Andreas Symank - FEG Zürich-Helvetiaplatz
Andreas Symank - FEG Zürich-Helvetiaplatz
Andreas Symank - FEG Zürich-Helvetiaplatz
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Da griff einer von Jesu Begleitern nach seinem Schwert, ging damit auf den Diener<br />
des Hohenpriesters los und schlug ihm ein Ohr ab.“<br />
Formal gesehen, ist das erste Partizip verschwunden; hier steht nur noch das Hauptverb. Aber<br />
es heißt jetzt nicht mehr „das Schwert ziehen“, sondern „nach dem Schwert greifen“. Damit<br />
ist der Vorgang des „Die-Hand-Ausstreckens“ sachlich korrekt umschrieben. Dass Petrus<br />
nicht nur nach dem Schwert greift, sondern es auch tatsächlich aus der Scheide zieht, muss im<br />
Deutschen nicht ausdrücklich gesagt werden. Gesagt werden müsste nur das Gegenteil –<br />
wenn er danach greift, es dann aber doch nicht zieht. Solange man keine Misserfolgsmeldung<br />
durchgibt, geht der Hörer davon aus, dass die geplante Handlung auch vollzogen wurde.<br />
(Vergleiche z. B.: „Er ging noch schnell in die Küche, um ein Glas Milch zu trinken. Dann<br />
machte er sich an die Arbeit.“ Formal wird nur die Absicht zur Sprache gebracht: „um ein<br />
Glas Milch zu trinken.“ Aber weil anschließend von einem neuen Geschehen die Rede ist –<br />
„er machte sich an die Arbeit“ –, ist klar: Er hat die Milch tatsächlich getrunken. Andernfalls<br />
müsste der Berichterstatter expressis verbis darauf aufmerksam machen: „… doch leider war<br />
keine Milch mehr da“ / „… doch dann überlegte er es sich anders“ o. ä.). Das andere Partizip<br />
ist – wie bei der Elberfelder – in ein selbständiges Verb umgewandelt und mit „und“<br />
angeschlossen. Aber in der Neuen Genfer Übersetzung wird nicht gesagt: „er schlug ihn“ (das<br />
wäre eine vom Ohr-Abhauen unabhängige Handlung), sondern „er ging auf ihn los“ (und das<br />
wird korrekterweise als Auftakt zum Abhauen des Ohres verstanden). Formal ist hier also<br />
gegenüber dem Originaltext ziemlich viel verändert worden. Aber nur so gelingt es einerseits,<br />
den Finessen der griechischen Syntax gerecht zu werden, und andererseits, diese Aspekte in<br />
einer Weise wiederzugeben, die sich an die deutsche Syntax hält. Inhaltlich jedenfalls scheint<br />
in der deutschen Wiedergabe nach bestem Wissen und Gewissen alles berücksichtigt zu sein,<br />
was im Griechischen steht. Und darauf kommt es ja letztlich an.<br />
In dem Bereich, von dem wir jetzt sprechen (die Verbindung von einzelnen Wörtern zu<br />
Aussagen) sind auch die Gebrauchsnormen zu beachten, die von Sprache zu Sprache<br />
verschieden sind.<br />
Wenn der Engländer nach der Uhrzeit fragt, sagt er: „What time is it?“ Der Franzose fragt:<br />
„Quelle heure est-il?“ Und der Deutsche: „Wie spät ist es?“ In allen drei Fällen handelt es<br />
sich um feste Wortkombinationen. Man kann solche Wendungen nur als Ganzes angemessen<br />
übersetzen, nicht Wort für Wort. Wenn jemand das Englische so wiedergibt: „Welche Zeit ist<br />
es?“ und das Französische: „Welche Stunde ist es?“, dann hat er nicht bewiesen, dass er<br />
besonders genau übersetzen kann. Nein, er setzt sich dem Verdacht aus, nicht begriffen zu<br />
haben, dass hier im Englischen und im Französischen Gebrauchsnormen vorliegen, die man<br />
nur korrekt wiedergibt, wenn man auch im Deutschen die entsprechende Gebrauchsnorm<br />
wählt.<br />
Ein Beispiel aus dem Neuen Testament. In Lukas 2,37 heißt es von der Prophetin Hanna<br />
wörtlich:<br />
„Sie diente Gott Nacht und Tag mit Fasten und Beten.“<br />
Der deutsche Leser bleibt sofort an der ungewöhnlichen Abfolge hängen: „Nacht und Tag“.<br />
Wir sind die umgekehrte Reihenfolge gewohnt: „Tag und Nacht“. Und danach hat sich der<br />
Übersetzer zu richten; er hat die Gebrauchsnormen der Zielsprache zu respektieren. Es gäbe<br />
lediglich einen Grund, davon abzuweichen und die griechische Reihenfolge zu übernehmen:<br />
Wenn man aus dem Zusammenhang der Aussage nachweisen könnte, dass die Abfolge<br />
Nacht-Tag für die Aussage von Bedeutung ist. Dafür spricht hier allerdings nichts. Lukas will<br />
ja nicht behaupten, Hanna habe immer abends mit Fasten und Beten begonnen! Ob „Nacht<br />
und Tag“ oder „Tag und Nacht“ – jedes Mal heißt das einfach so viel wie: immerfort und<br />
ohne Unterbrechung.<br />
16