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ARD-Jahrbuch 09: Was darf Satire?

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<strong>Was</strong> <strong>darf</strong> <strong>Satire</strong>?<br />

Versuch einer Definition und Abgrenzung<br />

Von Jesko Friedrich<br />

Politische <strong>Satire</strong> ist seit jeher fester Bestandteil des<br />

öffentlich-rechtlichen Programmangebots.<br />

Doch wie verhält es sich mit Comedy, die vor allem<br />

beim jüngeren Publikum beliebt ist?<br />

Die Grenzen sind fließend. Beide bedienen sich ähnlicher<br />

Stilmittel, von Provokation und Überspitzung über<br />

Polemik bis zum Tabubruch. Aber wo ist die Grenze?<br />

So war beispielsweise die »Stauffenberg«-Parodie in der<br />

<strong>ARD</strong>-Late-Night-Show »Schmidt & Pocher« Anlass<br />

für eine Debatte darüber, was zum öffentlich-rechtlichen<br />

Programmauftrag passt.<br />

Seine Einschätzung dazu gibt ein <strong>Satire</strong>-Experte:<br />

W<br />

as <strong>darf</strong> <strong>Satire</strong>? Darf <strong>Satire</strong> scherzhaft<br />

mit Drittem Reich und Holocaust<br />

umgehen? Darf <strong>Satire</strong> Jürgen Klinsmann<br />

in einer Fotomontage als Jesus<br />

am Kreuz zeigen? Darf <strong>Satire</strong> sich mit Comedy<br />

vermischen? Fragen wie diese sind schwer zu<br />

beantworten, und die meisten Beispiele, die ich<br />

anführen werde, sind Grenzfälle, zu denen es<br />

gegensätzliche Meinungen gibt. Tucholsky beantwortet<br />

im Jahre 1919 die Frage »<strong>Was</strong> <strong>darf</strong> die<br />

<strong>Satire</strong>?« noch mit »Alles«. Würde er 90 Jahre<br />

später angesichts des Holocaust und beispielsweise<br />

Oliver Pochers Umgang damit immer<br />

noch dieselbe Antwort geben? Klären wir zunächst,<br />

was <strong>Satire</strong> eigentlich ist. Später werden<br />

wir dann versuchen, die oben genannten Fragen<br />

zu beantworten. Ich werde mich dabei auf aktuelle<br />

deutsche Fernsehsatire konzentrieren und<br />

insbesondere Beispiele aus meinem Arbeitsalltag<br />

beim <strong>Satire</strong>magazin »Extra 3« (NDR) anführen.<br />

<strong>Satire</strong>, wie ich sie zum Beispiel bei »Extra 3«<br />

mache, will – nach Möglichkeit unterhaltsam<br />

– informieren, aber vor allem eine klare und<br />

kritische Meinung äußern und deutlich Stellung<br />

zu aktuellen Ereignissen beziehen. Darüber hinaus<br />

will sie ihrem Publikum ein Bewusstsein all<br />

dessen vermitteln, was im Lande nicht funktioniert<br />

oder falsch läuft. Im besten Falle lacht der<br />

Zuschauer, lernt etwas dabei und setzt diese Erkenntnis<br />

dazu ein, aktiv an der Beseitigung von<br />

Missständen mitzuwirken.<br />

Wie will <strong>Satire</strong> diese Ziele erreichen? Im<br />

Jahr 1795 schreibt Schiller: »In der Satyre wird<br />

die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der<br />

76 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


höchsten Realität gegenübergestellt.« Noch<br />

kämpferischer formuliert Tucholsky: »Der Satiriker<br />

ist ein gekränkter Idealist: Er will die Welt<br />

gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen<br />

das Schlechte an.«<br />

Also: <strong>Satire</strong> ist in erster Linie gegen etwas<br />

gerichtet, und zwar gegen eine als fehlerhaft<br />

und schlecht empfundene Wirklichkeit in Form<br />

von Personen, Institutionen und Geisteshaltungen.<br />

Diese werden kritisch mit einem Ideal<br />

verglichen, dem sie nicht entsprechen. Der ironische<br />

Humor, mit dem dies oft geschieht, ist<br />

dabei nur ein Vehikel, das ohne den kritischen<br />

Anspruch der <strong>Satire</strong> zu reiner Komik bzw. Comedy<br />

wird. Dementsprechend sollte die zentrale<br />

Frage an jeden satirischen Beitrag, egal in<br />

welchem Medium, sein: »Wer ist der Feind?«<br />

Oder, wem das zu martialisch klingt: »Wer<br />

ist verantwortlich für einen (veränderbaren)<br />

schlechten Zustand?«<br />

Eine kurze Bemerkung zum Ideal, dem die<br />

<strong>Satire</strong> verpflichtet ist: Dieses Ideal kann sich<br />

natürlich überall im demokratischen Spektrum<br />

befinden, und so ungerne man gut gemachte<br />

<strong>Satire</strong> des politischen Gegners sieht, so wenig<br />

dürfte man von vornherein sagen: »Das <strong>darf</strong><br />

<strong>Satire</strong> nicht.«<br />

Unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel<br />

publizierte Kurt Tucholsky 1919 im »Berliner<br />

Tageblatt« seine Ansichten zum Thema<br />

<strong>Satire</strong>.<br />

<strong>Was</strong> <strong>Satire</strong> nicht <strong>darf</strong>, ist, kein Ideal haben.<br />

