br />

Kerncurricula und Stundentafeln legt die Zentralbehörde für Unterr<strong>ich</strong>tswesen<br />

fest, Lehrpläne entwickeln die Schulen selbst. Alle<br />

Japans Lehrerzimmer sind keine Tabuzonen für Schüler. Jederzeit und<br />

überall sind die Lehrer ansprechbar. Kleine und hellhörige Wohnungen<br />

zwingen dazu, s<strong>ich</strong> in der Schule vorzubereiten und zu korrigieren.<br />

Jeder Lehrer hat einen Arbeitsplatz.<br />

Schularten nebeneinander her, von einer Integration sind wir weit<br />

entfernt.“<br />

Brigitte, Hauptschullehrerin<br />

„Wir kooperieren mit einer Realschule, warum machen wir daraus<br />

keine Integrierte Gesamtschule mit einer gymnasialen Oberstufe?<br />

Ich bin eine Verfechterin des integrierten Systems und des längeren<br />

gemeinsamen Lernens. Jetzt wird die Ausgrenzung der Hauptschüler<br />

noch schlimmer und die Durchlässigkeit nach unten noch stärker. Der<br />

Notendurchschnitt wird bei drei liegen und bedeutet für alle, die ihn<br />

n<strong>ich</strong>t schaffen, eine noch größere Ausgrenzung.“<br />

Gisela, Hauptschullehrerin<br />

„Es ist ein r<strong>ich</strong>tiger Schritt in die r<strong>ich</strong>tige R<strong>ich</strong>tung, aber er geht n<strong>ich</strong>t<br />

weit genug. Noch immer gibt es eine Zweigliedrigkeit. Wir aber wollen<br />

die Mehrgliedrigkeit abschaffen. Denn sie erschwert die Chancengle<strong>ich</strong>heit,<br />

es ist immer noch entscheidend, aus welchem Elternhaus man<br />

kommt, ob re<strong>ich</strong> oder arm.“<br />

Jana vom Vorstand der Landesschülervertretung.<br />

„Kenne nur die Schlagzeilen aus der Presse: Hauptschule wird abgeschafft.<br />

Der Grund, weshalb <strong>ich</strong> hier bin, ist, Hintergrundinformationen<br />

zu bekommen. Ich persönl<strong>ich</strong> bin gegen dieses gegliederte Schulsystem<br />

und habe mein Kind bewusst in der Gesamtschule angemeldet. Als Lehrerin<br />

er<strong>lebe</strong> <strong>ich</strong> die Nachteile des gegliederten Systems. Ich habe eine Klasse<br />

mit zahlre<strong>ich</strong>en Migrantenkindern, die z.T. sehr intelligent sind, die<br />

z.B. in Mathe ohne weiteres in das Gymnasium gehen könnten, die <strong>ich</strong><br />

aber aufgrund der sprachl<strong>ich</strong>en Schwäche n<strong>ich</strong>t dafür empfehlen kann.<br />

Die frühe Selektion nach der 4. Klasse fällt mir immer schwerer.“<br />

Stefanie, Grundschullehrerin<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

7


BILDUNGSPOLITIK<br />

andere zu einer technischen Fachschule oder direkt ins Berufs<strong>lebe</strong>n.<br />

Sitzen bleiben gibt es n<strong>ich</strong>t. Schwache Schüler werden versetzt<br />

und zusätzl<strong>ich</strong> gefördert. Jede Provinz evaluiert ihre Schulen mit<br />

regelmäßigen Tests.<br />

HOLLAND: WICHTIG IST DAS EIGEN-<br />

VERANTWORTLICHE LERNEN<br />

Das holländische Schulsystem ähnelt dem deutschen. Es gibt eine<br />

Grundschule und drei Sorten weiterführender Schulen. Der Unterschied<br />

liegt wohl im Wie: In der Ganztagsschule, in der durchgängig<br />

selbstständigen Schule, in der Zielorientiertheit und in der Kontrolle<br />

des Systems. In den Niederlanden kommen Kinder schon mit vier<br />

Jahren in die Vor-, mit fünf in die Grundschule. Diese besuchen sie<br />

bis zum 12. Lebensjahr, Der berufsvorbereitende Unterr<strong>ich</strong>t ist mit<br />

der deutschen Hauptschule zu vergle<strong>ich</strong>en. Der allgemein bildende<br />

Unterr<strong>ich</strong>t der Sekundarstufe bereitet ebenfalls auf den Beruf vor,<br />

führt aber nach Jahrgangsstufe 11 auch zum Studium an einer<br />

Fach(hoch)schule, ähnl<strong>ich</strong> der deutschen Realschule. W<strong>ich</strong>tig ist<br />

das eigenverantwortl<strong>ich</strong>e Lernen. Ein Dekan hilft den Jugendl<strong>ich</strong>en<br />

mit Tests, Informationen und persönl<strong>ich</strong>er Begleitung bei der Wahl<br />

des Profils und damit des Berufsziels, Beim vorwissenschaftl<strong>ich</strong>en<br />

Unterr<strong>ich</strong>t - er entspr<strong>ich</strong>t dem deutschen Gymnasium - erwerben<br />

die Schüler nach Klasse 12 die Zulassung zum Studium. Die Universitäten<br />

melden den Schulen die Fortschritte der Studenten, so<br />

dass die Schulen Rückschlüsse auf ihren Unterr<strong>ich</strong>t ziehen können.<br />

Vom Staat bestellte Inspekteure überprüfen regelmäßig alle Einr<strong>ich</strong>tungen.<br />

Sie sprechen mit LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern,<br />

besuchen den Unterr<strong>ich</strong>t, testen Lehrstoff, didaktische Konzepte,<br />

Eigenverantwortung der Schülerschaft, Schulklima. Das Ergebnis<br />

wird veröffentl<strong>ich</strong>t.<br />

SÜDTIROL: KEINE ABSCHIEBUNG IN ANDERE<br />

SCHULFORMEN<br />

Südtirol lag bei PISA in der Spitzengruppe, weit vor Deutschland.<br />

Bis zum Abschluss der 8. Klasse lernen alle Kinder gemeinsam. Jede<br />

Schule ist für den Bildungserfolg ihrer Schüler verantwortl<strong>ich</strong>. Sie<br />

kann sie n<strong>ich</strong>t an eine andere Schulform abschieben. Die Schule<br />

versteht s<strong>ich</strong> als Schule für alle und integriert sowohl Kinder mit<br />

Behinderungen als auch Kinder aus anderen Ländern und Kulturen.<br />

Die Schulen entscheiden selbstverantwortl<strong>ich</strong> über Didaktik,<br />

Organisation, Verwaltung und Finanzen, außer beim Personal. Die<br />

Schulen überprüfen s<strong>ich</strong> regelmäßig durch Selbstevaluation. Jedes<br />

Kind und jeder Jugendl<strong>ich</strong>e wird seinen Fähigkeiten entsprechend<br />

gefordert und gefördert, alle erhalten individuelle Lernpläne und<br />

eine individuelle Bewertung. Wer Schwächen hat, wird gefördert,<br />

unterstützt und begleitet. Alle Schüler haben einen Lernberater oder<br />

eine Lernberaterin. Auch in Südtirol lernen die Kinder also sehr<br />

lange gemeinsam, Heterogenität gilt als Vorteil und Chance.<br />

DEUTSCHLAND: EINE STÄNDE- UND<br />

BEGABUNGSGESELLSCHAFT<br />

Und wie sieht es in Deutschland aus? Zwar werden, meint Renate<br />

Hendricks, Kinder heute n<strong>ich</strong>t mehr in einen Stand fürs Leben<br />

hineingeboren, „doch die Schule hat denselben Effekt. Statt des<br />

Ständestaats aus dem 19. Jahrhundert haben wir die Begabungsgesellschaft“.<br />

Eingeteilt werde nach wie vor, nur n<strong>ich</strong>t mehr in Arbeiter,<br />

Bauern- oder Bürgerkind, sondern in kognitiv begabt, normal<br />

begabt und praktisch begabt. Wie falsch diese Begabungstheorie sei,<br />

belege PISA. Die Studien zeigten, dass in allen Schulformen Kinder<br />

aller Begabungs- und Leistungsspektren sitzen. „Es ist schl<strong>ich</strong>t<br />

n<strong>ich</strong>t mögl<strong>ich</strong>, bei Zehnjährigen die Entwicklung der Begabung<br />

zweifelsfrei auszusagen, sonst gäbe es n<strong>ich</strong>t so viele falsche Zuordnungen.“<br />

Es fänden s<strong>ich</strong> Leistungsstarke an der Hauptschule und<br />

Leistungsschwache am Gymnasium. Eines könne man allerdings<br />

zuverlässig sagen: Wie s<strong>ich</strong> ein Kind entwickelt, hänge auch von der<br />

Schulform ab. „Am besten fördert der Besuch des Gymnasiums, am<br />

wenigsten gut ist der Besuch der Hauptschule bzw. der Förderschule.“<br />

So komme es zu der absurden Situation, dass Zehnjährige mit<br />

gle<strong>ich</strong>en kognitiven Voraussetzungen in unterschiedl<strong>ich</strong>en Schulen<br />

unterschiedl<strong>ich</strong> viel lernten und zwei Jahre später in ihrer Leistung<br />

und Kompetenz um Welten auseinander lägen.<br />

Hendricks: „Dass wir Deutsche uns so sehr an die Hierarchie der<br />

Schulformen klammern, hat etwas mit der Verteilung von Chancen<br />

zu tun. Die bürgerl<strong>ich</strong>en Familien wollen dieses Verteilungssystem<br />

für ihre Kinder behalten, denn ihnen nützt es. Die unterschiedl<strong>ich</strong>e<br />

Kultur an den verschiedenen Schulformen dient der Abgrenzung.“<br />

Die bildungstheoretische Argumentation entspringe dem Wunsch<br />

maßgebl<strong>ich</strong>er gesellschaftl<strong>ich</strong>er Kräfte, ein Oben und ein Unten zu<br />

definieren, was die Ordnungsstruktur der Gesellschaft zementiere.<br />

Denjenigen, die s<strong>ich</strong> für das derzeitige Schulsystem stark machten,<br />

sei vermutl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t klar, dass viele Hauptschulabsolventen früher<br />

oder später auf Transferleistungen des Staates angewiesen seien.<br />

„Zuerst hörte <strong>ich</strong> im Radio davon, dass die Hauptschule abgeschafft<br />

werde. Hat m<strong>ich</strong> etwas gewundert, so etwas n<strong>ich</strong>t von meiner Schulleiterin<br />

zu hören, sondern aus dem Radio. Da stimmt ja auch n<strong>ich</strong>t die<br />

Kommunikation zwischen Bildungsministerium und den Lehrkräften.<br />

Ich bin grundsätzl<strong>ich</strong> dafür, dass die Kinder mindestens bis zum Ende<br />

der 6. Klasse <strong>zusammen</strong> bleiben. Auf die Lehrerinnen und Lehrer<br />

kommen gewaltige Herausforderungen zu, z.B. wie <strong>ich</strong> innerhalb einer<br />

Klasse differenziere, wenn <strong>ich</strong> drei Lerngruppen ab der 3. Klasse habe,<br />

oder wie <strong>ich</strong> mit Heterogenität umgehe? Ich werde den Verdacht n<strong>ich</strong>t<br />

los, dass die Reformüberlegungen auch mit finanziellen Gründen zu<br />

tun haben. Man will Geld sparen und nennt das Reform. Was wir<br />

unbedingt bräuchten, ist eine neue Lehrerausbildung, um beispielsweise<br />

differenziert arbeiten zu können oder um das Schlagwort von der „Individuellen<br />

Förderung“ praktisch umsetzen zu können.“<br />

Susanne, Grund- und Hauptschullehrerin<br />

„Eine vertane Chance. Die wissenschaftl<strong>ich</strong>en Untersuchungen und die<br />

erfolgre<strong>ich</strong>en PISA-Länder zeigen, dass wir jedes Kind brauchen und<br />

jedes Kind gefördert und gefordert werden muss. In einem gegliederten<br />

System, wie wir es auch in Rheinland-Pfalz nach wie vor haben, ist dies<br />

n<strong>ich</strong>t mögl<strong>ich</strong>. Hier wird nur ständig aussortiert und abgeschoben. Ich<br />

finde es traurig, dass diese SPD-Regierung, die die absolute Mehrheit<br />

hat, n<strong>ich</strong>t den Mut findet, einen w<strong>ich</strong>tigen Schritt in die R<strong>ich</strong>tung<br />

einer Schule für alle zu tun.“<br />

Angelika, Grundschullehrerin<br />

„Traurig, diese so genannte Reform aus Mainz. Es gibt weiterhin<br />

einen Bere<strong>ich</strong>, wo die Hoffnungslosen unter s<strong>ich</strong> bleiben. Die Mehrgliedrigkeit<br />

bleibt erhalten, und mit den ständigen Gründungen der<br />

Privatschulen öffnet s<strong>ich</strong> die Schere zwischen Arm und Re<strong>ich</strong> noch<br />

8<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


BILDUNGSPOLITIK<br />

„Und wer bezahlt diese? Die Kinder derjenigen, die s<strong>ich</strong> ans alte<br />

Schulsystem klammern.“ Hendricks erinnert daran, dass noch in<br />

den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts 80 Prozent eines<br />

Jahrgangs in Deutschland die Volksschule besucht hätten. „Lehrerinnen<br />

und Lehrer konnten mit heterogenen Gruppen umgehen.<br />

In Zwergschulen wurde gar jahrgangsübergreifend unterr<strong>ich</strong>tet.<br />

Warum wollen wir dies alles vergessen?“ Rainer Domisch von der<br />

finnischen Schulbehörde sagt: „Der Begriff der ‚Einheitsschule‘<br />

wird in Deutschland immer noch gezielt als ideologische Waffe<br />

eingesetzt gegen alles, was nach längerer gemeinsamer Lernzeit aussieht.<br />

Wer so argumentiert, verstellt s<strong>ich</strong> die S<strong>ich</strong>t für die Zukunft<br />

mit Ängsten aus der Vergangenheit. Diese S<strong>ich</strong>tweise hat absolut<br />

n<strong>ich</strong>ts mit der skandinavischen Schule für alle zu tun, in der kein<br />

Kind verloren gehen darf.“ Und Renate Hendricks ergänzte am<br />

Ende ihres Vortrags: „Demokratisch und sozial gerecht ist nur eine<br />

Schule für alle“. Deutschland brauche Schulen, in denen Kinder<br />

zehn Jahre gemeinsam lernen, n<strong>ich</strong>t beschämt werden, aus Fehlern<br />

lernen, den ganzen Tag verbringen, alles haben, was sie zum Lernen<br />

brauchen, selbstbestimmt lernen, mitbestimmen können, Unterstützung<br />

bekommen, so viel sie brauchen, s<strong>ich</strong> an anspruchsvollen<br />

Aufgaben bewähren können und die Freude am Lernen für ihr<br />

ganzes Leben behalten.<br />

Paul Schwarz<br />

Grafik: Jörg Pfeiffer<br />

BÜNDNISPARTNER FÜR MEHR CHANCENGLEICHHEIT<br />

UND INDIVIDUELLE FÖRDERUNG<br />

Die nachmittägl<strong>ich</strong>e Podiumsdiskussion bei der bildungspolitischen<br />

Konferenz versammelte die unterschiedl<strong>ich</strong>sten<br />

Bündnispartner der <strong>GEW</strong>, die s<strong>ich</strong><br />

dem Thema „Länger gemeinsam lernen - notwendige<br />

Voraussetzungen für Chancengle<strong>ich</strong>heit und individuelle<br />

Förderung“ stellten. Die Moderation der großen<br />

Runde mit zehn TeilnehmerInnen hatte Frieder<br />

Bechberger-Derscheidt.<br />

Renate Hendricks erhielt als Erste das Wort. Sie stellte fest, dass das<br />

zersplitterte deutsche Schulsystem keine optimale Förderung der<br />

Kinder ermögl<strong>ich</strong>e, und betonte, die Mehrheit der Bevölkerung<br />

in Nordrhein-Westfalen reklamiere eine gemeinsame Schulform.<br />

Sie verwies auf den hohen Prozentsatz von RisikoschülerInnen,<br />

deren Kompetenzen mit 15 Jahren in Lesen und Mathematik n<strong>ich</strong>t<br />

ausre<strong>ich</strong>ten, eine qualifizierte berufl<strong>ich</strong>e Ausbildung erfolgre<strong>ich</strong> zu<br />

durchlaufen. Diese Situation beze<strong>ich</strong>nete sie als einen „volkswirtschaftl<strong>ich</strong>en<br />

Wahnsinn“.<br />

Gabriele Weindel-Güdemann, Mitglied des rheinland-pfälzischen<br />

Landeselternbeirats, erklärte: „Wir brauchen längeres gemeinsames<br />

Lernen! …Das Selektieren bringt uns n<strong>ich</strong>t weiter.“ Mit Blick auf<br />

das Ende 2007 vorgestellte Schulentwicklungskonzept „Zweigliedrigkeit<br />

mit PLUS“ sieht sie viele Frageze<strong>ich</strong>en. Ganz pragmatisch<br />

empfahl sie jedoch: „Das Beste aus dem Modell machen und Punkte<br />

stützen, die wir bejahen.“<br />

Die Schülerin Bärbel Rösch, Mitglied der rheinland-pfälzischen<br />

Landesschülervertretung, kritisierte das jetzige vielgliedrige Schul-<br />

weiter, eine Entwicklung, die s<strong>ich</strong> unter Rot-Grün verstärkt hat. Ein<br />

Skandal! Und damit einher verstärkt s<strong>ich</strong> der Zusammenhang zwischen<br />

sozialer Herkunft und Bildungschancen. Was ist aus der Sozialdemokratie<br />

geworden?“<br />

Wolfgang, Regionale Schule<br />

„Die Reform in Rheinland-Pfalz ist sehr hasenherzig. So haben wir mit<br />

der Realschule plus (wer ist nur auf diesen blöden Namen gekommen?)<br />

eine weitere Schulart in Rheinland-Pfalz. Dieses Land hat die meisten<br />

Schularten in Deutschland. Für die Schülerinnen und Schüler ändert<br />

s<strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>ts.“<br />

Helmut, Hauptschullehrer<br />

Schule zu machen? Länger gemeinsam lernen in einer Schule für alle<br />

Kinder- das ist die Zukunft und n<strong>ich</strong>t die Realschule plus.“<br />

Klaus-Peter, Hauptschullehrer<br />

„Keine glückl<strong>ich</strong>e Entscheidung, weil damit dem Gymnasium noch<br />

mehr Schüler in die Arme getrieben werden. Die Schule in Rheinland-<br />

Pfalz wird n<strong>ich</strong>t weiterentwickelt, wie <strong>ich</strong> das erwartet habe.“<br />

Doris, Realschullehrerin<br />

„Ich fürchte, meine Hauptschulkollegen werden s<strong>ich</strong> als Lehrer 2. Klasse<br />

fühlen, wenn sie in der Realschule plus unterr<strong>ich</strong>ten.“<br />

Brigitte, Hauptschullehrerin<br />

„Die IGS ist in Rheinland-Pfalz eine erfolgre<strong>ich</strong>e Schule. Was hätte<br />

näher gelegen, als diese IGS mit gymnasialer Oberstufe zur Haupt-<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

9


BILDUNGSPOLITIK<br />

Leben nützl<strong>ich</strong> zubringen“ könnten. Die Realisierung dieses auch<br />

heute noch geltenden pädagogischen Grundsatzes forderte er für<br />

unsere Schulen ein. Enttäuscht musste er jedoch feststellen: „Zur<br />

Förderung jedes einzelnen Schülers fehlt in der Schule die Zeit.“ Er<br />

hob hervor; dass er mit der <strong>GEW</strong> „in Fragen der Chancengle<strong>ich</strong>heit“<br />

einig sei.<br />

Nils Wiechmann, Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, bekannte:<br />

„Ich bin ein leidenschaftl<strong>ich</strong>er Bündnispartner für eine Schule für<br />

alle.“ Dem neuen rheinland-pfälzischen Schulreformschritt konnte<br />

er n<strong>ich</strong>ts Positives abgewinnen. Für ihn bedeute er n<strong>ich</strong>ts anderes als<br />

eine „Zementierung des bisherigen Schulsystems“. Er verlangte ein<br />

längeres gemeinsames Lernen, mehr Selbstständigkeit für die einzelnen<br />

Schulen und eine bessere individuelle Förderung. Er merkte<br />

allerdings auch an, dass die IGS n<strong>ich</strong>t die r<strong>ich</strong>tige Schule für alle sein<br />

könne, da sie das dreigliedrige Schulsystem abbilden müsse.<br />

Die Podiumsteilnehmer: erste von links Renate Hendricks, vierte von<br />

links: Staatssekretärin Vera Reiss.<br />

system heftig: „Ich finde unser System n<strong>ich</strong>t begabungsgerecht: die<br />

reinpassen, haben Glück; die besser sind, erhalten viele Fördermaßnahmen;<br />

die schlechter sind, fallen unter den Tisch.“ Sie geißelte<br />

die „grausame Selektierungswut“ und forderte eine Schule für alle;<br />

eine Schule, die niemand Schaden zufüge und allen die gle<strong>ich</strong>en<br />

Chancen gewähre.<br />

Dr. Dirk Hannowsky von der Landesvereinigung rheinland-pfälzischer<br />

Unternehmerverbände stellte deutl<strong>ich</strong> heraus, welchen<br />

Bedarf an jungen Leuten die Unternehmen haben. Sie brauchten<br />

Heranwachsende, die qualifizierte Abschlüsse vorwiesen, die in der<br />

Lage seien, selbstständig zu denken und zu handeln, die über eine<br />

entwickelte Sozialkompetenz verfügten, s<strong>ich</strong> auf neue Rahmenbedingungen<br />

einstellen und neuen Gegebenheiten anpassen könnten.<br />

Diesem Bedarf hätten die Schulen entgegenzukommen. Folger<strong>ich</strong>tig<br />

formulierte er als zentrale Frage. „Welche Rahmenbedingungen in<br />

den Schulen können das?“ Als Kriterium der Beurteilung des Schulund<br />

Bildungssystems nannte er den Ausspruch des Ex-Bundeskanzlers<br />

Helmut Kohl: „W<strong>ich</strong>tig ist, was hinten rauskommt.“ Damit<br />

kennze<strong>ich</strong>nete er eine streng outputorientierte Schulperspektive<br />

der Wirtschaft.<br />

Bernhard Nacke, Leiter des Katholischen Büros in Mainz, gab an,<br />

dass zur Zeit in Rheinland-Pfalz 75 Schulen in katholischer Trägerschaft<br />

arbeiteten. Mit Blick auf das längere gemeinsame Lernen<br />

verwies er auf die zahlre<strong>ich</strong>en integrierten Orientierungsstufen<br />

an diesen Schulen. Zur einen Schule für alle gäbe es noch keine<br />

eindeutige Position, meinte er und stellte fest, dass auch in der<br />

Dreigliedrigkeit gute Arbeit geleistet werden könne. Das neue Schulentwicklungskonzept<br />

bewertete er als Versuch der Landesregierung,<br />

den unterschiedl<strong>ich</strong>en ein- und mehrgliedrigen Schulkonzepten<br />

irgendwie gerecht zu werden. Er erklärte: „Vielle<strong>ich</strong>t ist das, was<br />

die Landesregierung macht, ein Mittelweg.“<br />

Helmut Foth, evangelischer Pfarrer i.S. und Fachberater für Gymnasien,<br />

begann mit Zitaten aus Schriften des tschechischen Pädagogen<br />

Johann Amos Comenius, der im 17. Jahrhundert lebte und<br />

als Begründer der neuzeitl<strong>ich</strong>en Erziehungslehre gilt. Comenius<br />

forderte, die „Menschen alle so zu fördern, dass sie das gegenwärtige<br />

Vera Reiß, Staatssekretärin im MBWJK, betonte, ein ganz zentrales<br />

Anliegen der rheinland-pfälzischen Bildungspolitik sei es, den starken<br />

Zusammenhang von Schulleistungen und sozioökonomischem<br />

Hintergrund aufzubrechen. Sie stellte Maßnahmen heraus, die eine<br />

größere Chancengerechtigkeit zum Ziel haben: der Schwerpunkt<br />

„frühe Bildung“ in den Kindertagesstätten, die Err<strong>ich</strong>tung von<br />

