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Johannes Schlömmer<br />

öH-SKRIPT<br />

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't!!> SHOP<br />

ersetzt nicht<br />

das Studium der gängigen Literatur<br />

und den Besuch der Lehrveranstaltungen


Mitschriften- & Skriptenbörse<br />

Sabrina Schmid<br />

ÖH-Shop-Referentin<br />

Christian Kolb<br />

Scribo-Team<br />

Corinna Kovac<br />

Scribo-Team<br />

Liebe Kollegin, lieber Kollege!<br />

Vor dir siehst du ein Skript/Mitschrift des <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> Projekts der ÖH Linz, welches<br />

allen Studierenden und Interessierten frei und kostenlos zur Verfügung steht.<br />

Das OCW- Projekt der ÖH Linz<br />

Im Jahr 2007 haben der Vorsitz der Österreichischen HochschülerInnenschaft Linz und das Referat für Skripten, Lernbehelfe<br />

und OCW mit der Umsetzung von <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> an der Johannes Kepler Universität begonnen. Alle Skripten<br />

sollten den Studierenden und Interessierten kostenlos zugänglich sein, zudem sollten die Unterlagen frei verändert<br />

und vervielfältigt werden dürfen um die Qualität und Aktualität der Unterlagen zu verbessern. Zu diesem Zweck wurden<br />

alle Unterlagen, deren Lizenz bei der ÖH liegt, digitalisiert, mit einer Struktur und Suchfunktion versehen und über eine<br />

Website allen InternetnutzerInnen zugänglich gemacht. Darüber hinaus wurde den Lehrenden an der <strong>JKU</strong> die Möglichkeit<br />

gegeben jederzeit Verbesserungen und Ergänzungen bei den Unterlagen vorzunehmen.<br />

Lizenz<br />

Um die freie Verbreitung rechtlich zu gewährleisten steht dieses<br />

Werk unter einer Creative Commons Lizenz 3.0 Österreich.<br />

Du darfst das Werk vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich<br />

machen sowie Bearbeitungen des Werkes anfertigen.<br />

Liebe Kollegin, lieber Kollege!<br />

Vor dir siehst du ein Skript/Mitschrift des <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> Projekts<br />

der ÖH Linz, welches allen Studierenden und Interessierten<br />

frei und kostenlos zur Verfügung steht. Weitere und genauere<br />

Informationen über Creative Commons findest du unter<br />

http://www.creativecommons.at.<br />

Solltest du noch weitere Fragen zum OCW Projekt haben oder<br />

dich beteiligen wollen, erreichst du uns unter oeh@oeh.jku.at<br />

oder +43 732 2468 8535.<br />

HochschülerInnenschaft<br />

an der <strong>JKU</strong><br />

öh.linz<br />

www.oeh.jku.at<br />

oeh@oeh.jku.at<br />

Creative Commons Lizenz 3.0<br />

Der Autor/die Autorin kann selbst bestimmen,<br />

welche Nutzungsrechte an<br />

seinem/ihrem Werk der Öffentlichkeit<br />

eingeräumt werden.<br />

Der/Die Lizenzgeber/in erlaubt die Vervielfältigung,<br />

Verbreitung und öffentliche<br />

Wiedergabe des Werkes. Es muss dabei<br />

nur sein/ihr Name genannt werden.<br />

Keine kommerzielle Nutzung<br />

Der/Die Lizenznehmer/in darf das Werk<br />

nicht für kommerzielle Zwecke verwenden<br />

- ausgenommen der Autor/die Autorin<br />

erteilt seine/ihre schriftliche Einwilligung.


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InhaltsverzeiCItl-r1is:<br />

Allgemeines: Tipps zum Einstieg in den BT Seite 5<br />

Strafrecht BT, zentrale Delikte Band I:<br />

§ 75 StGB<br />

§ 76 StGB<br />

§ 77 StGB<br />

§ 78 StGB<br />

§ 79 StGB<br />

§ 80 StGB<br />

§ 81 StGB<br />

§ 83 StGB<br />

§ 84 StGB<br />

§ 85 StGB<br />

§ 86 StGB<br />

§ 87 StGB<br />

§ 88 StGB<br />

§ 89 StGB<br />

§ 94 StGB<br />

§ 95 StGB<br />

§ 99 StGB<br />

§ 105 StGB<br />

§ 106 StGB<br />

§ 107StGB<br />

§ 109 StGB<br />

Mord<br />

Seite<br />

Totschlag................................................................................... Seite<br />

Tötung auf Verlangen<br />

Seite<br />

Mitwirkung zum Selbstmord<br />

Seite<br />

Tötung eines Kindes bei Geburt<br />

Seite<br />

fahrlässige Tötung<br />

Seite<br />

fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Umständen......... Seite<br />

(leichte) Körperverletzung<br />

Seite<br />

schwere Körperverletzung<br />

Seite<br />

Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen<br />

Seite<br />

Körperverletzung mit tödlichen Ausgang<br />

Seite<br />

absichtliche schwere Körperverletzung<br />

Seite<br />

fahrlässige Körperverletzung '" Seite<br />

Gefährdung der körperlichen Sicherheit<br />

Seite<br />

Imstichlassen eines Verletzten<br />

Seite<br />

Unterlassen der Hilfeleistung ,.. , Seite<br />

Freiheitsentziehung<br />

Seite<br />

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Notlgung....................................................................................<br />

S el'te<br />

schwere Nötigung<br />

Seite<br />

gefährliche Drohung<br />

Seite<br />

Hausfriedensbruch<br />

Seite<br />

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47<br />

48<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 2 von 147


Strafrecht BT, zentrale Delikte Band 11:<br />

§ 125 StGB<br />

§ 126a StGB<br />

§ 127 StGB<br />

§ 128 StGB<br />

§ 129 StGB<br />

§ 130 StGB<br />

§ 131 StGB<br />

§ 133 StGB<br />

§ 134 StGB<br />

§ 135 StGB<br />

§ 136 StGB<br />

§ 141 StGB<br />

§ 142 StGB<br />

§ 143 StGB<br />

§ 144 StGB<br />

§ 146 StGB<br />

§ 147 StGB<br />

§ 148 StGB<br />

§ 148a StGB<br />

§ 153 StGB<br />

§ 156 StGB<br />

§ 159 StGB<br />

§ 164 StGB<br />

§ 167 StGB<br />

Sachbeschädigung<br />

Seite<br />

Datenbeschädigung<br />

Seite<br />

einfacher Diebstahl , Seite<br />

schwerer Diebstahl<br />

Seite<br />

Diebstahl durch Einbruch oder mit Waffen<br />

Seite<br />

gewerbsmäßiger Diebstahl und Bandendiebstahl.<br />

Seite<br />

räuberischer Diebstahl<br />

Seite<br />

Veruntreuung<br />

Seite<br />

Unterschlagung<br />

Seite<br />

dauernde Sachentziehung<br />

Seite<br />

unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen<br />

Seite<br />

Entwendung<br />

Seite<br />

Raub<br />

Seite<br />

schwerer Raub<br />

Seite<br />

Erpressung<br />

Seite<br />

Betrug<br />

Seite<br />

schwerer Betrug<br />

Seite<br />

gewerbsmäßiger Betrug<br />

Seite<br />

betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch<br />

Seite<br />

Untreue<br />

Seite<br />

betrügerische Krida..................................................................... Seite<br />

fahrlässige Krida<br />

Seite<br />

Hehlerei<br />

Seite<br />

tatlge ... Reue................................................. S el'te<br />

51<br />

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91<br />

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103<br />

109<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 3 von 147


Strafrecht BT, zentrale Delikte Band 111:<br />

§ 180 StGB<br />

§ 181 StGB<br />

§ 198 StGB<br />

§ 201 StGB<br />

§ 202 StGB<br />

§ 203 StGB<br />

§ 223f StGB<br />

§ 223 StGB<br />

§ 224 StGB<br />

§ 229 StGB<br />

vorsätzliche Beeinträchtigung der Umwelt Seite 111<br />

fahrlässige Beeinträchtigung der Umwelt Seite 111<br />

Verletzung der Unterhaltspflicht Seite 114<br />

Vergewaltigung Seite 116<br />

geschlechtliche Nötigung Seite 116<br />

Begehung in der Ehe oder Lebensgemeinschaft Seite 116<br />

Vorbemerkungen zu den Urkunden Seite 119<br />

Urkundenfälschung Seite 126<br />

Fälschung besonders geschützter Urkunden Seite 130<br />

Urkundenunterdrückung Seite 134<br />

Strafrecht BT, zentrale Delikte Band IV:<br />

§ 269 StGB Widerstand gegen die Staatsgewalt Seite 138<br />

§ 288 StGB falsche Beweisaussage vor Gericht Seite 140<br />

§ 289 StGB falsche Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde Seite 140<br />

§ 297 StGB Verleumdung ~ Seite 141<br />

§ 299 StGB Begünstigung Seite 143<br />

§ 302 StGB Missbrauch der Amtsgewalt Seite 145<br />

Allgemeines vor dem Start: Die Erläuterungen zu den Delikten von den §§ 75 bis 229 wurden aus den Lehrbüchern<br />

Kienapfel, ab den §§ 269 bis 302 aus dem Lehrbuch Bertel - Schwaighofer zusammengefasst. Dort wo die<br />

Bezeichnung des Gesetzes fehlt, handelt es sich stets um das StGB. Die fett-kursiv angeführten Definitionen sollte<br />

man im Schlaf auswendig aufsagen können.<br />

Viel Spaß beim Lernen!!!<br />

Strafrecht BT Seite 4 von 147


Allgemeines und 'Tipps zum BT:<br />

Sehr wichtig ist bei der DP die Verknüpfung bzw. Vernetzung des AT mit dem BT an der richtigen Stelle im<br />

jeweiligen Gutachten.<br />

Das Zeitmanagement spielt eine noch größere Rolle wie im AT. Sehr bewusst die Zeit für Stoffsammlung und die<br />

Ausführung des Gutachtens einteilen.<br />

Die Fragen zur StPO müssen zeitlich mitberücksichtigt werden, da hier sonst die DP scheitert, weil die nötigen<br />

Mindestpunkte nicht erreicht werden (die Fragen beziehen sich meist auf den zuvor bearbeiteten SV).<br />

Abgrenzungsprobleme von ähnlichen und verwandten Delikten sind oft im Mittelpunkt des Gutachtens und daher<br />

immer besonders gut zu begründen.<br />

Beim Versuch, der sich offen im SV abzeichnet, immer zuvor das unvollständige Delikt kurz anprüfen. Danach<br />

aufgrund der Nichterfüllung des objektiven Tatbestandes aussteigen und Einstieg in das Versuchsschema.<br />

Delikte die erfüllt sein können, aber schließlich aufgrund des SV ausscheiden, sind anzuprüfen (in aller gebotenen<br />

Kürze) und zu verneinen. Tut man dies nicht, glaubt der Korrekter, man hat dies nicht erkannt. Dahinter können<br />

entscheidende Punkte verborgen sein -+ also prüfen.<br />

Beachte immer die Hinweise bezüglich nicht zu prüfender Delikte usw. Prüft man sie doch, obwohl darauf<br />

hinweisend verzichtet wird, bestraft man sich selbst doppelt. Zum ersten verschwendet man die sehr knappe und<br />

kostbare Zeit, zum zweiten erhält man für die auch richtige Prüfung NULL PUNKTE.<br />

Strafrecht BT Seite 5 von 147


2:usammenfassung zentraler Delikte imLStl7afre~ht besoqderer lieili Bandll'i<br />

Erster Abschnitt: 'Strafbare Handlungen gegen Leib und· Leben<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 75 StGB Mord<br />

Der Verzicht auf eine absolute Strafdrohung beim Mord und das Prinzip der ganzheitlichen Strafzumessung<br />

ermöglichen es, auch den im deutschen Recht problematischen Fällen des atypisch entlasteten<br />

unmittelbaren Täters und des atypisch belasteten Beteiligten angemessen Rechnung zu tragen.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das menschliche Leben.<br />

Tathandlung: Definition - Töten: Töten heißt den Tod eines anderen herbeiführen.<br />

Tun oder Unterlassen: Es überwiegen bei weitem die Fälle, in denen § 75 durch ein Tun erfüllt wird.<br />

Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung: Erfolg ist der Tod eines anderen. Für Kausalität gilt wie bei<br />

allen anderen Erfolgsdelikten die Äquivalenztheorie (Mitverursachung genügt). Der eingetretene Tod ist<br />

dem Verursacher nur zuzurechnen, wenn seine Handlung eine rechtlich missbilligte Gefahr für einen<br />

solchen Erfolg geschaffen und sich dieses Risiko im eingetretenen Tod verwirklicht hat.<br />

Aberratio ictus - error in persona: Auf die Fälle, bei denen der Mord beim auserkorenen Opfer fehlschlägt,<br />

aber zum Tod eines unbeteiligten Dritten führt, sind die Allgemeinen Regeln, wie auch für die anderen<br />

Tötungsdelikte anzuwenden. Daher liegt ein unbeachtlicher error in persona vor, wenn der Täter das<br />

getötete Opfer für einen anderen hält (zu prüfen unter dem Tatbildirrtum).<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Als Rechtfertigungsgründe für die vorsätzliche Tötung kommen insb. Notwehr (§ 3) und das Recht zum<br />

Waffengebrauch in Betracht. Rechtfertigende Einwilligung (§ 77) scheidet aus. Das private Anhalterecht<br />

gemäß § 86 Abs. 2 StPO. rechtfertigt nicht einmal vorsätzliche Körperverletzung.<br />

11I. Schuld:<br />

Tatvorsatz: Oft liegt Tötungsabsicht vor. Doch genügt bereits bedingter Vorsatz. Bloße Gleichgültigkeit<br />

reicht nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter positiv gewillt ist, den Erfolg hinzunehmen.<br />

Irrtum über den Kausalverlauf (Tatbildirrtum): Nur wesentliche Abweichungen schließen die objektive<br />

Zurechnung aus -+ was bleibt ist der Versuch.<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 6 von 147


§ 76 StGB Totschlag<br />

Tatvorsatz: Tatvorsatz und der im § 76 beschriebene Affekt schließen einander nicht aus, sind aber<br />

begrifflich zu trennen, da sie auf verschiedenen dogmatischen Ebenen liegen. Es genügt schon wie bei<br />

Mord bedingter Vorsatz.<br />

Unrechtsbewusstsein: In aller Regel handelt der Affekttäter mit aktuellem Unrechtsbewusstsein.<br />

Schuldmindernder Affekt: Der schuld- und strafsatzmindernde Affekt setzt voraus, dass der Täter sowohl in<br />

einer heftigen als auch in einer allgemein begreiflichen Gemütsbewegung gehandelt hat. Heftige<br />

Gemütsbewegungen = es reicht ein psychologischer und sittlich allgemein begreiflicher Zusammenhang<br />

zwischen Affektanlass und späteren Opfer. Definition - Intensität des Affektes: Vorausgesetzt wird ein tief<br />

greifender, mächtiger Erregungszustand nach Art eines "Affektsturmes", der alle normalen<br />

verstandesmäßigen Erwägungen ausschaltet und die Tötungshemmung hinwegzufegen geeignet ist.<br />

Definition - Spontanreaktion: Danach müssen sowohl Tatentschluss als auch Angriffshandlung wegen<br />

und während des Affekts erfolgen, der Tod dagegen kann auch erst später eintreten.<br />

Anwendung des § 75, anstatt des § 76 mangels Spontanreaktion: Der Täter hat den definitiven<br />

Tötungsentschluss schon vor dem Affektausbruch gefasst und wenn der Affekt bereits abgeklungen ist, als<br />

der Tötungsentschluss gefasst wurde.<br />

Allgemein begreifliche Gemütsbewegung: Gefordert wird eine Verhältnismäßigkeit zwischen Anlass und<br />

psychischem Ausnahmezustand idS, dass sich auch ein Mensch von durchschnittlicher Rechtstreue und mit<br />

vergleichbaren sozio-psycho-physischen Eigenschaften vorstellen könnte, er wäre in der Lage des Täters<br />

beim gegebenen Anlass samt seiner Vorgeschichte in eine derart heftige Gemütsbewegung geraten.<br />

Irrrelevant ist, ob ein anderer aus einem solchen Anlass getötet hätte.<br />

Die Judikatur und die Lehre schränken die allgemeine Begreiflichkeit mit Recht iS einer rechtsethischen<br />

Bewertung ein, um zu verhindern, dass der Totschlag zu einem Auffangtatbestand für einen sich geschickt<br />

verantwortenden Mörder wird. Der Affekt braucht zwar nicht sittlich gerechtfertigt. muss aber in Relation<br />

zum Anlass sittlich verständlich =rechtsethisch verhältnismäßig sein.<br />

Lässt sich die Intensität des Affekts nur aus der besonderen charakterlichen Veranlagung des Täters (z.B.<br />

Jähzorn bei nichtigem Anlass, Herrschsucht) erklären oder/und verbindet sie sich mit besonders<br />

verwerflichen Beweggründen (z.B. Hass, Rache, Neid, Habgier, Mordlust) oder besonders verwerflichen<br />

Zwecken (z.8. Raubmord), ist sie idR nicht mehr allgemein begreiflich. Dasselbe gilt bei Tötung zur<br />

Verdeckung einer Straftat.<br />

Weiteres zum Affekt: Eine Vorhersehbarkeit des Affekts sowie ein (Mit-) Verschulden des Täters am<br />

Affektsausbruch stehen der Anwendung des § 76 nicht entgegen. Alkoholkonsum schließt § 76 dann nicht<br />

aus, wenn der Affekt unabhängig vom Alkoholgenuss allgemein begreiflich gewesen wäre. Bei einem Irrtum<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 8 von 147


§ 76 StGB Totschlag<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

über die Sachlage, die den Affekt ausgelöst hat, ist der Täter gleichwohl wegen Totschlages und nicht<br />

wegen Mordes zu verurteilen, weil § 76 nicht primär an den Anlass, sondern an die Gemütsverfassung als<br />

solche anknüpft.<br />

Entschuldigender Notstand: Soweit die Tötung eines Menschen durch § 10 entschuldigt ist, bildet allein §<br />

75 die Grundlage, mag die Tat auch im Affekt begangen worden sein. § 10 findet daher im Rahmen des §<br />

76 keine Anwendung.<br />

Mord und Todschlag unterscheiden sich allein in subjektiver Hinsicht durch den in § 76 beschriebenen<br />

Affekt. Beachte: Höchstgradige Affekte schließen gemäß § 11 eine Bestrafung generell aus. Einfache<br />

Affekte und solche, welche die Voraussetzungen des § 76 nicht erfüllen, sind nur im Rahmen der<br />

Strafzumessung des § 75 zu berücksichtigen. Der im § 76 näher beschriebene Affekt liegt in der Mitte.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 77 8tGB Tötung auf Verlangen<br />

Es handelt sich um ein privilegiertes Delikt. Der Grund für die Herabsetzung der Strafdrohung gegenüber §<br />

75 liegt im Schutzverzicht des Opfers und weiteres in der notstandsähnlichen Konfliktlage, in welcher sich<br />

der Täter nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Grund eines ernstlichen eindringlichen<br />

Tötungsverlangens des anderen über alle natürlichen Tötungshemmungen hinwegsetzt. Die Privilegierung<br />

betrifft das Unrecht und die Schuld.<br />

Geschütztes Rechtsgut und Tatobjekt sind mit jenen des § 75 identisch.<br />

Tathandlung: Eigenhändige Vornahme der Tötungshandlung wird vorausgesetzt. Führte ein Dritter die<br />

Tathandlung aus (also nicht der Aufgeforderte), kann der erstere (Bestimmungstäter) gemäß § 75 angeklagt<br />

werden. Beachte: Werden nur die Bemühungen das Leben zu erhalten aufgrund des Bittens eines<br />

Todkranken eingestellt, liegt apriori keine Strafbarkeit gemäß § 77f vor.<br />

Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung wie unter § 75.<br />

Hinter dem ernstlichen und eindringlichen Verlangen verbirgt sich ein Doppelerfordernis, welches teils dem<br />

Unrecht und teils der Schuld zuzuordnen ist. Mit dem Wörtchen "auf" ist das ernstliche und eindringliche<br />

Verlangen gemeint und weiters das der Täter durch dieses Verlangen motiviert sein muss.<br />

Definition - Verlangen: Verlangen ist die Aufforderung des Sterbewilligen, ihn zu töten. Das Opfer trifft<br />

die Entscheidung "Ob" und "Wie" es getötet wird (vergl. Internetmordfall BT I Seite 23 RZ 12).<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 9 von 147


§ n StGB Tötung auf Verlangen Definition - Ernstlichkeit: Ernstlich ist ein Verlangen, wenn es dem wahren und unbeeinflussten Willen<br />

des Opfers entspricht. Definition - Eindringlichkeit: Das Verlangen ist eindringlich, wenn es bestimmt<br />

und den Umständen nach geeignet ist, die natürliche Tötungshemmung zu überwinden und zur<br />

Tötung des Sterbewilligen zu motivieren.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Die Einwilligung des Opfers, kann wegen der Indisponibilität des Rechtsgutes Leben, keine rechtfertigende<br />

Wirkung entfalten.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Bedingter Vorsatz genügt.<br />

Irrtumsproblematik: Der Täter kann sich bezüglich des Tötungsverlangens, der Ernstlichkeit und der<br />

Eindringlichkeit (privilegierende Tatbestände) irren =Tatbildirrtum.<br />

Motivation bildet ein spezielles Schuldmerkmal: Es handelt sich dabei um ein vom Tatvorsatz begrifflich zu<br />

trennendes eigenständiges deliktspezifisches Schuldmerkmal.<br />

Rücktritt: Bei strafbefreiendem Rücktritt bleibt die Tat idR gemäß §§ 83f strafbar. Rechtfertigung der<br />

Körperverletzung scheitert am Sittenwidrigkeitskorrektiv des § 90 Abs. 1.<br />

Beteiligung: An der Tat sonstige Beteiligte müssen auch auf Verlangen gehandelt haben, also zumindest<br />

mitmotiviert worden sein.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 78 StGB Mitwirkung zum Selbstmord<br />

Die praktische Bedeutung des § 78 ist vergleichsweise gering.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das menschliche Leben.<br />

Da es sich hier um die Mitwirkung an fremder Selbsttötung handelt, ist § 78 nicht als ein privilegierter Fall<br />

des § 75 zu sehen, sondern als ein Tötungsdelikt eigener Art.<br />

Definition - freiwilliger Selbstmord: Selbstmord liegt vor, wenn der Suizident den Entschluss, aus dem<br />

Leben zu scheiden, aus freien Stücken (autonom) gefasst (er also vorsätzlich handelt) und selbst<br />

ausgeführt hat.<br />

Willensmängel: Mangels Freiwilligkeit liegt nicht § 78, sondern Mord vor, wenn der Täter sein Opfer durch<br />

Täuschung, Drohung, Zwang oder unter Ausnutzung seiner Arglosigkeit vorsätzlich in den Tod treibt.<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 10 von 147


§ 78 StGB Mitwirkung zum Selbstmord Mit Verleitung und Hilfeleistung bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass Veranlassung und Unterstützung<br />

des Selbstmordes in demselben Umfang strafbar sein sollen, wie er durch § 12 2. und 3. Fall für die<br />

Beteiligung an einer strafbaren Handlung festgelegt wird.<br />

Anwendungsfälle: § 78 kommt in Betracht, wenn jemand einen anderen zum Selbstmord überredet, die<br />

letzten Skrupel eines Zagenden beseitigt, dem Selbstmörder ein geeignetes Mittel (Strick, Gift, Schlafmittel)<br />

zur Verfügung stellt oder ihm sonst physische oder psychische Hilfe leistet.<br />

Die sonstige Hilfeleistung kann anders als bei Verleitung zum Selbstmord auch durch Unterlassung<br />

begangen werden.<br />

Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung wie unter § 75.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Es kommen keine Rechtfertigungsgründe in Betracht.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Es ist der Wille an der Selbsttötung eines anderen mitzuwirken erforderlich, wobei bedingter<br />

Vorsatz genügt.<br />

Verbotsirrtum: Es könnte am Unrechtsbewusstein fehlen (Jugendlicher, Ausländer).<br />

Versuch: Das Delikt ist erst mit dem Eintritt des Todes des Selbstmörders vollendet. Bis dahin liegt Versuch<br />

vor. Rücktritt ist möglich (ohne sich gemäß §§ 83 ff strafbar zu machen, da die Mitwirkung an fremder<br />

Selbstverletzung nach dem StGB nicht mit Strafe bedroht ist). Unterscheidung zwischen versuchten<br />

Selbstmordverleitung (§§ 15, 78 1. Fall) und der versuchten Selbstmordhilfe (§§ 15, 78 2. Fall) ist<br />

vorzunehmen.<br />

Abgrenzungen: Falls der Selbstmörder die Absicht aus dem Leben zu scheiden erkennbar aufgegeben hat,<br />

kann die Suizidmithilfe zum Mord werden. Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen bereitet erhebliche<br />

Schwierigkeiten. Die hM orientiert sich daran, wer die eigentliche Tötungshandlung vorgenommen hat.<br />

Maßgebendes Abgrenzungskriterium ist die Ausführungsherrschaft iS einer eigenverantwortlichen<br />

Beherrschung des Todeseintritts. Die Mitwirkung am Selbstmord ist gemäß § 78 nur bei Vorsatz strafbar<br />

und schließt wegen des Selbstbestimmungsrechtes des Suizidenten bei teleologischer Betrachtung die<br />

Umdeutung von diesbezüglich bloß fahrlässigen Mitwirkungshandlungen in fahrlässige Fremdtötung<br />

prinzipiell aus (Wäre bei einer Vorsatzprobe ein solches Verhalten nach § 78 strafbar, so entfällt die<br />

Strafbarkeit wegen § 80).<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 11 von 147


Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 79 StGB Tötung eines Kindes bei der Geburt<br />

Ratio legis: Mit der Privilegierung nimmt das Gesetz auf den geburtsbedingten psycho-physischen<br />

Ausnahmezustand der Täterin Rücksicht.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das menschliche Leben.<br />

I. Tatbestand: Tatsubjekt kann nur die Mutter des neugeborenen Kindes sein.<br />

Tatobjekt ist ausschließlich das von der Täterin lebend geborene Kind (gleichgültig, ob es lebensfähig ist<br />

oder nicht).<br />

Tathandlung: Die Tathandlung deckt sich mit jener des § 75 (Erfolg, Kausalität, objektive Zurechnung,<br />

aberratio ictus). Die Handlung muss im vom Gesetz angegebenen zeitlichen Rahmen vorgenommen<br />

werden (der Tod kann auch später eintreten). Die Tat kann durch Unterlassen vorgenommen werden.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Diese Frage ist in Österreich (im Gegensatz zu Deutschland = Notstandstötung bei der Geburt) nicht<br />

ausdrücklich geregelt. Wegen der Gleichwertigkeit der betroffenen Rechtsgüter kommt nur ein<br />

entschuldigender Notstand (§10) in Frage.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Es genügt Dolus eventualis. Bei Fahrlässigkeit kommt § 80 in Betracht.<br />

Irrtum: Irrtum über die Lebensfähigkeit ist ein unbeachtlicher Irrtum über die Eigenschaft des Tatobjektes.<br />

Da das Tatobjekt nur das eigene Kind sein kann, wirkt sich eine Verwechslung (Irrtum über die Leiblichkeit<br />

des Kindes) in der Klinik wie ein aberratio ictus aus und daher Strafbarkeit gemäß §§ 15, 79 bzw. § 80.<br />

Besondere Schuldmerkmale: Die schuldmindernde Stresssituation wird ab Beginn der Geburt bis zu ihrem<br />

Abschluss unwiderleglich vermutet. Die Geburt endet mit Ausstoßen der Nachgeburt (ob tatsächlicher<br />

Ausnahmezustand vorliegt ist unerheblich). Tötet die Mutter nach der Geburt ihr eben geborenes Kind, ist<br />

sie nur unter der Voraussetzung privilegiert, dass sie "noch unter der Einwirkung des Geburtsvorganges<br />

steht". Insoweit bedarf es, im Gegensatz während der Geburt, stets des Nachweises einer<br />

dementsprechenden psycho-physischen Gemütsverfassung (~ Sachverständigengutachten).<br />

Rücktritt: Beim Rücktritt vom Versuch bleibt die Mutter gegebenenfalls gemäß §§ 83 ff strafbar.<br />

Beteiligung: § 79 ist ein privilegiertes Sonderdelikt und nur auf die Mutter des Neugeborenen anwendbar.<br />

Drittpersonen jedweder Beteiligungsform haften daher wegen Mordes oder allenfalls wegen Totschlages.<br />

Abgrenzungen: Nach Abschluss der Geburt bzw. mit dem Abklingen des geburtsbedingten<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 79 StGB Tötung eines<br />

Kindes bei der Geburt<br />

Erregungszustandes haftet die Mutter gemäß § 75 uU iVm § 2. Bei Aussetzung (§ 82) besteht Exklusivität<br />

des § 79. Schwangerschaftsabbruch kommt bis zum Einsetzen der Eröffnungswehen in Betracht,<br />

anschließend nur mehr § 79 (scharfe tatbestandliche Zäsur). Auch verdrängt der § 79 den Totschlag (§ 76)<br />

im geburtsbedingten Erregungszustand.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand<br />

§ 80 StGB fahrlässige Tötung<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das menschliche Leben.<br />

Handlungsbegriff: Soweit Körperbewegungen im Reflex (z.B. durch Stromschlag), im Zustand von<br />

Bewusstlosigkeit bzw. Schlaf oder unter Einwirkung von vis absoluta den Tod eines Menschen zur Folge<br />

haben, fehlt es schon am strafrechtlichen Handlungsbegriff. Etwas anderes gilt für impulsive (z.B. Affektbzw.<br />

Kurzschlussreaktionen) und automatisierte ("mechanisierte") Handlungen (z.B. Kuppeln, Bremsen,<br />

Schalten). Auch erfüllen Fehlreaktionen im Straßenverkehr (auch innerhalb der Schrecksekunde) idR den<br />

strafrechtlichen Handlungsbegriff.<br />

Begehung durch Unterlassung: § 80 kann sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen begangen werden.<br />

Der Unterlassende muss Garant im Sinne des § 2 sein. Mehrdeutige Verhaltensweisen: Ob fahrlässige<br />

Tötung durch Tun oder Unterlassen in Betracht kommt, ist bei mehrdeutigen Verhaltenseisen häufig<br />

zweifelhaft. Grundsätzlich geht die Judikatur und die Lehre vom Primat des (strafbarkeitsausschöpfenden)<br />

Tuns aus. Fahrlässige Tötung durch Unterlassen ist immer dann zu prüfen, wenn entweder das Tun straflos<br />

ist oder dem Unterlassen neben dem Tun ein eigenständiger Unwert zukommt.<br />

Definition - Vornahme einer objektiv sorgfaltswidrigen Handlung: Der Täter hat objektiv sorgfaltswidrig<br />

gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters,<br />

ausgestattet mit dessen Sonderwissen, in dieser Situation anders verhalten hätte. Bei diesem<br />

Rückgriff auf die differenzierte Modell- und Maßfigur handelt es sich um ein ex - ante - Urteil, das auf den<br />

Zeitpunkt der Handlungsvornahme zu beziehen ist (in der Praxis bildet die Untersuchung der objektiven<br />

Sorgfaltswidrigkeit regelmäßig den Schwerpunkt).<br />

Es stellen sich im Zusammenhang mit der Sorgfaltspflicht folgende Probleme: Bloße Gefälligkeiten =<br />

Sorgfaltsmaßstab gilt auch für den, der nur ehrenamtlich oder bloß gefälligkeitshalber handelt.<br />

Überdurchschnittliche Fähigkeiten und Kenntnisse =erhöhen den Sorgfaltsmaßstab. Unterdurchschnittliche<br />

Fähigkeiten und Kenntnisse = individuelle Momente, die vor allem bei alternden, kranken, seh-, hör- oder<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 80 StGB fahrlässige Tötung<br />

bewegungsbeeinträchtigten Kraftfahrern sowie bei Jugendlichen von Bedeutung sein können, führen nicht<br />

zur Herabsetzung der allgemeinen Sorgfaltsanforderungen.<br />

Rechtsgrundlagen der Sorgfaltspflicht: Die Zahl von Rechtsnormen zum Schutz von Leib und Leben sind<br />

Legion. Vor allem zu finden in der StVO, im KFG, im FSG usw. Verkehrsnormen sind ungeschriebene<br />

Sorgfaltsregeln. Sie gelten kraft Verkehrssitte und sind vielfach erst durch die Praxis der Gerichte<br />

herausgearbeitet und konkretisiert worden (z. B. Jagd-, Sport- und Schiregeln).<br />

Relativität der Sorgfaltspflicht: Sämtliche Schutznormen legen nur das Mindestmaß der aufzuwendenden<br />

Sorgfalt fest. Stets bedarf es einer differenzierten Einzelfallbetrachtung auch insoweit, als in atypischen und<br />

besonders gefährlichen Situationen von einem einsichtigen und besonnenen Menschen in der Lage des<br />

Täters ein erhöhtes Maß an Sorgfalt, insb. situationsangepasstes Verhalten verlangt wird.<br />

Grenzen der objektiven Sorgfaltspflicht: Nicht schon die Verletzung bloßer Sorgfaltsmöglichkeiten, sondern<br />

erst die Nichtbeachtung von Sorgfaltspflichten, welche "die Rechtsordnung nach den gesamten Umständen<br />

des Falles vernünftigerweise auferlegen darf", macht das Wesen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit aus.<br />

Definition - Erlaubtes Risiko: Die objektive Sorgfaltswidrigkeit beginnt erst dort, wo der Täter ein<br />

rechtlich missbilligtes Risiko für den Eintritt eines strafrechtlich verpönten Erfolges schafft oder<br />

vergrößert. Lehre und Praxis sprechen insoweit vom erlaubten Risiko.<br />

Vertrauensgrundsatz: Gesetzliche Grundlage ist der § 3 StVO. Gemäß § 3 StVO braucht ein<br />

Straßenbenützer nicht von vornherein fremdes Fehlverhalten einzukalkulieren, er darf vielmehr darauf<br />

vertrauen, dass, von bestimmten Ausnahmen abgesehen, "andere Personen die für die Benützung der<br />

Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen". Auf verkehrsgerechtes Verhalten kann sich nur der<br />

berufen der selbst die Straßenverkehrsvorschriften beachtet. Der Vertrauensgrundsatz gilt nicht gegenüber<br />

Kindern, Seh- oder Hörbehinderten mit weißem Stock oder gelber Armbinde, offensichtlich<br />

Körperbehinderten oder Gebrechlichen sowie sonstigen Personen, "aus deren augenfälligem Gehaben<br />

geschlossen werden muss, dass sie unfähig sind, die Gefahren des Straßenverkehrs einzusehen oder sich<br />

dieser Einsicht gemäß zu verhalten", das heißt nicht gegenüber offensichtlich Betrunkenen. Auch gilt der<br />

Vertrauensgrundsatz nicht, wenn fremdes Fehlverhalten den Umständen nach eindeutig erkennbar ist.<br />

Bezüglich der Wahrnehmbarkeit gilt der Vertrauensgrundsatz auch für Personen die nicht wahrnehmbar<br />

sind, denn sonst würde der Vertrauensgrundsatz ausgehöhlt.<br />

Arbeitsteiliges Zusammenwirken mehrerer Personen: Wer sich selbst objektiv sorgfaltsgemäß verhält,<br />

darf grundsätzlich auch auf das sorgfaltsgemäße Verhalten eines anderen vertrauen, es sei denn,<br />

dass dessen sorgfaltswidriges Verhalten eindeutig erkennbar ist oder doch auf Grund konkreter<br />

Umstände nahe liegt.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 80 StGB fahrlässige Tötung<br />

Übernahmefahrlässigkeit (Einlassungsfahrlässigkeit): Wie jede Fahrlässigkeit besteht auch die<br />

Übernahmefahrlässigkeit aus objektiven und subjektiven Komponenten. Objektiv sorgfaltswidrig handelt,<br />

wer eine Tätigkeit übernimmt, die ein einsichtiger und besonnener Mensch in der Lage des Täters nicht auf<br />

sich genommen hätte, weil ihm dazu die erforderlichen geistigen und/oder körperlichen Voraussetzungen<br />

fehlen.<br />

Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung: Der für § 80 maßgebliche Erfolg ist der Tod eines anderen. Ob<br />

der Kausalzusammenhang besteht, richtet sich nach der Äquivalenztheorie. Die geringste Mitursächlichkeit<br />

genügt.<br />

Adäguanzzusammenhang: Der Erfolg bzw. der konkrete Kausalverlauf muss objektiv Voraussehbar<br />

gewesen sein, somit darf der Erfolg nicht gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung sein.<br />

Beurteilung aus der Sicht ex ante eines sachkundigen Beobachters zum Zeitpunkt und am Standort der<br />

Handlungsvornahme. Definition - Atypischer Kausalverlauf: Als atypisch gilt ein Kausalverlauf nur dann,<br />

wenn er gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt. Er schließt die objektive<br />

Voraussehbarkeit des Erfolges und die objektive Zurechnung des Erfolges aus und damit den Tatbestand<br />

als solches.<br />

Definition - Risikozusammenhang: Der durch ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten herbeigeführte<br />

Erfolg ist dem Verursacher nur dann objektiv zuzurechnen, wenn sich in dem Erfolg gerade das<br />

Risiko verwirklicht hat, dessen Abwendung die übertretene Sorgfaltsnorm bezweckt. Beachte den<br />

räumlichen, gegenständlichen oder zeitlich begrenzten Schutzzweck der übertretenen Sorgfaltsnorm. Es ist<br />

stets durch sorgfältige konkrete teleologische Interpretation der spezifische Schutzzweck der übertretenen<br />

Sorgfaltsnorm zu ermitteln.<br />

Eigenverantwortliche Selbstgefährdung oder Autonomieprinzip: Als Ausgangsposition ist heute weitgehend<br />

anerkannt, dass die bloße Veranlassung, Förderung oder Ermöglichung eigenverantwortlicher<br />

Selbstgefährdung die objektive Zurechnung des Erfolges, isnb auch des Todes, ausschließen kann. (Fälle<br />

aus dem Bereich der freiwilligen Selbstgefährdung gehören zur zentralen Examensmaterie.) Das<br />

Autonomieprinzip findet seine Grenzen dort, wo der Mitwirkende das den andern drohende Risiko kraft<br />

überlegenen Sachwissens besser erfasst oder leichtsinnig vergrößert oder wenn die Selbstgefährdung des<br />

anderen erkennbar auf gravierenden Beurteilungsmängeln beruht (z.8. Schock, Panik, Irrtum, Täuschung,<br />

jugendliche Unreife, Berauschung).<br />

Nachträgliches Fehlverhalten eines Dritten: Folgeunfälle im Straßenverkehr muss sich der Verursacher<br />

eines Primärumfalles idR objektiv zurechnen lassen, die unmittelbar aus jener speziellen Gefahrenlage<br />

erwachsen, die durch den Primärunfall hervorgerufen wurde. Der Risikozusammenhang entfällt, wenn der<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 80 StGB fahrlässige Tötung Erstverursacher oder Dritte die Gefahr von Folgeunfällen, etwa durch Anbringen der vorgeschriebenen<br />

Warneinrichtungen oder auf andere Weise, bereits entschärft bzw. beseitigt hat. Ärztliche Diagnose-,<br />

Therapie- und sonstige Behandlungsfehler =weder ungewöhnlich leichtfertiges oder stümperhaftes<br />

ärztliches Handeln, noch krasse Behandlungsfehler sind dem Erstverursacher zuzurechnen.<br />

Definition - Nachträgliches Fehlverhalten des Verletzten: Mangels Risikozusammenhang haftet der<br />

Erstverursacher nicht, wenn der Verletzte im vollen Bewusstsein seiner eigenverantwortlichen<br />

Lebensgefährdung ein Folgeverhalten setzt, das für jeden vernünftigen Menschen unter den<br />

gegebenen Umständen schlechthin unbegreiflich ist und der Tod oder die schwere Körperverletzung<br />

des Verletzten sonst wahrscheinlich nicht eingetreten wäre. Definition - nach der hL: Es wird der<br />

Risikozusammenhang nicht erst bei einem "schlechthin unbegreiflichen" nachträglichen<br />

Fehlverhalten, sondern schon dann verneint, wenn sich der Verletzte nach der Tat bei objektiver<br />

Betrachtung grob unvernünftig verhält.<br />

Unfälle im Zusammenhang mit Rettungsmaßnahmen: Verunglückt ein Retter im Zuge von<br />

Rettungsmaßnahme, entspricht es der überkommenen Judikatur, auch solche Folgen idR dem<br />

Erstverursacher zuzurechnen.<br />

Spätfolgen des Verletzten: Solche Folgen lassen sich iSd Risikosphärentheorie dahingehend lösen, dass<br />

sie zum allgemeinen Lebensrisiko des Betroffenen zählen und daher nicht dem Unfallverursacher sondern<br />

dem Verletzten zuzurechnen sind.<br />

Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigen Alternativverhalten: Es geht dabei um Fälle, in denen zwar<br />

objektive Sorgfaltwidrigkeit sowie Adäquanz- und Risikozusammenhang zu bejahen sind, der Täter sich<br />

aber damit verteidigt, der Erfolg, etwa der Tod, wäre auch dann eingetreten, wenn er sich rechtmäßig<br />

(sorgfaltsgemäß) verhalten hätte. Lösungsansätze: Definition - Risikoerhöhungstheorie: Bei diesem<br />

Ansatz kommt es darauf an, ob das sorgfaltswidrige Verhalten des Täters ein auch bei<br />

rechtmäßigem Verhalten bestehendes Risiko wesentlich erhöht hat. Wenn ja, ist dem Täter der<br />

eingetretene Erfolg zuzurechnen, sonst nicht. Diese Frage ist unter sorgfältiger Berücksichtigung aller<br />

Umstände des Einzelfalles zu untersuchen und nicht ex ante. sondern ex post zu beurteilen. Gegenansicht<br />

aus Deutschland = Der Täter ist schon straflos, wenn sich der Schadenseintritt auch bei rechtmäßigem<br />

Verhalten nicht ausschließen lässt (in dubio pro reo).<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Rechtfertigungsprobleme stellen sich beim den §§ 80 f nur selten. Notwehr ist zu erwägen, wenn sich der<br />

Angegriffene durch einen Warnschuss wehren will, dabei den Angreifer aber ungewollt tödlich trifft.<br />

Einwilligung = Gerade in jenen Fällen, die mit dem Tod des Einwilligenden enden, beruht die Annahme<br />

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§ 80 StGB fahrlässige Tötung<br />

111. Schuld:<br />

einer rechtfertigenden Einwilligung iS eines umfassenden Rechtschutzverzichtes durchwegs auf einer<br />

sowohl der Lebenserfahrung als auch dem wirklichen Willen widersprechenden Fiktion bzw. Unterstellung.<br />

Erlaubtes Risiko bildet heute keinen eigenständigen Rechtfertigungsgrund mehr. Sie ist bei fahrlässigen<br />

Taten voll in die Ausdeutung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit und damit in die Kategorie der<br />

Tatbestandsmäßigkeit integriert.<br />

Alle Schuldelemente sind grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Handlungsvornahme zu beziehen. Bei der<br />

Übernahmefahrlässigkeit ist daher der Zeitpunkt der Handlungsübernahme maßgebend.<br />

Objektiv - subjektiver Doppelmaßstab: Subjektiv sorgfaltswidrig handelt, wer objektive Sorgfaltspflichten<br />

missachtet, obwohl er nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen zu ihrer Beachtung befähigt ist.<br />

Definition - subjektiver Sorgfaltsmaßstab: Danach kommt es darauf an, ob auch "ein anderer",<br />

ausgestattet mit den geistigen und körperlichen Verhältnissen des Täters, in dessen Situation fähig<br />

gewesen wäre, den objektiven Sorgfaltsanforderungen zu genügen. Beachte: Charakter- und<br />

Gesinnungsmängel sind mit den "körperlichen und geistigen Verhältnissen" nicht angesprochen. Zwei<br />

Filterfunktionen: 1. Allgemeiner Erfahrungs- und Wissensstandard = Der Täter beruft sich auf die<br />

Unkenntnis dessen, was heute zum allgemeinen Erfahrungs- und Wissensstandard eines ordnungsgemäß<br />

ausgebildeten und verantwortungsbewussten Kfz - Lenkers gehört -+ nutzt den Täter nichts. 2. Minimale<br />

Sorgfaltswidrigkeiten = der objektiviert - subjektive Maßstab darf nicht zu einer Überspannung der<br />

subjektiven Sorgfaltsanforderungen führen. Zu den geistigen und körperlichen Verhältnissen, welche die<br />

subjektive Sorgfaltswidrigkeit aufheben und somit zur Straflosigkeit führen können, gehören insb. die<br />

Folgenden: Angeborene oder erworbenen körperliche Mängel =an Erkrankungen ist zu denken, die bzw.<br />

deren Folgen den Betreffenden nicht bekannt bzw. erkennbar waren. Intellektuelle Mängel = dazu zählen<br />

etwa geringe Intelligenz und primitive Gemütsbeschaffenheit. Charakter und Gesinnungsmängel sind<br />

dagegen idR unbeachtlich. Plötzlich auftretende Übermüdung oder Übelkeit =(Sekundenschlaf) können<br />

zur Straflosigkeit führen. Vorangehende Alkoholisierung: Die Rspr geht davon aus, dass alkoholbedingte<br />

Ausfallerscheinungen bei der Beurteilung der individuellen Fähigkeiten des Täters außer Betracht zu<br />

bleiben haben.<br />

Definition - Übernahmefahrlässigkeit: Ein Schuldvorwurf kann dem Handelnden nur gemacht werden,<br />

wenn er zur Zeit der Handlungsübernahme den Mangel an geistigen oder körperlichen<br />

Voraussetzungen entweder bemerkt hat oder auf Grund seiner persönlichen Verhältnisse hätte<br />

erkennen können, er also eine Tätigkeit übernommen hat, von der er erkennen konnte, dass er ihr<br />

nicht gewachsen ist. ("Mancher ist zu dumm, um zu begreifen, wie dumm er ist. ")<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 80 StGB fahrlässige Tötung<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Definition - Subjektive Voraussehbarkeit des Erfolges: Es genügt, dass der Erfolg einschließlich des<br />

Kausalverlaufs für den Täter im Allgemeinen, das heißt in dem durch den Risiko- und<br />

Adäquanzzusammenhang vorgegebenen Rahmen subjektiv voraussehbar ist (objektiv - subjektiver<br />

Doppelmaßstab).<br />

Unrechtsbewusstsein: Fälle eines direkten oder indirekten Verbotsirrtums sind zwar auch bei § 80 denkbar,<br />

spielen in der Praxis aber kaum eine Rolle, denn auch beim Fahrlässigkeitsdelikt genügt ein potenzielles<br />

Unrechtsbewusstsein.<br />

Unzumutbarkeit: Es handelt sich um ein selbständiges Schuldelement. Bei der fahrlässigen Tat ist die<br />

Unzumutbarkeit wesentlich großzügiger zu handhaben als bei Vorsatzdelikten. Sie beseitigt den<br />

Schuldvorwurf auch dann, wenn nicht die strengen Anforderungen des primär auf die vorsätzlichen<br />

Begehungsdelikte zugeschnittenen § 10 erfüllt sind. Definition - Unzumutbarkeit des sorgfaltsgemäßen<br />

Verhaltens: Unzumutbar ist sorgfaltsgemäßes Verhalten, wenn auch von einem maßgerechten<br />

Menschen in der Lage des Täters die Einhaltung der gebotenen Sorgfalt realistischerweise nicht<br />

mehr erwartet werden kann. Anwendungsbereiche: Einmal geht es um die spontane, gleichsam instinktiv<br />

erfolgende Abwehr einer schweren Gefahr von sich oder anderen oder um sonstige in Situationen höchster<br />

Bedrängnis und Zeitnot getroffene Entscheidungen. Hinzu kommen solche Fälle, in denen der Täter glaubt,<br />

er dürfe sich unter den gegebenen außergewöhnlichen Umständen der Erfüllung einer - wirklichen oder<br />

vermeintlichen - rechtlichen, menschlichen, sittlichen oder religiösen Pflicht nicht entziehen. Schließlich<br />

erfasst das Unzumutbarkeitskorrektiv die gesamte augenblickliche, körperliche, geistige oder seelische<br />

Verfassung z. B. Erschrecken, Entsetzen, Furcht.<br />

Beteiligung: Vorsätzliche oder fahrlässige Beteiligung an fahrlässiger Tötung kann als Mord bzw. als<br />

fahrlässige Tötung strafbar sein.<br />

Konkurrenzen: Werden durch eine fahrlässige Handlugen mehrere Menschen getötet, verletzt und<br />

gefährdet, liegt nicht "verstärkte Tatbestandsmäßigkeit", sondern gleichartige Idealkonkurrenz vor.<br />

Delikt:<br />

§ 81 5tGB fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen<br />

A. Der Fall des § 81 Abs. 1 Z 1 5tGB<br />

Allgemeines:<br />

Es handelt sich um ein reines Verletzungsdelikt. Bestraft werden Fälle von besonders unfallträchtiger<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 81 StGB Fahrlässige Tötung unter Ausführungsfahrlässigkeit, WO der Täter unter Umständen handelt, die eine qualitativ verschärfte<br />

besonders gefährlichen Verhältnissen Gefahrenlage für Leib oder Leben eines Menschen begründen.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das menschliche Leben.<br />

I. Tatbestand: Tathandlung: § 81 Abs. 1 Z 1 setzt die Vornahme einer objektiv sorgfaltswidrigen Handlung voraus, die<br />

unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen worden sein muss. Auch Begehung durch<br />

Unterlassen (§ 2) ist denkbar.<br />

Objektiv sorgfaltswidrige Handlung =die Ausführungen zum § 80 gelten.<br />

Besonders gefährliche Verhältnisse - Auslegung: Die besonders gefährlichen Verhältnisse betreffen nicht<br />

den Erfolg, sondern ausschließlich die besondere Gefährlichkeit der Handlung. Definition - besonders<br />

gefährliche Verhältnisse: Unter besonders gefährlichen Verhältnissen handelt, wer die Tat unter<br />

Umständen begeht, welche aus der Sicht ex ante nach allgemeiner Erfahrung die außergewöhnlich<br />

hohe Wahrscheinlichkeit eines Unfalls mit tödlichem Ausgang oder schweren Folgen (§ 84)<br />

begründen. Einschränkungsvorschläge: Aufgrund der heutigen Auslegung wird auf wesentliche<br />

Begrenzungsmechanismen verzichtet. Daher kommt es zu einer Ausweitung der Strafbarkeit. Dieser soll<br />

nach hM durch erhöhte Anforderungen sowohl an die objektive als auch an die subjektive Tatseite im Sinne<br />

einer auffallenden Sorgfaltswidrigkeit entgegen getreten werden. Definition - Mosaiktheorie: In erster<br />

Linie greifen die Gerichte auf die Mosaiktheorie zurück und leiten die außergewöhnlich hohe<br />

Unfallwahrscheinlichkeit im Wege wertender Gesamtschau aus der Häufung mehrerer<br />

unfallträchtiger Faktoren ab. Überblick über die Judikatur =Der Straßenverkehr ist das<br />

Hauptanwendungsgebiet der Z 1. Bei den meisten der publizierten E spielt auch der Alkohol eine Rolle.<br />

Selbst bei nur relativ geringem Alkoholgenuss urteilen insb. die Wiener Gerichte oft sehr streng und<br />

unerbittlich. Anwendung des § 81 Abs. 1 Z 1 bei Operationen =Der Umstand, dass bestimmtes berufliches<br />

Handeln stets besonders gefahrengeneigt ist - z. B. Herzoperationen - darf nicht dazu führen, in solchen<br />

Fällen eo ipso besonders gefährliche Verhältnisse anzunehmen.<br />

Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung: Es genügt nicht, dass dieser Erfolg vom Täter iSd<br />

Äquivalenztheorie verursacht worden ist. Der Tod muss sich darüber hinaus gerade auf das Handeln unter<br />

besonders gefährlichen Verhältnissen zurückführen lassen. Die allgemeinen Grenzen der objektiven<br />

Zurechnung des Erfolges kommen auch im Rahmen des § 81 Abs. 1 Z 1 in vollem Umfang zum Tragen.<br />

Adäguanzzusammenhang: Es gelten dieselben Ausführungen wie zu § 80.<br />

Risikozusammenhang: Trotz Handeins unter besonders gefährlichen Verhältnissen ist dem Täter der Erfolg<br />

in den bereits bei § 80 näher erörterten Fallkonstellationen nicht objektiv zuzurechnen.<br />

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§ 81 StGB Fahrlässige Tötung unter Rechtmäßiges Alternativverhalten: Dieses Sonderproblem der objektiven Zurechnung kann theoretisch<br />

besonders gefährlichen Verhältnissen auch im Rahmen des § 81 Abs. 1 Z 1 auftreten. Solche Fälle dürften indessen selten sein.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Bezüglich einer etwaigen Einwilligung in ein qualifiziert gefährliches Handeln iSd § 81 Abs. 1 Z 1 gelten die<br />

Ausführungen zu § 80.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Subjektive Sorgfaltswidrigkeit: Sie muss sich insb. auch auf jene Umstände beziehen, welche die<br />

besonders gefährlichen Verhältnisse bedingen. Der Täter muss sich dieser - im Falle der Mosaiktheorie<br />

aller insoweit maßgeblichen - Umstände und ihrer qualifizierten Gefährlichkeit bewusst gewesen sein.<br />

Zumindest muss ihm dies, bei Anlegung des in § 80 RN 107 ff dargestellten objektiviert - subjektiven<br />

Maßstabs, erkennbar sein.<br />

Subjektive Voraussehbarkeit des Erfolges: Subjektive Voraussehbarkeit im Rahmen des Adäquanz- und<br />

Risikozusammenhanges genügt.<br />

Unzumutbarkeit: Auch ein iSd § 81 Abs. 1 Z 1 qualifiziert gefährliches Verhalten kann durch<br />

Unzumutbarkeit entschuldigt sein.<br />

Beteiligung: Nach allgemeinen Grundsätzen kann bei mehreren Beteiligten der eine gemäß § 80, der<br />

andere gemäß §§ 80, 81 Abs. 1 Z 1 strafbar sein.<br />

Abgrenzungen: Fahrlässige Gemeingefährdung (§ 177) = Entscheidend ist allein, dass durch den Täter in<br />

concreto eine Situation heraufbeschworen wird, deren Auswirkungen unabsehbar und für den Täter<br />

unberechenbar sind und eine große Zahl von Menschen (etwa zehn) gleichzeitig bedrohen. §§ 88 bzw. 89<br />

StGB = Führen die besonders gefährlichen Verhältnisse nur zu einer (konkreten) Gefährdung eines<br />

anderen, kommt ausschließlich § 89 zur Anwendung. Haben sie eine Körperverletzung zur Folge, ist § 88<br />

Abs. 3 bzw. 4 heranzuziehen. § 81 Abs. 1 Z 1,2 und 3 =Alle drei Deliktsfälle schließen sich nicht unbedingt<br />

aus.<br />

B. Der Fall des § 81 Abs. 1 Z 2 8tGB<br />

Allgemeines:<br />

Die ratio legis des § 81 Abs. 1 Z 2 geht dahin, dass sich nicht berauschen darf, wer eine Tätigkeit vor sich<br />

hat, welche im Interesse der Sicherheit anderer einen "klaren Kopf" und volle Selbstkontrolle verlangt.<br />

Adressaten sind nicht nur Kfz - Lenker, sondern auch nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer,<br />

Inlineskater oder Lenker von Pferdefuhrwerken sowie jedermann, der eine im Rausch gefährliche Tätigkeit<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 81 StGB Fahrlässige Tötung unter vor sich hat z.B. Piloten, Schifahrer, Kranführer, Ärzte usw.<br />

besonders gefährlichen Verhältnissen Deliktstruktur: Der erhöhte Handlungsunwert besteht aus zwei Unrechtskomponenten. Des Sich­<br />

Berauschen trotz Bevorstehens gefahrengeneigter Tätigkeit und der Vornahme einer in diesem Zustand für<br />

andere gefährlichen Tätigkeit. Es handelt sich um eine Kombination von Übernahme- und<br />

Ausführungsfahrlässigkeit (zweiaktiges Delikt).<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das menschliche Leben.<br />

I. Tatbestand: Versetzung in einen Minderrausch: Definition - Minderrausch: § 81 Abs. 1 Z 2 setzt einen Rauschzustand<br />

bestimmten Grades voraus, für den sich im Schrifttum die Kurzformel Minderrausch eingebürgert<br />

hat. Ein solcher Minderrausch liegt vor, wenn die Beeinträchtigung durch Alkohol oder/und andere<br />

berauschende Mittel (z. B. Suchtgift) im Unfallzeitpunkt einen solchen Grad erreicht hat, dass die<br />

Fahrtüchtigkeit erheblich herabgesetzt ist. Abgrenzungen =Das StGB grenzt den Minderrausch nur<br />

"nach oben" dh gegenüber dem Vollrausch ab, der bei 3 %0 angenommen wird. Fallgruppe Fahrzeuglenker<br />

=Absolute Fahruntüchtigkeit wird ab einem Blutalkohol von 0,8 %0 unwiderleglich vermutet. Ein<br />

Gegenbeweis ist ausgeschlossen. Man spricht deshalb auch von absoluter Fahruntüchtigkeit. Die im § 14<br />

Abs. 8 FSG seit 1999 neu eingeführte Fahrverbotsgrenze bei einem Blutalkoholwert von 0,5 9"00 begründet<br />

für sich allein noch keinen Minderrausch iSd § 81 Abs. 1 Z 2. Nach der unmissverständlichen Formulierung<br />

des § 5 Abs. 1 a StVO ist allerdings eine Beeinträchtigung durch Alkohol iSd § 81 Abs. 1 Z 2 auch dann<br />

unwiderlegbar anzunehmen, wenn der Täter innerhalb eines Jahres zumindest dreimal gegen dieses<br />

Fahrverbot verstoßen hat. Relative Fahruntüchtigkeit =§ 81 Abs. 1 Z 2 kann auch für einen<br />

Fahrzeuglenker in Betracht kommen, der in geringerem oder nicht nachweisbarem Umfang berauscht und<br />

daher fahruntüchtig ist. Man spricht dann von relativer Fahruntüchtigkeit. Dieser Begriff soll zum Ausdruck<br />

bringen, dass es in solchen Fällen stets des konkreten Nachweises der Fahruntüchtigkeit bedarf.<br />

Fußgänger =Für Fußgänger gilt die 0,8 %0 des § 5 Abs. 1 StVO nicht. Z 2 ist erst bei nahezu volltrunkenem<br />

Fußgänger anzuwenden. Beachte Berauschung im Zusammenhang mit Restalkoholaufstockung (eine<br />

bestehende Alkoholisierung vom Vortag wird vergrößert).<br />

Bevorstehen einer im Rausch für andere gefährlichen Tätigkeit: Die Herbeiführung des Minderrausches<br />

muss trotz Bevorstehens einer gefährlichen Tätigkeit erfolgen. Dabei muss es sich um eine Tätigkeit<br />

handeln, deren Vornahme auch im Rauschzustand der Z 2 geeignet ist, eine Gefahr für das Leben,<br />

die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderer herbeizuführen oder zu vergrößern.<br />

Herbeiführung des Todes durch eine objektive sorgfaltswidrige Handlung: Vornahme einer objektiv<br />

sorgfaltswidrigen Handlung =Versetzung in einen Minderrauch; dolus eventualis kann vorkommen, es<br />

Strafrecht BT Seite 21 von 147


§ 81 5tGB Fahrlässige Tötung unter genügt aber schon unbewusste Fahrlässigkeit. Ausführungsfahrlässigkeit wird neben dem Berauschen<br />

besonders gefährlichen Verhältnissen gefordert. Praktische Handhabung =Bei der Durchführung dieses Ansatzes treten im Übrigen kaum<br />

Schwierigkeiten auf. Denn im Regelfall wird sich ein solcher spezieller unfallkausaler Sorgfaltsverstoß, z. B.<br />

überhöhte Geschwindigkeit oder abruptes Bremsen, Sekundenschlaf, unschwer nachweisen lassen.<br />

Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung: Erfolg =Tatbildlicher Erfolg ist der Tod eines anderen.<br />

Kausalität und objektive Zurechnung: Zwischen dem Minderrausch und dem zum Tode führenden<br />

Sorgfaltsverstoß muss kein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Insoweit kommen die allgemeinen<br />

Grundsätze der objektiven Zurechnung auch im Rahmen des § 81 Abs. 1 Z 2 in vollem Umfang zum<br />

Tragen. Denn man kann einen Minderberauschten nicht schlechter stellen als einen Nüchternen, dem in<br />

derselben Situation der eingetretene Erfolg auch nicht zugerechnet würde.<br />

Adäguanzzusammenhang: Dem Minderberauschten ist ein durch einen atypischen Kausalverlauf<br />

eingetretener Erfolg nicht zuzurechnen.<br />

Risikozusammenhang: Vgl dazu § 80 RN 56 - 89.<br />

Rechtmäßiges Alternativverhalten: Dieses Problem kann sich auch im Rahmen des § 81 Abs. 1 Z 2 stellen.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Vgl dazu § 80 RN 97 ff.<br />

11I. Schuld:<br />

Versetzung in den Minderrausch: Sowohl die subjektive Sorgfaltswidrigkeit als auch die subjektive<br />

Voraussehbarkeit sind grundsätzlich durch die objektiv sorgfaltswidrige Herbeiführung des<br />

Rauschzustandes indiziert.<br />

Bevorstehen einer im Rausch für andere gefährlichen Tätigkeit: Subjektive Voraussehbarkeit = Es ist<br />

erforderlich, aber auch genügend, dass der Täter spätestens bei der Einnahme des berauschenden Mittels<br />

hätte erkennen können, dass ihm eine in diesem Zustand für andere gefährliche Tätigkeit bevorsteht. Es<br />

genügt, dass die im Rausch gefährliche Tätigkeit für den Täter der Art nach vorhersehbar gewesen ist.<br />

Herbeiführung des Todes: Sowohl die subjektive Sorgfaltswidrigkeit der (Ausführungs-) Handlung als auch<br />

die subjektive Voraussehbarkeit der Herbeiführung des Todes sind nicht auf den Zeitpunkt des Sich ­<br />

Berauschens, sondern auf jenen der Vornahme der objektiv sorgfaltswidrigen Handlung zu beziehen. Dabei<br />

ist von rauschbedingten Beeinträchtigungen zu abstrahieren und auf einen nüchternen Menschen<br />

abzustellen. Ob sich der Täter noch nüchtern fühlte, ob er die Gefahr der Tötung eines anderen (nur)<br />

infolge seiner Berauschung verkannte bzw. deshalb die Verkehrssituation nicht meistern konnte,<br />

interessiert bei § 81 Abs. 1 Z 2 daher nicht.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 81 StGB Fahrlässige Tötung unter<br />

besonders gefährlichen Verhältnissen<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Beteiligung: eine Beteiligung am Delikt der §§ 80, 81 Abs. 1 Z 2 ist im Hinblick darauf, dass beide<br />

Tätigkeitsakte personale Identität voraussetzen, rechtlich nicht möglich.<br />

c. Der Fall des § 81 Abs. 1 Z 3 5tGB<br />

Allgemeines:<br />

I Tatbestand:<br />

Ausgangspunkt dieser 2002 in Kraft getretenen Novellierung war die öffentliche Besorgnis vor Attacken<br />

sog. "Kampfhunde".<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das menschliche Leben.<br />

Tathandlung: Tatmittel = Als Mittel der Tatbegehung wird auf ein gefährliches Tier abgestellt, von dem nach<br />

den Erkenntnissen der Tierzucht und Verhaltensforschung auf Grund seiner wesensmäßig typischen<br />

Verhaltensweise angenommen werden kann, dass es die Sicherheit von Menschen gefährden kann<br />

(potenziell gefährliche Tiere). Spezifische Tathandlung =Als Halter fungiert, wer die tatsächliche Herrschaft<br />

über das Tier ausübt und im eigenen Namen entscheidet, wie das Tier zu verwahren und zu beaufsichtigen<br />

ist. Halter ist daher auch, wer einem anderen das Tier zeitweise anvertraut. Verwahrer ist derjenige, bei<br />

dem das Tier räumlich untergebracht ist. Ein Tier führt, wer es tatsächlich bei sich hat.<br />

Verwaltungsakzessorische Sorgfaltswidrigkeit: Verwaltungsakzessorietät = Die drei Begehungsweisen des<br />

§ 81 Abs. 1 Z 3 sind nur dann tatbildlich, wenn das Halten, Verwahren oder Führen des gefährlichen Tieres<br />

entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag erfolgt. Die dogmatisch diffizile Probleme<br />

aufwerfende, ein eigenes Tatbestandsmerkmal konstituierende Verwaltungsakzessorietät entspricht der<br />

bei den Umweltdelikten. Fehlt eine solche spezifische, auf den Umgang mit gefährlichen Tieren bezogene<br />

(im Bundesland des Tatortes geltende) Verwaltungsnorm, so kommt allenfalls eine Strafbarkeit nach § 80<br />

oder § 81 Abs. 1 Z 1 in Betracht. Vorsatz - Fahrlässigkeit = Hinsichtlich des einer Verwaltungsnorm<br />

widersprechenden Haltens, Verwahrens oder Führens eines gefährlichen Tiers ist sogar ein vorsätzliches<br />

Handeln möglich, es genügt aber das Mindesterfordernis der unbewussten Fahrlässigkeit. Irrtumsregel<br />

nach § 81 Abs. 2 erweist sich als bloße KlarsteIlung der Sorgfaltserfordernisse.<br />

Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung: Erfolg ist der Tod eines anderen. Kausalität und objektive<br />

Zurechnung = Es genügt nicht die bloße Herbeiführung des Erfolges iSd Äquivalenztheorie. Der Tod muss<br />

sich auf die verwaltungsakzessorisch gefährliche Handlung zurückführen lassen, das heißt das<br />

Zuwiderhandeln gegen die Verwaltungsnorm muss sich im eingetretenen Erfolg spezifisch ausgewirkt<br />

haben.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 81 StGB Fahrlässige Tötung unter<br />

besonders gefährlichen Verhältnissen<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Das zu § 80 RN 97 ff Ausgeführte gilt entsprechend.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Dazu vgl RN 36 ff und § 80 RN 103 ff.<br />

Konkurrenz: Bei Konkurrenz mit einem verwaltungsrechtlichen Straftatbestand verdrängt § 81 Abs. 1 Z 3<br />

kraft der in den Landesgesetzen vorgesehenen Subsidiaritätsbestimmungen das verwaltungsrechtliche<br />

Delikt. Verhängt die Verwaltungsbehörde vor Erledigung des gerichtlichen Strafverfahrens dennoch eine<br />

Strafe, so steht der Fortsetzung des gerichtlichen Strafprozesses wegen des Grundsatzes ne bis in idem<br />

ein Verfolgungshindernis entgegen.<br />

Delikt:<br />

§ 83 8tGB (leichte) Körperverletzung<br />

A. Der Fall des § 83 Abs. 1 8tGB:<br />

I. Tatbestand: Definition - Körperverletzung: Der Begriff Verletzung am Körper umfasst alle nicht ganz unerheblichen<br />

Eingriffe in die körperliche Integrität, welche über bloße körperliche Misshandlungen hinausgehen<br />

und gemeinhin als Wunden, Schwellungen, Verstauchungen, Verrenkungen, Brüche und sonstige<br />

Läsionen (z.B. innerer Organe) bezeichnet werden.<br />

Definition - Gesundheitsschädigung: Gesundheitsschädigung ist die Herbeiführung (auch iS von<br />

Verschlimmerungen) einer körperlichen oder seelischen Störung.<br />

Mobbing: Durch gezieltes Mobbing am Arbeitsplatz können schwere Schlafstörungen, reaktive<br />

Depressionen, Suizidgefährdungen usw. ausgelöst werden, die bis zur schweren Körperverletzung gewertet<br />

werden können.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: § 83 StGB gehört zu den Delikten, bei denen häufig Rechtfertigungsgründe zur Anwendung kommen<br />

(Notwehr, rechtfertigender Notstand, Einwilligung, das Recht zum Waffengebrauch usw.).<br />

Definition - ärztliche Heilbehandlung: Heilbehandlungen sind alle ärztlichen Eingriffe und<br />

Behandlungen, die auf Grund einer medizinischen Indikation vorgenommen werden, um<br />

Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen zu<br />

erkennen, zu heilen oder zu lindern. Nach überwiegender Ansicht ist die sachgemäße Heilbehandlung<br />

Strafrecht BT Seite 24 von 147


§ 83 StGB (leichte) Körperverletzung schon begrifflich keine Körperverletzung. Mangels medizinischer Indikation fallen große Bereiche ärztlicher<br />

Tätigkeit aus dem Begriff Heilbehandlung heraus, etwa rein kosmetische Operationen, experimentelle<br />

Eingriffe zu wissenschaftlichen Zwecken, Doping von Sportlern und bedürften daher der Einwilligung.<br />

Beachte jedoch bei der Einwilligung stets das Sittenwidrigkeitskorrektiv (§ 90). Im Erziehungsrecht gilt<br />

gemäß § 148a ABGB das Gewaltverbot.<br />

111. Schuld: Es wird Verletzungsvorsatz vorausgesetzt. Verbotsirrtum gemäß § 9 ist möglich.<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Versuch, Beteiligung: In allen Fällen, in denen eine schwere Körperverletzung eine Erfolgsqualifikation<br />

bildet, betrachtet die hM leichte Körperverletzung als durch das Grunddelikt mit abgegolten. Konsumtion gilt<br />

insbesondere im Verhältnis zu den Gewaltdelikten (§§ 131, 140, 142, 201ff 205, 207 Abs. 1, 312 Abs. 1).<br />

Beachte auch die Diversion aufgrund mangelnder Strafwürdigkeit (§ 42).<br />

B. Der Fall des § 83 Abs. 2 5tGB<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Geschütztes Rechtsgut: Die Unversehrtheit der körperlichen Integrität.<br />

Das Delikt besitzt eine doppelte Bedeutung, zum einen als Ergänzungs- und Auffangtatbestand gegenüber<br />

§ 83 Abs. 1, zum anderen als Grunddelikt für die Qualifikationen der §§ 84ff.<br />

Definition - Misshandlung: Misshandlung am Körper ist jede üble, unangemessene Behandlung,<br />

welche das körperliche Wohlbefinden eines anderen nicht unerheblich beeinträchtigt, aber nicht die<br />

Qualität einer Körperverletzung iSd § 83 Abs. 1 erreicht.<br />

Der Hauptanwendungsfall ist unbestritten die vorsätzliche Zufügung weder ganz rasch vorübergehender<br />

noch völlig unerheblicher Schmerzen.<br />

Durch die körperliche Misshandlung muss eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsgefährdung<br />

eingetreten sein.<br />

Beispiele - Misshandlungen: Fußtritte, Ohrfeigen, Wegziehen eines Beins, Umstoßen, Drücken gegen eine<br />

Mauer, Umdrehen oder festes Packen eines Armes, Auf-die-Füße-Treten, Bewerfen mit Eiern oder<br />

Tomaten, Unter-Wasser-Tauchen, das Zuhalten des Mundes, eingeben eines milden Abführmittels usw.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Ist die Misshandlung gerechtfertigt (Notwehr) scheidet § 83 Abs. 2 aus (ev. § 88 bzgl. abwehrtypischer<br />

Folgen).<br />

Strafrecht BT Seite 25 von 147


§ 83 8tGB (leichte) Körperverletzung<br />

111. Schuld: Vorsatz- Fahrlässigkeitskombination des § 83 Abs. 2 setzt mindestens bedingten Misshandlungsvorsatz<br />

und Fahrlässigkeit bezüglich der in Abs. 2 genannten Folgen voraus.<br />

Entschuldigender Notstand ist möglich (§ 10);<br />

IV. Sonderprobleme: Versuch; ev. Mangelnde Strafwürdigkeit (§ 42);<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 84 8tGB schwere Körperverletzung<br />

BEACHTE: HL und die Rspr sind sich nicht einig, ob es sich bei dem § 84 Abs. 1 um Deliktsqualifikationen<br />

oder um Erfolgsqualifikationen iSd § 7 Abs. 2 handelt. Strittig ist somit ob bei mit bedingten Vorsatz<br />

zugefügten schweren Körperverletzungen der § 84 Abs. 1 zur Anwendung kommt. Die Rspr nimmt an, dass<br />

die Varianten des § 84 Abs. 1 nur Erfolgsqualifikationen sind. Dies wird damit begründet, dass in § 87 durch<br />

die dortige umfassende und ausschließliche Regelung der absichtlichen schweren Körperverletzung keine<br />

Anwendung mehr im § 84 Abs. 1 möglich ist. Somit ist für die schweren Körperverletzungen, die meistens<br />

mit bedingten Vorsatz zugefügt werden, kein Raum mehr in § 84 und in den §§ 85 ff. Vor allem beim<br />

Versuch lässt die Rspr keinen bedingten Versuch zur schweren Körperverletzung zu. Die führt dazu, dass<br />

dem Täter Absichtlichkeit iSd § 5 Abs. 2 nachgewiesen werden muss, um ihn der schweren versuchten<br />

Körperverletzung gemäß §§ 15, 87 Abs. 1 zu bestrafen. Absichtlichkeit ist jedoch sehr schwer und selten<br />

nachzuweisen, weshalb nur eine Strafbarkeit gemäß §§ 15, 83 Abs. 1 übrig bleibt.<br />

Aufgrund dieses unerfreulichen Ergebnisses, ist der Meinung der hL den Vorzug zu geben und § 84<br />

Abs. 1 grundsätZlich (Ausnahme: Bei vorsätzlicher leichter Körperverletzung mit einer schweren<br />

Körperverletzung als Folge ist § 84 Abs. 1 als Erfolgsqualifikation anzuwenden -+ Anklage gemäß §§ 83<br />

Abs. 1 iVm § 84 Abs. 1; dies entspricht dem Erfordernis der Doppelfunktion eines Teiles der L; Beachte<br />

dazu die Erläuterungen im BT I zu § 84 Abs. 1) als Deliktsqualifikation zu sehen! (-+ im Gutachten<br />

darauf hinweisen).<br />

A. § 84 Abs. 1 als Deliktsqualifikation<br />

Allgemeines:<br />

Geschütztes Rechtsgut: Die Unversehrtheit der körperlichen Integrität. Umfasst alle schweren<br />

Körperverletzungen oder Gesundheitsschädigungen mit zumindest bedingtem Vorsatz.<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 26 von 147


§ 84 StGB schwere Körperverletzung Gefährdung des weiteren Heilungsverlaufes und ohne unzumutbare Erschwernisse zu genügen.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Keine Besonderheiten.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

§ 83 Abs. 1 ist das Grunddelikt und insoweit ist Verletzungsvorsatz erforderlich und genügend. Für § 83<br />

Abs. 2 reicht Misshandlungsvorsatz aus -+ dolus eventualis ausreichend.<br />

Unbewusste Fahrlässigkeit reicht nach § 7 Abs. 2 für die besondere Folge gemäß § 84 Abs. 1 aus. Der<br />

Erfolg einschließlich des Kausalverlaufs muss für den Täter im allgemeinen, dh in dem durch den<br />

Adäquanz- und Risikozusammenhang vorgegebenen Rahmen, subjektiv voraussehbar sein.<br />

Versuch: Die Möglichkeit beschränkt sich bei der erfolgsqualifizierten Variante des § 84 Abs. 1 auf den Fall,<br />

in dem der bloße Versuch des Grunddelikts, die besondere Folge der Tat in objektiv zurechenbarer Weise<br />

herbeigeführt hat =sog erfolgsqualifizierter Versuch. Beteiligung: Dem Beteiligten muss hinsichtlich der<br />

besonderen Folge Fahrlässigkeit oder Vorsatz zur Last fallen. Abgrenzungen zur Vorsatzvariante sind<br />

notwendig. Konkurrenzen: möglich; Diversion wäre grundsätzlich möglich.<br />

c. Die Deliktsqualifikationen des § 84 Abs. 2<br />

I. Tatbestand:<br />

Tathandlung iSd § 84 Abs. 2 ist eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung gemäß § 83 Abs. 1<br />

oder iSd Vorsatzvariante des § 84 Abs. 1. Es kann aber auch eine folgenschwere körperliche Misshandlung<br />

gemäß § 83 Abs. 2 sein. Eine der in Z 1 - 4 angeführten Tatmodalitäten muss erschwerend hinzutreten.<br />

Abs. 2 Z 1: Wer ein Mittel verwendet, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art<br />

seines Einsatzes dazu geeignet ist (in der Regel), Lebensgefahr hervorzurufen.<br />

Abs. 2 Z 2: Maßgebend ist, ob mindestens drei Personen auf Grund eines ausdrücklich oder konkludent<br />

gefassten gemeinschaftlichen Tatentschlusses ihrem Opfer gegenüber am Tatort als Einheit auftreten<br />

(gemeinsamer Tatentschluss vor oder bei Beginn der Tat).<br />

Abs. 2 Z 3: Besondere Qualen sind starke körperliche oder seelische Schmerzen, die das Opfer nach<br />

Intensität und Dauer außergewöhnlich schwer treffen.<br />

Abs. 2 Z 4: Begriff Beamter siehe § 74 Abs. 1 Z 4. Bei Zeugen und Sachverständigen müssen stets die im<br />

Gesetz vorausgesetzte zeitliche (während) und sachliche (wegen) Konnexität konkret nachgewiesen und<br />

nicht nur vermutet werden.<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 28 von 147


§ 84 StGB schwere Körperverletzung<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Am ehesten bei § 84 Abs. 2 Z1 denkbar.<br />

11I. Schuld:<br />

IV: Sonderprobleme:<br />

Sämtliche Deliktsfälle des Abs. 2 setzen zumindest bedingten Körperverletzungs- (§ 83 Abs. 1) oder<br />

Misshandlungsvorsatz (§ 83 Abs. 2) voraus. Darüber hinaus muss bezüglich der in § 84 Abs. 2 Z 1-4<br />

genannten Tatmodalitäten mindestens bedingter Vorsatz ausdrücklich festgestellt werden -+<br />

Fahrlässigkeit genügt nicht.<br />

Versuch: Kommt bei §§ 83, 84 Abs. 2 in Betracht (Verletzungs- oder Misshandlungsvorsatz notwendig).<br />

Beteiligung: Funktionale Einheitstäterschaft -+ unmittelbare Täter. Abgrenzungen: Hat der Täter mit der<br />

Absicht gehandelt, schwer zu verletzen, besteht für sämtliche Qualifikationen des § 84 Exklusivität zu<br />

gunsten des § 87. Konkurrenzen: Zwischen den einzelnen Ziffern des Abs. 2 denkbar. Idealkonkurrenz<br />

zwischen Abs. 2 und den §§ 85 und 86 möglich.<br />

D. Die Sonderqualifikation des § 84 Abs. 3<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Rowdyqualifikation; aggressiver Tätertyp; andere gleichgestellte Tätertypen; Sonderqualifikation;<br />

Verlangt werden drei selbstständige Körperverletzungsdelikte.<br />

Definition - erhebliche Gewalt: Erhebliche Gewalt iSd § 84 Abs. 3 wird angewendet, wenn der Täter<br />

beachtliche physische Kraft in einer Weise einsetzt, die beträchtliche Verletzungen und/oder<br />

erhebliche Schmerzen verursachen soll.<br />

11: Rechtfertigungsgründe: Eine erhebliche Gewaltanwendung, die durch Notwehr gerechtfertigt ist, scheidet als<br />

qualifikationsbegründende Tat iSd § 84 Abs. 3 aus.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Vorsatz muss deliktsspezifisch vorliegen. Der Abs. 3 liegt nicht vor, wenn der Anlass (Tat ohne<br />

begreiflichen Anlass) die Gewaltanwendung auch aus der Sicht eines rechtstreuen Menschen verständlich,<br />

wenn auch nicht unbedingt entschuldbar erscheinen lässt.<br />

Versuch: Das Delikt des § 84 Abs. 3 ist in Versuchsform nicht begehbar! Beteiligung möglich. Konkurrenzen<br />

Idealkonkurrenz zum § 84 Abs. 1 und 2 und auch zu den §§ 85 und 86 denkbar. Diversion nur in besonders<br />

gelagerten Fällen möglich.<br />

Strafrecht BT<br />

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Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I Tatbestand:<br />

§ 85 Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen<br />

Es handelt sich um Erfolgsqualifikationen auf der Grundlage einer Vorsatz- Fahrlässigkeits- Kombination.<br />

Tathandlung ist eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung gemäß § 83 Abs. 1 oder iSd<br />

Vorsatzvariante des § 84 Abs. 1. Grunddelikt kann aber auch eine folgenschwere körperliche Misshandlung<br />

gemäß § 83 Abs. 2 sein.<br />

Z 1: Es muss sich um einen Verlust oder um eine erhebliche Schwächung einer vor der Tat noch relativ<br />

vorhandenen Fähigkeit handeln.<br />

Z 2: Definition - Verstümmelung, Verunstaltung: Verstümmelung stellt auf den Verlust eines Körperteils<br />

oder dessen erhebliche Funktionseinbuße ab, Verunstaltung auf die auffallend nachteilige<br />

Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes, somit insbesondere auf ästhetische Aspekte.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Denkbar wäre Notwehr. Rechtfertigende Einwilligung kommt aufgrund § 90 kaum je in Betracht.<br />

111: Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Unterscheidung je nach dem Grunddelikt. Bei § 83 Abs. 2 genügt bedingter<br />

Misshandlungsvorsatz, bei § 83 Abs. 1 bedingter Verletzungsvorsatz. Bei der Vorsatzvariante des § 84 Abs.<br />

1 muss der Täter mit dem Vorsatz nach § 5 Abs. 1 oder 3 handeln. Bei Absicht kommt § 87 Abs. 1 bzw. bei<br />

schwerer Dauerfolge oder Tod der § 87 Abs. 2 zur Anwendung.<br />

Hinsichtlich der besonderen Folgen des § 85 reicht unbewusste Fahrlässigkeit aus. Auch bedingter Vorsatz<br />

und Wissentlichkeit werden noch von § 85 erfasst.<br />

Versuch ist denkbar. Vollendung erfordert den Eintritt eines Erfolges. Beteiligung: Der am Grunddelikt<br />

beteiligte ist gemäß §§ 12, 83, 85 zu bestrafen, wenn ihm hinsichtlich der schweren Dauerfolgen<br />

Fahrlässigkeit, bedingter Vorsatz oder Wissentlichkeit zur Last fällt, und zwar auch dann, wenn der<br />

unmittelbare Täter nur gemäß § 83 haftet. Diversion scheidet im Hinblick auf den Unwert der Tat aus.<br />

Strafrecht BT<br />

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Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 86 8tGB Körperverletzung mit tödlichen Ausgang<br />

Es handelt sich um ein erfolgsqualifiziertes Delikt.<br />

Tathandlung im Sinne des § 86 ist idR eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung gemäß § 83<br />

Abs. 1, kann aber auch körperliche Misshandlung gemäß § 83 Abs. 2 sein. Der Erfolg ist der Eintritt des<br />

Todes. Nachträgliches ärztliches Fehlverhalten, welches zu einem atypischen Kausalverlauf führt, entlastet<br />

den Erstverursacher laut Rspr nicht (z.B. grobe Behandlungsfehler).<br />

Definition - Nachträgliches Fehlverhalten durch den Verletzen: Die Haftung für den Erstverursacher<br />

entfällt, wenn das verletzte Opfer im Bewusstsein der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ein<br />

Folgeverhalten setzt, das für jeden vernünftigen Menschen unter den gegebenen Umständen<br />

schlechthin unbegreiflich ist und ohne das die schwere Folge wahrscheinlich nicht eingetreten<br />

wäre.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Ist die Körperverletzung (z.B. durch Notwehr) gerechtfertigt, scheidet § 86 schon deshalb aus<br />

(abwehrtypische Folge).<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Unterscheidung nach dem Grunddelikt. Nach § 83 Abs. 2 genügt bedingter Misshandlungsvorsatz, bei § 83<br />

Abs. 1 bedingter Verletzungsvorsatz. Bei der Vorsatzvariante des §§ 84 Abs. 1 und 86 muss der Täter mit<br />

bedingten Vorsatz oder der Gewissheit (§ 5 Abs. 3) gehandelt haben, dem Opfer eine schwere<br />

Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung zuzufügen. Bei Absichtlichkeit § 87 Abs. 2.<br />

Für Fahrlässigkeit hinsichtlich der besonderen Folge (Tod) genügt unbewusste Fahrlässigkeit. Ab<br />

bedingten Vorsatz liegt Mord (§ 75) vor.<br />

Versuch begrifflich denkbar und praktisch möglich (nur wenn schon der Versuch des Grunddelikts die<br />

schwere Folge in objektiv zurechenbarer Weise herbeiführt). Beteiligung: Ein an der Körperverletzung<br />

Beteiligter haftet nur dann nach § 86, wenn er selbst in Bezug auf die Todesfolge fahrlässig gehandelt hat.<br />

Abgrenzungen: Eine scharfe Zäsur zu den §§ 75 ff bildet der Tötungsvorsatz. Wer mit bedingtem<br />

Tötungsvorsatz oder gar mit Tötungsabsicht verletzt, ist nicht gemäß § 86, sondern gemäß §§ 75 ff zu<br />

bestrafen. Konkurrenzen: § 86 ist lex specialis sowohl im Verhältnis zu § 83 Abs. 1 und 2 als auch zur<br />

Vorsatzvariante des § 84 Abs. 1.<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 31 von 147


Delikt:<br />

§ 87 5tGB absichtliche schwere Körperverletzung<br />

A. Das Grunddelikt des § 87 Abs. 1<br />

I. Tatbestand:<br />

Tathandlung besteht in der absichtlichen Zufügung einer schweren Körperverletzung oder<br />

Gesundheitsschädigung iSd § 84 Abs. 1. Anders als bei den §§ 83 - 86 scheidet beim § 87 nach dem<br />

Wortlaut und Zweck eine körperliche Misshandlung als Tathandlung aus.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Sind nur ausnahmsweise denkbar!<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Absichtlichkeit bedeutet Vorsatz iSd § 5 Abs. 2. Dem Täter muss es darauf ankommen, einen der im § 84<br />

Abs. 1 genannten Erfolge herbeizuführen.<br />

Versuch nach allgemeinen Grundsätzen möglich. Beteiligung: Beteiligte sind nur dann gemäß § 87 Abs. 1<br />

zu bestrafen, wenn sie selbst absichtlich gehandelt haben. Abgrenzungen: Handelt der Täter in Bezug auf<br />

die Schwere Körperverletzung fahrlässig oder mit bedingtem Vorsatz sowie wissentlich, kommt im ersten<br />

Fall die Erfolgsqualifikation des § 84 Abs. 1, sonst dessen Vorsatzvariante, bei entsprechenden Folgen<br />

gelangen die §§ 85 bzw. 86 zur Anwendung. Tötungsvorsatz jeder Art begründet die ausschließliche<br />

Heranziehung der §§ 75 ff in versuchter oder vollendeter Form. Konkurrenzen: Im Verhältnis zu §§ 83 - 86<br />

besteht Spezialität. Diversion: Im Hinblick auf den Strafrahmen und den besonders hohen Unwert der Tat<br />

scheidet Diversion fast immer aus.<br />

B. Die Erfolgsqualifikationen des § 87 Abs. 2<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Hinsichtlich der Erfolgsqualifikationen schwere Dauerfolge oder Tod muss der Täter zumindest fahrlässig<br />

gehandelt haben (§ 7 Abs. 2).<br />

Keine Besonderheiten.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Diese kommen bei § 87 Abs. 2 im Allgemeinen nicht in Betracht.<br />

11I. Schuld:<br />

Tatvorsatz: Die Zufügung der schweren Körperverletzung setzt absichtliches Handeln gemäß § 5 Abs. 2<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 32 von 147


OCW<br />

<strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong><br />

Denise Rudel<br />

ÖH Shop-Referentin<br />

Julia Sageder<br />

ÖH Vorsitz-Team<br />

Susi Aichinger<br />

ÖH Vorsitz-Team<br />

Liebe Kollegin, lieber Kollege!<br />

Vor dir siehst du ein Skript des <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> Projekts der ÖH Linz, welches<br />

allen Studierenden und Interessierten frei und kostenlos zur Verfügung steht.<br />

Das OCW- Projekt der ÖH Linz<br />

Im Jahr 2007 haben der Vorsitz der österreichischen HochschülerInnenschaft Linz und das Referat für<br />

Skripten, Lernbehelfe und OCW mit der Umsetzung von <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> an der Johannes Kepler Universität<br />

begonnen. Alle Skripten sollten den Studierenden und Interessierten kostenlos zugänglich sein,<br />

zudem sollten die Unterlagen frei verändert und vervielfältigt werden dürfen um die Qualität und Aktualität<br />

der Unterlagen zu verbessern.<br />

Zu diesem Zweck wurden alle Unterlagen, deren Lizenz bei der ÖH liegt, digitalisiert, mit einer Struktur<br />

und Suchfunktion versehen und über eine Homepage allen InternetnutzerInnen zugänglich gemacht.<br />

Darüber hinaus wurde den Lehrenden an der <strong>JKU</strong> die Möglichkeit gegeben jederzeit Verbesserungen<br />

und Ergänzungen bei den Unterlagen vorzunehmen.<br />

Lizenz<br />

Um die freie Verbreitung rechtlich zu gewährleisten steht dieses Werk unter einer Creative Commons<br />

Lizenz 3.0 Österreich.<br />

Du darfst das Werk vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen sowie Bearbeitungen<br />

des Werkes anfertigen.<br />

Jedoch musst du dich dabei an gewisse Bedingungen halten:<br />

• Du musst den Namen der/des Autorin/Autors / Rechteinhabers/Rechteinhaberin in der von ihm<br />

festgelegten Weise nennen.<br />

• Das Werk darf nicht kommerziell genutzt werden.<br />

• Die Weitergabe ist nur unter gleichen Bedingungen erlaubt, also unter der gleichen Lizenz.<br />

Weitere und genauere Informationen über Creative Commons findest du unter<br />

http://www.creativecommons.at.<br />

Solltest du noch weitere Fragen zum OCW Projekt haben, oder dich beteiligen wollen,<br />

erreichst du uns unter oeh@oeh.jku.at oder +43 732 2468 8535.<br />

Wir wünschen dir viel Spaß mit den OCW Skripten und viel Erfolg bei deinen Kursen!<br />

Das <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> Projekt der ÖH<br />

an der <strong>JKU</strong> Linz | Altenbergerstr. 69 | 4040 Linz


§ 88 StGB fahrlässige Körperverletzung durch ein und dieselbe fahrlässige Handlung eine Person leicht (§ 88 Abs. 1), eine weitere schwer verletzt<br />

(§ 88 Abs. 4 1. Fall) oder getötet (§ 80), liegt echte Idealkonkurrenz vor (alle idealkonkurrierenden Delikte<br />

sind in den Schuldspruch aufzunehmen).<br />

B. Die Strafausschließungsgründe des § 88 Abs. 2<br />

Allgemeines:<br />

Sonderprobleme:<br />

1. kein schweres Verschulden: Definition - schweres Verschulden: Schweres Verschulden liegt vor,<br />

wenn dem Täter eine ungewöhnliche und auffallende Sorglosigkeit zur Last fällt und der Eintritt<br />

eines Schadens für ihn als wahrscheinlich und nicht nur als entfernt möglich voraussehbar war. Es<br />

ist eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten konkreten Tatumstände mit<br />

Ausnahme des Erfolgs vonnöten.<br />

2. Privilegierungsgründe: Angehörigenprivileg (Abs. 2 Z 1) =Das Opfer ist mit dem Täter entweder<br />

verwandt oder wird wie ein Verwandter behandelt. Das vorliegen einer Hausgemeinschaft ist nicht<br />

erforderlich. Auch Lebensgefährten sind erfasst. Ärzteprivileg (Abs. 2 Z 2) = gilt nur bei unvorsätzlich<br />

fehlerhafter Behandlung und ist an drei kumulative Voraussetzungen geknüpft. Der Täter muss Arzt sein, er<br />

muss einem anderen die (leichte) Körperverletzung zugefügt haben, und die Tat darf keine<br />

Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit von mehr als 14-tätiger Dauer nach sich ziehen.<br />

Medizinalpersonenprivileg (Abs. 2 Z 3) =Die AusfÜhrungen zum Ärzteprivileg gelten. Bagatellfolgenprivileg<br />

(Abs. 2 Z 4) =Anwendungsbereich ist gedacht für den Rechtsalltag und für jedermann. Keine Bestrafung<br />

wenn die Tat keine Gesundheitsschädigung von mehr als drei Tagen nach sich zieht (primär im<br />

Straßenverkehr angewendet). Falls die Berufsunfähigkeit drei Tage überschreitet, beginnt der<br />

Einzugsbereich des § 42.<br />

Persönliche Wirkung: Die Strafausschließungsgründe des § 88 Abs. 2 wirken nur ad personam, dh nur für<br />

denjenigen, der die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt (= persönliche Strafausschließungsgründe).<br />

c. Zur Anwendbarkeit des § 42<br />

I Ausgangsposition:<br />

Nach bisheriger hM schließt § 88 Abs. 2 die Anwendbarkeit des § 42 bei fahrlässigen leichten<br />

Körperverletzungen nicht grundsätzlich aus. § 88 Abs. 2 geht als Spezialregelung § 42 nur dort vor, wo sich<br />

der Einzugsbereich beider Strafausschließungsgründe effektiv überschneidet.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 88 StGB fahrlässige Körperverletzung<br />

11. Aktuelle<br />

Problembereiche:<br />

Fristüberschreitende Bagatellverletzungen: Nach hM fallen Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit,<br />

die die Dreitagesfrist des § 88 Abs. 2 Z 4 überschreiten, aber nicht über eine Woche hinausgehen, noch<br />

unter den Begriff "unbedeutender Folgen" iSd § 42.<br />

Entflechtung von Personen- und Sachschäden: Bei vielen Staatsanwaltschaften und Gerichten hatte die<br />

Auffassung Anklang gefunden, dass bei fristüberschreitenden Bagatellverletzungen im Straßenverkehr die<br />

damit verbundenen Sachschäden am Fahrzeug nicht zu den Folgen iSd § 42 Abs. 1 Z 2 gezählt werden<br />

dürfen, weil sie idR durch eine Pflichtversicherung abgedeckt sind und insoweit keinen sozialen Störwert<br />

besitzen und daher einer Anwendung des § 42 nicht entgegenstehen.<br />

111. Grenzen:<br />

Nach der Rspr schließt der Eintritt einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) erst recht von schweren<br />

Dauerfolgen (§ 85) einen Tatfolgenausgleich gemäß § 42 Z 2 2. Fall aus.<br />

D. § 88 Abs. 2 in Abgrenzung zur Diversion<br />

I. Allgemeines: § 88 Abs. 1 ist einer der Hauptanwendungsbereiche für ein diversionelles Vorgehen.<br />

11. Schweres Verschulden: "Schweres Verschulden" iSd § 88 Abs. 2 bzw. "schwere" Schuld iSd § 90a Abs. 2 Z 2 StPO: Die schwere<br />

Schuld nach der StPO ist vom Strafbefreiungshindernis der StGB strikt zu unterscheiden. Auf die Regelung<br />

im StGB ist das diversionelle Verfahren anwendbar, soweit nicht Schöffen- oder Geschworenengerichte<br />

zuständig sind. Der Einzugsbereich bei der StPO richtet sich nach dem Strafrahmen und ist daher ein<br />

wesentlich größerer.<br />

E. Die fahrlässige leichte Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 3<br />

§ 88 Abs. 3 enthält drei durch den gesteigerten Handlungsunwert geprägte Deliktsqualifikationen. Sie bilden<br />

ein Pendant zu § 81 Abs. 1 und bedienen sich derselben dogmatischen Konstruktion. § 88 Abs. 3 1. und 3.<br />

Fall konstituiert ein einaktiges, der 2. Fall ein zweiaktiges Delikt.<br />

Strafrecht BT Seite 35 von 147


§ 88 StGB fahrlässige Körperverletzung F. Die fahrlässige schwere Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 4 1. Fall<br />

Hierbei handelt es sich formal und dem Wortlaut nach um eine Erfolgsqualifikation iSd § 7 Abs. 2. Dieses<br />

Delikt erfasst aber nicht nur den Fall, in dem eine einfache fahrlässige Körperverletzung eine länger als 24<br />

Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit nach sich zieht, sondern enthält auch eine<br />

Deliktsqualifikation für den Normalfall, in dem eine objektiv sorgfaltswidrige Handlung unmittelbar bzw.<br />

sofort - und nicht erst qua Erfolgsqualifikation - zu einer an sich schweren Verletzung oder<br />

Gesundheitsschädigung führt.<br />

G. Die fahrlässige schwere Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 4 2., 3. und 4. Fall<br />

Alle drei zusätzlich qualifizierten Deliktsfälle der schweren Körperverletzung bilden weitere Parallelen zu §<br />

81 Abs. 1 und bedienen sich derselben dogmatischen Konstruktionen.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 89 StGB Gefährdung der körperlichen Sicherheit<br />

Hauptanwendungsgebiet ist der Straßenverkehr. Gefährliches Verhalten und Gefährdungserfolg: Es ist<br />

strikt zwischen qualifiziert gefährlichen Handlungen iSd § 81 Abs. 1 und dem Taterfolg des § 89, der<br />

Gefährdung anderer, zu unterscheiden.<br />

Geschütztes Rechtsgut: § 89 schützt Leib und Leben. Bei § 89 handelt es sich um ein<br />

strafbarkeitsvorverlagerndes konkretes (Individual-) Gefährdungsdelikt. Zur Erfüllung des Tatbestandes<br />

genügt bereits die konkrete Gefährdung einer einzigen Person.<br />

Tathandlungen: § 89 iVm § 81 Abs. 1 Z 1 =Für die qualifizierte Gefährlichkeit der Handlung kommt es<br />

daher darauf an, ob die Tat unter Umständen begangen wurde, die aus der Ex-ante-Sicht eines objektiven<br />

Beobachters eine außergewöhnlich hohe Unfallwahrscheinlichkeit begründet. § 89 iVm § 81 Abs. 1 Z 2 und<br />

3 -+ dazu Ausführungen zu § 81 beachten.<br />

Taterfolg: Konkrete Gefährdung = Zentrales Tatbildmerkmal ist die Herbeiführung, Aufrechterhaltung oder<br />

Vergrößerung einer Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen.<br />

Definition - konkrete Gefährdung: Eine konkrete Gefährdung liegt vor, wenn sich eine bestimmte<br />

Situation bereits so bedrohlich zugespitzt hat, dass sie für den davon Betroffenen erfahrungsgemäß<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 36 von 147


§ 89 StGB Gefähr. d. körp. Sicherheit nahezu zwangsläufig zu einer Beeinträchtigung von Leib oder Leben führt. Die konkrete Gefährdung<br />

wird ex post beurteilt und zwar mit Hilfe differenzierender objektiv - nachträglicher Hypothesen.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Neben Notwehr und rechtfertigenden Notstand kommt prinzipiell auch Einwilligung (beachte § 90) in<br />

Betracht.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Die Praxis arbeitet nahezu ausschließlich mit der Fahrlässigkeitsvariante, obwohl ein Gefährdungsvorsatz<br />

manchmal mit den Händen zum greifen wäre. Die subjektiven Fahrlässigkeitselemente sind insb auch auf<br />

die Herbeiführung oder Vergrößerung der konkreten Gefährdung zu beziehen.<br />

Versuch: Bei der Vorsatzvariante ist der Versuch nach allgemeinen Grundsätzen strafbar. Konkurrenzen:<br />

Eine mit Verletzungsvorsatz vorgenommene, aber folgenlos gebliebene Gefährdung ist je nach Vorsatz als<br />

versuchte Tötung oder Körperverletzung strafbar, weil die Verletzungstat (auch in Versuchsform) Vorrang<br />

vor der richtungsgleichen Gefährdung besitzt. Gegenüber wesensähnlichen Gefährdungsdelikten oder<br />

solchen die Gefährdungen zumindest implizieren tritt § 89 als subsidiäres Delikt zurück. Idealkonkurrenz mit<br />

§§ 10Sf, 144f und 269, ebenso bei Gefährdung und Verletzung verschiedener Personen durch eine<br />

Handlung ist anzunehmen. Mangelnde Strafwürdigkeit der Tat: In der Praxis wird auf § 42 oft<br />

zurückgegriffen wenn Alkohol eine Rolle spielt. Diversion kommt grundsätzlich zur Anwendung.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 94 StGS Imstichlassen eines Verletzen<br />

Geschütztes Rechtsgut ist Leib und Leben.<br />

Es handelt sich um ein eigenhändiges Sonderdelikt. Die überwiegende Ansicht erblickt in § 94 Abs. 1 ein<br />

echtes und in § 94 Abs. 2 ein erfolgsqualifiziertes echtes Unterlassungsdelikt. Die meisten Anwendungsfälle<br />

finden im Straßenverkehr statt.<br />

Vorhandlung: Verursachung der Körperverletzung eines anderen. Vorsätzliche Körperverletzungen: § 94<br />

Abs. 1 kommt nur in Betracht, wenn der Täter eine mindestens leichte Körperverletzung oder eine<br />

Gesundheitsschädigung verursacht hat. Es genügt aber auch eine körperliche Misshandlung mit den Folgen<br />

des § 83 Abs. 2. Fahrlässige Körperverletzungen: Lehre und Rspr lassen ganz allgemein fahrlässige<br />

Vortaten (§88) genügen.<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 37 von 147


§ 94 StGB Imstichlassen d. Verletzen Hilfsbedürftigkeit des Opfers: Es handelt sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Es<br />

entscheidet ein objektiver Maßstab. Definition - Hilfsbedürftigkeit: Richtschnur für die Hilfsbedürftigkeit<br />

ist der Eindruck, den ein umsichtiger Beobachter, der sich gewissenhaft erkundigt hat, auf Grund<br />

des Verhaltens des Verletzten, seines Alters, seines Befindens und der Art und Schwere der<br />

Verletzung gewinnen muss. Beachte: Der Beobachter ist nicht der Täter selbst, sondern ein Beobachter<br />

der sich beim Opfer befindet. Mangels tatsächlicher Hilfsbedürftigkeit entfällt der Tatbestand, wenn der<br />

Verletzte wirksam auf Hilfe verzichtet hat, ihm inzwischen von anderer Seite ausreichend, dh insb<br />

sachkundig geholfen wird oder wenn er inzwischen verstorben ist.<br />

Unterlassung der erforderlichen Hilfeleistung: Definition - Hilfeleistung: Hilfeleistung ist jede Tätigkeit, die<br />

darauf abzielt, die aus der Körperverletzung oder Gesundheitsgefährdung erwachsenen<br />

unmittelbaren Folgen rasch und wirksam zu beseitigen, abzumildern oder dem Verletzten<br />

wenigstens die durch die Körperverletzung entstandene Lage zu erleichtern. Der Verletzer ist zur<br />

Vornahme rascher und zweckmäßiger Hilfsmaßnahmen verpflichtet. Er haftet jedoch nicht für den Erfolg.<br />

Nachschaupflicht: Der Verletzer muss sich zunächst erkundigen und überzeugen, ob und in welchem<br />

Umfang der andere verletzt bzw. hilfsbedürftig ist. Die Dauer der Hilfeleistung muss solange erfolgen,<br />

solange der Verletzte hilfsbedürftig ist. Tatsächliche Möglichkeit der Hilfeleistung: Es handelt sich um ein<br />

ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Wer sich bei einem vom ihm verursachten Unfall selbst schwer<br />

verletzt, der kann dem Kontrahenten auch keine Hilfe leisten.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Pflichtenkollision: Eine Rechtfertigung der Unterlassung durch rechtfertigenden Notstand (bzw.<br />

rechtfertigende Pflichtenkollision) scheidet im Hinblick auf die Sonderregelung des § 94 Abs. 3 aus.<br />

11I. Schuld:<br />

Tatvorsatz: Der Verletzer muss zumindest in Kauf nehmen, dass er untätig bleibt, obwohl er eine<br />

Körperverletzung verursacht hat, sein Opfer hilfsbedürftig und Hilfe tatsächlich möglich ist. Dolus eventualis<br />

reicht aus. Eine gewisse Wahrnehmungs- und Überlegungsfrist wird zugebilligt (fallspezifisch zu beurteilen).<br />

Unrechtsbewusstsein: Irrt sich der Täter bezüglich seiner Verpflichtung, so liegt in der Regel ein<br />

vorwerfbarer Verbotsirrtum vor. Entschuldigungsgründe: Die Frage der Zumutbarkeit der Hilfeleistung ist<br />

von erheblicher Bedeutung. Die Sonderregelung des § 94 Abs. 3 geht dem § 10 vor und zugleich darüber<br />

hinaus. Es gibt drei Fallgruppen: 1. Unzumutbarkeit wegen Todes- oder beträchtlicher Leibesgefahr.<br />

Definition - beträchtliche Leibesgefahr: Eine dem Verletzer drohende Leibesgefahr ist beträchtlich,<br />

wenn bei Abwägung der einerseits ihm und andererseits dem Verletzten drohenden Schäden bzw.<br />

Gefahren auch von einem maßgerechten Menschen vernünftigerweise eine so gefährliche<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 38 von 147


'.<br />

§ 94 StGB Imstlchlassen d. Verletzen Hilfeleistung nicht mehr erwartet werden kann.<br />

2. Unzumutbarkeit wegen anderer überwiegender Interessen: Es kommt darauf an, ob das gerettete<br />

Interesse im Verhältnis zur Hilfsverpflichtung so sehr ins Gewicht fällt, dass von einem rechtstreuen<br />

Menschen die Erfüllung der Hilfspflicht nicht mehr zu erwarten war. Selbst die Wahrnehmung erheblicher<br />

wirtschaftlicher Interessen vermag nur ausnahmsweise zu exkulpieren. Bei einem Irrtum über<br />

unzumutbarkeitsbegründende Tatsachen ist § 10 Abs. 2 Satz 2 analog (Analogie nur zugunsten des Täters<br />

im Strafrecht möglich) anzuwenden.<br />

IV. Qualifikationen:<br />

§ 94 Abs. 2 enthält ein erfolgsqualifiziertes echtes Unterlassungsdelikt. Qualifizierende Umstände sind der<br />

Eintritt einer schweren Körperverletzung oder des Todes. Das Imstichlassen muss die schwere Folge iSd<br />

Äquivalenztheorie (mit-)verursacht haben. Insoweit ist Fahrlässigkeit erforderlich (§ 7 Abs. 2).<br />

"Hypothetische Kausalität (nur bei der Qualifikation)": Maßgebend ist, ob die Hilfeleistung die schwere<br />

Folge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte. Lässt sich dieser Nachweis nicht<br />

führen - und das ist häufig der Fall - bleibt es insoweit bei der Anwendung des Grunddeliktes.<br />

V. Sonderprobleme: Versuch: untauglicher Versuch =wer irrtümlich glaubt Verletzer zu sein, begeht einen gemäß § 15 Abs. 3<br />

straflosen Versuch des untauglichen Subjekts (da § 94 ein Sonderdelikt ist). Beteiligung: Auf das<br />

eigenhändige Sonderdelikt des § 94 Abs. 1 findet § 14 Abs. 1 Satz 2 erster Fall Anwendung. Die<br />

Strafbarkeit des Beteiligten gemäß § 94 ist unabhängig davon, ob eine Bestrafung des Verletzers wegen<br />

§11 § 94 Abs. 3 oder 4 oder aus anderen Gründen ausscheidet. Abgrenzungen: § 75 findet Anwendung,<br />

wenn der Verletzer von vornherein mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Konkurrenzen: Der, der die<br />

Körperverletzung verursacht und den Verletzten im Stich lässt, hat sowohl die Körperverletzung als auch<br />

den § 94 erfüllt (Realkonkurrenz). Im Übrigen ist die Subsidiaritätsklausel des Abs. 4 zu beachten.<br />

Diversion: Bei Eintritt des Todes ist die Diversion jedenfalls ausgeschlossen (§ 90a Abs. 2 Z 3 StPO).<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 95 5tGB Unterlassen der Hilfeleistung<br />

Geschütztes Rechtsgut: Eine jedermann treffende, durch die Rechtsgüter Leib und Leben determinierte<br />

allgemeine Handlungspflicht.<br />

§ 95 ist im Gegensatz zu § 94 kein Sonderdelikt. Die überwiegende Ansicht erblickt in § 95 Abs. 1 1. Fall<br />

Strafrecht BT Seite 39 von 147


§ 95 StGB Unterlassen d. Hilfeleistung den Prototyp eines echten und in § 95 Abs. 1 2. Fall eines erfolgsqualifizierten echten<br />

Unterlassungsdeliktes.<br />

I. Tatbestand: Täter kann jedermann sein, der zum Verunglückten in einem räumlich-zeitlichen Naheverhältnis steht.<br />

Definition - Unglücksfall: Unglücksfälle sind idR plötzlich eintretende Ereignisse, die erhebliche<br />

(konkrete) Gefahren für Leib oder Leben eines anderen befürchten lassen. Maßgebend ist der<br />

Standpunkt ex ante. Definition - konkrete Gemeingefahr: Das Kennzeichen der konkreten<br />

Gemeingefahr (§ 176 Abs. 1) besteht darin, dass sie einerseits eine größere Zahl von Menschen<br />

(Richtzahl 10 Personen) gleichzeitig bedroht und andererseits in ihrer Unbeherrschbarkeit, die es<br />

unmöglich macht, die weitere Ausdehnung der Gefahr zu begrenzen.<br />

Gefahr des Todes oder einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung: Es muss<br />

konkrete Todesgefahr bestehen. Maßgebend ist der Eindruck, den das Gesamtgeschehen aus der Sicht ex<br />

ante auf einen objektiven Beobachter macht. Offensichtliche erforderliche Hilfeleistung: Der Pflichtige nach<br />

dem § 95 hat nach Maßgabe seiner Kräfte und Fähigkeiten rasche und zweckdienliche Hilfe zu leisten.<br />

Erfolgsabwendungsrisiko bürdet der § 95 dem Hilfspflichtigen ebenso wenig wie § 94 dem Verletzer auf.<br />

Der Hilfspflichtige muss die Notstandssituation und die Erforderlichkeit der Hilfeleistung tatsächlich erkannt<br />

haben. Tatsächliche Möglichkeit der Hilfeleistung ist ein ungeschriebenes, aber selbstständiges,<br />

Tatbestandsmerkmal.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Rechtfertigung der Unterlassung durch rechtfertigenden Notstand scheidet aus (dazu siehe Abs. 2).<br />

111. Schuld:<br />

Der Täter muss die Notstandssituation erkennen, erkennen das sich jemand in Todes- oder beträchtlicher<br />

Leibesgefahr befindet, dass Hilfe offensichtlich erforderlich und tatsächlich möglich ist und schließlich die<br />

gebotene Hilfe unterlassen wollen. Unrechtsbewusstsein: Ein idR vorwerfbarer Verbotsirrtum gemäß § 9<br />

liegt vor, wenn der Täter meint, er brauche nicht zu helfen, weil er den Unfall nicht verursacht hat oder ihn<br />

das Geschehen (z.B. Selbstmordversuch) nichts angeht. Entschuldigungsgründe: Die Sonderregelung des<br />

§ 95 Abs. 2 enthält einen auch die Fälle der Pflichtenkollision umfassenden Entschuldigungsgrund.<br />

Unzumutbarkeit wegen Gefahr für Leib oder Leben = Anders als bei § 94 wird auch eine nicht beträchtliche<br />

Leibesgefahr entschuldigt (leichte Körperverletzung). Beachte Abs. 2 gilt nicht für Personen die zur<br />

erhöhten Gefahrtragung verpflichtet sind (Gendarmerie, Ärzte, Bergführer oder Feuerwehrleute).<br />

Unzumutbarkeit wegen anderer ins Gewicht fallender Interessen = Im Gegensatz zu § 94 Abs. 3 ist es nicht<br />

notwendig, dass diese anderen Interessen überwiegen. Sonstige Unzumutbarkeitsgründe = Es handelt sich<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 95 StGB Unterlassen d. Hilfeleistung um eine bloße Vorsichtsklausel die die dogmatische Funktion einer Generalklausel hat.<br />

IV. Qualifikationen:<br />

§ 95 Abs. 1. 2. Fall ist ein erfolgsqualifiziertes (echtes) Unterlassungsdelikt. Der Tod ist die besondere<br />

Folge die fahrlässig nach § 7 Abs. 2 vorliegen muss. Aber selbst Vorsatz bezüglich des Todes macht den<br />

Pflichtigen nur gemäß § 95 Abs. 1 2. Fall und nicht gemäß § 75 strafbar (es sei den, der Pflichtige wäre<br />

Garant iSd § 2). "Hypothetische Kausalität" und objektive Zurechnung siehe § 94.<br />

V. Sonderprobleme: Versuch: Dieselben Probleme wie bei § 94. Beteiligung: Ein Anwesender der einen anderen dazu bestimmt,<br />

nicht zu helfen, ist, wenn er ebenso gut selbst helfen könnte, selbst handlungspflichtig und daher gemäß §<br />

95 Abs. 1 als unmittelbarer Täter zu bestrafen. Abgrenzungen: §§ 94 und 95 unterscheiden sich in<br />

mehreren Beziehungen, in anderen überschneiden sie sich. § 94 ist nicht lex specialis zu § 95. Vielmehr<br />

besteht tatbestandsausschließende Exklusivität zu Gunsten des § 94. Konkurrenzen: Gegenüber einem<br />

richtungsgleichen versuchten oder vollendeten unechten Unterlassungsdelikt tritt § 95 als subsidiäre<br />

Vorschrift zurück. Daher ist gemäß §§ 2,75 und nicht auch gemäß § 95 zu verurteilen, wer nach einem<br />

Verkehrsunfall den Ehegatten "vorsätzlich" verbluten lässt. Mangelnde Strafwürdigkeit: Die Praxis tendiert<br />

zu § 42. Diversion: Anwendung im größeren Ausmaß als bei § 94.<br />

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Dritter Abschnitt: Strafbare Handlungen gegen die Freiheit<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I . Tatbestand:<br />

§ 99 5tGB Freiheitsentziehung<br />

Das Wesen des Delikts besteht in der Hinderung einen bestimmten Ort zu verlassen. Nicht erfasst ist die<br />

Hinderung einen bestimmten Ort zu begehen.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Geschützt ist die Freiheit der Ortsveränderung = Fortbewegungsfreiheit.<br />

Es handelt sich um den Prototyp eines Dauerdeliktes. Außerdem gehört § 99 Abs. 1 zu den Erfolgsdelikten<br />

und zu den alternativen Mischdelikten.<br />

Tatobjekt ist der Mensch und zwar unabhängig ob er im Augenblick der Freiheitsentziehung von seiner<br />

Fortbewegungsfreiheit gebrauch machen könnte (Schwerkranke, Betrunkene, in Haft Befindliche) oder<br />

wollte (aktuelle und potenzielle Freiheitsentziehung ist geschützt). Die Freiheitsentziehung muss dem<br />

Betroffenen nicht bewusst sein (bei der potenziellen Freiheitsentziehung) ~ allein das Faktum entscheidet,<br />

dass das Opfer seiner Fortbewegungsmöglichkeit beraubt ist. Dauer- und Intensitätsmoment: Dem<br />

Gefangenhalten ist außerdem begrifflich und wesensmäßig ein gewissen Dauer- und Intensitätsmoment<br />

immanent. Ein Abstellen auf eine bestimmte Mindestdauer erscheint willkürlich. Es kommt entscheidend auf<br />

die Begleitumstände an (wie, auf welche Weise wird man gefangen gehalten ~ umso unangenehmer umso<br />

kürzer kann der Zeitmoment sein).<br />

Tathandlung: Es ist kein Tätigkeitsdelikt, sondern ein Erfolgsdelikt. Definition - gefangen halten: Gefangen<br />

halten setzt voraus, dass ein anderer daran gehindert wird, ein abgegrenztes Raumgebilde zu<br />

verlassen (Raum, Auto, Gefängnis, Flugzeug, Schiff usw.) Dass sich das Opfer der Beschränkung<br />

seiner Bewegungsfreiheit bewusst wird, gehört nicht zum Tatbild. Das Opfer darf der Beschränkung nicht<br />

zustimmen. Aus der bloßen Hinnahme des Geschehens kann eine Einwilligung aber nicht ohne weiteres<br />

abgeleitet werden. Die Tat kann von einem Garanten (§ 2) auch durch Unterlassen begangen werden.<br />

Entziehen der persönlichen Freiheit auf andere Weise ist eine Generalklausel, die restriktiv auszulegen ist.<br />

Die Tathandlung muss bei dieser Begehungsform nach Art, Schwere und Dauer qualitativ gleichwertig dem<br />

des Gefangen halten (Abs. 1 erste Variante) sein. Daher gelten alle Ausführungen insb zur<br />

Begehungsweise, zur Ernstlichkeit des Hindernisses, zum Dauer- und Intensitätsmoment und zum<br />

Bewusstwerden beim Gefangen halten auch für die Generalklausel des Entziehens der Freiheit auf andere<br />

Weise.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 99 StGB Freiheitsentziehung<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Gerade hier kommen Rechtfertigungsgründe oft zur Anwendung. Es bedarf daher einer sorgfältigen<br />

Prüfung. Notwehr, Anhalterecht (§ 86 Abs. 2 StPO), Selbsthilferecht, rechtfertigender Notstand und<br />

Erziehungsrechte kommen in Frage.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Qualifikationen:<br />

V. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Bedingter Vorsatz reicht aus. Irrtum gemäß § 8 führt idR zur Straflosigkeit. Verbotsirrtum über<br />

das zulässige Ausmaß und die Art der Durchführung einer grundsätzlich gerechtfertigten<br />

Freiheitsentziehung bilden idR einen indirekten Verbotsirrtum.<br />

§ 99 Abs. 2 1., 2. und 3. Fall sind keine Erfolgs-, sondern Deliktsqualifikationen und daher muss zumindest<br />

bedingter Vorsatz vorliegen.<br />

Vollendung: § 99 ist rechtlich vollendet, sobald der Verlust der Bewegungsfreiheit eingetreten ist. Beendet<br />

ist das Dauerdelikt erst wieder mit Herstellung der Freiheit. Beteiligung: Bei "Dauerdelikten" ist die<br />

Beteiligung bis zur tatsächlichen Beendigung der Tat möglich. Begünstigung aber bereits ab ihrer<br />

rechtlichen Vollendung (Freiheitsentzug). Konkurrenzen: Bei Vorliegen der Qualifikationen des Abs. 2 ist<br />

Idealkonkurrenz anzunehmen. Echte Konkurrenz zur Nötigung.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 105 Nötigung!!!!<br />

Unterscheidung zur Erpressung durch Einsatz der Nötigungsmittel mit Bereicherungsvorsatz.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Umfasst ist die Freiheit zur Willensbildung und Willensentschließung. Alle Delikte<br />

die sich auf Nötigungsmittel beziehen verdrängen als leges specialis das Ausgangsdelikt § 105 (z.B. §§<br />

131,140,143,144, 201f, 269 usw.)<br />

Rechtmäßige Nötigungen: Ausnahmen in Schule, Beruf, Familie, Geschäftsleben sowie im Verkehrsbereich<br />

enthalten teils unvermeidliche teils erforderliche Nötigungen.<br />

Tathandlung besteht im Einsatz von Gewalt oder gefährlicher Drohung. Die Gewalt kann vis absoluta oder<br />

auch vis compulsiva sein. Täuschung, List und Warnung scheiden aus. Definition - Gewalt: Gewalt ist<br />

Einsatz nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder erwarteten<br />

Widerstandes. Gewalt ist was nötigend wirkt.<br />

Einzelne Problemkreise zum Gewaltbegriff: Vis absoluta =Strikt abzulehnen ist die vor allem in jüngeren<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 43 von 147


§ 105 Nötigung<br />

Entscheidungen des OGH vertretenen Auffassung, die Erzwingung eines bestimmten Verhaltens durch vis<br />

absoluta sei aus dem Anwendungsbereich der §§ 105 ff auszuscheiden, weil es am Tatbestandserfordernis<br />

willensgesteuerter Verhaltensweisen fehlt (nur bei vis compulsiva ist eine Willensbildung noch möglich).<br />