Hinsichtlich dieses Problems vergleicht Isabella<br />

Amico di Meane (in ihrer Dissertation »Fernsehsatire.<br />

Möglichkeiten und Grenzen eines<br />

Genres im deutsch-italienischen Vergleich«,<br />

Berlin/Turin 20<strong>09</strong>, S. 19) Harald Schmidt mit<br />

Dieter Hildebrandt: »Während Hildebrandt die<br />

Meldungen, die er in seinen Sendungen verlas,<br />

ernst nahm und zu ihnen Stellung bezog, bedient<br />

sich Schmidt zwar noch der Technik des<br />

Zitierens von Zeitungsmeldungen, nimmt sie<br />

aber keineswegs ernst: Für ihn sind sie nichts<br />

anderes als Zeichen jenes medialen Nonsens,<br />

in dem er sich auch befindet und mit dem er<br />

manchmal ironisch-sarkastisch, öfter zynisch<br />

spielt.« Nihilismus statt Idealismus – das ist<br />

lässig, macht die Welt aber nicht besser, doch<br />

genau das ist ja das Anliegen der <strong>Satire</strong>.<br />

_<br />

Voraussetzungen oder Wann ist ein »Feind«<br />

(Gegenstand) satiretauglich?<br />

Kommen wir zurück zum »Feind«. Grundsätzlich<br />

gilt: Jeder hat das Recht auf satirische<br />

Kritik. Christen, Juden, Moslems, Behinderte<br />

und Behindernde, Frauen, Männer, Intersexuelle<br />

– sie alle taugen zum Feind, wenn sie ein<br />

entsprechendes Fehlverhalten an den Tag legen.<br />

Feind-Probleme, die in meinem »Extra 3«-Alltag<br />

immer wieder auftreten, sind z.B.:<br />

a) angeblicher Feind hat bei genauerem Hinsehen<br />

recht,<br />

b) es gibt mehrere Feinde,<br />

c) der Feind hat einen zu niedrigen Status.<br />

Punkt a) führt in der Praxis dazu, dass der<br />

Film nicht gemacht wird. An einem gewählten<br />

Feind festzuhalten, obwohl die Fakten ihn<br />

vollständig entlasten, wäre nicht <strong>Satire</strong>, sondern<br />

Propaganda. In diesem Zusammenhang<br />

muss auch gesagt werden, dass <strong>Satire</strong> eines mit<br />

Sicherheit nicht <strong>darf</strong>, und das ist: Fakten verfälschen.<br />

Ein zuspitzendes Fokussieren auf die<br />

Fehler des Feindes <strong>darf</strong>, ja muss sogar vorgenommen<br />

werden – <strong>Satire</strong> muss wehtun, sonst<br />

bleibt sie wirkungslos. So schreibt Tucholsky:<br />

»Die <strong>Satire</strong> muß übertreiben und ist ihrem tiefsten<br />

Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit<br />

auf, damit sie deutlicher wird.« Hingegen<br />

wäre es aber unredlich, z. B. eine statistische<br />

Zahlenangabe (Atommüllfässer in der Asse,<br />

getötete Zivilisten im Irak o. ä.) kurzerhand zu<br />

verdoppeln, um etwa das Fehlverhalten der Verantwortlichen<br />

noch deutlicher herauszustellen.<br />

Letztendlich wäre so ein Vorgehen auch kontraproduktiv,<br />

da der Satiriker selbst angreifbar<br />

<strong>Was</strong> <strong>darf</strong> <strong>Satire</strong>? A R D - J A H R B U C H 0 9 77