Ganztagsschulen, das gebührenfreie Erststudium und das neue<br />

Konzept der Zweigliedrigkeit mit PLUS. Sie erklärte die beiden mögl<strong>ich</strong>en<br />

Ausprägungsformen der Realschule plus: einmal die integrativ<br />

arbeitenden Regionalen Schulen, zum anderen die kooperierenden<br />

Realschulen. Sie verwies auf das Projekt „Keiner ohne Abschluss“<br />

und auf die Mögl<strong>ich</strong>keit des Erwerbs der Fachhochschulreife auf<br />

einer Realschul-Oberstufe.<br />

Sybilla Hoffmann, stellvertretende <strong>GEW</strong> Landesvorsitzende, machte<br />

unmissverständl<strong>ich</strong> klar, dass die <strong>GEW</strong> eine Schule für alle fordere<br />

und dass die Zweigliedrigkeit kein Schritt in die r<strong>ich</strong>tige R<strong>ich</strong>tung<br />

sein könne. Als Gründe führte sie die fragwürdige Empfehlungspraxis<br />

der Grundschule, das Trennen der SchülerInnen in demselben<br />

Alter wie bisher, das Festhalten am bisherigen Begabungskonzept<br />

an. Sie bemängelte, dass die <strong>GEW</strong> n<strong>ich</strong>t in die Diskussion über die<br />

Weiterentwicklung der Schulstruktur eingebunden worden war.<br />

Die anschließende Diskussion kreiste hauptsächl<strong>ich</strong> um das neue<br />

rheinland-pfälzische Schulentwicklungskonzept „Zweigliedrigkeit<br />

mit PLUS“. Die vorherrschende Meinung war: N<strong>ich</strong>t mutig genug<br />

und zu kurz gesprungen. Ein Teilnehmer meinte: „Solange ein Lehrer<br />

sagen kann, du gehörst n<strong>ich</strong>t zu uns, ist das kein gutes System.“<br />

Gefordert wurde ein neues Denken, ein Denken, das Kinder mit<br />

allen Kräften integrieren und fördern, n<strong>ich</strong>t woanders hinschicken<br />

will. Abgelehnt wurde das verbreitete Begabungskonzept, das s<strong>ich</strong><br />

anmaßt, Kinder schon in frühen Jahren „begabungsgerecht“ in<br />

praktisch und intellektuell Begabte trennen zu können. Verbalisiert<br />

wurde aber auch die Empörung vieler RealschullehrerInnen, die das<br />

Modell des Zusammengehens von Hauptschule und Realschule<br />

ablehnen. Anges<strong>ich</strong>ts der harten Kritik schlug Vera Reiß vor, s<strong>ich</strong><br />

mit VertreterInnen der <strong>GEW</strong> <strong>zusammen</strong>zusetzen, damit sie das<br />

neue Schulentwicklungskonzept vollständig erläutern könne. Dieses<br />

Gesprächsangebot wird die <strong>GEW</strong> s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> annehmen, sofern sie<br />

n<strong>ich</strong>t nur als kopfnickende Zuhörerin, sondern als mitgestaltende<br />

Kraft gefragt ist.<br />

Gerlinde Schwarz<br />

10<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


SCHULEN<br />

ZAUBERTRICKS AUF DEM STUNDENPLAN<br />

Grundlage ist oft die Mathematik<br />

Möbiusband, Gedankenlesen und Metall durchdringen - Zauberer<br />

verblüffen Kinder und Erwachsene gle<strong>ich</strong>ermaßen mit<br />

ihren „magischen“ Fähigkeiten. Doch hinter den Tricks stecken<br />

fast immer naturwissenschaftl<strong>ich</strong>e Gesetze und Phänomene.<br />

Wer sie kennt, kann die Kunststücke schnell imitieren -<br />

und lernt den Schulstoff wie von selbst.<br />

Zaubertricks<br />

motivieren Kinder<br />

und fördern<br />

soziale Kompetenzen,<br />

fachl<strong>ich</strong>es<br />

Können<br />

und Kreativität.<br />

(c)MEV und<br />

Klett-Archiv<br />

Gebannt schauen die SchülerInnen einer Hamburger<br />

Schule auf die kleine Bühne des Schulfestes. Dort steht ihr<br />

Mitschüler Moritz im schwarzen Umhang und behauptet,<br />

er könnte einen Papierring so zerschneiden, dass zwei<br />

ineinander verschlungene Ringe entstehen. Und in der<br />

Tat gelingt der Zaubertrick.<br />

Wie hat Moritz das gemacht? Sein Mathematiklehrer<br />

Sven Korthaase kennt die Antwort. Was aussah wie ein<br />

Papierring, war in Wirkl<strong>ich</strong>keit ein Möbiusband. Ein<br />

Papierstreifen wird ein-, zweimal oder noch öfter gedreht,<br />

bevor der Ring geklebt wird. So entsteht eine so genannte<br />

n<strong>ich</strong>t orientierte Fläche mit nur einem Rand. Weil die<br />

beim Zerschneiden entstehenden Formen schwer vorherzusagen<br />

sind, wirkt der Trick wie Zauberei.<br />

Magie in der Schule<br />

Immer öfter stehen solche Zaubertricks auf dem Stundenplan.<br />

Ob im Mathematik- und Physikunterr<strong>ich</strong>t, ob<br />

in Kunst, Musik oder Deutsch, mit Zauberkunststücken<br />

können Kinder le<strong>ich</strong>t zum Lernen motiviert werden.<br />

Zaubersprüche und Kostüme, Bühnendekoration und<br />

Musik sind für eine Zaubershow ebenso w<strong>ich</strong>tig wie<br />

Fingerfertigkeit und schnelles Denken. Zauberprojekte<br />

treffen deshalb die Interessen aller Schüler einer Klasse<br />

und eignen s<strong>ich</strong> auch für den jahrgangsübergreifenden<br />

Unterr<strong>ich</strong>t.<br />

„Die dem Menschen innewohnende Neugierde wird<br />

durch ein Kunststück geweckt“, sagt Korthaase. Jeden<br />

Zaubertrick, den er seinen SchülerInnen neu vorführt,<br />

lässt er zunächst von ihnen selbstständig erarbeiten.<br />

„Die Schülerinnen und Schüler suchen nach mögl<strong>ich</strong>en<br />

Lösungen für die Tricks und entwickeln für s<strong>ich</strong> oder<br />

in der Gruppe Lösungsstrategien, die dann diskutiert,<br />

weiter entwickelt und verworfen werden“, erklärt Sven<br />

Korthaase. Ist der Trick erst einmal durchschaut und soll<br />

vor Publikum vorgeführt werden, müssen Zaubersprüche<br />

erfunden, Präsentationen erdacht und Requisiten<br />

gebastelt werden.<br />

Zauberhafte Rechen-Kunst<br />

Grundlage vieler Zaubertricks ist die Mathematik. Was<br />

zum Beispiel oft aussieht wie Hellseherei, ist in Wirkl<strong>ich</strong>keit<br />

schl<strong>ich</strong>tes Kopfrechnen. Ein Beispiel? Aus einem Kartenspiel<br />

wird eine Karte entnommen. Wie oft muss man<br />

das Spiel nun durchschauen, um herauszufinden, welche<br />

Karte fehlt? Sven Korthaase und seine „Zauber“schüler<br />

brauchen dazu nur eine Minute.<br />

Jeder Spielkarte wird ein Zahlenwert zugeordnet: Sieben<br />

(7), Acht (8), Neun (9), Zehn (0), Bube (2), Dame (3),<br />

König (4) und Ass (1). Alle Karten <strong>zusammen</strong> haben dann<br />

den Wert 136. Beim ersten Durchsehen rechnet der Zauberer<br />

die Werte der vorhandenen Karten <strong>zusammen</strong> und<br />

zieht die Zahl von 136 ab. Er weiß dann genau, welches<br />

Bild fehlt. Beim zweiten Durchsehen muss er nun nur<br />

noch schauen, welche Farbe die fehlende Karte hat - die<br />

anderen drei sind ja noch im Spiel vorhanden.<br />

Ein Trick, der viel Übung erfordert. „Wenn Schülerinnen<br />

und Schüler einen Trick sehen und nach einer Erklärung<br />

suchen, wird ihnen erst bewusst, dass auch die Vorführung<br />

der Kunststücke mit Arbeit verbunden ist“, erzählt<br />

Korthaase, „dass Kunststücke einstudiert und trainiert<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

11


SCHULEN<br />

müssen.“ Mit Zauberprojekten üben die Schüler deshalb<br />

auch das strukturierte und zielorientierte Arbeiten.<br />

Keine Spielerei<br />

Seit Jahren beschäftigt s<strong>ich</strong> Korthaase mit dem Zauberunterr<strong>ich</strong>t<br />

in der Schule, organisiert Projekte und setzt die<br />

Zaubertricks systematisch in den Mathematik-Stunden<br />

ein. Auf Tagungen und Kongressen hat er seine Erfahrungen<br />

an Kollegen weitergegeben und ein Arbeitsheft<br />

„Mathematik. Zaubertricks“ mit über 20 mathematischen<br />

Zaubertricks herausgegeben. Arbeitsblätter als Kopiervorlage<br />

helfen Schülern beim Erschließen der Tricks<br />

und leiten zum selbstständigen Arbeiten an. Denn wenn<br />

Zaubertricks gezielt eingesetzt werden, können sie langfristig<br />

den Lernerfolg der Schüler s<strong>ich</strong>ern, ist Korthaase<br />

überzeugt. Die Kunststücke fördern soziale Kompetenzen,<br />

fachl<strong>ich</strong>es Können und Kreativität. Und sie motivieren<br />

auch lernschwache Schüler. „Mit der Motivation der<br />

Schülerinnen und Schüler steht und fällt der Lernerfolg.<br />

Noch so viele verschiedene und gut ausgeklügelte Unterr<strong>ich</strong>tsmethoden<br />

können keinen Lernerfolg garantieren,<br />

wenn ein Schüler n<strong>ich</strong>t motiviert ist.“<br />

dg<br />

Aus: Klett-Themendienst<br />

Medientipp<br />

Mathematik. Zaubertricks<br />

Band 2: Das Heft aus der Reihe „spielend lernen“<br />

enthält 22 mathematische Zaubertricks, mit denen<br />

Schüler von Klasse 5 bis 10 auf fast magische Weise<br />

Geometrie, Strahlensätze oder Kopfrechnen üben.<br />

Mit Bildern und Grafiken wird jeder Trick ausführl<strong>ich</strong><br />

erklärt. 14 Arbeitsblätter als Kopiervorlage helfen bei<br />

der Unterr<strong>ich</strong>tsvorbereitung oder geben Ideen für<br />

Vertretungsstunden.<br />

Ernst Klett Verlag, Mathematik Zaubertricks (Band 2),<br />

ISBN 978-3-12-722863-2, Preis 9,50 Euro<br />

GLOBALISIERUNG IM KLASSENZIMMER<br />

Ob Amerika, China oder Australien - Auslandserfahrungen<br />

sind für viele deutsche SchülerInnen längst eine Selbstverständl<strong>ich</strong>keit.<br />

Dabei immer im Fokus: der Ausbau der Sprachkenntnisse,<br />

das Verständnis für andere Kulturen und die persönl<strong>ich</strong>e<br />

Weiterentwicklung. W<strong>ich</strong>tig ist darum eine gute Vorbereitung.<br />

Kopfgymnastik in der Pause - für die 23 Schüler des Stuttgarter<br />

Ferdinand-Porsche-Gymnasiums und ihre Lehrerin<br />

Sonja Schanz war das schon ungewöhnl<strong>ich</strong>. Für die rund<br />

4.000 Schüler ihrer Partnerschule in Peking dagegen ge-<br />

Luke in Panama: Neben dem Ausbau der Sprachkenntnisse steht zunehmend<br />

das Verständnis für andere Kulturen und die persönl<strong>ich</strong>e Weiterentwicklung im<br />

Vordergrund. Foto: AFS<br />

hörten die Massagen von Augen und Nacken zum Alltag.<br />

Das haben Schanz und ihre Schüler erfahren, als sie dort<br />

im September 2006 für drei Wochen zu Besuch waren.<br />

„Wir waren sehr nervös, ob wir alles r<strong>ich</strong>tig machen“,<br />

ber<strong>ich</strong>tet die Lehrerin. Die Regeln einzuhalten sei den<br />

Schülern dann auch n<strong>ich</strong>t immer le<strong>ich</strong>t gefallen.<br />

Der Besuch in der Partnerschule, die der Renmin- Universität<br />

in Peking angeschlossen ist, soll die Schüler<br />

motivieren, s<strong>ich</strong> mit dem Land, seiner Gesch<strong>ich</strong>te und<br />

wirtschafl<strong>ich</strong>en Entwicklung auseinanderzusetzen - und<br />

natürl<strong>ich</strong> Chinesisch zu lernen. Mit Erfolg: Eine Schülerin<br />

will Chinesisch studieren, ein anderer Schüler hat s<strong>ich</strong> für<br />

einen Zivildienst in Peking entschieden.<br />

Organisationen<br />

Die Globalisierung hat deutsche Klassenzimmer längst erre<strong>ich</strong>t.<br />

Fast jeder dritte Student war nach den Befunden der<br />

17. Sozialerhebung aus dem Jahr 2003 schon einmal mit<br />

dem Schüleraustausch im Ausland. Programme, die dies<br />

ermögl<strong>ich</strong>en, gibt es viele: So bringt das Parlamentarische<br />

Patenschafts-Programm (PPP) des Deutschen Bundestags<br />

und des Kongresses der USA junge Leute beispielsweise<br />

für ein Jahr in die USA. Das Goethe-Institut stellt mit<br />

seinem Jugendaustausch-Programm Kontakt zwischen<br />

Jugendl<strong>ich</strong>en aus Russland, der Ukraine, Kasachstan,<br />

Kirgistan und Deutschland her. Das Deutsch-Französische<br />

Jugendwerk hat im vergangenen Jahr rund 70 000<br />

Kinder und Jugendl<strong>ich</strong>e bei ihrem grenzüberschreitenden<br />

Austausch mit dem Partnerland gefördert - ganze Klassen,<br />

aber auch einzelne Schüler. „Paris und Berlin waren dabei<br />

12<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


SCHULEN<br />

immer sehr gefragt“, ber<strong>ich</strong>tet Joëlle Bontems, die für den<br />

Schüleraustausch zuständig ist.<br />

Lernen mit allen Sinnen<br />

Lehrer können s<strong>ich</strong> in Seminaren, die das Jugendwerk<br />

anbietet, auf den Austausch vorbereiten. Sie lernen beispielsweise,<br />

wie man Hemmungen und Ängste bei den<br />

Schülern abbaut, ber<strong>ich</strong>tet Julia Gottuck, die s<strong>ich</strong> um die<br />

so genannte Sprachanimation kümmert.<br />

Auch Lehrerin Ingrid Hüniken, die am Emil-von-Behring<br />

Gymnasium in Großhansdorf Englisch und Französisch<br />

unterr<strong>ich</strong>tet und regelmäßig Schülergruppen auf dem<br />

Austausch mit der Partnerschule Lycée Sainte Thérèse<br />

in Rambouillet bei Paris begleitet, hat die Erfahrung gemacht,<br />

dass Vorbereitung w<strong>ich</strong>tig ist. „Ich würde immer<br />

empfehlen, vor dem Austausch mit der Gruppe kleine<br />

alltägl<strong>ich</strong>e Situationen zur Vorbereitung zu simulieren.“<br />

Schon in Kleinigkeiten würden s<strong>ich</strong> französische und<br />

deutsche Gepflogenheiten unterscheiden. „Beispielsweise<br />

überre<strong>ich</strong>t man der Gastmutter in Frankre<strong>ich</strong> den Blumenstrauß<br />

mit der Folie und wickelt die Blumen n<strong>ich</strong>t<br />

etwa aus.“ Für Hüniken ist es w<strong>ich</strong>tig, dass der Kontakt<br />

der Schüler n<strong>ich</strong>t über das Internet, sondern vor Ort<br />

stattfindet.<br />

Diese echten Begegnungen müssten erhalten bleiben,<br />

um das interkulturelle Lernen mit allen Sinnen zu ermögl<strong>ich</strong>en.<br />

Schüler entwickeln Selbstbewusstsein<br />

und Reife<br />

Begegnungen von Schülern vor Ort ermögl<strong>ich</strong>t beispielsweise<br />

der American Field Service - AFS Interkulturelle<br />

Begegnungen e.V., die nach eigenen Angaben größte<br />

und älteste Jugendaustauschorganisation weltweit. Ob<br />

in Mexiko, Italien, Südafrika, Japan oder Australien -<br />

die Organisation bietet Schülern Austauschprogramme<br />

auf jedem Kontinent an. Rund 1 400 Schüler reisen in<br />

diesem Jahr mit dem AFS in die Welt. Ein Drittel von<br />

ihnen fährt in die USA. Auch Brasilien, Argentinien,<br />

Italien, Thailand und China sind beliebte Ziele für ein<br />

Schuljahr im Ausland. Der Blick r<strong>ich</strong>te s<strong>ich</strong> zunehmend<br />

„gen Osten“. „Das macht im Lebenslauf viel her“, sagt<br />

AFS-Sprecherin Annika Wolfgram.<br />

Vorkenntnisse in den Sprachen müssen die Schüler, die<br />

bei der Abreise zwischen 15 und 18 Jahren alt sein sollten,<br />

n<strong>ich</strong>t unbedingt haben. „Manche können tatsächl<strong>ich</strong><br />

außer Hallo kaum ein Wort“, ber<strong>ich</strong>tet sie. Doch zu<br />

Beginn des Auslandsaufenthaltes bekommen die Schüler<br />

einen Crashkurs in der Landessprache. Ohne gute<br />

Sprachenkenntnisse ist noch keiner zurückgekommen.<br />

Und: Es sind n<strong>ich</strong>t nur die Sprachkenntnisse, die Schüler<br />

im Ausland entwickeln. Die jungen Leute werden auch<br />

selbstständiger, selbstbewusster und sie entwickeln eine<br />

erste interkulturelle Kompetenz. „Mütter sagen oft, sie<br />

schicken Jungs los und bekommen junge Männer zurück“,<br />

sagt Wolfgram. Schüler mit Auslandserfahrung seien im<br />

Schnitt ein Jahr reifer als ihre Mitschüler, die zuhause<br />

geblieben sind. Dennoch sei auch ein bisschen Heimweh<br />

immer dabei.<br />

Osten im Trend<br />

Sankt Petersburg und Moskau sind die Hauptziele<br />

der Schulklassen, die mit Unterstützung der Stiftung<br />

DeutschRussischer Jugendaustausch nach Russland<br />

reisen. „Manche Gruppen fahren auch nach Sibirien“,<br />

ber<strong>ich</strong>tet Mathias Burghardt, Referent für den Schulbere<strong>ich</strong><br />

und die Sprachförderung. Die Stiftung wurde im<br />

Jahr 2006 vom Bund, der Stadt Hamburg und privaten<br />

Trägern gegründet. „Unser Ziel ist es, mehr Jugendl<strong>ich</strong>e<br />

in Deutschland für Russland zu interessieren - und umgekehrt“,<br />

ber<strong>ich</strong>tet Burghardt. Russischkenntnisse sind<br />

keine unbedingte Voraussetzung für die Förderung durch<br />

die Stiftung. „Es sind auch Schulgruppen dabei, die kein<br />

Russisch können“, ber<strong>ich</strong>tet Burghardt.<br />

Auch die 18 Jahre alte Karen aus Paderborn konnte<br />

die Landessprache n<strong>ich</strong>t, als sie im Jahr 2005 mit rund<br />

30 Mitschülerinnen des Gymnasiums St. M<strong>ich</strong>ael aus<br />

Paderborn nach Mezöbereny in Ungarn gefahren ist.<br />

Immerhin: „Unsere Gastschüler haben erstaunl<strong>ich</strong> gut<br />

Deutsch gesprochen“, ber<strong>ich</strong>tet sie. An der Partnerschule,<br />

dem Petöfi-Sandor-Gymnasium, werde Deutsch als erste<br />

Fremdsprache unterr<strong>ich</strong>tet. Den Schülerinnen aus Paderborn<br />

sei es dagegen mehr darum gegangen, eine andere<br />

Kultur kennen zu lernen und neue Freundschaften zu<br />

schließen, erzählt Karen.<br />

Für Schüler gibt es zahlre<strong>ich</strong>e Mögl<strong>ich</strong>keiten, s<strong>ich</strong> zu<br />

informieren - beispielsweise auf Messen. Eine davon<br />

findet jedes Jahr in Großhansdorf bei Hamburg statt.<br />

In diesem Jahr werden dort am 15. September rund 40<br />

Aussteller über den Austausch mit den USA, Kanada<br />

und anderen Ländern informieren. Im Internet bietet<br />

die Seite www.rausvonzuhaus.de der Fachstelle für Internationale<br />

Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland<br />

e.V. (IJAB) vielfältige Informationen: Erfahrungsber<strong>ich</strong>te,<br />

Finanzierungsmögl<strong>ich</strong>keiten, Länderinformationen und<br />

Beschreibungen der einzelnen Programme. Einen Blick<br />

wert ist auch das Forum: Hier geben Teilnehmer ihre<br />

Erfahrungen mit Austauschprogrammen an Interessierte<br />

weiter.<br />

Aus: Klett-Themendienst<br />

Sie heißen Loic, Amy oder Chris - man kennt sie nur vom<br />

Foto und von ein paar Mails - und soll doch schon in wenigen<br />

Tagen bei ihnen wohnen. Genau für diese Situation<br />

hat PONS die Reihe „Erste Hilfe Schüleraustausch“ für<br />

Frankre<strong>ich</strong>, Großbritannien und die USA entwickelt. In den<br />

kleinen Ratgebern finden die Schüler alle w<strong>ich</strong>tigen sprachl<strong>ich</strong>en<br />

und kulturellen Infos, um im Gastland anzukommen<br />

und gle<strong>ich</strong> klarzukommen, ohne in ein Fettnäpfchen zu<br />

treten. Mit den w<strong>ich</strong>tigsten Wörtern und Sätzen meistert<br />

man - trotz der Nervosität - die ersten Gespräche zum<br />

Thema Hobby, Familie und Heimatstadt souverän. PONS<br />

Erste Hilfe Schüleraustausch Frankre<strong>ich</strong>, Großbritannien<br />

oder USA, Preis jeweils 5,00 Euro<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

13


SCHULISCHE ERFAHRUNGEN BEKANNTER RHEINLAND-PFÄLZER<br />

HORIZONT ENDET NICHT AN DER AUSSENLINIE<br />

Im Gespräch mit den FCK-Profis Bohl, Kotysch und Henel<br />

Genau so stellt man s<strong>ich</strong> das vor: Das kleine, gepflegte italienische<br />

Ristorante in der Kaiserlauterer Altstadt ist in der<br />

Mittagszeit gut besetzt, die quirligen Kellner wissen gle<strong>ich</strong>,<br />

wo sie die zu einem Interview mit FCK-Jungprofis angereisten<br />

Redaktionsvertreter der <strong>GEW</strong>-Zeitung zu platzieren haben.<br />

Eine Nische ist reserviert, wo trotz des hohen Geräuschpegels<br />

das durch den Spielerberater M<strong>ich</strong>ael Serr ermögl<strong>ich</strong>te<br />