Begründung der Lehre für die Anwendung der vis absoluta beim § 105 ist: Es kann nicht angehen, dass die<br />

stärkste Form der Beeinträchtigung der Willensfreiheit, nämlich willensbeugende Gewalt, aus dem<br />

Anwendungsbereich des § 105 herausgenommen wird. Vis compulsiva =Bei vis compulsiva ist der<br />

ausgeübte Zwang zwar nicht stark genug, um den Willen des Opfers auszuschalten, aber doch intensiv<br />

genug, um seinen Willen zu beugen und iSd Täters zu beeinflussen (häufig im Straßenverkehr). Einsatz<br />

physischer Kraft = Dieses Grunderfordernis des Gewaltbegriffs umfasst Festhalten, Fesseln, Würgen,<br />

Armumdrehen, Stoßen, Fußtritte, Hiebe etc. Dieser Ansatz ist aber weit zu interpretieren. Es genügt, wenn<br />

der Täter die Kraft eines toten oder lebenden Werkzeuges in seinen Dienst nimmt (Grenzfall Hypnose).<br />

Nötigung im Straßenverkehr =Wird meist auf verkehrswidriges Verhalten mit hohem Aggressions- und<br />

Gefährdungspotential angewendet (z.B. gefährliches Losfahren auf Personen, Abdrängen von der<br />

Fahrbahn, Erzwingen eines abrupten Bremsmanövers, aber nicht einfaches Querstellen). Passives<br />

Verhalten = Durch Sitzblockaden, Anketten und auf Bäume klettern ist der Gewaltbegriff nicht erfüllt. Solche<br />

Verhaltensweisen sind gerade durch den Verzicht auf körperliche Kraft gekennzeichnet.<br />

Weitere Grenzen des Gewaltbegriffes: Gewalt gegen Dritte = Sie genügt, wenn dass Opfer eine<br />

Sympathieperson des Genötigten ist. Gewalt gegen Sachen =Erschöpft sich die Sachgewalt tätergewollt in<br />

der bloßen Sachgewalt, so liegt reine Sachbeschädigung vor aber nicht Nötigung. Wenn der Täter eine<br />

Sache beschädigt und sich darauf beschränkt (Gewalt abgeschlossen) mit dem Ziel dem Opfer ein für<br />

allemal alles klar gemacht zu haben und zählt damit auf die psychologische Wirkung (eingeschüchtert) liegt<br />

keine Nötigung vor. Bei versuchter Gewalt = Geht die Gewalt ins Leere (er kann das Opfer nicht treffen, er<br />

fährt mit dem Auto knapp vorbei usw.), liegt meist die zweite Alternative gefährliche Drohung vor.<br />

Erheblichkeitsschwelle: Es genügt die erfolgswirksam gewordene Eignung, unter den gegebenen<br />

Umständen den fremden Willen zu beeinflussen. Damit ist ein objektiv-individueller Maßstab iS einer von<br />

der psychophysischen Beschaffenheit des Opfers, der Dauer und Intensität des Zwanges und den<br />

sonstigen Gesamtumständen der Tat abhängigen Erheblichkeits- bzw. Bagatelleschwelle gemeint (Die<br />

maßvolle Ohrfeige des Erziehungsberechtigten erfüllt nicht § 83 oder § 115 Abs. 1 3. Fall, sie könnte aber<br />

im Lichte des § 146a ABGB iSd § 105 Gewalt sein). Sachgewalt gegen Personen: Erweist sich eine<br />

unmittelbar gegen eine Sache gerichtete Gewalt zugleich als körperwirksame (mittelbare) Gewalt gegen<br />

eine Person, ist die Bejahung des § 105 unproblematisch (z.8. festhalten des Fahrrades; beachte der<br />

Nötigungsbezug muss gegeben sein, sonst reine Sachgewalt).<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 105 Nötigung<br />

Definition - Drohung: Drohung ist die Ankündigung eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende<br />

Einfluss zu haben vorgibt. Abzugrenzen ist dagegen die bloße Warnung ~ in Zweifelsfällen ist nach dem<br />

Wortlaut und den Sinn der Äußerungen abzugrenzen. Adressaten des Übels können der Genötigte aber<br />

auch Dritte "Sympathiepersonen" (Angehörige oder sonst persönlich nahe stehende Personen) sein ~ Die<br />

Verwirklichung der Ankündigung muss sich auch für den Bedrohten als Übel darstellen.<br />

Die Form der Drohung kann höchst unterschiedlich sein (Worte, Briefe, SMS oder MMS, Gesten, Tonfall<br />

usw.).<br />

Definition - Gefährlichkeit: Eine Drohung ist gefährlich, wenn sie sich gegen nötigungserhebliche<br />

Rechtsgüter des Bedrohten oder seiner Sympathiepersonen richtet und begründete<br />

Besorgniseignung besitzt (§ 74 Abs. 1 Z 5). Nötigungsgeeignete Rechtsgüter sind Leib oder Leben,<br />

Freiheit, Ehre und das Vermögen. Kein nötigungserhebliches Rechtsgut ist grundsätzlich die Privatsphäre.<br />

Unter Freiheit wird subsumiert: Hausrecht, Verhaftung, Anhaltung und Entführung. Unter Vermögen wird<br />

subsumiert: Abwerben von Kunden, Verlust des Führerscheins, Arbeitsplatzverlust, Preisgabe von<br />

Geschäftsgeheimnissen, sofortige Entlassung oder Delogierung. Strafanzeige kann die Ehre, die Freiheit<br />

oder auch das Vermögen bedrohen. Nicht genügt die Drohung mit bloßer körperlicher Misshandlung.<br />

Selbstmorddrohungen, selbst einer Sympathieperson, eignen sich nicht zur Nötigung.<br />

Abgrenzung von Gewalt und Drohung: Vis compulsiva enthält beides, daher ist bei ihr eine Abgrenzung<br />

nicht möglich. Die Gewalt ist ein gegenwärtiges Übel, die Drohung stellt ein künftiges Übel in Aussicht. Es<br />

kommt auf die Umstände des einzelnen Falles an.<br />

Erfolg und Kausalität: Das abgenötigte Verhalten (Handlung, Duldung oder Unterlassung) muss kausal zum<br />

Einsatz des Nötigungsmittels sein (Erfolgsdelikt). Fehlt es an der Kausalität kommt nur Versuch in Betracht.<br />

Unter Duldung werden die Fälle des Fesseins, Umklammerns, Niederdrückens, Niederspritzens und der<br />

Hypnose erfasst (Großteil der Vis absoluta - Fälle spielen sich im Bereich der durch Gewalt erzwungenen<br />

Duldung ab). Beispiele für Nötigung zu einer Duldung = Verbleib in der Wohnung, die Wegnahme von<br />

Schlüsseln, Hinnahme von Nacktaufnahmen, Begrapschen, Mundverkehr und weiteres erzwungen werden<br />

soll. Einschränkungen: Demnach ist Nötigung auf solche Fälle zu beschränken, in denen dem Bedrohten<br />

eine Handlung, Duldung oder Unterlassung von einigem Gewicht abgenötigt wird. Bezüglich der Eignung<br />

der Drohung, für eine begründende Besorgnis ist stets auf die besonderen Umstände des Falles<br />

abzustellen. Die Drohung muss für das Opfer ernst gemeint erscheinen. Es muss ein gemischt objektivindividueller<br />

Maßstab angelegt werden, der auch die in der Person des Bedrohten liegenden Umstände<br />

mitberücksichtigt. Insbesondere besteht begründete Besorgniseignung für nötigungserhebliche Rechtgüter<br />

wie mit Drohung mit dem Tode bzw. mit einer Waffe, mit Vergewaltigung, Zerschneiden des Gesichts, mit<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 105 Nötigung Schlägen oder mit kräftigen Ohrgeigen.<br />

Sonderprobleme: Ausnützen einer Zwangslage ist auch Nötigung. Androhung eines Unterlassens kann<br />

auch eine gefährliche Drohung sein, insb wenn der Täter Garant für die Handlung ist.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: § 105 Abs. 2 ist als Erweiterung der Rechtfertigungsgründe zu verstehen. Teile in der neueren Lehre<br />

schließen aufgrund des Abs. 2 leg cit schon die Tatbestandsmäßigkeit aus.<br />

Ein dreistufiges Prüfverfahren zieht der Abs. 2 nach sich: 1. Sittenwidrigkeit von Mittel oder Zweck<br />

(Morddrohung, Körperverletzung und dergleichen sind sozial unerträgliche Mittel, zur Durchsetzung auch<br />

eines berechtigten Anspruches); 2. Sittenwidrigkeit durch spezifisch Verknüpfung von Mittel und Zweck<br />

(Anspruch besteht rechtmäßig, aber das gewählte Mittel nicht); 3. qualitatives Missverhältnis von Mittel und<br />

Zweck (Ladendieb erbeutet € 10,-- der Ladenbesitzer verlangt € 1.000,-- sonst Anzeige); Sinnwidrige<br />

Verknüpfung von Mittel und Zweck = Eine sinnwidrige Verknüpfung von Mittel und Zweck liegt vor, wenn<br />

der Täter nicht zusammengehörige Lebensvorgänge in einer Weise verknüpft, die aus der Sicht eines<br />

objektiven Beurteilers, der die Ziele und Motive des Täters kennt, willkürlich und sozial unerträglich<br />

erscheinen (z.B. Entweder erlässt du mir meine Schulden, oder ich zeige dich wegen dem von dir<br />

begangenen Diebstahl an -+ das andere hat mit dem einen nichts zu tun).<br />

111. Schuld: Tatvorsatz: Hinsichtlich des Einsatzes des Nötigungsmittels und des abgenötigten Verhaltens genügt nach<br />

hM bedingter Vorsatz. Der Vorsatz muss sich darüber hinaus auf das Erzwingen einer konkreten Handlung,<br />

Duldung oder Unterlassung erstrecken. Irrtümer gemäß § 8 sind schon im Rahmen der Mittel-Zweck<br />

Relation des § 105 Abs. 2 zu berücksichtigen -+ keine Anwendung § 8 Irrtum. Verbotsirrtum: Ist oft der<br />

Fall, aufgrund der falschen Bewertung der Tat durch den Täter. Problematisch wird die Vorwerfbarkeit und<br />

daher die Strafbarkeit des Täters.<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Versuch: Oft bleibt die Nötigung im Versuchsstadium stecken, da sich das Opfer nicht nötigen lässt. Soweit<br />

kommt Bestrafung wegen versuchter Nötigung in Betracht (Versuch ist z.B. das Einwerfen eines<br />

Drohbriefes in den Postkasten). Vollendung liegt mit Vornahme der erstrebten Handlung vor. Beteiligung:<br />

Der Nötigungswille des Beteiligten ist erforderlich. Abgrenzungen: Erpressung benötigt zusätzlich einen<br />

Bereicherungsvorsatz bei der Vornahme der Nötigungshandlung. Oft kommen Kombinationen von Nötigung<br />

und Täuschung in der Praxis vor. Konkurrenzen: Mit der Körperverletzung zur Durchsetzung der Nötigung<br />

besteht idR Idealkonkurrenz. Gegenüber Delikten die legis specialis zu § 105 sind tritt sie zurück. Beachte<br />

nach Abschluss des Spezialdelikts (Z.B. 142f), kann eine Nötigung, die gegenüber einem Dritten z.B.<br />

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§ 105 Nötigung<br />

Verfolger begangen wird, eine zusätzliches Strafbarkeit gemäß §§ 105f begründen. Mehrere<br />

Nötigungshandlungen mit einem Ziel, sind als eine Nötigung zu bestrafen bzw. anzuklagen.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 106 5tGB schwere Nötigung<br />

Es handelt sich um Deliktsqualifikationen die zumindest bedingt vorsätzlich vorliegen müssen, außer für<br />

Abs. 1 Z 3 wird Absichtlichkeit gefordert. Das Doppelerfordernis des Abs. 1. Z 2 (längere Zeit hindurch<br />

und qualvoller Zustand) liegt vor, wenn anhaltende und geradezu peinigende körperliche oder<br />

seelische Schmerzen zugefügt oder massive Angstzustände hervorgerufen werden. Versuch ist auch<br />

hier durchaus prüfungsrelevant.<br />

Im Abs. 2 handelt es sich um Erfolgsqualifikationen für Selbstmord oder Selbstmordversuch. Somit reicht<br />

bezüglich des Eintrittes des Erfolges § 7 Abs. 2.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

Tatbestand:<br />

§ 107 5tGB gefährliche Drohung<br />

Hat im Alltag große Bedeutung.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das Freisein von Furcht und Unruhe.<br />

Wie bei § 105 genügt es, wenn die Drohung ernst gemeint scheint, sie braucht aber nicht ernst gemeint<br />

noch durchführbar zu sein. Subjektiver Tatbestand: Der Täter muss mit der Absicht (§ 5 Abs. 2) handeln,<br />

einen anderen in Furcht und Schrecken zu versetzen. Gemeint ist ein nachhaltiger, das ganze Gemüt<br />

ergreifende peinvoller Seelenzustand iS einer qualifizierten Erwartungsangst. Grenze ist, wenn dem Täter<br />

die Absicht fehlt, er nur seinem Zorn freien Lauf lassen, sich einen Scherz oder Spaß leisten, seinem Opfer<br />

einen kurzen Schreck einjagen wollte oder seine Drohung selbst nicht realisiert.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Es kommen keine in Betracht.<br />

111. Schuld:<br />

Hinsichtlich der gefährlichen Drohung, insb. der begründeten Besorgniseignung, genügt bedingter<br />

Tatvorsatz.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 107 StGB gefährliche Drohung<br />

IV. Qualifikationen:<br />

V. Sonderprobleme:<br />

§ 107 enthält in Abs. 2 und 3 eine Reihe von Erfolgsqualifikationen, für deren Eintritt Fahrlässigkeit gemäß<br />

§ 7 Abs. 2 ausreicht.<br />

Vollendung: Die Tat ist nicht nur Absichtsdelikt ieS, sondern zugleich Kundgebungsdelikt wie etwa § 111<br />

und daher (erst) mit der Kenntnisnahme durch den Adressaten vollendet. Beteiligung: Der Beteiligte muss<br />

selber mit der in § 107 vorausgesetzten Absicht handeln. Abgrenzungen: Unterschied zur Nötigung ist, das<br />

der Nötigende den anderen zu einem bestimmten Verhalten veranlassen will. Im § 107 geht es um den<br />

bloßen Psychoterror. Idealkonkurrenz ist mit Körperverletzung denkbar, wenn der sofortige Vollzug der<br />

Körperverletzung dazu dient, das Opfer auch für die Zukunft in Angst und Schrecken zu versetzen.<br />

Privilegierung: Familieninterne Straftaten werden gemäß Abs. 4 nur auf Ermächtigung des Bedrohten<br />

verfolgt -+ Ermächtigungsdelikt.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 109 5tGB Hausfriedensbruch<br />

Geschütztes Rechtsgut: Schützt die freie Entscheidung über den Zutritt anderer zu bestimmten befriedeten<br />

Räumlichkeiten, nicht aber jene über den weiteren Aufenthalt darin. Ergänzend tritt der Schutz der<br />

Willensfreiheit und Willensbeugung hinzu. Es handelt sich um ein mehraktiges aber um kein Dauerdelikt.<br />

A. einfacher Hausfriedensbruch § 109 Abs. 1<br />

I. Tatbestand:<br />

Definition - Wohnstätte eines anderen: Geschützter Ort iSd § 109 Abs. 1 ist die Wohnstätte eines<br />

anderen, z.B. auch des geschiedenen oder getrennt lebenden Ehepartners. Der Begriff Wohnstätte<br />

reicht weiter als jener der Wohnung und umfasst alle Raumgebilde, die bestimmungsgemäß<br />

mindestens einer Person - sei es auch nur vorübergehend (z.B. Hotelzimmer) - als Zuhause dienen.<br />

Tathandlung: Die Tathandlung besteht im Erzwingen des Eintritts mit Gewalt oder durch Drohung mit<br />

Gewalt. Es handelt sich dabei um ein alternatives Mischdelikt.<br />

Definition - Erzwingen des Eintrittes: Das Erzwingen erfordert die Überwindung des erkennbaren<br />

Widerstandes eines Berechtigten. Die Lehre und Praxis verlangt sowohl für Abs. 1 als auch für Abs. 3,<br />

dass in der geschützten Räumlichkeit zur Tatzeit ein Berechtigter anwesend sein muss, dessen<br />

erkennbarer Wille durch das Eindringen gebrochen wird.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 109 StGB Hausfriedensbruch Definition - Gewalt: Gewalt erfordert den Einsatz nicht ganz unerheblicher physischer Kraft zum<br />

Zweck des Eindringens. Es kommt unmittelbare Personengewalt, mittelbare Personengewalt, gegen<br />

irgendwelche Personen und auch Sachgewalt in Betracht. Definition - Drohung mit Gewalt: Dieses<br />

Merkmal umfasst jede ernst zu nehmende Ankündigung des Einsatzes nicht ganz unerheblicher<br />

physischer Kraft gegen Personen oder Sachen zum Zweck des Eindringens. Drohung gegen den<br />

Berechtigten, Sympathiepersonen und Besucher reicht aus. Auch Drohung der körperlichen Misshandlung<br />

(Ohrfeige) reicht aus. Beachte: Das Eindringen bei Abwesenheit des Berechtigten ist in Konsequenz des<br />

restriktiven Ansatzes, den die Lehre und Praxis anlegt, nach Belieben und völlig straflos für den<br />

vermeintlichen Täter.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Einwilligung: Erlaubnis eines Berechtigten schließt den Tatbestand aus. Weiters kommen rechtfertigender<br />

Notstand, Selbsthilferecht oder Notwehr in Betracht.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz muss auf Erzwingung des Eintritts mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt gerichtet sein und<br />

insb das Bewusstsein umfassen, gegen den Willen des Berechtigten zu handeln. Bedingter Tatvorsatz<br />

genügt. Tatbildirrtümer sind nicht selten.<br />

Beachte: Der einfache Hausfriedensbruch ist ein Ermächtigungsdelikt gemäß Abs. 2. Dies trifft auf das<br />

Offizialdelikt, den schweren Hausfriedensbruch gemäß Abs. 3, nicht zu.<br />

B. schwerer Hausfriedensbruch § 109 Abs. 3<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Es ist ein Hausfriedensbruchdelikt eigener Art und keine Qualifikation des Abs. 1.<br />

Geschützte Räumlichkeiten: Haus, Wohnstätten und alle unmittelbar zu einem Haus gehörenden<br />

umfriedeten Räume. Abgeschlossener, zum öffentlichen Dienst bestimmter Amtsraum (gleichgültig ob<br />

unversperrt). Zur Ausübung eines Berufes oder Gewerbes dienende Räume (sowie Gastgärten).<br />

Tathandlung: Es reicht das der Täter mit einem Teil seines Körpers (Fuß) in die Räumlichkeit eindringt<br />

unter Anwendung von Gewalt oder Drohung mit Gewalt. Voraussetzung ist das der Täter schon beim<br />

Eindringen mit der Absicht (§ 5 Abs. 2) handelt, Gewalt gegen eine in der geschützten Räumlichkeit<br />

befindlicher Person oder Sache zu üben (§ 109 Abs. 3 Z 1), oder der Täter oder ein anderer Beteiligter (§<br />

12) führt mit Wissen des Täters eine Waffe oder ein gleichgestelltes anderes Mittel bei sich, um einen<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 109 StGB Hausfriedensbruch Widerstand einer Person zu überwinden oder zu verhindern (§ 109 Abs. 3 Z 2), oder das Eindringen<br />

mehrerer Personen erzwungen wird (mindestens zwei Personen müssen beteiligt sein, auch wenn nur einer<br />

Gewalt anwendet; § 109 Abs. 3 Z 3).<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Dieselben wie für den Abs. 1.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz wie bei Abs. 1 außer Z 1, wo Absicht gefordert wird.<br />

Vollendung: Es ist kein Dauer- sondern ein Zustandsdelikt und mit dem Eintritt bzw. Eindringen bereits<br />

vollendet. Abgrenzungen: Nötigungen gemäß §§ 105 f, die den Hausfriedensbruch, dh dem Eintritt bzw.<br />

dem Eindringen dienen, sind durch § 109 abgegolten. Exklusivität: Zwischen Abs. 3 und Abs. 1 besteht<br />

Exklusivität und keine Qualifizierung. Konkurrenzen: Grundsätzlich zwischen Abs. 1 und 3 echte<br />

Konkurrenz. Diebstahl kann in Konkurrenz treten falls der Dieb den Eintritt gegenüber dem Anwesenden mit<br />

Gewalt begeht. Beachte auch Raub und Sittlichkeitsdelikte gemäß §§ 201 ff.<br />

Strafrecht BT<br />

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Zusammenfassung zentraler Delikte im Strafr.echt besonderer Teil Bamd 11:<br />

Sechster Allschnitt: ,Strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 125 Sachbeschädigung<br />

Geschütztes Rechtsgut: Eigentum<br />

Sachbeschädigung ist nur bei Vorsatz strafbar.<br />

Tatobjekt ist eine fremde Sache. Definition - Sache: Der Sachbegriff ist enger als im Zivilrecht. Er<br />

umfasst nur körperliche Gegenstände, wozu unbeschadet des § 285a ABGB auch Tiere gehören.<br />

Auch Computerprogramme können Gegenstand der Sachbeschädigung sein. Die Sache muss als<br />

Tatobjekt einen nach vernünftigem Ermessen nicht völlig unerheblichen Gebrauchswert haben.<br />

(Achtung: Beim Diebstahl kommt es auf den Tauschwert an.) Auch unbewegliche Sachen sind<br />

miteinbezogen. Die Sache muss fremd sein -+ Alleineigene und herrenlose Sachen scheiden aus.<br />

Definition - Zerstören: Zerstören erfordert als intensivste Form des Beschädigens eine Einwirkung<br />

auf die Substanz, die zur gänzlichen Aufhebung der bestimmungsgemäßen Brauchbarkeit führt.<br />

Definition - Beschädigen: Diese Tathandlung umfasst alle graduell unterhalb der Zerstörung<br />

liegenden Substanzeingriffe, welche die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit der Sache nicht<br />

unerheblich mindern. Definition - Verunstalten: Dieser Begriff orientiert sich an dem vom<br />

Berechtigten gewollten äußeren Erscheinungsbild und erfasst alle nicht unerheblichen und idR<br />

schwer reversiblen Veränderungen desselben. Definition - Unbrauchbarmachen (Generalklausel):<br />

Unbrauchbarmachen umfasst nach Art einer Generalklausel alle sonstigen Handlungen, welche die<br />

bestimmungsgemäße Brauchbarkeit einer Sache nicht unerheblich beeinträchtigen. Begehung durch<br />

Unterlassung ist denkbar -+ alle vier Varianten sind Erfolgsdelikte und daher ist eine<br />

Gleichwertigkeitsprüfung gemäß § 2 nicht vorzunehmen.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: In Betracht kommt rechtfertigender Notstand, Selbsthilferecht (§§ 19 und 344 ABGB) usw. Die Sachwehr<br />

bildet heute ein Unterfall des rechtfertigenden Notstandes. Einwilligung: Die Einwilligung des Eigentümers<br />

oder seines Vertreters schließt die Rechtswidrigkeit aus.<br />

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§ 125 Sachbeschädigung<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Dolus eventualis reicht aus. Tatbildirrtum: Wenn sich der Täter über die Fremdheit der Sache<br />

irrt. Der § 8 Irrtum führt zur Straflosigkeit. Auch ein Verbotsirrtum ist denkbar.<br />

Versuch: Relativ untauglicher Versuch könnte vorliegen, wenn der Täter eine herrenlose oder eigene Sache<br />

irrtümlich für fremd hält. Tätige Reue gemäß § 167 ist möglich. Beteiligung: Es gelten die allgemeinen<br />

Grundsätze der funktionalen Einheitstäterschaft. Abgrenzungen: Diebstahl und dauernde Sachentziehung<br />

sind zu beachten. Brandstiftung als Mittel der Sachbeschädigung gemäß § 169 hängt vom Vorsatz des<br />

Täters ab. Urkundenunterdrückung gemäß § 229 enthält eine den § 125 idR verdrängende und mit<br />

strengerer Strafe bedrohte Sonderregelung.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 126a 5tGB Datenbeschädigung<br />

Die traditionelle Sachbeschädigung umfasst zwar die gesamte Hardware, bietet aber keinen sicheren<br />

Strafschutz für Daten.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das Interesse am Fortbestand und an der Verfügbarkeit von Daten. Es handelt<br />

sich um ein eigenes Delikt sui generis. Mit alternativen Mischtatbestand.<br />

Tatobjekt, Definition - strafrechtlicher Datenbegriff: Daten im strafrechtlichen Sinn sind Darstellungen<br />

von Informationen durch Zeichen (bei Digitalrechnern) oder durch kontinuierliche Funktionen (bei<br />

Analogrechnern). Tathandlung: Erfasst sind praktisch alle Manipulationen von gespeicherten Daten, insb<br />

auch Datenentziehungen. Z.B. Veränderungen von Daten, löschen von Daten, sonstiges<br />

Unbrauchbarmachen von Daten, Unterdrückung von Daten (liegt vor, wenn Daten dauernd oder zeitweilig<br />

dem Zugriff des Datenberechtigten entzogen sind und daher nicht verwendet werden können). Schädigung<br />

eines anderen: Beim Datenberechtigten muss ein Vermögensschaden eingetreten sein.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Einwilligung des Datenberechtigten schließt den Tatbestand aus.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Qualifikationen:<br />

Für den Tatvorsatz genügt dolus eventualis (§ 5 Abs. 1). Absichtliche Schadenszufügung wird nur bei § 49<br />

DSG gefordert.<br />

Die beiden Deliktsgualifikationen des Abs. 3 entsprechen jenen des § 126 Abs. 1 Z 7 und Abs. 2.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 126a StGB Datenbeschädigung<br />

V. Sonderprobleme:<br />

Versuch unproblematisch. Vollendung: Die Tat ist erst mit dem Eintritt einer Vermögensschädigung, die<br />

allerdings idR mit dem Verändern, Löschen, Unbrauchbarmachen oder Unterdrücken von Daten<br />

zusammenfällt, vollendet. Tätige Reue nach § 167. Abgrenzungen: Beschädigungen von Hardware fällt<br />

unter §§ 125 f. Konkurrenzen: Echte Konkurrenz ist denkbar mit §§ 125 f.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 127 5tGB einfacher Diebstahl<br />

Geschütztes Rechtsgut: § 127 schützt nicht das Vermögen als Ganzes, sondern das Eigentum, soweit es<br />

einen Vermögenswert verkörpert. Delikt mit überschießender Innentendenz: Es ist ein Delikt mit<br />

erweitertem Vorsatz. Der objektive Tatbestand erschöpft sich in der Wegnahme einer fremden beweglichen<br />

Sache. Der subjektive reicht darüber hinaus und erfordert einen spezifizierten Bereicherungsvorsatz. Es<br />

reicht für den Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz dolus eventualis aus. § 127 ist das Grunddelikt der<br />

Familie.<br />

Tatobjekt: Tatobjekte des Diebstahls sind fremde bewegliche Sachen, soweit sie in Gewahrsam eines<br />

anderen sind. Erfasst sind weder Forderungen noch sonstige Rechte. Definition - Sache: Sache iSd §§<br />

127"ist jeder körperliche Gegenstand, der einen nicht völlig unerheblichen Tauschwert hat.<br />

Im Gegensatz zur Sachbeschädigung wird nicht auf den Gebrauchswert, sondern darauf abgestimmt, ob<br />

die Sache einen Wert im wirtschaftlichen Sinn hat. dh einen Tauschwert besitzt. Mangels Tauschwertes<br />

scheiden die meisten Urkunden insb Ausweispapiere und sonstige amtliche oder private Dokumente, als<br />

Gegenstand des Diebstahles aus. Diebstahlsfähig sind: KFZ Kennzeichen (laut OGH aufgrund des<br />

Gestellungsentgeltes, aber nicht laut der hL), Wertpapiere mit Wertträgerfunktion, Sparbücher = nur nicht<br />

vinkulierte anonyme Sparbücher (ohne Losungswort) mit frei behebbaren Einlagen laut Judikatur. ABER:<br />

Die HL sieht beim anonymen, als auch beim vinkulierten anonymen Sparbuch die Wertträgereigenschaft als<br />

gegeben. Auf die Kenntnis des Losungswortes kommt es nicht an. Bloße Falsifikate z.B. gefälschter<br />

Wechsel, Scheck, Eintrittskarten, Fahrkarten sind keine Wertträger ~ aber Versuch ist zu prüfen! Definition<br />

- Fremdheit: Fremd sind Sachen, die im Eigentum eines anderen stehen (also insb weder alleineigen<br />

noch herrenlos sind). Auch Miterben, Miteigentümer und Mitberechtigte können einen Diebstahl begehen.<br />

Tathandlung: Wegnahme und Gewahrsam; Wegnahme ist Begründung neuen Gewahrsams durch Bruch<br />

der bisherigen. Definition - faktisch - normativer Gewahrsamsbegriff: Gewahrsam ist tatsächliche<br />

Sachherrschaft, die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragen wird. Gewahrsam darf nicht mit<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 127 StGB einfacher Diebstahl<br />

Eigentum verwechselt werden. Eigentum = rechtliche Beziehung zu der Sache, Gewahrsam =faktischnormatives<br />

Herrschaftsverhältnis. Man unterscheidet tatsächliche Sachherrschaft, gelockerte<br />

Gewahrsam (bestimmte Umstände, die das faktische Herrschaftsverhältnis zwar abschwächen, es aber<br />

nicht beseitigen z.B. Holzstoß im Wald, Pflug auf dem Feld, Zweithaus in Spanien, Geld in Behältern beim<br />

Zeitungsständer usw.), abgestufter Gewahrsam (wenn die Gewahrsamsfrage von sozialen Fragen<br />

abhängt insb von Arbeits- und sonstigen Weisungsverhältnissen z.B. ON bei Werkzeug des DG,<br />

Arbeitskleidung, Werkstoffen usw.). Natürlicher Herrschaftswille: Es reicht aus, dass der<br />

Gewahrsamsinhaber das Herrschaftsverhältnis aufrechterhalten will. Probleme der Gewahrsam: Verlorene<br />

Sachen sind ausschließlich Tatobjekte der (Fund) Unterschlagung und nicht des Diebstahls. Vergessene<br />

Sachen sind in der Regel nicht verloren, weil die Verkehrsauffassung vielfach einem anderen mit Rücksicht<br />

auf dessen generellen oder in concreto manifestierten Herrschaftswillen Gewahrsam zuschreibt =<br />

subsidiäre Gewahrsam (ist gleichzeitig mit dem Gewahrsam des Eigentümers vorhanden und erstarkt<br />

nach dem Wegfall des Gewahrsams des Eigentümers zum Vollgewahrsam). Z.B. Sachen die man im<br />

Gasthaus, in fremder Wohnung, im Schwimmbad oder beim Greißler vergießt treten nach der<br />

Verkehrsauffassung im Augenblick des Untergangs des bisherigen Gewahrsams in den zur Vollherrschaft<br />

erstarkenden (subsidiären) Gewahrsam des Wohnungsinhabers, Wirten, Greißlers etc. Der neue<br />

Gewahrsamsinhaber, der sich solche Sachen zueignet ist nach § 134 (Unterschlagung), dessen ON oder<br />

Dritte (er nimmt die Sache weg) nach den §§ 127 f zu bestrafen. Alleingewahrsam und Mitgewahrsam:<br />

Dabei geht es in aller Regel um die Abgrenzung gegenüber Veruntreuung und Unterschlagung. Nach hM<br />

kann Diebstahl auch durch Bruch von Mitgewahrsam begangen werden. Dies ist gegenüber dem Inhaber<br />

des Obergewahrsams (DG gehört Werkzeug), als auch gegenüber dem mit gleicher Mitgewahrsam möglich,<br />

aber nicht wenn der Inhaber des übergeordneten Mitgewahrsams (Obergewahrsams) ein nur nach<br />

geordnetes Gewahrsam (ON) bricht. Beachte: Das subsidiäre Gewahrsam begründet nicht Eigentum des<br />

Gewahrsamsinhabers. Somit kann die Sache nach wie vor gestohlen werden. Aber: Wurde die Sache<br />

aufgegeben und z.B. in einem Schwimmbad liegen gelassen, kommt nur mehr versuchter Diebstahl in<br />

betracht, da durch die Dereliktion die Sache nicht mehr fremd ist (unter Umständen ist originärer Erwerb ein<br />

Thema).<br />

Definition - Gewahrsamsbruch: Die Wegnahmehandlung besteht im Bruch des bisherigen und in der<br />

Begründung neuen Gewahrsams. Bruch des fremden Gewahrsams setzt stets ein Vorgehen ohne, nicht<br />

notwendig gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers voraus. Definition - Vollendung: Die Frage, wenn<br />

der Diebstahl vollendet ist, gehört in praxi zu den wichtigsten Problemen. Die Wegnahme bzw. der<br />

Diebstahl ist vollendet, wenn neuer (Allein- oder Mit-) Gewahrsam an der Sache begründet worden<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 127 StGB einfacher Diebstahl<br />

ist. Die Begründung neuen Gewahrsams wird anhand von Fallgruppen konkretisiert: 1. Kleinere Sachen =<br />

Gewahrsamwechsel schon mit dem eigenmächtigen Einstecken vollzogen (beachte bei<br />

Selbstbedienungsläden beobachteter Diebstahl gilt als Versuch). 2. größere Gegenstände =<br />

Gewahrsamswechsel erst in dem Augenblick, in dem der Täter mit der Beute die letzte<br />

Gewahrsamsschranke überwindet -+ bis dahin ist Versuch anzunehmen. 3. Diebstahl an Kraftfahrzeugen =<br />

Gewahrsamswechsel wenn der Täter mit dem Fahrzeug losfährt (beachte alle Gegenstände im oder am<br />

Auto wechseln das Gewahrsam). 4. Wegnahme in Etappen =Wird die Beute noch im Gebäude versteckt,<br />

liegt erst Lockerung der Gewahrsame vor, da noch durch eine weitere Handlung die fortbestehende<br />

Gewahrsam gebrochen werden muss. Außerhalb des Tatortes versteckte Sachen begründen die<br />

Vollendung des Diebstahles spätestens mit dem Verstecken. 5. Bruch der Mitgewahrsam = ON, die das<br />

Werkzeug für sich behalten wollen, begründen frühestes Alleingewahrsam in dem Moment, in dem der<br />

Täter einen den Mitgewahrsam ausschließenden Sachherrschaftswillen fasst. Das kann noch vor dem<br />

passieren der Torkontrolle sein. 6. Auseinanderfallen von Gewahrsamsbruch und Gewahrsamsbegründung<br />

(z.B. Dieb wirft Tasche aus dem Zug -+ Gewahrsamsbruch = bis hierher Versuch, später holt er die Tasche<br />

an dem bestimmten Ort ab -+ Gewahrsamsbegründung = Vollendung des Diebstahls). 7. Bergung der<br />

Beute ist heute überholt. Wer bei der Bergung mitmacht verantwortet sich nach § 164 Hehlerei.<br />

Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz: Die Bereicherung bezeichnet das Ziel, die Zueignung das Mittel.<br />

Beide sind im erweiterten Vorsatz der §§ 127 ff untrennbar miteinander verknüpft. Definition - Zueignungsund<br />

Bereicherungsvorsatz iSd § 127: Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz ist der Vorsatz, mittels<br />

Zueignung einer fremden Sache das eigene Vermögen oder das eines Dritten zumindest zeitweilig<br />

um die Sache selbst oder ihren wirtschaftlichen Wert unrechtmäßig zu vermehren. Mit dem<br />

erweiterten Vorsatz muss der Täter bereits bei der Wegnahme gehandelt haben. Wegnahme ohne<br />

gleichzeitigen Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz ist kein Diebstahl, kann aber z.B. gemäß § 135<br />

(dauernde Sachentziehung) oder § 136 (unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen) strafbar sein. Beachte: Die<br />

von vornherein ins Auge gefasste und dann auch durchgeführte Preisgabe des Behältnisses ist oft<br />

zusätzlich gemäß § 135, das Aufbrechen gemäß § 125 strafbar. Bei der Wegnahme von Handtaschen,<br />

Brieftaschen etc ist zwischen dem Geld (§§ 127 ff), der Tasche ev. (§ 135) und den weggeworfenen<br />

Ausweispapieren (§ 229) zur differenzieren. Definition - Unrechtmäßigkeit der Bereicherung: Die<br />

Bereicherung ist unrechtmäßig, wenn der Bereicherte keinen Anspruch auf die Vermehrung seines<br />

Vermögens hat. Ob der Diebstahl im Eigen- oder Fremdinteresse begangen wird, ist gleichgültig. Es<br />

genügt, dass der Täter einen Dritten bereichern will.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 127 StGB einfacher Diebstahl<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Rechtfertigungsgründe scheiden beim Diebstahl nahezu gänzlich aus. Die Einwilligung des<br />

Gewahrsamsinhabers in die Wegnahme schließt den objektiven Tatbestand aus. Die Einwilligung des<br />

Eigentümers in die Zueignung schließt die Unrechtmäßigkeit der "Bereicherung" und damit den subjektiven<br />

Tatbestand aus.<br />

11I. Schuld: Tatvorsatz: Dolus eventualis bzgl der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache reicht.<br />

Unrechtsbewusstsein: Ein Verbotsirrtum kommt bei § 127 nicht allzu häufig in Betracht.<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Versuch: Gefordert wird der Beginn des Gewahrsamsbruch oder eine ausführungsnahe Handlung.<br />

Vollendung: Diebstahl ist mit der Begründung neuen Gewahrsams vollendet. Des Eintritts der Bereicherung<br />

bedarf es nicht. Tätige Reue gemäß § 167. Beteiligung: Funktionale Einheitstäterschaft -+ jeder Beteiligte<br />

haftet grundsätzlich nur für eigenes Unrecht und eigene Schuld. Beitragstäterschaft durch Unterlassen ist<br />

möglich. Als GarantensteIlungen kommen beim Diebstahl insb freiwillige Pflichtenübernahme und enge<br />

natürliche Verbundenheit in Betracht. Abgrenzungen: Sachbeschädigung, Veruntreuung (§ 133),<br />

Unterschlagung (§ 134), Dauernde Sachentziehung (§ 135) hier fehlt der Bereicherungsvorsatz, Unbefugter<br />

Gebrauch von Fahrzeugen (§ 136), Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischereirecht (§§ 137 ff), Raub (§§ 142<br />

f) der Räuber setzt qualifizierte Nötigungsmittel ein = entreißen eine Handtasche, Betrug (§§ 146 ff) in der<br />

Praxis häufig bei den Prüfungen gefürchtet sind die diffizilen Abgrenzungsprobleme von Diebstahl und<br />

Betrug -+ Fallkonstellationen: Ladendiebstahl =Selbstbedienungsladen, Warenhaus etc -+ Wer kleinere<br />

Dinge am Körper verbirgt begeht beim Passieren der Kasse nicht Betrug, sondern schon bereits beim<br />

Einstecken Diebstahl (beachte vertauschen der Preisetiketten ist Betrug). Trickdiebstahl =listig<br />

vorbereiteter und verdeckter Diebstahl. Maßgebendes Abgrenzungskriterium: Es kommt weniger auf den<br />

äußeren Akt des Gebens oder Nehmens an, als vielmehr auf die Willensrichtung des Opfers. Will dieses<br />

den Gewahrsam behalten, ist trotz Täuschung meist Diebstahl anzunehmen, will es dagegen - auf Grund<br />

einer Täuschung - den Gewahrsam oder das Eigentum übertragen, liegt darin idR die Vornahme der für<br />

den Betrug charakteristischen Vermögensverfügung. Missbrauch von Leistungsautomaten (§149 Abs. 2),<br />

Hehlerei (§ 164) =Wegen Hehlerei macht sich strafbar, wer sich ohne vorangehende Förderung der Vortat<br />

darauf beschränkt, die Beute nach Abschluss des Diebstahls zu übernehmen, zu transportieren, zu<br />

verstecken. Urkundendelikte (§§ 223 f bzw. § 229) Die meisten Urkunden sind nicht diebstahlsfähig<br />

(Ausnahme es sind Wertträger). Laut Teilen der L ist die Scheck und Bank 0 Mat Karte ein Wertträger wie<br />

ein vinkuliertes Sparbuch. Missbrauch der Amtsgewalt (§ 302). Konkurrenzen: Bei Betrug kann Ideal- oder<br />

Realkonkurrenz in Betracht kommen. Täuschungshandlungen (Deckungsstraftaten) können nicht zusätzlich<br />

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§ 127 StGB einfacher Diebstahl<br />

als Betrug gewertet werden =Exklusivität zugunsten des § 127. Bande und kriminelle Organisation (§§ 278,<br />

278a). Wahlfeststellung = mangels Gleichwertigkeit scheidet Wahlfeststellung mit §§ 133, 134, 135, und<br />

164 aus. Mangelnde Strafwürdigkeit der Tat: Die Heranziehung des § 42 billigt das Höchstgericht allenfalls<br />

bei Jugendlichen. Diversion ist grundsätzlich bei Ersttätern anwendbar.<br />

Delikt:<br />

§ 128 schwerer Diebstahl<br />

A. Bedrängnisdiebstahl § 128 Abs. 1 Z 1<br />

Allgemeines:<br />

I. Sonderprobleme:<br />

Definition - allgemeine Bedrängnis: Darunter versteht man ein idR plötzlich und unvorhergesehen<br />

eintretendes Ereignis, das neben dem Gewahrsamsinhaber auch andere bedroht und<br />

erfahrungsgemäß die Obhut über die Habe erschwert oder unmöglich macht. Definition - persönliche<br />

Bedrängnis: Diese unterscheidet sich von der allgemeinen Bedrängnis nur dadurch, dass das<br />

Ereignis den Gewahrsamsinhaber als Individuum betrifft und ihm nachweislich, sei es auch nur<br />

vorübergehend, die Obhut über die in seinem Gewahrsam befindlichen Sachen erschwert oder<br />

unmöglich macht. Die Tat muss während der allgemeinen oder persönlichen Bedrängnis begangen<br />

worden sein. Ausnützen eines hilflosen Zustands - Definition - Hilflosigkeit: Wer, von den Fällen der<br />

Bedrängnis abgesehen, zur Tatzeit physisch oder psychisch nicht in der Lage ist, sich gegen<br />

diebische Angriffe zur Wehr zu setzten, ist hilflos.<br />

Irrtum: Wer die Bedrängnis oder den hilfslosen Zustand des Opfers nicht bemerkt hat, ist, falls die Tat nicht<br />

sonst beschwert ist, nur gemäß § 127 zu bestrafen. Versuch ist möglich. Abgrenzungen: Wer die<br />

Bedrängnis oder Hilflosigkeit mit den Mitteln und dem Vorsatz des Räubers herbeiführt, ist idR allein gemäß<br />

§§ 142 f zu bestrafen. Konkurrenzen: Wer irrig die Qualifikation der Z 1 annimmt, ist wegen vollendeten<br />

einfachen Diebstahls in Tateinheit mit versuchtem schweren Diebstahl zu verurteilen.<br />

B. Kirchendiebstahl § 128 Abs. 1 Z 2<br />

Allgemeines:<br />

Es handelt sich um einen alternativem Mischtatbestand. Der Diebstahl muss innerhalb eines der<br />

Religionsausübung dienenden Raumes oder aus demselben erfolgen. Auch sind Sachen erfasst, die der<br />

Religionsausübung dienen, unabhängig davon wo sie sich befinden.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 128 schwerer Diebstahl<br />

Allgemeines:<br />

c. gemeinschädlicher Diebstahl § 128 Abs. 1 Z 3<br />

Es handelt sich um Diebstahl von Gegenständen die kulturell anerkannt sind. Idealkonkurrenz zwischen Z 2<br />

und Z 3 ist möglich.<br />

D. Diebstahl an Sachen, deren Wert € 2.000,·· übersteigt § 128 Abs. 1 Z 4<br />

Allgemeines:<br />

I. Sonderprobleme:<br />

Bei den Fällen des Abs. 1 Z 4 und den Abs. 2 handelt es sich um Deliktsqualifikationen. Der Umstand,<br />

dass der Wert der Beute die Wertgrenze übersteigt, muss daher vom Vorsatz umfasst sein.<br />

Wertberechnung: Es kommt auf den Wert der Sache zur Tatzeit an. Das Prinzip der differenziert-objektiven<br />

Wertberechnung. Maßgebend ist der Wert der Sachen und nicht der Schaden, den das Opfer durch die Tat<br />

insgesamt erlitten hat. Objektive Maßstäbe sind wichtig für die Wertfestlegung (Affektionsinteresse zählt<br />

nicht). In der Praxis wird unterschieden: Handelswaren = Verkaufspreis; Anlagegüter (Gold, Brillanten,<br />

Teppiche, Schmuck usw.) =der Wiederbeschaffungswert am Ort und zur Zeit der Tat für einen<br />

gleichwertigen Ersatz bzw. ein gleichwertiges Gut; gebrauchte Sachen =effektiver Zeitwert (ursprünglicher<br />

Anschaffungspreis minus Wertminderung).<br />

Versuch: Bei Versuch ist vom Gesamtwert der Sachen, die der Täter hätte stehlen wollen, auszugehen.<br />

Wertüberschreitung und Vorsatz: Bedingter Vorsatz reicht für den Umstand, dass der Wert der Beute die<br />

Wertgrenze übersteigt, aus. Beteiligung: Jeder verantwortet den gesamten Wert der Beute, dies aber nur im<br />

Rahmen seines Vorsatzes. Zusammenrechnungsgrundsatz des § 29: Es werden die Beträge von<br />

verschiedenen (bei einem sowieso klar) Diebstählen zusammengerechnet. Daher müssen die Taten auf<br />

dasselbe Grunddelikt zurückzuführen sein ~ §§ 127 bis 130 ist ok, aber nicht räuberischer Diebstahl oder<br />

privilegierter Diebstahl oder Familiendiebstahl.<br />

E. Diebstahl an Sachen, deren Wert € 40.000,·· übersteigt § 128 Abs. 2<br />

Allgemeines:<br />

Übersteigt der Wert der Beute € 40.000,--, wird die Tat zum Verbrechen. Grundsätze der Wertberechnung,<br />

Vorsatzseite und Zusammenrechnungsgrundsatz siehe Abs. 1 Z 4. Abs. 2 ist lex specialis zu Abs. 1 Z 4.<br />

Strafrecht BT<br />

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Delikt:<br />

§ 129 Diebstahl durch Einbruch oder mit Waffen<br />

A. Einbruchs- Einstieg- und Nachschlüsseldiebstahl § 129 Z 1<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Der höhere Strafsatz des § 129 kommt nur zur Anwendung, wenn der Täter schon beim Einbrechen,<br />

Einsteigen etc Diebstahlsvorsatz hatte.<br />

Definition - Gebäude: Gebäude ist ein mit Grund und Boden fest verbundenes, idR durch Dach und<br />

Wände begrenztes Bauwerk, welches das Betreten durch Menschen ermöglicht. Definition ­<br />

Transportmittel: Darunter versteht man Raumgebilde, welche zur Beförderung von Menschen oder<br />

Sachen dienen, soweit es sich nicht um bloße Behältnisse handelt. Wohnstätten sind nach der<br />

konkreten Funktion her zu bestimmen. Definition - Lagerplätze: Gemeint sind Örtlichkeiten, die<br />

erkennbar dazu dienen, Waren oder weiterzubearbeitende Materialien aufzubewahren. Definitionabgeschlossene<br />

Räume: Dies sind begehbare, durch zumindest teilweise künstliche Hindernisse<br />

gegen das Betreten durch Unbefugte gesicherte, Raumgebilde.<br />

Tathandlungen: Bei allen drei Begehungsformen (Z 1 bis 3) wird vorausgesetzt, dass die Überwindung der<br />

Diebstahlsbarriere vor der Wegnahme erfolgt. Definition - Einbrechen: Einbrechen ist die unter<br />

Überwindung eines nicht unerheblichen Widerstandes erzwungene Öffnung einer Umschließung. Ob<br />

der Täter zur Öffnung einer Umschließung nicht unerhebliche körperliche Kraft eingesetzt hat, ist Tatfrage<br />

(Leichtes Zurückbiegen einer Bretterwand genügt nicht, jedoch genügt das Aufzwängen des Fensters mit<br />

einem Schraubenzieher.) Definition - Einsteigen: Beim Einsteigen benützt der Täter nicht den üblichen<br />

Eingang, sondern eine sonstige Öffnung. Anders als beim Einbrechen muss der Täter mit dem ganzen<br />

Körper eindringen. Sonstiges Eindringen: Liegt vor wenn der Täter in vom Gesetz beschriebener Weise auf<br />

einen Verschlussmechanismus einwirkt der hinreichende Sperrfunktion besitzt. Definition Schlüssel:<br />

Schlüssel iSd § 129 Z 1-3 sind Gegenstände, die bestimmungsgemäß Öffnungs- und<br />

Schließvorgänge bewirken. Ein Schlüssel ist nachgemacht, wen er ohne Wissen und Willen des<br />

Berechtigten hergestellt bzw. zugerichtet worden ist. Definition - widerrechtlich erlangter Schlüssel: Ein<br />

Schlüssel ist widerrechtlich erlangt, wenn er dem Berechtigten oder sonstigen Gewahrsamsinhaber<br />

weggenommen, abgenötigt oder herausgelockt wurde. Definition - Mittels eines anderen nicht zur<br />

ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeuges: Diese Generalklausel erlasst alle Gegenstände,<br />

die, ohne Schlüssel zu sein, unmittelbar auf den Verschlussmechanismus einwirken und diesen<br />

ordnungswidrig in Bewegung setzen (Dietriche, Feilen, Haken, Schraubenzieher, Kneifzangen,<br />

Strafrecht ST<br />

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§ 129 Diebstahl d. Einbr. od. mit Waffen Eisenstempel). Zufällig passender Schlüssel schließt die Deliktsqualifikation des § 129 aus.<br />

11. Sonderprobleme:<br />

Vorsatzänderung: Wegen Einbruches ist zu bestrafen, wer eine Sache im Wege der Z 1 stehlen wollte, sich<br />

dann aber mit einer Sache geringeren Wertes begnügt. Wer nach dem Einbruch sich für eine andere als die<br />

ursprünglich gewollte Sache interessiert, ist trotzdem wegen Einbruchs zu verurteilen, denn es genügt<br />

globaler Diebstahlsvorsatz. Beachte: Die Qualifikation der Z 1 entfällt, wenn der Täter den<br />

Diebstahlsvorsatz erst nach dem Einbrechen, Einsteigen etc gefasst hat. Versuch: Liegt schon dann vor,<br />

wenn der Täter mit der Verwirklichung des qualifizierenden Umstandes - Einbrechen etc - beginnt. Tätige<br />

Reue nach § 167. Beteiligung: Wenn ein Beteiligter die Tat abredewidrig unter den erschwerenden<br />

Umständen der Z 1 bis 3 begeht, dann gelten die allgemeinen Regeln. Konkurrenzen: Zwischen<br />

versuchtem Raub bzw. versuchtem Diebstahl gemäß § 129 und einfachen vollendetem Diebstahl ist<br />

Idealkonkurrenz möglich. Echte Konkurrenz der einzelnen Qualifikationen des § 129 (z.B. bewaffneter<br />

Einbruch) ist häufig. Wahlfeststellung: Sie erscheint hinsichtlich der Fälle der Z 1 bis 3 aber nicht der Z 4<br />

zulässig.<br />

C. Diebstahl aus einen gesicherten Behältnis § 129 Z 2<br />

I. Tatbestand:<br />

11. Sonderprobleme:<br />

Definition - Behältnis: Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen dienendes und sie umschließendes<br />

Raumgebilde. Verschlossen: Des Behältnis muss zur Tatzeit effektive Sicherungsfunktion erfüllen, dh idR<br />

verschlossen = versperrt sein. Definition - Aufbrechen: Aufbrechen eines Behältnisses ist das Pendant<br />

zum Einbrechen in ein begehbares Raumgebilde. Dabei muss der Täter zur Öffnung einen nicht ganz<br />

unerheblichen Widerstand des Behältnisses überwinden. Definition - Öffnen: Auf einen<br />

Gewaltmoment kommt es hier nicht an. Es genügt jedes Zugänglichmachen auf den Inhalt eines<br />

Behältnisses durch Einwirken auf den Verschlussmechanismus. Das Aufbrechen bzw. Öffnen des<br />

Behältnisses muss am Tatort selbst geschehen (nicht an einen anderen Ort). Exkurs - Einbruch in<br />

Kraftfahrzeuge: Beim Diebstahl von oder aus Kraftfahrzeugen gilt, dass beides in der Regel nach Z 1 zu<br />

bestrafen ist. Der verschlossene Kofferraum oder Benzintank, das abgesperrte Handschuhfach sind<br />

Behältnisse und fallen unter den ausschließlichen Strafschutz der Z 2.<br />

Konkurrenzen: Nimmt der Täter das Behältnis samt Inhalt weg, um es außerhalb des Tatortes<br />

aufzubrechen etc, ist er - je nach Vorsatz - sowohl wegen Diebstahls des Inhalts (aber nicht gemäß § 129)<br />

als auch gemäß § 125 und uU gemäß § 135 in echter Konkurrenz zu bestrafen.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 129 Diebstahl d. Einbr. od. mit Waffen C. Diebstahl unter Überwindung einer Sperrvorrichtung § 129 Z 3<br />

Allgemeines:<br />

Die Z 3 und die Z 1 bis 2 schließen einander aus. Z 3 kommt nur zur Anwendung, wenn die Tat nicht als<br />

Einbruch in ein Gebäude etc oder als Diebstahl aus einem gesicherten Behältnis zu ahnden ist.<br />

I. Tatbestand: Definition - Sperrvorrichtung: Diese Begriff umfasst alles, was dazu dient, Sachen vor diebischem<br />

Zugriff zu schützen, und zur Tatzeit hinreichende Sicherungsfunktion erfüllt hat. Aufbrechen und<br />

Öffnen: Z 3 ist nur erfüllt, wenn der Täter die (intakte) Sperrvorrichtung aufbricht oder mit einem der in Z 1<br />

genannten Mittel öffnet.<br />

D. Diebstahl mit Waffen § 129 Z 4<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Die Begehung des Diebstahls unter Umständen, die das von vornherein einkalkulierte Risiko oder sogar<br />

den tatsächlichen Einsatz einer Waffe, insb einer Schusswaffe oder eines gleichgestellten Mittels,<br />

implizieren, ist in hohem Grade gefährlich und wird deshalb besonders gefürchtet.<br />

Definition - Waffe: Waffe ist iSd § 1 WaffG zu verstehen. Gemeint sind z.B. Stahlruten, Schlagringe,<br />

Spring- und Fallmesser. Ein besonders strafwürdiger Fall ist das Bei-sieh-Führen von Schusswaffen,<br />

wozu auch Gaspistolen gehören. Schusswaffen: Schusswaffen erfüllen auch dann den Waffenbegriff, wenn<br />

sie nicht einsatzfähig sind (funktionsuntauglich oder ungeladen). Scheinwaffen fallen nicht unter den<br />

Waffenbegriff (selbstgeschnitzter Revolver, Spielzeugpistole). Der unmittelbare Täter muss die Waffe bei<br />

der Tat, während der Ausführung, spätestens aber bei Vollendung der Wegnahme bei sich führen.<br />

Beachte: Wird die Waffe zur Wegnahme eingesetzt liegt Raub vor! Es genügt, dass ein Beteiligter, der z.B.<br />

nur aufpasst, in räumlicher - zeitlicher Nähe zum Diebstahlsgeschehen sich befindet und eine Waffe bei<br />

sich führt, die er bis zur Vollendung verwenden könnte. Subjektive Tatseite: Der unmittelbare Täter oder ein<br />

Beteiligter ist bewaffnet. Der Betreffende ist nur dann gemäß Z 4 strafbar, falls die Waffe etc mit der Absicht<br />

ihres allfälligen Gebrauchs bei dieser Tat (§ 5 Abs. 2) mit sich führt. Dabei ist es gleichgültig, ob er die<br />

Waffe etc als Gewalt- oder bloß als Drohmittel einsetzen will. Beachte: Das Bei-sieh-Führen einer<br />

Scheinwaffe kann zur Betraffung gemäß Z 4 führen, wenn der Betreffende mit der Absicht handelt, sie<br />

(notfalls) als sonstiges Mittel, z.B. als Schlaginstrument, zu gebrauchen. Der unmittelbare Täter oder ein<br />

Beteiligter ist unbewaffnet ~ Hier muss der Unbewaffnete nicht nur wissen (§ 5 Abs. 3), dass ein anderer<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 129 Diebstahl d. Einbr. od. mit Waffen Beteiligter eine Waffe bei sich führt, sondern auch, dass dies mit Gebrauchsabsicht geschieht. Ein Irrtum<br />

über das Bei-sieh-Führen oder die Gebrauchsabsicht des anderen schließt insoweit den Vorsatz und damit<br />

die Annahme der Z 4 aus.<br />

11. Sonderprobleme:<br />

Versuch: Es ist allein auf den Beginn der Wegnahme abzustellen und nicht auf einen etwaigen Einsatz der<br />

Waffe. Beteiligung: Zur Haftung unbewaffneter Beteiligter gilt das unter Tatbestand erwähnte.<br />

Abgrenzungen: Die Nötigungs- bzw. Raubnähe der Z 4 macht differenzierte Abgrenzungen gegenüber §<br />

131 und §§ 142 f erforderlich. Beachte geht der Täter von vornherein davon aus, dass er die Sache mit<br />

Hilfe der mitgeführten Waffe etc wegnehmen oder abnötigen muss, liegt schwerer Raub vor. Stößt der<br />

bewaffnete Dieb wider Erwarten auf Widerstand und gebraucht er die Waffe etc als Mittel der<br />

Sachbemächtigung, geht der bewaffnete Diebstahl in versuchten oder vollendeten schweren Raub über.<br />

Konkurrenzen: Idealkonkurrenz ist mit § 128 und 129 Z 1 bis 3 möglich. Privilegierungen: Die Nachsicht des<br />

Gesetzes gegenüber Diebstählen im Familienkreis endet bei § 129 Z 4.<br />

Delikt:<br />

§ 130 StGB gewerbsmäßiger Diebstahl und Bandendiebstahl<br />

A. gewerbsmäßiger Diebstahl § 130 Satz 1 1. Fall und Satz 2<br />

I. Tatbestand:<br />

11. Sonderprobleme:<br />

Der Begriff ist in § 70 definiert. Die Absicht (§ 5 Abs. 2) muss auf die mehr oder weniger regelmäßige<br />

Begehung von Diebstählen vergleichbarer Art über einige Zeit hinweg gerichtet sein. Das (Zusatz-)<br />

Einkommen aus den Diebstählen muss die Bagatellgrenze überschreiten.<br />

Rückfall: Eine Strafverschärfung ist nach Maßgabe des § 39 möglich. Qualifikation: § 130 Satz 2 ist erfüllt,<br />

wenn der Täter Diebstähle gemäß § 128 oder § 129 gewerbsmäßig begehen will bzw. begangen hat.<br />

Beteiligung: Die Gewerbsmäßigkeit belastet immer nur den, der dieses Merkmal verwirklicht. Nach der<br />

funktionalen Einheitstäterschaft muss jeder Täter bzw. Beteiligter in seiner Person alle objektiven und<br />

subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllen. Konkurrenzen: Gewerbsmäßiger Diebstahl kann tateinheitlieh<br />

mit den §§ 128, 129 und Bandendiebstahl zusammentreffen.<br />

Strafrecht BT<br />

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B. Bandendiebstahl § 130 Satz 1 2. Fall<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

11. Sonderprobleme:<br />

Es sind keine Bagatellediebstähle erfasst.<br />

Definition - Diebesbande: Davon spricht man, wenn sich mindestens drei Personen mit dem Vorsatz<br />

zusammenschließen, wiederholt selbstständige Diebstähle zu begehen, die im voraus nicht näher<br />

oder nur der Art nach bestimmt sind und nicht bloß geringfügig sein dürfen. Bagatelleschwelle: Ein<br />

