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Dokumentation (PDF, 2,1 MB) - Montag Stiftungen

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Musik<br />

inspirieren<br />

Jugendliche Lernanlass<br />

Tanz<br />

Lernmöglichkeit<br />

präsentieren<br />

fragen<br />

gestalten<br />

forschen<br />

Kinder<br />

Kunst<br />

irritieren<br />

explorieren<br />

Freiraum<br />

Pädagogen<br />

Lernlabor


under construction<br />

art as a learning environment<br />

<strong>Dokumentation</strong> zum internationalen Symposium<br />

am 23. und 24. September 2009 in Bonn


Inhalt<br />

5<br />

6<br />

9<br />

1 6<br />

20<br />

26<br />

35<br />

38<br />

44<br />

50<br />

53<br />

56<br />

59<br />

61<br />

65<br />

68<br />

69<br />

72<br />

Lernen im künstlerischen Kontext<br />

Innerer Reichtum aus eigener Kraft Carl Richard <strong>Montag</strong><br />

Kunst im Kontext sozialästhetischen Lernens und Lehrens Dr. Karl-Heinz Imhäuser<br />

under construction – art as a learning environment Nana Eger<br />

Bausteine künstlerischer Bildung<br />

Künstlerisches Lernen: Warum und wie? Prof. Dr. Anne Bamford<br />

Auf die Atmosphäre kommt es an Prof. Dr. Gerald Hüther<br />

Konstruktive Lernstrategien Prof. Dr. Kersten Reich im Gespräch mit Ulrike Meier<br />

Künstlerische Prozesse an Schulen Ulrich Schötker im Gespräch mit Yvonne Vockerodt<br />

Stirn und Nase. Einsteins pädagogische Formel Dr. Marco Wehr<br />

Künstlerische Forschung Prof Dr. Gesa Ziemer im Gespräch mit Sabine Huth<br />

Künstlerische Workshops<br />

Der Körper als Instrument Constanze Albrecht<br />

rhythm, improvisation, now Dieter Markowsky<br />

Expansion Tanz Karen Bößer<br />

Krisenfest: Theater Peter Frohleiks<br />

Variationen des Sehens Elmar Mauch<br />

Epilog<br />

Wie aus Bäumen dicke Hunde werden Kerstin Huven<br />

Installationen Ulrike Meier, Burkhard Schröder<br />

Biografien<br />

Impressum


„Was ist mir wichtig für das Lernen im künstlerischen Kontext?“ Diese Frage diskutierten die Teilnehmenden während des Symposiums.<br />

Als Ergebnis entstand das „ABC-Wortband“, das die Vielfalt der Antworten und die Mehrfachnennungen dokumentiert.<br />

A


ha Momente Aktualität Alle Möglichkeiten Al<br />

Innerer Reichtum<br />

aus eigener Kraft<br />

Auch in unserer Zeit des Umbruchs, in der vieles brüchig geworden und<br />

Neues noch nicht zur Hand ist, sind unsere Wahrnehmungssinne unser<br />

wertvollstes Kapital. Durch sie sind wir fähig, uns der Außenwelt zu öffnen<br />

und Verbindung zu ihr aufzunehmen. Dank unserer Sinne können wir<br />

Eindrücke sammeln und Erkenntnisse gewinnen. Sie sind das Rüstzeug<br />

für einen lebendigen Austausch und sie bieten uns damit auch die Chance,<br />

uns selbst zu entdecken. Sie sind der Schlüssel zu dem, was uns im Innersten<br />

bewegt. Nur wer in der Lage ist - und sich auch traut - seine Sinne<br />

zu gebrauchen, wird seine eigentliche Bestimmung erkennen. Dies ist<br />

ein spannender Prozess, in dem wir Selbstvertrauen gewinnen und damit<br />

auch Überzeugungskraft und Durchsetzungswillen entwickeln können.<br />

Vor allem in der Begegnung mit Natur und Kunst finden junge Menschen<br />

den Freiraum, um diesen Weg erfolgreich zu gehen. Hier erleben sie die<br />

ganze Vielfalt des Lebens, erfahren Spannung und Harmonie und werden<br />

eingeladen, selbst zu gestalten. Wenn dieser Gestaltungswille erst einmal<br />

geweckt ist, dann ist der Grundstein für lebenslanges Lernen gelegt.<br />

Dabei werden unsere wahren Interessen und Begabungen sichtbar - und<br />

das ist unser größtes Eigenkapital.<br />

Die Bedeutung und den Wert, den dieser Prozess für das Leben des<br />

Menschen hat, sollten Begleiter und Erzieher immer im Auge haben.<br />

Wie bedeutungsvoll eine auf diese Weise selbst entdeckte und gestaltete<br />

Welt sein kann, habe ich während der Zeit des Zweiten Weltkrieges<br />

erlebt. Ein eindrucksvolles Schauspiel, welche Macht in der Kunst steckt<br />

und welche Kraft sie einem Menschen geben kann. Ich war Augen- und<br />

5<br />

Ohrenzeuge, wie ein russischer Kriegsgefangener im Lager leidenschaftlich<br />

auf einer Geige spielte, seine Bewacher sprachlos machte, beschämte<br />

und zum Nachdenken über die Folgen von Gewalt zwang. Ich erinnere<br />

mich auch, wie nach dem Zweiten Weltkrieg ein Künstler die Rolle des<br />

Mutmachers übernahm. Der Maler Eberhard Viegener, der mich ermutigt<br />

hatte, an der ersten Kunstausstellung nach dem Kriege im sauerländischen<br />

Arnsberg teilzunehmen, hielt dort die Eröffnungsrede. Den ersten<br />

Satz habe ich auch heute, nach 60 Jahren, immer noch im Ohr: „Der<br />

Resignation unserer Tage werden wir unsere Freude am künstlerischen<br />

Schaffen und unsere Lust, Neues zu entdecken, entgegensetzen.“<br />

Dieser Satz hat mich tief beeindruckt. Wer ihn beherzigt, wird selbst in<br />

schwierigen Lebenssituationen innerlich reich werden und ein Vermögen<br />

besitzen, das ihm niemand auf der Welt mehr nehmen kann.<br />

Carl Richard <strong>Montag</strong>


Person erkennbar werden Anregende Umgebu<br />

Kunst im Kontext<br />

sozialästhetischen<br />

Lernens<br />

und Lehrens<br />

DR. Karl-Heinz Imhäuser<br />

Das Symposium „under construction – art as a learning environment“ ist<br />

eng mit wichtigen Grundideen der <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft<br />