Gespräch problemlos über die Bühne gehen kann. Positive<br />

Überraschung: Neben den angefragten Spielern Sascha Kotysch<br />

und Steffen Bohl kommt gle<strong>ich</strong> auch noch Christian<br />

Henel als dritte FCK-Nachwuchshoffnung mit.<br />

Pünktl<strong>ich</strong> erscheinen die drei jungen Pfälzer, allesamt<br />

auf den ersten Blick gle<strong>ich</strong>ermaßen locker, uneitel und<br />

bescheiden; rundum sympathisch. Wer da am Tisch sitzt<br />

und zwischen zwei Trainingseinheiten das Mittagessen<br />

mit einem Pressetermin verbunden hat, merken auch<br />

die kleinen Fans rasch, die mit Autogrammwünschen<br />

an denTisch eilen. Kaum zu glauben, wie viele Kinder in<br />

Lautern an einem normalen Wochentag im FCK-Dress<br />

und mit Autogrammblock durch die Gegend wuseln.<br />

Das Eis ist nach anfängl<strong>ich</strong>er Zurückhaltung schnell<br />

gebrochen. Klar, Gespräche mit der Presse sind immer so<br />

eine Sache, gerade dann, wenn es fußballerisch mal n<strong>ich</strong>t<br />

gut läuft. Und dann noch mit einer Zeitschrift, in der es<br />

um „Erziehung und Wissenschaft“ geht. Wer will schon<br />

erzogen und wissenschaftl<strong>ich</strong> durchleuchtet werden …<br />

Aber es geht ja um rein persönl<strong>ich</strong>e schulische Erfah-<br />

rungen, die bei jungen Männern zwischen 19 und 23<br />

natürl<strong>ich</strong> noch sehr präsent sind, zumal die Schulzeit - so<br />

die Erklärung von M<strong>ich</strong>ael Serr - für junge Talente mit der<br />

Perspektive einer Profikarriere sehr w<strong>ich</strong>tig ist, da s<strong>ich</strong> hier<br />

noch am ehesten ein fester Freundeskreis erhalten lässt,<br />

auch wenn man wegen der zweifachen Anspannung durch<br />

Schule und Training ansonsten kaum Zeit hat, das zu tun,<br />

was Jugendl<strong>ich</strong>e in ihrer Freizeit gerne so treiben.<br />

Der Ernst des Lebens in der Grundschule<br />

Überraschend gle<strong>ich</strong> die Antworten auf die Erfahrungen<br />

im vorschulischen Bere<strong>ich</strong> und in der Grundschule nach<br />

dem Hinweis, dass bisherige - weitaus ältere - Gesprächspartner<br />

dieser Interviewreihe s<strong>ich</strong> an warmherzige Ordensschwestern<br />

im Kindergarten und strenge Lehrkräfte<br />

dann in der früher so genannten Volksschule erinnerten.<br />

Auch Jahrzehnte später war das in der Vorder- und der<br />

Nordpfalz wohl so ähnl<strong>ich</strong>. Der Kindergarten sei - so<br />

Sascha Kotysch - im Vergle<strong>ich</strong> zur Grundschule weitaus<br />

lockerer gewesen; eine Meinung, die auch Steffen Bohl<br />

und Christian Henel teilen. Also doch der „Ernst des<br />

Lebens“ trotz aller didaktischer Grundschulreformen.<br />

Angesprochen auf die umstrittene frühe Trennung der<br />

Kinder schon nach der 4. Klasse und die Frage, wie diese<br />

oft belastende Entscheidung bei ihnen gelaufen sei, ist<br />

die Antwort nun gar n<strong>ich</strong>t überraschend, sondern eher<br />

typisch. Der Freundeskreis sei es gewesen, der die Wahl<br />

der Schulart bestimmt habe. Bei Steffen Bohl war das<br />

BERATUNG FÜR DIE KARRIEREPLANUNG<br />

M<strong>ich</strong>ael Serr<br />

Eigentl<strong>ich</strong> ist das unbestritten: Menschen brauchen in ganz<br />

unterschiedl<strong>ich</strong>en Lebenssituationen Beratung. Steuerberatung,<br />

Schulberatung, Eheberatung, Drogenberatung etc.,<br />

alles Aufgabenfelder, die in unserer Gesellschaft positiv<br />

besetzt sind.<br />

Aber Spielerberatung, auch noch von Fußballprofis? Imagemäßig<br />

rangiert dieser Beruf zweifellos noch weit hinter wenig<br />

beliebten Gruppen wie Journalisten, Gewerkschaftsfunktionären<br />

oder Politikern. Darauf angesprochen, widerspr<strong>ich</strong>t<br />

M<strong>ich</strong>ael Serr: „Bei allen Spielern, die unter professionellen<br />

Bedingungen Fußball spielen, ist das überhaupt n<strong>ich</strong>t der<br />

Fall.“ Er weiß, von wem diese Vorurteile geschürt werden:<br />

vor jenen abgezockten Vereinsvorständen, denen es ein Dorn<br />

im Auge ist, dass ihre oft jungen und noch unerfahrenen<br />

Verhandlungspartner kompetente Interessensvertreter an<br />

ihrer Seite wissen.<br />

Und kompetent im Fußballgeschäft ist M<strong>ich</strong>ael Serr wahrl<strong>ich</strong>.<br />

Einst im FCK-Tor die elegante Alternative zum rustikalen<br />

Gerry Ehrmann, hat der Südpfälzer auch Jahre danach n<strong>ich</strong>ts<br />

von seiner positiven Aura verloren. Charmant im Auftreten,<br />

kritisch - reflektierend in seinen Aussagen und elaboriert im<br />

Ausdruck, beschreibt er sein umfassendes Tätigkeitsfeld, bei<br />

dem es um weitaus mehr geht, als mögl<strong>ich</strong>st gute Verträge<br />

auszuhandeln. Serr verfügt über das psychologische Gespür,<br />

die ambivalente Lebenssituation gerade von Nachwuchsprofis<br />

klug zu analysieren. Als ehemaliger Profifußballer hat er den<br />

Weg, den die jungen Spieler noch vor s<strong>ich</strong> haben, bereits<br />

beschritten und verfügt über Kenntnisse auf dem weltweiten<br />

Fußballmarktplatz. Als Berater mehrerer Fußballprofis im<br />

In- und Ausland kann er seine Erfahrung sehr gut an die<br />

jungen Spieler weitergeben. Da ist auf der einen Seite die<br />

privilegierte Lage, schon in jungen Jahren viel Geld verdienen<br />

und Ruhm einheimsen zu können, die aber auf der anderen<br />

Seite in der bekanntl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t unproblematischen Altersphase<br />

der Pubertät bzw. der Adoleszens mit vielen Einschränkungen<br />

und Belastungen verbunden ist.<br />

Hier einen väterl<strong>ich</strong>en, verständnisvollen Freund als Berater<br />

an der Seite zu wissen, ist für die Nachwuchsstars äußerst<br />

hilfre<strong>ich</strong>. Dass Steffen Bohl, Sascha Kotysch und Christian<br />

Henel in unserem Gespräch so positiv rüber kamen, könnte<br />

reiner Zufall sein, aber durchaus auch mit dem positiven<br />

Einfluss ihres Beraters zu tun haben.<br />

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14<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


SCHULISCHE ERFAHRUNGEN BEKANNTER RHEINLAND-PFÄLZER<br />

eine Regionale Schule, die ihn in die Berufsfachschule<br />

und dann in die Höhere Berufsfachschule führte, wo<br />

er die Fachhochschulreife erwerben konnte. Bei Sascha<br />

Kotysch und Christian Henel führte der Weg direkt aufs<br />

Gymnasium, das Kotysch aufgrund der s<strong>ich</strong> anbahnenden<br />

Profikarriere mit dem mittleren Bildungsabschluss verließ,<br />

während Henel gerade das Abi am Sportgymnasium in<br />

Kaiserslautern gemacht hat, was eine s<strong>ich</strong>erl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

einfache Doppelbelastung bedeutete. Der Freundeskreis<br />

hat also die Schulwahl bestimmt; Rückfrage diesbezügl<strong>ich</strong><br />

an Sascha Kotysch: „Und was wäre gewesen, wenn<br />

Ihre Clique geschlossen auf die Hauptschule gewechselt<br />

wäre?“ Antwort ohne Zögern: „Dann wäre <strong>ich</strong> trotzdem<br />

ins Gymnasium gegangen!“<br />

Steffen Bohl<br />

Sascha Kotysch<br />

Christian Henel<br />

Freundeskreis im Vordergrund<br />

Irgendwie haben s<strong>ich</strong> dann alle drei letztl<strong>ich</strong> erfolgre<strong>ich</strong><br />

durch die Schulzeit „gemogelt“, wie sie selbst sagen. Im<br />

Vordergrund habe der Freundeskreis gestanden, der heute<br />

noch sehr w<strong>ich</strong>tig ist, da sie dort „ganz normal“ behandelt<br />

werden, wie Steffen Bohl betont. Ansonsten erinnern sie<br />

s<strong>ich</strong> an das, woran s<strong>ich</strong> die meisten normalen jungen<br />

Leute bei ihrer Schulzeit erinnern: dass man manchmal<br />

notgedrungen spicken musste, dass die Klassenfahrten<br />

z.B. nach Spanien absolute Highligts waren und dass<br />

natürl<strong>ich</strong> der Sportunterr<strong>ich</strong>t - hier insbesondere alle<br />

Formen von Ballsport - am meisten Spaß gemacht hat.<br />

Nach diesen eher flapsigen Antworten durchaus ernste<br />

Reaktionen auf die Frage, was schlechte und was gute<br />

Lehrkräfte ausmache. Als Abiturient noch ganz nahe<br />

an diesem Thema dran ist Christian Henel, der manche<br />

Lehrkräfte unverblümt als „Horror“ beze<strong>ich</strong>net. Die Umkehrung<br />

liegt für alle drei auf der Hand: Gute Lehrkräfte<br />

sorgen für entspannte Stimmung, werden respektiert,<br />

sind lustig und bringen dennoch fachl<strong>ich</strong> viel rüber. Die<br />

aktuelle Hirnforschung lässt grüßen …<br />

Interesse an pädagogischem Beruf<br />

Die Schulzeit ist für alle vorbei, der Weg zum Berufssportler<br />

beschritten. Nun kann eine Profikarriere als Fußballer<br />

aber auch ganz schnell z. B wegen einer schweren Verletzung<br />

scheitern. Einen Bürojob als Alternative kann s<strong>ich</strong><br />

da keiner vorstellen, irgendwie sollte die Berufstätigkeit<br />

in solch einem Falle oder auch nach der Karriere etwas<br />

mit Sport zu tun haben. W<strong>ich</strong>tig sind der Kontakt mit<br />

Menschen und die Abwechslung. Gar n<strong>ich</strong>t abgeneigt sind<br />

die jungen Fußballstars gegenüber einer pädagogische Arbeit:<br />

Sascha Kotysch haben es Grundschulkinder angetan,<br />

Steffen Bohl interessiert s<strong>ich</strong> seit seiner BBS-Zeit für ein<br />

BWL-Studium in Kombination mit Sport und Christian<br />

Henel denkt ernsthaft darüber nach, Sportwissenschaft<br />

sowie ein weiteres Fach zu studieren, falls das mit dem<br />

Profifußball vereinbar sein sollte.<br />

Drei junge Männer also, deren Horizont n<strong>ich</strong>t an der<br />

Außenlinie endet. S<strong>ich</strong>er deshalb, weil sie fest in ihren<br />

Familien verwurzelt sind und auch schon die Schattenseiten<br />

des Lebens gesehen haben wie beispielsweise Steffen<br />

Bohl bei seiner Arbeit mit Behinderten im Zivildienst oder<br />

Christian Henel bei einem Praktikum im Krankenhaus.<br />

Erfahrungen - so ihr Berater M<strong>ich</strong>ael Serr -, die der Persönl<strong>ich</strong>keitsbildung<br />

dienen und damit wiederum w<strong>ich</strong>tig<br />

für eine stabile Profikarriere sind.<br />

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<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

15


AUS ANDEREN BUNDESLÄNDERN<br />

INTEGRATIVE GRUNDSCHULE IN HAMBURG IST POLITISCH BEDROHT<br />

Fatales bildungspolitisches Signal für die deutsche Bildungslandschaft<br />

Dass in Deutschland Kinder mit Behinderungen und<br />

mit sozialer Benachteiligung auch durch das Schulsystem<br />

benachteiligt und ausgegrenzt werden, hat der<br />

UN- Menschenrechtskommissar Vernor Muñoz in<br />

seinem offiziellen Ber<strong>ich</strong>t deutschen Politikern kritisch<br />

vorgehalten. Eine jüngst von der UN-Vollversammlung<br />

verabschiedete Konvention fordert von den Mitgliedsstaaten<br />

die vollständige, diskriminierungsfreie Einbeziehung/Inklusion<br />

von Kindern und Jugendl<strong>ich</strong>en mit<br />

Behinderungen in das allgemeine Schulsystem. Vor dem<br />

Hintergrund einer insgesamt unterentwickelten Integrationspolitik<br />

in Deutschland sind die bildungspolitischen<br />

Vorgänge in Hamburg kein lokales Ereignis. Wenn das<br />

für die Bundesrepublik beispielhafte Hamburger Integrationskonzept<br />

in seinem Bestand bedroht ist, dann<br />

sind dramatische Rückschritte für die Integrationspolitik<br />

weit über Hamburg hinaus zu befürchten.<br />

Hamburg hat bildungspolitisch gezeigt, wie der Weg von<br />

der integrativen zu einer inklusiven Grundschule aussehen<br />

könnte. Ab1984 erstritten Elterninitiativen zunächst<br />

die Einr<strong>ich</strong>tung von Integrationsklassen für Kinder mit<br />

geistiger und körperl<strong>ich</strong>er Behinderung bzw. mit Sinnesschädigungen.<br />

1991 kam als zweites Kernelement die<br />

Integrative Regelklasse auf Initiative von Schulen dazu.<br />

Anstelle der traditionellen Sonderschulüberweisungen<br />

sollte im Schulversuch erprobt werden, Kinder aus sozialen<br />

Brennpunkten mit Lern- und/oder Sprachproblemen<br />

sowie mit Verhaltensauffälligkeiten bis zum Ende der<br />

Grundschulzeit integrativ zu fördern.<br />

Bis heute ist daran konzeptionell einmalig, dass die integrative<br />

Förderung an den 36 Grundschulen im Schulversuch<br />

n<strong>ich</strong>t abhängig gemacht wird von einem förml<strong>ich</strong>en<br />

Feststellungsverfahren. Kinder müssen n<strong>ich</strong>t erst als<br />

behindert diagnostiziert, kategorisiert und etikettiert werden,<br />

da die zusätzl<strong>ich</strong>en sonderpädagogischen Ressourcen<br />

für die Schulen n<strong>ich</strong>t an die Zahl der förderbedürftigen<br />

Kinder gebunden ist. Der Grundgedanke der Inklusion,<br />

dass das Schulsystem so ausgestattet sein muss, dass es<br />

den individuellen Förderbedürfnissen aller Kinder im<br />

wohnortnahem Einzugsbere<strong>ich</strong> gerecht wird, wird durch<br />

eine sonderpädagogische Grundausstattung der Schulen<br />

für Kinder in benachteiligten Lebenslagen realisiert.<br />

Leider fehlte der SPD der Mut, die Integrative Regelklasse<br />

trotz langjähriger erfolgre<strong>ich</strong>er Erprobung gesetzl<strong>ich</strong><br />

abzus<strong>ich</strong>ern und das Konzept in die Fläche zu bringen<br />

bei gle<strong>ich</strong>zeitigem Auslaufen der entsprechenden Sonderschulen.<br />

Seit dem Regierungswechsel in Hamburg ist<br />

die Integration dort zum machtpolitischen Spielball der<br />

CDU geworden. Aus ihrer S<strong>ich</strong>t stellen die 36 Grundschulen<br />

mit Integrativen Regelklassen im Schulversuch<br />

wegen ihrer privilegierten Ausstattung gegenüber den<br />

übrigen 215 Hamburger Grundschulen ein „Gerechtigkeitsproblem“<br />

dar. Zunächst plante sie, aus allen Schulen<br />

des Schulversuchs die sonderpädagogischen Ressourcen<br />

abzuziehen, um über die Einr<strong>ich</strong>tung von Diagnose- und<br />

Förderzentren „gezielt und diagnosegeleitet“ den Einsatz<br />

der sonderpädagogischen Mittel „gerecht“ zu verteilen.<br />

Die Proteste der betroffenen Schulen, Lehrer und Eltern<br />

sorgten dafür, dass nur eine „kleine“ Lösung zum Zuge<br />

kam: Mit dem Schuljahr 2007/2008 sind 2 Förderzentren<br />

als Schulversuch einger<strong>ich</strong>tet worden, um die angebl<strong>ich</strong>e<br />

„Gerechtigkeitslücke“ zunächst in den Pilotregionen zu<br />

schließen.<br />

In den sogenannten Integrativen Förderzentren, die der<br />

Verband für Sonderpädagogik (vds) maßgebl<strong>ich</strong> konzeptionell<br />

mitentwickelt hat, entscheiden wieder Sonderpädagogen<br />

über den „r<strong>ich</strong>tigen“ Förderort für Schüler<br />

und Schülerinnen mit Lernproblemen. Schon vorab<br />

sind die Integrations- und Segregationsquoten festgelegt<br />

worden. Ein Drittel der Schüler mit Förderbedarf soll<br />

im Förderzentrum unterr<strong>ich</strong>tet werden. Integration gibt<br />

es n<strong>ich</strong>t für alle. Sie bleibt gebunden an den individuumsbezogenen<br />

Etikettierungsprozess. Damit erhält s<strong>ich</strong><br />

über die Selektion in der Grundschule das eigenständige<br />

Sonderschulsystem.<br />

Dass die Integrativen Regelklassen nach der Bürgerschaftswahl<br />

im nächsten Jahr unter einer CDU- geführten Regierung<br />

abgeschafft werden sollen, kann als s<strong>ich</strong>er gelten. Eine<br />

Große Anfrage der CDU bereitet diese Entscheidung vor.<br />

Dabei wird versucht, das eigentl<strong>ich</strong>e ideologische Anliegen<br />

mit dem Verweis auf die Wissenschaft zu tarnen. Um die<br />

Leistungsfähigkeit und pädagogische Sinnhaftigkeit der<br />

Integrativen Regelklassen in Frage zu stellen, beruft s<strong>ich</strong><br />

die CDU-Fraktion auf wissenschaftl<strong>ich</strong>e Ergebnisse, die<br />

im Rahmen der Studie über „Kompetenzen und Einstellungen<br />

von Schülerinnen und Schülern am Ende der<br />

Jahrgangsstufe 4 in Hamburger Grundschulen“ (KESS 4)<br />

gewonnen wurden. Zitiert wird aus der Studie allerdings<br />

nur, was der Politik gefällt: Die Leistungsergebnisse der<br />

Grundschulen mit Integrativen Regelklassen seien n<strong>ich</strong>t<br />

günstiger ausgefallen als die vergle<strong>ich</strong>barer Grundschulen<br />

ohne den zusätzl<strong>ich</strong>en Ressourceneinsatz.<br />

Aber genau die Frage der Vergle<strong>ich</strong>barkeit ist höchst<br />

strittig. Im Rahmen der Querschnittsanalyse konnten<br />

die Lernausgangslagen der Kinder an den vergl<strong>ich</strong>enen<br />

Schulen n<strong>ich</strong>t ermittelt und zum Bezugsrahmen für faire<br />

Leistungsvergle<strong>ich</strong>e gemacht werden. Nur einer Längsschnittuntersuchung<br />

ist vorbehalten, über die tatsächl<strong>ich</strong>e<br />

Lernentwicklung von Schülern an allen Hamburger<br />

Grundschulen Auskunft zu geben.<br />

Auch wird seitens der CDU-Politiker ignoriert, dass die<br />

KESS- Studie positiv die gelungene soziale Integration<br />

herausstellt. Den Integrationsklassen und Integrativen<br />

Regelklassen wird attestiert, dass auch Kinder mit Leistungsschwächen<br />

s<strong>ich</strong> dort wohlfühlen und ein positives<br />

Selbstbild entwickeln. Dies ist umso beachtenswerter,<br />

als die Ergebnisse der „World Vision“- Kinderstudie<br />

16<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


BILDUNG INTERNATIONAL<br />

bei den meisten sozial benachteiligten Kindern ein eher<br />

pessimistisches Selbstkonzept festgestellt hat. Die Ersetzung<br />

der individuellen Lernber<strong>ich</strong>te durch vergle<strong>ich</strong>ende<br />

Ziffernzeugnisse in den Hamburger Integrationsklassen,<br />

wie es die Schulbehörde mit diesem Schuljahr vorschreibt,<br />

ist daher ein geradezu sträfl<strong>ich</strong>er Anschlag auf das gute<br />

Klassenklima im Gemeinsamen Unterr<strong>ich</strong>t.<br />

Wesentl<strong>ich</strong> aber ist, dass die in Teilen umstrittenen Untersuchungsergebnisse<br />

in gar keinem Fall die Alternative<br />

der Förderzentren begründen und rechtfertigen. N<strong>ich</strong>t<br />

nur aus menschenrechtl<strong>ich</strong>er S<strong>ich</strong>t gilt der Anspruch der<br />

Einbeziehung aller Kinder in eine gemeinsame Schule<br />

für alle. Auch wissenschaftl<strong>ich</strong> ist erwiesen, dass die<br />

effektivste Förderung der Kinder mit Behinderung und<br />

Benachteiligung am besten unterr<strong>ich</strong>tsintegriert in den<br />

allgemeinen Schulen gelingt.<br />

Mit dem Konzept der Integrativen Grundschule und<br />

ihren zwei Kernelementen, der Integrationsklasse und<br />

der Integrativen Regelklasse, lässt s<strong>ich</strong> zwar das bestehende<br />

selektive Sekundarschulsystems n<strong>ich</strong>t aufheben.<br />

Dazu bedarf es einer politischen Entscheidung. Aber wir<br />

hätten, was n<strong>ich</strong>t wenig ist, eine Grundschule, die s<strong>ich</strong><br />

im Sinne der UN-Konvention entwickelt, und ein solides<br />

pädagogisches Fundament für ein längeres gemeinsames<br />

Lernen über die Grundschulzeit hinaus.<br />

Brigitte Schumann<br />

ifenici@aol.com<br />

NORWEGEN: HOCH GELOBT UND TIEF GEFALLEN?<br />

Eine Einordnung der PISA-Ergebnisse 2006<br />

In dem jüngsten PISA - Ranking ist Norwegen mit<br />

seinen Schülerleistungen deutl<strong>ich</strong> unter den OECD-<br />

Durchschnitt gerutscht und von Deutschland überholt<br />

worden. Haben s<strong>ich</strong> all die getäuscht oder s<strong>ich</strong> etwas<br />

vorgemacht, die in der Vergangenheit mit Begeisterung<br />

von der Qualität des inklusiven norwegischen Schulsystems<br />

ber<strong>ich</strong>tet haben?<br />

Auch nach den Fallstudien des internationalen Comenius-Projekts<br />

EU-MAIL, das den praktischen Umgang mit<br />

Heterogenität im Schulalltag in verschiedenen europäischen<br />

Ländern vergle<strong>ich</strong>end unter die Lupe nahm, zählen<br />

norwegische Schulen zu denen, die pädagogisch bewusst<br />

die Herausforderung der Heterogenität annehmen. In<br />

der Philosophie, der Schulorganisation, Struktur und<br />

Lernkultur konnten die EU-MAIL-Forscher große Übereinstimmungen<br />

zwischen norwegischen und finnischen<br />

Schulen feststellen mit dem besonderen Unterschied, dass<br />

Norwegen keine Sonderschulen mehr kennt.<br />

Inklusion stärkt die Gesellschaft<br />

Lassen wir uns n<strong>ich</strong>t von jenen täuschen, die aus dem<br />

Ranking ableiten, dass Deutschland bildungspolitisch<br />

mit der Ablehnung der Inklusion und dem Festhalten an<br />

selektiven Schulstrukturen auf einem guten gesellschaftl<strong>ich</strong>en<br />

