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Andreas Symank - FEG Zürich-Helvetiaplatz

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„Da griff einer von Jesu Begleitern nach seinem Schwert, ging damit auf den Diener<br />

des Hohenpriesters los und schlug ihm ein Ohr ab.“<br />

Formal gesehen, ist das erste Partizip verschwunden; hier steht nur noch das Hauptverb. Aber<br />

es heißt jetzt nicht mehr „das Schwert ziehen“, sondern „nach dem Schwert greifen“. Damit<br />

ist der Vorgang des „Die-Hand-Ausstreckens“ sachlich korrekt umschrieben. Dass Petrus<br />

nicht nur nach dem Schwert greift, sondern es auch tatsächlich aus der Scheide zieht, muss im<br />

Deutschen nicht ausdrücklich gesagt werden. Gesagt werden müsste nur das Gegenteil –<br />

wenn er danach greift, es dann aber doch nicht zieht. Solange man keine Misserfolgsmeldung<br />

durchgibt, geht der Hörer davon aus, dass die geplante Handlung auch vollzogen wurde.<br />

(Vergleiche z. B.: „Er ging noch schnell in die Küche, um ein Glas Milch zu trinken. Dann<br />

machte er sich an die Arbeit.“ Formal wird nur die Absicht zur Sprache gebracht: „um ein<br />

Glas Milch zu trinken.“ Aber weil anschließend von einem neuen Geschehen die Rede ist –<br />

„er machte sich an die Arbeit“ –, ist klar: Er hat die Milch tatsächlich getrunken. Andernfalls<br />

müsste der Berichterstatter expressis verbis darauf aufmerksam machen: „… doch leider war<br />

keine Milch mehr da“ / „… doch dann überlegte er es sich anders“ o. ä.). Das andere Partizip<br />

ist – wie bei der Elberfelder – in ein selbständiges Verb umgewandelt und mit „und“<br />

angeschlossen. Aber in der Neuen Genfer Übersetzung wird nicht gesagt: „er schlug ihn“ (das<br />

wäre eine vom Ohr-Abhauen unabhängige Handlung), sondern „er ging auf ihn los“ (und das<br />

wird korrekterweise als Auftakt zum Abhauen des Ohres verstanden). Formal ist hier also<br />

gegenüber dem Originaltext ziemlich viel verändert worden. Aber nur so gelingt es einerseits,<br />

den Finessen der griechischen Syntax gerecht zu werden, und andererseits, diese Aspekte in<br />

einer Weise wiederzugeben, die sich an die deutsche Syntax hält. Inhaltlich jedenfalls scheint<br />

in der deutschen Wiedergabe nach bestem Wissen und Gewissen alles berücksichtigt zu sein,<br />

was im Griechischen steht. Und darauf kommt es ja letztlich an.<br />

In dem Bereich, von dem wir jetzt sprechen (die Verbindung von einzelnen Wörtern zu<br />

Aussagen) sind auch die Gebrauchsnormen zu beachten, die von Sprache zu Sprache<br />

verschieden sind.<br />

Wenn der Engländer nach der Uhrzeit fragt, sagt er: „What time is it?“ Der Franzose fragt:<br />

„Quelle heure est-il?“ Und der Deutsche: „Wie spät ist es?“ In allen drei Fällen handelt es<br />

sich um feste Wortkombinationen. Man kann solche Wendungen nur als Ganzes angemessen<br />

übersetzen, nicht Wort für Wort. Wenn jemand das Englische so wiedergibt: „Welche Zeit ist<br />

es?“ und das Französische: „Welche Stunde ist es?“, dann hat er nicht bewiesen, dass er<br />

besonders genau übersetzen kann. Nein, er setzt sich dem Verdacht aus, nicht begriffen zu<br />

haben, dass hier im Englischen und im Französischen Gebrauchsnormen vorliegen, die man<br />

nur korrekt wiedergibt, wenn man auch im Deutschen die entsprechende Gebrauchsnorm<br />

wählt.<br />

Ein Beispiel aus dem Neuen Testament. In Lukas 2,37 heißt es von der Prophetin Hanna<br />

wörtlich:<br />

„Sie diente Gott Nacht und Tag mit Fasten und Beten.“<br />

Der deutsche Leser bleibt sofort an der ungewöhnlichen Abfolge hängen: „Nacht und Tag“.<br />

Wir sind die umgekehrte Reihenfolge gewohnt: „Tag und Nacht“. Und danach hat sich der<br />

Übersetzer zu richten; er hat die Gebrauchsnormen der Zielsprache zu respektieren. Es gäbe<br />

lediglich einen Grund, davon abzuweichen und die griechische Reihenfolge zu übernehmen:<br />

Wenn man aus dem Zusammenhang der Aussage nachweisen könnte, dass die Abfolge<br />

Nacht-Tag für die Aussage von Bedeutung ist. Dafür spricht hier allerdings nichts. Lukas will<br />

ja nicht behaupten, Hanna habe immer abends mit Fasten und Beten begonnen! Ob „Nacht<br />

und Tag“ oder „Tag und Nacht“ – jedes Mal heißt das einfach so viel wie: immerfort und<br />

ohne Unterbrechung.<br />

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