An einem nicht ganz ernst gemeinten SPD-<br />

Informationsstand fingen im März 2007<br />

in Hamburg als »Parteiaktivisten« getarnte<br />

Journalisten Meinungen von Passanten<br />

ein. Die Aktion des <strong>Satire</strong>magazins »Extra 3«<br />

reagiert damit auf die aktuelle politische<br />

Situation in der Hansestadt.<br />

würde. Hier ist auch ironische Verfremdung,<br />

mit der <strong>Satire</strong> gerne arbeitet, keine Entschuldigung:<br />

Die Fakten, die ironisch oder in anderer<br />

verfremdeter Form präsentiert werden, müssen<br />

trotzdem wahr sein.<br />

Ein gutes Beispiel für Punkt b) ist der Nahostkonflikt:<br />

Das Leiden der palästinensischen<br />

Zivilbevölkerung und der Terror gegen Israel<br />

sind so untrennbar miteinander verbunden,<br />

dass die Fokussierung auf eine der beiden Parteien<br />

als satirisch verstandenen »Feind« oft als<br />

überzogen parteiisch erscheint. Beide Konfliktparteien<br />

als Feinde in einem Beitrag funktionieren<br />

nicht gut, da das Fehlverhalten der einen<br />

Partei dasjenige der anderen relativiert und begründet,<br />

ja sogar teilweise entschuldigt. Sagen<br />

wir so: Zwei Feinde sind theoretisch möglich<br />

und erlaubt, aber lass es lieber.<br />

Punkt c) konstituiert für mich ein satirisches<br />

Tabu. <strong>Satire</strong> tritt nicht nach unten. Das arme<br />

Würstchen ist nicht der Feind. Als Beispiel für<br />

einen Grenzfall möchte ich einen »Extra 3«-Beitrag<br />

anführen, in dem ich als Reporter von<br />

einer schlecht besuchten »Montagsdemo« gegen<br />

die Hartz-IV-Gesetze berichtete. Die von<br />

den Organisatoren konstruierte Parallele zu<br />

den Montagsdemonstrationen, die den Fall der<br />

DDR einleiteten, war schön größenwahnsinnig,<br />

die Parolen »Wir sind das Volk!« angesichts der<br />

geringen Teilnehmerzahl auf rührende Weise<br />

anmaßend, die O-Töne lustig (»Wir liegen mit<br />

dem Gesicht auf der Schnauze und es geht<br />

bergab.«). Aber der Status der Demonstranten<br />

war schon eher niedrig (viele Arbeitslose, von<br />

Arbeitslosigkeit Bedrohte und ehrlich Besorgte),<br />

so dass sie nicht hundertprozentig als »Feind«<br />

funktionierten. Die absolute Grenze lag schließlich<br />

bei einer Szene, in der ein sehr herausgeforderter<br />

Mensch mit Sprachfehler zu Wort kam<br />

– ich schnitt sie heraus, da sie ihn eher bloßgestellt<br />

als entlarvt hätte.<br />

Noch ärgerlicher ist in diesem Zusammenhang<br />

die zum ausschließlichen Zwecke der Belustigung<br />

veranstaltete, forcierte Verhöhnung<br />

Schwächerer, die sich als <strong>Satire</strong> ausgibt. Beispiel:<br />

Im Jahr 2004 kommentierte Stefan Raab<br />

das Foto einer jungen türkischen Mutter, die<br />

die Schultüte für ihr Kind trug, mit dem Satz:<br />

»Die Dealer tarnen sich immer besser.« Vor Gericht<br />