Weg ist. In der Anerkennung der Vielfalt und der<br />

Unterschiedl<strong>ich</strong>keit in der Gemeinsamkeit, einem der<br />

w<strong>ich</strong>tigsten von der UNESCO formulierten Lernziele<br />

für das Leben im 21. Jahrhundert, ist das norwegische<br />

Bildungssystem vorbildl<strong>ich</strong>. Die UNESCO zählt Norwegen<br />

zu den Ländern, die für das Wohlbefinden aller<br />

Kinder und Jugendl<strong>ich</strong>en einen hohen Standard in den<br />

Schulen erre<strong>ich</strong>t haben. Während das deutsche Schulsystem<br />

soziale Segregation vertieft sowie Aussonderung und<br />

Exklusion produziert, leistet das norwegische Schulsystem<br />

einen hervorragenden Beitrag zur sozialen Kohäsion und<br />

zur Solidarität. Dies spiegelt s<strong>ich</strong> auch in der gesamtgesellschaftl<strong>ich</strong>en<br />

Zustimmung zu einer Schule für alle in<br />

Norwegen wider.<br />

Ganz selbstverständl<strong>ich</strong> haben auch Schüler und Schülerinnen<br />

mit den schwersten Behinderungen ihren Platz<br />

in der norwegischen Gesamtschule. Im Rahmen eines<br />

von FESCH (Forum Eltern und Schule) organisierten<br />

Studienseminars in Halden im Herbst 2007 konnten s<strong>ich</strong><br />

die Teilnehmer/innen selbst davon überzeugen, dass diese<br />

Gruppe im Zentrum der Bemühungen um bestmögl<strong>ich</strong>e<br />

Unterstützung steht. Einbeziehung und gle<strong>ich</strong>wertige<br />

Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gelten der<br />

Kommune Halden ausdrückl<strong>ich</strong> als Gradmesser für die<br />

Qualität des kommunalen Schulangebots. Liebevolle<br />

Zuwendung im normalen Schulalltag geschieht n<strong>ich</strong>t<br />

zufällig. Sie entsteht aus Situationen gelebter Solidarität<br />

mit denen, die auf Hilfe angewiesen sind, und sie beweist,<br />

dass demokratische Wertevermittlung in norwegischen<br />

Schulen n<strong>ich</strong>t nur auf dem Papier gelingt. Anne Ratzki<br />

hat dies am Beispiel von Emely beschrieben, die sie als<br />

schwer mehrfach behindertes Mädchen in der Grundstufe<br />

der norwegischen Gesamtschule traf. Wenn Emely aus<br />

therapeutischen Gründen während der Schulzeit Bäder<br />

bekam, war sie gewohnt, von Freundinnen aus ihrer Klasse<br />

begleitet zu werden.<br />

Während alle PISA - Ber<strong>ich</strong>te dokumentieren, dass Migrantenkinder<br />

der zweiten Generation systematisch im<br />

deutschen Schulsystem abgehängt und zurückgelassen<br />

werden, wird Norwegen von deutschen PISA - Forschern<br />

dafür gelobt, „eine mehr oder weniger offene Balance zwischen<br />

Umgangssprache in der Familie und Beherrschung<br />

der Verkehrssprache“ herzustellen (PISA 2000, 394).<br />

Unter welchen schulischen Bedingungen die Integration<br />

von Zuwanderern gelingt, konnten die Teilnehmer/innen<br />

des o. g. Studienseminars in Halden an der Os skole in<br />

Erfahrung bringen. Schüler/innen, die direkt aus dem<br />

Ausland kommen oder die mangelnde Kenntnisse in Norwegisch<br />

besitzen, bekommen in einer Aufnahmeklasse bis<br />

zu einem Jahr lang intensiven Unterr<strong>ich</strong>t in Norwegisch,<br />

dabei werden durchschnittl<strong>ich</strong> 20 Stunden Norwegisch<br />

pro Woche unterr<strong>ich</strong>tet. Bei Bedarf werden Kinder in der<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

17


BILDUNG INTERNATIONAL<br />

Aufnahmeklasse von Muttersprachenlehrkräften unterstützt.<br />

Gle<strong>ich</strong>zeitig sind sie von Anfang an Schüler/innen<br />

von Stammklassen, wo sie am Unterr<strong>ich</strong>t der praktischen<br />

und künstlerischen Fächer teilnehmen. Beim Wechsel von<br />

der Aufnahmeklasse in die Stammklasse werden die Schüler<br />

und Schülerinnen individuell begleitet. Sie bekommen<br />

dann Förderunterr<strong>ich</strong>t in Norwegisch <strong>zusammen</strong> mit<br />

mehreren Schülern und Schülerinnen. Die Erteilung von<br />

Muttersprachenunterr<strong>ich</strong>t ist selbstverständl<strong>ich</strong>.<br />

Leistungsminderung durch Politikfehler<br />

Es ist abwegig anzunehmen, dass die Inklusion eine leistungsmindernde<br />

Wirkung hat. Hinter dem Absturz im<br />

Ranking stecken vor allem politische Fehler in der Implementation<br />

und der Steuerung von Bildungsreformen.<br />

Diese Fehler sind aufgedeckt und nachgewiesen worden in<br />

einer Evaluationsstudie, die im Auftrag des Ministeriums<br />

für Bildung unter der wissenschaftl<strong>ich</strong>en Leitung von<br />

Peder Haug durchgeführt und 2003 veröffentl<strong>ich</strong>t wurde.<br />

Es handelt s<strong>ich</strong> dabei um eines der aufwändigsten und<br />

ehrgeizigsten Projekte. Immerhin waren 75 Wissenschaftler<br />

und 20 Institutionen an einer Untersuchung beteiligt.<br />

Der Auftrag bestand darin, die allgemeine Qualität in der<br />

Primar- und Sekundarstufe der 10jährigen norwegischen<br />

Pfl<strong>ich</strong>tschule zu ermitteln. Des Weiteren sollte der Einfluss<br />

der Curriculumreform von 1997 auf die Erfordernisse<br />

eines individualisierten Unterr<strong>ich</strong>ts in einer inklusiven<br />

Schule untersucht werden.<br />

Der Evaluationsber<strong>ich</strong>t stellt fest, dass Politik und Verwaltung<br />

auf der staatl<strong>ich</strong>en Ebene es an der angemessenen<br />

Ausgestaltung des Reformvorhabens (Überfrachtung der<br />

Curricula, Mangel an Lehrerfortbildung, fehlendes Monitoring)<br />

haben fehlen lassen, während die kommunale<br />

Ebene, die in Norwegen für die Umsetzung von Reformen<br />

vor Ort zuständig ist, s<strong>ich</strong> mit sehr unterschiedl<strong>ich</strong>em<br />

Engagement und Interesse daran beteiligte.<br />

Der Ber<strong>ich</strong>t listet kritisch die daraus resultierenden Mängel<br />

wie folgt auf:<br />

1. Die Varianz in der allgemeinen Qualität von Schule<br />

ist sehr groß, so dass von Qualitäten gesprochen werden<br />

muss. Zusammengefasst lautet das Urteil: Viele Schulen<br />

arbeiten mit geringfügigen Anpassungen an die Reform<br />

traditionell, wie sie es immer schon getan haben, näml<strong>ich</strong><br />

im Sinn eines Klassenunterr<strong>ich</strong>ts mit wenig Individualisierung.<br />

Einige Schulen haben s<strong>ich</strong> im Sinne der Reform<br />

schülerorientiert weiterentwickelt, und eine Gruppe von<br />

Schulen macht ein bisschen von beidem.<br />

2. Die Überforderung gegenüber den neuen methodischen<br />

und didaktischen Reformansprüchen eines an den<br />

einzelnen Schüler angepassten Unterr<strong>ich</strong>ts hat bei einigen<br />

Lehrern dazu geführt, dass sie das Feld den Schülern<br />

überlassen. Sie sind n<strong>ich</strong>t klar und eindeutig in ihren<br />

Leistungsanforderungen und geben auch dann positives<br />

feedback, wenn es dafür keinen Grund gibt.<br />

3. Demzufolge profitieren im fachl<strong>ich</strong>en Kompetenzerwerb<br />

die Schüler/innen am meisten, die s<strong>ich</strong> am besten<br />

der Schule als sog. normale Schüler anpassen können.<br />

Schüler und Schülerinnen, die von der Normalnorm<br />

abwe<strong>ich</strong>en, kommen systematisch zu kurz. In dem<br />

Maße, wie die Lernsituation für diese verbessert wird,<br />

ist zu erwarten, dass die allgemeinen Lernergebnisse s<strong>ich</strong><br />

insgesamt verbessern.<br />

4. Die Primarstufe entspr<strong>ich</strong>t - bezogen auf die Unterr<strong>ich</strong>tsmethoden<br />

- weitgehend dem Reformanspruch<br />

auf Individualisierung des Lernens. Hier ist auch die<br />

Zusammenarbeit der Kollegen und die Zufriedenheit der<br />

Schüler/innen am größten. Es ist an der Zeit, dass der<br />

Sekundarbere<strong>ich</strong> nachzieht.<br />

Auch die Teilnehmer/innen der FESCH - Studienfahrt<br />

hatten übrigens nach Unterr<strong>ich</strong>tshospitationen den<br />

persönl<strong>ich</strong>en Eindruck, dass die Primarstufe in ihrer<br />

Unterr<strong>ich</strong>tspraxis der Sekundarstufe konzeptionell überlegen<br />

ist.<br />

Gefährl<strong>ich</strong>e Politisierung der<br />

PISA - Ergebnisse<br />

2006 hat wieder eine neue curriculare Reform begonnen.<br />

Die Basiskompetenzen sollen vor allem stärker<br />

gefördert werden, und zwar in allen Unterr<strong>ich</strong>tsfächern.<br />

Das Curriculum ist kompetenzbasiert. Dem Vernehmen<br />

nach kritisiert die Lehrerschaft, dass ohne genügende<br />

Unterstützung eine Reform die nächste jagt. Befürchtet<br />

wird außerdem, dass durch die Gewinner-Verlierer-Rhetorik<br />

der PISA- Rezeption in der norwegischen Politik<br />

die Neigung wachsen könnte, in eine Reformhektik zu<br />

verfallen, die wir in Deutschland schon als „Testeritis“<br />

negativ kennen gelernt haben. Von Inklusionsforschern<br />

wie Anne-Lise Arnesen am Ostfold College in Halden<br />

wird stattdessen gefordert, das Abschneiden in PISA-Tests<br />

n<strong>ich</strong>t zu dem einzigen Qualitätsmaßstab zu machen,<br />

zumal bei PISA die Stärken des norwegischen Systems ja<br />

gar n<strong>ich</strong>t erfasst werden.<br />

Es wird interessant sein, die durch die jüngste PISA-Studie<br />

ausgelöste bildungspolitische Debatte mit ihren politischen<br />

Konsequenzen in Norwegen zu verfolgen. FESCH<br />

wird auch 2008 ein Studienseminar mit der Mögl<strong>ich</strong>keit<br />

anbieten, die Entwicklung in norwegischen Schulen vor<br />

Ort zu erkunden.<br />

Brigitte Schumann<br />

ifenici@aol.com<br />

18<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


HOCHSCHULEN<br />

VERSETZUNG GEFÄHRDET<br />

Reform des Mainzer Lehramtsstudiums steht auf der Kippe<br />

Bei der Akkreditierung der neuen bildungswissenschaftl<strong>ich</strong>en<br />

Studiengänge an der Uni Mainz, die das pädagogische Begleitstudium<br />

für angehende LehrerInnen ablösen sollen, sind<br />

erhebl<strong>ich</strong>e Schwierigkeiten aufgetreten. Die zuständige Akkreditierungskommission<br />

hat das Verfahren ausgesetzt.<br />

Demzufolge bleibt der Uni maximal ein Jahr Zeit, um<br />

das Konzept für die bildungswissenschaftl<strong>ich</strong>en Studiengänge<br />

zu überarbeiten und erneut vorzulegen. Wird<br />

diese Frist versäumt, so ist das Akkreditierungsverfahren<br />

gescheitert. Bei der Einführung der neuen, zweistufigen<br />

Studienstruktur mit den Abschlüssen Bachelor und Master<br />

soll die Akkreditierung gewährleisten, dass strukturelle<br />

und qualitative Standards eingehalten werden. Dabei<br />

überprüft eine Gruppe von GutachterInnen die geplanten<br />

Studiengänge anhand fachl<strong>ich</strong>er Ges<strong>ich</strong>tspunkte und<br />

fächerübergreifender Vorgaben.<br />

Konzeptionelle Mängel<br />

Das für die Aussetzung des Verfahrens maßgebl<strong>ich</strong>e<br />

Gutachten enthält erschreckende Feststellungen: Das<br />

vorgesehene Studienangebot kann von den beteiligten<br />

Instituten mit den vorhandenen Ressourcen überhaupt<br />

n<strong>ich</strong>t bereitgestellt werden. Zudem ist von eklatanten<br />

Mängeln in der Konzeption die Rede: Sowohl für die<br />

Beratung der Studierenden als auch für die Abs<strong>ich</strong>erung<br />

qualitativer Standards mangele es an überzeugenden Konzepten.<br />

Zu den Prüfungen stellt das Gutachten fest: „Die<br />

vorgesehenen Leistungsanforderungen stehen häufig mit<br />

den Zielen und den Inhalten der Lehrangebote in keinem<br />

erkennbaren Zusammenhang.“<br />

Nach Einschätzung der GutachterInnen ist die Vernetzung<br />

psychologischer, pädagogischer und soziologischer<br />

Elemente n<strong>ich</strong>t gelungen. Die Konzeption kommt offenbar<br />

über eine bloße Aneinanderreihung der Studieninhalte<br />

n<strong>ich</strong>t hinaus und verfehlt das Ziel, eine vernetzte, an<br />

den übergeordneten Bildungszielen des bildungswissenschaftl<strong>ich</strong>en<br />

Studiums orientierte Gesamtkonzeption für<br />

die neuen Studiengänge zu entwickeln. Auch für eine<br />

Verbindung der bildungswissenschaftl<strong>ich</strong>en Angebote mit<br />

den Schulpraktika und den fachdidaktischen Angeboten<br />

- also mit der Ausbildung der Lehramtsstudierenden zur<br />

Vermittlung der Inhalte ihrer künftigen Unterr<strong>ich</strong>tsfächer<br />

- fehlen überzeugende Konzepte.<br />

Die Mögl<strong>ich</strong>keit einer berufl<strong>ich</strong>en Neuorientierung nach<br />

Abschluss des Bachelor-Studiums ist kaum gegeben: Der<br />

Eintritt in das Berufs<strong>lebe</strong>n stellt nach dem Erwerb dieses<br />

definitionsgemäß berufsqualifizierenden Abschlusses<br />

keine realistische Perspektive dar. Auch die Bedingungen<br />

für einen Übertritt in das Masterstudium anderer Fächer<br />

sind äußerst ungünstig. In dem Gutachten wird deshalb<br />

gefordert, die Mögl<strong>ich</strong>keiten für den Übergang in andere<br />

Studiengänge zu verbessern, wenn Studierende das Ziel<br />

aufgeben, den Beruf als LehrerIn auszuüben.<br />

Unzure<strong>ich</strong>ende Ausstattung<br />

Mit den vorgesehenen Proseminaren im Bachelorstudiengang,<br />

die für eine Gruppengröße von 60 Studierenden<br />

konzipiert sind, und mit dem ausschließl<strong>ich</strong>en Angebot<br />

von Pfl<strong>ich</strong>tveranstaltungen ohne die Mögl<strong>ich</strong>keit einer<br />

individuellen Schwerpunktbildung sind die Voraussetzungen<br />

für einen akzeptablen Studienverlauf denkbar<br />

ungünstig. Der zentrale Kritikpunkt der GutachterInnen<br />

ist jedoch, dass die zur Verfügung stehenden personellen<br />

Ressourcen n<strong>ich</strong>t einmal ausre<strong>ich</strong>en, um einen so konzipierten<br />

Studiengang durchzuführen.<br />

Auch die Ausstattung mit Räumen und die technische<br />

Ausstattung entsprechen n<strong>ich</strong>t den Erfordernissen.<br />

Das Gutachten „kommt zu der Einschätzung, dass zur<br />

Durchführung des Studiengangs n<strong>ich</strong>t genügend viele<br />

und genügend große Räume zur Verfügung stehen. Dies<br />

verhindert die Durchführbarkeit des Studiengangs und<br />

muss dringend verändert werden.“<br />

Die Einführung neuer bildungswissenschaftl<strong>ich</strong>er<br />

Studiengänge ist ein zentrales Element der Reform<br />

der LehrerInnenbildung in Rheinland-Pfalz. Daher ist<br />

davon auszugehen, dass die bisherigen Ergebnisse des<br />

Akkreditierungsverfahrens und dessen weiterer Verlauf<br />

im Bildungsministerium mit großer Aufmerksamkeit zur<br />

Kenntnis genommen werden.<br />

Mittlerweile deutet s<strong>ich</strong> an, dass die an der Gestaltung des<br />

bildungswissenschaftl<strong>ich</strong>en Studiums beteiligten wissenschaftl<strong>ich</strong>en<br />

Einr<strong>ich</strong>tungen mit zusätzl<strong>ich</strong>en Landesmitteln<br />

in die Lage versetzt werden, ein angemessenes Studienangebot<br />

einzur<strong>ich</strong>ten. Dieses soll den ambitionierten<br />

und in fachl<strong>ich</strong>en Kreisen weithin unumstrittenen Zielen<br />

der Reform der LehrerInnenbildung Rechnung tragen.<br />

Gunther Heinisch<br />

Klassenfahrten nach Berlin<br />

(incl. Transfer, Unterkunft, Programmgestaltung nach Absprache).<br />

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<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

19


ESSAY<br />

„ICH LEBE NICHT ALLEIN ZUSAMMEN“ - SYSTEMIK ALS HALTUNG<br />

- Von Prof. Dr. Rolf Arnold -<br />

Systemisches Denken und Handeln, setzt Wissen, Fähigkeiten<br />

und Selbstreflexivität voraus. Alle drei Dimensionen<br />

hängen eng miteinander <strong>zusammen</strong>. Man muss etwas darüber<br />

wissen, wie Systeme zustande kommen und nach<br />

welchen inneren Mechanismen sie s<strong>ich</strong> entwickeln, um<br />

s<strong>ich</strong> von den linear-mechanistischen Vorstellungen, die unser<br />

Denken und Handeln im Alltag bestimmen, allmähl<strong>ich</strong><br />

lösen zu können. Dabei mutet einem die neuere Systemtheorie<br />

einige Ernüchterungen zu, indem sie uns „eine<br />

wunderbare Lektion in Bescheidenheit“ (Jaeger 1998, S.<br />

163) erteilt. Auf ihrer Basis kann eine Haltung wachsen,<br />

die uns ganzheitl<strong>ich</strong>er, achtsamer und in unseren Stellungnahmen<br />

und Aktionen „dosierter“ und damit auch systemisch<br />

wirksamer werden läst. Diese Haltung ist der Kern<br />

jegl<strong>ich</strong>er systemischer Professionalität in der Initiierung<br />

und Begleitung von Veränderungsprozessen.<br />

Systemische Kompetenz<br />

und Haltung<br />

Das systemische Wissen ist ein erkenntnis-<br />

und wahrnehmungstheoretisches<br />

sowie neuerdings auch hirnphysiologisches<br />

Wissen um die Konstruktivität<br />

sowie Selbstbezügl<strong>ich</strong>keit dessen, was<br />

wir sehen. Wenn wir erkennen, blicken<br />

wir durch unsere Erfahrungen, die uns<br />

sehend, aber auch zugle<strong>ich</strong> blind machen.<br />

Systemisches Know how ist ein<br />

Wissen über diese Zusammenhänge, das<br />

jedoch nur zu einem „aktiven Wissen“<br />

werden kann, wenn es seinen gelebten Ausdruck in bestimmten<br />

Fähigkeiten findet:<br />

• So bleiben die Kenntnisse über die konstitutive Rolle der eigenen<br />

Beobachtung solange ein totes Wissen, solange es n<strong>ich</strong>t mit den<br />

Fähigkeiten verbunden wird, Vertrautes aufzugeben und die eigene<br />

Stimme des Bescheidwissens verstummen zu lassen.<br />

• Und auch das Wissen um die Unmögl<strong>ich</strong>keit der Intervention<br />

bleibt solange eine theoretische Beschreibung, solange wir n<strong>ich</strong>t<br />

in der Lage sind, aktiv unsere Fähigkeiten zum S<strong>ich</strong>-Einlassen auf<br />

Überraschendes und Unges<strong>ich</strong>ertes zu <strong>lebe</strong>n.<br />

• Schließl<strong>ich</strong> ist das systemische Wissen eine Art Meta- bzw. Prozesswissen,<br />

ein Know how to know, kein Know how: Es beschreibt n<strong>ich</strong>t<br />

die Wirkl<strong>ich</strong>keit selbst, sondern die Mechanismen, in denen diese<br />

s<strong>ich</strong> uns zu zeigen vermag. Wir können deshalb mit ihr festgelegt<br />

oder elegant umgehen, indem wir uns irritieren lassen und irritieren<br />

oder lieb gewonnene Erfahrungen um jeden Preis festhalten oder<br />

diese loslassen.<br />

Aus diesen Überlegungen lassen s<strong>ich</strong> Grundlinien einer systemischen<br />

Handlungskompetenz ableiten, die auch und gerade für<br />

pädagogische Handlungs<strong>zusammen</strong>hänge in der Unterr<strong>ich</strong>ts- und<br />

Schulentwicklung von grundlegender Bedeutung sind. Pädago-<br />

gisches Handeln wurde in den zurückliegenden Jahrhunderten<br />

immer wieder als ein auch selbsteinschließendes Handeln in den<br />

Blick genommen. Lehrerinnen und Lehrer üben keinen nüchternen<br />

Beruf aus. Sie bringen ihre berufl<strong>ich</strong>e Handlungen vielmehr mit<br />

ihrer eigenen Person dar - ein Sachverhalt, der den Lehrberuf auch<br />

manchem als einen „unmögl<strong>ich</strong>en Beruf“ (Adorno) erscheinen lässt.<br />

Dies bedeutet, dass s<strong>ich</strong> eine pädagogisch professionellen Kompetenz<br />

im Sinne einer systemischen Haltung n<strong>ich</strong>t wie ein professioneller<br />

Mantel um die Schultern legen lässt, sondern zugle<strong>ich</strong> auch ein<br />

tief durchspürter Ausdruck der eigenen Lebenspraxis sein muss.<br />

Nur, wer in seiner Persönl<strong>ich</strong>keit auch die Fähigkeiten reifen lassen<br />

konnte, s<strong>ich</strong> überraschender Komplexität zu stellen, ohne Angst<br />

und mit innerer Kraft auf die Lesarten des Gegenübers zu lauschen<br />

und immer wieder neue Versuche zu unternehmen, mit diesem<br />

in einen konstruktiven Dialog einzutreten, sie zu beraten und zu<br />

begleiten, der kann auch mit Menschen, für deren Entwicklung<br />

er professionell zuständig ist, fördernd und immer auch zu ihren<br />

inneren Bedingungen sowie fragend umgehen.<br />

Dem Fragen kommt in einer systemisch-pädagogischen Praxis<br />

eine grundlegende Bedeutung zu - auch hier ist es Sokrates, der die<br />

Kunst des Fragens kultivierte und in seiner Pädagogik der Irritation<br />

praktizierte. Für ihn war es - ganz im Sinne des systemisch-konstruktivistischen<br />

Paradigmas -<br />

„(...) n<strong>ich</strong>t gut, die Menschen im Wahne ihres Wissens zu belassen; denn<br />

in ihm unterlaufen und blockieren sie, worin auch noch das Wissen<br />

und das Wissenwollen seinen Anfang und seinen Ort hat: im Fragen<br />

und Denken. In eben dieses Fragen und Denken die Menschen zurück<br />

zu holen, sie hierfür in der skeptischen Irritierung und Negierung<br />

ihres dogmatischen Wissens, Halbwissens oder starren Meinens, falls es<br />

der Prüfung n<strong>ich</strong>t standhält, freizugeben, das könnte der Impetus für<br />