verbunden. Um eine kurze Einordnung in den Stiftungskontext vorzunehmen,<br />

möchte ich beginnen mit einem Konzept, das wir inzwischen<br />

als Leitbild – man kann auch sagen als „Nordstern“ – unserer Stiftungsaktivitäten<br />

ansehen: die Sozialästhetik. Mit diesem Begriff entwickeln,<br />

gestalten und steuern wir die <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft,<br />

die unter diesem Leitbild somit auch die Verantwortung für das vorliegende<br />

Symposium trägt.<br />

Sozialästhetik ist für uns ein normativer, die Haltung im Denken und Handeln<br />

bestimmender Ausgangspunkt für all unsere Aktivitäten, die ihren<br />

Antrieb aus der Formel „Veränderung durch Handeln“ beziehen. Dabei<br />

geht es uns NICHT um eine „soziale Ästhetik“, in der man lediglich der<br />

Ästhetik das Soziale als Bestimmung des Begriffs voranstellen würde.<br />

Und es geht uns auch nicht um eine „Ästhetik des Sozialen“, bei der die<br />

Ästhetik das Soziale bestimmen würde. Uns geht es ganz bewusst und<br />

gewollt um eine Einwortschöpfung: die Sozialästhetik. In ihr sehen wir<br />

die untrennbare Verbindung zweier Begriffe zu einem dritten neuen – einem<br />

ganz neuen Begriff, der aus der Zusammenfügung des Begriffspaars<br />

erzeugt wurde, „emergiert“ ist, und aus dem nun Handeln mit dieser<br />

Grundhaltung entsteht.<br />

6


ng Anregende Umgebung und Räume Anregung<br />

Die beiden Bestandteile dieser Grundhaltung – das Ästhetische und das<br />

Soziale – verstehen wir folgendermaßen: das Ästhetische als „die sinnliche<br />

Wahrnehmung von Qualität“, das Soziale als „die uns allen gemeinsame<br />

Fähigkeit, zu einem Beitrag begabt zu sein, der das Ganze unserer<br />

uns gemeinsamen und gemeinsam erzeugten Kultur<br />

inspiriert, erweitert und bereichert.“ 1 Das Soziale bezieht<br />

sich dabei auf die Gemeinschaft aller eines wie<br />

auch immer gearteten – eines überschaubaren, eines<br />

abgrenzbaren, aber auch eines aufeinander verweisenden,<br />

eines zusammenhängenden und zusammengehörenden<br />

– Gemeinwesens.<br />

Bezogen auf das vorliegende Symposium „under construction – art as a<br />

learning environment“ möchte ich diese Gedanken ergänzen, um eine Sicht<br />

bzw. Deutung in Anlehnung an zwei große „Denker des Zusammenhangs“,<br />

die das Verbindende, den Zusammenhang, immer als unteilbares Ganzes<br />

verstanden haben: Gregory Bateson und Heinz von Foerster. Für beide ist<br />

das Ganze mehr als die Summe seiner Teile: Der Teil ist im Ganzen und das<br />

Ganze ist im Teil. Das Ganze ist der Teil und der Teil ist das Ganze.<br />

In diesem Zusammenhang finden wir bei Gregory Bateson auch den Begriff<br />

der Ästhetik: „Ästhetik ist die Aufmerksamkeit für das Muster, das<br />

verbindet.“ 2 Ein Satz, dem Heinz von Foerster die aus seiner Sicht notwendige<br />

Ergänzung anfügt: „ ... und für die Matrix, den Nährboden, der<br />

diese Aufmerksamkeit für die verbindenden Bezugsmöglichkeiten einbaut,<br />

oder besser einbettet und nährt.“<br />

Nach Fredmund Malik, einer der wohl wichtigsten Stimmen der Gegenwart<br />

zur systemisch-kybernetisch orientierten Gestaltung jeglicher<br />

Organisation und Institution, tritt der Begriff der Einbettung hier an<br />

die Stelle von Hierarchie: Sie ermöglicht überhaupt erst die Ausweitung<br />

von Einflussnahmen über die begrenzte Einflussnahme durch Hierarchie<br />

Der Teil ist im Ganzen<br />

und das Ganze ist im Teil.<br />

Das Ganze ist der Teil<br />

und der Teil ist das Ganze.<br />

hinaus. Im und durch den Modus des Einbettens verändert sich die Charakteristik<br />

der Operationslogik des Gestaltens, Entwickelns und Steuerns<br />

– von uni-direktional zu bi-direktional, von nicht-kommunikativ zu kommunikativ,<br />

von ungesteuert zu feedback-gesteuert.<br />

Hier wird deutlich, dass Gregory Batesons Verständnis<br />

von Ästhetik implizit bereits ein sozialästhetisches<br />

Verständnis ist. Kunst hat für ihn dabei die<br />

funktionale Aufgabe – genau wie im Übrigen die<br />

Religionen –, unvermeidliche epistemologische, also<br />

unsere Erkenntnis betreffende Probleme anzusprechen:<br />

Dazu gehören die Begrenzungen der Erkenntnis,<br />

die unumgänglichen Lücken in jeder Beschreibung von Erkenntnis und<br />

das Problem der Paradoxien, die aus unserem immer zirkulären, das heißt<br />

auf uns selbst zurückkommenden Handeln entstehen. Paradoxien also, die<br />

wir in der Welt mit und aus jedem Anfang erzeugen.<br />

Dieser letzte Punkt sei illustriert an einem kleinen Beispiel, das ich wiederum<br />

