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Andreas Symank - FEG Zürich-Helvetiaplatz

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Zusammenhang interessiert mich besonders die Unterscheidung von Sachtext und Fiktivtext.<br />

Fiktivtexte – das sind Texte mit erfundenem Inhalt, ein Roman z. B. oder ein Gedicht. Dem<br />

stehen die Sachtexte gegenüber – z. B. ein Brief, ein Schulbuch, eine Gebrauchsanweisung.<br />

Sie beziehen sich auf die außersprachliche Wirklichkeit, auf Gegenstände und Geschehnisse<br />

in der realen Welt.<br />

Wo ist es wohl wichtiger, genau zu übersetzen – beim Sachtext oder beim Fiktivtext? Keine<br />

Frage: beim Sachtext, und zwar aus zwei Gründen.<br />

Erstens: Bei einem Sachtext kann man nachprüfen, ob seine Aussagen stimmen. Einem<br />

Sachtext kann nichts Schlimmeres passieren, als wenn er der Überprüfung nicht standhält.<br />

Denn der Leser geht davon aus, dass der Inhalt mit der Wirklichkeit übereinstimmt – nicht nur<br />

beim Original, sondern ganz genauso auch in der Übersetzung. Es kommt immer wieder vor,<br />

dass ich in einer Zeitung einen theologischen Artikel lese (ein Bereich, wo ich mich<br />

einigermassen zu Hause fühle) und dabei auf Angaben stoße, die nicht korrekt sind – falsche<br />

Jahresangaben, verkehrte Personennamen, unrichtige Darstellung von Zusammenhängen.<br />

Dann bin ich natürlich misstrauisch und kaufe dem Journalisten nicht ohne weiteres ab, was<br />

er sonst noch berichtet; denn da, wo ich es kontrollieren kann, hat er schlampig recherchiert.<br />

Bei fiktiven Texten sieht das anders aus. Wer nach einem Roman greift, möchte unterhalten<br />

werden – mit einer glänzend erzählten, einer spannenden, einer rührenden Geschichte. Wenn<br />

man ihn auf einen Übersetzungsfehler hinweisen würde, würde er vermutlich nur mit den<br />

Achseln zucken: Was soll’s; der Autor hat ja eh alles erfunden.<br />

Zweitens: Sachtexte müssen sich in der Praxis bewähren. Wenn die Gebrauchsanleitung nicht<br />

klar formuliert ist, bringt man das Gerät nicht in Gang. Wenn der Schüler die Aufforderung<br />

seines Lehrers nicht versteht, hat das womöglich unangenehme soziale Folgen für ihn. Wenn<br />

der Kranke sich über Risiken und Nebenwirkungen eines Medikaments informieren will und<br />

die Packungsbeilage nicht begreift, kann das zu massiven Gesundheitsproblemen führen.<br />

(Aber zum Glück gibt es ja noch den Arzt und den Apotheker!) Sachtexte sind auf<br />

Eindeutigkeit hin angelegt. Je klarer die Formulierungen, desto besser. Und auch hier wieder:<br />

Wenn Fiktivtexte schlecht übersetzt sind, muss der Leser nicht mit negativen Konsequenzen<br />

rechnen. Ein schlechter Stil mag ärgerlich sein, aber der Alltag des Lesers ist davon nicht<br />

betroffen.<br />

Wenden wir das Ganze auf die Übersetzung der Bibel an. Die entscheidende Frage lautet<br />

natürlich: Handelt es sich bei der Bibel um Sachtexte oder um Fiktivtexte? Ich meine, an der<br />

richtigen Antwort kann es keinen Zweifel geben: Die biblischen Texte sind (wenigstens in<br />

erster Linie) Sachtexte. In der Bibel werden keine erfundenen Geschichten erzählt, sondern<br />

Geschichte, Historie, die Geschichte des israelitischen Volkes, die Geschichte von Jesus<br />

Christus, dem Messias, die Geschichte von der Entstehung der christlichen Gemeinde. In der<br />

Bibel wird nicht phantasiert, sondern informiert, über Gott und über unsere Beziehung zu<br />

Gott. „Ich will, dass ihr Folgendes wisst“ – so beginnt der Apostel Paulus zahlreiche<br />

Abschnitte in seinen Briefen. In der Bibel wird nicht so lange über Gut und Böse<br />

psychologisiert, bis es nur noch ein Jenseits von Gut und Böse gibt. Nein, die Bibel zieht<br />

klare Trennlinien und fordert uns unmissverständlich auf, dem Bösen den Rücken zu kehren<br />

und das Gute zu tun.<br />

Wenn die Bibeltexte also Sachtexte sind, dann gilt für sie, was für alle Sachtexte gilt: Sie<br />

müssen so genau und so klar wie möglich wiedergegeben werden.<br />

So genau wie möglich – nicht durch eine Wort-für-Wort-Wiedergabe, bei der man häufig<br />

raten muss, was wohl gemeint sein könnte, sondern durch größtmögliche inhaltliche und<br />

sachliche Übereinstimmung mit dem Original.<br />

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