Diebstahl ist geringfügig, wenn der Wert der Beute den für § 141 maßgebenden Betrag nicht wesentlich<br />

überschreitet. Der Betreffende muss nicht nur der Diebesbande angehören, sondern die Tat auch als<br />

Mitglied derselben begehen. Der Diebstahl muss Ausdruck der Bandenzugehörigkeit sein. Es ist<br />

gleichgültig ob das Mitglied als unmittelbarer Täter, Bestimmungs- oder Beitragstäter mitwirkt. Die<br />

Begehung muss unter Mitwirkung (§ 12) eines anderen Bandenmitglieds erfolgen, was einvernehmliches<br />

Mitagieren mindestens eines weiteren Mitgliedes voraussetzt. Die räumlich-zeitliche Anwesenheit des<br />

anderen Bandenmitgliedes am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe zur Tatzeit ist aus dem Gesetze<br />

nicht zwingend ableitbar und daher kein begriffliches Erfordernis.<br />

Gemäß § 278 Abs. 1 ist schon die Bildung einer Diebesbande strafbar, sofern die Tat (das Bandenziel) die<br />

Bagatellegrenze überschreitet. Beteiligung: Es können nur Bandenmitglieder bestraft werden.<br />

Konkurrenzen: Idealkonkurrenz mit anderen Diebstahlsqualifikationen, insb mit §§ 128 f, ist möglich und<br />

sogar die Regel. Mit Rücksicht auf das eigenständige Rechtsgut des § 278 ist echte Konkurrenz zwischen<br />

Bandenbildung und Bandendiebstahl anzunehmen.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 131 StGB räuberischer Diebstahl<br />

Das Wesen dieses Delikts besteht in der Verteidigung der Diebesbeute mit den Mitteln des Räubers.<br />

Geschütztes Rechtsgut: § 131 schützt sowohl das Eigentum als auch die Willensfreiheit.<br />

Die Bestrafung setzt einen Diebstahl als Vortat, das Betretenwerden auf frischer Tat, den Einsatz von<br />

Raubmitteln und einen spezifizierten Bereicherungsvorsatz voraus. Vortat: Die Vortat muss ein Diebstahl<br />

gemäß §§ 127 bis 130 sein. Raub scheidet als Vortat aus. Der Diebsstahl muss vollendet, dh bereits<br />

neuer Gewahrsam gegründet worden sein. Wird der Täter vor oder während der Wegnahme betreten,<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 131 StGB räuberischer Diebstahl verantwortet er Raub, wenn er Raubmittel zur weiteren Durchführung bzw. zur Vollendung der Wegnahme<br />

einsetzt. Er ist (bloß) wegen versuchten (z.B. schweren) Diebstahls in echter Konkurrenz mit §§ 105 f bzw.<br />

§ 269 zu bestrafen, wenn er nur seine Anhaltung abwenden will. Definition - Betreten auf frischer Tat: Ein<br />

Dieb ist auf frischer Tat betreten, wenn er während oder alsbald nach der Tatausführung noch am<br />

Tatort oder jedenfalls in dessen unmittelbarer Nähe angetroffen wird. Tathandlung: Definition­<br />

Einsatz von Raubmitteln: Die Tathandlung besteht in der Anwendung von Gewalt gegen eine Person<br />

(§ 142) oder in der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben. Es reicht das Vorhalten<br />

einer Gaspistole als qualifizierte Drohung. Erweiterter Vorsatz: Als subjektives Tatbestandsmerkmal<br />

verlangt das Gesetz die Absicht (§ 5 Abs. 2), sich oder einem Dritten die weggenommene Sache zu<br />

erhalten. Beachte: § 131 scheidet aus subjektiven Gründen aus, falls es dem Betretenen lediglich darauf<br />

ankommt, sich der Festnahme oder Bestrafung zu entziehen. Diese Situation ist nicht selten bei<br />

Ladendiebstählen gegeben. Insoweit bleibt es ei den §§ 127, 83 bzw. 105 f.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Kommen praktisch nicht in Betracht.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Bezüglich des Raubmitteleinsatzes genügt bedingter Tatvorsatz (§ 5 Abs. 1)<br />

Qualifikationen: Zieht die Gewaltanwendung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85) nach<br />

sich oder den Tod eines Menschen (§ 7 Abs. 2), droht eine strengere Strafe. Versuch: Bein vollendeter<br />

Vortat, aber bloß versuchter Gewaltanwendung konkurrieren §§ 15, 131 und §§ 127 ff idealiter. Beim<br />

strafbefreiendem Rücktritt vom räuberischen Diebstahl bleibt Bestrafung gemäß §§ 127 f übrig, es sei denn,<br />

dass insoweit § 167 vorliegt. Vollendung: § 131 ist mit dem Einsatz des Raubmittels vollendet. Im<br />

Unterschied zu § 142 also auch dann, wenn es dem Täter nicht gelungen ist, seine Beute zu behaupten.<br />

Tätige Reue ist strittig. Beteiligung: Fehlt das Einverständnis über den etwaigen Einssatz von Raubmitteln<br />

zur Verteidigung der Beute, kann von mehreren Dieben der eine nur gemäß §§ 127 ff, der andere aber<br />

gemäß § 131 haften. Abgrenzungen: Maßgebend zum Raub (§§ 142 f) ist nach traditioneller Auffassung die<br />

Vollendung der Wegnahme. Raubmitteleinsatz zur Erlangung des Gewahrsams ist meist als Raub, ab<br />

Begründung des neuen Gewahrsams ist die Verteidigung der Beute idR gemäß § 131 zu beurteilen.<br />

Konkurrenzen: Wer im Zuge eines räuberischen Diebstahls seinem Opfer Körperverletzungen zufügt, die<br />

nicht den höheren Strafsatz des § 131 2. Fall bedingen, ist nicht gesondert nach §§ 83, 84, 88 zu bestrafen<br />

(sind im Delikt abgegolten). Wahlfeststellung: Zwischen § 142 und § 131 scheidet aus. Nach dem<br />

Grundsatz in dubio pro reo ist in solchen Fällen gemäß § 131 zu bestrafen. Privilegierungen: §§ 141 und<br />

Strafrecht BT<br />

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166 sind ausdrücklich ausgeschlossen.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 133 5tGB Veruntreuung<br />

Es handelt sich um ein Delikt mit überschießender Innentendenz. Identitätstheorie: Was nicht gestohlen<br />

werden kann, kann auch nicht veruntreut werden (strittiger Ansatz). Treubruchstheorie: In eigentlichen<br />

Vertrauensbruch liegt das Strafwürdige der Tat. -+ Vermögensbezügliche Treubruchstheorie. Die Tat wird<br />

als Vermögensdelikt verstanden. Strittig, da auch unkörperliche Vermögensbestandteile (wie Forderungen)<br />

miteinbezogen werden könnten -+ Sachbezügliche Treubruchstheorie = Zufolgen ist daher der von<br />

Lammasch schon für das StG entwickelten sachbezüglichen Treubruchstheorie.<br />

Geschütztes Rechtsgut ist danach nicht das Vermögen schlechthin, sondern - wie bei § 127 und § 134 ­<br />

das Eigentum. Tatobjekt ist ausschließlich eine fremde Sache. Der charakteristische Unwert der<br />

Veruntreuung liegt darin, dass der Täter eine tatsächliche Verfügungsmöglichkeit über eine fremde Sache<br />

zu einer treuwidrigen sachbezüglichen Disposition ausnützt (treuwidrige Verwahrung).<br />

Tatobjekt: Anvertrautes Gut ist stets ein körperlicher Gegenstand (Sache). Die Sache muss beweglich sein.<br />

Die Sache muss einen nicht unerheblichen Tauschwert besitzen. Urkunden werden wie bei § 127 nur die<br />

eigentlichen Wertträger, nicht aber bloße Forderungsträger erfasst. Fremdheit wird nicht ausdrücklich<br />

erwähnt, wird aber vorausgesetzt. Definition - fremde Sache: Eine Sache ist fremd (iSd §§ 133 f), wenn<br />

sie entweder im (juristischen) Eigentum eines anderen steht oder zumindest wirtschaftlich nicht<br />

zum freien Vermögen des Täters gehört (z.B. Treunehmer kann sich gemäß § 133 strafbar machen,<br />

wenn er mit der ihm anvertrauten Sache treuwidrig verfährt, obwohl er als Treuhänder (Sicherungsnehmer)<br />

volles, dh juristisches Eigentum erlangt hat.) Definition - Anvertrauen: Eine Sache ist anvertraut, wenn<br />

sie im exklusiven Gewahrsam einer Person steht, welche verpflichtet ist, die Sache im fremden<br />

Interesse zu verwahren, zurückzustellen oder an Dritte weiterzuleiten, wobei Anvertrauender und<br />

Berechtigter nicht ident sein müssen. Definition - exklusiver Gewahrsam: Exklusiver Gewahrsam ist<br />

idR mit Alleingewahrsam identisch und bedeutet, dass jedenfalls der Anvertrauende vom<br />

Gewahrsam gänzlich ausgeschlossen sein muss. Das Bestehen bloß nachgeordneten (Mit-)<br />

Gewahrsams eines Dritten schließt eine Veruntreuung durch den Inhaber des übergeordneten Gewahrsams<br />

nicht aus. Der exklusive Gewahrsam muss auf legale Art und Weise begründet worden sein. Sachbezogene<br />

Fürsorgepflicht: Indem er die Sache im Fremden Interesse verwahren, zurückstellen oder an Dritte<br />

weiterleiten muss, hat er bestimmte sachbezügliche Fürsorgepflichten übernommen. Die sachbezügliche<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 133 StGB Veruntreuung Fürsorgepflicht betrifft das Innenverhältnis (zivilrechtliche gültige Begründung ist nicht erforderlich).<br />

Tathandlung: Definition - Zueignung: Zueignung (iSd §§ 133 f) umfasst alle Handlungen, mit denen der<br />

Täter die Sache oder ihren wirtschaftlichen Wert zumindest zeitweilig in das eigene Vermögen oder<br />

das eines Dritten überführt. Vorübergehender Gebrauch begründet keine Zueignung. Die Vernichtung<br />

einer Sache ist das Gegenteil einer Zueignung. Zueignung und Manifestation: Danach muss sich der<br />

Zueignungswille in einer objektiv =äußerlich erkennbaren Handlung von hinreichend indizieller Bedeutung<br />

manifestieren (~ Trennung zwischen bloß treuwidrigm Gesinnung und treuwidriger Handlung).<br />

Rechtsgeschäftliche Zueignungsakte: ParadebeispielH sind Verkauf, Tausch, Schenkung, Übereignung<br />

usw. Beachte: Die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäft schließt § 133 nicht aus, weil schon ein bloß<br />

tatsächlicher Zueignungsakt genügt. Tatsächliche Zueignungsakte: Als solche kommen Verzehr,<br />

Verarbeitung, Vermengung, vor allem Aneignung anvertrauten Geldes in Betracht. Sonstige Probleme:<br />

Begehung durch Unterlassen ist nicht möglich, da die Zueignung ein aktives Tun voraussetzt =schlichtes<br />

Tätigkeitsdelikt. Die Zueignungshandlung muss der Begründung des Treueverhältnisses nachfolgen. Es<br />

kann nur der Veruntreuung begehen, der im Zeitpunkt der Vornahme der Zueignungshandlung noch<br />

exklusiven Gewahrsam an der Sache hat. Bereicherungsvorsatz: Der Täter muss im Zeitpunkt der<br />

Zueignungshandlung mit Bereicherungsvorsatz handeln. Auslegung und Grenzen: Definition - erweiterter<br />

Vorsatz: Mit dem erweiterten Vorsatz des § 133 handelt, wer sein Vermögen oder das eines Dritten<br />

zumindest zeitweilig um die anvertraute Sache oder ihren wirtschaftlichen Wert unrechtmäßig<br />

vermehren will. Filterfunktion des Bereicherungsvorsatzes: Ohne Bereicherungsvorsatz handelt, wer keine<br />

Vermögensvermehrung herbeiführen will, sondern ausschließlich andere Zwecke verfolgt. Ebenso, wenn<br />

der Täter irrtümlich annimmt, zum Nutzen des Berechtigten zu handeln. Dasselbe gilt für den, der die<br />

Bereicherung nicht unmittelbar durch die Sache selbst, sondern nur durch sonstige Auswirkungen seines<br />

Tuns erzielen will (§ 127). Wer sich eine anvertraute Sache zueignet, die er irrtümlich schon zu seinem<br />

Vermögen zählt, handelt ohne Bereicherungs- und auch ohne Tatvorsatz. Unrechtsmäßigkeitskorrektiv: Die<br />

vom Täter gewollte Bereicherung ist unrechtmäßig, wenn der Bereicherte keinen Anspruch auf die<br />

Vermehrung seines Vermögens hat. Ganz allgemein kann der Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung bei §<br />

133 entfallen, wenn der Täter einen Anspruch auf die Vermögensvermehrung hat oder zumindest zu haben<br />

glaubt.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Eine Einwilligung des Berechtigten in die Zueignung lässt den erweiterten Vorsatz und damit bereits den<br />

Tatestand des § 133 entfallen. Nachträgliche Genehmigung rechtfertigt nicht.<br />

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§ 133 StGB Veruntreuung<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Qualifikationen:<br />

V. Sonderprobleme:<br />

Der Tatvorsatz muss im Zeitpunkt der Zueignung vorliegen, wobei dolus eventualis (§ 5 Abs. 1) genügt.<br />

Bei den Beiden Deliktsqualifikationen des § 133 Abs. 2 muss die Überschreitung der Wertgrenze vom<br />

Vorsatz umfasst sein.<br />

Versuch: Ein Versuch der Veruntreuung vor Erlangung des Gewahrsams ist auszuschließen und schränkt<br />

auch sonst dessen Annahme weitgehend ein. Vollendung: § 133 ist mit der Manifestation der Zueignung<br />

vollendet. Der Eintritt der Bereicherung gehört nicht mehr zu Tatbestand. Tätige Reue siehe § 167.<br />

Beteiligung: § 133 ist ein Sonderdelikt. Das Anvertraut sein gehört zu den besonderen persönlichen<br />

Verhältnissen iSd § 14 Abs. 1 und daher kann unmittelbarer Täter nur ein Intraneus sein. Beachte: ISd<br />

Prinzips der funktionalen Einheitstäterschaft ist wegen Beteiligung an der Veruntreuung nur zu bestrafen,<br />

wer selbst mit Bereicherungsvorsatz gehandelt hat. Abgrenzungen: Diebstahl::; Zwischen § 127 und § 133<br />

besteht Exklusivität. Der maßgebliche Unterschied betrifft die Gewahrsamslage im Zeitpunkt der<br />

Zueignung. § 127 setzt den Bruch von (Mit-) Gewahrsam voraus, wobei die Zueignung idR mit der<br />

Wegnahme zusammenfällt. Der Veruntreuende dagegen eignet sich eine Sache zu, deren exklusiven<br />

Gewahrsam er zur Tatzeit bereits besitzt. Unterschlagung (§ 134) ::; Es besteht Exklusivität; Der<br />

Veruntreuende hat den Gewahrsam durch Anvertrauen, der Unterschlagende auf andere Weise erhalten.<br />

Unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen (§ 136), es gibt nur wenig Berührungspunkte. Betrug (§§ 146 ff) ::;<br />

Diese Abgrenzung ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Wer mit betrügerischem Vorsatz bewirkt,<br />

dass ihm eine Sache anvertraut wird, begeht idR schon dadurch Betrug. Deshalb ist wegen Betruges<br />

strafbar, wer schon von Anfang an die übernommenen Gelder nicht an die Bausparkasse weiterleiten, den<br />

Mietwagen nicht zurückgeben, die Kommissionsware für eigene Rechnung verwerten will. Dass mitunter<br />

mangels Erweislichkeit des Betrugsvorsatzes § 133 übrig bleibt, steht auf einem anderen Blatt. Untreue (§<br />

153 -+ betrifft die Verwaltung nicht wie hier die Verwahrung). Hehlerei (§ 164) Hehlerei an einer<br />

veruntreuten Sache ist logisch und begrifflich erst nach Vollendung der Veruntreuung möglich.<br />

Amtsmissbrauch (§ 302) ::; Ein Beamter der im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung anvertrautes Geld<br />

sich zueignet, ist ausschließlich gemäß §§ 133, 313 zu bestrafen. Konkurrenzen: Der Tatbestand des § 133<br />

entfällt, wenn sich der Täter der Sache zuvor bereits durch ein anderes Delikt (§§ 127 ff, 142 f 144 f, 146 f)<br />

bemächtigt hat. Echte Konkurrenz ist mit §§ 223 f in form Ideal- oder Realkonkurrenz möglich.<br />

Privilegierungen: Vgl §§ 141 und 166. Wahlfeststellung: Eine Wahlfeststellung mit Diebstahl,<br />

Unterschlagung, Betrug, Untreue oder Hehlerei scheidet aus.<br />

Strafrecht BT<br />

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Delikt:<br />

§ 134 Unterschlagung<br />

A. Fundunterschlagung § 134 Abs. 1 1. Fall<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Die traditionelle Fundunterschlagung bedroht den unredlichen Finder mit Strafe, verpflichtet aber den<br />

Entdecker einer verlorenen Sache nicht, sich um diese zu kümmern.<br />

Tatobjekt: Alle Unterschlagungsformen setzten als Tatobjekt ein fremdes Gut voraus. Eine Sache iS eines<br />

körperlichen Gegenstandes. Nur bewegliche Sachen können gefunden und unterschlagen werden. Die<br />

Sache muss einen nicht völlig unerheblichen Tauschwert besitzen. Beachte: Urkunden ohne<br />

Wertträgereigenschaft fallen unter § 229 (aber nicht ein vinkuliertes anonymes Sparbuch). Definition ­<br />

Fremdheit, wirtschaftlicher Eigentumsbegriff: Eine Sache ist fremd, wenn sie entweder im (juristischen)<br />

Eigentum eines anderen steht oder zumindest wirtschaftlich nicht zum freien Vermögen des Täters<br />

gehört. Herrenlose (derelinquierte) Sachen scheiden mangels Fremdheit als Tatobjekt aus. Art der<br />

Gewahrsamsbegründung ist finden. Finden ist ein Realakt und erfordert das Ansichnehmen einer<br />

verlorenen Sache. Zweistufiges Prüfverfahren: 1. Unfreiwilliger Verlust des bisherigen Gewahrsams =<br />

Sachen werden unfreiwillig liegengelassen, verloren. Bloß verlegte, vergessene Sachen scheiden aus.<br />

Entlaufene oder entflogene Haustiere sind verlorene Sachen. Die vom Dieb, Räuber, Betrüger etc<br />

weggeworfene heiße Ware ist idR keine verlorene Sache, denn der letzte Gewahrsaminhaber (wenn auch<br />

unredliche) hat den Gewahrsam freiwillig aufgegeben. ~ Ein Finder hätte sich nur wegen versuchter<br />

Unterschlagung zu verantworten. 2. Gewahrsamsfreiheit = Unfreiwilliger Gewahrsamsverlust alleine reicht<br />

nicht aus. Die Sache muss darüber hinaus im Zeitpunkt des Findens gewahrsamfrei, dh in niemandes<br />

Gewahrsam sein. Tathandlung: Wie bei § 133 umfasst Zueignung alle Handlungen, mit denen der Täter die<br />

Sache oder ihren wirtschaftlichen Wert zumindest zeitweilig in das eigene Vermögen oder das eines Dritten<br />

überführt. Bereicherungsvorsatz: Die Ausführungen zum erweiterten Vorsatz des § 133 gelten<br />

entsprechend.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Es gibt kein Recht des Finders, sich Fundgegenstände anzueignen (auch bei Kleinfund).<br />

11I. Schuld:<br />

Für Tatvorsatz genügt bedingter Vorsatz. Unrechtsbewusstsein: Ein Verbotsirrtum ist bei Jugendlichen oft<br />

nicht vorwerfbar (§ 9).<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 134 Unterschlagung<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Versuch: Bloßes vorenthalten genügt nicht, ebenso wenig vorübergehender Eigengebrauch. Vollendung:<br />

Leugnet oder verschweigt der Finder den Besitz gegenüber dem nachfragenden Verlierer, liegt darin idR<br />

bereits die vollendete Tat. Tätige Reue gemäß § 167. Beteiligung: Unmittelbarer Täter kann nur der Finder<br />

sein. Abgrenzungen: Diebstahl und Unterschlagung schließen einander aus (Exklusivität). Veruntreuung =<br />

eine gefundene Sache wird durch das bloße Aufheben nicht zu einer anvertrauten. Wahlfeststellung:<br />

Bezüglich der Deliktsfälle des § 134 ist sie zulässig, nicht aber mit §§ 127,133 oder 164. Mangelnde<br />

Strafwürdigkeit der Tat: Oft gemäß Abs. 1 Fälle die im Bagatellebereich sind. Insoweit großzügig<br />

Anwendung des § 42 bzw. der Vorschriften des JGG geboten.<br />

B. Gelegenheitsunterschlagung § 134 Abs. 1 2. und 3. Fall<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Hier nutzt der Täter die günstige Gelegenheit, die sich ihm dadurch bietet, dass eine fremde Sache durch<br />

Irrtum oder sonst ohne sein Zutun in sein Gewahrsam geraten ist, zu rechtswidriger Zueignung.<br />

Tatobjekt ist ein fremdes Gut. Forderungen und sonstige unkörperliche Vermögensbestandteile können<br />

weder veruntreut noch unterschlagen werden. Beachte: Eine Fehlüberweisung auf ein Bankkonto<br />

(Giralgeld) ist kein Gut. Somit begeht der Erhalter keine Unterschlagung (eine Forderung kann gegen ihn<br />

geltend gemacht werden). Art der Gewahrsamsbegründung: Durch Irrtum in den Gewahrsam des Täters<br />

geraten (§ 134 Abs. 1 2. Fall) oder sonst ohne Zutun des Täters in seinen Gewahrsam geraten (§ 134 Abs.<br />

1 3. Fall). Maßgebend ist, ob aus der Sicht des Täters eine zufällige Gewahrsamserlangung (=<br />

Gelegenheitsunterschlagung) oder eine einvernehmliche Gewahrsamsübertragung (= Veruntreuung)<br />

stattgefunden hat.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Keine problematischen Konstellationen bisher aufgetreten.<br />

111. Schuld:<br />

Tatvorsatz: Bedingter Vorsatz genügt. Die Strafbarkeit gemäß § 134 Abs. 1 2. und 3. Fall hängt insb davon<br />

ab, ob und wann der Täter die unterschlagungsbegründenden Umstände erkannt hat.<br />

Unrechtsbewusstsein: Bei Sachen geringen Werts ist oft das Unrechtsbewusstsein problematisch und ein<br />

nicht vorwerfbarer Verbotsirrtum (§ 9) denkbar.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 134 Unterschlagung<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

c. Anschlussunterschlagung § 134 Abs. 2<br />

Als Anschlussunterschlagung erfasst das StGB die anschließende Zueignung von fremden beweglichen<br />

Sachen, die der Täter zunächst ohne strafbarkeitsbegründenden Erwerbsvorgang in seinen Gewahrsam<br />

gebracht hat.<br />

Tatobjekt: Fremdes Gut. Auch bei diesem Deliktsfall sind ausschließlich fremde bewegliche Sachen<br />

gemeint (nicht aber Forderungen). Art der Gewahrsamsbegründung: Ohne Zueignungsvorsatz in den<br />

Gewahrsam des Täters gebracht. Zunächst müssen bei weiterer Auslegung jene Gesichtspunkte<br />

herausgearbeitet werden, die eine Heranziehung des § 134 Abs. 2 ausschließen würden (Exklusivität).<br />

Ebenso wenig findet § 134 Abs. 2 Anwendung, falls schon die Begründung des Tätergewahrsams mit<br />

Zueignungs- (bzw. Bereicherungs-) vorsatz erfolgte. Auch scheiden jene Fälle aus, in denen der Täter den<br />

Gewahrsam einvernehmlich mit dem Berechtigten erlangt hat. Fallgruppen: Anschlussunterschlagung nach<br />

rechtmäßiger Gewahrsamsbegründung = Zöllner unterschlagt anschließend. Anschlussunterschlagung<br />

nach rechtswidriger Gewahrsamsbegründung = Täter hat die fremde Sache zuvor durch straflose<br />

Gebrauchsanmaßung erlangt und unterschlägt anschließend. Wer unbefugt ein Kfz in Gebrauch nimmt und<br />

es sich später zueignet, sei es, dass er es zunächst zurückstellen wollte, sei es, dass ihm der Vorsatz zum<br />

Diebstahl für den Zeitpunkt der Wegnahme nicht nachgewiesen werden kann, ist gemäß § 134 Abs. 2 zu<br />

bestrafen. Dasselbe gilt für nachträgliche Zueignung von Zubehör oder mitgeführten Sachen aus einem<br />

unbefugt in Gebrauch genommenen Kfz. Wer sich nach dem Auftanken entschließt davonzufahren, ohne zu<br />

zahlen, ist gemäß § 134 Abs. 2 strafbar. Tathandlung -+ Beachte: Bei zunächst nur unbefugtem Gebrauch<br />

eines Kfz kann oft zweifelhaft sein, wann die Tat des § 136 (unbefugter Gebrauch) zusätzlich eine<br />

Anschlussunterschlagung begründet. Verkaufen, Verschenken, Umlackieren, Ausschleifen der<br />

Motornummer reichen allemal (Beachte weitere Indizien zur Manifestation). Bereicherungsvorsatz: Der<br />

Täter muss mit erweitertem Vorsatz handeln, sich oder den Dritten unrechtmäßig zu bereichern.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Rechtfertigungsgründe kommen nur ausnahmsweise in Betracht.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Dolus eventualis genügt (§ 5 Abs. 1). Unrechtsbewusstsein vergleiche Abs. 1.<br />

Beachte die Deliktsqualifikationen des Abs. 3. Abgrenzungen: Amtsmissbrauch und Hehlerei -+ siehe §<br />

133. Konkurrenzen: Im Verhältnis zu § 136 besteht echte Konkurrenz, wenn der Täter nachträglich die<br />

Strafrecht BT<br />

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Zueignung beschließt.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 135 StGB dauernde Sachentziehung<br />

§ 135 bezweckt, Straflücken im Umfeld von Sachbeschädigung und Diebstahl zu schließen.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Schutz des Eigentums, nicht des Gewahrsams. Es handelt sich um ein<br />

Erfolgsdelikt.<br />

Tatobjekt eine fremde bewegliche Sache. Definition - Sache: Nur bewegliche und körperliche<br />

Gegenstände. Forderungen und alle sonstigen Rechte scheiden wie bei den §§ 125 und 127 aus. Die<br />

Sache muss zumindest einen nicht völlig unerheblichen Gebrauchswert haben (nicht Tauschwert -+ auch<br />

das Affektionsinteresse wird berücksichtigt). Urkunden generell nach dem § 229 außer sie sind zugleich<br />

Wertträger (etwa anonyme Sparbücher; bei bloßen Forderungsträgern gilt allein § 229). Die Sache muss<br />

beweglich sein. Für die Fremdheit ist der juristische Eigentumsbegriff maßgebend (-+ alleineigene und<br />

herrenlose Sachen scheiden aus). Tathandlung und Erfolg: Tathandlung und Erfolg werden im Begriff der<br />

Schädigung zusammengefasst. Gewahrsamsbruch: Da die Sache zum Zeitpunkt des Entziehens im<br />

Gewahrsam eines anderen ist, wird wie bei § 127 der Bruch des Gewahrsams eines anderen<br />

vorausgesetzt. Definition - dauernde Entziehung: Die Rspr macht die Annahme einer dauernden<br />

Sachentziehung davon abhängig, ob durch die Tat ein überproportionales Rückerlangungsrisiko, dh<br />

eine Situation eingetreten ist, welche die Rückerlangung der Sache nach dem gewöhnlichen Lauf<br />

der Dinge ernstlich in Frage stellt. Standartfälle: Wegwerfen eines Zündschlüssels in ein<br />

unübersichtliches Gelände; eigenmächtiges Entrümpeln einer fremden Wohnung; Wegwerfen oder<br />

Verstecken fremder Taschen; Aber: Wegwerfen eines Kfz-Kennzeichens fällt unter § 229. Der Täter nimmt<br />

eine fremde Brieftasche (Handtasche etc) an sich, die er nach Aneignung des Geldes samt Ausweisen und<br />

Fahrzeugpapieren wegwirft -+ bei entsprechendem Vorsatz idR Anklage gemäß § 127 (Geld), § 135<br />

(Brieftasche) und § 229 (Papiere).<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Gegenüber unbotmäßigen Kindern kann § 135 als elterliche Erziehungsmaßnahme gerechtfertigt sein.<br />

111. Schuld:<br />

Tatvorsatz: Dolus eventualis genügt. Zeitpunkt: Der Täter muss den Vorsatz, die Sache dauernd aus dem<br />

Gewahrsam eines anderen zu entziehen, schon beim Beginn der Entziehungshandlung gefasst haben.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 135 StGB dauernde Sachentziehung<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Qualifikationen: Bezüglich der beiden Wertqualifikationen des Abs. 2 gilt § 7 Abs. 1. Versuch: ist möglich.<br />

Vollendung: Erhält der Berechtigte die Sache zufällig zurück, steht dies der Vollendung des § 135 nicht<br />

entgegen. Tätige Reue gemäß § 167 möglich. Beteiligung: Beim mehreren Beteiligten kommt es<br />

entscheidend auf die innere Tatseite an. Denkbar ist, dass der eine gemäß §§ 127 ff, die anderen aber<br />

gemäß § 135 bzw. § 136 strafbar sind. Abgrenzungen: Wegnahme von Kraftfahrzeugen (§ 136).<br />

Sachbeschädigung (§§ 125 f) =in Grenzfällen entscheidet die Willensrichtung. Urkundenunterdrückung (§<br />

229) = der § 135 ist ausgeschlossen. Das Wegwerfen, Zerreißen, Verbrennen etc fremder Kfz- oder<br />

Ausweispapiere uä ist ausschließlich gemäß § 229 zu bestrafen (gilt auch für das amtliche Kfz Kennzeichen<br />

entgegen der Judikatur). Konkurrenzen: Idealkonkurrenz mit §§ 142 f, § 127 und § 295 möglich. War der<br />

Täter von vornherein auf unbefugten Gebrauch und anschließende Preisgabe des Kfz, des Inhalts oder der<br />

Ladung gerichtet, ist echte Konkurrenz von § 135 und § 136 anzunehmen. In dubio pro reo: Lässt sich nicht<br />

feststellen, ob der Täter beim Bruch des Gewahrsams mit dem erweiterten Vorsatz der §§ 127 ff bzw. 142 f<br />

oder bloß mit dem Vorsatz des § 135 gehandelt hat, ist er nach dem insgesamt milderen Delikt des § 135,<br />

uU in Tateinheit mit § 105 zu verurteilen. Mangelnde Strafwürdigkeit: siehe § 42.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 136 5tGB unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen<br />

Geschütztes Rechtsgut: Geschützt ist die jederzeitige Verfügungsmacht über das Fahrzeug als<br />

Fortbewegungsmittel. Abgestellt wird auf den Berechtigten und nicht auf den Halter oder Eigentümer. Es<br />

handelt sich um ein Dauerdelikt.<br />

I. Tatbestand: Definition - Tatobjekt: Tatobjekte sind Fahrzeuge, die zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet<br />

und zur Fortbewegung von Menschen bestimmt oder geeignet sind. Ob sich das Fahrzeug zu Lande,<br />

zu Wasser oder in der Luft bewegt, macht keinen Unterschied. Es muss über einen eigenen maschinellen<br />

Antrieb verfügen (z.B. Baustellen - Kräne, Pistenfahrzeuge, Schneemobile, Motorboote, Straßenbahnen.<br />

Aber nicht Fahrräder, Sessellifte, Aufzüge, Kettenkarussell, Handrasenmäher). Ein momentaner Defekt<br />

(oder Treibstoffmangel) steht der Anwendung des § 136 nicht entgegen. Tathandlung: Der Täter nimmt das<br />

Fahrzeug ohne Einwilligung des Berechtigten in Gebrauch. Definition - in Gebrauch nehmen: Erforderlich<br />

ist die Benutzung des Fahrzeuges als Fortbewegungsmittel. Eine bestimmte Mindestdauer des<br />

Gebrauchs ist nicht vorausgesetzt. Ausschlaggebendes Kriterium des § 136 ist, dass der Täter das<br />

Fahrzeug von vornherein nur vorübergehend und in einer Weise benutzt bzw. benutzen will, dass es nach<br />

Strafrecht BT Seite 72 von 147


§ 136 StGB unbef, Gebr. v. Fahrzeugen der allgemeinen Lebenserfahrung alsbald wieder in den Gewahrsam des berechtigten zurückgelangt. Die<br />

Zäsur zum den §§ 127 ff liegt primär im subjektiven Bereich und betrifft den Zueignungs- (und<br />

Bereicherungs-) vorsatz. Gegenüber dem § 135 kommt es darauf an ob der Täter das Fahrzeug nur<br />

vorübergehend gebrauchen oder den anderen durch die dauernde Sachentziehung schädigen will. Ob die<br />

Ingebrauchnahme mit oder ohne Bruch des Gewahrsams geschieht, macht bei § 136 keinen<br />

Unterschied. Die Tat kann daher auch in Bezug auf anvertraute oder gewahrsamsfreie, z.B. vom Dieb<br />

verlassene Fahrzeuge begangen werden. Durch Ingebrauchhalten macht sich auch der weiterbenutzende<br />

Dritte strafbar. Definition - Berechtigter: Das ist jeder, dem eine eigene Befugnis zusteht, das Fahrzeug<br />

als Fortbewegungsmittel zu benutzen und andere vom Gebrauch auszuschließen (Berechtigter =<br />

Eigentümer, Halter, Mieter, Leasingnehmer -+ gegenüber einem Rechtsbesitzer könnte sich der<br />

Eigentümer auch strafbar machen). Einwilligung: Der Täter muss das Fahrzeug ohne, aber nicht<br />

notwendiger Weise gegen den Willen des Berechtigten in Gebrauch nehmen. Bei Überschreitung der<br />

Gebrauchserlaubnis muss die Gesamtsituation berücksichtigt werden. Die Anwendung der § 136 auf diesen<br />

Fall bedarf Fingerspitzengefühl (in dubio pro reo -+ fremdnützige Gebrauchserlaubnis =Auto beim Service,<br />

Probefahrt, geringer Spielraum; eigennützige Gebrauchserlaubnis =Mieter und Leasingnehmer ­<br />

Überschreitungen sind meist straflos)<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Im Einzelfall kann rechtfertigender Notstand oder mutmaßliche Einwilligung eingreifen.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Qualifikationen:<br />

V. Strafausschließunggründe:<br />

Tatvorsatz: Bedingter Vorsatz auf vorübergehende Benutzung genügt.<br />

§ 136 Abs. 2 berücksichtigt insb den erhöhten modalen Unwert, bei § 136 Abs. 3 den erhöhten<br />

Erfolgsunwert. Der Abs. 2 überträgt die im §§ 129 bis 131 bezeichneten Deliktsqualifikationen auf den<br />

unbefugten Gebrauch von Fahrzeugen (Einbruch, gewerbsmäßige Tatbegehung, räuberischer Gebrauch<br />

von Fahrzeugen). In Abs. 3 sind Erfolgsqualifikationen gegeben. Der Täter muss solche Folgen daher<br />

wenigstens fahrlässig verursacht, wenn auch nicht unmittelbar selbst bewirkt haben. Vorsätzliche<br />

Beschädigung wird somit von Abs. 3 auch erfasst. Schadenshöhe: Reparabler Schäden sind die<br />

Reparaturkosten zu Grunde zulegen, bei irreparablen Schäden der Zeitwert zu Beginn der<br />

Ingebrauchnahme.<br />

1. Angehörigenprivileg: Der Berechtigte muss ein naher Angehöriger, insb Ehegatte, Elternteil, Bruder,<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 136 StGB unbef, Gebr. v. Fahrzeugen Schwester (auch ohne Hausgemeinschaft) oder wenigstens ein solcher Angehöriger (§ 72) sein, mit dem<br />

der Täter zur Tatzeit, wenn auch nur vorübergehend, in Hausgemeinschaft lebt.<br />

2. Dienstnehmerprivileg: DN, die die Gebrauchserlaubnis der ihnen anvertrauten Fahrzeuge überdehnen,<br />

bleiben straffrei. Es soll die dienstrechtliche Konsequenz genügen. Beachte: Bloß fallweise Überlassung<br />

des Kfz begründet kein Anvertrautsein und daher kein Dienstnehmerprivileg.<br />

VI. Sonderprobleme:<br />

Versuch: Betroffen sind Handlungen, dies das Fahrzeug in Bewegung setzen sollen oder dem unmittelbar<br />

vorangehen (§ 15 Abs. 2). Vollendung: IdR ist § 136 vollendet, wenn sich das Fahrzeug in Bewegung<br />

gesetzt hat. Als Dauerdelikt ist die Tat erst mit der definitiven Freigabe des Fahrzeuges tatsächlich<br />

beendet. Tätige Reue ist im § 167 nicht vorgesehen. Beteiligung: Als unmittelbarer Täter kommt nur in<br />

Betracht, wer von Anfang an oder später (Dauerdelikt) die Lenkung des Fahrzeuges übernommen hat. Bei<br />

den übrigen Beteiligten ist zwischen Bestimmungs- bzw. Beitragstäter zu unterscheiden. Konkurrenzen:<br />

Sachbeschädigung =echte Konkurrenz möglich; Diebstahl =könnte Idealkonkurrenz vorliegen; Nötigung<br />

(§§ 105 ff) = Wer ein Kfz mit bloßem Gebrauchsvorsatz abnötigt, begeht keinen Raub, ist aber bei<br />

räuberischen Mitteln gemäß § 136 Abs. 2 oder sonst gemäß §§ 105 f in Tateinheit mit § 136 zu bestrafen.<br />

Wahlfeststellung: Scheidet sowohl mit §§ 127 ff, 133 und 134 als auch mit § 135 aus.<br />

Mangelnde Strafwürdigkeit der Tat: Hat der Gebrauch nur kurze Zeit gedauert, wurde die Tat im<br />

jugendlichen Übermut begangen oder liegen sonst besondere Umstände vor, ist zumal bei Ersttätern, § 42<br />

großzügig anzuwenden.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 141 Entwendung (Im jeweiligen Delikt §§ 127,133,134,135 mitprüfen)<br />

Die Entwendung dient der Privilegierung geringfügiger Vermögensdelikte unter der Voraussetzung, dass die<br />

Tat aus verzeihlichen Motiven begangen worden ist.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das Vermögen, teils als Eigentum, teils in Form bestimmter spezialisierter<br />

Vermögenswerte. Bei Ladendiebstahl wird der § 141 unterschiedlich angewendet (eher restriktiv).<br />

A. Entwendung § 141 Abs. 1 bis 3<br />

I. Tatbestand:<br />

Tatobjekt ist eine Sache geringen Wertes. Sie wird in der Regel fremd sein. Maßgebend ist der Wert der<br />

Sache im Zeitpunkt der Tat. Wertobergrenze ist ca € 70,--. Schon nach dem Wortlaut scheidet bei mehreren<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 141 Entwendung Entwendungen eine Zusammenrechnung aus. Hat der Täter jedoch durch fortgesetzte Tat (ein und dieselbe<br />

Tat) die Geringwertigkeitsgrenze des § 141 überschritten, so kommt Diebstahl in Betracht. Bei Beteiligung<br />

mehrerer stellt die hM auf die Gesamtbeute ab. Tathandlung und erweiterter Vorsatz: Es muss der gesamte<br />

objektive und subjektive Tatbestand des jeweiligen entwendungsbegründenden Delikts (§§ 127, 133, 134<br />

etc) erfüllt sein. Daher darf nicht vorschnell bezüglich des § 141 privilegiert werden, was nicht einmal den<br />

Tatbestand der §§ 127, 133, 134 etc erfüllt (Zuerst das mögliche Delikt prüfen und danach privilegieren.).<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Sie kommen soweit in Betracht, als sie bei den jeweiligen entwendungsfähigen Delikten denkbar sind.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Strafausschließungsgrund:<br />

V. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Dolus eventualis muss sowohl auf die einzelnen Tatbildmerkmale des jeweiligen Delikts als<br />

auch auf die Geringwertigkeit des Tatobjektes gerichtet sein. Hält der Täter das Tatobjekt irrtümlich für<br />

höherwertig, fehlt insoweit der privilegierende Tatvorsatz, und der Täter ist wegen Diebstahls etc zu<br />

bestrafen (beachte auch umgekehrt denkbar, objektiv § 127 subjektiv § 141 -+ Bestrafung nach § 141).<br />

Schuldmerkmale: Definition - aus Not: Wer die Tat begeht, weil er "nicht mehr ein noch aus weiß", wie<br />

er den eigenen Unterhalt oder den seiner Familie decken soll, handelt aus Not. Nach allgemeiner<br />

Ansicht handelt aus Not, wer mittellos ist und schon lange nichts mehr gegessen hat. Unter den<br />

Voraussetzungen des § 10 kann die Tat sogar entschuldigt sein. Definition - aus Unbesonnenheit:<br />

Unbesonnenheit liegt vor, wenn der Täter einem spontanen Tatanreiz nachgibt und etwas tut, was<br />

sonst nicht seine Art ist. Definition - zur Befriedigung eines Gelüstes: Aus diesem Motiv handelt, wer<br />

ein eigenes gegenwärtiges Bedürfnis, das sich auf eine bestimmte Sache bezieht, sofort oder<br />

zumindest alsbald befriedigen will. Auch eine immer wiederkehrende "Lust" ist ein Gelüste.<br />

Das Angehörigenprivileg gemäß Abs. 3 entspricht im wesentlichen der Regelung des § 136 Abs. 4 Satz 1 1.<br />

Fall und beruht auf ähnlichen Erwägungen.<br />

Versuch, tätige Reue, Beteiligung, Abgrenzungen, Ermächtigung, Mangelnde Strafwürdigkeit siehe<br />

Lehrbuch (keine Besonderheiten).<br />

B. Aneignung von Bodenerzeugnissen oder Bodenbestandteilen § 141 Abs. 4<br />

I. Tatbestand:<br />

Tatobjekt: Schotter, Torf, Lehm, Steine, Bäume, Getreide, Weintrauben, Beeren, Pilze usw.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 141 Entwendung<br />

11. Sonderprobleme:<br />

Privilegierungsvoraussetzungen: Geringer Wert. Die Tat kann nur am Fund- oder Standort der Tatobjekte<br />

begangen werden.<br />

Es darf sich nicht um Bodenerzeugnisse aus Schrebergärten, Hausgärten uä handeln, egal ob eingezäunt<br />

oder nicht. Wer in fremden Hausgarten Blumen pflückt oder Obst erntet, macht sich gemäß § 127 bzw. 141<br />

Abs. 1 strafbar. Im Regelfall wird § 42 angewendet.<br />

Delikt:<br />

§ 142 8tGB Raub<br />

A. Raub § 142 Abs. 1<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Raub ist mit qualifizierter Nötigung und Bereicherungsvorsatz herbeigeführter sofortiger<br />

Gewahrsamswechsel. Im Verhältnis zu Diebstahl ist Raub ein eigenständiges Delikt.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Raub ist in seinen Mitteln Personenangriff, in seinem Ziel Sachangriff. Der<br />

Sachangriff richtet sich gegen das Eigentum, der Personenangriff wie bei Nötigung gegen die<br />

Willensfreiheit.<br />

Tatobjekt: Raubfähig ist nur was auch diebstahlsfähig ist. TathandJung: Definition - Wegnahme:<br />

Wegnahme setzt Begründung neuen Gewahrsams durch Bruch des bisherigen voraus. Bruch des<br />

Mitgewahrsams genügt. Vollendung: Entscheidend ist vielmehr eine raubspezifische Gesamtwertung nach<br />

Art, Intensität und Fortdauer der Bedrohungssituation und der - meist eher bescheidenen - realen<br />

Abwehrchancen des Opfers. Definition - Abnötigen: Damit wird jeder sonstige unter Einsatz von<br />

Raubmitteln erzwungene sofortige Gewahrsamswechsel erfasst (Geld oder Leben). Präsenter<br />

Gewahrsam: Es wird ein räumlich-zeitliches Naheverhältnis des Opfers zur geraubten Sache<br />

vorausgesetzt, denn das Wesen des Raubes besteht in der Herbeiführung eines sofortigen<br />

Gewahrsamswechsels. Tatmittel: Eine räuberische Sachbemächtigung setzt entweder Gewalt gegen eine<br />

Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89) voraus. Definition - Gewalt<br />

gegen eine Person: Gewalt gegen eine Person iSd §§ 142 f ist der Einsatz nicht unerheblicher<br />

physischer Kraft zur Überwindung eines wirklich geleisteten oder erwarteten Widerstandes. Adressat<br />

der Gewalt: Insoweit kommen nicht nur der Eigentümer bzw. Gewahrsaminhaber, sondern auch<br />

Sympathiepersonen iwS und verteidigungsbereite Dritte in Betracht (auch mittelbare Personengewalt<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 142 StGB Raub denkbar =aufdrücken der Türe, hinter welcher das Opfer steht).<br />

Handtaschenraub oder Handtaschendiebstahl: Die Praxis und Lehre tendieren zur Annahme<br />

Diebstahl, wenn der Täter nur das Überraschungsmoment ausnützen und dadurch einer Abwehrreaktion<br />

zuvorkommen will. Raub ist idR anzunehmen, wenn das Opfer die Sache - und sei es auch nur in der<br />

Vorstellung des Täters - zur Abwehr des Angriffs festhält und der Täter diesen tatsächlich geleisteten oder<br />

erwarteten Widerstand überwinden will. Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89): Die<br />

Drohung ist in dreifacher Weise qualifiziert. 1. Nur eine Drohung mit Gefahr für Leib und Leben macht diese<br />

zu einer räuberischen. Bedrohung mit einer Verletzung von Freiheit, Ehre oder Vermögen genügt den<br />

Anforderungen des § 142 nicht (nötigungserhebliche Rechtsgüter). 2. Drohung mit konkreter Gefahr für<br />

Leib oder Leben. IdR genügt dazu die Drohung mit einer Körperverletzung (bloße Misshandlung wäre<br />

zuwenig). Androhung von Selbstmord oder Selbstverstümmelung, um dadurch die Herausgabe der Sachen<br />

zu erreichen, ist weder für Raub noch Erpressung und nicht einmal für Nötigung genügend. 3.<br />

Gegenwärtigkeit des angedrohten Übels. Im Unterschied zur Erpressung setzt die Drohung beim Raub<br />

Imminenz iSd sofortigen Verzugs des angekündigten Übels voraus.<br />

Drohungsadressat ist in der Regel der Gewahrsamsinhaber. Der Adressat des angekündigten Übels kann<br />

jedoch auch ein Angehöriger oder eine Sympathieperson sein. Es kommt weiters darauf an, dass die<br />

Ernstlichkeit der Drohung tätergewollt ist. Ob die Drohung vom Genötigten ernst genommen wird ist<br />

irrelevant. Der Täter kann auch Gewalt und Drohung nebeneinander zur Erlangung seines Zieles einsetzen.<br />

Konnexität zwischen Raubmitteleinsatz und Sachbemächtigung: Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal<br />

ist eine hinreichende Konnexität iS eines zeitlichen und ursächlich-finalen Zusammenhanges zwischen dem<br />

Einsatz des Raubmittels und der Sachbemächtigung. Bei der bloßen Ausnutzung einer bereits bestehenden<br />

Zwangslage, wird Raub nur begründet, wenn der Täter nunmehr Personengewalt oder qualifizierte Drohung<br />

als Mittel der Sachbemächtigung einsetzt. Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz: Es genügt dolus<br />

eventualis. IdR wird der Räuber jedoch absichtlich handeln. Definition: Mit dem erweiterten Vorsatz des §<br />

142 handelt, wer mittels Zueignung einer fremden Sache das eigene Vermögen oder das eines<br />

Dritten zumindest zeitweilig um die Sache selbst oder ihren wirtschaftlichen Wert unrechtmäßig<br />

vermehren will. Beachte eine bloße Gebrauchsanmaßung für kurze Zeit ist weder Raub noch Erpressung,<br />

sondern ein Vergehen nach § 136 Abs. 2 bzw. § 105. Beachte auch die Zueignung zur Beschädigung (§§<br />

125f) oder zur dauernden Sachentziehung (§ 135). Wenn kein Bereicherungsvorsatz vorliegt ist an<br />

Nötigung zu denken (§ 105).<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Rechtfertigungsgründe kommen in der Praxis nicht im Betracht.<br />

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§ 142 StGB Raub<br />

11I. Schuld:<br />

v. Sonderprobleme:<br />

Der Tatvorsatz muss sowohl den Eigentums- als auch den Personenangriff umfassen. Es genügt bedingter<br />

Vorsatz.<br />

Versuch: Es setzt eine Handlung voraus, die nach der Vorstellung des Täters dem Einsatz des Raubmittels<br />

unmittelbar vorangeht (z.B. vergebliches klingeln an der Türe mit der Waffe in der Hand). Rücktritt: Rücktritt<br />

ist nur vom nicht fehlgeschlagenen Versuch möglich (z.B. zuwenig Beute; eine Dritte Person kommt dazu<br />

uä). Beachte das wenn der Täter von seinem Opfer ablässt und sich entschuldigt und somit strafbefreiend<br />

vom Raub zurücktritt, immer noch Strafbarkeit aufgrund qualifizierten Versuchs bezüglich §§ 83 f oder 105 f<br />

übrig bleibt. Vollendung: Raub ist im Gegensatz zum StG erst mit dem Abschluss der Sachbemächtigung<br />

vollendet und nicht schon mit der Beendigung von der Gewaltanwendung bzw. gefährlicher Drohung. Tätige<br />

Reue ist nicht vorgesehen. Beteiligung: Als Beteiligter ist nur zu bestrafen, wer selbst mit Zueignungs- und<br />

Bereicherungsvorsatz handelt. Abgrenzungen: Nötigung (§§ 105 f) = erfüllt eine vielfältige Auffangfunktion<br />

im Verhältnis zu Raub und Erpressung. Diebstahl (§§ 127 f) = dazu siehe überraschendes Entreißen der<br />

Handtasche. Einbruchsdiebstahl (§ 129) =Raub und Einbruchsdiebstahl schließen sich in der Regel aus.<br />

Betrug (§§ 146 ff) listiges anlocken und danach das Opfer zu berauben, begründet idR noch keinen Raub.<br />

Konkurrenzen: Körperverletzung (§ 83) scheidet aus und ist insoweit eine typische Begleittat.<br />

Tötungsdelikte (§§ 75 ff) = zwischen Raub und Mord besteht Idealkonkurrenz, wenn die vorsätzliche Tötung<br />

das Mittel der Wegnahme ist =Raubmord; Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz erst nach der Tötung,<br />

kommt je nach der Gewahrsamslage Realkonkurrenz der §§ 75 f mit § 127 oder § 134 in Betracht.<br />

Dauernde Sachentziehung (§ 135). Handelt der Täter von vornherein mit gegenständlich begrenzten<br />

Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz, ist echte Konkurrenz zwischen §§ 142 f (z.B. Geld), § 135 (z.B.<br />

Handtasche) und § 229 (z.B. Kfz-Papiere) möglich.<br />

B. minderschwerer Raub § 142 Abs. 2<br />

Allgemeines:<br />

Erfasst sollen nur Raubfälle sein, die noch nicht so ernst zu nehmen sind. Findet häufig bei Jugendlichen<br />

Anwendung. Die Merkmale des Abs. 2 müssen kumulativ gegeben sein. Eine Sache geringen Wertes liegt<br />

vor wenn diese ca. € 70,-- wert ist. Ohne Anwendung erheblicher Gewalt: Definition - erhebliche Gewalt:<br />

Erhebliche Gewalt wird angewendet, wenn der Täter beachtliche physische Kraft in brutaler Weise<br />

einsetzt. Bei Drohungen besteht keine Begrenzung. Selbst eine Todesdrohung schließt die Anwendung<br />

des § 142 Abs. 2 nicht aus. Anders, wenn der Täter eine Waffe iSd § 143 als Drohmittel verwendet. Auch<br />

darf die Tat nicht als Bandenraub oder als Raub mit Waffen begangen worden sein. Zu berücksichtigen sind<br />

Strafrecht BT<br />

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auch die Folgen für das Opfer, die nicht bedeutend sein dürfen.<br />

Delikt:<br />

§ 143 schwerer Raub<br />

A. Bandenraub § 143 Satz 1 1. Fall<br />

Allgemeines:<br />

Definition - Räuberbande: Darunter versteht man den Zusammenschluss von mindestens drei<br />

Personen mit dem Vorsatz der wiederholten Begehung selbständiger, im voraus nicht näher oder<br />

nur der Art nach bestimmter Raubtaten. Die Bestrafung wegen Bandenraubes setzt kumulativ das<br />

Bestehen einer Räuberbande, mitgliedschaftliehe Tatbegehung und Mitwirkung zumindest eines anderen<br />

Bandenmitgliedes voraus. Beim Raub ist sowohl die Bildung einer Bande = kriminelle Vereinigung (§ 278<br />

Abs. 1), als auch einer kriminellen Organisation (§§ 278a Abs. 1) strafbar.<br />

B. Raub mit Waffen § 143 Satz 1 2. Fall<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Der Strafgrund liegt in der erhöhten Gefährlichkeit des Eigentumsangriffes, weil mit der Waffe ein Maximum<br />

an Bedrohung und psychischen Druck erzeugt werden soll.<br />

Waffe iSd § 143, Definition - funktionaler Waffenbegriff: Waffen iSd § 143 sind neben jenen des § 1<br />

WaffG auch solche Gegenstände, die nach der konkreten Art ihres Einsatzes zur Gewaltanwendung<br />

gegen eine Person oder zur Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben geeignet<br />

erscheinen =waffengleiche Mittel (z.B. Gaspistolen, Schreckschusspistole; waffengleiche Mittel =<br />

eingewickelter Hammer, Drahtschlingen, Zaunlatten, Rundhölzer mit Stahlschraube, Biergläser, aber nicht<br />

Fesseln, Betäubungspillen, Pfeffer). Ungeladene oder sonst funktionsunfähige Waffen ?: HM = Der verst.<br />

Senat hat diese Frage mit der Begründung bejaht, dass, da es sich immerhin der Art nach um Waffen<br />

handle, letztlich die erhöhte Effizienz der Drohung den Ausschlag gebe, während das Moment der<br />

tatsächlichen Gefährdung von Menschen bei § 143 eine nicht so dominante ist. Bei Scheinwaffen besteht<br />

Einigkeit, dass wer eine Scheinwaffe als Drohmittel - anders beim tatsächlichen Einsatz als<br />

Schlafwerkzeug = vollendete Gewalt - verwendet, nicht den § 143 Satz 1 2. Fall erfüllt. Verwendung der<br />

Waffe: Verwendung ist mehr als das bloße Beisichführen iSd § 129 Z 4. Definition - Verwendung:<br />

Vorausgesetzt wird eine Visualisierung des Zwangsmomentes idS, dass die Waffe bei der<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 143 schwerer Raub<br />

11. Sonderprobleme:<br />

Ausführung der Tat sichtbar zum Einsatz gelangt, dh als Mittel von Gewalt oder Drohung tatsächlich<br />

in Erscheinung treten muss.<br />

Beteiligung: Es genügt die tätergewollte Benützung der Waffe durch einen Beteiligten. Beteiligte, die nichts<br />

von der Existenz der Waffe wissen, bzw. von deren Verwendung bei der Tat nichts ahnen, sind nicht gemäß<br />

§ 143 Satz 1 2. Fall zu bestrafen. Dolus eventualis hinsichtlich des Waffeneinsatzes reicht aus.<br />

Konkurrenzen: Idealkonkurrenz ist ua mit § 102 möglich.<br />

c. Raub mit schweren Folgen § 143 Satz 2 und 3<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

11. Sonderprobleme:<br />

Bei diesen (Delikts-) Qualifikationen stellt das StGB ausschließlich auf Folgen der Gewaltanwendung ab.<br />

Die Zurechnung der schweren Folgen setzt gemäß § 7 Abs. 2 (Erfolgsqualifikation) jeweils Fahrlässigkeit<br />

voraus.<br />

Die qualifikationsbegründenden Folgen - Voraussetzungen: Die Gewalt muss eine schwere<br />

Körperverletzung (§ 84 Abs. 1), oder eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85), oder den Tod<br />

eines Menschen zur Folge haben. Kausalität und objektive Zurechnung: Die schwere Folge muss "durch<br />

Gewaltanwendung" verursacht worden sein. Bloße Kausalität iSd Lehre von der conditio sine qua non<br />

genügt nicht. Es muss vielmehr ein deliktsspezifischer Zusammenhang zwischen Gewaltanwendung und<br />

schwerer Folge bestehen.<br />

Versuch: Strafbarer Versuch der erfolgsqualifizierten Begehungsformen des Raubes ist möglich. Er kommt<br />

insb in Betracht, wenn die Wegnahme bzw. Abnötigung nicht gelungen ist, der Personenangriff aber eine<br />

schwere Folge nach sich gezogen hat. Somit ist die besondere Folge fährlässig herbeigeführt worden und<br />

tatsächlich erfüllt. Der Aufbau wäre ähnlich dem Schema des erfolgsqualifizierten Delikt. Beteiligung: 1.<br />

Differenzierte Zurechnung der Erfolgsqualifikationen -+ vorsätzliche Verursachung der schweren Folge =<br />

wurde verabredet, zumindest die schwere Folge in Kauf zu nehmen und daher Anwendung des § 143;<br />

fahrlässige Verursachung der schweren Folgen =schwere Folge sollte nicht eintreten, kein Vorsatz, dann<br />

nur § 143 falls die Fahrlässigkeit den Risikozusammenhang und den Adäquanzzusammenhang erfüllt,<br />

ansonsten Strafe gemäß § 142. Konkurrenzen: Bei vorsätzlicher Tötung besteht idR Exklusivität zugunsten<br />

des § 75, der kann aber mit § 142 konkurriert = Raubmord. Zwischen § 75 und § 143 ist Idealkonkurrenz<br />

nur denkbar, wenn aus einen anderen Grund als der Tötung eines Menschen - etwa Verwendung einer<br />

Strafrecht BT<br />

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Waffe - schwerer Raub vorliegt. Idealkonkurrenz aller drei Qualifikationen des § 143 ist möglich.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 144 Erpressung<br />

Die Erpressung ist eine Vermögensverschiebung durch Nötigung mit Bereicherungsvorsatz. Im Hinblick auf<br />

das Mutterdelikt des § 105 betrachtet die hM § 144 als lex specialis.<br />

Geschützte Rechtsgüter: = doppelter Rechtsgutaspekt; Der Personenangriff erfolgt durch Willensbeugung<br />

und richtet sich wie bei der Nötigung gegen die Willensfreiheit. Aber für § 144 ist die Verknüpfung mit dem<br />

Angriff auf das Vermögen ausschlaggebend.<br />

Tathandlung Nötigen - Definition: Darunter versteht man den Einsatz von physischen Zwang oder<br />

psychischem Druck zur Überwindung eines entgegenstehenden Willens. Tatmittel: Der Täter muss zu<br />

Gewalt oder gefährlicher Drohung greifen. Gewalt: Gewalt gegen Personen oder Sachen. Wie bei Raub<br />

kann sich die Gewalt auch gegen Dritte, insb gegen Sympathiepersonen richten. Bei der Erpressung genügt<br />

jedoch schon bloße Sachgewalt. Der Gewaltbegriff umfasst wie bei Raub und Nötigung neben vis<br />

compulsiva auch vis absoluta (strittig: laut Rspr ist das Nötigen auf das Erzwingen von willengesteuerter<br />

Reaktionen begrenzt -+ nicht bei vis absoluta möglich, und daher Ausklammerung aus der Erpressung und<br />

Nötigung; siehe dagegen die hL unter Tatbestandsmäßigkeit bei der Nötigung). Gefährliche Drohung: Für<br />

die Erpressung ist die gefährliche Drohung charakteristischer als die Gewalt. Siehe Legaldefinition § 74 Z 5.<br />