wollte Raab dies als »zulässige <strong>Satire</strong>« verstanden<br />

wissen. Gegen diese Inanspruchnahme<br />

muss sich die <strong>Satire</strong> verwahren. Diese Äußerung<br />

ist keine <strong>Satire</strong>, schon gar keine zulässige.<br />

Die Frage lautet wie immer: Wer ist der Feind?<br />

Junge Mütter? Junge Türkinnen? Warum?<br />

Ähnlich verhält es sich mit dem Fall einer<br />

16-jährigen Schülerin, über deren Namen Raab<br />

im Jahr 2001 zahlreiche Pornowitze riss. Die<br />

Folgen: 70 000 Euro Schmerzensgeld und eine<br />

Therapie für die junge Frau.<br />

Ein weiteres Beispiel: Oliver Pocher, verkleidet<br />

als Stauffenberg, interviewt einen jungen<br />

Dennis Kaupp und Jesko Friedrich erhielten<br />

20<strong>09</strong> für ihre Kunst- und Kultfigur<br />

»Johannes Schlüter« den Grimme-Preis.<br />

78 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


Erwachsenen zum neuen Film mit Will Smith<br />

und äfft schließlich das schlechte »Ti-Äjtsch«<br />

seines Interviewpartners genüsslich nach. Ist das<br />

<strong>Satire</strong>? Wo ist der Feind? Wenn es keine satirische<br />

Kernaussage und kein moralisches Ideal<br />

gibt, mit dem das Gezeigte kontrastiert wird,<br />

dann ist das Ganze natürlich nur Comedy,<br />

wobei sich dann aber die Frage stellt, warum<br />

Pocher eine Wehrmachtsuniform aus der Nazizeit<br />

tragen muss, um Menschen mit Sprachfehler<br />

zu verhöhnen. Denn die Naziuniform<br />

(mit der »<strong>ARD</strong>-1« anstelle eines Hakenkreuzes<br />

auf der Mütze) wurde ja, wie ich es verstanden<br />

habe, damit gerechtfertigt, dass sie in satirischem<br />

Kontext zu verstehen sei.<br />

_<br />

Drittes Reich und Holocaust in der <strong>Satire</strong><br />

Hier stoßen wir auf die eingangs gestellte Frage,<br />

wann <strong>Satire</strong> scherzhaft mit dem Dritten Reich<br />

umgehen <strong>darf</strong>. Gelungene Nazi-<strong>Satire</strong>n wie<br />

»Obersalzberg« bei »Switch reloaded« (ProSieben),<br />

»Adolf, die Nazi-Sau« (Comic von Walter<br />

Moers) und natürlich »Der große Diktator« von<br />

Charlie Chaplin zeigen, dass es geht, wenn der<br />

Feind stimmt: Es geht darum, Hitler lächerlich<br />

zu machen und zu entmystifizieren – ohne aber<br />

respektlos mit dem Leid der Opfer umzugehen.<br />

Ohne die Singularität des Holocaust relativieren<br />

zu wollen, postuliere ich einmal, dass das<br />

Dritte Reich und die Verbrechen der Nazis als<br />

prototypisch für Schreckliches, Abstoßendes,<br />

Ablehnenswertes zu sehen sind, so dass die<br />

übergeordnete Frage lauten könnte: Darf <strong>Satire</strong><br />

Abstoßendes zeigen?<br />

Oliver Pocher in der Uniform von Claus<br />

Schenk Graf von Stauffenberg in der Sendung<br />

»Schmidt und Pocher« vom 22. 1. 20<strong>09</strong> 20<strong>09</strong><br />