Sokrates´ Handeln gewesen sein“ (Fischer 2004, S.130).<br />

Systemisches Fragen ist ganz in diesem Sinne ein irritierendes Fragen.<br />

Es ist darauf bezogen, der kommunikativen Bedeutung festgefahrener<br />

Meinungen oder als schwierig empfundener Verhaltensweisen<br />

auf die Spur zu kommen. Anders als Sokrates fragen Systemiker<br />

jedoch n<strong>ich</strong>t nur, wie das Gegenüber seine Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen<br />

selbst versteht, es ist auch darauf ger<strong>ich</strong>tet, in Erfahrung<br />

zu bringen, wie dieses Gegenüber die mit seinem Verhalten<br />

verbundenen Erwartungen und Beobachtungen seines Umfeldes<br />

einschätzt und beurteilt: „Was denkst Du, Kurt, was es bei Claudia<br />

auslöst, wenn Du sagst, dass D<strong>ich</strong> der Unterr<strong>ich</strong>t langweilt und<br />

Du deshalb anfängst, D<strong>ich</strong> mit Ihr über anderes zu unterhalten?“<br />

Oder an einen anderen Schüler gewandt könnte eine systemische<br />

Frage lauten: „Was denkst Du, Stephan, wie Hannelore s<strong>ich</strong> fühlt,<br />

wenn Kurt sie während des Unterr<strong>ich</strong>ts in ein Gespräch verwickelt?“<br />

Durch ein solches Fragen können „neue Informationen im System<br />

(enstehen)“ (von Schlippe/ Schweitzer 2002, S.141), und „bei allen<br />

Beteiligten werden so neue S<strong>ich</strong>tweisen und Denkprozesse angeregt“<br />

(ebd.). Zugle<strong>ich</strong> wird kann so ein Verständnis für die systemische<br />

Eingebundenheit des Verhaltens entstehen.<br />

Das systemische Denken und Handeln ist eine Bewegung im Bewusstsein<br />

der ganzheitl<strong>ich</strong>en Eingebundenheit des eigenen Er<strong>lebe</strong>ns<br />

20<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


ESSAY<br />

Wissen<br />

• Wissen darüber, wie wir erkennen und wissen<br />

• Wissen darüber, welche Rolle dabei unsere Erfahrungen und die<br />

Muster unseres Denkens und Fühlens spielen<br />

• Wissen über die Unmögl<strong>ich</strong>keit von Intervention<br />

• Prozesswissen über die mögl<strong>ich</strong>en Formen der Irritation zur Verflüssigung<br />

von Starrem und zur Strukturierung von Flüssigem<br />

Fähigkeiten<br />

• die Fähigkeit zur selbständigen und angepassten Nutzung und<br />

Weiterentwicklung des eigenen Kompetenzportfolios<br />

• die Fähigkeit zur Aufgabe des Vertrauten und zum Einlassen<br />

auf Neues<br />

• die Fähigkeit die eigene Stimme des Bescheidwissens verstummen<br />

zu lassen und unvoreingenommen zu denken<br />

• die Fähigkeit zum Aufbruch und Abschied („Loslassen“)<br />

Selbstreflexivität<br />

• um die eigene Beobachterposition wissen<br />

• sein eigens Echo kennen<br />

• die eigenen bevorzugten Denk- und Fühlprogramme kennen<br />

• aus Fehlern und Scheitern lernen<br />

• Feedback wertschätzen und nutzen<br />

Abbildung:<br />

Elemente einer systemischen<br />

Handlungskompetenz<br />

Haltung<br />

• sokratische Fragehaltung<br />

• pädagogische Gelassenheit<br />

• Selbstkritikfähigkeit<br />

• Ressourcen- und Potenzialorientierung („Subjektorientierung“)<br />

• Unwirksamkeitstoleranz<br />

• Humor und Optimismus<br />

und Tuns. Wer systemisch denkt und handelt, der weiß um die Rolle<br />

seiner Beobachterposition und der ist auch in der Lage, behutsam<br />

mit dem umzugehen, was er wahrnimmt bzw. besser: für wahr<br />

nimmt. Er kennt die festlegende Wirkung seiner inneren Bilder,<br />

und er weiß zudem, dass die Kommunikation für das Gegenüber<br />

n<strong>ich</strong>t bei Null startet, sie ist vielmehr bereits stets im Gange und<br />

beginnt n<strong>ich</strong>t erst, wenn wir hinzutreten. Schülerinnen und Schülern<br />

kommen aus Elternhäusern und Milieus, in denen miteinander<br />

kommuniziert wird. Diese Jugendl<strong>ich</strong>en treten in den schulischen<br />

Erfahrungsraum ein, in dem ihnen die bereits ebenfalls schon immer<br />

typischen Formen des Miteinander-Redens („Unterr<strong>ich</strong>tsgespräch“)<br />

als vorhandene - gewissermaßen vorgefertigte - Routinen begegnen,<br />

in die sie s<strong>ich</strong> kommunikativ einfädeln müssen. Diese prinzipielle<br />

Fremdheit des anderen und seiner Kommunikationsweisen kann<br />

schier unüberwindbar werden, wenn wir es mit Kindern und Jugendl<strong>ich</strong>en<br />

zu tun haben, die aus anderen kulturellen Kontexten<br />

in unsere Schulen kommen. Aber auch die Milieus der deutschen<br />

Schülerinnen und Schüler, die oft als „gefährdete Jugendl<strong>ich</strong>e“<br />

beze<strong>ich</strong>net werden, sind den Beobachtungen der Lehrkräfte genauso<br />

verschlossen wie die türkischer, italienischer oder anderer<br />

Herkunftskultur. Besonders anges<strong>ich</strong>ts solcher Situationen wird uns<br />

ein systemischer Mechanismus bewusst, der stets die Wirksamkeit<br />

unserer pädagogischen Arbeit begrenzt:<br />

Wahrnehmen ist Beobachten, d.h. ein „Für-wahr-Nehmen“. Ein<br />

Beobachter kann nur das beobachten, was er wahrzunehmen<br />

vermag, das andere bleibt ihm verborgen. Insofern ist jede Beobachtung<br />

eine selektive Beobachtung. Der andere bleibt uns fremd<br />

- eine Feststellung, die wir uns insbesondere bei den folgenre<strong>ich</strong>en<br />

pädagogischen Beobachtungen, den Beurteilungen, stets vor Augen<br />

führen müssen.<br />

Auch den Lehrerinnen und Lehrern begegnet Schule als eine bereits<br />

im Gang befindl<strong>ich</strong>e Kommunikation - ein interaktives Rauschen<br />

und ein Sprachspiel -, in die sie hineinsozialisiert wurden und an<br />

dessen Fortdauern sie s<strong>ich</strong> mit ihrem eigenen kommunikativen<br />

Handeln beteiligen. Durch subtilste Mechanismen trägt das System<br />

Schule dafür Sorge, dass auch nur so kommuniziert wird, wie<br />

dies die im System übl<strong>ich</strong> ist. Nur allmähl<strong>ich</strong> verändern s<strong>ich</strong> diese<br />

in kommunikative Routinen eingebetteten schulischen Lern- und<br />

Kooperationskulturen.<br />

Die Kommunikation „gehört“ den Lehrerinnen und Lehrern nur<br />

sehr eingeschränkt, sie ist n<strong>ich</strong>t bloßer Ausdruck eigener Mitteilungsbedürfnisse<br />

und auch keine Form der Übermittlung von<br />

Informationen, und ebenso wenig ist die Erre<strong>ich</strong>ung eines Konsenses<br />

ihr vornehml<strong>ich</strong>er Zweck. Über die Kommunikation sind<br />

wir miteinander verbunden, selbst wenn wir uns n<strong>ich</strong>t verstehen<br />

können - dies scheint das Entscheidende zu sein. Durch Kommunikation<br />

entstehen Gemeinschaft und Gesellschaft, in denen um<br />

gemeinsame Sinnzuschreibungen in einer Weise gerungen wird,<br />

als sei ein wirkl<strong>ich</strong>er Konsens erre<strong>ich</strong>bar. Doch dieser kann n<strong>ich</strong>t<br />

erre<strong>ich</strong>t werden, da dann die Kommunikation zum Erliegen käme<br />

und das soziale System sein Bindemittel verlieren würde - so die<br />

scharfsinnige Analyse von Niklas Luhmann. Seine Arbeiten haben<br />

uns deutl<strong>ich</strong> jedoch vor Augen geführt, dass das kommunikative<br />

Ringen um Konsens das konstitutive Merkmal von Gesellschaft ist,<br />

n<strong>ich</strong>t der Konsens selbst (vgl. Luhmann 2002, S. 288ff).<br />

Kommunikation ist der Stoff, aus dem soziale Systeme bereits vor<br />

unserem Eintritt bestehen. Indem wir uns in die etablierten Kommunikationsweisen<br />

einfädeln, werden wir zu Mitgliedern eines<br />

Systems und nehmen an dessen kontinuierl<strong>ich</strong>en Bemühen um<br />

Sinnklärung und Sinnfortschreibung teil. Aus welchem geteilten<br />

Sinn besteht unsere Schule, mein didaktisches Konzept oder mein<br />

erzieherischer Ansatz - so ließe s<strong>ich</strong> fragen?<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

21


ESSAY<br />

Für den Systemiker oder die Systemikerin bedeutet dies, dass für sie<br />

die Kommunikation das ist, was es zu fördern und zu erhalten gilt,<br />

n<strong>ich</strong>t das Rechthaben und Bescheidwissen in der Kommunikation<br />

selbst. Sie wissen um die Begrenztheit ihrer eigenen Deutungen<br />

und sind deshalb weniger darum bemüht, Ratschläge zu geben als<br />

vielmehr Selbstklärungsprozesse („Suchbewegungen“) zu initiieren.<br />

Systemiker sind Veränderungsspezialisten, und Veränderung ist<br />

stets Lernen, wie auch Lernen Veränderung ist. Ihnen ist bewusst,<br />

dass man soziale Systeme nur wandeln kann, indem man die<br />

Kommunikationsweisen in ihnen ändert. Und auch der Sinn, um<br />

den die Organisation mehr oder weniger bewusst ringt, ist durch<br />

Visionen, Leitbilder und Konzepte beeinflussbar. Plötzl<strong>ich</strong> laufen<br />

die Interaktionen n<strong>ich</strong>t mehr in den eingefahrenen Gleisen des Minimalkonsens,<br />

sondern werden durch die gezielte Enttäuschung des<br />

„Weiter-so-wie-bisher“ durchkreuzt. Dies zeigt auch das bekannte<br />

Beispiel der Rütlischule in Berlin-Neukölln - ein Beispiel, das durch<br />

die Presse ging.<br />

Beispiel:<br />

Lehrerinnen und Lehrer dieser Schule hatten s<strong>ich</strong> mit diesem Hilferuf<br />

an den Berliner Senat und die Öffentl<strong>ich</strong>keit gewandt. Sie<br />

kapitulierten vor dem Sachverhalt, dass sie in ihrer Arbeit keinerlei<br />

pädagogische Resonanz bei den ihnen anvertrauten Schülerinnen<br />

und Schülern mehr erre<strong>ich</strong>en konnten. Ihr Hilferuf benennt drei<br />

Problemebenen, die Siegfried Arnz, Oberschulrat in Berlin, mit<br />

folgenden Worten beschreibt:<br />

• Viele Schüler - insbesondere muslimische Jungen - haben keinerlei<br />

Respekt vor den in der Schule wirkenden Erwachsenen.<br />

• Die Erwachsenen finden keinen Weg, diese Schüler zur Akzeptanz<br />

von Schule zu bewegen und erre<strong>ich</strong>en die Eltern n<strong>ich</strong>t.<br />

• Die Lehrkräfte fühlen s<strong>ich</strong> <strong>allein</strong> gelassen und beklagen fehlende<br />

Unterstützung.“ (Arnz 2007, S.30)<br />

Und in der Tat kann n<strong>ich</strong>t übersehen werden, dass die Hauptschule,<br />

um die es hier geht, für eine Entwicklung steht, in der dieser<br />

Schultyp zum Auffangbecken der unteren 10 Prozent Jugendl<strong>ich</strong>er<br />

geworden ist. Dieser Trend wurde bildungspolitisch zwar bemerkt,<br />

aber n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong> ernst genommen. Sozialpädagogisch eingebettet<br />

Konzepte, eine Unterr<strong>ich</strong>tsdidaktik, welche an der Lebenswelt<br />

dieser vielfach fremden Jugendl<strong>ich</strong>en anknüpft sowie eine zugewandte<br />

Unterstützungs- und Beratungsstruktur für diese n<strong>ich</strong>t nur<br />

multikulturell spezifische Klientel wurden nur selten entwickelt.<br />

Unbeschulbare Jugendl<strong>ich</strong>e einerseits und Burn-Syndrom beim<br />

Lehrpersonal andererseits sind deshalb die nach wie vor verbreiteten<br />

Erscheinungen. Diese sind Ausdruck einer systemischen Dynamik,<br />

als deren Ursprung Arnz die kontinuierl<strong>ich</strong>e und massierte Erfahrung<br />

„geringster Selbstwirksamkeit“ (ebd., S.31) identifiziert - eine<br />

Einschätzung, welche auch Brigitte Pick, die langjährige Leiterin der<br />

Rütlischule in ihrem Buch „Kopfschüsse“ beschreibt. Sie möchte<br />

mit ihren Erfahrungsschilderungen zeigen,<br />

„(...) dass die vorverurteilten Jugendl<strong>ich</strong>en Schicksale verkörpern, dass<br />

sie andauernd Versuche unternehmen, s<strong>ich</strong> zu befreien, dass sie Freundschaft<br />

und Liebe suchen, dass sie dabei allerdings n<strong>ich</strong>t sehr erfolgre<strong>ich</strong><br />

sind“ (Pick 2007, S.10) -<br />

eine Wahrnehmung der Jugendl<strong>ich</strong>en, welche die offizielle Lesart,<br />

insbesondere die durch Presse und Medien verbreitete, n<strong>ich</strong>t zu<br />

teilen vermag. Dort war und ist u.a. die Rede von „Terrorschülern“,<br />

wodurch den Schülerinnen und Schülern ein Label mit eindeutiger<br />

Schuldzuweisung verpasst wurde, während die Verhältnisse<br />

selbst n<strong>ich</strong>t in den Blick gerieten - eine bequeme, aber auch recht<br />

unterkomplexe S<strong>ich</strong>t der Dinge. Gegen dieses Label begannen die<br />

Rütlischüler s<strong>ich</strong> erfolgre<strong>ich</strong> zu wehren, indem sie - unter einer<br />

neuen Leitung - mit einem Antiaggressionstraining, Partnerschaften<br />

mit Wirtschaftsunternehmen und öffentl<strong>ich</strong>en Einr<strong>ich</strong>tungen, dem<br />

Projekt „Wahlpfl<strong>ich</strong>t-AG Boxen“ einem Workshop der Showgruppe<br />

„Young Americans“ sowie dem Projekt „Rütli Wear“ auf s<strong>ich</strong><br />

aufmerksam machten und die Schülerinnen und Schüler dort zu<br />

packen verstand, wo diese anzusprechen waren: ihrer Ehre. Viele<br />

waren entschlossen, nun allen zu zeigen, dass etwas in ihnen steckt<br />

und s<strong>ich</strong> gegen die veröffentl<strong>ich</strong>ten Labels zur Wehr zu setzen. In<br />

einem Erfahrungsber<strong>ich</strong>t über die gemeinsame Show ist über dieselben<br />

Schülerinnen und Schüler, die zuvor ihre Lehrkräfte zu dem<br />

erwähnten Hilferuf gebracht hatten, zu lesen:<br />

„Wir lernten in den Altersgruppen Tanzformationen, sangen einzeln<br />

und im Chor, machten Improvisationsspiele, sprachen über Gefühle. Die<br />

Young Americans eroberten die Herzen der Lernenden. Sie trösteten,<br />

bauten auf, ermunterten, zeigten den SchülerInnen ihre Wertschätzung<br />

und erzielten dadurch Ausdauer und Erfolg. Mit Störungen gingen sie<br />

souverän um. Nur einmal war es erforderl<strong>ich</strong>, dass ein Schüler einen<br />

Workshop verlassen musste. Auch dieser Schüler konnte später wieder<br />

integriert werden.<br />

Die Aufregung vor der Show war groß. Auf der Generalprobe ging noch<br />

vieles durcheinander. Doch die Young Americans schafften es, alles auf<br />

den Punkt zu bringen. Die individuelle Betreuung der Soloauftritte,<br />

das An-die-Hand-Nehmen von SchülerInnen und LehrerInnen durch<br />

die Young Americans stärkten den Mut und das Selbstbewusstsein. Die<br />

SchülerInnen waren fasziniert vom ersten Teil der Show, den die Young<br />

Americans uns Rütlis gewidmet hatten. Eine Musical-Show, die die<br />

Arena mit über 900 ZuschauerInnen in ihren Bann zog. Auch unsere<br />

Show erre<strong>ich</strong>te die Gäste, Ergriffenheit auf beiden Seiten, am Ende<br />

Tränen beim Abschiednehmen. (...)<br />

Die Beteiligung der Schülerschaft lag bei 90 Prozent, die der LehrerInnen<br />

bei 75 Prozent. Insgesamt können wir sagen, dass diese drei Tage<br />

eine überwältigende Erfahrung für unsere Schulgemeinschaft war. Die<br />

Begegnung von SchülerInnen und LehrerInnen auf einer Ebene - als<br />

Lernende - schafft eine neue Atmosphäre in der Schule, die s<strong>ich</strong> positiv<br />

auf den Schulalltag auswirkt. Die gemeinsamen Erlebnisse werden<br />

erinnert, Bilder und Videoclips ausgetauscht, Schülerzeitungen entstehen.<br />

Wir wollen die Bedürfnisse nach Tanz und Gesang aufnehmen<br />

und auch AGs mit professionellen Anleitern organisieren“ (Eggelbrecht<br />

2006, S.2).<br />

Dieses Beispiel enthält alles, was vom Standpunkt einer systemischen<br />

Pädagogik anges<strong>ich</strong>ts „kritischer Schulmilieus“ (Baumert) oder<br />

„kippender Schulen“ (Arnz 2007) wirkl<strong>ich</strong> verantwortungsvoll zu<br />

vertreten ist. Es geht n<strong>ich</strong>t zunächst um eine veränderte Haltung<br />

der Schülerinnen und Schüler, sondern um eine veränderte Haltung<br />

der Lehrerinnen und Lehrer. Wenn diese das Bild, das sie von ihrer<br />

Klientel haben, verändern, können s<strong>ich</strong> auch die Schülerinnen<br />

und Schüler verändern und aus der Festlegung durch dieses Bild<br />

heraustreten.<br />

Schulischer Wandel und die Veränderung überlieferter Lernkulturen<br />

setzen keine veränderte Haltung der Schülerinnen und<br />

Schüler voraus, sondern bedürfen einer gewandelten Haltung<br />

der Lehrkräfte. Diese müssen offener gegenüber den Systemiken<br />

22<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


ESSAY<br />

ihres Gegenübers und des pädagogischen Feldes werden. Und sie<br />

müssen um die festlegende Wirkung ihrer eigenen Bilder vom<br />

Gegenüber und dessen Mögl<strong>ich</strong>keiten wissen.<br />

Diese festlegenden Wirkungen unserer Bilder vom anderen hat<br />

Max Frisch verschiedentl<strong>ich</strong> in seinen Texten thematisiert. In seinen<br />

Tagebüchern findet s<strong>ich</strong> eine Aufze<strong>ich</strong>nung mit dem Titel „Du sollst<br />

Dir kein Bildnis machen“ (Frisch 1985), in dem es heißt:<br />

„Man hat darauf hingewiesen, das Wunder jeder Prophetie erkläre<br />

s<strong>ich</strong> teilweise schon daraus, dass das Künftige, wie es in den Worten<br />

eines Propheten erahnt scheint und als Bildnis entworfen wird, am<br />

Ende durch eben dieses Bild verursacht, vorbereitet, ermögl<strong>ich</strong>t oder<br />

mindestens befördert worden ist (...).<br />

Kasandra, die Ahnungslose, die scheinbar Warnende und nutzlos<br />

Warnende, ist sie immer ganz unschuldig an dem Urteil, das sie vorausklagt?<br />

Dessen Bildnis sie entwirft.<br />

Irgendeine fixe Meinung unserer Freunde, unserer Eltern, unserer<br />

Erzieher, auch sie lastet auf manchem wie ein altes Orakel. Ein halbes<br />

Leben steht unter der heiml<strong>ich</strong>en Frage: Erfüllt es s<strong>ich</strong> oder erfüllt<br />

es s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Mindestens die Frage ist uns auf die Stirne gebrannt,<br />

und man wird ein Orakel n<strong>ich</strong>t los, bis man es zur Erfüllung bringt.<br />

Dabei muss es s<strong>ich</strong> durchaus n<strong>ich</strong>t im geraden Sinne erfüllen; auch im<br />

Widerspruch zeigt s<strong>ich</strong> der Einfluss, darin, dass man n<strong>ich</strong>t sein will,<br />

wie der andere uns einschätzt. Man wird das Gegenteil, aber man wir<br />

es durch den anderen.<br />

Eine Lehrerin sagte einmal meiner Mutter, niemals in ihrem Leben<br />

werde sie stricken lernen. Meine Mutter erzählte uns jenen Ausspruch<br />

sehr oft; sie hat ihn nie vergessen, nie verziehen; sie ist eine leidenschaftl<strong>ich</strong>e<br />

und ungewöhnl<strong>ich</strong>e Strickerin geworden, und alle die Strümpfe<br />

und Mützen, die Handschuhe, die Pullover, die <strong>ich</strong> jemals bekommen<br />

habe, am Ende verdanke <strong>ich</strong> sie <strong>allein</strong> jenem ärgerl<strong>ich</strong>en Orakel!...“<br />

(ebd., S.28f).<br />

Es gibt in der Literatur kaum eine treffendere Beschreibung der<br />

systemischen Wirkungen, die von Festlegungen ausgehen können.<br />

Diese können einengen oder zum Widerstand mobilisieren - dies ist<br />

das Spektrum der mögl<strong>ich</strong>en, n<strong>ich</strong>t-linearen Effekte von dem, was<br />

wir erzieherisch deuten und tun. Unsere Deutungen jedoch sind<br />

w<strong>ich</strong>tige Bausteine unseres Selbst. Dieses können und wollen wir<br />

nur selten wirkl<strong>ich</strong> aufgeben. Zu groß ist unsere Angst davor, dass<br />

ein neuer Blick auf das uns Vertraute uns überraschen und es uns<br />

die Sprache verschlagen könnte. Echtes In-Beziehung-Treten und<br />

pädagogisch professionelles Wahrnehmen, Denken und Handeln<br />

jedoch ist ohne ein Herauswachsen aus den vertrauten Deutungen<br />

kaum mögl<strong>ich</strong>. Denn ohne dieses Heraustreten kommen wir im<br />

Gegenüber immer nur in Kontakt mit uns selbst bzw. mit dem, was<br />

wir in den anderen hineinsehen. So bleibt der „schwierige Schüler“<br />

der „schwierige Schüler“, wir stellen ihn beständig selbst wieder mit<br />

her. Es gilt aber auch das Umgekehrte: Wir sind<br />

„in gewissem Grade wirkl<strong>ich</strong> das Wesen (sind), das die anderen in uns<br />

hineinsehen, Freunde wie Feinde. Und umgekehrt! auch wir sind die<br />

Verfasser der anderen; wir sind auf eine heiml<strong>ich</strong>e und unentrinnbare<br />