von Heinz von Foerster übernehme: Beginnen wir, unseren rechten<br />

Nachbarn zu zwacken, der wiederum seinen rechten Nachbarn zwackt,<br />

der wiederum seinen rechten Nachbarn zwackt etc. An einem bestimmten<br />

Punkt werden wir selbst gezwackt – das heißt, unser Handeln wirkt<br />

auf uns selbst zurück, wir haben uns sozusagen selbst gezwackt. Das ist<br />

paradox und gleichzeitig logisch – wie das Verhältnis des Teils zu einem<br />

Ganzen und umgekehrt.<br />

Eine weitere für unser Symposium interessante Paradoxie ist die von<br />

Identität und Wandel oder, anders ausgedrückt, die Paradoxie der Aussage:<br />

„Das Konstanteste ist der Wandel.“ Das Paradox der Gleichzeitigkeit<br />

von Konstanz und Veränderung ist gerade für das Nachdenken über identitätsbildende<br />

Aspekte, die uns ja im Zusammenhang mit Jugendlichen und<br />

Heranwachsenden besonders interessieren, irritierend.<br />

7


usbildung der Lehrenden Ausgefallene Ideen z<br />

8<br />

Die Suche nach Antworten auf beunruhigende Tatbestände und Fragen<br />

zu den prinzipiellen Begrenzungen unserer Erkenntnis, ihrer prinzipiellen<br />

Lückenhaftigkeit und zu den Paradoxien, die wir durch unser Denken und<br />

Handeln erzeugen, liegt für Gregory Bateson im Handlungsbereich der<br />

Kunst. Kunst ist für ihn ein Erfahrungsbereich, der im Transformationsprozess<br />

von Eindruck zu Ausdruck „im Allgemeinen vielfältige Zyklen der<br />

Selbstkorrektur, wiederholtes Testen und Lauschen, Korrigieren und Bearbeiten<br />

durchläuft“, die in besonderer Weise geeignet sind, Antworten für<br />

die oben genannten Erkenntnisprobleme zu erzeugen.<br />

Und hier schließt sich nun der Kreis meiner kurzen Kontextualisierung<br />

des Symposiums in die<br />

Kunst erleben wir als Umgebung Arbeit der <strong>Montag</strong> Stiftung<br />

Jugend und Ge-<br />

zum Lernen und (Nach-)Forschen,<br />

sellschaft: In unserer<br />

als sinnlich erfassbaren<br />

Veranstaltung erleben<br />

Zwischenraum „under construction“. wir Kunst als Umgebung<br />

zum Lernen und<br />

(Nach-)Forschen, als sinnlich erfassbaren Zwischenraum „under construction“.<br />

Hier entsteht für uns der Zusammenhang, der verbindet, der Fragen<br />

beantwortet und neue aufwirft, der Paradoxien aufspürt, erlebbar macht<br />

und wieder auflöst.<br />

Genau darin besteht für uns die Idee einer sozialästhetischen Lehr- und<br />

Lernpraxis, die wir in unserer Seminarreihe „einzueins“ bereits umsetzen<br />

und die wir stetig weiterentwickeln und ausbauen. Dieser Gedanke steht<br />

auch hinter unserem Symposium, das Nana Eger im Rahmen ihres Promotionsprojekts<br />

konzipiert und organisiert hat. Sie beschäftigt sich mit<br />

international erfolgreichen Ansätzen, in denen durch Künstlerinnen und<br />

Künstler initiiertes ästhetisches Erleben, Erfahren und Erkennen im Fokus<br />

pädagogischen Handelns stehen. Diese Themen finden sich auf vielfältige<br />

Weise im vorliegenden Programm, das sich so auch als Anregung<br />

und Anleitung zu einer sozialästhetischen Praxis versteht.<br />

Ich wünsche uns allen eine konstruktive Offenheit, in der „Vertrautes<br />

brüchig und Neues noch nicht zur Hand ist“, um so gemeinsam in diesem<br />

Symposium Lernende zu sein, uns inspirieren zu lassen von Impulsen,<br />

Gesprächen und neuen Eindrücken, die uns hoffentlich bereichern und zu<br />

neuen ertragreichen Erkenntnissen führen, um Kindern und Jugendlichen<br />

Erfahrungsräume zum künstlerischen Gestalten und Lernen zu eröffnen.<br />

1<br />

Definitionen nach Theo Eckmann, Gründungsvorstand der <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend<br />

und Gesellschaft, in seinem Buch „Sozialästhetik – Lernen im Begegnungsfeld von<br />

Nähe und Freiheit“, Bochum/Freiburg 2005/2008.<br />

2<br />

Aus dem posthum erschienenen Buch „Wo Engel zögern“ mit Texten, die Gregory<br />

Batesons Tochter aus dem Nachlass zusammengestellt hat.