In Form der ernsthaften, »strafenden« oder<br />

»pathetischen« <strong>Satire</strong>, wie sie Schiller definiert,<br />

sehe ich hier weit weniger Probleme als im Falle<br />

der scherzhaften <strong>Satire</strong>, die in Verbindung mit<br />

dem dargestellten Abstoßenden oft als unangemessen<br />

erscheint. 1919 verteidigt Tucholsky<br />

das Recht der <strong>Satire</strong> auf drastische Darstellungen<br />

so: »Vor allem macht der Deutsche einen<br />

Fehler: Er verwechselt das Dargestellte mit<br />

dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der<br />

Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster<br />

bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen<br />

Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten<br />

durch die packende Darstellung eines<br />

Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist.«<br />

Dieses Prinzip erlaubt der <strong>Satire</strong> ein gehöriges<br />

Maß an Drastik, ist aber kein Freibrief. Bei<br />

Darstellungen von Gewalt und Tod in Wort<br />

und Bild <strong>darf</strong> der gezeigte Schrecken nicht die<br />

satirische Aussage überlagern. »Das Pferd ›Zuschauer‹<br />

springt nicht über das Hindernis ›totes<br />

Kind‹«, sagt man bei »Extra 3«. Bei bestimmten<br />

schrecklichen Bildern in scherzhaft-satirischem<br />

Kontext herrscht beim Zuschauer nur noch<br />

Entsetzen über die Gefühllosigkeit des Satirikers,<br />

während der satirische Feind aus dem<br />

Fokus gerät. Besonders gilt dies in Fällen, wo<br />

der dargestellte Schrecken nicht direkt auf den<br />

satirischen Feind zurückzuführen ist.<br />

Ein Nicht-Nazi-Beispiel aus meinem Alltag<br />

bei »Extra 3«: In einem Beitrag der Rubrik »Die<br />

Sendung mit dem Klaus« wurde die Redensart<br />

»Ich glaub’, es hackt!« mit der Darstellung eines<br />

Robbenbabys bebildert, das mit der Spitzhacke<br />

Der britische Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor<br />

und Produzent Charlie Chaplin in<br />

dem Film »Der große Diktator« von 1940<br />

<strong>Was</strong> <strong>darf</strong> <strong>Satire</strong>? A R D - J A H R B U C H 0 9 79


2001 bestritten die Kabarettisten Dieter Hildebrandt,<br />

Bruno Jonas, Mathias Richling und<br />

Georg Schramm (v. l.) den»Scheibenwischer«.<br />

Im April 20<strong>09</strong> zu Gast bei Richlings »<strong>Satire</strong>-<br />