Weise verantwortl<strong>ich</strong> für das Ges<strong>ich</strong>t, das sie uns zeigen, verantwortl<strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>t für ihre Anlage, aber für die Ausschöpfung dieser Anlage. Wir<br />

sind es, die dem Freunde, dessen Erstarrtsein uns bemüht, im Wege<br />

stehen, und zwar dadurch, dass unsere Meinung, er sei erstarrt, ein<br />

weiteres Glied in jener Kette ist, die ihn fesselt und langsam erwürgt“<br />

(ebd., S.29).<br />

Aus diesen Überlegungen ergibt s<strong>ich</strong> eine weitere Hauptkritik an<br />

den vielfach vorherrschenden Versuchen, das Erzieherische linear<br />

zu fassen. Der schl<strong>ich</strong>te Gedanke, dass dort, wo Disziplinprobleme<br />

bestehen, Disziplinierung angezeigt sei und zu den erwünschten<br />

Effekten führe (vgl. Bueb 2006), ist s<strong>ich</strong> seiner festlegenden Implikationen<br />

n<strong>ich</strong>t bewusst. Bereits die Beze<strong>ich</strong>nung des Verhaltens<br />

eines Gegenübers als „undizipliniert“ entstammt einer typisierenden<br />

Brille, mit der man nur sieht, was man sieht. Von daher könnte<br />

man in Anlehnung an Frisch sagen: „Die Disziplinpädagogik ist<br />

es, die den undisziplinierten Kindern und Jugendl<strong>ich</strong>en im Wege<br />

stehen, und zwar dadurch, dass ihre Meinung, der andere sei undiszipliniert,<br />

ein weiteres Glied in der Kette ist, die ihn fesselt und<br />

langsam erwürgt“. So erzeugt s<strong>ich</strong> die Disziplinpädagogik ihren<br />

eigenen Gegenstand und auch ihre eigene Berechtigung. Und einer<br />

systemischen Pädagogik bleibt auch n<strong>ich</strong>t verborgen, dass es die<br />

Disziplinpädagogen selbst sind, die hier „das Problem“ darstellen<br />

bzw. in die erzieherischen Situationen mitbringen. In diesem Sinne<br />

stellte bereits der bekannte Schulpraktiker und Pädagoge in seinem<br />

weit verbreiteten Buch „Techniken des Lehrerverhaltens fest:<br />

„Lehrer, die glauben, ihre Schüler dauernd kontrollieren zu müssen,<br />

werden (hoffentl<strong>ich</strong>!) immer Disziplinprobleme haben! Jeder Lehrer,<br />

der an das Märchen glaubt, dass Schüler im Gle<strong>ich</strong>schritt lernen, sollte<br />

Disziplinschwierigkeiten haben!“(Grell 1995, S.202).<br />

Dem ist n<strong>ich</strong>ts hinzuzufügen. Es ist der systemische pädagogische<br />

Blick, der hier implizit enthalten ist. Grell weiß um die selbst erfüllende<br />

Prophezeiung unserer Wahrnehmung. Er weiß, dass die Bilder<br />

und Typisierungen, die wir uns vom Gegenüber entwerfen, dieses<br />

Gegenüber auch festlegen und wir uns so die Realität mit erschaffen,<br />

der wir dann mit den selben Mustern zu Leibe zu rücken versuchen,<br />

wie denen, die uns diese Realität als das erscheinen ließen, als das<br />

sie uns erscheint. Hier hilft nur eines: Man muss aus den eigenen<br />

Mustern der bevorzugten Wahrnehmung aussteigen, statt diese noch<br />

in Bücher zu publizieren und ihnen so eine Wirkung zu verleihen,<br />

die mit dazu beiträgt, dass die Erziehungskultur in Deutschland so<br />

bleibt, wie sie ist. Dies ist die eigentl<strong>ich</strong>e Erziehungskatastrophe,<br />

über die es nachzudenken lohnt. Diese Erziehungskatastrophe ist<br />

letztl<strong>ich</strong> das Ergebnis einer tiefen Selbstgerechtigkeit und somit<br />

Ausdruck von eigenen Ängsten und eigener Schwäche. Der nüchterne<br />

und aufmerksame Blick auf das Geschehen ist ihr fremd, zu<br />

laut ist das eigene Rauschen im Denken, Fühlen und Handeln der<br />

eifernden Pädagogen.<br />

Das „Lob der Disziplin“ (Bueb 2006) arbeitet zudem auf eine<br />

subtile Weise auch mit der Opferbrille. Eltern, Lehrerinnen und<br />

Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher sind für ihn die Opfer<br />

der Undiszipliniertheit. Ihre Erziehungshandlungen haben deshalb<br />

auch den Charakter einer berechtigten Verteidigungsreaktion. Diese<br />

Argumentationsmuster hat etwas Selbstgerechtes. Das Opfer ist<br />

immer in der „guten Rolle“. Opfer stehen in einer Schulddistanz,<br />

die nur schwer wirkl<strong>ich</strong> ausgegl<strong>ich</strong>en werden kann, man müsste ja<br />

dann die selbstgerechten Typisierungen aufgeben. Deshalb ist es der<br />

„schuldige“ Teil, der s<strong>ich</strong> irgendwann ganz entziehen muss, dann<br />

erlischt die Beziehung und mit ihr jegl<strong>ich</strong>e Erziehungswirksamkeit.<br />

Entziehen können s<strong>ich</strong> Kinder und Jugendl<strong>ich</strong>e oft n<strong>ich</strong>t, da sie<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

23


ESSAY<br />

der lange Arm der Erziehung fast überall zu erre<strong>ich</strong>en vermag. Sie<br />

können s<strong>ich</strong> gle<strong>ich</strong>wohl innerl<strong>ich</strong> entziehen, und die Unwirksamkeit<br />

der Erziehung, über die Bueb u.a. klagen, ist oft das Ergebnis einer<br />

solchen „inneren Kündigung“. Doch diese ihrerseits ist auch Folge,<br />

n<strong>ich</strong>t nur Ursache einer Beziehungslosigkeit im pädagogischen<br />

Verhältnis zwischen Kindern und Jugendl<strong>ich</strong>en einerseits und den<br />

Erziehungsverantwortl<strong>ich</strong>en andererseits.<br />

Erziehung gelingt nur durch Beziehung, d.h. ein In-Beziehung-<br />

Treten mit denen, denen die Erziehung gelten soll. Es genügt n<strong>ich</strong>t,<br />

resigniert festzustellen, dass diese Jugendl<strong>ich</strong>en n<strong>ich</strong>t in Beziehung<br />

treten wollen. Die erzieherische Beziehung ist vielmehr eine professionelle<br />

Bringschuld der Lehrer. Um mit schwierigen Schülerinnen und<br />

Schülern in Kontakt zu kommen, müssen immer wieder neu und<br />

phantasievoll Wege gesucht werden. Die „Befriedung“ schwieriger<br />

Schulen durch Disziplinierungsmaßnahmen vergangener Zeiten<br />

führen hingegen ins Abseits und tragen ungewollt zur Verschärfung<br />

der Abseitsfalle, in der die Schüler und Schülerinnen „kritischer<br />

Schulmilieus“ s<strong>ich</strong> zumeist befinden - Schülerinnen und Schüler,<br />

die in förderl<strong>ich</strong>en Kontexten zu vielem in der Lage sind, wie die<br />

Beispiele zeigen. Es ist die Aufgabe professioneller ErzieherInnen<br />

und LehrerInnen, ständig neue und phantasievolle Wege der Ansprache<br />

zu suchen. Resignation ist oft genug auch Ausdruck eigener<br />

Begrenzungen, n<strong>ich</strong>t nur objektiv „schlechter“ Verhältnisse.<br />

Dieses Rüttli-Beispiel zeigt, dass Lehrersein als geradezu konstitutives<br />

Merkmal des Lehrerberufs genau dieses N<strong>ich</strong>t-Festgelegtsein<br />

enthält. Lehrerinnen und Lehrer müssen wandlungskompetent<br />

sein, sie müssen s<strong>ich</strong> die Welt immer auch wieder neu und anders<br />

vorstellen können. Im Vordergrund ihres Bemühens stehen der<br />

Dialog und die Beziehung, wobei sie s<strong>ich</strong> stets der Tatsache bewusst<br />

sind, dass Kommunikation letztl<strong>ich</strong> etwas Flirrendes ist und<br />

bleibt. Sie ist dann erfolgre<strong>ich</strong>, wenn sie weiter geht und bei den<br />

Beteiligten den Eindruck stärkt, dass Verständigung immer wieder<br />

neu mögl<strong>ich</strong> ist. Dieses Bewusstsein ist Ausdruck einer Haltung,<br />

die in ihrem Kern eine pädagogische Haltung ist. Eben so wenig,<br />

wie Kommunikation der bloßen Übermittlung von Informationen<br />

dient, so wenig dient das pädagogische Handeln der bloßen Anpassung<br />

an gesellschaftl<strong>ich</strong>e Erwartungen. Es kommt vielmehr darauf<br />

an, die nachwachsende Generation für beides zu stärken: für die<br />

Teilnahme an der gesellschaftl<strong>ich</strong>en Kommunikation und für die<br />

Wahrnehmung und die Gestaltung des Eigenen.<br />

Unterr<strong>ich</strong>t und Erziehung sind Gelegenheiten, in denen Kommunikation<br />

geübt, Beziehung geübt und Dialogfähigkeit gefördert<br />

werden können.<br />

Die Haltung eines systemischen Pädagogen oder einer systemischen<br />

Pädagogin lässt s<strong>ich</strong> in der Form eines Code of Ethics beschreiben,<br />

der die grundlegenden systemisch-ethischen Elemente beschreibt,<br />

denen ein professionelles Handeln in pädagogischen Kontexten<br />

verpfl<strong>ich</strong>tet ist.<br />

Systhemia -<br />

ein Netzwerk für die Schulpraxis<br />

Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen können ihre Kompetenzen<br />

zum Umgang mit Komplexität durch Weiterbildung,<br />

Beratung und Coaching entwickeln.<br />

Systhemia ist ein Zusammenschluss von systemisch arbeitenden<br />

Pädagogen, Trainern und Beratern, die u.a. folgende Ausbildungen<br />

sowie Beratungen organisieren:<br />

Systemische Pädagogik<br />

In zwölf eintägigen Modulen lernen Sie den systemischen Ansatz<br />

im Blick auf Unterr<strong>ich</strong>ts- und Schulentwicklung kennen, übern<br />

systemische Methoden und entwickeln so eine systemisch-pädagogische<br />

Haltung.<br />

Systemische Schulentwicklung<br />

Lehrkräfte und Schulen benötigen auf dem Weg zur eigenverantwortl<strong>ich</strong>en<br />

Schule Begleitung, Beratung und eine auf ihre Bedürfnisse<br />

zugeschnittene Weiterbildung und Prozessbegleitung. In<br />

einem sechsstufigen Prozess werden Schulentwicklungsprozesse<br />

vor Ort angebahnt, begleitet und Ziel führend gestaltet.<br />

Erziehungsentwicklung<br />

Schulentwicklung ist auch Erziehungsentwicklung. Lehrerinnen<br />

und Lehrer benötigen ebenso wie Eltern vielfach Rat und Begleitung<br />

beim Ausstieg aus den bekannten Eskalationsspiralen<br />

im Umgang mit „schwierigen“ Schülerinnen und Schülern.<br />

Schulen müssen zudem ihre Programme auch im Hinblick<br />

auf die Erziehungsfrage profilieren. In Workshops sowie durch<br />

individuelles Coaching werden entsprechende Entwicklungen<br />

professionell begleitet.<br />

Näheres: www.systhemia.com<br />

DER EID DES SYSTEMAGOS<br />

Als Pädagoge bin <strong>ich</strong> in erster Linie der Entfaltung der inneren Kräfte<br />

und Mögl<strong>ich</strong>keiten meiner Schülerinnen und Schüler verpfl<strong>ich</strong>tet. Meine<br />

Aufgabe ist es, ihre Kompetenzen so zu fördern und zu entwickeln,<br />

dass sie mit den Situationen, Fragen und Problemen, die ihr Leben für<br />

sie bereit halten wird, mögl<strong>ich</strong>st konstruktiv und erfolgre<strong>ich</strong> umgehen<br />

können. Ich klage n<strong>ich</strong>t über die „Schwierigkeiten“, die sie mir dabei<br />

machen, sondern weiß, dass <strong>ich</strong> genau für die systemisch intelligente<br />

Lösung solcher Schwierigkeiten zuständig bin.<br />

Zugle<strong>ich</strong> bin <strong>ich</strong> Erwartungen der Gesellschaft und curricularen<br />

Vorgaben ausgesetzt, die mir Ziele vorgeben und den Rahmen meiner<br />

Mögl<strong>ich</strong>keiten bestimmen. Ich habe aufgehört, über die Einengungen<br />

durch diesen Rahmen zu lamentieren, und erkannt, dass <strong>ich</strong> <strong>allein</strong><br />

dafür verantwortl<strong>ich</strong> bin, diesen Rahmen sinnvoll zu nutzen oder in<br />

einer lähmenden Unwirksamkeit zu erstarren.<br />

Deshalb verpfl<strong>ich</strong>te <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong>, mein pädagogisches Handeln in Zukunft<br />

gemäß folgender Eins<strong>ich</strong>ten zu gestalten:<br />

• Ich habe erkannt, dass <strong>ich</strong> den schulischen Rahmen noch n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong><br />

ausgelotet habe und mir der Verweis auf seine Vorgaben oft nur<br />

dazu diente, andere Wege, vor denen <strong>ich</strong> Angst habe und die <strong>ich</strong> für<br />

unmögl<strong>ich</strong> halte, n<strong>ich</strong>t zu versuchen. Ich weiß, dass im Außen nur sein<br />

darf, was im Inneren bereits existiert, weshalb <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> verstärkt um<br />

die Überwindung dieser inneren Bilder, die m<strong>ich</strong> und andere festlegen,<br />

kümmere und m<strong>ich</strong> bemühe, meine didaktische und erzieherische<br />

Phantasie zu entfalten (Selbstveränderungs-Credo).<br />

24<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


ESSAY / GESELLSCHAFT<br />

• Ich höre jetzt auf, inhaltl<strong>ich</strong>e Vorgaben nur zu erledigen, sondern<br />

bemühe m<strong>ich</strong> stets darum, meinen Schülerinnen und Schülern eine<br />

wirkl<strong>ich</strong>e Aneignung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu<br />

ermögl<strong>ich</strong>en (Ermögl<strong>ich</strong>ungsdidaktisches Credo).<br />

• Ich habe erkannt, dass <strong>ich</strong> als Lehrer nur erzieherisch wirksam<br />

sein kann, wenn <strong>ich</strong> mit den Schülerinnen und Schülern wirkl<strong>ich</strong> in<br />

Beziehung trete und die eigenen Bilder, mit denen <strong>ich</strong> sie identifiziere,<br />

auflöse und loslasse. Erziehung geschieht durch Beziehung und nur<br />

durch Beziehung (erzieherisches Credo).<br />

Deshalb schwöre <strong>ich</strong>,<br />

• stets die mir anvertrauten Menschen als Fremde zu respektieren<br />

und ihnen in dem Bewusstsein zu begegnen, dass meine Beobachtung<br />

von ihnen nur das zu erkennen vermag, was meine Beobachtung zu<br />

erkennen vermag,<br />

• sie niemals zu kränken oder zu entmutigen, sondern einzig und<br />

<strong>allein</strong> (auch und gerade bei den von mir als „schwierig“ empfundenen<br />

Kindern und Jugendl<strong>ich</strong>en) nach Wegen zu suchen, auf denen sie<br />

ihre Selbstwirksamkeit erfahren und spüren können,<br />

• stets die Verständigung mit den mir anvertrauten Menschen zu<br />

suchen und dafür zu sorgen, dass sie s<strong>ich</strong> mit den gesellschaftl<strong>ich</strong>en<br />

Erwartungen (von Lehrplan und Curriculum) auseinandersetzen<br />

und ihr Eigenes gestalten können,<br />

• den Schülerinnen und Schülern ein Vorbild für Fehlertoleranz,<br />

Menschl<strong>ich</strong>keit, wertschätzenden Umgang und Solidarität zu sein<br />

und ihnen durch meine gelebte Zuwendung zu zeigen, dass jeder<br />

Mensch über spezifische Potenziale verfügt, die es zu entdecken und<br />

zu entfalten gilt,<br />

• m<strong>ich</strong> in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen um die<br />

Beschreitung neuer didaktischer und erzieherischer Wege zu bemühen<br />

und die professionelle Selbstreflexion im Team zu stärken sowie die<br />

Entwicklung unserer Schule zu einem Ort der Kompetenzentwicklung<br />

und der menschl<strong>ich</strong>en Reifung zu fördern.<br />

Literatur:<br />

Arnold, R.: Selbstcoaching - Oder: Führen mit Gefühl. Mit einem Methoden-ABC.<br />

Wiesbaden 2008 (im Druck)-<br />

Arnold, R.: Aberglaube Disziplin. Heidelberg 2007.<br />

Arnz, S.: Wenn Schulen kippen und Ordnungen <strong>zusammen</strong>brechen. In: Pädagogik,<br />

1/2007, S.30-33.<br />

Bueb, B.: Lob der Disziplin. Eine Streitschrift. 8. Auflage. Berlin 2006.<br />

Eggebrecht, P.: Rütli tanzt - ein Geschenk bewegt die Schule. In: blz - Die Mitgliederzeitschrift<br />

der <strong>GEW</strong> Berlin, 7/8 (2006) (www.gew-berlin.de/blz/6063.htm).<br />

Fischer, W.: Sokrates pädagogisch. Würzburg 2004.<br />

Frisch, M.: Tagebuch 1946-1949. Frankfurt 1985.<br />

Grell, J.: Techniken des Lehrerverhaltens. Weinheim und Basel 1995.<br />

Jaeger, H.: Komplexe Systeme. Eine Schule der Bescheidenheit. In: Kursbuch 98: Chaos.<br />

Berlin 1989, S.149-163.<br />

Luhmann, N.: Einführung in die Systemtheorie. Hrsg. von Baecker, D. Heidelberg<br />

2002.<br />

Luhmann, N.: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt<br />

1984.<br />

Horster, D.: Niklas Luhmann. München 1997.<br />

Pick, B.: Kopfschüsse. Wer PISA n<strong>ich</strong>t versteht, muss mit RÜTLI rechnen. Hamburg<br />

2007.<br />

von Schlippe, A./ Schweitzer, J.: Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung.<br />

Göttingen 2002.<br />

GESELLSCHAFT<br />

Sozialstudien im Fußballstadion<br />

NACHWUCHS AUF DEN RÄNGEN<br />

Dass elterl<strong>ich</strong>e Interessen die kindl<strong>ich</strong>e Entwicklung ganz<br />

entscheidend prägen, ist eine Binsenweisheit. Positiv wie<br />

negativ. Sport, zumal aktiver, ist in vielerlei Hins<strong>ich</strong>t von<br />

immenser Bedeutung. „In einem gesunden Körper ein<br />

gesunder Geist“, die antike Weisheit hat nach wie vor<br />

Gültigkeit und bewahrheitet s<strong>ich</strong> immer wieder: Entgegen<br />

dem Klischee von den vergeistigten „Oberschülern“ und<br />

den durchtrainierten „Volksschülern“ beweist die praktische<br />

Erfahrung den Zusammenhang von Bildungsniveau<br />

und sportl<strong>ich</strong>en Aktivitäten. (So kommt es n<strong>ich</strong>t von<br />

ungefähr, dass viele Fußballprofis höhere Bildungsabschlüsse<br />

haben.)<br />

Die Betonung liegt auf „Aktivitäten“. Wenn Eltern ihre<br />

Kinder gle<strong>ich</strong> nach der Geburt zum Mitglied in ihrem<br />

Lieblingsverein machen, ist das witzig, sagt aber noch<br />

gar n<strong>ich</strong>ts darüber aus, ob diese später mal übergew<strong>ich</strong>tig<br />

auf den Rängen stehen oder rank und schlank auf dem<br />

Spielfeld laufen. Gar n<strong>ich</strong>t witzig übrigens, wenn die<br />

Fußballbegeisterung absurde Ausmaße annimmt. S<strong>ich</strong> als<br />

werdender Vater vom Stadionssprecher über die Geburt<br />

seines Kindes informieren zu lassen - wie anderswo schon<br />

erlebt, beim FSV Oggersheim aber Gott sei Dank noch<br />

n<strong>ich</strong>t -, lässt die Massen zwar grölen, ist aber nur durch<br />

und durch peinl<strong>ich</strong> für den solchermaßen kurzzeitig in<br />

den Mittelpunkt Gerückten.<br />

Auch im Ludwigshafener Südweststadion kann man den<br />

Fußballnachmittag als Familienevent mit Mama, Papa<br />

und Kids im entsprechenden Outfit beobachten. Sieht<br />

putzig aus und verbindet die Generationen, aber kleineren<br />

Kindern wird n<strong>ich</strong>t wirkl<strong>ich</strong> ein Gefallen damit getan: Die<br />

toben näml<strong>ich</strong> naturgemäß lieber selbst durch die Gegend,<br />

als das Geschehen auf dem Rasen passiv zu verfolgen. Es<br />

spr<strong>ich</strong>t für die Fußballfreunde, dass sie das manchmal<br />

doch recht nervige Gewusele geduldig ertragen.<br />

Auch Jugendl<strong>ich</strong>e interessiert häufig anderes als das<br />

sportl<strong>ich</strong>e Geschehen. Partystimmung mit re<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong><br />

Alkoholzufuhr und folgl<strong>ich</strong> wenig Durchblick bezügl<strong>ich</strong><br />

des sportl<strong>ich</strong>en Geschehens ist im Fanblock teilweise eher<br />

angesagt als konzentrierte Spielbeobachtung. In der Provinz<br />

zum Glück noch n<strong>ich</strong>t angekommen ist, was in den<br />

großen Arenen schon gar n<strong>ich</strong>t mehr auffällt: Transparente<br />

bzw. Schilder junger weibl<strong>ich</strong>er Fans mit eindeutigen<br />

Offerten: „Scholli, <strong>ich</strong> will ein Kind von Dir!“, hieß es<br />

früher noch einigermaßen dezent. „Schweini, f... m<strong>ich</strong>“,<br />

wird heutzutage unverblümt angeboten...<br />

gh<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

25


GESELLSCHAFT<br />

Landesschülervertretung:<br />

VERZERRTES BILD VON JUGENDLICHEN<br />

„Jugendgewalt“ wird momentan in allen Medien diskutiert. Die Art,<br />

wie dies geschieht, lässt ein sehr verzerrtes Bild von Jugendl<strong>ich</strong>en im<br />

Allgemeinen und insbesondere solchen mit „Migrationshintergrund“<br />

entstehen. Unserer Meinung nach sollten all diese Diskussionen mit<br />

konkreten Forderungen gefüllt werden, die weiter gehen als eine<br />

Herabsetzung der Strafmündigkeit oder härteren Strafvollzug - beziehungsweise<br />

viel weiter vorne anfangen. Näml<strong>ich</strong> bei den Jugendl<strong>ich</strong>en<br />

selbst, die anges<strong>ich</strong>ts dessen, dass es um sie geht, viel zu wenig gefragt<br />

und gehört werden.<br />

Als LandesschülerInnenvertretung sind wir der Ans<strong>ich</strong>t, dass dieses Thema<br />

von der Politik und den Medien auf die falsche Weise aufgegriffen<br />

wird, wobei diese die Jugendl<strong>ich</strong>en und ihre tatsächl<strong>ich</strong>en Probleme<br />

deutl<strong>ich</strong> zu oft außer Acht lassen. Unserer Meinung nach werden<br />

in den Diskussionen verschiedene bedeutende Aspekte weitestgehend<br />

ignoriert, deren W<strong>ich</strong>tigkeit wir an dieser Stelle noch einmal besonders<br />

betonen wollen.<br />

Die Tatsache, dass s<strong>ich</strong> Jugendl<strong>ich</strong>e anscheinend vermehrt gewalttätig<br />

verhalten, hat mit S<strong>ich</strong>erheit viele verschiedene Ursachen. Oft sind<br />

jedoch diejenigen, die Gewalt ausüben, n<strong>ich</strong>t nur Täter, sondern auch<br />

Opfer. Denn auch die Zahl der Jugendl<strong>ich</strong>en, die durch ihre Eltern<br />