ulassen Basis bieten und entstehen lassen Beo<br />

under construction -<br />

art as a<br />

learning<br />

environment<br />

NANA EGER<br />

Das Potenzial und – für Bildungseinrichtungen – insbesondere das Lernpotenzial,<br />

welches in der Begegnung mit den Künsten und im aktiven<br />

künstlerischen Gestalten für Kinder und Jugendliche liegen kann, wird<br />

derzeit vielerorts diskutiert. Ob als Unterrichtsfach oder als Projektwoche,<br />

in AGs, der offenen Ganztagsschule oder als Medium zur Unterstützung<br />

anderer Lerninhalte: Künstlerische Angebote und KünstlerInnen als Unterrichtende<br />

haben, dank vielfältiger Initiativen, Hochkonjunktur.<br />

Die Gründe liegen auf der Hand: Im künstlerischen Gestalten und Erfahren,<br />

z.B. einer Tanzimprovisation oder eines Theaterstückes, können Schüler-<br />

Innen eigene Erfahrungen machen, individuelle Kompetenzen und Lernstrategien<br />

entwickeln sowie ihre ganz persönliche Bedeutung (nicht nur)<br />

von künstlerischen Prozessen und Kunstwerken konstruieren. „Es gehört<br />

zum Wesen der Kunst, etwas zu konstruieren, was eine Veränderung,<br />

Verschiebung, Verfremdung usw. gegenüber herkömmlichen Sichtweisen<br />

und Deutungen bedeuten kann. Kunst in ihren vielfältigen Formen und ihrer<br />

Unabgeschlossenheit benötigt das Konstruktive als Kern ihrer Variation.“ 1<br />

Gut ausgebautes<br />

Straßennetz:<br />

Lernen muss sehr<br />

unterschiedliche Wege<br />

gehen, sehr unterschiedliche<br />

Zugänge erschließen und<br />

verschiedene Ergebnisse<br />

produzieren, um<br />

erfolgreich zu sein.<br />

9


achten statt Bewerten Bewertung abschaffen<br />

art as a learning environment<br />

Die Kuenste<br />

Tanztheater<br />

Bildhauerei<br />

Grafik<br />

Malerei<br />

Medienkunst<br />

Architektur<br />

Tanz<br />

Filmkunst<br />

Theater<br />

Improvisationstheater<br />

Musik<br />

Musiktheater<br />

bildende Kunst<br />

Literatur<br />

als<br />

vielfaeltige<br />

Inspirierende/r<br />

Irritierende/s<br />

lernende/r<br />

sich aendernde<br />

Fragende/r<br />

zu erforschende/s<br />

herausfordernde/s<br />

explorierende/r<br />

sinnlich erfassbare/r<br />

gestaltete/r<br />

zu gestaltende/r<br />

Wahrnehmenbare<br />

Innovative/r<br />

Informiernde/s<br />

erfahrbare/s<br />

Lebenswelt<br />

Lernlabor<br />

Lernraum<br />

Lernumgebung<br />

Realsituation<br />

Arbeitswelt<br />

Lernmoeglichkeit<br />

Lernanlass<br />

Umwelt<br />

Zwischenraum<br />

10<br />

Spielanleitung<br />

Kunst ist mehr als eine<br />

Lernumgebung<br />

• Nehmen Sie ein Wort aus jeder<br />

Spalte, welches Sie besonders<br />

anspricht.<br />

• Verbinden Sie diese und probieren<br />

Sie verschiedene Kombinationen.<br />

(Beispiele s. links)<br />

• Bei Bedarf Begriffe ergänzen!<br />

• So entsteht ihre ganz persönliche<br />

Bedeutung von „art as a<br />

learning environment“.


Bewertungsfreier Raum Beziehung gestalten<br />

Unterstützt werden solche Projekte und Programme nicht mehr nur von<br />

Künstlern und Pädagogen. Inzwischen engagieren sich auch Bildungspolitiker<br />

im Verbund mit Kulturpolitikern für die Idee, dass die Künste einen<br />

bedeutenden Beitrag zur Bildung von Kindern und Jugendlichen leisten<br />

können, und unterstützen entsprechende Projekte. 2<br />

Die Formen dieser aktiven Auseinandersetzung mit den Künsten gestalten<br />

sich – abhängig von den Rahmenbedingungen, Inhalten und Zielen<br />

– so unterschiedlich wie ihre Kontexte selbst. Die derzeitige Praxis und<br />

deren Evaluationen zeigen allerdings auch, dass sich die Beschäftigung<br />

mit den Künsten nicht per se positiv auf Kinder und Jugendliche auswirkt,<br />

sondern wie viel Kompetenz und gute Zusammenarbeit aller Beteiligten<br />

auf den unterschiedlichen Ebenen zur Durchführung und insbesondere für<br />

das Gelingen und die Qualität solcher Kooperationen nötig sind. 3<br />

under construction<br />

Mit ihrer Seminarreihe „einszueins“ 4 engagiert sich die <strong>Montag</strong> Stiftung<br />

Jugend und Gesellschaft bereits seit vielen Jahren für eine stärkere<br />

Einbindung der Künste in die Aus- und Weiterbildung von (Lehramts-)<br />

Studierenden und Pädagogen. Aus diesen wissenschaftlichen und praktischen<br />

Erkenntnissen heraus entstand das Vorhaben, ein Symposium zu<br />

veranstalten, das die mannigfaltigen Potenziale von „art as a learning<br />

environment“ repräsentiert. Das Ziel: durch vielfältige Blicke auf Kunstund<br />

Lernstrategien die Komplexität der künstlerischen Bildung in ihrer<br />

Faszination und ihren – auch problematischen – Zusammenhängen deutlich<br />

zu machen. Dabei interessierte uns besonders,<br />

• wie künstlerische Freiräume in/an/mit Bildungseinrichtungen geschaffen<br />

und gestaltet werden können, die Denk- und Erfahrungsräume eröffnen,<br />

• wie in diesen Räumen gelungene Kunst-Lern-Strategien aussehen können,<br />

• wie künstlerische Lernprozesse andere Fachgebiete beeinflussen können,<br />

Lernen in Zusammenhängen<br />

Interpretation, Assoziation, Abstraktion, Gestaltung, Komposition, Wahrnehmen,<br />

Entscheiden, Auswählen – Kunst eignet sich besonders, Lern-Zusammenhänge herzustellen<br />

und dabei Lernende und Lehrende, Disziplinen, Fächer und Methoden zu verbinden.<br />