Auch die Androhung eines Unterlassens durch einen Garanten gemäß § 2 oder §§ 94 f kann Erpressung<br />

begründen. Eintritt des Vermögensschadens: Der Einsatz von Gewalt oder der gefährlichen Drohung muss<br />

iSd Äquivalenztheorie zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung führen die den Genötigten oder einen<br />

anderen am Vermögen schädigt. Vom Eintritt dieses Vermögensschadens hängt die Vollendung des<br />

Delikts, von seiner Ausdeutung die Weite des Erpressungstatbestandes ab. Definition - Vermögensbegriff:<br />

Der Begriff des Vermögens bei der Erpressung deckt sich mit jenen des Betruges. Er umfasst alle<br />

wirtschaftlich ins Gewicht fallenden und rechnerisch feststellbaren Werte. Definition ­<br />

Vermögensschaden: Vermögensschaden ist jene Differenz, um die sich der wirtschaftliche Wert des<br />

Gesamtvermögens durch die Tat verringert hat = Differenzschaden. Vermögensgefährdungen bewirken<br />

noch keinen Vermögensschaden -+ eventuell ist Versuch gegeben. Schadensberechnung im Wege der<br />

Gesamtsaldierung und auf Grundlage der konkreten Verhältnisse. Der Genötigte und der Geschädigte<br />

müssen nicht derselbe sein (der Schaden kann auch bei einem Dritten eintreten). Definition-<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 144 Erpressung Bereicherungsvorsatz: Mit dem erweiterten Vorsatz des § 144 handelt, wer durch das Verhalten des<br />

Genötigten sein wirtschaftliches Vermögen oder das eines Dritten unrechtmäßig und zumindest<br />

zeitweilig um den abgenötigten Vermögenswert vermehren will. Dolus eventualis genügt. Die<br />

Bereicherung braucht weder das ausschließliche Tatziel sein, noch muss sie tatsächlich eintreten.<br />

Bereicherung ist jede Verbesserung der wirtschaftlichen Vermögenslage. Der erweiterte Vorsatz erfüllt<br />

dieselben Filterfunktionen bei der Erpressung wie beim Betrug. Die §§ 144 f scheiden daher aus, wenn sich<br />

der Täter mittels Nötigung einer Sache bemächtigt, die er von vornherein iSd § 135 auf Dauer entziehen<br />

oder mit der er sogleich gemäß §§ 125 f verfahren will (zerstören usw.). Stoffgleichheit von<br />

Vermögensschaden und Bereicherung. Hinter dem Erfordernis, dass der Erpresser die Bereichung durch<br />

das Verhalten des Genötigten erreichen will, verbirgt sich für den § 144 ähnlich wie für § 146 eine nicht<br />

leicht zu durchschauende Tatbestandsrestriktion. Gemeint ist, dass der Nötigende die Bereicherung<br />

unmittelbar auf Kosten des geschädigten Vermögens herbeiführen will = sog. Unmittelbarkeitsprinzip.<br />

Daran fehlt es, wenn die Bereicherung aus dem Vermögen eines außerhalb des Nötigungsgeschehens<br />

stehenden Dritten zufließen soll. Beachte Fangprämien. Bearbeitungsgebühren, Geldbußen usw. im<br />

Zusammenhang mit dem ertappten Ladendieb: Fang- oder Ergreiferprämien sind durch das Zivilrecht dem<br />

Grunde nach gerechtfertigt. Folgekosten, insb Bearbeitungsgebühren stehen im engen Zusammenhang mit<br />

der konkreten Tat und sind ebenfalls zivilrechtlich begründet. Vorsorgekosten z.B. für Alarmanlagen,<br />

Magnetsperren usw. dürfen nicht auf den einzelnen Ladendieb umgelegt werden -+ sonst kann Erpressung<br />

durch den Ladeninhaber vorliegen. Private Geldbußen (Reuegelder, Ersatzbeträge) für nicht<br />

nachgewiesene Diebstähle sind nicht zivilrechtlich begründbar.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Mittel-Zweck-Relation (§ 144 Abs. 2): Der Abs. 2 erfüllt ähnliche Funktion wie der § 105 Abs. 2.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Der komplexe Tatvorsatz des Erpressers bereitet in der Praxis geringer Probleme als beim Betrug.<br />

Hinsichtlich der Nötigungshandlung und der Vermögensschädigung genügt dolus eventualis. Nicht<br />

erforderlich ist, dass der Täter seine Drohung ernst meint. Er muss aber wollen, dass sie vom Opfer ernst<br />

genommen wird. Für die Vornahme des abgenötigten Verhaltens ist Absichtlichkeit iSd § 5 Abs. 2 zu<br />

verlangen.<br />

Versuch: Erpressung bleibt häufig im Versuchsstadium stecken. Der Versuch beginnt idR mit der Vornahme<br />

einer ausführungsnahen Nötigungshandlung iSd § 15 Abs. 2. Es reicht das Absenden des Erpresserbriefes.<br />

Vollendung: Im Gegensatz zum StG ist die Tat nicht schon mit der Vornahme der Nötigung, sondern erst<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 144 Erpressung<br />

mit dem Eintritt eines Vermögensschadens vollendet. Beteiligung: Auf Beteiligte, die ohne den erweiterten<br />

Vorsatz handeln, findet § 144 keine Anwendung. Es kann aber insoweit § 105 übrig bleiben. Abgrenzungen:<br />

Nötigung ist das Mutterdelikt für alle vermögensbezogenen oder anderweitig (Vergewaltigung) geregelten<br />

Pressionen. Raub =die Erpressung bildet zum strengeren Raub einen quasi - subsidiären<br />

Auffangtatbestand, was zur Annahme der Exklusivität des Raubes führt. Konkurrenzen: Fälle echter<br />

Konkurrenz zu den §§ 105 f sind denkbar. Idealkonkurrenz kommt mit den §§ 83 ff in Betracht. Beachte:<br />

Wer einen anderen zur Begehung eines Vermögensdeliktes nötigt, verantwortet idR Erpressung in<br />

Tateinheit mit Bestimmungstäterschaft, etwa in Bezug auf §§ 127 ff, 146 ff, 153 uä.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 146 Betrug<br />

Betrug ist eine Vermögensverschiebung durch Täuschung mit Bereicherungsvorsatz. Es ist ein Erfolgsdelikt<br />

und erfordert die Herbeiführung eines Vermögensschadens.<br />

Geschütztes Rechtsgut: § 146 schützt ausschließlich das Vermögen. Selbstschädigungsdelikt: Denn es ist<br />

der Getäuschte, der - wenngleich als Opfer einer Irreführung - durch sein Verhalten den Schaden selbst<br />

herbeiführt. Der Betrug gehört zu den komplizierten Delikten des besonderen Teiles. Objektiver Tatbestand<br />

ist: 1. Vornahme einer Täuschungshandlung, dadurch 2. Verursachung eines themagleichen Irrtums,<br />

dadurch 3. Vornahme einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung, dadurch 4. Eintritt eines<br />

Vermögensschaden. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder<br />

einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern. Bis zu vier Personen können in den Betrug verwickelt sein = der<br />

täuschende Täter, der Getäuschte, der Geschädigte und schließlich der Bereicherte. Verletzter ist<br />

ausschließlich der an seinem Vermögen Geschädigte und nicht der getäuschte Verfügende. Der § 146 ist<br />

das Grunddelikt einer größeren Deliktsfamilie (§§ 147f enthalten Qualifikationen, §§ 149 Abs. 1 und 150<br />

Privilegierungen, §§ 148a und 149 Abs. 2 Delikte sui generis.).<br />

Vornahme einer Täuschungshandlung: Definition - Tatsachen: Darunter versteht man Umstände, welche<br />

dem Beweis zugänglich sind, mithin alle Geschehnisse und Zustände der Gegenwart oder<br />

Vergangenheit. Täuschung über äußere und innere Tatsachen sind möglich. Werturteile und sonstige<br />

Meinungsäußerungen bilden den begrifflichen Gegensatz zur Tatsache. Falls das Werturteil einen<br />

Tatsachenkern aufweist, kann es für den Betrug in Betracht kommen. Allgemeine Redewendungen<br />

(besonders im Reklamebereich) werden als bloße Meinungsäußerungen für den Betrug als nichtbeachtlich<br />

Strafrecht BT<br />

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OCW<br />

<strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong><br />

Denise Rudel<br />

ÖH Shop-Referentin<br />

Julia Sageder<br />

ÖH Vorsitz-Team<br />

Susi Aichinger<br />

ÖH Vorsitz-Team<br />

Liebe Kollegin, lieber Kollege!<br />

Vor dir siehst du ein Skript des <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> Projekts der ÖH Linz, welches<br />

allen Studierenden und Interessierten frei und kostenlos zur Verfügung steht.<br />

Das OCW- Projekt der ÖH Linz<br />

Im Jahr 2007 haben der Vorsitz der österreichischen HochschülerInnenschaft Linz und das Referat für<br />

Skripten, Lernbehelfe und OCW mit der Umsetzung von <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> an der Johannes Kepler Universität<br />

begonnen. Alle Skripten sollten den Studierenden und Interessierten kostenlos zugänglich sein,<br />

zudem sollten die Unterlagen frei verändert und vervielfältigt werden dürfen um die Qualität und Aktualität<br />

der Unterlagen zu verbessern.<br />

Zu diesem Zweck wurden alle Unterlagen, deren Lizenz bei der ÖH liegt, digitalisiert, mit einer Struktur<br />

und Suchfunktion versehen und über eine Homepage allen InternetnutzerInnen zugänglich gemacht.<br />

Darüber hinaus wurde den Lehrenden an der <strong>JKU</strong> die Möglichkeit gegeben jederzeit Verbesserungen<br />

und Ergänzungen bei den Unterlagen vorzunehmen.<br />

Lizenz<br />

Um die freie Verbreitung rechtlich zu gewährleisten steht dieses Werk unter einer Creative Commons<br />

Lizenz 3.0 Österreich.<br />

Du darfst das Werk vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen sowie Bearbeitungen<br />

des Werkes anfertigen.<br />

Jedoch musst du dich dabei an gewisse Bedingungen halten:<br />

• Du musst den Namen der/des Autorin/Autors / Rechteinhabers/Rechteinhaberin in der von ihm<br />

festgelegten Weise nennen.<br />

• Das Werk darf nicht kommerziell genutzt werden.<br />

• Die Weitergabe ist nur unter gleichen Bedingungen erlaubt, also unter der gleichen Lizenz.<br />

Weitere und genauere Informationen über Creative Commons findest du unter<br />

http://www.creativecommons.at.<br />

Solltest du noch weitere Fragen zum OCW Projekt haben, oder dich beteiligen wollen,<br />

erreichst du uns unter oeh@oeh.jku.at oder +43 732 2468 8535.<br />

Wir wünschen dir viel Spaß mit den OCW Skripten und viel Erfolg bei deinen Kursen!<br />

Das <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> Projekt der ÖH<br />

an der <strong>JKU</strong> Linz | Altenbergerstr. 69 | 4040 Linz


§ 146 Betrug<br />

bewertet. Rechtsausführungen vor allem unter Laien sind idR bloße Meinungsäußerungen.<br />

Definition - Täuschung: Täuschung setzt eine irreführende Einwirkung auf die Vorstellung eines<br />

anderen voraus. Handeln hinter dem Rücken stellt mangels unmittelbarer Einwirkung auf die Vorstellung<br />

eines anderen keine Täuschung dar. Täuschung durch ein Tun: Die Täuschungshandlungen durch ein Tun<br />

und durch ausdrückliche Erklärungen sind unproblematisch. Schlüssiges Verhalten: Es handelt sich um<br />

eine Variante des Tuns. Ebenso wichtig wie das vom Täter ausdrücklich Erklärte ist das, was im redlichen<br />

Verkehr als stillschweigend miterklärt gilt. Betrug kommt in Betracht, wenn dem Gesamtverhalten nach der<br />

Verkehrsauffassung (§ 863 ABGB - Willenserklärungen) ein bestimmter irreführender Erklärungswert<br />

zukommt. Konkludente Behauptungen: Wer eine Sache verkauft, behauptet damit, dass er Eigentümer oder<br />

zumindest verfügungsbefugt ist -+ deshalb ist idR Betrug gegeben, wenn der Dieb oder Hehler die Beute<br />

an einen Gutgläubigen verkauft. Bei Vorlage eines fremden vinkulierten Sparbuches zur Abhebung liegt<br />

versuchter oder vollendeter Betrug (falls Auszahlung erfolgt) vor. Täuschung und Verkehrsadäquanz:<br />

Risikoverteilung im Geschäftsleben =Das Prinzip der freien Marktwirtschaft toleriert bis zu einem gewissen<br />

Grad die Ausnützung von Wissensvorsprüngen. Der Schutz dieses Personenkreises muss im Einzelfall<br />

abgewogen werden. Wo liegt die Grenzen zwischen Geschäftstüchtigkeit und strafwürdiger Täuschung?<br />

Verkehrsinadäquate Täuschungen =Nach der Verkehrsauffassung kommt Betrug insb dann in Betracht,<br />

wenn der Täuschende ausdrücklich oder konkludent wertbestimmende Eigenschaften zusichert oder die<br />

geschäftstypische bzw. verkehrsübliche Risikoverteilung entscheidend zum Nachteil des anderen<br />

verändert. Behörden- und Prozessbetrug: Betrug ist auch ohne Beweismittelmanipulationen und<br />

unabhängig von einer etwaigen amtswegigen Überprüfung des Vorbringens möglich (Gleichstellung des<br />

Betruges bei Behörden und zwischen Privaten). Keine qualifizierte Täuschung: Täuschung wird selbst<br />

durch plumpes Vorgehen oder der Unwahrscheinlichkeit der behaupteten Tatsache (Gerät zum Schutz vor<br />

Erdstrahlen) nicht ausgeschlossen. Täuschung durch Unterlassen: Nach der heutigen hM kann eine<br />

Täuschung auch durch Nichtvornahme der gebotenen Aufklärung begangen werden. GarantensteIlung:<br />

Eine Täuschung durch Unterlassen setzt eine Rechtspflicht zur Aufklärung voraus (§ 2). Diese kann sich<br />

beim Betrug aus Gesetz oder vertraglicher bzw. vertragsähnlicher Pflichtenübernahme ergeben.<br />

Verursachung eines themagleichen Irrtums: Es handelt sich um ein ungeschriebenes<br />

Tatbestandselement, welches vorliegen muss. Definition - Irrtum: Irrtum ist jede unrichtige Vorstellung<br />

von der Wirklichkeit. Mitbewusstsein: Irrtum setzt nicht voraus, dass der Getäuschte jenem Umstand, über<br />

den er getäuscht wurde, im kritischen Augenblick volle Aufmerksamkeit geschenkt hat. Schlichte<br />

Unwissenheit: Anders liegt der Fall, wenn man sich des maßgeblichen Umstands nicht einmal am Rande,<br />

sondern überhaupt nicht bewusst war = dann scheidet Irrtum aus. Irrtum trotz Vorhandensein von Zweifeln:<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 84 von 147


§ 146 Betrug<br />

Maßgebend ist nicht die Intensität des Zweifels, sondern die entscheidungsauslösende Motivation = trotz<br />

der Zweifel nimmt man die aufgrund der Täuschung gewollte Handlung vor. Themagleicher Irrtum: Der<br />

Irrtum des Getäuschten muss sich schließlich auf die Tatsache beziehen, über die getäuscht werden sollte,<br />

und in diesem Sinn themagleich sein. Sonst fehlt es an der erforderlichen Kausalität zwischen<br />

Täuschungshandlung und Irrtumserregung. Ein Irrtum erregt wer ihn hervorruft. Nach hM genügt das bloße<br />

Bestärken eines bereits bestehenden Irrtums. Ein Irrtum wird erhalten, wenn sein Fortbestehen auf eine<br />

pflichtwidrige Untätigkeit eines Garanten (§ 2) zurückzuführen ist.<br />

Vornahme einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung: Selbständiges Betrugsmerkmal. Durch die<br />

Täuschung muss ein anderer unmittelbar zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet worden<br />

sein. Definition - Vermögensverfügung: Der Begriff Vermögensverfügung umfasst alle Handlungen,<br />

Duldungen oder Unterlassungen, durch die der Getäuschte unmittelbar auf das eigene Vermögen<br />

oder das eines Dritten einwirkt. Keine Vermögensverfügung ist die Herbeiführung einer bloßen<br />

Gewahrsamslockerung mittels Täuschung. Vermögensverfügungen durch Unterlassen sind möglich.<br />

Unbewusste Vermögensverfügungen = Nach richtiger Ansicht muss dem Getäuschten nicht bewusst<br />

geworden sein, dass er durch sein Verhalten eine Vermögensverfügung getroffen hat (sonst würden die<br />

Fälle des Betruges zu sehr eingeengt). Irrtumsbedingte Vermögensverfügung: Zwischen Täuschung und<br />

Vermögensverfügung muss ein Kausalzusammenhang iSd Lehre von der conditio sine qua non bestehen.<br />

Es genügt das die Täuschung mitbestimmend für die Verfügung war. Identität von Getäuschtem und<br />

Verfügendem =Der Getäuschte und der Verfügende müssen identisch sein. Eintritt eines<br />

Vermögensschadens: Die Vermögensverfügung des Getäuschten muss das eigene Vermögen oder das<br />

eines Dritten geschädigt haben. Beachte: Der strafrechtliche (= wirtschaftliche) Vermögensbegriff darf nicht<br />

mit dem erweiterten (wirtschaftlichen) Eigentumsbegriff verwechselt werden, der insb bei der Auslegung der<br />

§§ 133 f eine Rolle spielt. Juristischer Vermögensbegriff: Nach dieser Auffassung ist Vermögen der<br />

Inbegriff aller Vermögensrechte. Es muss sich um eine rechtsgültige Position handeln wie Eigentum,<br />

Pfandrechte, Forderungen uä. Sogar Sachen von bloß affektivem oder immateriellem Wert wie Liebesbriefe<br />

und sämtliche nicht diebstahlsfähigen Urkunden fallen darunter. Nicht berücksichtigt wird alles bloß<br />

Tatsächliche wie Besitz, Arbeitsleistung, Anwartschaften, ebenso alles in Rechtsweg nicht durchsetzbare.<br />

Der Schaden iSd juristischen Vermögenstheorie ist daher nicht eine wirtschaftliche Einbuße, sondern die<br />

Minderung von Status und Recht. Die hM lehnt den formalen Ansatz der juristischen Vermögenstheorie mit<br />

Recht als zu eng ab. Definition - Wirtschaftlicher Vermögensbegriff: Die hM legt einen relativ<br />

umfassenden und zugleich spezifischen strafrechtlichen Vermögensbegriff zugrunde und versteht<br />

darunter die Gesamtheit aller wirtschaftlich ins Gewicht fallenden und rechnerisch feststellbaren<br />

Strafrecht BT<br />

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.'<br />

§ 146 Betrug<br />

Werte (=> nicht Affektionsinteresse oder Urkunden ohne Wertträgereigenschaft). Positionen die bloß von<br />

affektivem oder immateriellem Wert sind genießen keinen Schutz vor Betrug, Erpressung, Untreue,<br />

Hehlerei etc. Urkunden die keine Wertträger sind (Ausweise, Fahrzeugpapiere) sind weder diebstahls- noch<br />

sonst vermögensdeliktsfähig. Auf der Grundlage des in Österreich herrschenden wirtschaftlichen<br />

Vermögensbegriffes zählen insb die folgenden Positionen zum Vermögen: Vermögensrechte ieS<br />

(Eigentum, Pfandrechte, Forderungen usw.), Anwartschaftsrechte (Eigentumsvorbehalt, Vorkaufsrecht),<br />

unklagbare Ansprüche (aus Spiel, Wette), Ansprüche aus nichtigen oder anfechtbaren Geschäften<br />

(Versprechen von Geld, Geldzahlung an Dirne); Arbeitsleistung und sonstige persönliche Leistungen;<br />

Besitz als Vermögensbestandteil: Z.B. beim Dieb wird ein Moped ausgeliehen, mit dem Vorsatz es nicht<br />

mehr zurückzugeben -+ Der Dieb ist um den Marktwert des Mopeds betrogen, obwohl er nur unredlicher<br />

Besitzer und nicht Eigentümer war. Definition - Vermögensschaden: Vermögensschaden ist jene<br />

Differenz, um die sich der wirtschaftliche Wert des Gesamtvermögens durch die Verfügung<br />

verringert hat =sog. Differenzschaden. Die Konstruktion des § 146 als Erfolgsdelikt erfordert im<br />

Zusammenwirken mit dem Systemen der festen Schadens- und Wertgrenzen eine effektiv eingetretene,<br />

rechnerisch nachweisbare, dh auch prinzipiell bezifferbare Vermögenseinbuße. Auch eine bloß<br />

vorübergehende, aber messbare Vermögensminderung genügt. Keine Folgeschäden sind erfasst.<br />

Maßgebender Zeitpunkt ist die Vornahme der Vermögensverfügung. Feststellung des Vermöqensschaden~:<br />

Ob ein effektive Verminderung des Gesamtvermögens vorliegt, ist durch Vergleich der Vermögenslage vor<br />

und nach der Verfügung im Wege der Gesamtsaldierung unter Berücksichtigung allfälliger unmittelbarer<br />

Schadenskompensation zu ermitteln. Dies läuft bei Austauschverhältnissen auf die Feststellung der<br />

rechnerischen Differenzen zwischen Leistung und Gegenleistung hinaus =Differenzschaden.<br />

Äguivalenzprinzip: Betrug scheidet aus, wenn der Wert des Weggegebenen "per saldo" durch einen<br />

entsprechenden Gegenwert ausgeglichen wird. Damit ist gemeint, dass Leistung und Gegenleistung<br />

gleichwertig (äquivalent) sein müssen.<br />

Bereicherungsvorsatz: Es genügt dolus eventualis. IdR wird er Täter absichtlich handeln. Beachte: Diese<br />

Vorsatz muss bereits bei der Täuschung vorliegen. Unterschiede zu §§ 127 und 142: Der erweiterte Vorsatz<br />

des § 146 setzt insoweit eigene, dh betrugsspezifische Akzente = Der Täter muss die Bereicherung durch<br />

das Verhalten des Getäuschten wollen. Damit wird der Blick auf die sog Stoffgleichheit (Unmittelbarkeit)<br />

von Vermögensschaden und Bereicherung gelenkt. Im Gegensatz zu § 127 und § 142 gibt es keine<br />

Privilegierung der Gebrauchsanmaßung. Wer einem anderen eine Sache abschwindelt, um sie nur<br />

vorübergehend zu gebrauchen, kann sich daher gemäß § 146 strafbar machen. Definition - mit erweiterten<br />

Vorsatz: Mit erweiterten Vorsatz des § 146 handelt, wer durch das Verhalten des Getäuschten sein<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 146 Betrug wirtschaftliches Vermögen oder das eines Dritten unrechtmäßig und zumindest zeitweilig um den<br />

abgelisteten Vermögenswert vermehren will. Beachte: Schon die Erlangung des Besitzes kann eine<br />

Bereicherung bedeuten. Daher macht sich gemäß §§ 146 ff strafbar, wer etwa einem Dieb, Räuber,<br />

Betrüger oder Hehler die Beute abschwindelt. Filterfunktionen des Bereicherungsvorsatzes<br />

(Abgrenzungen): Abgrenzung gegenüber §§ 125 fund § 135 = Wer sich einer Sache durch Täuschung<br />

bemächtigt, um sie einem anderen iSd § 135 auf Dauer zu entziehen oder mit ihr sogleich gemäß §§ 125 f<br />

zu verfahren, handelt ohne Bereicherungsvorsatz. Bloßer Schädigungsvorsatz =Ohne den erweiterten<br />

Vorsatz handelt, wer einen anderen mittels Täuschung zwar zu unnötigen Ausgaben veranlassen, aber<br />

niemanden bereichern will. Handeln im Interesse des Geschädigten: Mangels Bereicherungsvorsatz<br />

scheidet Betrug für den aus, der eine Sache ausschließlich zugunsten bzw. für Rechnung des Getäuschten<br />

verwenden will. Irrtum über den wirtschaftlichen Wert = Ohne Bereicherungsvorsatz handelt jener der<br />

verkennt, dass die abgelistete Sache einen wirtschaftlichen Wert besitzt. Erstreben von immateriellen<br />

Vorteilen (Kontakte, Beziehungen sonstige Annehmlichkeiten) unterfallen nicht dem Bereicherungsvorsatz.<br />

Abwehr von Strafen oder Maßnahmen = Ohne Bereicherungsvorsatz handelt, wer sich durch Täuschung<br />

der strafrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Geldstrafe entziehen will. Stoffgleichheit von<br />

Vermögensschaden und Bereicherung: Die Bereicherung muss der Täter durch das Verhalten des<br />

Getäuschten erreichen wollen. Am deutlichsten ist wohl die Formulierung, dass die Bereicherung<br />

unmittelbar auf Kosten des geschädigten Vermögens geschehen soll. Unrechtsmäßigkeitskorrektiv: Der<br />

erweiterte Vorsatz muss die Unrechtmäßigkeit der Bereicherung umfassen. Dolus eventualis genügt. -+<br />

Fallgruppen: Bestehen eines fälligen Anspruchs durch den Täter zur Vermehrung des Vermögens lässt idR<br />

schon den Vermögensschaden entfallen (oder die unrechtmäßige Bereicherung). Irrtümliche Annahme<br />

eines fälligen Anspruchs =Ohne erweiterten Vorsatz handelt, wer glaubt einen fälligen Anspruch zu haben.<br />

Äquivalentes Austauschobjekt = Wer einen Gegenstand ablistet und dafür einen gleichwertigen zurücklässt,<br />

will sich nicht unrechtmäßig bereichern. Selbsthilfebetrug =Wer sich zur Durchsetzung eines tatsächlich<br />

bestehenden Anspruches der Täuschung bedient begeht keinen Betrug.<br />

Bereicherung zugunsten Dritter: Wird die Bereicherung zugunsten eines Dritten erstrebt, dann handelt es<br />

sich um einen fremdnützigen Betrug.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Rechtfertigungsgründe kommen kaum in Betracht. Wer den Trick durchschaut und trotzdem zahlt, ist häufig<br />

einverstanden und daher nicht getäuscht. Aber es kann insoweit Betrugsversuch in Betracht kommen.<br />

11I. Schuld:<br />

Tatvorsatz: Der Tatvorsatz muss sowohl das Bewusstsein, als auch den Willen umfassen, durch Täuschung<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 146 Betrug<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

über Tatsachen einen themagleichen Irrtum (= Irrtum über die Tatsache, über die getäuscht wurde) zu<br />

verursachen und dadurch den Getäuschten zu einer Vermögensverfügung zu veranlassen, welche einen<br />

unmittelbaren Schaden beim Geschädigten herbeiführt. In allen Beziehungen genügt dolus eventualis.<br />

Kenntnis der Person des Geschädigten: Schädigungsvorsatz wird dadurch nicht ausgeschlossen, dass der<br />

Täter den Geschädigten weder der Person noch dem Namen nach kennt oder sich insoweit irrt.<br />

Versuch: Strafbarer Versuch liegt vor, sobald der Täter seine auf Täuschung des anderen abzielende und<br />

idS ausführungsnahe Handlung vorgenommen hat. Maßgebend ist jene Täuschungshandlung, die nach der<br />

Vorstellung des Täters die Vermögensverfügung unmittelbar auslösen soll. Absolut untauglicher Versuch ist<br />

bei Betrug kaum denkbar. Vollendung: Maßgebender Zeitpunkt = Der Betrug ist mit dem - zumindest<br />

teilweisen - Eintritt des Vermögensschadens vollendet. Eine bloße Vermögensgefährdung genügt nicht.<br />

Das Delikt ist mit Schadenseintritt vollendet, aber erst mit dem Eintritt der Bereicherung beendet. Beim<br />

teilweisen Vermögensschaden (Schaden ist nicht im vom Täter vorgestellten Umfang eingetreten) kann der<br />

Täter idR wegen teils versuchten, teils vollendeten Betrugs zu bestrafen sein. Beteiligung: Auf Beteiligte,<br />

die ohne Bereicherungsvorsatz handeln, finden die §§ 146 ff keine Anwendung. Abgrenzungen: Täuschung,<br />

Diebstahl, Veruntreuung, Unterschlagung, Erpressung, Untreue, Betrügerische Krida, Fahrlässige Krida<br />

usw. Mangelnde Strafwürdigkeit der Tat: sehr selten.<br />

Delikt:<br />

§ 147 schwerer Betrug<br />

A. Urkundenbetrug § 147 Abs. 1 Z 1 1. Fall<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Es ist ein zusammengesetztes Delikt.<br />

Definition: (Absichts-)Urkunden iSd § 74 Z 7 sind schriftlich verkörperte Gedankenerklärungen, die zu<br />

rechtserheblichen Zwecken errichtet worden sind und ihren Aussteller erkennen lassen. Daher sind<br />

Zufallsurkunden wie private Briefe nicht erfasst (es fehlt an der Rechtserheblichkeit, außer entsprechender<br />

Inhalt). Beachte: Ob es sich um private oder öffentliche Urkunden handelt macht beim Urkundenbetrug<br />

keinen Unterschied. Außerhalb des Urkundenbegriffes liegen: Einfache Kopien und Abschriften (= nicht<br />

beglaubigte Abschriften), Zufallsurkunden (keine Rechtserheblichkeit gegeben), öffentliche<br />

Beglaubigungszeichen (wer eine postamtliche Plombe nachmacht = Beweismittelbetrug), private<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 147 schwerer Betrug<br />

11. Sonderprobleme:<br />

Beweiszeichen (wer Preisetiketten eines Geschäftes nachmacht = Beweismittelbetrug), technische<br />

Aufzeichnungen und technische Anzeigen (Fahrtenschreiberdiagramme, Kilometeranzeige, Strom-,<br />

Gasanzeige =Beweismittelbetrug), sonstige Gewährschaftsträger (Briefmarken, Geldmarken =<br />

Beweismittelbetrug); Echtheitsproblem: Entgegen dem missverständlichen Sprachgebrauch des 8tGB ist<br />

falsch iSd § 147 Abs. 1 Z 1 1. Fall ausschließlich als unecht zu verstehen. Das maßgebliche Kriterium der<br />

unechten Urkunde ist die Täuschung über die Identität des Ausstellers. Eine Urkunde ist falsch = unecht,<br />

wenn sie nicht von dem herrührt, von dem sie herzurühren scheint. Beachte: Inhaltlich unrichtige ( =<br />

unwahre) Urkunden werden als bloße schriftliche<br />

Lügen (Lugurkunden) nicht von §§ 223 f bzw. § 147 Abs. 1 Z 1 1. Fall erfasst.<br />

Definition - verfälschte Urkunde: Eine (echte) Urkunde ist verfälscht, wenn ihr Inhalt unbefugt<br />

abgeändert und zugleich der Anschein erweckt wird, als stamme ihr jetziger Inhalt vom Aussteller.<br />

Beachte: Wenn der Aussteller seine eigene Urkunde verfälscht, ist die unbefugte Eigenänderung durch den<br />

Aussteller eine unter dem Aspekt des § 223 (sowie des § 147 Abs. 1 Z 1 1. Fall) straflose schriftliche Lüge.<br />

Doch macht sich der Aussteller idR wegen Urkundenunterdrückung gemäß § 229 (uU iVm 146) strafbar.<br />

Tathandlung: Definition - Tathandlung: Die Urkunde muss vom (Ver-)Fälscher oder einem Dritten "zur<br />

Täuschung benützt" werden. Das ist der Fall, wenn sie dem Beweisadressaten zum Zweck der<br />

Erregung eines verfügungs- und schadenskausalen Irrtums zugänglich gemacht wird.<br />

Versuch: Der Versuch des Urkundenbetrugs beginnt erst mit einer iSd § 15 Abs. 2 ausführungsnahen, dh<br />

auf Täuschung abzielenden Handlung. Das bloße Bei-sieh-Führen einer ge- oder verfälschten Urkunde ist<br />

unter dem Aspekt des Urkundenbetrugs noch straflose Vorbereitungshandlung, bis mit der<br />

betrugsbegründenden Täuschungshandlung selbst begonnen wird. Ein bloß relativ untauglicher Versuch<br />

liegt vor, wenn der zu Täuschende die Täuschungshandlung oder die Fälschung durchschaut. Vollendung:<br />

Anders als bei § 223 Abs. 2 kommt es nicht auf den Abschluss des Benützens, sondern auf den Eintritt des<br />

Vermögensschadens an. Rücktritt: Strafbefreiender Rücktritt vom versuchten Urkundenbetrug ist gemäß §<br />

16 möglich. Doch bleibt der Täter idR gemäß §§ 223 f strafbar (sog qualifizierter Versuch), falls nicht<br />

insoweit die Voraussetzungen des § 226 vorliegen. Beteiligung: Wer das Betrugsvorhaben seines<br />

Komplizen kennt, aber nicht weiß, dass dazu Urkunden benutzt werden, ist nach allgemeinen Grundsätzen<br />

nur wegen Beteiligung am Grunddelikt zu bestrafen. Abgrenzungen: Im Unterschied zu §§ 223 f setzt § 147<br />

Abs. 1 Z 1 1. Fall stets einen Vermögensbezug, insb Schädigungs- und Bereicherungsvorsatz, voraus. Der<br />

Täter muss diesen Vorsatz bereits im Zeitpunkt der Benützung gefasst haben. Konkurrenzen: § 147 Abs. 1<br />

Z 1 1. Fall ist lex specialis im Verhältnis zum Gebrauch eines Falsifikats gemäß §§ 223 Abs. 2 bzw. 224.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 147 schwerer Betrug<br />

I. Tatbestand:<br />

B. Beweismittelbetrug § 147 Abs. 1 Z 1 2. Fall<br />

Definition - Beweismittel: Der Beweismittelbegriff des § 147 Abs. 1 Z 1 2. Fall umfasst nur<br />

Gewährschaftsträger, dh nur Gegenstände, die im Rechtsverkehr anerkannte gewährschaftliche<br />

Funktionen erfüllen, ohne Sonderregelungen zu unterliegen =reduzierter oder materieller<br />

Beweismittelbegriff. Ausgeschieden sind somit persönliche Beweismittel (Zeugenaussagen,<br />

Sachverständigenaussagen), besonders geregelte sachliche Beweismittel (Absichtsurkunden, Messgeräte,<br />

Grenz- und Wasserstandszeichen), bloße Augenscheinobjekte (Bremsspuren, beschädigte Sache,<br />

Verletzungsspuren an Menschen, verfälschte Lebensmittel). Ein anderes solches Beweismittel: keine<br />

brauchbaren Beispiele vorhanden. Tathandlung: Das Beweismittel muss "zur Täuschung benützt", dh zum<br />

Zweck der Erregung eines verfügungs- und schadenskausalen Irrtums verwendet werden.<br />

c. Maß- und Gewichtsbetrug § 147 Abs. 1 Z 1 3. Fall<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Der Täter bedient sich zur Täuschung eines anerkannten Gewährschaftsträgers.<br />

Definition - Messgeräte: Darunter versteht man Waagen, Gewichte, Autotachos, Schankgefäße uä<br />

Gegenstände, die dazu bestimmt sind, im Rechtsverkehr zum Messen verwendet zu werden.<br />

D. Grenzbetrug § 147 Abs. 1 Z 2<br />

Allgemeines:<br />

Die praktische Bedeutung dieses Deliktes ist nur noch gering.<br />

E. Amtsbetrug § 147 Abs. 1 Z 3<br />

I. Tatbestand:<br />

Definition Beamter siehe § 74 Z 4. Das Delikt kann nicht nur vom Nichtbeamten, sondern auch vom<br />

unzuständigen Beamten begangen werden.<br />

F. Betrug mit einem Schaden, der € 2.000,-- übersteigt § 147 Abs. 2<br />

I. Tatbestand:<br />

Die Überschreitung der Schadensgrenze muss vom Tatvorsatz umfasst sein. Dolus eventualis genügt.<br />

Schadensberechnung: dazu siehe § 146. Es gilt das Zusammenrechnungsprinzip § 29.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 147 schwerer Betrug<br />

Allgemeines:<br />

G. Betrug mit einem Schaden, der € 40.000,-- übersteigt § 147 Abs. 3<br />

Jenseits dieser Schadensgrenze wird die Tat zu einem Verbrechen. Abs. 3 verdrängt als lex specialis Abs.<br />

2. Bei Zusammentreffen mehrere Betrugsqualifikationen ist Idealkonkurrenz anzunehmen. Das gilt auch im<br />

Verhältnis des § 147 zu § 148.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 148 gewerbsmäßiger Betrug<br />

Es gibt den einfachen gewerbsmäßigen Betrug § 148 1. Fall und denn schweren gewerbsmäßigen Betrug §<br />

148 2. Fall. Zentrales Tatbestandsmerkmal ist der Begriff der Gewerbsmäßigkeit § 70.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 148a betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch<br />

Es handelt sich um ein Vermögensverschiebungsdelikt, aber - im Gegensatz zu § 146 - um kein<br />

Selbstschädigungsdelikt, sondern um ein Fremdschädigungsdelikt.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Wie beim Betrug wird ausschließlich des Vermögen geschützt.<br />

Fallprüfungsschema: Es muss wie beim Betrug zwischen den einzelnen Merkmalen des objektiven<br />

Tatbestands jeweils Kausalität iSd Äquivalenztheorie bestehen. Objektiver Tatbestand: 1. Vornahme von<br />

bestimmten Computermanipulationen, dadurch 2. Beeinflussung des Ergebnisses einer<br />

automationsunterstützten Datenverarbeitung, dadurch 3. Eintritt eines Vermögensschadens. Subjektiver<br />

Tatbestand: Vorsatz sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern. Täterkreis: § 148a ist ein<br />

Allgemeindelikt. Täter kann daher grundsätzlich jedermann sein, dh neben dem DV - Personal. Verletzter:<br />

Geschädigter ist ausschließlich der in seinem Vermögen geschädigte. Das kann der Auftraggeber (z.B. ein<br />

Geldinstitut), der Betreiber der DV-Anlage, aber auch jede sonstige mit dieser Anlage kommunizierende<br />

Person sein (Kontoinhaber).<br />

Vornahme von bestimmten Computermanipulationen: Es gibt Inputmanipulationen (Eingabephase),<br />

Programm- und Konsolenmanipulationen (Verarbeitungsphase) sowie Outputmanipulationen<br />

(Ausgabephase) einschließlich denkbarer Zwischenformen.<br />

Abs. 1 2. Fall Manipulationen durch Eingabe, Veränderung oder Löschung von Daten = Inputmanipulation:<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 91 von 147


§ 148a betrügerischer DV-Missbrauch Fallgruppen der Inputmanipulation: Manipulation mittels unrichtiger oder unvollständiger Daten = Beachte<br />

auch derjenige der richtige Daten eingibt, dies aber im Bewusstsein eines der materiellen Rechtslage<br />

widersprechenden DV-Ergebnisses, wird durch § 148a erfasst. Manipulation durch unbefugte Verwendung<br />

von Daten = Es reicht das bloße Aktivieren des DV-Prozesses unter der Voraussetzung, dass die DV­<br />

Anlage ein der materiellen Rechtslage nicht entsprechendes Ergebnis liefert bzw. liefern soll -+ Unbefugte<br />

Benutzung von fremden Bankomatkarten zur Geldabhebung unter Eingabe des richtigen Codes. Dieser<br />

Fall ist ein geradezu klassisches Beispiel für ein nunmehr gemäß § 148a strafbare Inputmanipulation. Im<br />

Hinblick auf das Eingreifen dieser speziellen Strafvorschrift erübrigt sich der schon im bisherigen Recht<br />

nicht unproblematische Ausweg, solche Verhaltensweisen als Diebstahl zu konstruieren. Unbefugte<br />

Benutzung von fremden Bankomatkarten zur Bezahlung an einer Bankomatkasse =Ebenso begeht § 148a,<br />

wer unbefugt mit einer fremden Bankomatkarte an einer Bankomatkasse bezahlt. Die Diebstahlslösung des<br />

OGH würde hier vollends in Leere greifen. Abs. 1. 1 Fall Manipulation durch Gestaltung des Programms:<br />

Die sog. Programmmanipulation bezieht sich auf die Verarbeitungsphase. Der Täter kann etwa einzelne<br />

Programmschritte verändern oder löschen, zusätzliche einbauen, bisherige Programmschritte, z.B.<br />

Systemkontrollen umgehen usw.<br />

Abs. 1 4. Fall Manipulationen durch sonstige Einwirkungen auf den Ablauf des<br />

Datenverarbeitungsvorganges: Es ist keine uferlose Generalklausel. Es sind nur die Konsolen- oder die<br />

Outputmanipulation erfasst. Definition - Datenverarbeitungsvorgang: Datenverarbeitungsvorgänge sind<br />

alle ganz oder teilweise automationsunterstützt erfolgenden Abläufe von Verarbeitungsschritten zur<br />

Erreichung eines bestimmten Arbeitsergebnisses. Konsolenmanipulation: Hier geht es um Eingriffe, die<br />

auf die Verarbeitungsphase abzielen. Konsolenmanipulation erfassen alle Beeinflussungen des<br />

Verarbeitungsablaufes, die von der Konsole, dh der Eingabetastatur, ausgehen. Outputmanipulation: Sie<br />

umfassen Einwirkungen auf den Ablauf des Ausgabevorganges, die dazu führen, dass etwa unrichtige<br />

Daten ausgedruckt werden oder der Datenausdruck ganz oder teilweise unterbleibt. Beeinflussung der<br />

Ergebnisse einer automationsunterstützten Datenverarbeitung: Es genügt nicht, dass die Datenverarbeitung<br />

durch Falschprogrammierung nur verzögert wird, es muss das Ergebnis der materiellen Rechtslage nicht<br />

entsprechen. Mitverursachung genügt.<br />

Eintritt des Vermögensschadens: Es gelten dazu die bei Betrug dargestellten Grundsätze.<br />

Unmittelbarkeitserfordernis: Der Eintritt des Vermögensschadens muss eine unmittelbare Folge der<br />

Computermanipulation und der dadurch bewirkten Beeinflussung des Ergebnisses der<br />

automationsunterstützten Datenverarbeitung sein. Abgrenzung gegenüber dem Betrug §§ 146 ff: Wenn ein<br />

menschlicher Entscheidungsträger das Ergebnis des Computers überprüft und dieses anschließend<br />

Strafrecht 8T Seite 92 von 147


§ 148a betrügerischer DV-Missbrauch genehmigt, dann liegt ein personenbezogenes Geschehen vor, welches in einer Vermögensverfügung<br />

umgesetzt wird. § 148a kommt daher nicht in Betracht, wenn das automationsunterstützt gewonnene<br />

Verarbeitungsergebnis eine solche Vermögensverfügung bloß vorbereitet bzw. erleichtert. Arbeitet die DV­<br />

Anlage jedoch selbstständig, dh unter Ausschluss eines menschlichen Entscheidungsträgers, liegt §<br />

148a vor. Abgrenzung gegenüber Diebstahl: Es besteht Exklusivität des § 148a. Das gilt insb für die<br />

unbefugte Verwendung einer fremden Bankomatkarte zur Barabhebung. An der deliktsspezifischen<br />

Unmittelbarkeit fehlt es aber, wenn die im § 148a umschriebenen Manipulationen dem Täter überhaupt erst<br />

den deliktischen Zugriff, insb den räumlichen Zugang zu einer fremden Sache, eröffnen bzw. ermöglichen<br />

(z.B. Codekarte wird zum Einbruch benutzt -+ Einbruch gemäß § 129).<br />

Bereicherungsvorsatz: Wie der Betrug ist auch § 148a ein Delikt mit überschießender Innentendenz. Dabei<br />

muss der Täter mit dem Vorsatz handeln, durch die Tathandlung sein wirtschaftliches Vermögen oder das<br />

eines Dritten unrechtmäßig und zumindest zeitweilig um den betreffenden Vermögenswert zu vermehren.<br />

Dolus eventualis reicht aus.<br />

11. Rechtfertigungsgründe Es gelten keine Besonderheiten.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Qualifikationen:<br />

V. Sonderprobleme:<br />

Der Tatvorsatz des § 148a muss das Bewusstsein und den Willen umfassen, durch die Vornahme einer der<br />

angeführten Computermanipulationen das Ergebnis einer automationsunterstützten Datenverarbeitung zu<br />

beeinflussen und dadurch unmittelbar einen Vermögensschaden herbeizuführen. In allen Beziehungen<br />

genügt dolus eventualis.<br />

Neben der gewerbsmäßigen Tatbegehung (§ 70) enthält § 148a Abs. 2 auch zwei (schadens-) qualifizierte<br />

Erfolgsdelikte (= Deliktsqual.). § 7 Abs. 2 findet "keine" Anwendung. Schadensberechnung wie bei Betrug.<br />

Versuch: Wirkt sich die Manipulation entgegen den Vorstellungen des Täters nicht auf das<br />

Verarbeitungsergebnis aus, führt sie zu keinem Vermögensschaden oder nur zu einer Beschädigung der<br />

Anlage, kommt idR Versuch des § 148a, uU auch Strafbarkeit gemäß §§ 125 f bzw. 126a in Betracht.<br />

Vollendung: Die Tat ist mit - zumindest teilweisem - Eintritt des Vermögensschadens vollendet. Eine Bloße<br />

Vermögensgefährdung reicht nicht aus. Abgrenzungen: Zwischen Betrug und § 148a besteht<br />

tatbestandsauschließende Exklusivität. Konkurrenzen: Mit §§ 223 f ist echte Idealkonkurrenz möglich, wenn<br />

der Input oder Output den Urkundenbegriff erfüllt. Dies trifft auf die Verwendung gefälschter<br />

Bankomatscheckkarten zu. Wahlfeststellung: Betrug und § 148a sind bis auf die gewerbsmäßige<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 148a betrügerischer DV-Missbrauch Tatbegehung in allen Deliktsstufen gleichgestellt. Bis auf die gewerbsmäßige Tatbegehung kommt<br />

Wahlfeststellung in Betracht.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 153 Untreue<br />

Geschütztes Rechtsgut: Das Vermögen des Machtgebers. Beachte: Wie bei § 133 ist es nicht Zweck der<br />

Untreue, schlichte Vertragswidrigkeiten, insb bloße Verletzungen des Innenverhältnisses, zu pönalisieren.<br />

Der § 153 betrifft in erster Linie die Führungsetage und das sonstige Management privater und öffentlicher<br />

Unternehmen. Die Untreue ist ein Sonderdelikt.<br />

I. Tatbestand: Täterkreis und Vertretungsmacht: Definition - Machthaber: Dies sind natürliche Personen, die durch<br />

Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft mit der Befugnis = Vertretungsmacht =<br />

Rechtsmacht ausgestattet sind, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu<br />

verpflichten. Fremdes Vermögen: Die Befugnis des Machthabers muss sich auf fremdes Vermögen<br />

beziehen. Der Vermögensbegriff deckt sich im wesentlichen mit dem des Betrugs. Vertretungsmacht:<br />

Vertretungsmacht kraft Gesetz = z.B. die Verwaltung des Kindesvermögens durch die Eltern gemäß § 144<br />

ABGB; Vertretungsmacht kraft behördlichen Auftrags =erforderlich ist ein formeller behördlicher<br />

Bestellungsakt (Masseverwalter); Vertretungsmacht kraft Rechtsgeschäft = Hier liegt das eigentliche<br />

Zentrum in der Praxis. Auch ein Unterbevollmächtigter kann tauglicher Täter des § 153 sein. Oft liegt der<br />

Vertretungsmacht ein Dienstverhältnis zugrunde. Vertretungsmacht kraft Rechtsgeschäfts besitzen die<br />

Vorstandsmitglieder einer AG oder einer Genossenschaft, ebenso der GF einer GmbH. Zu nennen sind<br />

weiters Rechtsanwälte, Notare, Hausverwalter, dispositionsbefugter Inkassomandatare, sowie Inhaber von<br />

Scheck- und Kreditkarten. Beachte: Mitarbeiter des Machthabers (Assistenten, Sachbearbeiter, technische<br />

Berater, Sekretärin) besitzen idR keine Vertretungsmacht. Sie können jedoch als Beteiligte strafbar sein<br />

(keine Intranei jedoch Extranei). Bei Vertretungsmacht kraft Rechtsgeschäft ist zu beachten: Falsus<br />

procurator und verwandte Probleme =Die Vertretungsmacht muss dem Täter rechtswirksam eingeräumt<br />

worden sein, bei Vornahme der Tathandlung noch bestehen und diese der Art nach umfassen. Daher<br />

scheidet Untreue aus, wenn der Betreffende Vertretungsmacht nur vorgetäuscht oder sich eigenmächtig<br />

angemaßt bzw. eine an sich bestehende überschritten hat. Ebenso wenn die Vertretungsmacht nicht<br />

wirksam entstanden oder zur Tatzeit bereits erloschen war, z.B. durch Widerruf. Maßstab für die Auslegung<br />

des § 153 ist die eingeräumte Vertretungsmacht als formale Rechtsposition. Auch der Missbrauch einer<br />

Strafrecht BT Seite 94 von 147


§ 153 Untreue<br />

Bankgarantie erfüllt den § 153. Unwirksamkeit des Innenverhältnis =Problematisch sind die Fälle, in denen<br />

bei nach außen fortbestehender Vertretungsmacht das Innenverhältnis im Zeitpunkt der Tat unwirksam ist.<br />

Untergeordnete Tätigkeiten = Rechtsmacht des § 153 setzt ein Mindestmaß an Machthaberermessen<br />

voraus. Wer dagegen nur mit Handlungen manipulativer oder vorbereitender Art betraut oder bloß zur<br />

Durchführung oder Überwachung von Handlugen rein tatsächlicher Natur berechtigt oder verpflichtet ist,<br />

wird dadurch nicht zum Machthaber (Boten, Schreibkräfte, Poliere, Buchhalter, Monteure). Mittelbare<br />

indirekte Stellvertretung =es liegt gerade keine Stellvertretung, sondern allenfalls ein interner Auftrag vor,<br />

bei dessen Ausführung der Betreffende im eigenen Namen tätig wird. Tathandlung: Sie besteht im<br />

Missbrauch von Vertretungsmacht. Darin liegen zwei wichtige Begrenzungen des Tatbildes. Die Handlung<br />

muss rechtlicher Natur und außerdem missbräuchlich sein. Handlungen rechtlicher Natur:<br />

Rechtsgeschäftliche Handlungen sind etwa das Eingehen von Verbindlichkeiten, insb Auftragserteilungen,<br />

Ausstellen bzw. Hingabe von Wechsel oder Scheck, Gewährung von Vorschüssen; Zu den sonstigen<br />

Handlungen mit rechtlichem Charakter zählen insb Einsatzes eines Firmen Bautrupp zu Hause, unrichtige<br />

Quittierungen, Anweisung Versicherungssummen an Nichtberechtigte auszuzahlen; Die Reduktion des<br />

Einzugsbereichs des § 153 auf Handlungen rechtlicher Natur entspricht der Missbrauchstheorie und ist zum<br />

Schutz vor Ausuferungen unerlässlich. Rechtshandlungen eines Beamten im Rahmen der<br />

Privatwirtschaftsverwaltung liegen außerhalb des § 302. In diesen Bereich dient der § 153 zur<br />

Korruptionsbekämpfung. Definition - Missbrauch: Abzustellen ist auf die unterschiedliche Reichweite<br />

von Außen- und Innenverhältnis. Der Machthaber missbraucht eine ihm eingeräumte Befugnis, wenn<br />

seine Rechtshandlung im Außenverhältnis wirksam ist, aber im Widerspruch zu seinen Pflichten<br />

gegenüber dem Machtgeber im Innenverhältnis steht. Kurzformei: Missbrauch iSd § 153 liegt vor,<br />

wenn ein Machthaber im Rahmen seines rechtlichen Könnens gegen das interne Dürfen verstößt<br />

(z.B. Prokurist, GF der GmbH usw. aber nicht auf Boten anwendbar). Missbrauchsmaßstab:<br />

Entscheidend ist die Ausgestaltung im Innenverhältnis. Die Rechte und Pflichten im Innenverhältnis<br />

ergeben sich meist aus Gesetz, Vertrag, Satzung oder Einzelweisungen des Machtgebers bzw.<br />

Vorgesetzten. Fehlen solche Anhaltspunkte, greift die Praxis auf die Grundsätze redlicher und<br />

verantwortungsbewusster Geschäftsführung zurück, die sich am wohlverstandenen Interesse des<br />

Machtgebers zu orientieren haben. Es haben sich drei zentrale Anwendungsbereiche herausgebildet: a)<br />

Sog riskante Geschäfte, insb Spekulationsgeschäfte (Missbrauch beginnt bei Überschreitung der<br />

Risikogrenzen); b) Provisions- und Bestechungsunwesen (OGH bestätigt das Prinzip, dass ein Machthaber,<br />

der von seinem Geschäftspartner Vermögensvorteile annimmt, wegen Untreue zu bestrafen ist, wenn dem<br />

Machtgeber daraus ein Vermögensmachteil ,insb über die Preisbildung, erwächst); c) Verschwenderischer<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 153 Untreue Aufwand, unternehmenszweckwidrige Zuwendungen, Parteispenden (Bei Einhaltung der Verkehrsadäquanz<br />

nicht missbräuchlich iSd § 153). Zufügung eines Vermögensnachteils: Der Vermögensnachteil deckt sich im<br />

Wesentlichen mit dem Vermögensschaden beim Betrug, besitzt jedoch insoweit einen eigenen Akzent, als<br />

bei § 153 auch das Ausbleiben einer Vermögensvermehrung ins Blickfeld tritt. Definition ­<br />

Vermögensnachteil: Vermögensnachteil ist jede effektiv eingetretene, in Geld<br />

bezifferbare Einbuße an Vermögenssubstanz. (z.8. Preisnachlässe, die vom Machthaber kassiert<br />

werden, eigennützige Verfügung über Schwarzgeltkonten) Identitätsprobleme: Der Machtgeber und der<br />

Geschädigte müssen beim § 153 identisch sein. Die Schädigung des Vermögens Dritter, z.B.<br />

Geschäftspartner, genügt nicht. Der Vermögensnachteil muss kein dauernder sein (vorübergehend reicht<br />

aus). Feststellung des Vermögensnachteiles: Gesamtsaldierung und Schadenskompensation (im<br />

wesentlichen wie beim Betrug).<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Mitunter wird rechtfertigender (wirtschaftlicher) Notstand erwogen. Bei § 153 spielt das vorherige<br />

Einverständnis des Machtgebers eine große Rolle. Eine befugnismissbräuchliche oder gar<br />

strafgesetzwidrige Weisung rechtfertigt zwar einen beteiligten Untergebenen nicht, kann für diesen aber<br />

einen beachtlichen Irrtum begründen.<br />

111. Schuld: Tatvorsatz: Spezifizierter Tatvorsatz. Bezüglich des Missbrauchs der Vertretungsmacht muss der Täter<br />

wissentlich iSd § 5 Abs. 3 handeln. Darin liegt, vom Gesetzgeber gezielt vorgenommene und in der Sache<br />

unverzichtbare Begrenzung der Strafbarkeit. Schädigungsvorsatz: Hinsichtlich der Zufügung des<br />

Vermögensnachteils reicht dolus eventualis. Der Schädigungsvorsatz ist in den Fällen unproblematisch, in<br />

denen der Täter aus Eigennutz handelt. Irrtumsprobleme: Irrtum über die Verbindlichkeit von Weisungen,<br />

die vermutete Einwilligung usw. ~ es kommt häufig ein Tatbildirrtum oder ein Irrtum gemäß § 9 ins Spiel.<br />

Entschuldigender wirtschaftlicher Notstand;<br />

IV. Qualifikationen:<br />

§ 153 Abs. 2 enthält Deliktsqualifikationen. Die Überschreitung der Schadensgrenze muss vom Vorsatz<br />

umfasst sein. § 29 ist zu beachten.<br />

V. Sonderprobleme: Versuch: Bezugspunkt für die Ausführungsnähe ist jene missbräuchliche Rechtshandlung, die den<br />

Vermögensnachteil unmittelbar auslösen soll. Vollendung: Die Untreue ist erst mit dem - zumindest<br />

teilweisen - effektiven Eintritt des Vermögensnachteils vollendet. Beteiligung: Durch den Extranei ist die<br />

Beteiligung möglich. Bezüglich der Schädigung des Machtgebers genügt auch beim Bestimmungs- oder<br />

Strafrecht 81 Seite 96 von 147


§ 153 Untreue<br />

Beitragstäter dolus eventualis. Beitrags- und Bestimmungstäter müssen aber wissen (§ 5 Abs. 3), dass der<br />

Machthaber seine Befugnis missbraucht. Durch Unterlassen könnten sich z.B. die Mitglieder der<br />

Unternehmensführung strafbar machen, die Kenntnis von untreuerelevanten Geschäften des Täters haben.<br />

Abgrenzungen: Veruntreuung (§ 133) und Untreue stehen sich wesensmäßig nahe und bedürfen präziser<br />

Abgrenzungen. Tatsächliche Zueignungshandlungen = Beschränkt sich ein Machthaber auf tatsächliche<br />

Zueignungsakte, liegt bei anvertrauten Sachen (nur) Veruntreuung, bei Bruch von (Mit-)Gewahrsam<br />

Diebstahl vor. Verfügungen über bewegliche Sachen = Verfügt der Machthaber über anvertraute Waren,<br />

Geld oder Wertpapiere nicht als Machthaber, sondern im eigenen Namen und für eigene Rechnung, liegt<br />

idR Veruntreuung vor. Ein Machthaber, der über solche Gegenstände im Namen und für Rechnung des<br />

Machtgebers verfügt und dabei dessen Vermögen schädigt, hat Untreue zu verantworten. Verfügungen<br />

über andere Vermögenswerte: Die ausschließliche Domäne der Untreue beginnt dort, wo andere<br />

Vermögenswerte als bewegliche Sachen betroffen sind, etwa Grundstücke, Forderungen (isnb<br />

Bankkonten), Urheberrechte, Dienst- und Werkzeichnungen uä. Betrug (§§ 146 ff): Die Grenzziehung ergibt<br />

sich daraus, dass § 146 ein Selbstschädigungs-, § 153 aber ein Fremdschädigungsdelikt ist. Beachte: Der<br />

Missbrauch eigener Scheck- und Kreditkarten begründet idR Untreue gegenüber dem Kreditinstitut.<br />

Geschenkannahme durch Machthaber § 153a. Missbrauch der Amtsgewalt § 302. Für<br />

vermögensschädigende Amtsgeschäfte im Bereich der Hoheitsverwaltung und der Gerichtsbarkeit ist § 302<br />

im Verhältnis zu § 153 exklusiv. Konkurrenzen: Wegen der Verschiedenheit der betroffenen Vermögen ist<br />

echte Konkurrenz mit § 159 möglich. Wahlfeststellung: Sie ist mit anderen Delikten, insb mit § 133, § 146<br />

oder § 153a, nicht möglich. Mangelnde Strafwürdigkeit der Tat: § 42 kann im Bagatellebereich in Betracht<br />

kommen.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 156 StGB betrügerische Krida<br />

Der Sache nach handelt es sich um vorsätzliche Gläubigerschädigung durch einen Gemeinschuldner.<br />

Beachte: Im Unterschied zur Vollstreckungsvereitelung (§ 162) setzt § 156 das Vorhandensein mehrerer<br />

Gläubiger voraus. Doch ist nicht erforderlich, dass tatsächlich mehrere Gläubiger in Mitleidenschaft<br />

gezogen werden, es genügt die Schädigung eines einzigen. Es handelt sich um ein Erfolgsdelikt.<br />

Geschütztes Rechtsgut: der Gläubiger; Die Gläubigereigenschaft wird durch die Entstehung und nicht durch<br />

die Fälligkeit der Forderung begründet. Aber beim Konkurs im Gegensatz zu den<br />

Absonderungsberechtigten (§ 48 KO) genießen die Aussonderungsberechtigten (§ 44 KO) nicht den<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 97 von 147


§ 156 StGB betrügerische Krida<br />

I. Tatbestand:<br />

Strafschutz des § 156 insoweit bleibt es bei §§ 127 ff, 133. Anders als bei der fahrlässigen Krida (§ 159)<br />

kommt es auf das Bevorstehen einer Krisensituation oder deren Eintritt nicht an. Qualifikationen: Bereits<br />

das Grunddelikt ist ein Verbrechen. Der Abs. 2 enthält eine Deliktsqualifikation, für den Fall, dass der<br />