Gipfel«: Arnulf Rating, Markus Maria Profitlich,<br />

Mathias Tretter und Christoph Sieber (v. l.)<br />

erschlagen wird. Die darauffolgende Redaktionskonferenz<br />

kam zu dem Ergebnis, dass eine<br />

derartig grausame Darstellung nur dann statthaft<br />

sei, wenn sie in einem Beitrag zum Thema<br />

Robbenjagd gezeigt würde und der satirische<br />

Feind die Robbenjäger selbst seien. »Nur zum<br />

Spaß« ein solches Bild zu zeigen, zeugt zwar<br />

von Kaltblütigkeit und Mut zum Tabubruch, es<br />

werden aber Verharmlosung, Abstumpfung und<br />

Hemmschwellensenkung für einen Lacher in<br />

Kauf genommen.<br />

Ähnliches gilt für islamistischen Terror. Man<br />

kann Terroristen satirisch bloßstellen, muss<br />

aber vorsichtig mit sinnfreien Terrorgags oder<br />

-vergleichen in anderen Kontexten sein, damit<br />

das Mittel den Zweck nicht in den Schatten<br />

stellt. Gleiches gilt natürlich insbesondere für<br />

das »Auspacken der Nazikeule«. Meine »Extra<br />

3«-Kollegen benutzen z. B. Hitler in der Rubrik<br />

»Neueste Nationale Nachrichten« in der Regel<br />

nur, um die Unzulänglichkeiten der NPD<br />

herauszustellen. Verallgemeinert ausgedrückt:<br />

Das Dritte Reich, seine Protagonisten und<br />

seine Symbole sollten möglichst nur dann in<br />

scherzhaftem Kontext verwendet werden, wenn<br />

der satirische Feind Altnazis, Neonazis oder<br />

Leugner und Relativierer von Naziverbrechen<br />

sind. Nur dann »lohnt« sich der Tabubruch, nur<br />

dann heiligt der Zweck die Mittel. In fast allen<br />

anderen Fällen sind Nazianspielungen oder Nazivergleiche<br />

unangemessen und bewirken nur,<br />

dass der Satiriker als geschmacklos angesehen<br />

oder das Dritte Reich verharmlost wird.<br />

Apropos Geschmacklosigkeit: Ich denke,<br />

dass die eben genannten Überlegungen auch<br />

teilweise auf andere Tabubrüche zutreffen. So<br />

haben beispielsweise die Inzest- und Sodomiebezichtigungen,<br />

die Michael Kessler als Florian<br />

Silbereisen bei »Quatsch goes Christmas« (Pro-<br />

Sieben, 2008) über die Volksmusik-Szene zum<br />

Besten gab, eher ihn selbst als die Volksmusikszene<br />

diskreditiert, da der satirische Zweck<br />

des Tabubruchs über den bloßen Effekt hinaus<br />

nicht erkennbar war. Einige Zitate: »Mit der<br />

Verwandtschaft macht’s (= das Schnackseln) am<br />

meisten Spaß.« – »Ich knall meinen Ziegenbock<br />

und mach’s ihm mit dem Mund.« – »Stefan<br />

Mross macht’s mit ner Kuh.«<br />

<strong>Satire</strong> muss wehtun (s.o.), aber nicht durch<br />

sinnfreie Beleidigungen, sondern durch harte,<br />

treffende Kritik. Abgesehen von Ausrutschern<br />

wie diesen produzieren Kessler und seine Kollegen<br />

von »Switch« übrigens ganz wunderbare,<br />

zu Recht preisgekrönte <strong>Satire</strong>. Doch kommen<br />

wir zurück zum Holocaust, dessen Singularität<br />

Tabubrüche wie die eben genannten vergleichsweise<br />

harmlos erscheinen lässt.<br />

Auch das 2007 bei »Schmidt & Pocher« getestete<br />

»Nazometer« war aus meiner Sicht eine<br />

Entgleisung. Die beiden testeten Wörter wie<br />

»Gasherd« und »Dusche«, die natürlich eindeutige<br />

Assoziationen bezwecken sollten. SWR-Intendant<br />

Peter Boudgoust urteilte: »Ein solches<br />

lustvolles Überschreiten von Grenzen <strong>darf</strong> es<br />

im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht ge-<br />

80 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


en.« Henryk M. Broder schrieb dazu, Schmidt<br />

und Pocher hätten »nicht den Massenmord<br />

vergagt oder die NS-Opfer verhöhnt, sie haben<br />

sich über den ritualisierten, verlogenen und<br />

wohlfeilen Umgang mit dem lustig gemacht,<br />

was vom Dritten Reich übrig geblieben ist: das<br />

inszenierte Entsetzen. (. . .) Sechzig Jahre nach<br />

dem Ende des NS-Projekts sollte es allmählich<br />

möglich sein, sich über das braune Pack lustig<br />

zu machen, statt immer wieder ›den Anfängen‹<br />

zu wehren.«<br />

Betrachten wir das Ganze unter der oben<br />

gegebenen Definition von <strong>Satire</strong>. Erste Frage:<br />