Scheitern!<br />

Keith Johnstone, Begründer<br />

des Improvisationstheaters,<br />

betrachtet Lernen als<br />

Experiment. Er ermutigt<br />

seine Improvisierer mit der<br />

Aussage, dass nichts wirklich<br />

interessanter für ein Publikum<br />

sein kann, als wenn die<br />

Chancen zum Scheitern 50:50<br />

stehen. Diese relativ große<br />

Möglichkeit des Scheiterns<br />

kann einen Perspektivwechsel<br />

ermöglichen: Unsicherheiten<br />

und Unvorhergesehenes nicht<br />

als Bedrohung oder Nicht-Vermögen<br />

zu betrachten, sondern<br />

als normalen Bestandteil von<br />

Lernen.<br />

Eigene Sprache<br />

Damit die Künste und Bildungseinrichtungen überhaupt zusammenkommen<br />

können, braucht es neben den gemeinsamen Erfahrungen<br />

auch eine gemeinsame Verständigungsmöglichkeit, d.h., es muss<br />

vielleicht erst ein spezifisches Vokabular geschaffen werden, um<br />

diese Prozesse und Erfahrungen angemessen kommunizieren und<br />

auch evaluieren zu können.<br />

Lernen mit Begeisterung!<br />

Auch die Neurobiologie unterstreicht,<br />

dass Lernen umso besser gelingt,<br />

je stärker es mit positiven Gefühlen<br />

besetzt ist und in einer anregenden<br />

Lernumgebung stattfindet: Kinder und<br />

Jugendliche brauchen möglichst viele<br />

und möglichst unterschiedliche Angebote<br />

und Herausforderungen, in denen sie<br />

individuell und eigenverantwortlich gestalten<br />

können, um eigene „First hand“-<br />

Erfahrungen machen zu können – und<br />

dazu eignet sich natürlich besonders<br />

die Beschäftigung mit den Künsten.<br />

11


er die das Gestalten Eigene Ideen Entwickeln Ei<br />

Abrissbirne<br />

„Kunst durchbricht Barrieren, die<br />

die Menschen voneinander trennen<br />

und die im gewöhnlichen Zusammenleben<br />

undurchdringlich sind.“<br />

(John Dewey)<br />

Versuch und Irrtum<br />

Es finden im Forschen und Lernen so<br />

viele Prozesse auf ganz verschiedenen<br />

Ebenen statt, dass es „die Methode“,<br />

gerade im künstlerischen Bereich, nicht<br />

geben kann - aber vielleicht eine<br />

eigene (künstlerische) Methode?<br />

Denken mit dem Knie?<br />

Dass das Knie nicht zum Denken da ist, muss man Kindern und Jugendlichen<br />

nicht erklären. Dass es Spaß macht, inspiriert und neue Wahrnehmungsräume<br />

öffnet, wenn man auch mal scheinbar absurde, experimentelle Ideen<br />

in das Lernen und Lehren mit einfließen lässt, auch nicht.<br />

Virus Kunst<br />

Kunst ist „eine ansteckende<br />

Tätigkeit, je ansteckender,<br />

desto besser.“<br />

(Leo N. Tolstoi, russischer<br />

Schriftsteller (1828-1910)<br />

Hierarchie?<br />

Education in the arts? Arts in education?<br />

Arts and education? Arts or education?<br />

Welche Form der künstlerischen Bildung<br />

ist für die Situation passend, gewünscht,<br />

machbar? Unter welchen Bedingungen?<br />

„Will eine Institution ihre gewohnten Abläufe<br />

beibehalten (Stundenplan, 45-Minuten-/<br />

Stundeneinheit etc.), kann das Projekt nicht<br />

stattfinden.“ (Royston Maldoom)<br />

Wie können Kooperationen von Künstlern bzw.<br />

außerschulischen kulturellen Einrichtungen<br />

und Bildungseinrichtungen<br />

auf Augenhöhe aussehen?<br />

• welche Erfahrungen und welches Handwerkszeug KünstlerInnen und<br />

LehrerInnen dazu benötigen und schließlich<br />

• wie Theorie und Praxis dieser künstlerischen Bildung voneinander<br />

profitieren und verknüpft werden können.<br />

Mit den Begriffen Information, Inspiration und Irritation sowie Innovation<br />

sind wir auf die Suche gegangen und haben einige Bausteine für<br />

erfolgreiches und lustvolles Lernen im künstlerischen Kontext zusammengetragen,<br />

um das Nebeneinander der Möglichkeiten, die Schnittstellen und<br />

Verbindungen sowie Zwischenräume in „art as a learning environment“<br />

sichtbar zu machen. Es war uns wichtig, dies durch ganz unterschiedliche<br />

Formen der Aktivität anzuregen und erfahrbar zu machen: durch<br />

theoretische Beiträge von ExpertInnen aus unterschiedlichen Disziplinen<br />

ebenso wie durch praktische Erfahrungen in den Workshops der KünstlerInnen.<br />

Darüber hinaus wollten wir den Teilnehmenden ein Forum/<br />

Freiräume/Zwischenräume zum Austausch untereinander und mit den<br />

Experten ermöglichen.<br />

Schließlich diskutierten, hörten, trommelten, spielten in der Villa Prieger<br />

in Bonn über 70 KünstlerInnen, KunstpädagogInnen, LehrerInnen,<br />

EntscheidungsträgerInnen, Organisatoren der künstlerischen Bildung<br />

und „fachfremde“ Interessierte. So entwickelte sich ein gemeinsamer,<br />

von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten inspirierter Forschungsprozess.<br />