Gewalt erfahren, ist in den letzten Jahren weiter gestiegen. Wir halten es<br />

für ungerechtfertigt, von jungen Menschen zu verlangen, dass sie in der<br />

Lage sind, Konflikte gewaltfrei zu lösen, wenn sie nie die Chance hatten,<br />

dies in ihrem Elternhaus oder ihrem engeren Umfeld zu lernen.<br />

Einen weiteren Grund für die verstärkte Gewaltbereitschaft der Jugendl<strong>ich</strong>en<br />

sehen wir in der großen Veruns<strong>ich</strong>erung und Zukunftsangst,<br />

der s<strong>ich</strong> manche von ihnen in unserer Gesellschaft ausgesetzt fühlen.<br />

In diesem Zusammenhang wird oft von dem hohen Anteil straffällig<br />

gewordener SchülerInnen mit Mitgationshintergrund gesprochen. Viel<br />

auffälliger sollte es allerdings sein, wie viele Jugendl<strong>ich</strong>e, die straffällig<br />

werden, keinen Schulabschluss und keine Ausbildungsstelle haben. Da<br />

wir wissen, dass dies gerade bei ausländischen Jugendl<strong>ich</strong>en öfter der Fall<br />

ist, muss man die Zusammenhänge in einem neuen Kontext sehen.<br />

Wir glauben, dass Jugendl<strong>ich</strong>e mit Migrationshintergrund nur deshalb<br />

in der Statistik als häufiger straffällig erscheinen, weil sie einen großen<br />

Teil der Jugendl<strong>ich</strong>en ohne<br />

Schulabschluss ausmachen.<br />

Für Jugendl<strong>ich</strong>e ohne Zukunftsperspektive<br />

ist der Weg<br />

in die Gewalt oft vorbestimmt;<br />

unser Schulsystem sorgt dafür,<br />

dass schon während der<br />

Schulzeit bei ihnen ein großer<br />

Sozialneid entsteht und<br />

ihnen das Gefühl der Chancenlosigkeit<br />

vermittelt wird.<br />

Die Ergebnisse der jüngsten<br />

IGLU- und PISA-Studien<br />

bestätigen dies. Man kann<br />

durchaus Verständnis dafür<br />

aufbringen, dass es schwer<br />

fällt, die Gesetze einer Gesellschaft<br />

zu respektieren, von<br />

der man s<strong>ich</strong> abgeschoben und<br />

zurückgewiesen fühlt.<br />

Letztl<strong>ich</strong> ist so die ungerechte Struktur unseres Schulsystems für die<br />

Situation und auch die Gewaltbereitschaft jener Jugendl<strong>ich</strong>en als<br />

mitverantwortl<strong>ich</strong> anzusehen. Unserer Meinung nach ist dies durchaus<br />

ein Grund, noch einmal über die jetzigen Zustände nachzudenken und<br />

diese in Frage zu stellen.<br />

Momentan wird auch in den Medien über die w<strong>ich</strong>tige Funktion der<br />

Schule vor allem im Zusammenhang mit Prävention viel ber<strong>ich</strong>tet.<br />

Dies halten wir für r<strong>ich</strong>tig, denn die Schule ist schließl<strong>ich</strong> der einzige<br />

Ort, wo Schüler und Schülerinnen zu erre<strong>ich</strong>en sind - auch bevor sie<br />

tatsächl<strong>ich</strong> strafmündig sind.<br />

In verschiedenen Medien wurden in den letzten Wochen Präventionsprojekte<br />

an unterschiedl<strong>ich</strong>en Schulen vorgestellt und Mögl<strong>ich</strong>keiten<br />

aufgezeigt, Jugendl<strong>ich</strong>en Konfliktbewältigung näher zu bringen. Dabei<br />

handelt es s<strong>ich</strong> in der Regel um Projekte, die seit langem mit Erfolg an<br />

diesen Schulen durchgeführt werden - und gerade das sollte Anlass zur<br />

Verwunderung sein. Da es s<strong>ich</strong> bei der so genannten „Jugendgewalt“<br />

anscheinend um ein w<strong>ich</strong>tiges Thema handelt und Politiker nach<br />

Mögl<strong>ich</strong>keiten suchen, diese zu reduzieren und zu „bekämpfen“, sollte<br />

es doch inzwischen selbstverständl<strong>ich</strong> sein, dass Präventionsprojekte an<br />

Schulen durchgeführt werden. Dem ist jedoch n<strong>ich</strong>t so, denn stets wird<br />

über Schulen mit solchen Methoden ber<strong>ich</strong>tet, als handle es d<strong>ich</strong> dabei<br />

um lobenswerte Pilotprojekte, Einzelfälle und Vorbilder.<br />

Die Landesregierung sollte s<strong>ich</strong> anges<strong>ich</strong>ts der Situation unserer Ans<strong>ich</strong>t<br />

nach verpfl<strong>ich</strong>tet fühlen, Präventionsprojekte an allen Schulen zu einem<br />

Standard zu machen. Es gibt genug Beispiele gelungener Gewaltbekämpfung<br />

und genug Mögl<strong>ich</strong>keiten, diese in den Schulalltag einzubinden.<br />

Es ist bedauernswert, dass diese trotzdem oft weiterhin nur durch das<br />

Engagement einzelner Lehrerinnen und Lehrer oder Vertretungen der<br />

Schülerinnen und Schüler ins Leben gerufen werden können. Solch ein<br />

Einsatz ist natürl<strong>ich</strong> durchaus lobenswert, kann allerdings n<strong>ich</strong>t an jeder<br />

Schule stattfinden, und es bleibt fragl<strong>ich</strong>, ob tatsächl<strong>ich</strong> die Schulen, an<br />

denen es besonders nötig ist, erre<strong>ich</strong>t werden.<br />

Wir finden es ungerechtfertigt, die „Jugend von heute“ als eine gewaltbereite<br />

und intolerante zu beze<strong>ich</strong>nen, wenn n<strong>ich</strong>t die nötigen<br />

Bemühungen da sind, allen Schülerinnen und Schülern die Chance<br />

zu geben, Konfliktbewältigung<br />

zu lernen. Wir wünschen uns<br />

deswegen einen verstärkten<br />

Einsatz von vorbildl<strong>ich</strong>en<br />

Projekten zur Gewaltprävention<br />

an allen Schulen in<br />

Rheinland-Pfalz, denn nur<br />

so kann die Politik zeigen,<br />

dass es beim Thema „Jugendgewalt“<br />

tatsächl<strong>ich</strong> um die<br />

betroffenen Jugendl<strong>ich</strong>en geht.<br />

Mit der Institutionalisierung<br />

Gewalt vorbeugender Projekte<br />

an Schulen wäre zudem ein<br />

weiterer Schritt in R<strong>ich</strong>tung<br />

Chancengle<strong>ich</strong>heit getan.<br />

lsv<br />

26<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


SeniorInnen<br />

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH, LIEBE ERIKA, ZUM RUNDEN GEBURTSTAG!<br />

Erika Schmitt-Neßler feiert am 21. März 2008 ihren 70. Geburtstag<br />

Kaum zu glauben, liebe Erika, dass du<br />

schon 70 Jahre jung wirst. Du bist das<br />

<strong>lebe</strong>nde Beispiel für die „Jungen Alten“<br />

in der <strong>GEW</strong>.<br />

Bis 2004 (seit 1986) hast du dem<br />

Landesvorstand der <strong>GEW</strong> Rheinland-<br />

Pfalz als Stellvertretende Vorsitzende<br />

zur Verfügung gestanden. Aber du hast<br />

d<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t auf das „Altenteil“ zurück<br />

gezogen, sondern du arbeitest weiterhin<br />

engagiert in der Arbeitsgruppe „Junge<br />

Alte“ mit und bringst deine Ideen in<br />

den Geschäftsführenden Vorstand ein.<br />

Deine gewerkschaftl<strong>ich</strong>e Erfolgsarbeit hast du in dem ehemaligen<br />

Kreisvorstand St. Goarshausen begonnen, wurdest dann zur Bezirksfachgruppensprecherin<br />

Grundschulen im <strong>GEW</strong>-Bezirk Koblenz<br />

gewählt und warst dann neun Jahre Landesfachgruppensprecherin<br />

Grundschulen, bevor du d<strong>ich</strong> als Stellvertretende Vorsitzende der<br />

<strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz in die Pfl<strong>ich</strong>t nehmen ließest.<br />

Deine Herzensangelegenheit war aber die Personalratsarbeit: Zunächst<br />

für vier Jahre im Kreispersonalrat St. Goarshausen und von<br />

DIE <strong>GEW</strong> GRATULIERT …<br />

im April 2008<br />

zum 70. Geburtstag<br />

Frau Ute Kliewer<br />

04.04.1938<br />

Von-Wieser-Str. 10 · 67159 Friedelsheim<br />

Frau Dorothee Weiss<br />

10.04.1938<br />

Auf er Lück 2 · 55743 Hintertiefenbach<br />

Herrn Wernfried Schreiber<br />

11.04.1938<br />

Alb.-Schweitzer-Str. 4 · 65549 Limburg<br />

Herrn Herbert Rahm<br />

22.04.1938<br />

Glockenstr. 71 · 67655 Kaiserslautern<br />

zum 75. Geburtstag<br />

Frau Hannelore Hauck<br />

02.04.1933<br />

In den Borngärten 20 · 55296 Gau-<br />

Bischofsheim<br />

Frau Hannelore Schindler<br />

23.04.1933<br />

Hebbelstr. 14 · 55543 Bad Kreuznach<br />

zum 80. Geburtstag<br />

Herrn Karl Heinz Seibel<br />

20.04.1928<br />

Zeppelinstr. 9 · 76829 Landau<br />

Herrn Erik Schwartz<br />

23.04.1928<br />

Schuckertstr. 19 · 67063 Ludwigshafen<br />

Herrn Karl Alsentzer<br />

29.04.1928<br />

Steinstr. 4 · 55424 Münster-Sarmsheim<br />

zum 85. Geburtstag<br />

Herrn Emil Bernhard<br />

04.04.1923<br />

In den Buchen 13 · 66957 Ruppertsweiler<br />

1984 - 2003 im Hauptpersonalrat für die staatl<strong>ich</strong>en Lehrerinnen<br />

und Lehrer an Grund-, Haupt- und Regionalen Schulen. Dabei hast<br />

du, durch deinen enormen Einsatz und Bekanntheitsgrad drei Mal<br />

die Mehrheit in diesem Personalrat für die <strong>GEW</strong> gewonnen- das<br />

ist vor dir niemandem gelungen!<br />

In allen deinen Funktionen hast du immer den Überblick behalten,<br />

ausgle<strong>ich</strong>end gewirkt und für die Kolleginnen und Kollegen immer<br />

ein offenes Ohr gehabt. Du konntest/kannst zuhören, die Argumente<br />

r<strong>ich</strong>tig abwägen und daraus für die Betroffenen die r<strong>ich</strong>tigen<br />

Schlüsse ziehen. Auch in schwierigen Situationen hast du nie deine<br />

Ruhe verloren - und das war auch gut so.<br />

Liebe Erika, die <strong>GEW</strong> Rheinland-Pfalz gratuliert dir recht herzl<strong>ich</strong><br />

zu deinem runden Geburtstag!<br />

Diesen Glückwünschen schließe <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> gerne an, denn <strong>ich</strong> habe<br />

dir viel zu verdanken: deine vorbehaltlose Unterstützung - <strong>zusammen</strong><br />

mit Bettina Gerhard - hat mir die Arbeit in der <strong>GEW</strong> immer<br />

erle<strong>ich</strong>tert.<br />

Wir hoffen und wünschen, dass du weiterhin aktiv die <strong>GEW</strong> begleitest<br />

und noch viele Ideen einbringen kannst. Bleib gesund und<br />

behalte deinen Optimismus.<br />

Herzl<strong>ich</strong>en Glückwunsch!<br />

Tilman Boehlkau<br />

Frau Ruth Müller<br />

04.04.1923<br />

Anilinstr. 5 · 67454 Haßloch<br />

zum 86. Geburtstag<br />

Frau Ingeborg Hoffmann<br />

13.04.1922<br />

Maximilianstr. 4 · 76829 Landau<br />

Herrn Er<strong>ich</strong> Udandt<br />

23.04.1922<br />

Josef-Haydn-Str. 4 (bei Reinhard) · 68165<br />

Mannheim<br />

Frau Selma Panitz<br />

30.04.1922<br />

Klosterstr. 29 · 66953 Pirmasens<br />

zum 89. Geburtstag<br />

Frau Henni Henneicke<br />

21.04.1919<br />

Baumschulenweg 6 · 66538 Neunkirchen<br />

zum 92. Geburtstag<br />

Frau Anna Müller<br />

05.04.1916<br />

Phil.-Mayer-Str. 11a · Seniorenzentrum ·<br />

67304 Eisenberg<br />

Der Landesvorstand<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

27


TIPPS + TERMINE<br />

BÜCHERTIPPS VON ANTJE FRIES<br />

Von Tinte und Feder<br />

Eine kreative Fundgrube für den Kunstunterr<strong>ich</strong>t, aber<br />

auch Freiarbeitsphasen oder eine AG ist Kirsten Schönfelders<br />

Heft „Kunst mit Feder, Tinte und Papier“: Es gibt<br />

Rezepte zum Herstellen von Tinte, Feder, Naturfarben<br />

und Papier, und der historische Rückblick erklärt, wie<br />

die Arbeit im Skriptorium des Mittelalters ablief. Dazu<br />

können dann prächtige Bucheinbände und kunstvolle<br />

Initialen entstehen. Auch für Piraten, Freunde chinesischer<br />

Schriftze<strong>ich</strong>en und Geheimschriften ist jede Menge Entdeckenswertes<br />

im Kopiervorlagen-Heft enthalten.<br />

Kirsten Schönfelder: Kunst mit Feder, Tinte und<br />

Papier. Kempen 2007. 48 Seiten, 15,90 Euro. ISBN<br />

978-3-86740-053-4<br />

Spaß an der Farbe<br />

„Malen lernen mit Kindern“ von Astrid Friedr<strong>ich</strong> klingt<br />

beinahe zu banal, um als Unterr<strong>ich</strong>tsmaterial aufzufallen.<br />

Aber der Titel ist das reine Understatement: Vom Farbkreis<br />

über Kontraste bis zur geschickten Bildkomposition<br />

bewegen s<strong>ich</strong> die allgemeinen Informationen, und erste<br />

Übungen beschäftigen s<strong>ich</strong> mit Farbfeldern und Kontrasten.<br />

Unterschiedl<strong>ich</strong>ste Techniken werden<br />

P1_185x130_2c_2_95 20.12.2007 10:31 Uhr Seite 1<br />

vorgestellt<br />

und auch für völlig fachfremd Unterr<strong>ich</strong>tende bestens<br />

erklärt, sodass der Einstieg und die Umsetzung le<strong>ich</strong>t<br />

sind. Der systematische Einstieg in die Malerei beinhaltet<br />

auch Angaben zu Zeit- und Materialbedarf und jeweils<br />

die detaillierte Vorgehensweise. Ein Kriterienkatalog zur<br />

Leistungsbewertung bei den komplexeren Aufgaben ist<br />

zudem sehr hilfre<strong>ich</strong>.<br />

Astrid Friedr<strong>ich</strong>: Malen lernen mit Kindern. Kemoen<br />

2007. 80 Seiten, 19,90 Euro. ISBN 978-3-86740-<br />

048-0<br />

Sinn oder Unsinn?<br />

„Was liest Du denn da?“, fragte mein Mann entsetzt.<br />

„Schulstrafen? Sonst noch was?“ Zugegeben, der Titel<br />

von Wolfgang Kindlers neuem Buch klingt ganz schön<br />

hart, aber hinter dem Cover findet s<strong>ich</strong> allerlei Sinnvolles:<br />

Zunächst werden die Vorurteile gegenüber Strafen<br />

benannt, deren Effizienz beschrieben und rechtl<strong>ich</strong>e<br />

Grundlagen aufgezeigt, bevor es um Sinn und Unsinn<br />

von Strafen geht: Kindler begründet gut und schlägt<br />

praktikable Lösungen für LehrerInnen, SchülerInnen und<br />

Eltern vor. Ein absolut nützl<strong>ich</strong>er Praxisband! Aber wir<br />

waren mit unserer häusl<strong>ich</strong>en Debatte noch gar n<strong>ich</strong>t am<br />

Ende: „Stell dir vor, in deiner 8. Klasse dudeln dauernd<br />

die Handys. Und, was machst du?“ „Na, abnehmen!“<br />

„Diebstahl!“ „Verbieten!“ „Ach, und das klappt?“ „Keine<br />

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S<br />

28<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


TIPPS + TERMINE<br />

Ahnung!“ Na eben, und genau deshalb ist Kindlers Buch<br />

n<strong>ich</strong>t nur für Berufsanfänger ein Gewinn.<br />

Wolfgang Kindler: Wenn Sanktionen nötig werden:<br />

Schulstrafen. Warum, wann und wie? Mülheim 2007.<br />

158 Seiten, 16,80 Euro. ISBN 978-3-8346-0324-1<br />

Herausforderung Sexualkunde<br />

„Sexualpädagogik in interkulturellen Gruppen“ von<br />

Meral Renz ist für Schüler von 12 bis 18 gedacht. Es<br />

beinhaltet Informationen, Methoden und Arbeitsblätter,<br />

um die Herausforderung Sexualkunde besser zu<br />

meistern. Dabei beschreibt sie zunächst, wie Sexualität<br />

in verschiedenen Sprachen und der Kommunikation<br />

allgemein überhaupt vorkommt. Die Begegnung mit<br />

dem Anderssein, dem Fremden, Vorurteilen gegenüber<br />

anderen Religionen und Sitten sind Thema, bevor es<br />

um die eigentl<strong>ich</strong>e Körper- und Sexualaufklärung geht:<br />

Körperl<strong>ich</strong>es Hygieneverständnis, übertragbare Krankheiten,<br />

Verhütungsmittel. Von der Kontaktanzeige über die<br />

Hochzeit bis hin zum Reizthema Homosexualität streift<br />

Renz alle w<strong>ich</strong>tigen Dinge. Arbeitsblätter sind direkt bei<br />

jedem Kapitel eingefügt, und der Anhang bietet neben<br />

Begriffs- und Fragekarten zum Material auch sämtl<strong>ich</strong>e<br />

Lösungen zu den Arbeitsblättern und eine umfangre<strong>ich</strong>e<br />

Liste mit Literatur und Internetadressen.<br />

Erfolg im Streifenkleid<br />

Sie kommt bescheiden daher, seit Urzeiten im gle<strong>ich</strong>en gestreiften<br />

Outfit, gelegentl<strong>ich</strong> ein bisschen quietschend, aber<br />

immer gut gelaunt: Die Tigerente wurde am 15. März<br />

dreißig Jahre alt! Zum ersten Mal tauchte sie 1978 in „Oh,<br />

wie schön ist Panama!“ auf, und n<strong>ich</strong>t nur dieses Kinderbuch<br />

aus Janoschs Feder ist aus Kita und Grundschule (und natürl<strong>ich</strong><br />

sämtl<strong>ich</strong>en Kinderzimmern!) n<strong>ich</strong>t mehr wegzudenken.<br />

Mittlerweile rollt die Tigerente durch diverse Janosch-Bücher,<br />

ist Star einer Ze<strong>ich</strong>entrickserie und hat sogar einen eigenen<br />

Club im Kinderfernsehen. Das deutsche Kinderhilfswerk<br />

kürte die Tigerente sogar zur Botschafterin für das Recht auf<br />

Spiel. Grund genug für den Beltz-Verlag, die sechsbändige<br />

„Panama-Reihe“ neu aufzulegen: Eine schwarz-gelb gestreifte<br />

Geburtstagsedition fasst dreißig Jahre Erfolg <strong>zusammen</strong>.<br />

Herzl<strong>ich</strong>en Glückwunsch, Tigerente!<br />

Meral Renz: Sexualpädagogik in interkulturellen<br />

Gruppen. Mülheim 2007. 212 Seiten, 22 Euro. ISBN<br />

978-3-8346-0335-7<br />

Achtung Eltern!<br />

Gerade in der Grundschule ist es w<strong>ich</strong>tig, in der Elternarbeit<br />

einerseits zu kooperieren, andererseits auch Grenzen<br />

zu setzen. Dabei will Antje Bostelmann mit ihrem neuen<br />

Buch „Achtung Eltern!“ helfen, indem sie verschiedene<br />

Autoren das klassische Verständnis von Elternarbeit hinterfragen<br />

und innovative Strategien zur Zusammenarbeit<br />

entwickeln lässt. Anhand von 18 „Baustellen“, typischen<br />

Spannungsfeldern zwischen Lehrern und Eltern (wie etwa<br />

„Wird hier auch gelernt?“ oder „Ich dachte, Sie sind Lehrerin...!“),<br />

wird direkt aus der Praxis ein Problem beschrieben<br />

und eine gute Lösung vorgeschlagen. Professioneller<br />

Umgang auch mit dreisten und beratungsresistenten<br />

Eltern (und die soll‘s geben!) kann jetzt besser klappen,<br />

denn wirkl<strong>ich</strong> alle Facetten der Elternarbeit werden<br />

beleuchtet. Allein die Lektüre kann schon helfen: Guck<br />

an, andere kriegen auch solche Dinge um die Ohren gehauen!<br />

Obendrein ist das Werk grafisch aufgelockert mit<br />

„Stolperstein-“ und „Tipp“-Kästen gestaltet, viele Fotos<br />

kommen dazu und besonders gut gefallen die Karikaturen<br />

von Natascha Welz, die vergrößert ins Lehrerzimmer<br />

gehören und den Lehreralltag verschönern!<br />

Antje Bostelmann: Achtung Eltern! Mülheim 2007. 129<br />

Seiten, 19,50 Euro. ISBN 978-3-8346-0310-4<br />

Wie guter Unterr<strong>ich</strong>t gelingt:<br />

PISA-FILM VON PAUL SCHWARZ<br />

Sechs Wochen reisten Paul und Gerlinde Schwarz im<br />

Auftrag der OECD mit einem Kamerateam rund um die<br />

Welt. Der PISA - Blick r<strong>ich</strong>tete s<strong>ich</strong> auf die Länder Finnland,<br />

Japan, Kanada, Mexiko und Deutschland. Daraus<br />

entstand ein 105minütiger Film „Science for tomorrow.<br />

Impressions for successful schools around the world. PISA<br />

2006“, der äußerst aufschlussre<strong>ich</strong>e, bemerkenswerte,<br />

beispielhafte und wegweisende Einblicke in gelungene<br />

Bildungsarbeit an staatl<strong>ich</strong>en und allgemeinbildenden<br />

Schulen bietet. Der Film in englischer Sprache ging in<br />

alle OECD-Länder und ist dort stark nachgefragt. „Der<br />

Film wird sehr gelobt“, so der PISA-Koordinator der<br />

OECD, Prof. Andreas Schle<strong>ich</strong>er. Er kostet 20,00 Euro<br />

plus Versandkosten (mail@tevau.com).<br />

Auch eine deutsche Fassung ist jetzt auf der Didacta<br />

in Stuttgart vorgestellt worden: „Wissen der Zukunft.<br />

Eindrücke von erfolgre<strong>ich</strong>en Schulen auf der ganzen<br />

Welt. Pisa 2006“. Der Film ist mit Booklet über den<br />

Beltz-Verlag bzw. über die Buchhandlungen zum Preis<br />

von 19,95 Euro erhältl<strong>ich</strong>.<br />

Red.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

29


TIPPS + TERMINE<br />

ÄNGSTEN KOMPETENT FRAU/HERR WERDEN<br />

Bei den neuesten Veröffentl<strong>ich</strong>ungen unseres <strong>GEW</strong>-Kollegen<br />