»Wer ist der Feind?« Antwort: Überempfindliche<br />

Zeitgenossen, die mit reflexartigem,<br />

inszeniertem Entsetzen auf Eva Hermans Äußerungen<br />

reagieren, es sei nicht alles schlecht<br />

gewesen. Es wird sich also eben nicht ȟber<br />

das braune Pack lustig gemacht«, sondern über<br />

deren erklärte Gegner, und für so einen Feind<br />

ist mir das Herumscherzen mit »Gas« und »Dusche«<br />

dann doch eine Spur zu heftig.<br />

_<br />

<strong>Satire</strong> und Comedy<br />

Noch einmal zurück zum Stauffenberg-Kinderfasching:<br />

Wenn <strong>Satire</strong> Nazisymbole verwendet,<br />

dann muss der Kontext ihrer Verwendung (und<br />

der satirische Feind in diesem Kontext) definiert<br />

und klar umgrenzt sein. Das Übernehmen<br />

von Nazi-Elementen in andere scherzhafte<br />

Zusammenhänge (z. B. Interview in Naziuniform<br />

zum neuen Will-Smith-Film) bewirkt eine<br />

unreflektierte Verharmlosung dieser Elemente,<br />

die darin münden könnte, dass auch Deutsche<br />

eines Tages wie Prinz Harry in Naziuniform zur<br />

Faschingsparty gehen.<br />

Hier liegt vielleicht eine allgemeine Gefahr<br />

bei der Vermischung von <strong>Satire</strong> und Comedy.<br />

<strong>Satire</strong> <strong>darf</strong> das Schreckliche zeigen – um es zu<br />

bekämpfen. Comedy <strong>darf</strong> das nicht. Wenn nun<br />

eine Comedy-<strong>Satire</strong>-Sendung das Schreckliche<br />

zu satirischen Zwecken hervorholt und dann,<br />

weil es schon mal da ist, in reinem Comedy-<br />

Kontext weiterverwendet, wirkt das normalisierend,<br />

abstumpfend, Hemmschwellen senkend.<br />

Die Welt wird dadurch nicht besser, sondern<br />

schlechter – das Gegenteil dessen, was <strong>Satire</strong><br />

will.<br />

Generell ist gegen die Vermischung von Comedy<br />

und <strong>Satire</strong> nichts einzuwenden. Innerhalb<br />

von <strong>Satire</strong> können ja Comedy-Elemente einen<br />

satirischen Feind sehr wirkungsvoll der Lächerlichkeit<br />

preisgeben. Innerhalb einer Sendung<br />

wie »<strong>Satire</strong> Gipfel« (Nachfolger von »Scheiben-<br />

Sorgen im WDR Fernsehen für die richtige<br />

Mischung aus politischer <strong>Satire</strong> und<br />

Ruhrgebietshumor: Jürgen Becker mit Herbert<br />

Knebel und Wilfried Schmickler (v. l.)<br />

Wischer«, um mal in der neuen Schreibweise<br />

zu bleiben) kann Comedy der <strong>Satire</strong> helfen,<br />

einen größeren Zuschauerkreis anzusprechen.<br />

Wichtig ist nur, dass die satirische Kritik durch<br />

den Wunsch, unterhalten zu wollen, nicht in<br />

ihren entscheidenden Aussagen verwässert wird.<br />

Solange der satirische Feind immer wieder hart<br />

getroffen wird, <strong>darf</strong> zwischendurch auch mal<br />

einfach so gelacht werden.<br />

Noch der Vollständigkeit halber: Na klar<br />

<strong>darf</strong> die »taz« Jürgen Klinsmann als gekreuzigten<br />

Jesus darstellen. Das Landgericht München<br />

entschied: »Die Art der Darstellung ist dem<br />

Bereich der <strong>Satire</strong> zuzuordnen. Eine reale Kreuzigung<br />

des Antragstellers steht nicht im Raum.<br />

Vielmehr wird der berufliche Niedergang des<br />

Antragstellers symbolisch dargestellt. Vor dem<br />

Hintergrund, dass die religiöse Darstellung vorliegend<br />

für jedermann erkennbar nur als Symbol<br />

zur Vermittlung einer Aussage verwendet<br />

wird, welche überhaupt keinen Bezug zur Religionsausübung<br />

des Antragstellers hat (. . .) wiegt<br />

die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts<br />

des Antragstellers durch die Art des gewählten<br />

Symbols vorliegend nicht so schwer, als dass<br />

hierdurch die Meinungsäußerungsfreiheit der<br />

Antragsgegnerin eingeschränkt werden könnte.«<br />

Dr. Jesko Friedrich, Autor, Regisseur und Darsteller<br />

im NDR-<strong>Satire</strong>-Magazin »Extra 3« und dafür<br />

kürzlich mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet<br />

<strong>Was</strong> <strong>darf</strong> <strong>Satire</strong>? A R D - J A H R B U C H 0 9 81

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