Die verschiedenen Ansätze, Inhalte und Ergebnisse haben wir in der<br />

vorliegenden <strong>Dokumentation</strong> zusammengestellt. Dabei ist uns eine Erkenntnis<br />

ganz wichtig: Kunst ist als Lehr- und Lernumgebung vielseitig,<br />

bereichernd und – immer in Bewegung. Jeder kann diese Umgebung<br />

selbst gestalten, sich inspirieren lassen, neue Wege finden, Bekanntes<br />

neu interpretieren. Deshalb verstehen wir unsere <strong>Dokumentation</strong> auch<br />

12


genen Ideen Eigenverantwortung Emotionales<br />

als Aufforderung und Anleitung, sich – wie die Teilnehmenden des Symposiums<br />

– auf diese Umgebung einzulassen und zu entdecken, wie ein<br />

immer neuer Rahmen neue Bilder und Bedeutungen von Welt hervorbringen<br />

kann und Lernen, z.B. durch eigene praktische Erfahrungen, ein<br />

stetiges Lernen „under construction“ ist.<br />

Perspektivwechsel<br />

Wie verändern sich die eigenen Perspektiven durch Erfahrungen in/mit den Künsten?<br />

Welche Konzepte, Ideen und Ziele im Bereich der künstlerischen Bildung entstehen,<br />

wenn Erfahrungen eines künstlerischen Schaffensprozesses bei allen Beteiligten, von<br />

SchülerInnen, LehrerInnen, SchulleiterInnen bis hin zur organisatorischen Ebene<br />

vorhanden sind? Wie verändert sich dadurch der Blick auf Lernen und die Künste?<br />

1<br />

Kersten Reich (2003): Muss ein Kunstdidaktiker Künstler sein? Konstruktivistische<br />

Überlegungen zur Kundstdidaktik. In: Buschkühle, C.-P. (Hg.): Perspektiven künstlerischer<br />

Bildung. Köln. Salon Verlag.<br />

2<br />

Vgl. Projekte wie z.B. „Jedem Kind ein Instrument“, „Kultur und Schule“,<br />

die vom Land NRW unterstützt werden.<br />

3<br />

Vgl. dazu insbesondere die internationalen Studien über die Wirkung von<br />

„Arts education” von Anne Bamford, „The wow factor”, 2006.<br />

4<br />

www.montag-stiftungen.com/einszueins/<br />

Was machen die andern?<br />

Internationaler Austausch ist immer eine<br />

anregende Inspirationsquelle für die Weiterentwicklung<br />

der künstlerischen Bildung. In Finnland<br />

gibt es ein Gesetz, welches das Recht auf<br />

künstlerische Grundbildung garantiert. Dies wird<br />

in künstlerischen Angeboten sichtbar, zu denen<br />

tatsächlich alle finnischen Kinder und Jugendlichen<br />

einen Zugang haben. In den Niederlanden<br />

erhalten Jugendliche mit 15/16 einen „Kulturrucksack“<br />

in Form eines 50-Euro-Gutscheins,<br />

den sie in kulturelle Veranstaltungen investieren.<br />

Die gemachten Erfahrungen beschreiben sie<br />

dann in einem Bericht für die Schule. In England<br />

gibt es das Bestreben, künstlerische Fächer<br />

verstärkt in Schulen zu etablieren. Ziel ist es,<br />

pro Woche fünf Stunden qualitativ hochwertigen<br />

Kunstunterricht anzubieten.<br />

13<br />

Die Antwort ist die Frage<br />

„Jedes Mal, wenn du alle<br />

Antworten gefunden hast,<br />

wechseln alle Fragen.“<br />

(Frei nach Oliver Otis Howard,<br />

Gründer der Howard<br />

University (1830-1909)<br />

Lernen im<br />

Zwischenraum<br />

Lernen und (Nach-)<br />

Forschen in diesem Sinne<br />

ist keine Anhäufung von<br />

Informationen,<br />

sondern möglicherweise<br />

ein besonderer<br />

Zwischenraum<br />

„under construction“<br />

– im Bau befindlich,<br />

konstruktiv, gestaltend.


Bausteine künstlerischer Bildung<br />

15


ewusstsein Ergebnis offener Prozesse Erlebe<br />

Künstlerisches Lernen:<br />

Warum und wie?<br />

Prof. DR. Anne Bamford<br />

In der Kunst schwingen stets die Grundprinzipien der Natur, unserer<br />

Erde, des Universums und der Menschheit mit. Kunst ist Ausdruck unserer<br />

menschlichen Identität, und sie erfüllt uns mit einem Gefühl von<br />

Gemeinschaft und Austausch. Mithilfe der Kunst vermessen wir die nonverbalen<br />

Bereiche unseres Denkens und entwickeln Wege zum Lernen<br />

in einer stark fragmentarisierten Welt, die voller vielschichtiger Symbole<br />

und Bedeutungen ist. Kunst ist wichtig – für das Kind, die Schule und die<br />

Gesellschaft.<br />

In der Kunst artikulieren sich menschliche Belange. Kunst macht die<br />

Dinge zum Thema, die uns am stärksten berühren. Wenn wir uns mit<br />

Kunst beschäftigen, lernen wir etwas über unseren Platz in der Welt.<br />

Kunst gehört zu einem wahrhaft erfüllten Leben, weil sie sich den großen<br />

menschlichen Fragen widmet – Leben, Liebe, Tod, Erinnerungen, Leiden,<br />

Macht, Verlust und Sehnsucht. Wenn Kunst menschliche Grundwerte zum<br />

Ausdruck bringt, spricht sie in der Sprache der Gefühle – über kulturelle<br />

und historische Grenzen hinweg. Sie meint alle Menschen und fördert<br />

unser gegenseitiges Verständnis.<br />

Kunst gibt dem Menschen nicht nur ein Gefühl der Verbundenheit und<br />

Zusammengehörigkeit mit anderen und unserer Umwelt, sie trägt auch<br />

16


n von Räumen Erlebnisse schaffen Ermutigung<br />

unmittelbar zur intellektuellen Entwicklung bei. Durch Kunst lernen wir<br />

räumliche Wahrnehmung, kognitive Klassifizierung – die Fähigkeit, Materialien<br />

