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Die Nichtbeachtung der Lucy Hutchinson

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Bedenkt man, dass eine Frau im 17.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>der</strong>artig kühne Gedanken<br />

zu Papier gebracht hat, muss man sich<br />

unweigerlich einmal mehr fragen, aus<br />

welchem Grund <strong>Lucy</strong> <strong>Hutchinson</strong> entwe<strong>der</strong><br />

mit Missachtung o<strong>der</strong> Ignoranz<br />

begegnet wird. Zum Teil ergibt sich dies<br />

sicherlich allgemein aus <strong>der</strong> Zeit, in <strong>der</strong><br />

sie lebte und schrieb: Das 17. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

war geprägt von Frauenverachtung und<br />

sah für Frauen ein Leben <strong>der</strong> Demut, Stille<br />

und Gehorsamkeit vor. Falls sie sich dennoch<br />

in den männlich besetzten Raum<br />

<strong>der</strong> Intellektualität vorwagten, wurde die<br />

Tugendhaftigkeit <strong>der</strong> Autorinnen in den<br />

Vor<strong>der</strong>grund gerückt, um ihre Bemühungen<br />

sogleich zu verharmlosen. <strong>Die</strong> Werke<br />

von Frauen konnten sich also von vorneherein<br />

nicht mit denen von Männern<br />

messen, weil sie unter ganz unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen bewertet und<br />

meist gar nicht ernst genommen wurden.<br />

Speziell für <strong>Lucy</strong>s Fall ist jedoch auch zu<br />

berücksichtigen, dass das Gedicht Or<strong>der</strong><br />

and Disor<strong>der</strong>, das sie als äußerst mo<strong>der</strong>ne<br />

und beherzte Schriftstellerin zeigt<br />

und damit ihren bie<strong>der</strong>en Ruf wi<strong>der</strong>legt,<br />

anonym veröffentlicht wurde. Während<br />

an<strong>der</strong>e AutorInnen des 17. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

in ihren Schriften gewöhnlich ihre Loyalität<br />

zu König Charles II. ausdrückten, hatte<br />

<strong>Lucy</strong> <strong>Hutchinson</strong> als Monarchiegegnerin<br />

und Systemkritikerin ständig die Todesstrafe<br />

zu befürchten. Als Folge wurde<br />

das Gedicht einem Mann zugeschrieben<br />

– genauer gesagt ihrem Bru<strong>der</strong>. Dass <strong>Lucy</strong><br />

<strong>Hutchinson</strong> die tatsächliche Verfasserin<br />

war, wurde erst 1995 herausgefunden.<br />

Dabei stellte sich auch heraus, dass<br />

das Gedicht mit ausdrücklich weiblicher<br />

Stimme erheblich von männlichen<br />

Nachfahren manipuliert worden ist: In<br />

mindestens zwei fremden Handschriften<br />

wurden Verän<strong>der</strong>ungen und Streichungen<br />

im Manuskript vorgenommen. Allein<br />

die nachträgliche Bevormundung durch<br />

die „Korrekturen“ zeigt den niedrigen<br />

Stellenwert, <strong>der</strong> dem schriftstellerischen<br />

Schaffen einer Frau beigemessen wurde.<br />

Jedoch spricht auch die Tatsache für<br />

sich, dass <strong>Lucy</strong> <strong>Hutchinson</strong> als Urheberin<br />

des Gedichtes vergessen wurde, obwohl<br />

sich das Werk die ganze Zeit im Besitz<br />

ihrer Familie befand. Zumindest ihre<br />

ersten Nachfahren werden also von ihrer<br />

Urheberschaft gewusst haben, und so ist<br />

es <strong>der</strong> gönnerhaften und nachlässigen<br />

Verwaltung ihres Nachlasses geschuldet,<br />

dass ihre Urheberschaft so lange unbekannt<br />

geblieben ist. Ob die damaligen<br />

Nachfahren ebenso verfahren wären,<br />

und ob die heutigen Kritiker ebenso<br />

argumentieren würden, wenn <strong>Lucy</strong> ein<br />

Lucas gewesen wäre?<br />

<strong>Die</strong> Konsequenz dieser geschlechterabhängigen<br />

gegensätzlichen Beurteilung<br />

zeigt sich heute jedenfalls eindrücklich:<br />

Während viele männliche Autoren des 17.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts fraglos zu den Gallionsfiguren<br />

<strong>der</strong> englischen Literatur zählen,<br />

ist <strong>Hutchinson</strong> in völlige Vergessenheit<br />

geraten. Und für den Fall, dass Sie das<br />

Ganze für ein Problem einer längst<br />

vergangenen, rückständigen Zeit halten:<br />

Nicht einmal die ohnehin äußerst geringe<br />

Anzahl weiblicher Nobelpreisträger findet<br />

sich heute in gängigen Kanones wie<strong>der</strong>,<br />

die in Schule und Uni als literarische<br />

Klassiker und Vorbil<strong>der</strong> behandelt werden.<br />

John Milton dagegen schon. #<br />

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