Ausfall zu Lasten der Gläubiger € 40.000,-- übersteigt.<br />

Täterkreis: Es handelt sich um ein Sonderdelikt iSd § 14 Abs. 1. Als unmittelbare Täter (Intranei) kommen<br />

neben den Gemeinschuldner die leitenden Angestellten eines Unternehmens (§ 161) in Betracht. Tatobjekt:<br />

Vermögensbestandteile iSd §§ 156 ff sind alle Grundstücke, beweglichen Sachen, Forderungen,<br />

Geschäftsanteile und sonstigen wirtschaftlichen Werte des Gemeinschuldners, die dem exekutiven Zugriff<br />

der Gläubiger unterliegen bzw. im Insolvenzverfahren verwertbar sind. Es ist auch für die Kridadelikte der<br />

wirtschaftliche Vermögensbegriff maßgebend. Tathandlung: Bei der im § 156 Abs. 1 angeführten wirklichen<br />

oder scheinbaren Verringerung des Vermögens des Gemeinschuldners handelt es sich um eine<br />

Generalklausel. Gläubigerbenachteiligung: § 156 scheidet aus, wenn das Schuldnervermögen in seiner<br />

Gesamtheit nicht verringert worden ist. § 156 ist kein Gefährdungs- sondern ein Verletzungsdelikt. Daher<br />

begründet der bloße Abschluss eines Veräußerungsvertrages nicht Vollendung, sondern zunächst nur<br />

Versuch des § 156. Effektiver Eintritt einer Gläubigerbenachteiligung =Der Tatbestand setzt den effektiven<br />

Eintritt eines Befriedigungsausfalls bei mindestens einem Gläubiger voraus. Dieser muss weder von Dauer<br />

noch endgültig sein. Eine bloße Verzögerung der Gläubigerbefriedigung genügt nicht. Die Befriedigung<br />

eines Gläubigers ist vereitelt, wenn er leer ausgeht, geschmälert, wenn er weniger erhält, als ihm zusteht.<br />

Die Allgemeinen Grundsätze von Kausalität und objektiver Zurechnung gelten auch bei § 156.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Zur Frage des wirtschaftlichen Notstands siehe § 159.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: In allen Beziehungen genügt dolus eventualis (§ 5 Abs. 1); Bereicherungsvorsatz ist nicht<br />

erforderlich, das Motiv ist gleichgültig. Bei nicht nachweisbarem Vorsatz kann § 159 in Betracht kommen.<br />

Unrechtsbewusstsein: Hier wäre ein Verbotsirrtum des Angeklagten möglich. Entschuldigungsgründe:<br />

Entschuldigender wirtschaftlicher Notstand (§ 10) kommt nur ausnahmsweise in Betracht.<br />

Versuch: Es gelten die allgemeinen Versuchsregeln. Vollendung: § 156 ist erst mit Eintritt der effektiven<br />

Benachteiligung zumindest eines Gläubigers vollendet. -+ 1. Im Falle wirklicher Vermögensverringerung ist<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 98 von 147


§ 156 StGB betrügerische Krida<br />

§ 156 vollendet, sobald der bereffende Gegenstand aus dem exekutiv verwertbaren Schuldnervermögen<br />

ausscheidet und dadurch die Befriedigung zumindest eines Gläubigers ganz oder teilweise beeinträchtigt<br />

wird, etwa durch Beiseiteschaffen oder Übereignung an Dritte. 2. Bei scheinbarer Vermögensverringerung<br />

tritt die Deliktsvollendung erst dann ein, wenn der scheinbar verringerte Befriedigungsfonds Gegenstand<br />

einer verwertungsbezüglichen Disposition, sei es durch die Gläubiger, sei es durch ein gerichtliches Organ,<br />

geworden ist. Bis dahin ist idR Versuch anzunehmen. Auf den Abschluss des Insolvenzverfahrens kommt<br />

es idR nicht an. Tätige Reue siehe § 167. Beteiligung: Ein Extraneus kann nicht unmittelbarer Täter des §<br />

156, sondern nur Beteiligter gemäß § 12 2. oder 3. Fall, § 14 Abs. 1 erster Satz sein. Abgrenzungen: Betrug<br />

(§§ 146 ff) =Täuschungshandlungen des Gemeinschuldners gegenüber seinen Gläubigern sind, soweit sie<br />

§ 156 erfüllen, als betrügerische Krida und nicht etwa ausschließlich oder zusätzlich als Betrug zu<br />

beurteilen (=Exklusivität). Hehlerei (§ 164) =Hehlerei des durch die Kridahandlung begünstigten Dritten ist<br />

möglich. Der (vorher) eingeweihte Nutznießer ist idR nur gemäß §§ 123. Fall, 14 Abs. 1, 156 strafbar, weil<br />

er hinsichtlich derselben Sache nicht gleichzeitig Hehler sein kann. Konkurrenzen: Mehrere vorsätzliche<br />

und fahrlässige Kridahandlungen können realiter konkurrieren.<br />

Delikt:<br />

§ 159 8tGB fahrlässige Krida<br />

A. Die Fälle des § 159 Abs. 1<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

Die beiden Deliktsfälle des § 159 Abs. 1 und 2 sind Erfolgsdelikte, und zwar Vermögensschädigungsdelikte.<br />

Täterkreis: Bei allen drei Deliktsarten handelt es sich um Sonderdelikte iSd § 14 Abs. 1. Unmittelbarer Täter<br />

kann daher nur der Gemeinschuldner bzw. ein leitender Angestellter (§ 161) sein. Tathandlung:<br />

Generalklausel = Tathandlung ist das Herbeiführen seiner Zahlungsunfähigkeit. Diese Generalklausel<br />

umfasst alle nur denkbaren kridaträchtigen Verhaltensweisen. Gesetzliche Konkretisierung: Treiben<br />

übermäßigen Aufwandes, das leichtsinnige oder unverhältnismäßige Benutzen oder Gewähren von Kredit,<br />

das Verschleudern von Vermögensbestandteilen und das Abschließen gewagter Geschäfte.<br />

Deliktsspezifischer Sorgfaltsmaßstab: Auszugehen ist davon, dass selbst grob unwirtschaftliche<br />

Verhaltensweisen der in § 159 Abs. 5 beschriebenen Art strafrechtlich irrelevant sind, solange der<br />

Schuldner solvent bleibt. Definition - Sorgfaltsmaßstab für Wirtschafttreibende: Das Verhalten der<br />

Wirtschaftstreibenden darf nicht im Widerspruch zu einer in Anbetracht ihrer konkreten<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 99 von 147


§ 159 StGB fahrlässige Krida wirtschaftlichen Gesamtsituation vertretbaren Geschäftsgebarung stehen. Dabei kommt es auf den<br />

Standpunkt ex ante an. Eintritt der Zahlungsunfähigkeit: Definition - Zahlungsunfähigkeit: Ein Schuldner,<br />

der mangels flüssiger Mittel außerstande ist, bei redlicher wirtschaftlicher Gebarung binnen<br />

angemessener Frist seine fälligen Schulden ganz zu begleichen, ist zahlungsunfähig. Ob<br />

Zahlungsunfähigkeit vorliegt ist Tatfrage. Nicht als bald realisierbares Vermögen bleibt außer Betracht.<br />

Zahlungsunfähigkeit setzt weder vergebliche Exekution noch Andringen eines Gläubigers voraus.<br />

Überschuldung ist keine Voraussetzung. Beachte: Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit entscheidet über die<br />

Deliktsvollendung und bildet zugleich die maßgebliche Zäsur zwischen Abs. 1 und 2. Für Kridahandlungen,<br />

die danach vorgenommen werden, gilt ausschließlich Abs. 2. Kausalität und objektive Zurechnung: Die<br />

Zahlungsunfähigkeit muss durch die Kridahandlung herbeigeführt worden sein. Mitverursachung reicht.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Keine Besonderheiten.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Subjektive Fahrlässigkeitserfordernisse: Maßgebend ist der objektiviert-subjektive Maßstab der gehörigen<br />

Sorgfalt. Es kommt darauf an, ob ein anderer, der mit den geistigen und körperlichen Verhältnissen des<br />

Gemeinschuldners ausgestattet ist, in dessen Lage und an dessen Stelle erfahrungsgemäß befähigt<br />

gewesen wäre, die Kridaträchtigkeit seiner Handlung, insb die dadurch eintretende Zahlungsunfähigkeit zu<br />

erkennen und zu vermeiden. Bei Kaufleuten ist insoweit der Erfahrungs- und Wissenstandart eines<br />

verantwortungsbewussten Kaufmanns heranzuziehen.<br />

Beteiligung: § 14 Abs. 1 gilt auch für fahrlässig begehbare Delikte. Deshalb kann ein Extraneus, der<br />

fahrlässig zur Deliktsverwirklichung durch den Gemeinschuldner bzw. leitende Angestellte beiträgt, gemäß<br />

§§ 12 3. Fall, 14 Abs. 1, 159 als Beitragstäter zu bestrafen sein. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass er<br />

eine ihn selbst treffende unternehmens- und damit auch gläubigerbezogene und in diesem Sinn<br />

deliktsspezifische objektive Sorgfaltspflicht verletzt hat. GF einer GmbH, Vorstands- und<br />

Aufsichtsratsmitglieder, Prokuristen und andere leitende Angestellte haften nach Maßgabe der §§ 161, 309<br />

Abs. 2 ex lege als unmittelbare Täter. Dasselbe gilt für Gesellschafter, die in einer Krisensituation, etwa als<br />

bestellte oder selbsternannte Sanierer, geschäftsführerähnliche Aktivitäten entfalten. Partielle<br />

Haftungsausdehnung = Beitragstäter können auch unternehmensfremde Personen sein (z.B. Berater =<br />

Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater, auch Gutachter; Kreditgeber =<br />

Banken, auch private Geldgeber;) Nicht geschäftsführende Gesellschafter haften nur ausnahmsweise.<br />

Abgrenzungen: Gegenüber § 159 Abs. 2.<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 100 von 147


§ 159 StGB fahrlässige Krida<br />

I. Tatbestand:<br />

B. Der Fall des § 159 Abs. 2<br />

Täterkreis: Abs. 2 enthält wie der Abs. 1 ein Sonderdelikt. Eintritt der Zahlungsunfähigkeit: Im Unterschied<br />

zur Abs. 1 erfasst der Abs. 2 sämtliche gläubigerbenachteiligen Handlungen nach eingetretener<br />

Zahlungsunfähigkeit. Tathandlung: Generalklause/; Mit der Formulierung, dass der Täter die Befriedigung<br />

seiner Gläubiger oder wenigstens eines von ihnen vereiteln oder schmälern muss, verquickt das StGB hier<br />

- anders als bei § 156 - Tathandlung und Taterfolg. Ähnlich wie bei Abs. 1 liegt dem Abs. 2 eine<br />

Generalklausel zugrunde, die sämtliche gläubigerbenachteiligenden Verhaltensweisen nach Eintritt der<br />

Zahlungsunfähigkeit umfasst. Gesetzliche Konkretisierungen: Eingehen neuer Schulden, Zahlen von<br />

Schulden, Bestellen eines Pfandes, nicht rechtzeitiges Beantragen der Geschäftsaufsicht des<br />

Ausgleichsverfahrens oder der Eröffnung des Konkurses; Ob durch die Aufnahme neuer Kredite die Lage<br />

der Gläubiger tatsächlich verschlechtert wird, ist nicht maßgeblich. Teleologische Reduktion: Bezüglich des<br />

rechtzeitigen Beantragens der Eröffnung des Konkurses oder des Ausgleichsverfahrens gewährt § 69 Abs.<br />

2 KO bzw. § 1 Abs. 1 AO iVm § 69 Abs. 2 KO dem Schuldner einer Frist vom 60 Tagen ab Kenntnis der<br />

Insolvenz, in der er noch ernstzunehmende und sinnvolle Sanierungsmaßnahmen betreiben kann (auch<br />

Zahlung und Aufnahme von Krediten sind mögliche Maßnahmen, auch wenn sie für die Gläubiger nachteilig<br />

sind). Objektive Sorgfaltswidrigkeit: Die Tathandlungen des Abs. 2 werden im Hinblick auf die dadurch<br />

drohende Gläubigerbenachteiligung ex lege als objektiv sorgfaltswidrig angesehen.<br />

Gläubigerbenachteiligung: Taterfolg; Im Gegensatz zu Abs. 1 (Zahlungsunfähigkeit) besteht der Taterfolg<br />

bei Abs. 2 in der Herbeiführung einer Gläubigerbenachteiligung. Dies kann entweder durch Verkürzung des<br />

gemeinsamen Befriedigungsfonds oder dadurch geschehen, dass Stellung und Beziehung der Gläubiger<br />

untereinander zum Nachteil eines von ihnen verändert wird.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Keine Besonderheiten.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

1. Der positiven Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit ist deren fahrlässige Unkenntnis gleichgestellt, häufig<br />

liegt Vorsatz vor. 2. Für die Kridahandlung genügt subjektive Sorgfaltswidrigkeit. 3. Hinsichtlich der<br />

Gläubigerbenachteiligung darf der Täter nur fahrlässig gehandelt haben, denn bei entsprechenden<br />

Tatvorsatz kommen idR §§ 156 oder 158 zur Anwendung, uU auch §§ 146 ff.<br />

Tätige Reue wird bei Abs. 1 und 2 kaum relevant. Beteiligung wie unter Abs. 1. Abgrenzungen: Gegenüber<br />

§ 156 und § 158, gegenüber § 159 Abs.1; gegenüber § 146;<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 159 StGB fahrlässige Krida<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

c. Der Fall des § 159 Abs. 3<br />

Der Abs. 3 beseitigt die faktische Privilegierung jener Unternehmer bzw. Manager, deren<br />

herabgewirtschaftet Betriebe aus vorrangigen gesamtwirtschaftlichen Überlegungen durch das Eingreifen<br />

von Bund, Länder und Gemeinden vor dem unvermeidlichen Zusammenbruch bewahrt werden. § 159 Abs.<br />

3 ist nur bei kridaträchtiger Misswirtschaft, nicht aber in den Fällen eines aus gesamtwirtschaftlicher Sicht<br />

gerechtfertigten Weiterwirtschaftens anzuwenden.<br />

Geschütztes Rechtsgut: reine Gläubigerschutzbestimmung oder Schutz öffentlicher Mittel? -+<br />

Entstehungsgeschichte und systematische Zuordnung deuten darauf hin, dass § 159 Abs. 3 primär eine<br />

Gläubigerschutzbestimmung ist, der Aspekt des Schutzes öffentlicher Mittel kann jedoch fallweise<br />

ergänzend und relativierend hinzutreten.<br />

Täterkreis: § 159 Abs. 3 statuiert ein Sonderdelikt. Unmittelbare Täter können nur Gemeinschuldner und<br />

gleichgestellte leitende Angestellte (§ 161) sein. Tathandlung: § 159 Abs. 3 verwendet unter Verweis auf<br />

Abs. 5 ebenfalls eine Generalklausel. Eintritt der kridagleichen Situation: tatbildmäßiger Erfolg; Die<br />

wirtschaftliche Lage des Unternehmens muss durch eine kridaträchtige Handlung derart beeinträchtigt<br />

worden sein, dass ohne die genannten Sanierungsmaßnahmen Zahlungsunfähigkeit eingetreten wäre (=<br />

kridagleiche Situation). Definition - kridagleiche Situation: Eine idS kridagleiche Situation besteht, wenn<br />

sich die wirtschaftliche Lage derart verschlechtert hat, dass der alsbaldige Eintritt von<br />

Zahlungsunfähigkeit nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ohne fremde Hilfe unabwendbar<br />

erscheint. Kausalität und objektive Zurechnung: Diese konkrete Gefahr muss durch die kridaträchtige<br />

Tathandlung zumindest mitverursacht oder vergrößert worden sein. Abwendung der Zahlungsunfähigkeit:<br />

Der drohende Eintritt der Zahlungsunfähigkeit muss durch freiwillige Zuwendungen, vergleichbare<br />

Maßnahmen etc. seitens einer oder mehrerer Gebietskörperschaften tatsächlich abgewendet worden sein.<br />

Es handelt sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. Beachte: Der Tatbestand des § 159 Abs. 3<br />

entfällt, wenn eine Gebietskörperschaft zu Sanierungsmaßnahmen rechtlich verpflichtet ist (Diese<br />

Verpflichtung muss aber vor der kridagleichen Situation bestanden haben.).<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Entgegen der sonst ablehnenden Haltung der hM zum rechtfertigenden wirtschaftlichen Notstand wird<br />

dieser Rechtfertigungsgrund bei § 159 Abs. 3 im Fall der Wahrnehmung gesamtwirtschaftlicher oder/und<br />

beschäftigungspolitischer Belange bisher überwiegend befürwortet.<br />

Strafrecht BT Seite 102 von 147


§ 159 StGB fahrlässige Krida<br />

111. Schuld:<br />

Der Irrtum über das Bestehen oder den Umfang der Verpflichtung einer Gebietskörperschaft ist idR<br />

unbeachtlich. Beachte: Vorsätzliche Begehung einer kridaträchtigen Handlung schließt eine Veurteilung<br />

gemäß § 159 Abs. 3 nicht aus.<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tätige Reue ist gemäß § 167 nur theoretisch denkbar. Konkurrenzen: 159 Abs. 3 kann mit Abs. 1 realiter<br />

konku rrieren.<br />

D. Die Qualifikation des § 159 Abs. 4<br />

Allgemeines:<br />

Strafverschärfung für Personen die Großinsolvenzen heraufbeschworen haben. Man stellt auf die<br />

Erschütterung der Volkswirtschaft bzw. auf die Schädigung der wirtschaftlichen Existenz vieler Menschen<br />

ab. Dem Wortlaut nach handelt es sich um Deliktsqualifikationen iSd § 7 Abs. 1.<br />

Im Abs. 5 sind Legaldefinitionen bezüglich kridaträchtiger Handlungen gegeben.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 164 8tGB Hehlerei<br />

Geschütztes Rechtsgut: Die Hehlerei ist wieder zur Sachhehlerei und damit zu einem reinen<br />

Vermögensdelikt zurückgestutzt worden, das - je nach Vordelikt - meist das juristische bzw. wirtschaftliche<br />

Eigentum, aber auch sonstige Vermögenswerte schützt. Hehlerreibegründende Vortaten: Die Hehlerei ist<br />

weiterhin als klassische Anschlusstat konzipiert und setzt demgemäss die Begehung eines Vordelikts durch<br />

einen anderen als den Hehler voraus. "Ohne Stehler kein Hehler'. Deliktsschranken: Den frühestmöglichen<br />

Zeitpunkt bildet der Abschluss der Vortat, durch den eine rechtswidrige Vermögenslage begründet wird.<br />

Erst von diesem Augenblick an ist die Sache iSd § 164 erlangt und damit hehlereitauglich. Bis dahin kommt<br />

Beteiligung an der Vortat (§ 12) in Betracht. Der späteste mögliche Zeitpunkt der Hehlerei wird durch die<br />

Beendigung der rechtswidrigen Vermögenslage bestimmt. Sobald die bemäkelte Sache entweder wieder in<br />

die Verfügungsmacht des Verletzten zurückgelangt ist oder der Eintritt einer neuen und unanfechtbaren<br />

Eigentumslage den der Sache anhaftenden Makel getilgt hat, scheidet sie als hehlereitaugliches Objekt<br />

aus. Beachte: In diesem Zusammenhang gewinnen die Vorschriften über die verschiedenen Arten des<br />

gutgläubigen Erwerbs (§§ 367,371,824 ABGB; § 366 HGB) strafbarkeitsentscheidende Relevanz. Wer<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 103 von 147


§ 164 StGB Hehlerei<br />

gutgläubig unanfechtbares Eigentum erwirbt, kann wegen Hehlerei nicht bestraft werden, auch wenn er<br />

danach vom einstigen Makel erfährt. Damit scheidet auch für jeden weiteren (gut- oder bösgläubigen)<br />

Nacherwerber Hehlerei aus. Hehlerei eines künftigen Erwerbers bleibt aber weiter möglich, wenn der<br />

Vorbesitzer trotz Gutgläubigkeit kein Eigentum erworben hatte. Hehlerei begeht auch, wer dem Vortäter die<br />

Beute durch Betrug ablistet. Denn dabei handelt es sich um einen derivativen einvernehmlichen Erwerb,<br />

auch wenn das Einverständnis durch Täuschung erzielt wurde. Die Hehlerei ist kein Dauer- sondern ein<br />

Zustandsdelikt. Gesetzessystematik: Das StGB beschränkt sich auf die beiden klassischen<br />

Erscheinungsformen der Hehlerei, die eigennützige (Abs. 2) und die fremdnützige Hehlerei (Abs. 1) Eine<br />

Reihe von Qualifikationen bietet der Abs. 3 und 4.<br />

A. eigennützige Hehlerei § 164 Abs. 2<br />

I. Tatbestand:<br />

Tatobjekt: Gegenstand der Hehlerei sind ausschließlich Sachen, welche durch eine hehlereibegründende<br />

Vortat erlangt wurden, nicht aber Forderungen oder sonstige Rechte. Der Sachbegriff der Hehlerei deckt<br />

sich mit dem des Diebstahls. Im Unterschied zu §§ 127 ff werden auch unbewegliche Gegenstände erfasst.<br />

Wie beim Diebstahl muss die Sache einen nicht ganz unerheblichen wirtschaftlichen Wert (= Tauschwert)<br />

haben, braucht aber nicht handelsfähig zu sein (z.8. auch Suchtgift, Falschgeld usw.). Hehlerei ist nur an<br />

diebstahlfähigen Urkunden, dh an Wertträgern, mithin auch an anonymen Sparbüchern möglich, aber nicht<br />

an Pässen oder Fahrzeugpapieren, Geburtsurkunden, Reiseschecks. Fremdheit: § 164 setzt voraus, dass<br />

die Sache für den Hehler fremd ist. Es handelt sich um ein ungeschriebenes Tatbestandselement.<br />

Beachte: Mit dem Eintritt des unanfechtbaren Eigentums entfällt mangels hehlereitauglicher Sache bereits<br />

die Tatbestandsmäßigkeit (und nicht erst die Rechtswidrigkeit) für den Nacherwerber.<br />

Hehlerreibegründente Vortaten: Es kommen grundsätzlich die im 6. Abschnitt zusammengefassten<br />

Vermögensdelikte in Betracht. Rechtliche Beschaffenheit der Vortat: Nach hM muss die<br />

hehlereibegründende Vortat tatbestandsmäßig und rechtswidrig begangen worden sein. Bei einem Delikt<br />

mit überschießender Innentendenz muss der Vortäter daher auch mit erweitertem Vorsatz gehandelt haben.<br />

Schuldunfähigkeit sowie das Vorhandensein oder Fehlen sonstiger Schuldelemente beim Vortäter haben<br />

auf die Strafbarkeit des Hehlers keinen Einfluss. Das Vorliegen von persönlichen Strafbefreiungsgründen in<br />

der Person des Vortäters oder dessen Privilegierung durch den § 166 lässt die Strafbarkeit des Hehlers<br />

unberührt. Dasselbe gilt bei Verjährung der Vortat. Erlangt haben durch die Vortat: Der Vortäter muss die<br />

Sache unmittelbar durch eine hehlereibegründende Vortat erlangt haben. Die Verfügungsmacht über eine<br />

Sache reicht aus, denn sie ist mehr als bloßer Gewahrsam, nämlich eigene eigentümerähnliche<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 104 von 147


§ 164 StGB Hehlerei Herrschaftsmacht über die Sache. Taugliche Hehlereiobjekte sind ausschließlich solche Sachen, die der<br />

Vortäter unmittelbar durch die Vortat erlangt hat. Tathandlungen: Tatbildlich sind nur das Kaufen, (sonst)<br />

An-sieh-bringen und einem Dritten verschaffen. Kaufen: Der bloß Abschluss eines KV ohne gleichzeitige<br />

Übernahme der Verfügungsgewalt begründet für den (bösgläubigen) Käufer daher nicht vollendete, sondern<br />

allenfalls versuchte Hehlerei. Definition - sonst Ansichbringen: Man versteht darunter alle Handlungen,<br />

durch die jemand im Einverständnis mit dem Vortäter (oder Vorbesitzer) eigene eigentümerähnliche<br />

Verfügungsmacht über eine hehlereitaugliche Sache übernimmt. Mitverfügungsrnacht mit einem (z.B.<br />

mitstehlenden) Dritten oder dem Vortäter reicht. Ob die Übernahme der Sache direkt vom Vortäter oder<br />

einem (z.B. gutgläubigen) Vorbesitzer, entgeltlich oder unentgeltlich, auf Dauer oder vorübergehend, in<br />

ursprünglichen oder verändertem Zustand erfolgt, ist im Prinzip gleichgültig. Filterfunktionen und Grenzen:<br />

Durch das Ansichbringen maßt sich der Hehler eigentümerähnliche Verfügungsmacht an. Eine eigentümerähnliche<br />

Verfügungsmacht begründet nicht, wer die bemakelte Sache im Einverständnis mit dem Vortäter<br />

(oder Vorbesitzer) bloß vorübergehend gebraucht, entleiht oder mietet oder mit ihr sogleich gemäß § 125<br />

oder § 135 verfährt. Dagegen begründet die Pfandnahme oder die Entgegennahme des gestohlenen<br />

Geldes als Darlehen idR eigene eigentümerähnliche Verfügungsmacht iSd Ansichbringens. Strittig ist ob<br />

der bloße Mitverzehr eines gestohlenen Lebens- oder Genussmittels, als lnsichbringen ein Ansichbringen<br />

darstellt. Nach stRspr begründet schon die bloße Übernahme eines Pfandscheins vollendete Hehlerei an<br />

der dadurch repräsentierten Sache. Dies gilt nicht bei Entgegennahme des Autoschlüssels, der grünen<br />

Versicherungskarte oder des Zulassungsscheins eines gestohlenen Pkw. Sie repräsentieren nicht das<br />

Fahrzeug. Hehlerei ist in allen Begehungsvarianten ein schlichtes Tätigkeitsdelikt. Ansichbringen durch<br />

bloßes Unterlassen scheidet daher aus. Hilft der Ehepartner beim Ankauf, macht er sich gemäß §§ 123.<br />

Fall, 164 Abs. 2, hilft er beim Verstecken oder Verkauf, macht er sich gemäß § 123. Fall, § 164 Abs. 1<br />

strafbar. Einen Dritten verschaffen: Es wird das Ansichbringen nicht bloß auf die Begründung von<br />

Gewahrsam ausgerichtet, sondern man will alle Fälle erfassen, in denen der Hehler einem Dritten<br />

eigentümerähnliche Verfügungsmacht über eine bemakelte Sache unmittelbar, dh ohne zuvor selbst (als<br />

Durchgangsstufe) diese Verfügungsmacht erlangt zu haben, verschafft. Z.B. unmittelbarer Täter des § 164<br />

Abs. 2 ist der Angestellte, der für den abwesenden Geschäftsherrn, die vom Einbrecher angelieferte frische<br />

Ware entgegennimmt. Dabei spielt es keine Rolle, ob er eigenmächtig oder im Auftrag des Geschäftsherrn<br />

handelt. Dasselbe gilt für einen dubiosen Galeristen, der das gestohlene Bild durch den Dieb oder Dritte an<br />

den Abnehmer liefern lässt.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Rechtfertigungsgründe kommen bei der Hehlerei im Allgemeinen nicht in Betracht. Gutgläubiger, originärer<br />

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§ 164 StGB Hehlerei<br />

111. Schuld:<br />

IV. Qualifikationen:<br />

V. Sonderprobleme:<br />

Eigentumserwerb ist kein Rechtfertigungsgrund, sonder schließt bereits die Tatbestandsmäßigkeit aus.<br />

Tatvorsatz bereitet in der Praxis oft Probleme. Der Täter muss es im Zeitpunkt der Tathandlung ernstlich für<br />

möglich halten und sich damit abfinden, dass die Sache durch eine hehlereitaugliche Vortat erlangt worden<br />

ist und dass durch seine Tathandlung die rechtswidrige Vermögenslage weiterhin aufrechterhalten wird. Es<br />

genügt, wenn sich der Tatvorsatz des Hehlers darauf bezieht, dass die Sache aus einer Vortat stammt, die<br />

zum Kreis der hehlereibegründenden Delikte gehört. ISd Perpetuierungsansatzes muss der Tatvorsatz<br />

weiterhin das Bewusstsein umfassen, durch die hehlerische Handlung eine rechtswidrige Vermögenslage<br />

aufrechtzuerhalten. In jeder Hinsicht genügt Dolus eventualis. Problematisch ist oft die Abgrenzung zur<br />

bewussten Fahrlässigkeit. Der Erwerber der nach der Übernahme der Sache von ihrer deliktischen Herkunft<br />

erfährt, kann nicht wegen vorsätzlicher Tatbegehung bestraft werden, wenn er später ihren Besitz<br />

abstreitet, sie verbirgt, verändert oder verkauft. Die Neufassung des § 164 schiebt dem einen Riegel vor,<br />

indem das Verheimlichen im Abs. 2 ersatzlos eliminiert wurde (0+ Bestrafung nach § 165 Geldwäscherei).<br />

Unrechtsbewusstsein: Ein Verbotsirrtum ist bei Jugendlichen denkbar.<br />

1. Wertqualifizierte Hehlerei § 164 Abs. 3 und 4 1. Fall: Es handelt sich jeweils um Deliktsqualifikationen. §<br />

7 Abs. 2 findet keine Anwendung. Die Überschreitung der Wertgrenze muss also vom (zumindest<br />

bedingten) Vorsatz umfasst sein. 2. Gewerbsmäßige Hehlerei § 164 Abs. 4 2. Fall: dazu siehe Begriff § 70,<br />

und Ausführungen unter § 130 gewerbsmäßiger Diebstahl. 3. schwere Hehlerei § 164 Abs. 4 3. Fall: Bei<br />

diesem Delikt koppelt das StGB eine erhöhte Strafdrohung an des höhere Unrecht der Vortat.<br />

Voraussetzung für die Bestrafung gemäß § 164 Abs. 4 3. Fall ist, dass der Täter die Umstände kennt, die<br />

diese Strafdrohung begründen. Es ist nicht nötig, dass er die Vortat z.B. als Raub oder Einbruch bewertet.<br />

Es genügt Fakten- und Bedeutungskenntnis nach Laienart hinsichtlich jener Umstände, aus denen sich die<br />

in Abs. 4 3. Fall vorausgesetzte Qualifikation der Vortat ableitet. Die hM verlangt auch bei § 164 Abs. 4. 3<br />

Fall ("kennt") nicht Wissentlichkeit (§ 5 Abs. 3), sondern begnügt sich mit dolus eventualis.<br />

Versuch: Der Versuchsbeginn iSd § 15 Abs. 2 richtet sich nach der Art der Tathandlung. Der Versuch des<br />

Ansichbringens setzt eine ausführungsnahe, auf Übernahme eigener eigentümerähnlicher<br />

Verfügungsmacht gerichtete Handlung voraus. Daraus kann die Äußerung des Wunsches nach Beteiligung<br />

an der Beute genügen. Problematisch ist die Abgrenzung untauglicher Versuch/Wahndelikt. Vollendung:<br />

Eigennützige Hehlerei ist (erst) mit Begründung eigentümerähnlicher Verfügungsmacht vollendet, also nicht<br />

mit der (bloßen) Annahme einer diesbezüglichen (z.B. Verkaufs-)Offerte. Tätige Reue: Dass die Vortat<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 164 StGB Hehlerei<br />

selbst nicht zu den reuefähigen Delikten gehört, steht der Privilegierung des Hehlers gemäß § 167 nicht<br />

entgegen. Beteiligung: 1. Beteiligung von Vortätern = beteiligter Täter des § 164 Abs. 2 kann jeder Dritte<br />

sein, nicht aber der Vortäter (Vortäter kann nicht Hehler und auch nicht Beteiligter an der Hehlerei sein.).<br />

Dieser Ausschluss gilt auch für Bestimmungs- und Beitragstäter der Vortat. 2. Beteiligung Dritter = insoweit<br />

gelten die allgemeinen Regeln. Abgrenzungen: Diebstahl (§§ 127 ff) =Tatbestandliche Exklusivität besteht<br />

auch insoweit, als nur gemäß §§ 127 ff zu bestrafen ist, wer einen Hehler bestiehlt. Entsprechendes gilt für<br />

den Raub (§§ 142 f). Erpressung: Es fehlt am Erfordernis einverständlichen Zusammenwirkens, wenn dem<br />

Vortäter (bzw. Vorbesitzer) die Beute durch Erpressung abgejagt wird.<br />

Konkurrenzen: Betrug (§§ 146 ff) =Wer eine hehlereitaugliche Sache dem Vortäter oder Vorbesitzer<br />

ablistet, hat idR Hehlerei in Tateinheit mit Betrug zu verantworten. Begünstigung (§ 299) = Es handelt sich<br />

um verschiedene Delikte ~ Hehlerei ist ein Vermögensdelikt; Begünstigung schützt allein den staatlichen<br />

Straf- bzw. Vollstreckungsanspruch. Konkurrenzen von Qualifikationen: Die Fälle des § 164 Abs. 4 sind<br />

nicht alternative, sondern - gesondert anfechtbare - kumulative Mischqualifikationen. Wahlfeststellung:<br />

Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei scheidet aus. Mangelnde Strafwürdigkeit der Tat:<br />

Hehlerei wird häufig an Gegenständen von geringem Wert begangen. Bei Ersttätern und Jugendlichen, ist<br />

von den Möglichkeiten des § 42 bzw. des JGG großzügig Gebrauch zu machen.<br />

B. fremdnützige Hehlerei § 164 Abs. 1<br />

Allgemeines:<br />

In Unterschied zu § 164 Abs. 2 begründet der Hehler des Abs. 1 keine eigene eigentümerähnliche<br />

Verfügungsmacht. Diese hat vielmehr der Vortäter inne. Bei der fremdnützigen Hehlerei steht nicht ein<br />

dritter, sondern der Vortäter selbst im Zentrum des Perpetuierungsgeschehens. Er ist gleichsam der<br />

Regisseur des Verheimlichens oder Verwertens und lässt zu diesen Zwecken andere für sich arbeiten, als<br />

Vortäter (bzw. Vortatbeteiligter iSd § 122 . oder 3. Fall) kann er nicht zugleich Hehler sein. Dieser<br />

besonderen Situation trägt das StGB dadurch Rechnung, dass es alle sonstigen Personen, die dem<br />

Vortäter beim Verheimlichen oder Verwerten helfen, dogmatisch verselbstständigt und zu unmittelbaren<br />

Tätern der Hehlerei macht. Beachte: Die unmittelbare Täterschaft des Abs. 1 umfasst Unterstützung des<br />

Vortäters durch Rat und Tat, mithin alle Handlungen, die geschähen sie im Rahmen des § 12, als Beitrag<br />

iSd § 12 3. Fall anzusehen wären. Beide Unterstützungshandlungen des Abs. 1 setzen neben dem<br />

Abschluss der Vortat (nach der Tat) einvernehmliches Zusammenwirken des Hehlers mit dem Vortäter<br />

(bzw. Vortatbeteiligten) voraus. Auch die fremdnützige Hehlerei ist kein Erfolgs-, sondern ein schlichtes<br />

Tätigkeitsdelikt. Die Tat kann daher von einem unmittelbaren Täter nicht durch bloßes Unterlassen<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 164 StGB Hehlerei<br />

I. Tatbestand:<br />

begangen werden.<br />

Tatobjekt: Die bisherigen Ausführungen zum Abs. 2 gelten auch bzgl. des Tatobjektes für den Abs. 1. Auch<br />

bezüglich der hehlereibegründenden Vortaten und des Erlangt haben durch die Vortat. Tathandlungen:<br />

Fremdnützige Hehlerei erfasst prinzipiell nur solche Unterstützungshandlungen, die dem Vortäter nach<br />

Abschluss der Vortat zugesagt oder gewährt werden. Vorversprochene oder vorgeleistete<br />

Unterstützungshandlungen begründen idR psychische oder physische Beitragstäterschaft hinsichtlich der<br />

Vortat. Definition - unterstützen beim Verheimlichen: Diese Begehungsform umfasst alle Handlungen,<br />

die es dem Vortäter ermöglichen oder erleichtern sollen, das Auffinden einer hehlereitauglichen<br />

Sache durch den Verletzten oder durch Strafverfolgungsorgane zu vereiteln bzw. zu erschweren.<br />

Dass das Verheimlichen gelingt oder die Auffindungschancen zumindest verschlechtert, ist nicht<br />

erforderlich. Gebrauchen oder Verbrauchen stellt kein Verheimlichen dar. Deshalb genügt das Unterstützen<br />

des Vortäters bei dessen Gebrauch oder Verbrauch nicht. Wer einer Sache für den Vortäter (bzw.<br />

Vortatbeteiligten) versteckt, aufbewahrt, bei sich unterstellt etc ist in aller Regel wegen fremdnütziger<br />

Hehlerei iSd Abs. 1 zu bestrafen. Bedeutet das Aufbewahren, Verstecken etc im Einzelfall aber mehr,<br />

nämlich Begründung von eigener eigentümerähnlicher (Mit-)Verfügungsmacht, ist Ansichbringen und damit<br />

eigennützige Hehlerei iSd Abs. 2 anzunehmen. Z.B. A, der eine Hausdurchsuchung fürchtet, übergibt<br />

seinem Bruder ein gestohlenes Bild mit der Bitte, es eine Weile für in aufzubewahren. Alle angeführten<br />

Kriterien deuten auf fremdnützige Hehlerei iSd des Abs. 1. Fügt A hinzu, "Verkaufe das Bild, sobald die Luft<br />

wieder rein ist, wir machen dann halbe/halbe", ist eigentümerähnliche (Mit-)Verfügungsmacht des Bruders<br />

iSd Abs. 2 anzunehmen. Definition - Unterstützen beim Verwerten: Tatbildlich sind alle Tätigkeiten, die<br />

es dem Vortäter ermöglichen oder erleichtern sollen, eine hehlereitaugliche Sache entgeltlich<br />

Dritten zu übertragen. Ob dies gelingt ist unerheblich -+ § 164 Abs. 1 ist kein Erfolgsdelikt. Z.B.<br />

Unterstützungshandlungen sind: Umwechseln des erbeuteten Geldes, Bereithalten eines Geschäftslokales,<br />

Führen von Verkaufsverhandlungen, Zuführen von Kaufinteressenten, Inserieren, das Besorgen falscher<br />

Kennzeichen, Umlackieren oder sonstige Umfrisieren eines Fahrzeuges kann je nach Willensrichtung<br />

Unterstützung beim Verwerten oder beim Verheimlichen sein. Aber: Bloßes Verschenken ist keine<br />

entgeltliche Verwertung und daher für den Mitwirkenden idR straflos, für den Erwerber jedoch uU gemäß §<br />

164 Abs. 2 strafbar. Beachte: Geschieht das Verwerten im Interesse und auf Initiative des Vortäters,<br />

entscheidet er insb über das Ob, ist daraus in aller Regel auf eine bloß unterstützende Tätigkeit und damit<br />

auf fremdnützige Hehlerei iSd Abs. 1 zu schließen. Geschieht das Verwerten nach Begründung eigener<br />

(Mit-)Verfügungsmacht, ist eigennützige Hehlerei iSd Abs. 2 anzunehmen.<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 164 StGB Hehlerei<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Siehe dazu Abs. 2.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Qualifikationen:<br />

V. Sonderprobleme:<br />

Siehe dazu Abs. 2.<br />

Siehe dazu Abs. 2.<br />

Versuch: Die Pönalisierung der bloßen Unterstützung des Verheimlichens oder Verwertens ohne Rücksicht<br />

auf einen Erfolgseintritt bedeutet eine erhebliche Vorverlagerung der Strafbarkeit. Es bietet sich eine<br />

teleologische Reduktion des Unterstützens analog der Straflosigkeit des Beitragsversuchs an. Vollendung:<br />

Der Vollendungszeitpunkt ist bei § 164 Abs. 1 weit nach vorne verlagert. Im Prinzip begründet jede auf<br />

Förderung des Verheimlichens oder Verwertens gerichtete Tätigkeit bereits das vollendete Delikt. Tätige<br />

Reue wir bei Abs. 2. Beteiligung: Beteiligung an den Unterstützungshandlungen des § 164 Abs. 1 ist nach<br />

allgemeinen Grundsätzen des § 12 möglich. Maßgebend ist die Willensrichtung. Will der Dritte den Vortäter<br />

unterstützen, ist er als unmittelbarer Täter des § 164 Abs. 1, will er dem (fremdnützigen) Hehler helfen, ist<br />

er gemäß §§ 12 3. Fall, 164 Abs. 1 strafbar. Abgrenzungen, Konkurrenzen, Privilegierungen,<br />

Wahlfeststellungen und mangelnde Strafwürdigkeit der Tat siehe Abs. 2.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. reuefähige Delikte:<br />

11. tätige Reue Abs. 2:<br />

§ 167 StGB tätige Reue<br />

Der § 167 dient zur Entkriminalisierung des Vermögensstrafrecht. Es ist ein persönlicher<br />

Strafaufhebungsgrund.<br />

Die reuefähigen Delikte sollen auch die Delikte in ihren Qualifikationen erfassen. Ausgeschlossen von der<br />

tätigen Reue sind Raub (§§ 142f) und Erpressung (§§ 144f).<br />

§ 167 unterscheidet drei Hauptformen der tätigen Reue. Zwei sind im Abs. 2 zusammengefasst, die dritte<br />

befindet sich in Abs. 3. Im Abs. 2 Z 1 ist die direkte Schadensgutmachung, im Abs. 2 Z 2 die vertragliche<br />

Verpflichtung dazu geregelt. Für beide gelten die folgenden kumulativen Voraussetzungen: 1. Vollständige<br />

Schadensgutmachung, 2. Rechtzeitigkeit, 3. Freiwilligkeit. Zu 1. Direkte Schadensgutmachung: Was unter<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 167 StGB tätige Reue<br />

11I. tätige Reue Abs. 3:<br />

IV. tätige Reue Abs. 4:<br />

vollständiger Schadensgutmachung verlangt wird, ist fallspezifisch zu entscheiden. Bei Unklarheit über das<br />

Opfer, kann der Täter durch gerichtliche Hinterlegung der Strafverfolgung entgehen. Durch die Ablehnung<br />

der rechtzeitigen Schadensgutmachung durch das Opfer, kann dem Täter das Privileg des § 167 nicht<br />

verwehrt werden. Zu 2. Auch die rechtzeitige und freiwillige vertragliche Verpflichtung zur<br />

Schadensgutmachung genügt, wenn der Täter sie einhält. Verletzter im Sinne des Abs. 2 ist stets der<br />

Rechtsgutträger. Die Frist muss ausdrücklich oder konkludent vereinbart werden. Der Täter trägt ein<br />

Annahmerisiko bei der Z 2 falls das Opfer das Angebot nicht annimmt. Falls der Vertrag nicht<br />

ordnungsgemäß erfüllt wird (durch den Täter) lebt die Strafbarkeit wieder voll auf (somit ist die Strafbarkeit<br />

bis zur Erfüllung des Vertrages bedingt aufgehoben). Die Schadensgutmachung muss rechtzeitig, dh bevor<br />

die Behörde vom Verschulden des Täters erfahren hat, erfolgt sein. Im Gegensatz zum Rücktritt (§ 16)<br />

gebraucht das Gesetz den Begriff Freiwilligkeit im § 167 nicht, sondern spricht nur davon, dass der Täter<br />

den Schaden, wenn auch auf Andringen des Verletzten, so doch ohne hiezu gezwungen zu sein,<br />

gutmachen muss. Entscheidend ist also, dass selbst die Drohung mit einer Strafanzeige Feiwilligkeit iSd §<br />

167 nicht ausschließt. Daher hilft die Frank'sche Formel bei § 167 kaum weiter. Auf die Motive des Täters<br />

kommt es nicht an. Es ist gleichgültig, ob er aus Gewissensgründen, Furcht vor Entdeckung bzw. Strafe<br />

oder aus Berechnung tätige Reue geübt hat. Ein Irrtum des Täters über die Vorraussetzungen des § 167 ist<br />

unbeachtlich.<br />

Bei der dritten Hauptform der tätigen Reue müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein. 1.<br />

Selbstanzeige, 2. Vollständige Schadensgutmachung, 3. Rechtzeitigkeit; Zu 1: Die Selbstbeschuldigung<br />

kann schriftlich oder mündlich erfolgen und muss der Behörde das Verschulden des Täters offenbaren.<br />

Zu 2: Der Täter kann bei der Behörde den Schadensbetrag hinterlegen oder es genügen auch alle<br />

Handlungen, die einem effektiven Erlag des Schadens bei der Behörde gleichkommen. Zu 3: Für die<br />

Rechtzeitigkeit darf die Behörde von der Tat zuvor nichts erfahren haben. Die Freiwilligkeit des Täters wird<br />

durch die Selbstanzeige ex lege unwiderleglich vermutet (daher kein gesonderter Beweis nötig). Irrtümer<br />

bezüglich Abs. 3 sind unbeachtlich.<br />

Schadensgutmachung durch Dritte: Gutmachung durch Angehörige oder Dritte ist möglich. Zur<br />

Vollständigen, freiwilligen und rechtzeitigen Schadensgutmachung gelten die bei Abs. 1 bis 3 erwähnten<br />

Erläuterungen. Ernstliches Bemühen um Schadensgutmachung =diesbezügliche Anforderungen werden<br />

von der Praxis sehr großzügig gehandhabt. OGH verlangt einen aktiven Beitrag des Täters. Es genügt das<br />

die Schadensgutmachung mit Wissen und Willen des Täters geschieht.<br />

Strafrecht BT<br />

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~usammenfassung zentraler Delikte im Strafrecht besonderer Teil Band 111:<br />

Siebenter Abschnitt: Gemeingefährliche strafbare Handlungen unet strafbare Handlungen gegen<br />

die Umwelt<br />

Delikte:<br />

Allgemeines zu §§ 180 11:<br />

§§ 180 bis 181 8tGB vorsätzliche und fahrlässige Beeinträchtigung der Umwelt<br />

Verwaltungsakzessorische Ausgestaltung des Umweltstrafrechts: Dies bezeichnet den Umstand, dass die<br />

§§ 180 ff (abgesehen von § 182 Abs. 1) ein Handeln entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem<br />

behördlichen Auftrag verlangen. Diese Voraussetzung ist Tatbestandelement. Probleme: nicht<br />

ordnungsgemäß erlangte verwaltungsrechtliche Bewilligung (die umweltschädlich ist); rechtswidrige<br />

Bescheide (Entscheidungen) einer Behörde aufgrund korrupter Beamter; -+ Lösung über<br />

Einheitstäterschaft: Der Beamte ist unmittelbarer Täter. Und der Bestechende wird als Bestimmungs- bzw.<br />

Beitragstäter bestraft. Die Strafbarkeit ergibt sich aus dem rechtswidrigen Zustandekommen der jeweiligen<br />

Genehmigung (Bescheid usw.) Daher ergeben sich keine Straflücken und an der Verwaltungsakzessorietät<br />

kann festgehalten werden. Strafbarkeit des zuständigen Beamten: Entweder hat der Beamte eine<br />

gesetzwidrige Genehmigung erteilt oder er hat gegen die Umweltbeeinträchtigungen nicht entsprechend<br />

gehandelt. Im Ersten Fall kommt eine Strafbarkeit nach den §§ 180 ff wegen aktiven Tuns, im zweiten Fall<br />

wegen Unterlassen in Betracht. Bezüglich des Strafrahmens wäre der § 313 Ausnützung der Amtsstellung<br />

zu beachten. Mit der gesetzwidrigen Erteilung einer Bewilligung verwirklicht der Beamte in eigener Person<br />

den Tatbestand des jeweiligen Umweltdelikts (entweder Allein- oder unmittelbarer Täter). Bei Erlassung des<br />

gesetzwidrigen Bescheides haftet der Beamte infolge seiner unmittelbaren Täterschaft bereits für Versuch<br />

des jeweiligen Unweitdelikts.<br />

Bei der Untätigkeit trotz der Pflicht zum Einschreiten durch den Beamten, hat der Beamte eine<br />

GarantensteIlung aufgrund Gesetzes zum Schutz der Umwelt inne. Zum einen kann ein strafbares<br />

Unterlassen darin bestehen, dass ein Beamter gegen offensichtliche Umweltverstöße Einzelner in rechtlich<br />

unvertretbarer Weise nicht einschreitet (Es ist jedoch von einer zumutbarer Kontrolltätigkeit der jeweiligen<br />

Behörde auszugehen), zum anderen darin, dass eine ursprüngliche erteilte Bewilligung beim Auftreten<br />

entsprechender Gefahren nicht in der gebotenen Weise zurückgenommen oder eingeschränkt wird.<br />

Beachte: Im ersten Fall haftet der Beamte als Beitragstäter gemäß § 12 3. Fall. Im zweiten Fall verwirklicht<br />

Strafrecht BT Seite 111 von 147


§§ 180 bis 181 StGB Beeintr. Umw.<br />

Allgemeines zu §§ 1801:<br />

I. Tatbestand:<br />

er dagegen den Tatbestand als Alleintäter (= unmittelbarer Täter), weil der unmittelbare Ausführende<br />

infolge der (noch) bestandskräftigen Bewilligung den Tatbestand nicht erfüllt (teilweise wird daraus ­<br />

unzutreffend - auf die Straflosigkeit des Beamten geschlossen). Zum Irrtum über die<br />

Verwaltungsrechtslage siehe § 183a. Tätige Reue § 183b.<br />

Der § 180 und das entsprechende Fahrlässigkeitsdelikt in § 181 sind die zentralen Tatbestände des österr.<br />

Umweltstrafrechts. Nach § 180 Abs. 2 ist darüber hinaus eine schwerwiegende Beeinträchtigung eines<br />

Umweltmediums (allerdings beschränkt auf Gewässer und Boden) als solche strafbar, ohne dass zusätzlich<br />

eine Gefährlichkeit geprüft werden muss. Wird durch eine Umweltbeeinträchtigung, freilich vorsätzlich, eine<br />

konkrete Gemeingefahr herbeigeführt, greift der wesentlich strengere § 176 ein.<br />

Abstrakt (potentiell) gefährliche Umweltbeeinträchtigung (§ 180 Abs. 1). Geschützte Umweltmedien sind<br />

alle drei Umweltmedien, das Gewässer, der Boden und die Luft. Tatbestandsmäßige Beeinträchtigungen:<br />

Eines der geschützten Umweltmedien muss tatsächlich geschädigt worden sein. Dabei handelt es sich um<br />

einen tatbestandsmäßigen Erfolg. Hinsichtlich der Gewässer ist neben der Verunreinigung auch jede<br />

sonstige Beeinträchtigung tatbestandsmäßig. Boden und Luft sind dagegen ausschließlich gegen<br />

Verunreinigungen geschützt. Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift oder einen behördlichen Auftrag: Der<br />

Tatbestand ist verwaltungsakzessorisch ausgestaltet. Eine behördliche Erlaubnis muss als eine eigene<br />

Rechtsvorschrift anerkannt werden, schon um bei gesetzwidrigen Erlaubnissen den Durchgriff auf das<br />

dahinter stehende Gesetz zu vermeiden. Wer sich im Rahmen einer gesetzwidrigen Bewilligung hält,<br />

handelt zwar entgegen einem Gesetz, die für ihn maßgebliche Rechtsvorschrift ist aber der speziellere<br />

Erlaubnisbescheid. Unabhängig davon sind im Rahmen der §§ 180 ff von vornherein nur solche<br />

Rechtsvorschriften bzw. behördliche Aufträge relevant, die zumindest auch dem Schutz der Umwelt dienen.<br />

Abstrakte (potentielle) Gefährdung: Die Umweltbeeinträchtigung muss entweder für Leib oder Leben, einer<br />

größeren Zahl von Menschen oder für den Tier- oder Pflanzenbestand in einem größeren Gebiet abstrakt<br />

gefährlich sein. Da nach dem Wortlaut keine (konkrete) Gefährdung eingetreten sein muss ("Gefahr<br />

..entstehen kann"), braucht nicht nachgewiesen zu werden, dass tatsächlich Menschen, Tiere oder Pflanzen<br />

in den Gefahrenbereich geraten sind. Beurteilungsmaßstab: § 180 gehört zu jenen abstrakten (potentiellen)<br />

Gefährdungsdelikten, bei denen nicht die Gefährlichkeit einer Handlung, sondern die Gefährlichkeit einer<br />

Situation, nämlich der herbeigeführten Umweltbeeinträchtigung (als tatbestandsmäßiger Erfolg), zu<br />

beurteilen ist. Die Gefährlichkeitsbeurteilung erfolgt in einem solchen Fall anhand aller in der jeweiligen<br />

Situation tatsächlich vorliegenden Umstände, soweit sie bereits in dieser Situation selbst ermittelbar waren.<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 112 von 147


§§ 180 bis 181 StGB Beeintr. Umw.<br />

11. Rechtfertigungsgründe<br />

und Schuld:<br />

111. Sonderprobleme:<br />

Gefahr bei Menschen: Zu der in § 180 Abs. 1 Z 1 enthaltenen Wendung für Leib und Leben einer größeren<br />

Zahl von Menschen (Richtwert 10 Menschen). Gefahr für Tier- oder Pflanzenbestand: Die in § 180 Abs. 1 Z<br />

2 enthaltene Umschreibung "Tier- oder Pflanzenbestand in einem größeren Gebiet" ist noch wenig geklärt<br />

(Ein Gebiet von ca. 1 km 2 ). Sonstige schwerwiegende Umweltbeeinträchtigungen (§ 180 Abs. 2):<br />

Geschützte Umweltmedien: In § 180 Abs. 2 werden die Umweltbeeinträchtigungen, ab einer bestimmten<br />

Schwere, als solche mit Strafe bedroht. Auf eine Gefährlichkeitsprüfung kommt es insoweit nicht an.<br />

Allerdings ist der diesbezügliche Schutz auf die beiden Umweltmedien Gewässer und Boden beschränkt.<br />

Bei abstrakter (potentieller) Gefährlichkeit der Umweltbeeinträchtigung tritt Abs. 2 subsidiär hinter Abs. 1<br />

zurück. Ausmaß der Beeinträchtigung: Die Beeinträchtigung muss in allen Fällen des § 180 Abs. 2<br />

nachhaltig, schwer und in großen Ausmaß erfolgt sein (= diffuse, schwammige Mengenbegriffe). Zusätzlich<br />

zur Nachhaltigkeit, der Schwere und dem großen Ausmaß ist erforderlich, dass die Beeinträchtigung lange<br />

Zeit (ein oder mehrere Jahre) anhält und mit einer Beseitigung (wegen Unmöglichkeit oder wirtschaftlicher<br />

Unvertretbarkeit) nicht zu rechnen ist. Oder mit einer Beseitigung zwar gerechnet werden kann (weil diese<br />

möglich und wirtschaftlich vertretbar ist), der erforderliche Beseitigungsaufwand aber € 40.000,-- übersteigt.<br />

Vorsatz und Fahrlässigkeit: Bei § 180 Abs. 1 muss sich der Vorsatz sowohl auf die Verursachung der<br />

Umweltbeeinträchtigung als auch auf deren abstrakte (potentielle) Gefährlichkeit erstrecken. Hinsichtlich<br />

des Verstoßes gegen eine Rechtsvorschrift bzw. einen behördlichen Auftrag reicht hingegen, bei einem<br />

Irrtum über die Verwaltungsrechtslage aufgrund von § 183a, die Vorwerfbarkeit der Unkenntnis aus. Auch<br />

nach § 180 Abs. 2 müssen alle Merkmale vom Vorsatz umfasst sein.<br />

Rechtfertigender Notstand kann in Betracht kommen, wenn eine Umweltverunreinigung zur unmittelbaren<br />

Abwendung einer Gefahr für Menschen oder hohe Sachwerte erforderlich ist, etwa bei<br />

Katastropheneinsätzen. Eine Rechtfertigung ist aber dann zu verneinen, wenn die Rechtsordnung für eine<br />

bestimmte Situation ein verwaltungsbehördliches Bewilligungsverfahren vorschreibt. Allein das Anliegen der<br />

Sicherung von Arbeitsplätzen oder einer künftigen Auftragsvergabe begründet idR weder rechtfertigenden<br />

noch entschuldigenden Notstand.<br />

Versuch, Rücktritt, tätige Reue: Ein Versuch ist sowohl bei § 180 Abs. 1 als auch bei § 180 Abs. 2 möglich.<br />

Bricht der Täter eine geplante weitergehende Umweltbeeinträchtigung ab, bevor sie das in § 180 Abs. 1<br />

oder Abs. 2 geforderte Ausmaß erreicht, so kommt ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch in Betracht.<br />

Strafrecht BT<br />

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Neunter Abschnitt: Strafbare Handlungen gegen die Ehe und Familie<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 198 5tGB Verletzung der Unterhaltspflicht<br />

Geschütztes Rechtsgut: (Das Wohlergehen Sorgebefohlener.) Das geschützte Rechtsgut ist das materielle<br />

Wohlergehen der sorgebefohlenen Person.<br />

Das tatbestandsmäßige Verhalten besteht in der gröblichen Verletzung einer familienrechtlichen<br />

Unterhaltspflicht. Aus dieser muss entweder eine konkrete oder eine zumindest hypothetische Gefahr<br />

resultieren. Familienrecht gegründete Unterhaltspflicht: =Keine vertraglichen oder<br />

schadenersatzrechtlichen Unterhaltspflichten. Unterhaltspflichten aus Vertrag oder Delikt werden von § 198<br />

nicht erfasst. Zivilrechtsakzessorietät: Die Zivilrechtslage kann sich unmittelbar aus dem Gesetz (insb<br />

ABGB, EheG) ergeben. Sofern allerdings das Bestehen oder Nichtbestehen einer Unterhaltspflicht<br />

konstitutiv von einer gerichtlichen Entscheidung abhängt (z.B. Vaterschaftssachen), ist diese als im<br />

Einzelfall maßgebende Rechtsquelle zur Ermittlung der Zivilrechtslage auch im Rahmen des § 198<br />

verbindlich. Beachte: Die Zivilrechtsakzessorietät ist nicht mit Fragen der Bindungswirkung<br />

zivilgerichtlicher Urteile zu vermengen. Eine Bindung des Strafrichters an zivilgerichtliche Urteile besteht<br />

gemäß § 5 StPO nicht. Bei der Zivilrechtsakzessorietät geht des dagegen - ebenso wie bei der<br />

Verwaltungsakzessorietät - nicht um eine prozessuale Bindung an eine rechtskräftige Entscheidung,<br />

sondern darum, dass ein bestimmter Straftatbestand materiellrechtlich nur dann eingreift, wenn der Täter<br />

gegen eine außerstrafrechtliche Pflicht verstößt, die eben uU auch vom Vorliegen einer bestimmten<br />

gerichtlichen Entscheidung abhängen kann. Einzelne Unterhaltspflichten: Reichweite = Familienrechtliche<br />

Unterhaltspflichten bestehen gegenüber nicht selbsterhaltungsfähigen Kindern (§ 140 ABGB) und Enkeln<br />

wobei § 166 ABGB eine Gleichstellung zwischen ehelichen und unehelichen Kindern vorsieht und § 182<br />

ABGB die Regelung auch auf Wahlkinder ausdehnt; nicht erhaltungsfähige Eltern und Großeltern (§ 143<br />

ABGB) und zwar wiederum auch für uneheliche Nachkommen sowie gegenüber Wahleltern (§§ 166,182<br />

ABGB); dem Ehegatten (§ 94 ABGB) oder früheren Ehegatten (§§ 66 ff EheG). Gröbliche Verletzung der<br />

Unterhaltspflicht: Möglichkeit der Unterhaltsleistung =Die Verletzung der Unterhaltspflicht besteht im<br />

Regelfall darin, dass jemand eine fällige Unterhaltsschuld nicht erfüllt, obwohl er dies könnte. Da eine<br />

rechtliche Pflicht immer nur dahin gehen kann, das in der jeweiligen Situation Mögliche zu leisten, liegt bei<br />