aus vielfältigen Quellen in bedeutsame Kategorien einzuordnen<br />

–, Metapher und Analogie, Veränderbarkeit und Anpassung. In der Vergangenheit<br />

spielte die Kunst eine wichtige Rolle als vitales Kommunikationsmittel<br />

– und das wird auch in Zukunft so sein. Es gibt zahlreiche<br />

Kommunikationsformen – sprachliche, visuelle, auditive, gestische und<br />

räumliche – und die moderne Kommunikation<br />

ist raffinierter geworden.<br />

Kinder müssen sich heute der<br />

versteckten Bedeutungen und der<br />

Überzeugungskraft, die Kunst als<br />

Kommunikationsform haben kann,<br />

bewusst werden. Kinder, die nicht gelernt haben, Kunst kritisch zu beurteilen,<br />

verkennen die Bedeutungen und Anspielungen, die unterhalb der<br />

Oberfläche liegen.<br />

Die Tragödie unserer Schule, wie wir sie heute kennen, liegt darin, dass<br />

sie diese Form des Lernens weitestgehend ausblendet. Wir erwarten<br />

von unseren Schulen, dass sie unseren Kindern Fähigkeiten wie Lesen,<br />

Schreiben oder Rechnen beibringen, weil wir dies als wesentliche Grundlagen<br />

für ihr späteres Berufs- und Erwachsenenleben betrachten. Der<br />

ästhetischen und kulturellen Bildung schenken die Schulen indes wenig<br />

Aufmerksamkeit. Aber Kunst war schon immer eine wichtige Form der<br />

Kommunikation, und wir stehen heute vor einem Zeitalter, das von der<br />

Kunst als multidimensionaler Kommunikation beherrscht sein wird. In<br />

den Lehrplänen unserer Schulen spielt die Kunst jedoch noch immer eine<br />

untergeordnete Rolle.<br />

Wie können wir es schaffen, dass die Kunst an den Schulen einen<br />

größeren Stellenwert erhält? Und was meinen wir überhaupt, wenn wir<br />

Wenn Kunst menschliche Grundwerte zum Ausdruck<br />

bringt, spricht sie in der Sprache der Gefühle –<br />

über kulturelle und historische Grenzen hinweg.<br />

von Kunst sprechen? Meiner Ansicht nach gibt es mindestens vier mögliche<br />

Arten, wie Kunst Eingang in die Schulen finden kann. Die erste ist<br />

vielleicht die offensichtlichste, ich nenne sie Bildung in den Künsten. Hierunter<br />

verstehe ich das systematische, fortgesetzte Erlernen von Kenntnissen<br />

und Fähigkeiten in den Bereichen Musik, bildende Kunst, Theater,<br />

Tanz, Medien, Kunsthandwerk und verschiedenen Hybrid- und neuen<br />

Kunstformen. Die zweite Art, wie Kunst Eingang in die Schulen finden<br />

kann, ist Bildung durch die Künste.<br />

Beispiele hierfür sind etwa visuelles<br />

Lernen, Erlernen einer zweiten Sprache<br />

durch Theater, die Verwendung<br />

neuer Technologien, Ton und Bild bei<br />

der Präsentation eines Geschichtsreferats<br />

oder das Ertanzen von mathematischen Raumkonzepten. Bildung<br />

durch Kunst wird häufig als kreativ, spielerisch oder kindgerecht<br />

bezeichnet. Das dritte Konzept ist, dass Bildung selbst eine Kunstform<br />

sein kann (d.h. Bildung als Kunst), wenn sie sich an kreativen, innovativen<br />

Pädagogikformen orientiert, die sich einem kulturellen, ästhetischen<br />

Verständnis von Bildung verpflichtet fühlen. Das letzte Modell wäre<br />

dann Kunst als Bildung. In anderen Worten: Kunst und Kultur werden<br />

zu einem Medium oder einer Umgebung, durch die Kinder lernen. So<br />

können wir zum Beispiel durch Bilder und Musik viel mehr über uns oder<br />

andere lernen als durch einen Vortrag oder ein Buch.<br />

Die zunehmende Bedeutung der Technologie führt heute zu einem neuen<br />

Interesse an Kunst. Benutzerfreundlichkeit und Innovation werden<br />

inzwischen als Synonyme für Ästhetik verwendet. In unserer heutigen<br />

Wirtschaftswelt sind Innovation und neue Produkte für Unternehmen<br />

überlebenswichtig. Innovation heißt, dass Gedanken und Ideen frei fließen<br />

können, und dies bedeutet wiederum, dass die Menschen kreativ und<br />

17


mutigung Ermutigung zur Selbstentdeckung<br />

gebildet sein müssen. Die Wirtschaftswelt hat die Welt der Künste längst<br />

zu ihrem Partner gemacht.<br />

Wie aber lernt ein Kind, kreativ oder innovativ zu sein? Platon war der Ansicht,<br />

dass Kreativität durch das Erleben von Kunst gefördert wird. Würde<br />

man Kinder also einem Kunstkanon aussetzen, würde die Kreativität der<br />

Meister auf sie „abfärben”. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass Platon<br />