Dr. Peter Schlegel handelt es s<strong>ich</strong> um ein dreibändiges<br />

Set. Die einzelnen Bände sind als Sachbücher herausgegeben<br />

und inhaltl<strong>ich</strong> in s<strong>ich</strong> abgeschlossen. Sie können je<br />

nach Interesse einzeln bezogen werden. In dieser Ausgabe<br />

wird zunächst der erste Band vorgestellt.<br />

Einführung in das Thema: Der Erfolg versprechende<br />

Umgang mit Ängsten wird von sozialpädagogischen und<br />

psychosozialen Fachkräften als notwendig betrachtet.<br />

Viele Situationen können so beängstigend sein, dass sie<br />

vermieden, aufgeschoben oder nur mit großer Überwindung<br />

bewältigt werden. Mit Ängsten qualifiziert<br />

umgehen zu können ist eine w<strong>ich</strong>tige Kompetenz für den<br />

berufl<strong>ich</strong>en und privaten Lebensbere<strong>ich</strong>. Das Sachbuch<br />

gibt wissenswerte Informationen und Hilfen zu Ängsten.<br />

Dies beinhaltet nützl<strong>ich</strong>e Tipps, Hinweise, Strategien,<br />

Methoden und Praktiken.<br />

Aufbau und Inhalt: Die Ausführungen im ersten Band<br />

sind in fünf Kapitel unterteilt:<br />

Was sind Ängste und Sorgen? Gefühle: ein Buch mit<br />

sieben Siegeln? Welche Erklärungen und Aufschlüsse gibt<br />

es für Ängste? Welche Funktionen haben Ängste? Sind<br />

Menschen ängstl<strong>ich</strong>e Wesen?<br />

Zielgruppe: Die Ausführungen sind für alle nützl<strong>ich</strong>,<br />

die in einem pädagogischen, psychosozialen oder beraterischen<br />

Beruf tätig sind oder s<strong>ich</strong> in der Ausbildung<br />

dazu befinden. Denn Ängste nehmen in Curriculum<br />

und Ausbildung n<strong>ich</strong>t den Stellenwert ein, der für eine<br />

umfassende berufsbezogene Vorbereitung nötig wäre.<br />

Darüber hinaus r<strong>ich</strong>ten s<strong>ich</strong> die Ausführungen an alle<br />

Personen, die unnötige Ängste in den Griff bekommen<br />

und überwinden möchten.<br />

Wertung: „Ängsten kompetent Frau/Herr werden“ ist<br />

übers<strong>ich</strong>tl<strong>ich</strong>, anschaul<strong>ich</strong> und plausibel aufgebaut und<br />

strukturiert. Nach jedem Kapitel erfolgt eine kurze Zusammenfassung.<br />

Die gesamten Informationen werden<br />

dadurch noch einmal auf den Punkt gebracht. Lobenswert<br />

ist der prägnante und aussagekräftige Rückblick am Ende<br />

des ersten Bandes. Der gestalterische Aufbau ist geprägt<br />

durch ein durchgängiges Schriftbild mit guten, einheitl<strong>ich</strong><br />

gestalteten Grafiken und Schaubildern. Als günstig erweist<br />

s<strong>ich</strong> der regelmäßige Praxisbezug. Viele konkrete Beispiele<br />

aus den berufl<strong>ich</strong>en und privaten Bere<strong>ich</strong>en machen die<br />

Ausführungen <strong>lebe</strong>ndig und greifbar. Vorteilhaft ist, dass<br />

die 545 Seiten des gesamten Sets n<strong>ich</strong>t in einer einzelnen<br />

Veröffentl<strong>ich</strong>ung, sondern in drei einzelnen Bänden<br />

herausgegeben sind. Der Leser ist somit n<strong>ich</strong>t darauf<br />

angewiesen, ein umfangre<strong>ich</strong>es Kompendium oder teures<br />

Handbuch zu erwerben.<br />

Dienl<strong>ich</strong> ist auch, dass am Ende des ersten Bandes ein<br />

inhaltsre<strong>ich</strong>er Ausblick auf die anderen Bände aufgeführt<br />

ist. Abgerundet wird das Ganze durch ein umfangre<strong>ich</strong>es<br />

Literaturverze<strong>ich</strong>nis. Das Format (21,5x13,5) erweist s<strong>ich</strong><br />

als handl<strong>ich</strong> und hat trotzdem die erforderl<strong>ich</strong>e Größe für<br />

die Darstellungen.<br />

Fazit: Die aktuelle Publikation ist theoretisch und prak-<br />

tisch gle<strong>ich</strong>ermaßen fundiert. Die Sprache ist sachl<strong>ich</strong><br />

und zugle<strong>ich</strong> sehr <strong>lebe</strong>ndig. Immer wieder erlebt man<br />

Aha-Effekte. Es sollte in jedem Bücherschrank von pädagogischen,<br />

sozialpädagogischen oder psychosozialen<br />

Fachkräften sowie interessierten Personen in Griff- und<br />

Augenhöhe stehen.<br />

Der Autor: Dr. Peter Schlegel, Diplom-Pädagoge, Diplom-Religionspädagoge,<br />

Europäisches Zertifikat über<br />

die Universitätsausbildung in Sozialarbeit, Lehrer für<br />

Berufsbildende Schulen, qualifizierte Weiterbildung<br />

in systemischer Therapie und Beratung; zunächst acht<br />

Jahre Berufserfahrung in der sozialen Arbeit, ab 1994<br />

beschäftigt in der Ausbildung von Erziehern, Heilerziehungspflegern<br />

und Heilpädagogen sowie in der Bildung<br />

und Beratung von benachteiligten jungen Erwachsenen;<br />

ferner tätig als Dozent, Berater und im Coachingbere<strong>ich</strong>;<br />

Kontakt: dr.p.schlegel@gmx.de<br />

Weitere Veröffentl<strong>ich</strong>ungen: Das Handbuch der Elternarbeit,<br />

Bildungsverlag Eins, 2004.<br />

gh<br />

Schlegel, Peter: Ängsten kompetent Frau/Herr werden,<br />

Band 1, Ängste, Gefühle, Erklärungen und Funktionen,<br />

Parlerverlag, ca. 162 Seiten, Euro 14,80 (D), 2007.<br />

LESEPETER<br />

Im März 2008 erhält<br />

den LesePeter das Sachbuch:<br />

Al Gore<br />

Eine unbequeme Wahrheit -<br />

Klimawandel geht uns alle an<br />

München: cbj 2007<br />

207 Seiten, 14,95 Euro (ab 10)<br />

Mit beeindruckenden, großformatigen Fotos von Landschaften,<br />

Tieren, Pflanzen, Städten und dem nächtl<strong>ich</strong>en<br />

Himmel sowie mit aussagekräftigen, schematischen<br />

Darstellungen und Grafiken macht der Autor auf die<br />

bereits s<strong>ich</strong>tbaren Anze<strong>ich</strong>en einer Klimaveränderung<br />

aufmerksam und fordert dringende Maßnahmen von<br />

allen, denen unsere Erde Heimat ist.<br />

Das Buch eignet s<strong>ich</strong> zur Behandlung des zukunftsträchtigen<br />

Themas bereits in der Grundschule sowie in allen<br />

weiterführenden Schulen.<br />

30<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008


TIPPS UND TERMINE / KREIS UND REGION<br />

ALS FORSCHER UNTERWEGS<br />

Kinder sind kleine Forscher. Sie wollen ihre Umwelt<br />

mit Hand und Fuß, Augen und Ohren, Haut und Haar<br />

erfahren und erforschen. Sie stellen gerne Fragen und<br />

lernen so, ihre Lebenswelt differenzierter wahrzunehmen,<br />

zu begreifen und zu werten.<br />

Die neuen Bände aus der Reihe Oldenbourg Kopiervorlagen<br />

bringen den Kindern wesentl<strong>ich</strong>e Inhalte des<br />

Sachunterr<strong>ich</strong>ts kreativ und spielerisch nahe. Handlungskarten<br />

laden ein zum Sammeln von Informationen, zum<br />

Experimentieren, Bauen und Spielen - in vielen kleinen<br />

Projekten innerhalb und außerhalb des Klassenraumes.<br />

Die Kinder lernen, ihre Erlebnisse zu präsentieren, sie<br />

erhalten Würdigung für ihre Arbeit und den Ansporn,<br />

weiterzumachen.<br />

Alle Arbeitsmaterialien lassen s<strong>ich</strong> mühelos kopieren<br />

und werden von methodisch-didaktischen Hinweisen<br />

ergänzt. Sie können im regulären Klassenunterr<strong>ich</strong>t, in<br />

Freiarbeitsphasen oder auch als vorbereitende Hausaufgaben<br />

verwendet werden.<br />

pm<br />

Anna Merzinger: Sachunterr<strong>ich</strong>t kreativ im 3. Schuljahr,<br />

Band 123, 64 S., zahlr. Kopiervorlagen, 1-seitig<br />

bedruckt, in der praktischen Heftmappe, ISBN 978-3-<br />

486-00406-9, 17,80 Euro<br />

Sachunterr<strong>ich</strong>t kreativ im 4. Schuljahr, Band 124, 64 S.,<br />

zahlr. Kopiervorlagen, 1-seitig bedruckt, in der praktischen<br />

Heftmappe, ISBN 978-3-486-00407-6, 17,80<br />

Oldenbourg Schulbuchverlag München 2007<br />

KREIS UND REGION<br />

KV Ludwigshafen / Speyer<br />

Otto Leiner für 60 Jahre<br />

Mitgliedschaft geehrt<br />

Mitgliederversammlungen mit Jubilarehrungen sind Familientreffen<br />

n<strong>ich</strong>t unähnl<strong>ich</strong>. Aber ganz ohne Politik geht es auch bei einer<br />

solchen Familienfeier n<strong>ich</strong>t.<br />

Helmut Thyssen sprach in seinem Grußwort für den Bezirk Rheinhessen-Pfalz<br />

das leidige Thema der Schulstrukturreform an. Er<br />

befürchtet, dass durch die Einr<strong>ich</strong>tung der „RS Plus“ das bewährte<br />

BBS-System schweren Schaden nehmen wird und gle<strong>ich</strong>zeitig die<br />

„RS Plus“ zum Scheitern verurteilt ist.<br />

Aber auch die vorhandenen Bildungsdefizite, die mangelhafte Integration<br />

und die verschleppte bzw. verweigerte Besoldungserhöhung<br />

im Öffentl<strong>ich</strong>en Dienst waren Themen seines Grußwortes.<br />

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand jedoch die Ehrung der<br />

vielen JubilarInnen. Geehrt wurden KollegInnen für 25, 30, 40, 50<br />

und 60 Jahre <strong>GEW</strong>- bzw. Gewerkschaftszugehörigkeit.<br />

Die Kollegen A. Jantzer und H. Steuer wurden für 40 Jahre, R.<br />

Herzig und W. Kern für 50 Jahre Mitgliedschaft in der <strong>GEW</strong> bzw.<br />

einer Gewerkschaft geehrt. Auf 60 Jahre Gewerkschaftszugehörigkeit<br />

brachte es nur einer: der langjährige Kreisvorsitzende des<br />

Kreisverbandes Ludwigshafen / Speyer Otto Leiner. Kollege Leiner<br />

erklärte seine lange Mitgliedschaft in der Gewerkschaft- sie ist<br />

länger als ein <strong>GEW</strong>-Kreis überhaupt existiert- damit, dass er vor<br />

seiner Lehrerausbildung einen „r<strong>ich</strong>tigen“ Beruf erlernt habe. Als<br />

er 1947 im Re<strong>ich</strong>sbahnausbesserungswerk seine Lehre begann, war<br />

es noch übl<strong>ich</strong>, dass man mit dem Ausbildungsvertrag auch gle<strong>ich</strong><br />

das Eintrittsformular zur entsprechenden Industriegewerkschaft<br />

unterschrieb.<br />

Die vielen, vielen JubilarInnen, die für 25 bzw. 30 Jahre <strong>GEW</strong>-<br />

Zugehörigkeit geehrt wurden, können leider aus Platzgründen hier<br />

n<strong>ich</strong>t aufgelistet werden.<br />

Kollege Thyssen, der die Ehrungen vornahm, rief für die entsprechenden<br />

Jahre die entscheidenden bildungspolitischen Ereignisse<br />

ins Gedächtnis: Von den Bestrebungen zur Gründung eines Lehrervereins<br />

vor 60 Jahren, ersten Bestrebungen zur Reduzierung der<br />

Stundendeputate und einer Erhöhung der Besoldung vor 50 über<br />

die erste Schulstrukturreform mit der Einführung der Hauptschule<br />

1968, der Änderung der 2. Phase der LehrerInnenbildung vor 30<br />

bis zur beginnenden Lehrerarbeitslosigkeit vor 25 Jahren. Außer<br />

den Ehrenurkunden erhielten die JubilarInnen auch ein typisch<br />

pfälzisches Geschenk: ein Weinpräsent.<br />

Wie s<strong>ich</strong> das für eine gelungene Jubilarehrung gehört, kam auch<br />

die Kultur n<strong>ich</strong>t zu kurz. Wolfgang Schuster und Tom Kunzmann<br />

sorgten mit Gitarre, Bluesharp und Gesang für die Blues-musikalische<br />

Umrahmung.<br />

Mit einem kalten Buffet, Getränken nach Wahl und vielen Gesprächen,<br />

die meist mit „Weißt Du noch?“ oder „Kannst Du D<strong>ich</strong> noch<br />

erinnern?“ begannen, schloss das große <strong>GEW</strong>-Familientreffen<br />

U.K / Foto: Gerald Hebling<br />

Impressum <strong>GEW</strong>-ZEITUNG Rheinland-Pfalz<br />

(117. Jahrgang)<br />

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rheinland-Pfalz, Neubrunnenstr. 8, 55116<br />

Mainz, Tel.: 0 61 31 28988-0, Fax: 0 61 31 28988-80, E-mail: gew@gew-rlp.de<br />

Redaktion: Günter Helfr<strong>ich</strong> (verantw.), Paul Schwarz (Stellvertr./Bildungspolitik), Ursel Karch (Gewerkschaftspolitik),<br />

Karin Helfr<strong>ich</strong> (Außerschulische Bildung),<br />

Redaktionsanschrift: <strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz, Postfach 22 02 23, 67023 Ludwigshafen, Tel./<br />

Fax: 06 21 564995, e-mail: <strong>GEW</strong>ZTGRL1@aol.com oder gew-zeitung-rlp@web.de<br />

Verlag und Anzeigen, Satz und Druck: Verlag Pfälzische Post GmbH, Winzinger Str. 30, 67433 Neustadt<br />

a.d.W., Tel.: 063 21 8 03 77; Fax: 0 63 21 8 62 17; e-mail: vpp.nw@t-online.de<br />

Manuskripte und Beiträge: Die in den einzelnen Beiträgen wiedergegebenen Gedanken entsprechen<br />

n<strong>ich</strong>t in jedem Falle der Ans<strong>ich</strong>t des <strong>GEW</strong>-Vorstandes oder der Redaktion. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte oder zugemailte Daten wird keine Gewähr übernommen.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten; für N<strong>ich</strong>tmitglieder jährl<strong>ich</strong> Euro 18,-- incl. Porto +<br />

MWSt. (Bestellungen nur beim Herausgeber.) Kündigung 3 Monate vor Ablauf des Kalenderjahres. Im<br />

anderen Falle erfolgt stillschweigend Verlängerung um ein weiteres Jahr.<br />

Anzeigenpreisliste Nr. 13 beim Verlag erhältl<strong>ich</strong>. Redaktionsschluss: jeweils der 1. des Vormonats.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

31


ZEITGEIST<br />

VORZUGSBEHANDLUNG<br />

Als Referendarin (und sozial eingestellter<br />

Mensch) trat <strong>ich</strong> nur<br />

ungern einer privaten Krankenkasse<br />

bei. Aber das Angebot war<br />

so günstig und der Vers<strong>ich</strong>erungsagent<br />

so betörend, dass <strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>t widerstehen konnte. Nach<br />

wortre<strong>ich</strong>er Beratung war <strong>ich</strong> stolze<br />

Besitzerin eines Kaffeebechers,<br />

eines Bausparvertrags mit 80<br />

Jahren Laufzeit, einer Haftpfl<strong>ich</strong>tvers<strong>ich</strong>erung<br />

für Hochseekapitäne<br />

und Starfighter-Piloten und einer<br />

Autounfallvers<strong>ich</strong>erung, obwohl<br />

<strong>ich</strong> nur ein Fahrrad besaß. Und<br />

<strong>ich</strong> war Privatpatientin. Warum sollte <strong>ich</strong> auch mit meinem<br />

mäßigen Einkommen in einer gesetzl<strong>ich</strong>en Kasse<br />

das Vierfache zahlen? Meine Eltern (Kassenpatienten)<br />

borgten mir ab und zu widerstrebend Geld, damit <strong>ich</strong><br />

meine Arztrechnungen begle<strong>ich</strong>en konnte. Um das Ausfüllen<br />

der Erstattungsanträge zu erlernen, besuchte <strong>ich</strong><br />

einige Fortbildungen. Mittlerweile ist die Beihilfestelle<br />

großzügiger geworden. Früher schickten sie einem die<br />

Anträge zurück, wenn ein Komma fehlte oder ein Posten<br />

falsch nummeriert war. Auf diese Weise dauerte es<br />

Monate, ehe man einen Pfennig zurückbekam. Damals<br />

erstattete einem die staatl<strong>ich</strong>e Beihilfe aber immerhin fast<br />

die Hälfte der Ausgaben, heute ist es, wenn’s hochkommt,<br />

gerade mal ein Drittel. Brillen und Hüftgelenke zählen<br />

dabei zum Privatvergnügen und sind n<strong>ich</strong>t beihilfefähig.<br />

Aber da die Lehrergehälter ständig steigen, lässt s<strong>ich</strong> das<br />

locker verkraften.<br />

Ich gewann interessante Einblicke in das ärztl<strong>ich</strong>e Kassenwesen.<br />

Meine nette Hautärztin bekam für ihre gründl<strong>ich</strong>e<br />

Behandlung müde 30 Euro, während der Arzt mit den<br />

schicken Apparaten gle<strong>ich</strong> 300 Euro kassierte, weil er mit<br />

seinem Ultraschallgerät mal eben über meine Schilddrüse<br />

gefahren war. Ein kurzer Telefonanruf erschien in den<br />

Rechnungen als „ausführl<strong>ich</strong>e Beratung“. Das Ausstellen<br />

von Rezepten ist für den Arzt natürl<strong>ich</strong> auch zeitintensiv<br />

und mühsam, deshalb entsprechend teuer. Portokosten<br />

treiben die Belastungen für eine Arztpraxis an den Rand<br />

des Ruins, deshalb muss <strong>ich</strong> sie auch dann bezahlen,<br />

wenn <strong>ich</strong> einen frankierten Rückumschlag beigelegt habe.<br />

Grundsätzl<strong>ich</strong> sind meine Behandlungen immer besonders<br />

schwierig, so dass die Kosten höher angesetzt werden<br />

müssen. Der Arzt, der mir nach zehn Jahren Kreuzberg<br />

eine Verordnung für autogenes Training ausfüllen sollte,<br />

liquidierte beachtl<strong>ich</strong>e Beträge für eine mehrstündige<br />

psychoanalytische Betreuung. Als <strong>ich</strong> empört widersprach,<br />

erhielt <strong>ich</strong> einen freundl<strong>ich</strong>en Brief, dass <strong>ich</strong> in meiner<br />

seelischen Verfassung gar n<strong>ich</strong>t mitbekommen könnte,<br />

wie lieb und lange er s<strong>ich</strong> mit mir befasst habe.<br />

Ja, <strong>ich</strong> finde es auch ungerecht, dass <strong>ich</strong> schneller Termine<br />

bekomme und m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t vier Stunden im Wartezimmer<br />

langweilen muss. Manchmal gibt es für Privatpatienten<br />

sogar einen Extra-Raum mit Kaffeemaschine, Entspannungsmusik<br />

und Sonnenbank. Ich muss nur etwas müde<br />

aussehen, schon möchte m<strong>ich</strong> der Arzt vier Wochen lang<br />

krank schreiben. Meine Schwester (Kassenpatientin) dagegen<br />

wird fiebernd, hustend und röchelnd zurück an ihren<br />

Arbeitsplatz geschickt: „Reißen Sie s<strong>ich</strong> mal ein bisschen<br />

<strong>zusammen</strong>!“ Mein seniler Daumen wird in Vollnarkose,<br />

mit Gipsschiene zum wochenlangen Ruhighalten und<br />

mit Krankengymnastik saniert. Meine andere Schwester<br />

(Kassenpatientin) hat dieselben Verschleißerscheinungen,<br />

wird kurz lokal betäubt, mit Heftpflaster und dem<br />

Hinweis entlassen, dass sie das operierte Glied ordentl<strong>ich</strong><br />

beanspruchen soll. Sie lacht s<strong>ich</strong> schlapp, als sie hört,<br />

dass <strong>ich</strong> mit Bewegungsgymnastik und Lymphdrainage<br />

behandelt werde.<br />

In einem großen Krankenhaus gibt es ein revolutionäres<br />

Programm für vollschlanke Menschen. Ich hoffe auf ein<br />

Wundermittel und darf von der Ernährungsberatung bis<br />

hin zur Psychosomatik alle Abteilungen durchlaufen.<br />

Eine Psychologin fragt m<strong>ich</strong> nach meiner Zufriedenheit<br />

am Arbeitsplatz. Ich denke an meine neue Schulleiterin<br />

mit dem krankhaften Kontrollzwang und unterdrücke ein<br />

paar Tränen. Sofort möchte m<strong>ich</strong> die Ärztin für vierzehn<br />

Tage stationär aufnehmen. Nur zur Beobachtung. Aber<br />

<strong>ich</strong> habe den dumpfen Verdacht, dass <strong>ich</strong> als Privatpatientin<br />

gern eingehend und zeitintensiv behandelt werde,<br />

auch wenn es vielle<strong>ich</strong>t n<strong>ich</strong>t zwingend notwendig ist. In<br />

der Schule segle <strong>ich</strong> eine Treppe hinunter, weil <strong>ich</strong> wütend<br />

meine laute Klasse jage. Mit dem umgeknickten Fuß soll<br />

<strong>ich</strong> in die Computerröhre. Meine Freundin (Ärztin) verrät<br />

mir, dass die Therapie s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t ändert, egal, ob das<br />

Kreuzband angerissen ist oder n<strong>ich</strong>t. Also vermeide <strong>ich</strong> es,<br />

m<strong>ich</strong> mit meinen klaustrophobischen Ängsten auseinanderzusetzen.<br />

Ich will auch n<strong>ich</strong>t ins Sanatorium, weil mein<br />

Schultergelenk klemmt. Und an meinen schönen blauen<br />

Augen wird n<strong>ich</strong>t gelasert! Die Krücken, die <strong>ich</strong> für den<br />

verstauchten Fuß kaufen musste, stehen im Keller rum<br />

- falls Sie welche brauchen sollten, wenden<br />

Sie s<strong>ich</strong> an die Redaktion. Kassenpatienten<br />

bekommen Krücken übrigens geliehen.<br />

Der junge Zahnarzt beugt s<strong>ich</strong> mit seiner<br />

Lupe über meine Mundhöhle und verkündet<br />

begeistert, dass er fast alles herausreißen<br />

möchte, was seine Vorgänger mühsam<br />

gebastelt haben. „Bei Ihnen habe <strong>ich</strong> mindestens<br />

ein Jahr lang zu tun!“ Seine Augen<br />

funkeln. Im Vorraum druckt der Computer<br />

schon die Kostenvoranschläge aus. Für das<br />

Geld kaufe <strong>ich</strong> mir lieber einen Lexus.<br />

Achtung: Dieser Text ist eine Satire. Eine<br />

Satire arbeitet bewusst einseitig, übertrieben und verzerrt,<br />

um bestimmte Dinge zuzuspitzen und zu kritisieren. Eine<br />

Satire ist kein differenzierter und objektiver Sachtext, der<br />

Wert auf ausgewogene Aussagen legt. Aus Angst vor ihrem<br />

Zahnarzt und ihrer Orthopädin möchte die Autorin dennoch<br />

lieber anonym bleiben. (Der Redaktion liegt der Name von<br />

Gabriele Frydrych allerdings vor.)<br />

32<br />

Beilage zur E&W:<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008

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