Unmöglichkeit der Unterhaltsleistung kein pflichtwidriges Verhalten vor. Es ist erforderlich auch rechtzeitig<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 198 StGB Verletzung d. Unterhaltspf. Vorsorge zu treffen, dass die Unterhaltsleistung bei Fälligkeit erbracht werden kann. Schon wer diese<br />

Vorsorge unterlässt, setzt ein tatbestandsmäßiges Verhalten. Gefahr für Unterhalt oder Erziehung: Eine<br />

gröbliche Verletzung der Unterhaltspflicht begründet für sich noch keine Strafbarkeit, vielmehr muss gemäß<br />

§ 198 Abs. 1 als zusätzliches Tatbestandsmerkmal eine Gefahr für den Unterhalt oder die Erziehung<br />

eintreten. Diese Gefahr kann in zwei Varianten vorliegen = entweder als tatsächliche (konkrete) Gefährdung<br />

oder in der Form, dass die Gefährdung zumindest ohne Hilfe von dritter Seite hypothetisch eintreten würde.<br />

Vorsatz: Dieser muss sich nicht nur auf das Bestehen einer familienrechtlichen Unterhaltspflicht und deren<br />

gröbliche Verletzung, sondern auch auf die Gefahr für Unterhalt oder Erziehung erstrecken.<br />

11. Rechtfertigungsgründe<br />

und Schuld:<br />

Rechtfertigender Notstand ist denkbar.<br />

11I. Qualifikationen: Rückfall: Für Rückfallstäter iS des § 39 ist in § 198 Abs. 2 1. Fall eine Sonderregelung vorgesehen. Es<br />

kann nicht nur wie sonst gemäß § 39 die Höchstgrenze der angedrohten Strafe um die Hälfte überschritten<br />

werden, sondern die Strafdrohung erhöht sich von 6 Monaten auf 2 Jahre Freiheitsstrafe, also auf das<br />

Vierfache. Beachte: Der § 198 Abs. 2 1. Fall darf nur zur Anwendung gelangen, wenn der Täter zuvor<br />

zweimal gerade wegen § 198 verurteilt worden ist. Erfolgsqualifikationen: Für die übrigen Fälle des § 198<br />

Abs. 2 reicht gemäß § 7 Abs. 2 Fahrlässigkeit aus -+ § 198 Abs. 2 1. Fall ist demgegenüber eine echte<br />

Deliktsqualifikation (zumindest dolus eventualis).<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Versuch ist grundsätzlich möglich. Eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung kommt freilich<br />

wie allgemein bei Unterlassungsdelikten nicht in Betracht. Bei einer irrtümlichen Annahme, zivilrechtlich zur<br />

Unterhaltsleistung verpflichtet zu sein, stellt sich die Problematik des Versuchs eines untauglichen<br />

Subjekts. Beteiligung: Eine Beteiligung Außenstehender durch aktives Tun ist gemäß § 14 Abs. 1 strafbar<br />

(z.B. wenn jemand dem Unterhaltspflichtigen rät, seiner Verpflichtung nicht nachzukommen, oder ihm hilft,<br />

Teile des Einkommens zu verschleiern). Dauerdelikt solange der Täter den geschuldeten Unterhalt nicht<br />

bezahlt. Konkurrenzen: Vernachlässigt jemand seine Unterhaltspflicht gleichzeitig gegenüber mehreren<br />

Personen wird § 198 mehrfach (in Idealkonkurrenz) verwirklicht.<br />

Strafrecht BT Seite 115 von 147


Zehnter Abschnitt: Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit<br />

Delikte:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§§ 201 bis 203 8tGB Vergewaltigung, geschlechtliche Nötigung und Begehung in der<br />

Ehe oder Lebensgemeinschaft<br />

Die Vergewaltigung und die geschlechtliche Nötigung sind gemäß § 201 f Sonderfälle der Nötigung, bei<br />

denen das Nötigungsziel in der Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung besteht. Die<br />

Vergewaltigung gemäß § 201 ist ihrerseits ein Sonderfall der geschlechtlichen Nötigung gemäß § 202.<br />

Innerhalb der Vergewaltigung ist die schwere Begehungsform gemäß § 201 Abs. 1 wiederum eine<br />

Qualifikation gegenüber § 201 Abs. 2. Die Strafdrohung reicht bei § 202 im Grundtatesstand bis drei Jahre,<br />

bei § 201 Abs. 2 bis fünf Jahre und bei § 201 Abs. 1 bis zehn Jahre Freiheitsstrafe.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Die §§ 201, 202 schützen die Willensbildungs- und -betätigungsfreiheit in<br />

Kombination mit der sexuellen Integrität.<br />

Entgegen der gesetzlichen Reihenfolge ist der Grundtatbestand der sexuellen Nötigung in § 202 enthalten.<br />

Ungeachtet dessen kann es bei der Beurteilung eines konkreten Falles aber häufig zweckmäßig sein, mit<br />

der Prüfung des schwersten Tatbestands gemäß § 201 zu beginnen und erst bei Verneinung anschließend<br />

auf § 201 Abs. 2 bzw. bei erneuter Verneinung auf § 202 zurückzugreifen. Geschlechtliche Nötigung § 202:<br />

Der Grundtatbestand einer geschlechtlichen Nötigung gemäß § 202 ist gegeben, wenn der Täter Gewalt<br />

oder gefährliche Drohung einsetzt und dadurch das Opfer entweder zur Vornahme einer geschlechtlichen<br />

Handlung (aktives Verhalten) oder zur Duldung einer solchen (passives Verhalten) nötigt. Der Tatbestand<br />

ist sowohl auf Täter- als auch auf Opferseite geschlechtsneutral gefasst. Nötigungsmittel =Tatmittel Gewalt<br />

oder gefährliche Drohung decken sich mit jenen der allgemeinen Nötigung. Nötigungsziel: Dieses besteht in<br />

der Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung. Nicht erforderlich ist, dass es zu einer<br />

geschlechtlichen Handlung zwischen Täter und Opfer kommt. Erfasst wird vielmehr auch eine Nötigung zu<br />

einer geschlechtlichen Handlung mit einem Dritten sowie zur Vornahme einer solchen Handlung an sich<br />

selbst (unter Beisein des Täters). Einwilligung =Ist jemand mit einer bestimmten sexuellen Handlung von<br />

sich aus einverstanden, schließt dies eine Nötigung zu ihr tatbestandlich aus. Anwendungsbereich: Der<br />

Hauptanwendungsbereich des § 202 liegt in der Nötigung zu andern geschlechtlichen Handlungen als dem<br />

Beischlaf oder einem beischlafswertigen Verhalten. Besteht das Nötigungsziel in einem Beischlaf oder einer<br />

dieser gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung bleibt für § 202, angesichts des § 201, nur in Fällen<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 116 von 147


§§ 201 bis 203 StGB Vergewaltigung<br />

11. Rechtfertigungsgründe<br />

und Schuld:<br />

111. Qualifikationen:<br />

Raum, in denen der Täter entweder bloße Sachgewalt einsetzt oder mit einem anderen Übel als<br />

gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht. Vergewaltigung § 201 Abs. 2: Der Grundtatbestand der<br />

Vergewaltigung gemäß § 201 Abs. 2 ist ein sowohl nach dem Nötigungsziel als auch nach dem<br />

eingesetzten Nötigungsmittel erschwerter Sonderfall der geschlechtlichen Nötigung. Eine Vergewaltigung<br />

liegt erstens nur dann vor, wenn das Nötigungsziel in einem Beischlaf oder einer dem Beischlaf<br />

gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung besteht. Zweitens sind die Anforderungen an das<br />

Nötigungsmittel insofern verschärft, als die Nötigung mit Gewalt (gegen eine Person), durch Entziehung der<br />

persönliche Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erfolgen muss. Die<br />

Vergewaltigung ist geschlechtsneutral gehalten. Außerdem ist die Begehung in der Ehe miteinbezogen<br />

worden. Die Umschreibung der Nötigungsmittel erinnert an jene beim Raub bzw. räuberischen Diebstahl<br />

gemäß §§ 131, 142. Schwere Vergewaltigung § 201 Abs. 1: Bei dem in § 201 Abs. 1 geregelten schweren<br />

Sonderfall einer Vergewaltigung besteht das Nötigungsziel ebenso wie in § 201 Abs. 2 im Beischlaf oder<br />

einer den Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, der besondere Unwert ergibt sich aus<br />

dem Einsatz noch schwererer Nötigungsmittel. Zusätzlich muss sowohl die Gewalt als auch die Drohung<br />

gerade gegen das Vergewaltigungsopfer gerichtet sein, die Anwendung gegenüber einer nahe stehenden<br />

Person iS des § 74 Z 5 reicht nicht aus. Der Begriff schwere Gewalt bezeichnet nicht nur gegenüber der<br />

allgemeinen Gewalt, sondern auch gegenüber der erheblichen Gewalt iS des § 84 Abs. 3 und § 142 Abs. 2<br />

eine (dritte) gesteigerte Gewaltintensität (z.B. Die Gefahr einer schweren Körperverletzung, Lebensgefahr,<br />

Verwendung besonders gefährlicher Waffen, gezielte Zuführung von erheblicher Schmerzen, mehrere<br />

Personen gleichzeitig oder nacheinander Gewalt ausüben, eine erhebliche Gewaltanwendung längere Zeit<br />

fortgesetzt wird). Vorsatz: Bei den §§ 201,202 muss sich der Vorsatz sowohl auf den Einsatz des jeweils<br />

tatbestandsmäßigen Nötigungsmittels als auch auf die Veranlassung zur Vornahme oder Duldung der<br />

jeweiligen tatbestandsmäßigen geschlechtlichen Handlung erstrecken, ferner auf das fehlende<br />

Einverständnis des Opfers.<br />

Rechtfertigungsgründe kommen bei §§ 201,202 nicht in Betracht. Die irrtümliche Annahme des Täters,<br />

durch eheliche Rechte gerechtfertigt zu sein, ist kein Irrtum nach § 8, sondern ein - grundsätzlich<br />

vorwerfbarer - Verbotsirrtum gemäß § 9.<br />

Gemäß § 201 Abs.3 bzw. § 202 Abs. 2 greift jeweils eine höhere Strafdrohung ein wenn die Tat eine<br />

schwere Körperverletzung oder (nochmals erhöhte Strafdrohung) den Tod des Opfers zur Folge hat, das<br />

Strafrecht BT<br />

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OCW<br />

<strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong><br />

Denise Rudel<br />

ÖH Shop-Referentin<br />

Julia Sageder<br />

ÖH Vorsitz-Team<br />

Susi Aichinger<br />

ÖH Vorsitz-Team<br />

Liebe Kollegin, lieber Kollege!<br />

Vor dir siehst du ein Skript des <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> Projekts der ÖH Linz, welches<br />

allen Studierenden und Interessierten frei und kostenlos zur Verfügung steht.<br />

Das OCW- Projekt der ÖH Linz<br />

Im Jahr 2007 haben der Vorsitz der österreichischen HochschülerInnenschaft Linz und das Referat für<br />

Skripten, Lernbehelfe und OCW mit der Umsetzung von <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> an der Johannes Kepler Universität<br />

begonnen. Alle Skripten sollten den Studierenden und Interessierten kostenlos zugänglich sein,<br />

zudem sollten die Unterlagen frei verändert und vervielfältigt werden dürfen um die Qualität und Aktualität<br />

der Unterlagen zu verbessern.<br />

Zu diesem Zweck wurden alle Unterlagen, deren Lizenz bei der ÖH liegt, digitalisiert, mit einer Struktur<br />

und Suchfunktion versehen und über eine Homepage allen InternetnutzerInnen zugänglich gemacht.<br />

Darüber hinaus wurde den Lehrenden an der <strong>JKU</strong> die Möglichkeit gegeben jederzeit Verbesserungen<br />

und Ergänzungen bei den Unterlagen vorzunehmen.<br />

Lizenz<br />

Um die freie Verbreitung rechtlich zu gewährleisten steht dieses Werk unter einer Creative Commons<br />

Lizenz 3.0 Österreich.<br />

Du darfst das Werk vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen sowie Bearbeitungen<br />

des Werkes anfertigen.<br />

Jedoch musst du dich dabei an gewisse Bedingungen halten:<br />

• Du musst den Namen der/des Autorin/Autors / Rechteinhabers/Rechteinhaberin in der von ihm<br />

festgelegten Weise nennen.<br />

• Das Werk darf nicht kommerziell genutzt werden.<br />

• Die Weitergabe ist nur unter gleichen Bedingungen erlaubt, also unter der gleichen Lizenz.<br />

Weitere und genauere Informationen über Creative Commons findest du unter<br />

http://www.creativecommons.at.<br />

Solltest du noch weitere Fragen zum OCW Projekt haben, oder dich beteiligen wollen,<br />

erreichst du uns unter oeh@oeh.jku.at oder +43 732 2468 8535.<br />

Wir wünschen dir viel Spaß mit den OCW Skripten und viel Erfolg bei deinen Kursen!<br />

Das <strong>Open</strong> <strong>Courseware</strong> Projekt der ÖH<br />

an der <strong>JKU</strong> Linz | Altenbergerstr. 69 | 4040 Linz


§§ 201 bis 203 StGB Vergewaltigung<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

V. Begehung in Ehe oder<br />

Lebensgemeinschaft:<br />

Opfer längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wird oder das Opfer in besonderer Weise<br />

erniedrigt wurde. In der ersten Variante reicht hinsichtlich der schweren Folgen gemäß § 7 Abs. 2<br />

Fahrlässigkeit aus. Auf die beiden zuletzt genannten - einander rechtlich gleichwertigen<br />

Qualifikationsumstände - muss sich jeweils der Vorsatz erstrecken.<br />

Versuch: Versuchsbeginn =Ein Versuch von §§ 201, 202 liegt vor, sobald der Täter die der Gewalt oder<br />

Drohung unmittelbar vorangehende Handlung setzt. Beteiligung: Bei einer gemeinschaftlichen Begehung ist<br />

unmittelbarer Täter sowohl, wer selbst Gewalt anwendet oder droht, als auch, wer selbst in die<br />

geschlechtliche Handlung involviert ist. Nehmen mehrere Täter geschlechtliche Handlungen am Opfer vor,<br />

ist jeder von ihnen unmittelbarer Täter. Verjährung: Bei minderjährigen Opfern ist die Verjährungsfrist<br />

gemäß § 58 Abs. 3 Z 3 StRÄG 1998 erst ab dem Eintritt der Volljährigkeit des Opfers zu rechnen.<br />

Eines der Hauptziele der Reform 1989 war die Einbeziehung einer Vergewaltigung oder geschlechtlichen<br />

Nötigung des Ehepartners. Gleichzeitig sorgen allerdings die weitgehende Umwandlung in ein Antragsdelikt<br />

sowie die besondere Strafmilderungsregelung in § 203 für eine deutliche Abschwächung der Strafbarkeit,<br />

die neben der Ehe auch auf eine aufrechte Lebensgemeinschaft ausgedehnt wurde. Antragsdelikt: Gemäß<br />

§ 203 Abs. 1 wird die am Ehegatten oder Lebensgefährten begangene Tat (nur) auf Antrag verfolgt, außer<br />

es liegt eine schwere Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1, eine nach § 201 Abs. 3 oder nach § 202 Abs. 2<br />

qualifizierte Tat vor. Außerordentliche Strafmilderung: Im § 203 Abs. 2 ist für alle Varianten der §§ 201,202<br />

eine außerordentliche Strafmilderung vorgesehen, auch wenn deren allgemeine Voraussetzungen (§ 41)<br />

nicht vorliegen. Erforderlich ist allein eine Erklärung des Opfers, weiter mit dem Täter leben zu wollen,<br />

sowie die Prognose, dass eine Aufrechterhaltung der Gemeinschaft erwartet werden kann. Beteiligung: Für<br />

Außenstehende ist der § 203 Abs. 1 und 2 nicht anwendbar. Beachte: Der § 203 ist auf solche Fälle zu<br />

beschränken, in denen allein die Ehegatten bzw. Lebensgefährten in die sexuelle Handlung involviert<br />

waren.<br />

Strafrecht BT<br />

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Zwölfter Abschnitt: Strafbare Handlungen gegen die Zuverlässigkeit von l!Jflkunden und<br />

Beweiszeichen<br />

Delikt:<br />

Vorbemerkungen zu<br />

§§ 223 ff:<br />

§§ 223ft 8tGB Vorbemerkungen zu den Urkunden<br />

Gewährschaftsträgerprinzip: Das moderne österr. Schrifttum und die neuere Rspr fassen unter der<br />

Bezeichnung Gewährschaftsträger gegenständliche Beglaubigungsformen zusammen, denen im<br />

Rechtsverkehr bestimmte Garantiefunktionen zugeschrieben werden und die deshalb durch entsprechende<br />

strafrechtliche oder verwaltungsstrafrechtliche Verbotsnormen insb gegen (Ver-)Fälschungen geschützt<br />

werden. Klassische Gewährschaftsträger sind Geld und vor allem Urkunden.<br />

Strukturen und Auswirkungen des Prinzips: Präzise Begriffsbildungen und Abgrenzungen. Diese<br />

Abgrenzung ist bereits auf der Tatbestandsebene und nicht etwa erst auf der Ebene der Konkurrenzen<br />

vorzunehmen, es ist also eine Frage der Deliktsauslegung und damit von Exklusivität.<br />

Autonomie der Gewahrschaftsträger: Die einzelnen Gewährschaftsträgertypen sind im Verhältnis<br />

zueinander autonom. Ebenso autonom, dh typen- und deliktsspezifisch ist im österr. Recht auch ihr<br />

jeweiliger Strafschutz konzipiert. Man spricht insoweit vom System des autonomen Fälschungsdelikts.<br />

Konkretisierung des Rechtsgutes: Das differenzierte Gewährschaftsträgerprinzip hat nicht nur Bedeutung<br />

für die Typenbildung, sondern erfüllt darüber hinaus auch die Funktion, Umfang und Reichweite des<br />

jeweiligen Strafschutzes festzulegen und zu begrenzen.<br />

Geschütztes Rechtsgut: Institutionenschutz = Des Rechtsgut der §§ 223 ff wird meist als Zuverlässigkeit<br />

und Sicherheit des Rechtsverkehrs umschrieben. Bei allen Fälschungsdelikten geht es vorrangig um den<br />

Schutz anerkannter, institutionalisierter Beglaubigungsformen. IdS beruhen Zuverlässigkeit und Sicherheit<br />

des Rechtsverkehrs bei den §§ 223 f auf der Institution der Urkunde, bei § 225 auf der Institution des<br />

öffentlichen Beglaubigungszeichens, bei § 230 auf der Institution des Grenz- bzw. Wasserstandszeichens.<br />

Beachte: Bei Sicherheit des Rechtsverkehrs wird im Rahmen der Urkunden- und sonstigen<br />

Fälschungsdelikte daher nicht schlechthin, sondern nur insoweit geschützt, als sie auf der institutionellen<br />

Garantie bestimmter Gewährschaftsträger beruht, die ihrerseits in sehr differenzierter Weise mit typen- und<br />

deliktsspezifischem Strafschutz ausgestattet sind. Individualinteressen, etwa vermögens- oder<br />

namensrechtliche Aspekte, werden durch die §§ 223 ff nicht mitgeschützt und haben deshalb auf die<br />

Interpretation keinen Einfluss. Tätige Reue: Bezogen auf die Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung liegt<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 119 von 147


Vorbemerkungen zu §§ 223 ff:<br />

der eigentliche Unwertakzent der §§ 223 ff auf den Gebrauch des Falsifikats. Unter diesem Aspekt<br />

pönalisiert § 223 Abs. 1 mit dem Fälschen und Verfälschen bloße Vorbereitungshandlungen. Zum<br />

Ausgleich dafür gewährt das StGB in relativ weitem Umfang die Möglichkeit und das Privileg, durch tätige<br />

Reue Straffreiheit zu erlangen. Bei der tätigen Reue in Bezug auf die Urkundendelikte handelt es sich um<br />

eine Besonderheit des österr. Rechts. Begehung im Familienkreis -+ die Begehung von Urkundendelikten<br />

ist im Familienkreis nicht privilegiert. Etwas anderes gilt für den Urkundenbetrug. Spezifikationen des<br />

Rechtsgutes und Reichweite des Strafschutzes: Das Rechtsgut der §§ 223 ff ist in vierfacher Hinsicht<br />

spezifiziert: 1. Schutz der Urkundenechtheit = Bei den §§ 223 f geht es ausschließlich um den Schutz des<br />

Vertrauens auf die Echtheit bzw. die Unverfälschtheit von Urkunden, dh um den ausstellerbezogenen<br />

Echtheitsschutz. Es wird bezüglich der Strafdrohung zwischen gewöhnlichen (§ 223) und besonders<br />

geschützten Urkunden (§ 224) unterschieden. 2. Schutz der Urkundenwahrheit =Nur ausnahmsweise wird<br />

auch des Vertrauen darauf geschützt, dass das, was in der Urkunde erklärt wird, der Wahrheit entspricht.<br />

Das StGB pönalisiert die schriftliche Lüge nur bei öffentlichen Urkunden und öffentlichen<br />

Beglaubigungszeichen. 3. Schutz des Urkundenbestandes = Geschützt wird auch das Vertrauen auf den<br />

Fortbestand, die Unversehrtheit und die jederzeitige Verfügbarkeit von Urkunden im Interesse der<br />

Realisierbarkeit der der Urkunde innewohnenden Beweisfunktion. Diesen Bestandsschutz gewährt das<br />

StGB aber nur, wenn und solange ein rechtlich anerkanntes Beweisführungsinteresse eines anderen<br />

besteht. 4. Schutz vor Urkundenmissbrauch = Ist auf den missbräuchlichen gebrauch von amtlichen<br />

Ausweisen beschränkt.<br />

Der strafrechtliche Urkundenbegriff (§ 74 Z 7): Die einzelnen Definitionselemente: Der Begriff er Urkunde ist<br />

das beherrschende Tatbestandsmerkmal des Abschnittes. Die gesetzliche Ausganglage ist der<br />

Legaldefinition des § 74 Z 7 verankert. Der heutigen hM entspricht der folgende dreigliedrige<br />

Urkundenbegriff. Definition - Urkundenbegriff: Eine Urkunde ist eine schriftliche Erklärung~ die zu<br />

rechtserheblichen Zwecken errichtet worden ist und ihren Aussteller erkennen lässt. Der iSd hM<br />

ergänzte strafrechtliche Urkundenbegriff des § 74 Z 7 setzt sich aus drei konstitutiven Elementen<br />

zusammen:<br />

- schriftliche Erklärung (Perpetuierungsfunktion);<br />

- Rechtserheblichkeit (Beweisfunktion);<br />

- Erkennbarkeit des Ausstellers (Garantiefunktion).<br />

Beachte: Der prozessuale Urkundenbegriff deckt sich nur teilweise mit dem strafrechtlichen. Er orientiert<br />

sich primär am Erfordernis der Verlesbarkeit und setzt daher zwar Schriftlichkeit, aber weder<br />

Rechtserheblichkeit noch Ausstellererkennbarkeit voraus.<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 120 von 147


Vorbemerkungen zu §§ 223 ff:<br />

1. schriftliche Erklärung (Perpetuierungsfunktion): Charakteristisch für eine Urkunde iSd § 74 Z 7 ist ihr<br />

autonomer geistiger Gehalt, wobei die Gedankenerklärung in der Urkunde selbst verkörpert sein muss (Z.B.<br />

eine Gedankenerklärung iSd § 74 Z 7 ist eine Visitenkarte mit zusätzlicher Erklärung, eine militärische<br />

Erkennungsmarke; Strich auf dem Bierdeckel =Extremfall). Definition - Schrift: Schrift umfasst alle<br />

Zeichen, die dazu dienen, einen Gedanken zu verkörpern und für andere lesbar zu machen. Als<br />

Urkundenträger kommen neben Papier, Karton uä auch andere Materialien, etwa Metall oder Holz, heute<br />

vor allem Kunststoff in Betracht. Aber: Daten die sich auf Schallträgern befinden (CD, Kassette, Mikrofilm,<br />

Tonbänder, Videobänder) erfüllen mangels schriftlicher Verkörperung nicht den Urkundenbegriff.<br />

Sonderprobleme: Originale, Ausfertigungen, Durchschriften und EDV-Ausdrucke =Neben dem Original sind<br />

auch weitere Exemplare derselben Erklärung sowie Durchschriften selbständige Urkunden. Unbeglaubigte<br />

einfache Abschriften, Fotokopien, Telefaxe und sonstige Vervielfältigungen = Unbeglaubigte Abschriften<br />

und Kopien (sowie eigenmächtige EDV - Ausdrucke) enthalten nicht selbst die Erklärung, sondern sind<br />

bloße Reproduktion derselben. Daher sind es nach bisheriger hM keine Urkunden. Beachte: Beglaubigte<br />

Abschriften, beglaubigte Kopien, beglaubigte EDV-Ausdrucke sind wegen der Urkundenqualität des<br />

Beglaubigungsvermerks im Umfang seiner Beglaubigungswirkung insgesamt Urkunden. Vordrucke,<br />

Formulare, Entwürfe etc = sie erleichtern die Herstellung von gängigen Urkunden, enthalten aber bis zur<br />

Ausfüllung bzw. Perfizierung (z.B. durch Unterschrift) keine abgeschlossene Erklärung und sind bis dahin<br />

idR keine Urkunden.<br />

2. Rechtserheblichkeit (Beweisfunktion): Definition - Rechtserheblichkeit: Gemäß § 74 Z 7 muss die<br />

Schrift errichtet worden sein, um ein Recht oder ein Rechtsverhältnis zu begründen, abzuändern<br />

oder aufzuheben (sog Dispositivurkunden) oder eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu<br />

beweisen (sog Berichts-, Zeugnis- oder Beweisurkunden). Die so umschriebene Rechtserheblichkeit ist<br />

eine der Urkunde objektiv anhaftende Eigenschaft. Auch bezüglich der Rechtserheblichkeit genügt der<br />

bloße Anschein. Einzelprobleme: Absichtsurkunden und Zufallsurkunden =Nach dem Wortlaut des<br />

Gesetzes ("um ...zu") sind schriftliche verkörperte Erklärungen, die nicht von Anfang an zu<br />

rechtserheblichen Zwecken errichtet worden sind, schon begrifflich keine Urkunden. Dass man sie meist<br />

dennoch als Zufallsurkunden bezeichnet, ist daher nicht nur irreführend, sondern auch schlicht falsch.<br />

Bedenken bestehen aber auch gegen den in Rspr und Lehre fest etablierten Begriff der Absichtsurkunde,<br />

deren Einzugsgebiet nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers den Anwendungsbereich des § 74 Z 7<br />

begrenzt. Beispiele: Liebesbriefe, private Tagebucheintragungen, Visitenkarten (außer rechtserheblichen<br />

Zusatzvermerk) Kfz-Versicherungskarten. Aber: Ein privater Brief mit Schenkungsversprechen oder<br />

Stundung ist rechtserheblich von Anfang an. Auch private Briefe mit strafbaren Inhalt = so genannte<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 121 von 147


Vorbemerkungen zu §§ 223 ff:<br />

Deliktsurkunden. Mangelnde Rechtswirksamkeit = so genannte nichtige Urkunden: Schriftliche Erklärungen,<br />

die auf Geschäftsunfähigkeit, Scheingeschätt, Sittenwidrigkeit, Dissens, Irrtum, Drohung oder Täuschung<br />

beruhen oder mit sonstigen rechtlichen Gebrechen behaftet und daher nichtig oder anfechtbar sind,<br />

erfüllen, wenn keines der drei formal-konstitutiven Urkundenmerkmale fehlt, den strafrechtlichen<br />

Urkundenbegriff (so schon seit jeher die Praxis zum ungültigen Testament).<br />

3. Erkennbarkeit des Ausstellers (Garantiefunktion): Definition - Erkennbarkeit des Ausstellers: Die<br />

Legaldefinition des § 74 Z 7 ist insoweit unvollständig und bedarf der Ergänzung. Denn bei der<br />

Erkennbarkeit des Ausstellers = personales Garantieelement handelt es sich um ein unverzichtbares und<br />

selbständig zu prüfendes Kernelement der strafrechtlichen Urkundenbegriffs ~ Eine schriftliche<br />

Erklärung rechtserheblichen Inhalts muss, um Urkunde iSd Strafrechts zu sein, ihren Aussteller=<br />

Urheber bezeichnen oder zumindest erkenn lassen. Es gibt auch Urkunden mit mehreren Ausstellern<br />

(gemeinschaftliches Testament) Wer ist Aussteller? ~ Definition - Vereinigungstheorie: Nach der<br />

Vereinigungstheorie ist Aussteller, wer eine urkundliche Erklärung entweder selbst oder durch<br />

andere geschrieben hat. Dabei bezeichnet das Schreiben durch andere keine globale, sondern eine nur<br />

vereinzelte punktuelle Bereiche betreffende Erweiterung (Vergeistigung) des Ausstellerbegriffs. Extensiver<br />

Ausstellerbegriff = Aussteller kann nicht nur ein Mensch, sondern auch eine juristische Person, ein<br />

Unternehmen oder eine Behörde sein. Einzelheiten zur Erkennbarkeit des Ausstellers: Objektiver Maßstab<br />

= Maßgebend ist, ob aus der Urkunde erkennbar ist, dass sich in ihr ein bestimmter Aussteller (Person,<br />

Behörde, Firma) zu seiner Urheberschaft bekennt. Ein dies bezüglicher Ausstelleranschein genügt.<br />

Beachte: Es reicht die Erkennbarkeit des Ausstellers für die Beteiligten, dh zumindest für einen<br />

Beweisadressaten. Es ist gleichgültig ob es den Aussteller wirklich gibt (bloßer Phantasiename), je<br />

gegeben hat oder ob er ermittelt werden kann. Unterschriftserfordernis? =Deutlicher als durch Unterschrift<br />

kann der Aussteller nicht erkennbar gemacht werden. Aber die Unterschrift ist kein generelles und sogar bei<br />

Unterschriftbedürftigkeit kein unbedingt essentielles Erfordernis. Das gilt selbst für öffentliche Urkunden.<br />

Andererseits schließt eine undeutliche oder unleserliche Unterschrift das personale Garantieelement nicht<br />

durch diese selbst (eo ipso) aus. Beachte: Selbst dort, wo eigenhändige Unterschrift ex lege vorausgesetzt<br />

oder im Rechtsverkehr erwartet wird, genügt der bloße Anschein. Aus dem Verstoß gegen das<br />

Eigenhändigkeitsgebot resultierende Gültigkeitsprobleme tangieren nicht die Urkundengualität. Anonyme<br />

Schriften =Schriftliche Anzeigen, Drohungen, Beleidigungen, Eingaben etc. eines anonymen Verfassers<br />

sind zwar Urkunden im prozessualen Sinn, mangels personalen Garantieelements aber keine Urkunde iSd<br />

§ 74 Z 7. Bei anonymen Sparbüchern ist nur der Berechtigte, nicht aber der Aussteller anonym. Versteckte<br />

Anonymität =Davon spricht man, wenn die Erklärung entgegen ersten Anschein nicht auf einen bestimmten<br />

Strafrecht BT<br />

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Vorbemerkungen zu §§ 223 ff:<br />

Erklärenden hinweist, obwohl sie namentlich unterzeichnet wurde. Die versteckte Anonymität ist ein<br />

Eldorado für Kundige und Schlitzohren, die Lösung solcher Fälle umstritten und letztlich Tatfrage. Beachte:<br />

die Urkundenqualität ist eine Dauereigenschaft. Sie endet idR erst mit der physischen Vernichtung der<br />

Urkunde (z.B. Zerreißen) oder dem Entfall einzelner konstitutiver Merkmale (z.B. Ausradieren der<br />

Unterschrift). Bloßes Beschädigen reicht nicht. Insb hängt die Urkundenqualität nicht von Umständen ab,<br />

welche die Rechtswirksamkeit der in ihr verkörperten Erklärung betreffen. Auch Ungültigwerden, z.B. durch<br />

Zeitablauf oder Entwertung, durch Dereliktion bzw. Wegwerfen, bei Personalpapieren etwa durch Tod des<br />

Berechtigten, beseitigt idR nicht die Urkundeneigenschaft. Ausländische Urkunden: Für die Strafbarkeit<br />

gemäß §§ 223 ff, 147 Abs. 1 Z 1 sind ausschließlich die Kriterien des österr. Urkundenbegriffes (§ 74 Z 7)<br />

maßgebend.<br />

Zur Typologie der strafrechtlichen Urkunden: 1. Schriftstücke: Normalfall =Schriftstücke bilden den<br />

Archetypus und Modellfall der Urkunde schlechthin (z.B. Sparbücher, Bankauszüge, Kreditkartenbelege,<br />

Lieferscheine, Rechnungen, Arbeitsbestätigung, Lohnlisten, Mahnschreiben, ausgefüllte Gästebuchblätter,<br />

diverse Ausweise, ÖAMTC-Clubausweise). Verkürzte Urkunden = Bei zahlreichen Schriftstücken, erst recht<br />

aber bei schriftlichen Vermerken und den maschinenlesbaren Karten, ist entweder die Erklärung oder die<br />

Erkennbarkeit des Ausstellers oder beides mehr oder weniger reduziert. Solange die Erklärung als solche,<br />

die Rechtserheblichkeit und das personale Garantieelement zumindest für die Beteiligten erkennbar sind,<br />

nimmt die Urkundenqualität sogar bei extremer Abbreviatur keinen Schaden. Es genügt, wenn die drei<br />

essentiellen Merkmale des strafrechtlichen Urkundenbegriffs im jeweiligen Gewährschaftsträger<br />

andeutungsweisen Anhalt finden. Unter besonderen Umständen können sogar einzelne Buchstaben und<br />

Zahlen genügen (z.B. Kassenbon, Pfandscheine, Benzingutscheine, Totoscheine) 2. Schriftliche Vermerke:<br />

Typus und Eigenart = schriftliche Vermerke und Schriftstücke sind im Rechtsverkehr vielfach austauschbar.<br />

So steht es im Belieben der Vertragspartner, ob der Gläubiger auf der bezahlten Rechung einen bloßen<br />

Quittungsvermerk anbringt oder aber eine förmliche Quittung ausstellt. Das es sich bei schriftlichen<br />

Vermerken um einen eigenen Urkundentypus innerhalb des durch § 74 Z 7 umschriebenen<br />

Urkundenbegriffs handelt, ist in Rspr und Schrifttum inzwischen weitgehend anerkannt (z.B.<br />

Gebühreneinträge im Postaufgabebuch, Unterschrift des Empfängers auf postamtlicher<br />

Zahlungsanweisung, Prüfvermerk "rechnerisch richtig", insb Akzepte und Indossamente auf Wertpapieren,<br />

Eingangsstempelabdrucke, Beglaubigungsvermerke). 3. Verkehrsmarken: Typus und Eigenart = Die<br />

verschiedenartigen Eintrittskarten, Fahrscheine, Gepäckscheine, Lotterielose etc. bilden einen eigenen<br />

charakteristischen Urkundentypus. Es handelt sich dabei um idR stark formalisierte, oft kommerzialisierte,<br />

häufig sogar wertpapierähnliche ausgestaltete Urkunden kleinen Stils. Sie lassen idR ihren Aussteller<br />

Strafrecht BT<br />

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Vorbemerkungen zu §§ 223 ff:<br />

erkennen und tragen nach Form, Funktion und Inhalt den Stempel der Rechtserheblichkeit gewissermaßen<br />

auf der Stirn. Man kann sie als Verkehrsmarken bezeichnen (z.B. Verkehrsmarken sind sämtliche<br />

Fahrscheine der ÖBB oder anderer öffentlicher oder privater Verkehrsbetriebe. Flugtickets, Kino-, Theaterund<br />

Ballkarten, Gepäckscheine usw.) Beachte: Fahrscheine und Fahrkarten, Eintrittskarten etc würden bei<br />

rein formaler Betrachtung sogar unter den Wertpapierbegriff des § 224 fallen und damit einen in dieser<br />

Höhe sachlich nicht zur rechtfertigenden Strafschutz genießen ~ teleologische Reduktion. Amtliche<br />

Wertzeichen = Briefmarken, Stempelmarken, Gerichtskostenmarken und andere amtliche Wertzeichen sind<br />

keine Urkunden iSd § 74 Z 7, sondern bilden Gewährschaftsträger sui generis. Bei ihnen steht der<br />

formalisierte Nachweis der Entrichtung von Gebühren oder sonstigen Abgaben im Vordergrund. Spielgeld =<br />

Jetons im Spielkasino bilden eine Art privates Ersatzgeld. Sie sind aber kein allgemeiner Wertmesser und<br />

besitzen nur eine sehr begrenzte bloß unternehmens- und funktionsspezifische Umlauffunktion. Auch<br />

erfüllen sie weder den Urkundenbegriff noch gehören sie sonst zu den strafrechtlichen vor (Ver-)Fälschung<br />

geschützten Gewährschaftsträgern. Benützermarken = Weder Urkundenfunktion noch -qualität besitzen idR<br />

Benützermarken (z.B. Golfmünzen, Duschmarken). Ebenso wenig codierte Schlüsselkarten. Bei ihnen geht<br />

es um bloße Schließ- nicht um Erklärungsfunktion.<br />

4. Maschinenlesbare Karten, insb Ausweis-, Zahlungs- und Kundenkarten: Zur Urkundenqualität =<br />

Ausweiskarten; An die Stelle des Ausweispapiers ist vielfach die maschinenlesbare Ausweiskarte aus<br />

Kunststoff, insb Plastik, getreten (z.B. Impfpässe, Blutspendeausweis usw.) Zahlungskarten =<br />

Zahlungskarten sind maschinenlesbare Karten, die ihren Aussteller erkennen lassen sowie dazu<br />

berechtigen, Leistungen des Kartenausstellers oder eines Dritten bargeldlos in Anspruch zu nehmen, und<br />

durch besondere Sicherungsvorkehrungen, insb Codierung, gegen Nachahmung geschützt sind.<br />

Personengebundene Zahlungskarten = Die beiden wichtigsten personenbezogenen Zahlungskarten sind<br />

die Scheckkarte und die Kreditkarte, die beide Urkundenqualität aufweisen. Inhabertaugliche<br />

Zahlungskarten = Auch nicht personenbezogene jederzeit übertragbare Zahlungskarten wie<br />

Mehrfahrtenkarten (z.B. U-Bahn, Straßenbahn), Telefonwertkarten, Parkwertkarten, Mensa- und Copycards<br />

besitzen idR Urkundenqualität. Voraussetzung ist das ein erkennbarer Aussteller dem Inhaber der Karte<br />

das Recht bescheinigt, mit ihrer Hilfe bestimmte im Voraus bezahlte Leistungen in Anspruch zu nehmen.<br />

Beachte: Die inhabertauglichen Zahlungskarten unterscheiden sich von einfachen Fahrkarten,<br />

Eintrittskarten und ähnlichen Verkehrsmarken im Grunde nur durch zusätzliche formale Eigenschaften wie<br />

Maschinenlesbarkeit und idR Mehrfachverwendbarkeit, nicht aber in ihrem Wesen und ihrer Funktion.<br />

Kundenkarten =Kunden- bzw. Konsumentenkarten, etwa von Banken, Handelsunternehmen (z.B. Metro,<br />

Ikea) oder Regionalverbänden (z.B. Kärtner Card) sind schon im Hinblick auf ihre Ausweisfunktion idR<br />

Strafrecht BT<br />

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Vorbemerkungen zu §§ 223 ff:<br />

Urkunden iSd § 74 Z 7, und zwar unabhängig, ob noch weitere Funktionen (z.B. Rabatt-, Quick- oder<br />

sonstige Chipfunktionen) hinzukommen oder nicht. Vermögensqualität: Inhabertaugliche Zahlungskarten =<br />

Es kann keinen Zweifel unterliegen, dass Mehrfahrtenkarten, Telefonwertkarten, Parkwertkarten uä<br />

inhabertaugliche Zahlungskarten das überkommene Kriterium des Tauschwertes erfüllen und daher<br />

vermögensfähige, insb diebstahlfähige Wertträger sind. Eine Wegnahme begründet daher neben § 229<br />

zugleich § 127. Etwas anderes gilt für gefälschte Zahlungskarten. Sie besitzen ebenso wenig Diebstahlsbzw.<br />

Vermögensqualität wie etwa gefälschte Schecks oder nachgemachte Eintrittskarten.<br />

Personenbezogene Zahlungskarten =Die bisherige hM lehnt es dagegen ab, Kredit- und Scheckkarten<br />

Wertträgerqualität, mithin Diebstahlsfähigkeit und sonstige Vermögensqualität zuzubilligen. Aber: Dieser<br />

restriktive Ansatz der hM ist kriminalpolitisch unbefriedigend und dogmatisch nicht zwingend. Die Codierung<br />

ist - insoweit ähnlich dem Losungswort bei anonymen Sparbüchern - ein besonderes Sicherungsmittel,<br />

aber kein Argument gegen die Wertträgerqualität an sich. Bei den personengebundenen Zahlungskarten,<br />

insb Scheck- und Kreditkarten, handelt es sich nach Funktion und wirtschaftlicher Bedeutung um ein<br />

Bargeld vertretendes Zahlungsmittel sui generis, dem um dieser spezifischen Eigenschaft willen<br />

geldähnliche Wertträgerqualität beizumessen ist, und das daher tauglicher Gegenstand von Eigentums- und<br />

sonstigen Vermögensdelikten (z.B. §§ 127, 133, 146 idR jeweils nur das Grunddelikt) ist ~ Bank 0 mat und<br />

Scheckkarten sind Urkunden iSd § 223 und sie sind diebstahlsfähig, wobei die Kenntnis des jeweiligen<br />

Codes nicht erforderlich ist. So die Meinung von Kienapfel im Gegensatz zu der Rspr und der hL. Falls mit<br />

der echten Bank 0 mat - Karte eine Abhebung (Code irgendwie in Erfahrung gebracht) getätigt wird, ist dies<br />

nach § 148a Abs. 1 2. Fall (durch Eingabe) strafbar und nicht wie nach der Rspr gemäß § 127.<br />

Zusammengesetze Urkunden und Gesamturkunden: 1. Definition - Zusammengesetzte Urkunden: Ist mit<br />

einer Urkunde ein Augenscheinobjekt äußerlich fest verbunden und bildet es inhaltlich einen<br />

integrierenden Bestandteil der Erklärung, spricht man von einer zusammengesetzten Urkunde.<br />

Funktion = Der Begriff der zusammengesetzten Urkunde dient in erster Linie dem Zweck, auch solche<br />

Manipulationen, die allein das Augenscheinobjekt betreffen, als Urkunden- (ver-)fälschung zu ahnden. (z.B.<br />

Lichtbildausweise). Definition - Gesamturkunden: Dieser Begriff dient dazu, aus kontinuierlichen<br />

Einzelentscheidungen, die sich auf demselben Urkundenträger (z.B. Spar- oder Handelsbücher)<br />

befinden, eine über die einzelnen Eintragungen hinausgehende Gesamterklärung zu konstruieren.<br />

Funktion =Das Besondere an der Gesamturkunde ist die Konstruktion einer vollständigen und<br />

abschließenden Gesamterklärung. Auf diese Weise lassen sich auch unrichtige oder unvollständige<br />

Eintragungen - der Sache nach bloße schriftliche Lügen - als Fälschungen iSd §§ 223 f etikettieren.<br />

Beweiszeichen, technische Aufzeichnungen, technische Anzeigen: Private Beweiszeichen =Die Existenz<br />

Strafrecht BT<br />

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Vorbemerkungen zu §§ 223 ff:<br />

spezieller Strafvorschriften für öffentliche Beglaubigungszeichen sowie die gezielte Verbannung sämtliche<br />

privater Beweiszeichen ins Neben- bzw. Verwaltungsstrafrecht ist ein weiteres zwingendes Argument dafür,<br />

dass derartige Beglaubigungs- bzw. Beweiszeichen weder primär noch subsidiär von den §§ 223 bzw. 224<br />

erfasst werden (z.B. Flaschenetiketten, Eigentumszeichen oder Namenszeichen, Namensstempel,<br />

Typenschilder, Fahrgestell- oder Motornummern usw.). Technische Aufzeichnungen =Die sog technischen<br />

Aufzeichnungen sind selbsttätige Darstellungen von bestimmten Mess- oder Rechenvorgängen (EEG, EKG,<br />

Diagramme usw.). Sie sind Gewährschaftsträger sui generis, erfüllen aber nicht den strafrechtlichen<br />

Urkundenbegriff.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 223 8tGB Urkundenfälschung<br />

§ 223 ist das Haupt- und Zentraldelikt der Urkundendelikte. Denn § 223 pönalisiert neben dem Fälschen<br />

Abs. 1 und dem Verfälschen Abs. 1 als intensivste Form der Rechtsgutbeeinträchtigung den Gebrauch<br />

einer falschen oder verfälschten Urkunde § 223 Abs. 2. Deliktsstruktur: Alle drei Deliktsvarianten gehören<br />

zu den schlichten Tätigkeitsdelikten. Sie können vom unmittelbaren Täter nicht durch bloßes Unterlassen<br />

gegangen werden. Vorverlagerung der Strafbarkeit: Das Gesetz betrachtet das Fälschen und das<br />

Verfälschen einer Urkunde als verselbstständigte, dem Gebrauch des Abs. 2 vorgeschaltene<br />

Vorbereitungsdelikte und sieht konsequenterweise Straffreiheit vor, wenn der (Ver-)Fälscher noch in<br />

diesem Stadium tätige Reue übt (§ 226). Normaler Anwendungsbereich: § 223 gilt grundsätzlich für alle<br />

Arten von Urkunden. Nur für die öffentlichen Urkunden sowie tür die übrigen im § 224 ausdrücklich<br />

angeführten Urkunden ist ein erhöhter Stratschutz vorgesehen. Erweiterter Anwendungsbereich: Dieser<br />

ergibt sich daraus, dass § 223 auch Auffangfunktion für das Gros jener amtlichen Urkunden erfüllt, die nicht<br />

dem Begriff der öffentlichen Urkunde entsprechen, sowie für zahlreiche Wertpapiere, die weder von § 224<br />

noch von § 237 erfasst werden. § 223 gilt darüber hinaus auch tür die Fälle eines Tatbildirrtums über<br />

qualitikationsbegründende Umstände (Rückfall auf Grunddelikt § 223).<br />

Eine Urkundenfälschung begeht, wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine falsche Urkunde herstellt, eine<br />

echte verfälscht oder eine falsche oder verfälschte Urkunde gebraucht. Es handelt sich jeweils um einaktige<br />

Delikte.<br />

1. Herstellen einer falschen Urkunde: Definition - falsch: Falsch iSd §§ 223 fist - ebenso wie bei § 147<br />

Abs. 1 Z 1 1. Fall - nicht iSv unrichtig, sondern ausschließlich iSv unecht zu verstehen. Der<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 223 StGB Urkundenfälschung<br />

Gegenbegriff zur unechten Urkunde ist die so genannte schriftliche Lüge (= Lugurkunde). Bei § 223 geht es<br />

ausschließlich um den ausstellerbezogenen Echtheitsschutz. Bei unechten Urkunden fallen scheinbare und<br />

wirkliche Aussteller auseinander. Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von dem herrührt, der aus ihr als<br />

Aussteller hervorgeht. Entscheidendes Kriterium ist mithin die Identitätstäuschung. Wer eine unechte<br />

Urkunde herstellt, zielt darauf ab, einen Irrtum über die Identität des Ausstellers herbeizuführen oder<br />

aufrechtzuerhalten. Dagegen ist eine Urkunde echt, wenn sie von dem stammt, von dem sie herzurühren<br />

scheint. Die Echtheit bzw. die Unechtheit ist eine der Urkunde objektiv anhaftende Eigenschaft. Schriftliche<br />

Lügen: Der ausstellerbezogene Echtheitsschutz hat mit der Wahrheit des Urkundeninhalts nichts zu tun.<br />

Beide Problemkreise sind vielmehr strikt zu trennen. Eine Urkunde kann echt sein, obwohl sie etwas<br />

inhaltlich Unrichtiges bezeugt. Umgekehrt kann eine inhaltlich richtige Urkunde unecht sein, wenn der<br />

wirkliche Aussteller der Erklärung nicht mit der Person identisch ist, von der sie herzurühren scheint. Der<br />

Strafschutz der §§ 223 f betrifft ausschließlich unechte bzw. verfälschte Urkunden. Die (bloß) unrichtige<br />

Urkunde - Lugurkunde =schriftliche Lüge bildet idS den Kontrapunkt und den eigentlichen Gegenbegriff zur<br />

unechten Urkunde (z.B. Eine nicht unechte Urkunde, sondern um eine straflose Lüge handelt es sich, wenn<br />

der Aussteller einer Urkunde mit nicht abgesprochenen Vertragstext errichtet, z.B. überhöhter Preis, oder<br />

im Briefkopf einen Doktortitel nennt, der ihm nicht zusteht. Die schriftliche Lüge wird nur im Zusammenhang<br />

mit dem Schutz vor unwahren öffentlichen Urkunden bestraft (§§ 228, 311; im Nebenstrafrecht kann dies<br />

vereinzelt anders sein). Beachte allerdings Betrug iVm § 229 kann die Strafbarkeit einer sogenannten<br />

Lugurkunde außerhalb der öffentlichen Urkunden nach sich ziehen. Besondere Fallkonstellationen:<br />

Verwendung des eigenen Namens =In der Regel stellt eine echte Urkunde her, wer mit dem ihm<br />

zustehenden Namen unterschreibt. Unterschriftsermächtigung =Liegt bezügliche der Unterschrift eine<br />

ausdrückliche oder konkludente Ermächtigung vor, so ist die Urkunde echt, und zwar gleichgültig, ob sie<br />

vom Ermächtigten mit dem Namen des Ermächtigenden oder mit dem eigenen Namen unterzeichnet<br />

worden ist. Gleichgültig für die Rechtswirksamkeit der Ermächtigung ist, ob es sich um eine offene oder<br />

verdeckte Ermächtigung handelt. Die §§ 223 f finden insb dann Anwendung, wenn der Unterschreibende zu<br />

diesem Zeitpunkt nicht oder nicht mehr oder jedenfalls nicht in dem getätigten Umfang zur Abgabe der<br />

Erklärung bzw. zur Signatur ermächtigt war. Missbrauchsproblematik ::: Scheinermächtigung; in der Praxis<br />

bereitet die zu Täuschungszwecken erteilte Scheinermächtigung Probleme. Zwang, Drohung Täuschung =<br />

Vereinigungstheorie; Wer zur Abgabe einer schriftlichen Erklärung bzw. zur Unterschrift durch Drohung<br />

oder Zwang genötigt oder durch Täuschung veranlasst wird, ist gleichwohl Aussteller einer echten Urkunde.<br />

Neben zivilrechtlichen Konsequenzen hat sich der Hintermann in solchen Fällen meist wegen Nötigung, uU<br />

wegen Betruges oder Erpressung zu verantworten. Die §§ 223 f erfüllen nicht die Funktion die<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 223 5tGB Urkundenfälschung<br />

Eigenhändigkeitsproblematik oder die diesbezüglichen Verkehrserwartungen mit strafrechtlichen Schutz<br />

auszustellen. Blankettfälschung begeht, wer eine Schrift, die bereits einen bestimmten Aussteller<br />

bezeichnet (z.B. Blankoscheck- oder -wechsel), gegen oder zumindest ohne dessen Wissen und Willen<br />

vervollständigt und ihr dadurch einen urkundlichen Inhalt gibt. Auf diese Weise entsteht eine unechte<br />

Urkunde.<br />

2. Verfälschen einer echten Urkunde: Beim Herstellen einer unechten Urkunde (§ 223 Abs. 1 1. Fall) wird<br />

dem Aussteller eine Erklärung unterschoben, die dieser überhaupt nicht abgegeben hat. Beim Verfälschen<br />

einer Urkunde (§ 223 Abs. 1 2. Fall) wird dem Aussteller durch unbefugte nachträgliche Abänderung eine<br />

Erklärung unterschoben, die er jedenfalls mit diesem Inhalt nicht abgegeben hat. Das bedeutet, dass das<br />

Verfälschen wie auch das Fälschen strikt am ausstellerbezogenen Echtheitsprinzip zu messen ist. Das<br />

Kriterium der Identitätstäuschung ist mithin alleiniger Maßstab auch des Verfälschens. Das Verfälschen<br />

umfasst nur die Fälle der unbefugten Fremdänderung, nicht aber die unbefugter Eigenänderung durch den<br />

Aussteller selbst. Definition - Verfälschung echter Urkunden: Eine echte Urkunde verfälscht, wer ihren<br />

Inhalt unbefugt abändert und zugleich den Anschein erweckt, als stamme ihr jetziger Inhalt vom<br />

Aussteller. Bei den klassischen Fällen des Verfälschens einer echten Urkunde geht es um unbefugte<br />

Fremdänderungen unter fälschlicher Inanspruchnahme von Ausstelleridentität. Sie zielen sämtlich auf die<br />

nachträgliche Abänderung von Erklärung und Beweisfunktion. Grenzen des Verfälschungsverbots:<br />

Eigenmächtige Abänderung ohne Inanspruchnahme von Ausstelleranschein = Es liegt keine Verfälschung<br />

vor, da ersichtlich ist, wer die Abänderung getätigt hat. Abänderungsermächtigung = schließt die<br />

Verfälschung aus. eigenmächtige Berichtigungen; unbefugte Eigenänderung = Der Aussteller ändert die<br />

Urkunde nach der Änderungsermächtigung ~ ähnlich dem Problem der schriftlichen Lüge. Kein<br />

verfälschen ist die Wiederherstellung des ursprünglichen Inhalts einer verfälschten Urkunde.<br />

3. Gebrauch eine unechten oder verfälschten Urkunde: Definition - Gebrauch einer unechten oder<br />

verfälschten Urkunde: Eine unechte oder verfälschte Urkunde wird im Rechtsverkehr idR in der Weise<br />

gebraucht, dass man sie wegen ihres rechtserheblichen Inhalts einem Beweisadressaten zugänglich<br />

macht. Befindet sich die Urkunde im Zugriffsbereich des zu Täuschenden, kann der Gebrauch auch<br />

dadurch erfolgen, dass sich der Täter auf die Urkunde beruft. Der Beweisadressat, dh derjenige, der mittels<br />

Täuschung über die Echtheit zu einem rechtserheblichen Verhalten veranlasst werden soll (z.B. nicht der<br />

Bote), die tatsächliche Möglichkeit erhält, in die Urkunde unmittelbar Einsicht zu nehmen. Dagegen ist nicht<br />

erforderlich, dass er diese Möglichkeit auch wirklich nützt. Grenzen des Gebrauchs: Ein Vorlesen, ein<br />

jederzeitiges holen der Urkunde, welches den Beweisadressaten zufrieden stellt, ist kein<br />

urkundenunmittelbarer Gebrauch, der eine Strafbarkeit nach sich zieht (nicht einmal Versuch). Sonderform<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 223 StGB Urkundenfälschung des Gebrauchs durch Vorlage einer Kopie ~ In der Vorlage einer einfachen Kopie eines Falsifikates wird<br />

eine tatbilderfüllende Sonderform des Gebrauchs des Originales erblickt und daher gemäß § 223 Abs. 2<br />

geahndet. Dasselbe gilt für das Zufaxen von ge- oder verfälschten Urkunden (bei betrügerischem Vorsatz<br />

beachte § 147 Abs. 1 Z 1 1. Fall).<br />

Täuschungsvorsatz: Beide Delikte des § 223 Abs. 1 zählen zu den Delikten mit überschießender<br />

Innentendenz. Mit dem erweiterten Vorsatz des § 223 handelt, wer durch Täuschung über die Echtheit oder<br />

Unverfälschtheit der Urkunde, einen andern zu einem bestimmten Verhalten im Rechtsverkehr veranlassen<br />

will. Abgrenzungsfunktionen: Der Täuschungsvorsatz des § 223 erfüllt wie bei sämtlichen Delikten mit<br />

überschießender Innentendenz vor allem die Aufgabe, die Strafbarkeit einzuschränken. Wer nur im Bereich<br />

zwischenmenschlicher oder gesellschaftliche Beziehungen täuschen will, handelt nicht mit dem erweiterten<br />

Vorsatz des § 223 (z.B. gefälschtes Zeugnis, welches man nur den Eltern zeigt; Führerscheinfalsifikat zum<br />

angeben bei den Freunden). Aus welchen Motiv der Täter handelt (Beweggrund) ist unerheblich.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Kommen bei den §§ 223 f im Allgemeinen nicht in Betracht.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Bedingter Vorsatz genügt. Irrtumsproblematik: Hinsichtlich des Urkundenbegriffs sowie der<br />

Unechtheit sind mancherlei Irrtumseinwände denkbar. Sind dem Täter - zumindest nach Laienart - jene<br />

tatsächlichen Umstände einschließlich ihres sozialen und rechtlichen Bedeutungsgehalts bekannt, aus<br />

denen ein Jurist schließt, dass es sich um eine Urkunde iSd § 74 Z 7 bzw. um eine unechte Urkunde<br />

handelt, mangelt es nicht am Vorsatz, vielmehr liegt entweder eine (unbeachtliche) Schutzbehauptung vor<br />

oder ein idR vorwerfbarer Verbotsirrtum.<br />

Versuch: Der häufige Einwand mangelnder Täuschungseignung bringt unter dem Aspekt des § 15 Abs. 3<br />

nichts. Dass die (Ver-)Fälschung etwa vom Adressaten entdeckt wird oder bei genauerem Hinsehen hätte<br />

auffallen müssen, ist für sich allein unerheblich und steht weder der Begehung der Tat noch ihrer<br />

Vollendung entgegen. Rücktritt: Tritt der (Ver-)Fälscher vom Versuch des § 223 Abs. 2 strafbefreiend<br />

zurück, erlischt damit idR auch seine Strafbarkeit in Bezug auf das Vorbereitungsdelikt des § 223 Abs. 1.<br />

Vollendung: In den Fällen des § 223 Abs. 1 ist die Tat vollendet, sobald eine den Vorstellungen des Täters<br />

entsprechendes, dh subjektiv täuschungstaugliches Falsifikat entstanden ist. Im Falle des § 223 Abs. 2<br />

setzt Vollendung Zugänglichmachen iS unmittelbarer Einsichtmöglichkeit voraus ~ bloßes Absenden<br />

genügt daher nicht! Tätige Reue siehe § 226. Beteiligung: Als Bestimmungs- oder Beitragstäter kann<br />

gemäß §§ 223 f nur bestraft werden, wer selbst alle Deliktsmerkmale in eigener Person erfüllt, insb wer<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 223 StGB Urkundenfälschung<br />

selbst von der Unechtheit gewusst und mit dem erweiterten Vorsatz des § 223 gehandelt hat.<br />

Abgrenzungen: Im Verhältnis der §§ 223 f zu den Gelddelikten (§§ 232 ff), zur Wertzeichenfälschung (§<br />

225) besteht Exklusivität. Konkurrenzen: Verhältnis von (Ver-)Fälschung und Gebrauch = Gebraucht der<br />

(Ver-)Fälscher die von ihm hergestellte Urkunde später selbst im Rechtsverkehr, besitzt das (Ver-)Fälschen<br />

nur vorbereitenden Charakter und tritt qua stillschweigender Subsidiarität gegenüber dem<br />

Gebrauchmachen zurück. Verhältnis zum qualifizierten (schweren) Betrug: Die Verwendung unechter oder<br />

verfälschter Urkunden begründet Urkundenbetrug gemäß § 146, 147 Abs. 1 Z 1 1. Fall. Das vorangehende<br />

(Ver-) Fälschen der später vom (Ver-)Fälscher als Täuschungsmittel verwendeten Urkunde wird idR durch<br />

die Bestrafung wegen versuchten bzw. vollendeten Urkundenbetruges miterfasst. Bei tätiger Reue bzw.<br />

Rücktritt vom Versuch in Bezug auf den Urkundenbetrug lebt die Strafbarkeit gemäß §§ 223 f wieder auf.<br />

Die Möglichkeit, sich gemäß § 226 auch Straffreiheit vom Urkundendelikt zu verschaffen, ist dem Täter in<br />

solchen Fällen idR verwehrt. Aber: Hat der Täter den Urkundenbetrug in der Familie begangen, scheidet<br />

nach der Ratio des § 166 eine - sonst denkbare - Bestrafung gemäß §§ 223 f idR aus. Echte Konkurrenz =<br />

Ideal- bzw. Realkonkurrenz kommt dort in Betracht, wo durch das Urkundendelikt (§§ 223 f) weitere<br />

Rechtsgüter beeinträchtigt werden, dh überall dort, wo es als Mittel zur Begehung weiterer Straftaten oder<br />

zu deren Verschleierung dient (z.B. §§ 288f, 297, 298, 299, 302), sowie zu zahlreichen Bestimmungen des<br />

Nebenstrafrechtes.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 224 8tGB Fälschung besonders geschützter Urkunden<br />

Geschütztes Rechtsgut: Geschütztes Rechtsgut ist bei § 224 dasselbe wie bei § 223, die Institution der<br />

Urkunde als Gewährschaftsträger im Rechtsverkehr.<br />

Tatobjekte: § 224 erfass neben inländischen öffentlichen und gleichgestellten ausländischen öffentlichen<br />

Urkunden auch letztwillige Verfügungen und Wertpapiere, soweit letztere nicht unter § 237 fallen.<br />

Definition - inländische öffentliche Urkunden: Ausgehend vom dreigliedrigen Urkundenbegriff handelt<br />

es sich um mit qualifizierter Beweiskraft ausgestattete Urkunden, die ein Beamter innerhalb seiner<br />

Amtsbefugnisse oder eine mit öffentlichem Glauben versehene Person innerhalb des ihr<br />

zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form errichtet hat. Darüber hinaus gelten<br />

auch solche Urkunden als öffentliche, die vom Gesetz der öffentlichen Urkunde ausdrücklich gleichgestellt<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 224 StGB Fälschung bes. ges. Urk. worden sind. Einzelne Problemkreise: Beamter = Wer Beamter ist, bestimmt sich mach § 74 Z 4. Weder der<br />

Behördencharakter der Dienststelle noch der dienstrechtliche Beamtenstatus, sondern der konkrete<br />

hoheitliche Aufgabenbereich des Handelnden, dh seine spezifische Funktion entscheidet. Maßgebend ist<br />

mithin der funktionale Beamtenbegriff (z.B. sind öffentliche Urkunden: Schul- und Hochschulzeugnisse,<br />

Führerscheine, amtliche Ausweispapiere, Schülerausweise, Geburtsurkunden). Beachte: Notare, die als<br />

Gerichtskommissäre einschreiten, sowie Organe und Angestellte der Kammern, die in Erfüllung bundesoder<br />

landesgesetzlicher übertragener hoheitlicher Aufgaben tätig werden, sind Beamte iSd § 74 Z 4.<br />

Dasselbe gilt für Aufsichtsorgane nach dem Parkgebührengesetzten der Länder (aber grundsätzlich nicht<br />

kirchliche Urkunden). Mit öffentlichen Glauben versehene Person: Es handelt sich ausschließlich um<br />

Privatpersonen mit gesetzlich verliehener Beglaubigungsbefugnis. Dazu zählen vor allem Notare und<br />

Ziviltechniker (z.B. notarielle Erbverträge, Ehepakte, Beglaubigung von Urkunden). Beachte: Bei den<br />

notariellen öffentlichen Urkunden beschränkt sich der Strafschutz allerdings ausschließlich auf den Aspekt<br />

der Echtheit bzw. der Unverfälschtheit. Falschbeurkundungen (in der Sache selbst = Lugurkunde) durch<br />

Notare werden nicht von § 311 erfasst. Daher ist der Schutz darauf bezogen, dass der Aussteller ein Notar<br />

ist, jedoch ist der Inhalt der Urkunde nicht geschützt. Formale Erfordernisse: Die Urkunds- bzw.<br />

Beglaubigungsperson muss innerhalb ihrer Amtsbefugnisse bzw. innerhalb des ihr zugewiesenen<br />

Geschäftskreises tätig geworden sein. Qualifizierte Beweiskraft: Von den einfachen Urkunde des § 223<br />

unterscheiden sich die öffentlichen Urkunden vor allem dadurch, dass sie mit dem Anspruch auftreten, nicht<br />

nur die Echtheit, sondern auch die inhaltliche Richtigkeit, =Wahrheit der Erklärung, zu garantieren.<br />

Öffentliche Urkunden gesetzlich gleichgestellte Urkunden: Gelegentlich werden bestimmte einfache<br />

Urkunden, deren Aussteller idR ein Privater ist, ausdrücklich zu öffentlichen Urkunden nobilitiert und diesen<br />

ex lege gleichgestellt. Sie werden deshalb den öffentlichen Urkunden von Gesetzes wegen gleichgestellt<br />

damit sie gemäß § 224 erhöhten Strafschutz vor (Ver-)Fälschung erfahren. Aber: Keine dieser<br />

gleichgestellten Urkunden partizipiert am Wahrheitsschutz des § 311. Denn dafür bedarf es der<br />

spezifischen Garantie eines qualifizierten Ausstellers, dh Beamten (§ 74 Z 4). Dies ergibt sich zwingend<br />

aus dem § 311, der auf Beamte iSd § 74 Z 4 abstellt. Kfz-Kennzeichentafeln und Begutachtungsplaketten:<br />

Kennzeichentafeln (ex lege gemäß § 49 KFG) und Begutachtungsplaketten sind öffentliche Urkunden.<br />

Beide Beglaubigungsformen nehmen daher nach hM am erhöhten Echtheitsschutz für öffentliche Urkunden<br />

(§ 224) und am allgemeinen Bestandsschutz gemäß § 229 teil. Fallgruben von öffentlichen Urkunden:<br />

Urkunden privatrechtlichen Inhalts == Nimmt der Staat nicht als Träger hoheitlicher Autorität, sondern wie ein<br />

Privatmann auf der Basis von Gleichberechtigung am Rechtsverkehr teil, sind die dabei entstehenden<br />

Urkunden apriori keine öffentliche, sonder gewöhnliche gemäß § 223. Bei Urkunden der aus staatlicher<br />

Strafrecht BT Seite 131 von 147


§ 224 StGB Fälschung bes. ges. Urk. oder kommunaler Verwaltung ausgegliederter Rechtsträger, gleichgültig ob der Aussteller Beamter im<br />

dienstrechtlichen Sinne ist oder nicht, im Bereich der Unternehmensformen AG und GmbH, geht es nicht<br />

mehr um öffentliche Verwaltung oder staatliche Autorität. Urkunden aus dem Bereich der nichthoheitlichen<br />

staatlichen oder kommunalen Verwaltung =siehe vorherige Ausführungen. Urkunden der Kammern und<br />

sonstiger gesetzlicher Interessenvertretung = IdR nur gewöhnliche Urkunden. Aber: nicht im hoheitlichen<br />

Wirkungsbereich z.8. WK - Lehrlingsstelle. Einfache schlichte amtliche Urkunden = Ein großer Teil der von<br />

Beamten sogar im Rahmen der Hoheitsverwaltung ausgestellten Urkunden sind idR jedenfalls dann keine<br />

öffentlichen Urkunden, wenn sie bloß der Ordnung, Erleichterung oder Kontrolle des inneren Dienstes, der<br />

gegenseitigen Information amtlicher Stellen oder der amtlichen Verlautbarung dienen, sich mithin nicht mit<br />

staatlicher Autorität nach außen wenden (z.B. Dienstbücher der Zollwache, Aktenvermerke und<br />

Eingangsvermerke sind strittig). Eingaben des Beamten = Keine öffentlichen, sondern bloß einfache<br />

Urkunden sind schließlich alle schriftlichen Ansuchen und Stellungnahmen sowie andere Eingaben des<br />

Beamten in eigenen dienst-, disziplinar- und besoldungsrechtlichen Angelegenheiten (z.B. Anträge auf<br />

Genehmigung einer Dienstreise, Urlaubsgesuche sind Absichtsurkunden iSd § 74 Z 7). Einfache und<br />

öffentliche Urkunden auf demselben Urkundenträger = Es handelt sich dabei um in mannigfaltiger Form<br />

auftretende Urkundenkombinationen, bei denen sich einfache und öffentliche Urkunden auf ein- und<br />

demselben Urkundenträger befinden und in inhaltlicher Beziehung zueinander stehen (z.B. die Unterschrift<br />

des Passinhabers ist eine selbständige Urkunde eines Privaten in einer öffentlichen Urkunde -+ falscher<br />

Name, es kommt § 223 in Betracht). Beginn und Ende der Urkundeneigenschaft =Um Rechtswirkungen zu<br />

erzeugen müssen bestimmte öffentliche Urkunden zugestellt werden. Somit verschiebt sich der Eintritt der<br />

Urkundenqualität bis zur Aushändigung bzw. Zustellung. Gültigkeitsproblem = Öffentliche Urkunden können<br />

durch Zeitablauf (z.B. Reisepass) oder Eintritt bestimmter Umstände (z.8. fehlendes Lichtbild) ihre<br />

Gültigkeit verlieren. Eigenschaft und Fortbestand als (öffentliche) Urkunde werden dadurch aber idR nicht<br />

berührt. Abschriften und Kopien öffentlicher Urkunden = Die mit amtlichem oder notariellem<br />

Beglaubigungsvermerk versehenen Abschriften, Kopien usw von öffentliche Urkunden sind im Umfang ihrer<br />

Beglaubigung ihrerseits öffentliche Urkunden (gleich wie bei gewöhnlichen Urkunden). Gleichgestellte<br />

ausländische Urkunden: Das StGB beschränkt den Strafschutz ausdrücklich auf solche Urkunden, die<br />

durch Gesetz oder zwischenstaatlichen Vertrag inländischen gleichgestellt sind (z.B. ausländische<br />

Reisedokumente, nicht aber Führerscheine). Definition - letztwillige Verfügungen: LetztWillige<br />

Verfügungen iSd § 224 sind jederzeit widerrufliche Anordnungen, durch welche der Erblasser<br />

bestimmt, wem sein Nachlass oder Teile desselben zukommen sollen. Beachte: Form- und<br />

Inhaltsmängel eines Testaments insb mangelnde Eigenhändigkeit, fehlende Testierfähigkeit, Willensmängel<br />

Strafrecht BT Seite 132 von 147


§ 224 StGB Fälschung bes. ges. Urk. etc. sind idR unschädlich, ebenso eine etwaige Anfechtung. Denn auf die Rechtsgültigkeit bzw.<br />

Unanfechtbarkeit der letztwilligen Verfügung kommt es für den strafrechtlichen Urkundenbegriff nicht an.<br />

Definition - Wertpapiere: Gemäß ES 370 fallen unter § 224 solche Wertpapiere, die ein privates Recht<br />

in der Weise verbriefen, dass zur Ausübung des Rechtes die Innehabung der Urkunde erforderlich<br />

ist. Nur die Wertpapiere des § 237 sind ausgenommen, der Rest fällt unter § 224 (z.B. Wechsel, Schecks,<br />

Reiseschecks, sämtliche Arten von Sparbüchern; Beachte: Personengebundene Zahlungskarten wie<br />

Scheck- und Kreditkarten sind nach der Rspr keine Wertpapiere, sondern bloß einfache Urkunden -+<br />

dagegen Kienapfel.) Ausländische Wertpapiere: Mangels Ausschluss werden sie von § 224 erfasst, wenn<br />

sie den zivilrechtsakzessorischen Wertpapierbegriff erfüllen (z.B. schweizerische Sparbücher, ausländische<br />

Wechsel). Verkehrsmarken: Im Wege einer teleologischen Reduktion scheiden die Verkehrsmarken aus<br />

dem Anwendungsbereich des § 224 aus (z.B. Theater-, Opern-, Konzertkarten, Kinokarten usw.) -+ Es sind<br />

Wertträger und daher ist § 127 möglich, aber kein Schutz nach § 224 als Wertpapiere möglich.<br />

Tathandlungen: Es geltend die Ausführungen zum § 223 zum Fälschen, Verfälschen und zum Gebrauch.<br />

Sonderprobleme: Typenähnlichkeit = Das Falsifikat einer öffentlichen Urkunde muss ein Mindestmaß an<br />

Typenähnlichkeit mit der jeweils missbrauchten Beglaubigungsform aufweisen (bei gravierenden Formoder<br />

Inhaltsmängeln kann sich die Frage des § 15 Abs. 3 stellen). Eigenmächtige Abänderung = Der<br />

Urkundenberechtigte (z.8. Passinhaber) besitzt kein Recht, einen öffentliche Urkunde inhaltlich<br />

abzuändern. Er darf nicht einmal offensichtliche Schreibfehler ausbessern. Dennoch führt eine<br />

eigenmächtige Berichtigung selbst bei öffentlichen Urkunden nicht in jedem Fall zur Bestrafung gemäß §§<br />

223, 224 (z.B. jemand tauscht sein altes Passbild gegen ein neues aus -+ Freispruch mangels<br />

Verfälschens in sinngemäßer Anwendung des § 15 Abs. 3).<br />

Täuschungsvorsatz: Dasselbe wie bei § 223. Wer nicht im Rechtsverkehr, sondern nur im Bereich<br />

zwischenmenschlicher Beziehungen täuschen will, handelt nicht mit dem deliktsspezifischen erweiterten<br />

Vorsatz.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Die Rechtswidrigkeit der Tat wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter die rechtliche Möglichkeit<br />

oder sogar einen Anspruch besitzt, amtliche Abänderung der öffentlichen Urkunde zu erwirken.<br />

111. Schuld:<br />

Wie bei § 223 genügt bezüglich des Tatvorsatzes auch bei § 224 in jeder Hinsicht bedingter Vorsatz.<br />

Beachte: Wendet der Täter ein, er habe zwar am Vorliegen einer Urkunde nicht gezweifelt, nicht aber<br />

deren Eigenschaft als öffentliche Urkunde (als Wertpapier, letztwillige Verfügung etc.) erkannt, wird es sich<br />

idR um eine bloße Schutzbehauptung handeln. Denn es genügt, dass der Täter - zumindest nach Laienart<br />

Strafrecht BT<br />

Seite 133 von 147


§ 224 StGB Fälschung bes. ges. Urk. - jene tatsächlichen Umstände sowie deren sozialen und rechtlichen Bedeutungsgehalt erkennt, aus denen<br />

ein Jurist folgert, dass die Urkunde eine öffentliche sei. Erkennt er diese Umstände oder ihren<br />

Bedeutungsgehalt ausnahmsweise nicht, kann ein solcher Irrtum - insb über das Qualifikationsmerkmal<br />

öffentliche Urkunde - die Strafbarkeit gemäß § 224 ausschließen, ohne jedoch jene gemäß § 223 zu<br />

berühren. Dagegen: Hält der Täter etwa eine einfache amtliche Urkunde irrtümlich für eine öffentliche ist er<br />

ebenfalls nur gemäß § 223 zu bestrafen und nicht wegen Versuchs des § 224, da bezüglich der<br />

Qualifikationen insoweit ein Wahndelikt vorliegt.<br />

VI. Sonderprobleme:<br />

Versuch: dazu siehe zunächst Ausführungen zum § 223. Beachte: Bei ge- oder verfälschten Ausweis- oder<br />

Kfz-Papieren begründet erst der Beginn der Ausweisleistung, nicht etwa schon das Beisichführen, Versuch<br />

gemäß §§ 15, 223 Abs. 2, 224 (Aber eventuell ist § 223 Abs. 1 iVm § 224 einschlägig.). Absolut<br />

untauglicher Versuch wird häufig, aber idR vergeblich eingewendet. Abgrenzungen, Konkurrenzen dazu<br />

siehe Ausführungen zu § 223. Verhältnis zu §§ 225, 237 und 238: Aufgrund der Autonomie der<br />

Fälschungsdelikte besteht Exklusivität zugunsten der drei genannten Strafvorschriften. Verhältnis zu §§<br />

228,311: Bei beiden Delikten geht es ausschließlich um den Schutz der Wahrheit von öffentlichen<br />

Urkunden. Wegen der unterschiedlichen Schutzzwecke ist Ideal- bzw. Realkonkurrenz mit §§ 223,224<br />

möglich.<br />

Delikt:<br />

Allgemeines:<br />

§ 229 5tGB Urkundenunterdrückung<br />

Geschütztes Rechtsgut: Geschützt wird das Vertrauen auf den Fortbestand der Beweisfunktion von<br />

Urkunden, falls und solange an ihnen ein rechtliches Beweisführungsbefugnis verdichtetes fremdes<br />

Beweisführungsinteresse besteht. § 229 erfüllt gegenüber § 223 ergänzende Funktionen und ist wie jener<br />

ein Delikt gegen die Allgemeinheit mit der Modifikation, dass Dauer und Umfang dieses Strafschutzes der<br />

Disposition des bzw. der Urkundenberechtigten unterliegen. Alle drei Tathandlungen des § 229 sind<br />

rechtlich gleichwertig. Es handelt sich um ein alternatives Mischdelikt.<br />

I. Tatbestand: Tatobjekt: Maßgebend ist der dreigliedrige strafrechtliche Urkundenbegriff (§ 74 Z 7) mit allen seinen<br />

Typen, Distinktionen und Begrenzungen (z.B. Führerscheine, Kfz-Zulassungen, Sparbücher,<br />

Zahlungskarten, Kfz-Kennzeichentafeln). § 229 bezieht sich nur auf echte unverfälschte Urkunden. Es ist<br />

nicht Aufgabe dieses Deliktes, jene Falsifikate zu schützen, deren Hintanhaltung die §§ 223f gerade dienen.<br />

Ein Falsifikat könnte aber ein Beweismittel für ein Verfahren sein und seine Unterdrückung unter § 295<br />

Strafrecht BT Seite 134 von 147


§ 229 StGB Urkundenunterdrückung fallen. Keine Alleinverfügungsbefugnis: Tatbildbegrenzung = § 229 stellt entscheiden darauf ab, ob der<br />

Täter über die Urkunde nicht oder nicht allein verfügen darf. Auch ein Eigentümer, sogar der Aussteller<br />

selbst, darf über seine Urkunde nicht oder nicht allein verfügen, wenn ihn eine Herausgabe- oder<br />

Vorlagepflicht trifft, dh wenn auch ein anderer ein Recht besitzt, mit dieser Urkunde in irgendeiner Richtung<br />

Beweis zu führen (= fremdes Beweisführungsrecht). Tod, Dereliktion, Ungültigwerden etc. = Derartige<br />

Umstände beseitigen zwar nicht die Urkundenqualität, können aber zum Untergang der<br />

Beweisführungsbefugnis führen. IS dieser Judikatur kann für Scheckkarten mit abgelaufener<br />

Gültigkeitsdauer, für Fahrkarten oder Straßenbahnfahrscheine nach ihrer Verwendung, sowie mit dem Tod<br />

des Berechtigten für Personalausweise, Führerschein und Kreditkarten das Delikt des § 229 durch<br />

Erlöschen der Beweisführungsbefugnis ausscheiden. Beachte: Für die Anwendbarkeit des § 229 kommt es<br />

daher maßgeblich auf den Fortbestand der Beweisführungsbefugnis "irgendeines" Berechtigten an (Z.B.<br />

ein Erbe möchte eine auf den Erblasser ausgestellte Urkunde zu Beweiszwecken verwenden.). Der Wegfall<br />

des ursprünglichen Beweiszwecks, der Ablauf der GÜlti~.keitsdauer, der Tod des Berechtigten und ähnliche<br />

Umstände haben daher allenfalls indizielle Bedeutung. Offentliche Urkunden: Amtliche Ausweise, insb<br />

Pass, Führerschein und Personalausweis, idR aber auch andere öffentliche Urkunden gehen mit der<br />

Aushändigung an den Berechtigten in seine alleinige Verfügungsmacht über. Wer seinen eigenen Pass etc.<br />

wegwirft, zerreist oder beschädigt, hat selbst den Schaden erfüllt, jedoch nicht das Tatbild des § 229. Das<br />

rechtswirksame Einverständnis des Berechtigten bzw. aller Mitberechtigten lässt infolge Untergangs<br />

jeglichen Beweisführungsrechts schon die Tatbildmäßigkeit der Urkundenunterdrückung entfallen.<br />

Tathandlungen: Anknüpfungspunkt ist nicht die Beweisführungsbefugnis, sondern die Beweisfunktion der<br />

Urkunde. Ob eine Beweisführung für den Berechtigten von aktuellem Interesse ist, durch die Tathandlung<br />

tatsächlich erschwert oder gar verhindert wird, ist idR ohne Relevanz. Kann der Beweis letztlich anders<br />

erbracht werden, wird § 229 dadurch nicht ausgeschlossen. Definition - Vernichten: Eine Urkunde ist<br />

vernichtet, wenn sie aufgehört hat, als Beweismittel zu existieren. Ein solcher Angriff zielt auf die<br />

Beweisfunktion und umfasst sowohl substanz- als auch erklärungsvernichtende Eingriffe (z.B. Zerreißen,<br />

Verbrennen, vollständiges Übermalen, Löschen oder sonstiges Unleserlichmachen). Definition ­<br />

Beschädigen: Eine Urkunde ist beschädigt, wenn ihre Beweisfunktion auf andere Art als durch<br />

Vernichtung beeinträchtigt wird (Durchstreichen oder Abschneiden, durch Ausradieren,<br />

Unleserlichmachen oder sonstiges Beseitigen einzelner Worte, Zahlen, Sätze oder der Unterschrift).<br />

Unbefugte Eigenänderung =Durch nachträgliche Abänderung kann sich auch der Aussteller selbst wegen<br />

Urkundenbeschädigung strafbar machen, wenn er zu diesem Zeitpunkt über die Urkunde nicht mehr oder<br />

nicht mehr alleine verfügen darf. Abgrenzung zum Verfälschen = Rspr und hM plädieren für Exklusivität des<br />

Strafrecht BT Seite 135 von 147


§ 229 StGB Urkundenunterdrückung Verfälschens und somit gegen eine nicht vom Gesetzgeber zusinnbare Doppelbestrafung zu Lasten des<br />

Verfälschers. Insb in den Fällen, in denen das Beschädigen nur ein unselbständiger Teilakt der intendierten<br />

Verfälschung ist, kommt eine gesonderte Beurteilung gemäß § 229 nicht in Betracht. Nach der<br />

Konkurrenzlösung wird § 229 bei solcher Sachlage von § 223 verdrängt.<br />

Beachte: Grenz- und Zweifelsfälle lassen sich oft nur unter Mitberücksichtigung von Tatvorsatz und<br />

erweiterten Vorsatz entscheiden. Will sich der Täter mit der bloßen Beeinträchtigung der Beweisfunktion<br />

begnügen, kommt § 229 in Betracht, will er dagegen der Urkunde unter Inanspruchnahme von<br />

Ausstelleranschein einen anderen Inhalt geben, ist er gemäß §§ 223f zu verurteilen -+ es handelt sich<br />

somit um eine Tatfrage (z.B. Wer in seinen Pass beim Gültigkeitsdatum bis 1992 die 2 ausradiert, um sich<br />

gegebenenfalls auf eine längere Gültigkeitsdauer zu berufen, begnügt sich mit der bloßen Beeinträchtigung<br />

der bisherigen Beweisfunktion (§ 229). Wer dagegen aus der 2 eine 9 macht, um die Gültigkeitsdauer unter<br />

Inanspruchnahme von Ausstelleranschein zu verlängern, begeht eine Urkundenverfälschung gemäß §§<br />

223,224.).<br />

Definition - Unterdrücken: Es umfasst alle Handlungen, die anders als durch Vernichten oder<br />

Beschädigen den Berechtigten um die Möglichkeit bringen, sich der Urkunde zu Beweiszwecken zu<br />

bedienen. Das Unterdrücken ist eine Generalklausel und erfüllt Auffangfunktion. Es kann durch<br />

Wegnahme, Wegwerfen, Deponieren auf dem Gehsteig, Verstecken, Ableugnen des Besitzes,<br />

Herausgabeverweigerung oder sonstiges Vorenthalten erfolgen. Weiterunterdrücken = Einer findet eine<br />

Scheckkarte und behält sie -+ § 229.<br />

Erweiterter Vorsatz: Gebrauchsverhinderungsvorsatz = § 229 ist ein Delikt mit überschießender<br />

Innentendenz. Der Täter muss mit dem Vorsatz handeln, zu verhindern, dass der Berechtigte die Urkunde<br />

im Rechtsverkehr zu Beweiszwecken gebrauchen kann. Bedingter Vorsatz genügt, aber nicht das bloße<br />

Vergessen der Rückgabe. Beachte: Die Anforderungen an den Gebrauchsverhinderungsvorsatz sind eher<br />

gering. IdR genügt bloßes Begleitwissen (z.B. Handtaschendieb wirft fremden Reisepass weg, Autodieb<br />

montiert fremdes Kfz - Kennzeichen ab). Abgrenzungsfunktion :: Bezugspunkt des erweiterten Vorsatzes<br />

ist wie bei § 223 der Rechtsverkehr. Damit scheiden Handlungen für den § 229 aus, in denen die<br />

tätergewollte Gebrauchsverhinderung allein den Bereich des Persönlichen und des Zwischenmenschlichen<br />

betrifft.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Nach Zweck und Wortlaut ("nicht allein verfügen darf") gehört § 229 zu jenen Delikten, bei denen sich eine<br />

Einwilligung schon auf Tatbestandsebene limitierend auswirkt.<br />

Strafrecht BT Seite 136 von 147


§ 229 StGB Urkundenunterdrückung<br />

111. Schuld: Der Tatvorsatz hat bei § 229 einen komplexen Inhalt. Der Täter muss nicht nur die Fakten erkennen,<br />

welche die Urkundeneigenschaft begründen, sondern auch jene Umstände, aus denen sich eine fremde<br />

Beweisführungsbefugnis ergibt. Parallelwertung in der Laiensphäre reicht aus. In sämtlichen Beziehungen<br />

genügt bedingter Vorsatz sowie hinsichtlich des Bewusstheitsgrades bloßes Begleitwissen.<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Vollendung: Das Delikt ist bereits in dem Zeitpunkt vollendet, in dem das Unterdrücken beginnt. Beendet ist<br />

die Tat erst mit der Rückgabe der Urkunde. In einem solchen Fall wird § 229 als Dauerstraftat begangen.<br />

Tätige Reue =Gemäß § 229 Abs. 2 ist straflos, wer freiwillig und rechtzeitig den dem Berechtigten aus §<br />

229 Abs. 1 drohenden Beweisnachteil abwendet. Abgrenzungen. Konkurrenzen: Verhältnis zu § 223. Die<br />

mitunter schwierige Abgrenzung von Verfälschen und Beschädigen ist Tatfrage und idR zugunsten von<br />

Exklusivität der Verfälschens zu lösen. Verhältnis zu Vermögensdelikten =In Hinblick auf die<br />

Unterschiedlichkeit der Rechtsgüter kann das mit Hilfe einer unterdrückten Urkunde begangene<br />

Vermögensdelikt mit § 229 in echter Konkurrenz zusammentreffen (z.8. §§ 146 ff). Nichts anderes gilt bei<br />

diebischer Wegnahme einer Urkunde, die zugleich Wertträger (z.B. Sparbuch, Telefonwertkarte) ist. Auch<br />

in solchen Fällen ist Idealkonkurrenz von §§ 127 ff und 229 anzunehmen (z.B. Wer eine fremde<br />

Brieftaschen stiehlt, das Geld und einen Pfandschein des Dorotheums behält, aber die Tasche und die<br />

darin befindlichen Ausweise und den Impfpass wegwirft, macht sich gemäß § 127 (Geld), § 135<br />

(Brieftasche), § 229 (Ausweise) sowie wegen des Pfandscheines sowohl gemäß § 127 als auch gemäß §<br />

229 strafbar. Beachte: Die Wegnahme eines fremden Kfz-Kennzeichens ist ausschließlich gemäß § 229 zu<br />

beurteilen, nach der stRspr dagegen primär gemäß § 127. Begehung durch einen Beamten =Ein Beamter<br />

der unter Ausnützung seines Amtes die Tat begeht, ist idR gemäß §§ 229, 313 zu bestrafen. Wenn er<br />

seinen zuvor begangenen Amtsmissbrauch durch eine Urkundenunterdrückung zu verschleiern sucht, ist er<br />

gemäß § 302 in Realkonkurrenz mit §§ 229, 313 zu bestrafen.<br />

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Zusammenfassung zentraler Delikte im Stroafrecht öesonderer lieH Band IV:<br />

Neunzehnter Abschnitt: Strafbare Handlungen gegen die Staatsgewalt<br />

Delikt:<br />

§ 269 Widerstand gegen die Staatsgewalt<br />

I. Tatbestand: Der Widerstand gegen die Staatsgewalt ist ein Sonderfall der Nötigung. Täter kann jedermann sein (kein<br />

Sonderdelikt). Angriffsobjekt sind Beamte oder Behörden als solche. Tathandlung: Amtshandlung =<br />

Legaldefinition § 269 Abs. 3. In § 269 geht es um die Durchsetzung von Amtshandlungen als solche.<br />

Hinderung und Nötigung =Hinderung ist die Vereitelung, Nötigung die Erzwingung eine Amtshandlung.<br />

Gewalt = Gewaltbegriff siehe § 105. Definition - gewaltsame Widerstandshandlungen: Gewaltsame<br />

Widerstandshandlungen iSd § 269 sind nur solche, die Beamten entweder erhebliche Schmerzen<br />

bereiten oder die konkrete Gefahr einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung<br />

von Beamten herbeiführen (engerer Gewaltbegriff). Versuchte Gewalt =Täter fährt mit<br />

Auto auf Beamten zu, der sich nur mehr knapp durch einen Sprung retten kann. Reine Sachgewalt ist keine<br />

Gewalt, außer sie wirkt mittelbar auf den Körper. Gefährliche Drohung =Definition siehe § 105. Eine leichte<br />

Körperverletzung des Beamten ist ausreichend für die Begründung der Strafbarkeit. Die Drohung eines<br />

Unbewaffneten einen Polizisten niederzuschlagen, uU sogar die Drohung, ihn umzubringen, muss<br />

keineswegs eine gefährliche Drohung iSd § 269 sein. Hinderung einer Behörde an und Nötigung zu einer<br />

Amtshandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt -+ es gelten die gemachten Ausführungen zu<br />

den Beamten. Hinsichtlich der Drohung mit Gewalt reicht bei der Behörde anstelle einer gefährlichen<br />

Drohung eine Drohung mit Gewalt. (Bloße Misshandlung eines Beamten -+ § 270.)<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Straflosigkeit Nach § 269 Abs. 4: Gemäß Abs. 4 bleibt der Widerstand straflos, wenn die Behörde oder der<br />

Beamte zur Amtshandlung ihrer Art nach nicht berechtigt ist oder wenn sie gegen strafgesetzliche<br />

Vorschriften verstößt. Überwiegend wird Abs. 4 als ein Rechtfertigungsgrund oder negatives<br />

Tatbestandsmerkmal verstanden. Dies hätte zur unerfreulichen Konsequenz, dass der Täter auch bei<br />

irrtümlicher Annahme eines Sachverhaltes nach Abs. 4 entweder gemäß § 8 oder mangels Vorsatzes<br />

straflos bliebe. Darum werden die Voraussetzungen so restriktiv ausgelegt, dass Abs. 4 praktisch totes<br />

Recht ist. Andererseits wollte der Gesetzgeber unrechtmäßige Amtshandlungen nicht straffrei stellen.<br />

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§ 269 Widerstand gegen d. Staatsgew. Dieser Anliegen des Gesetzgebers lässt sich am Besten dadurch erreichen, indem man im Abs. 4 einen<br />

Strafausschließungsgrund sieht. Der Vorteil dieser Lösung besteht darin, dass die Beamten selbst (durch<br />

Verletzungsdelikte) weiterhin geschützt sind, die unrechtmäßige Amtshandlung hingegen bedarf keines<br />

strafrechtlichen Schutzes. Der Täter ist demnach (entgegen der hM) bereits dann nicht gemäß Abs. 1<br />

strafbar, wenn die Amtshandlung rechtswidrig ist, dh gegen materielle oder wesentliche formelle<br />

Vorschriften verstößt (z.B. Verhaftung ohne vorherige Abmahnung, kein Tatverdacht oder Haftgrund, keine<br />

Gefahr in Verzug, keine sachliche Zuständigkeit des Beamten). Beachte: Das die Verhaftung einen<br />

Unschuldigen trifft, heißt noch lange nicht, dass die Amtshandlung rechtswidrig ist, weil die<br />

Voraussetzungen ex ante zu beurteilen sind. -+ Dieses Risiko trägt der vermeintliche Täter. Der Widerstand<br />

ist straffrei, wenn die Amtshandlung den Tatbestand einer versuchten oder vollendeten Körperverletzung<br />

nach §§ 83 ff oder einer Beleidigung nach § 115 durch körperliche Misshandlung (z.B. Reißen an den<br />

Haaren vor mehreren Leuten) erfüllt und der Beamte rechtswidrig gehandelt hat. Die allfällige Strafbarkeit<br />

wegen anderer Delikte, die im Zuge des Widerstands begangen werden (insb Körperverletzungen), wird<br />

dadurch nicht berührt. Der Widerstand Leistende kann aber insb durch Notwehr nach § 3 gerechtfertigt<br />

sein, wenn die Vorgangsweise der Beamten nicht durch das WaffG gedeckt ist. Irrtümer über die<br />

Voraussetzungen des Abs. 4 sind generell unbeachtlich.<br />

111. Schuld: Tatvorsatz: Der Vorsatz des Täters muss sich auf alle Tatbestandsmerkmale beziehen, insb auf die<br />

Hinderung an der Amtshandlung und den Einsatz des geforderten Tatmittels.<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Abgrenzungen, Konkurrenzen: § 269 ist gegenüber der Nötigung nach §§ 105, 106 lex specialis. § 270 ist<br />

gegenüber § 269 subsidiär. Wenn der Täter den Beamten durch Drohung zwingt, eine andere Person<br />

freizulassen, erfüllt er sowohl den Tatbestand des § 269 als auch der Bestimmung zum Amtsmissbrauch<br />

gemäß §§ 12, 302. Da der Unrechtsgehalt der gesetzwidrigen Amtshandlung aber bereits durch § 302<br />

abgedeckt ist, wird der Täter neben §§ 12, 302 nur nach §§ 105 f bestraft. Wenn der Täter den Beamten im<br />

Zuge des Widerstand vorsätzlich verletzt (§ 83 Abs. 1 oder 2), haftet er nach § 269 und §§ 83, 84 Abs. 2 Z<br />

4 in echter Konkurrenz. Eine allfällige fahrlässige Körperverletzung nach § 88 wird von § 269 konsumiert.<br />

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Einundzwanzigster ,Abschnitt: Strafbare Handlungen gegen die Rechts~flege<br />

Delikte:<br />

I. Tatbestand:<br />

§§ 288 bis 289 8tGB falsche Beweisaussage vor Gericht, falsche Beweisaussage vor<br />

einer Verwaltungsbehörde<br />

Es muss sich um eine österr. Behörde handeln. Falschaussagen: Wer als Täter, Zeuge, Auskunftsperson<br />

bei förmlicher Vernehmung zur Sache falsch aussagt oder als Sachverständiger einen falschen Befund<br />

oder ein falsches Gutachten erstattet. Auskünfte, welche die Behörde schriftlich oder telefonisch einholt,<br />

sind keine Aussagen vor der Behörde (unwahre telefonische Auskünfte sind straffrei). Wer als Zeuge vor<br />

Gericht über eigene Straftaten befragt wird, kann sich nach § 152 Abs. 1 Z 1 StPO der Aussage<br />

entschlagen. Wer das nicht tut, aussagt und seine Taten der Wahrheit zuwider bestreitet, verwirklicht das<br />

Tatbild des § 288 Abs. 1, kann aber nach § 290 Abs. 1 entschuldigt sein. Die förmliche Vernehmung =Der<br />

Täter muss als Zeuge förmlich vernommen werden. Eine formlose Befragung wird zu einer förmlichen<br />

Vernehmung, wenn der vernehmende Beamte den Zeugen über seine Pflicht belehrt, die Wahrheit zu<br />

sagen. Die Vernehmung zur Sache = Falschaussagen über persönliche Verhältnisse, über die der Zeuge zu<br />

Beginn der Vernehmung befragt wird, sind idR nicht strafbar. Strafbar ist aber die Falschaussage bei der<br />

dann folgenden Vernehmung zur Sache, auch in unerheblichen Details. Definition - die falsche Aussage:<br />

Falsch ist die Aussage, wenn sie mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Zeugen, die behaupten sie<br />

können sich an einen Vorfall nicht erinnern, sind nicht strafbar, sie sagen gar nichts aus. Falsche Befunde<br />

und falsche Gutachten von Sachverständigen =Wer als Sachverständiger einen falschen Befund oder ein<br />

falsches Gutachten erstattet, ist nach § 288 oder § 289 strafbar. Dolmetscher und Übersetzer, die falsch<br />

übersetzen, sind nicht strafbar.<br />

Der Meineid gemäß § 288 Abs. 2: Der Täter beschwört vor Gericht unwahre Angaben oder macht vor<br />

Gericht unwahre Angaben, obwohl er geschworen hat, sie Wahrheit zu sagen, oder obwohl er an einen<br />

solchen Eid erinnert wurde. Der Täter legt eine falsche Beweisaussage unter Eid ab. Die falsche<br />

Beweisaussage (§ 288 Abs. 1) geht dann im Meineid auf. Der Täter wird vom Gericht als Partei unter Eid<br />

vernommen und sagt falsch aus. Abs. 2. ist nicht anwendbar, wenn der Beeidigung ein Eides-Hindernis<br />

entgegensteht (§§ 169, 170,247 Abs. 2 StPO § 336 ZPO) Unwahre schriftliche eidesstattliche Erklärungen<br />

sind nach § 288 Abs. 2 nicht strafbar.<br />

Strafrecht BT<br />

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§§ 288 bis 289 StGB falsche Beweisaus.<br />

vor Gericht u. Verwaltungsbehörde<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Der Irrtum über ein Tatbildmerkmal, z.B. über die Unwahrheit der Aussage, lässt den Täter nicht strafbar<br />

werden.<br />

11I. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Tatvorsatz: Die §§ 288 Abs. 1 und 2, 289 sind Vorsatzdelikte.<br />

Vollendung der §§ 288 bis 289 tritt mit der falschen Aussage ein. Die Vergehen nach § 288 Abs. 1 und §<br />

289 können nach § 42 straffrei sein. Beteiligung: Unmittelbarer Täter der falschen Beweisaussage ist der<br />

Zeuge, die Auskunftsperson oder der Sachverständige. Bestimmungstäterschaft ist möglich. Tätige Reue<br />

gemäß § 291 = Der Täter wird straffrei, wenn er vor Beendigung der Vernehmung von sich aus oder auf<br />

Vorhaltungen des vernehmenden Beamten sagt, was an seiner Aussage falsch ist.<br />

Delikt:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 297 Verleumdung<br />

Der Täter verdächtigt das Opfer fälschlich, es habe ein Offizialdelikt begangen oder als Beamter, Arzt,<br />

Rechtsanwalt, Notar, Wirtschaftstreuhänder, Soldat usw. ein Disziplinarvergehen begangen. Verdächtigung:<br />

Die Verdächtigung muss sich gegen ein bestimmtes Opfer richten und ein Offizialdelikt oder ein<br />

Disziplinarvergehen zum Gegenstand haben. Schlüssigkeit: Der Täter behauptet Tatsachen, die alle<br />

Merkmale eines Offizialdeliktes oder eines Disziplinarvergehens verwirklichen. Unwahre Angaben über<br />

unerhebliche Details und Straferschwerungsgründe genügen nicht, wohl aber unwahre Angaben über<br />

Umstände, die einen strengeren Strafsatz auslösen. Die Verdächtigung ist falsch, wenn die vom Täter<br />

behaupteten strafbarkeitsbegründenden Umstände unwahr sind oder wenn der Täter Umstände<br />

verschweigt, die die Strafbarkeit des Opfers ausschließen. Gefahr einer behördlichen Verfolgung liegt unter<br />

folgenden Voraussetzungen vor: 1. Die unwahre Verdächtigung erreicht eine zur Verfolgung berufene Stelle<br />

(z.B. Polizei, Gendarmerie, Staatsanwaltschaft, Disziplinarbehörde). 2. Der triftige Anlass für Ermittlungen<br />

durch die Behörde aufgrund der Wahrscheinlichkeit der Begehung eines Offizialdeliktes oder<br />

Disziplinarvergehens. Beachte: Unwahre Anzeigen, die Strafverfahren ausländischer Behörden auslösen,<br />

sind nach § 297 nicht strafbar (§ 297 schützt nur österreichische Behörden). Verleumdung durch<br />

Unterlassen: Wer eine gutgläubig erstattete Anzeige nicht richtig stellt, obwohl er erkennt, dass sie unrichtig<br />

war, begeht keine Verleumdung durch Unterlassen -+ Es fehlt an der nach § 2 erforderlichen<br />

Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen (Grund ist, da durch Zurücknahme der Anzeige der<br />

Strafrecht BT<br />

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§ 297 Verleumdung Zurücknehmende sich sehr leicht selbst dem Verdacht einer Verleumdung aussetzen könnte).<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Einwilligung: Einwilligung des Verleumdeten beseitigt das für § 297 typische Unrecht (z.B. Nach einem<br />

Verkehrsunfall gibt die Frau vor der Gendarmerie der Wahrheit zuwider an, sie und nicht ihr alkoholisierter<br />

Mann habe das Auto gelenkt. Die Frau begeht keine Verleumdung, weil sie keinen anderen, sondern nur<br />

sich selbst verdächtigt. Sie begeht auch keine Begünstigung. Der Mann bestätigt die Angaben der Frau vor<br />

der Gendarmerie. Er begeht keine Verleumdung, weil die Frau damit einverstanden ist und täuscht keine<br />

Straftat vor. Aber er macht sich nach § 288 Abs. 1 strafbar, wenn er die Angaben der Frau als Zeuge vor<br />

Gericht bestätigt). Verleumdungen können durch Wahrung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein. Der<br />

Beschuldigte, der ein Geständnis widerruft, weil er von den vernehmenden Polizeibeamten dazu<br />

gezwungen worden sei, handelt noch rechtmäßig, strafbar macht er sich erst, wenn er behauptet, die<br />

Polizisten hätten ihn nicht irgendwie, sondern z.B. durch Schläge ins Gesicht und in den Unterleib zu dem<br />

Geständnis gezwungen (was nicht der Wahrheit entspricht).<br />

111. Schuld: Der Täter weiß, dass die Behauptungen, welche die Verdächtigung ausmachen, unwahr sind, und hat den<br />

Vorsatz, das Opfer der Gefahr einer behördlichen Verfolgung auszusetzen. (z.B. Ein ertappter Ladendieb<br />

unterschreibt ein Geständnis mit falschen Namen, nämlich den eines Bekannten. Der Täter begeht eine<br />

Verleumdung, wenn er damit rechnet, dass das Geständnis an die Polizei weitergeht und sein Bekannter<br />

verhört wird. Es begeht aber keine Verleumdung, wenn er darauf vertraut, dass der Geschäftsführer nach<br />

Wiedergutmachung des Schadens durch den Täter abstand von der Anzeige nimmt). Keine Verleumdung<br />

wenn der Anzeiger die Tatbegehung durch das vermeintliche Opfer für möglich gehalten hat.<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Vollendung. Versuch: Die Verleumdung ist vollendet, wenn der Verdächtigte in Gefahr gerät, behördlich<br />

verfolgt zu werden. Da ist der Fall, wenn der Polizei oder einer Strafverfolgungsbehörde eine Anzeige<br />

zukommt, die einen triftigen Anlass für Ermittlungen bietet, die nicht bloß in der Vernehmung des Anzeigers<br />

und internen Nachfragen bestehen. Wenn ein solcher Anlass nicht besteht, weil die Polizei besser<br />

informiert ist, als der Täter glaubte, liegt ein untauglicher Versuch nach § 15 Abs. 3 vor. Qualifikation: Der<br />

Täter fällt unter einen strengeren Strafsatz, wenn die unwahren Umstände, über die er die Behörde<br />

informiert, ein Delikt ergeben, das mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ist. Den Strafsatz<br />

braucht der Täter nicht zu kennen. Tätige Reue: Der Täter wird durch tätige Reue straffrei, wenn er die<br />

Gefahr behördlicher Verfolgung freiwillig beseitigt, bevor die Polizei, die Gendarmerie oder das Gericht<br />

aufgrund der Verleumdung den Verdächtigen verhaftet oder Beweise aufnimmt. Wenn der Täter die falsche<br />

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§ 297 Verleumdung<br />

Beschuldigung erst widerruft, nachdem sich ihre Haltlosigkeit schon herausgestellt hat, oder wenn die<br />

Behörde den Verdächtigten trotz des Widerrufs vernimmt, wird der Täter nicht straffrei. Im einen Fall fehlt<br />

es an der Freiwilligkeit, im Anderen ist es dem Täter nicht gelungen, die Gefahr behördlicher Verfolgung<br />

abzuwenden. Konkurrenz: Wer andere durch eine falsche Beweisaussage verleumdet, ist nach § 288 oder<br />

§ 289 und nach § 297 Abs. 1 zu verurteilen.<br />

Delikt:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 299 8tGB Begünstigung<br />

Der Begünstigte muss eine gerichtlich strafbare Handlung, die der österreichischen Gerichtsbarkeit<br />

unterliegt tatsächlich begangen haben. Wenn die Handlung des Begünstigten nicht tatbestandsmäßige ist<br />

oder wenn ihm ein Rechtfertigungsgrund, ein Entschuldigungsgrund, ein Strafaufhebungsgrund oder ein<br />

Verfolgungshindernis zugute kommt, scheidet § 299 aus. Soweit die Justiz den Täter nicht verfolgen kann,<br />

braucht sie keinen strafrechtlichen Schutz. Tathandlung: Der Täter entzieht den Begünstigten der<br />

Strafverfolgung, der Vollstreckung einer Strafe oder vorbeugenden Maßnahmen, indem er ihn verbirgt oder<br />

ihm hilft unterzutauchen oder zu fliehen. Dass jemand einen anderen bei sich wohnen lässt, ihn mit<br />

Lebensmitteln oder Geld für Lebensmittel versorgt, ist noch keine Begünstigung. Angriffe auf das<br />

Beweismaterial, falsche Beweisaussagen, Fälschung und Unterdrückung von Beweismitteln,<br />

Verleumdungen und Vortäuschung strafbarer Handlungen sind keine Begünstigungen, sondern<br />

ausschließlich nach §§ 288 - 298 strafbar. Wer sich bei der Vernehmung vor Gericht, bei einer Befragung<br />

durch Polizei, Gendarmerie oder durch Ärzte eines Krankenhauses weigert, den Namen des Verdächtigen<br />

zu nennen, ist auch nach hM nach § 299 nicht strafbar.<br />

11. Rechtfertigungsgründe: Der Verteidiger, der es dem Beschuldigten ermöglicht, durch eine geschickte Verantwortung, durch Anträge<br />

oder Rechtsmittel die Verurteilung zu vereiteln oder hinauszuschieben, handelt nicht rechtswidrig. Der<br />

Verteidiger begeht aber eine Begünstigung, wenn er dem Beschuldigten zur Flucht verhilft.<br />

111. Schuld:<br />

IV. Sonderprobleme:<br />

Der Täter muss in seinen Vorsatz aufnehmen, dass der Begünstigte eine Straftat begangen hat, und er<br />

muss die Absicht (§ 5 Abs. 2) haben, dem Begünstigten das Strafverfahren oder die Strafvollstreckung zu<br />

ersparen oder die wenigstens hinauszuschieben.<br />

Versuch, Vollendung: Die Begünstigung ist vollendet, wenn die Begünstigungshandlung die Strafverfolgung<br />

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§ 299 StGB Begünstigung<br />

oder Strafvollstreckung zumindest hinausgeschoben hat. Abgrenzung und Konkurrenz: Handlungen, die<br />

nach §§ 288 bis 298 strafbar sind, sind keine Begünstigungen, und umgekehrt.<br />

Strafausschließungsgründe: Strafbar ist nur die Begünstigung eines anderen, die Selbstbegünstigung ist<br />

straffrei (Abs. 2). Wer einen anderen begünstigt, weil er fürchtet, selbst wegen Beteiligung an der Tat des<br />

Begünstigten verfolgt, bestraft oder einer vorbeugenden Maßnahme unterworfen zu werden, bleibt straffrei<br />

(Abs. 3). Wer einen Angehörigen begünstigt ist nicht strafbar (Abs. 3). Wer jemanden begünstigt, um<br />

Schande, der Gefahr der strafgerichtlichen Verfolgung oder einem unmittelbar drohendem<br />

Vermögensnachteil zu entgehen, ist nicht strafbar (Abs. 4). Unberührt bleibt die Strafbarkeit nach anderen<br />

Gesetzesstellen.<br />

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Zweiundzwanzigster Abschnitt: Strafbare Verletzungen der Amtspflicht und verwandte strafbare<br />

Handlungen<br />

Delikt:<br />

I. Tatbestand:<br />

§ 302 StGB Missbrauch der Amtsgewalt<br />

Der Ausführende muss ein österr. Beamter sein. Beamtenbegriff siehe § 74 Abs. 1 Z 4. Keine Beamten sind<br />

Personen öffentlichen Glaubens wie Notare, autorisierte Kfz-Werkstätten. Keine Beamten sind Bedienstete<br />

der Unternehmen, die Bund, Länder und Gemeinden als selbstständige Wirtschaftskörper betreiben (z.B.<br />

ORF, ÖBB, gemeindeeigene Wasser-, Gas-, Elektrizitäts- und Verkehrsbetriebe). Aber: Beamte sind noch<br />

Angehörige der Post- und teilweise der Fernmeldebehörden und Postbedienstete, wenn und soweit sie<br />

Urteile, Beschlüsse und Bescheide mit Zustellnachweis erstellen.<br />

Tathandlung: Der Beamte führt den Amtsmissbrauch aus, indem er seine Befugnis, am Zustandekommen<br />

von Hoheitsakten mitzuwirken, missbraucht (Amtsgeschäfte, Bescheide, Prüfungsentscheidungen sind<br />

Hoheitsakte). Der Täter missbraucht seine Befugnis, wenn er einen Hoheitsakt vornimmt, der dem<br />

materiellen Recht widerspricht, oder wenn er Untergebene zu einem solchen Hoheitsakt anweist. Der<br />

Beamte missbraucht seine Befugnis, wenn er bei Erlassung von Hoheitsakten Dienst- oder<br />

Verfahrensvorschriften missachtet, z.B. eine vorgeschriebene Prüfung unterlässt. Verhaltensweisen, die<br />

von rechtmäßiger Amtsausübung so weit entfernt sind, dass sie verwaltungsrechtlich unbeachtlich sind,<br />

sind keine - nicht einmal missbräuchliche - Hoheitsakte und darum kein Amtsmissbrauch. Der Beamte<br />

missbraucht seine Befugnis, wenn er durch pflichtwidrige Bearbeitung eines Falles Hoheitsakte anderer<br />

Beamter herbeiführt oder verhindert. Die Täter beteiligen sich nicht etwa an einem Amtsmissbrauch des<br />

Vorgesetzten - handeln in gutem Glauben kann nie Amtsmissbrauch sein - sie sind selbst Täter nach § 302.<br />

Keinen Amtsmissbrauch begehen Beamte, wenn sie Rechtshandlungen vornehmen, die Dritten gegenüber<br />

nur privatrechtlieh wirksam sind (nicht-hoheitliche Verwaltung = Privatwirtschaftsverwaltung ~ strafbar<br />

nach Untreue gemäß § 153). Amtsmissbrauch durch Unterlassen: Der Täter muss als Garant für das<br />

Zustandekommen des Hoheitsaktes verantwortlich sein (z.B. Bürgermeister schreitet nicht ein bei einem<br />

Bau ohne Baubewilligung). Eine Anzeigepflicht macht Beamte noch nicht zu Garanten für die Bestrafung<br />

des Täters. Privates Wissen begründet keine GarantensteIlung (z.B. Ein Gendarm erfährt von einem<br />

Kollegen, er habe einen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht begangen. Der Gendarm unternimmt nichts. Das ist<br />

kein Amtsmissbrauch. Wenn der Gendarm dann aber dienstlich mit der Aufklärung dieses Falles betraut<br />

wird, muss er sich entweder tür befangen erklären oder sein Wissen aktenkundig machen.<br />

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§ 302 StGB Missbrauch d. Amtsgewalt Ermittlungen, als ob er nichts wüsste, mit dem Ziel, ein Strafverfahren gegen den Kollegen zu verhindern,<br />

sind Amtsmissbrauch). Gleichwertigkeit: Das Unterlassen muss der pflichtwidrigen Vornahme eines<br />

Hoheitsaktes gleichwertig sein. Diese Gleichwertigkeit liegt vor, wenn der Beamte in der Absicht untätig<br />

bleibt, jemanden zu nutzen oder zu schaden. Sie fehlt, wenn der Beamte nur wegen der Schwierigkeit des<br />

Falles, aus Überlastung, Umständlichkeit oder Bequemlichkeit nicht dazu kommt, den Hoheitsakt<br />

vorzunehmen oder zu veranlassen.<br />

Einschränkungen: Kein Amtsmissbrauch begehen Beamte, wenn sie Mitarbeiter zu privaten<br />

Besorgungen heranziehen oder zu strafbaren Handlungen anweisen (z. B. Der Bürgermeister weist den<br />

Gemeindekassier an, die über den früheren Bürgermeister verhängte Geldstrafe aus Gemeindemitteln zu<br />

bezahlen == Untreue. Der Vizebürgermeister weist den Gemeindesekretär an, eine fingierte Rechnung zu<br />

bezahlen, der Gewinn soll einem Gemeindebediensteten als außerordentliche Zuwendung zugute kommen.<br />

In beiden Fällen ist der Vorgesetzte Bestimmungstäter zur Untreue oder Veruntreuung des Untergebenen).<br />

Keinen Amtsmissbrauch begehen Beamte, die mit Straf- oder Verwaltungsgefangenen, mit Kollegen oder<br />

Mitarbeitern zechen anstatt zu arbeiten. Gemeine Delikte, die Beamte unter Ausnützung ihrer Amtsstellung<br />

begehen, sind kein Amtsmissbrauch (Der Beamte ist nach dem allgemeinen Deliktstypus zu verurteilen).<br />

Keinen Amtsmissbrauch begehen Beamte, die Sachen oder Gelder, die ihnen dienstlich zugekommen sind,<br />

wegwerfen oder sich zueignen (-+ wieder nach dem allgemein in Frage kommenden Deliktstypus zu<br />

bestrafen). Keinen Amtsmissbrauch begehen Beamte, die Parteien durch Täuschung verleiten, nicht<br />

geschuldete Strafen, Gebühren, Kosten zu bezahlen (Sie begehen Betrug). Keinen Amtsmissbrauch<br />

begehen Beamte, die öffentliche Urkunden fälschen, an ihrer Fälschung mitwirken, Urkunden oder<br />

Beweismittel unterdrücken (uU Urkundenfälschung usw.). Keinen Amtsmissbrauch begehen Beamte, die<br />

amtliche Urkunden mit unrichtigem Inhalt ausstellen. Z.B. um sich oder anderen einen Betrug zu<br />

ermöglichen. Keinen Amtsmissbrauch begehen Beamte, die Amtsgeheimnisse verraten (§ 310) oder sich<br />

ein Amt anmaßen (§ 314). Für den Schädigungsvorsatz genügt der Vorsatz, den Staat an Hoheitsrechten<br />

zu schädigen. Solch ein Schaden liegt vor, wenn der Hoheitsakt, den der Beamte missbräuchlich vornimmt<br />

oder veranlasst, dem materiellen Recht widerspricht. Weiters ist es für den Schädigungsvorsatz notwendig,<br />

dass der Beamte es ernsthaft für möglich hält und sich damit abfindet (dolus eventualis), einen dem<br />

materiellen Recht widersprechenden Hoheitsakt vorzunehmen oder zu veranlassen.<br />

11. Schuld: Tatvorsatz: Der wissentliche Befugnismissbrauch: Der Täter missbraucht seine Befugnis wissentlich, dh er<br />

weiß (§ 5 Abs. 3), dass sein Handeln oder Unterlassen rechtlich nicht vertretbar ist. -+ 1. Wenn das<br />

Verhalten des Beamten im Rahmen des Ermessens oder im Rahmen des rechtlich noch Vertretbaren bleibt,<br />

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§ 302 StGB Missbrauch d. Amtsgewalt fehlt es am Befugnismissbrauch. 2. Wenn der Beamte sein Verhalten - in Verkennung der Sach- oder<br />

Rechtslage - für rechtlich vielleicht doch noch vertretbar hält, missbraucht er seine Befugnis nicht<br />

wissentlich (bewusste Fahrlässigkeit).<br />

Zum wissentlichen Befugnismissbrauch genügt, dass der Beamte weiß, er verstoße gegen irgendwelche<br />

Vorschriften, wenn auch nur gegen Dienst- und Verfahrensvorschriften. Umgehung von Prüfungen: Der<br />

Beamte, der einen Hoheitsakt unter Umgehung einer vorgeschriebenen Prüfung vornimmt oder veranlasst,<br />

missbraucht seine Befugnisse wissentlich, mit Schädigungsvorsatz handelt er, wenn er weiß oder damit<br />

rechnet, sie werde negativ ausfallen. Wie die Prüfung wirklich ausgefallen wäre ist unerheblich, es kommt<br />

nur auf den Vorsatz an (z.B. Der Bürgermeister, der eine Baubewilligung ohne Bauverhandlung erteilt,<br />

missbraucht seine Befugnis wissentlich, aber mit Schädigungsvorsatz nur, wenn er es ernsthaft für möglich<br />

hält und sich damit abfindet, dass der Bau so nicht bewilligt werden dürfte. Wenn der Bürgermeister darauf<br />

vertraut, die Anrainer könnten auf der Bauverhandlung keine begründeten Einwendungen vorbringen, fehlt<br />

ihm der Schädigungsvorsatz. Der Bürgermeister, der eine Berufung im Einvernehmen mit dem<br />

Berufungswerber liegen lässt, bloß um Verhandlungen unter den Parteien zu ermöglichen, handelt<br />

jedenfalls ohne Schädigungsvorsatz).<br />

Die Vereitelung der eigenen Bestrafung ist kein Schaden iSd § 302. Ein Recht, Täter dafür zu bestrafen,<br />

dass sie sich der Bestrafung zu entziehen suchen, nimmt ein Rechtsstaat nicht in Anspruch.<br />

111. Sonderprobleme: Amtsmissbrauch auf Weisung: Weisungen sind nach Art. 20 Abs. 1 B-VG unverbindlich, wenn der<br />

Angewiesene durch deren Befolgung eine gerichtlich strafbare Handlung beginge. Weisungen können<br />

gerichtlich strafbare Handlungen nicht rechtfertigen. Beteiligung: Nichtbeamte oder Beamte, die der<br />

fragliche Hoheitsakt dienstlich nichts angeht, können sich am Amtsmissbrauch beteiligen. Der<br />

Bestimmungs- oder Beitragstäter muss wissen, dass der Hoheitsakt, zu den er bestimmt oder beiträgt,<br />

rechtlich nicht vertretbar ist, und muss darüber hinaus den Vorsatz haben, dh es wenigstens ernsthaft für<br />

möglich halten und sich damit abfinden, dass dadurch ein Schaden entsteht. Qualifikationen:<br />

Amtsmissbrauch in Zusammenhang mit einem völkerrechtlichen Vertrag oder einer Wertqualifikation (über<br />

€ 40.000,--) bringt höhere Strafen. Konkurrenz: Der Amtsmissbrauch kann mit allgemeinen Delikten nicht<br />

konkurrieren. Allgemeine Deliktstypen, z.B. Diebstahl, Veruntreuung, Urkundenunterdrückung, können<br />

durch Hoheitsakte idR nicht verwirklicht werden. Im übrigen sind Beamte für Schäden, die sie durch<br />

fehlerhafte Hoheitsakte anrichten, strafrechtlich nur nach § 302, also nur verantwortlich, wenn sie wider<br />

besseres Wissen handeln. Beamte müssen ja auch in schwierigen Fällen, also auch auf die Gefahr hin<br />

entscheiden, dass sich die eine oder andere Entscheidung eines Tages als falsch erweist.<br />

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