zumindest teilweise recht hat. Eine detaillierte Untersuchung zum Besuch<br />

kultureller Veranstaltungen und zu „Taking Part” 2009 in Großbritannien<br />

kam zu dem Ergebnis, dass<br />

Aristoteles war der<br />

Meinung, dass der Künstler<br />

durch den Herstellungsprozess<br />

selbst kreativ wird.<br />

18<br />

gebildete Eltern, die als Kinder<br />

zu kulturellen Veranstaltungen<br />

mitgenommen wurden, mit<br />

höchster Wahrscheinlichkeit<br />

auch ihre Kinder zu kulturellen<br />

Ereignissen mitnehmen und<br />

für ihre Kinder höhere Bildungsziele verfolgen. Dies wird von einigen als<br />

das „kulturelle Kapital” eines Kindes bezeichnet. Der Indikator, mit dem<br />

sich der Schulerfolg eines Kindes am zuverlässigsten vorhersagen lässt,<br />

ist die Höhe seines kulturellen Kapitals.<br />

Aristoteles war hingegen der Meinung, dass der Künstler durch den Herstellungsprozess<br />

selbst kreativ wird. Es hat sich gezeigt, dass auch diese<br />

Vorstellung richtig ist. Kreativität ist ein Prozess, und ein Prozess wird weitestgehend<br />

durch Nachahmung und Partizipation erlernt. Die Kinder, die<br />

„künstlerisch reiche” Schulen besuchen – Schulen, wo zahlreiche künstlerische<br />

und kulturelle Aktivitäten ausgeübt werden – sind den Kindern, die<br />

weniger kunstinteressierte Schulen besuchen, auf allen Bildungsebenen<br />

überlegen, und die Wirkung der künstlerischen Betätigung setzt sich auch<br />

noch Jahre nach dem Schulbesuch im Erwachsenenleben fort.<br />

Welche Schlussfolgerungen sollten wir daraus für die Zukunft unseres<br />

Platon war der Ansicht, dass<br />

Kreativität durch das Erleben von<br />

Kunst gefördert wird. Würde man<br />

Kinder also einem Kunstkanon<br />

aussetzen, würde die Kreativität<br />

der Meister auf sie „abfärben”.<br />

Bildungswesens ziehen? Unsere Schulen müssen zu Orten werden, wo<br />

unsere Kinder angeregt werden, von der Zukunft zu träumen. Die jungen<br />

Menschen von heute sind die Schöpfer der kulturellen Muster und Sozialphilosophien<br />

von morgen. Schüler müssen deshalb einen nachhaltigen,<br />

regelmäßigen Kunst- und Kulturunterricht erhalten und in einer von Kunst<br />

und Kultur geprägten Umgebung lernen. Wir brauchen flexiblere Lehrpläne,<br />

die außerdem mehr in die Tiefe gehen. Schulen sollten die engen Grenzen<br />

ihrer Klassenräume verlassen und mit künstlerischen und kulturellen Institutionen<br />

zusammenarbeiten.<br />

Die Stundenpläne<br />

müssen flexibler<br />

sein, damit die Schüler<br />

Zeit haben, sich in ihre<br />

Aufgabenfelder zu vertiefen.<br />

Schüler müssen<br />

sich Fähigkeiten und<br />

Kenntnisse im Rahmen<br />

einer selbstständigen aktiven Kunstausübung aneignen.<br />

Aber nicht nur diese vorzeigbaren Fähigkeiten sind für Schüler wichtig.<br />

Kunst und Kultur sollten im gesamten Unterricht eine große Rolle spielen.<br />

Es hat sich gezeigt, dass Kunst in den Schulen auch dazu beitragen konnte,<br />

das inhärente Bildungsungleichgewicht auszugleichen. Je wohlhabender<br />

eine Familie ist, desto mehr beschäftigt sie sich tendenziell mit Kunst.<br />

Die Einführung von Kunst und Kultur in sozioökonomisch schwächeren<br />

Schulen zeigte umgehend positive Wirkungen. Kunst und Kultur konnten<br />

die Unterschiede zwischen den sozioökonomischen Gruppen gewissermaßen<br />

ausgleichen.<br />

Abschließend möchte ich noch einmal betonen, welche unschätzbare Bedeutung<br />

die Kunst für unser Leben hat. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie


(er)staunen Experimentierfreude Experimenti<br />

würden in einer Welt leben, in der es keine Kunst gibt. In den furchtbarsten<br />

Diktaturen sind die grausamsten Strafen nicht körperlicher, sondern<br />

geistiger Natur. Die Menschen werden ihrer Träume, ihrer Fantasie, ihrer<br />

Kultur, Geschichte, ihrer Rituale und ihrer schönsten Gegenstände beraubt.<br />

Dieses Jahr ist das europäische Jahr der Kreativität und Innovation.<br />

Vielleicht bietet das den notwendigen Anreiz, damit unsere Bildungssysteme<br />

die Rolle von Kunst und Kultur in den Lehrplänen überprüfen<br />

und sicherstellen, dass Kunst und Kultur im Mittelpunkt ihres Bildungsangebots<br />

stehen. Wir brauchen nicht noch mehr „Lippenbekenntnisse”,<br />

die uns den Wert der Kunst bestätigen. Der versteht sich von selbst. Was<br />

wir brauchen, sind hochwertige kulturelle und künstlerische Angebote, zu<br />

denen alle Kinder Zugang haben.<br />

19


freudigkeit Externe Profis Feedback Feedback<br />

Auf die<br />

Atmosphäre<br />

kommt es an<br />

Prof. Dr. Gerald Hüther<br />

Erkenntnisse und Konsequenzen für das Gelingen<br />

von Bildungsprozessen aus der Hirnforschung<br />

Die Zukunft unseres Landes wird von den Kindern gestaltet, die heute<br />

heranwachsen. Wollen wir keine Bruchlandung erleiden, müssen wir sie<br />

auf die Herausforderungen vorbereiten, die auf sie zukommen und denen<br />

wir schon jetzt gegenüberstehen. Wir müssen ihnen das nötige Rüstzeug<br />

zur Bewältigung dieser Aufgaben mit auf den Weg geben. Und das<br />

Wichtigste, was ihnen helfen wird, diesen Herausforderungen gewachsen<br />

zu sein, ist nicht mehr allein ihr Wissen – das kann künftig jederzeit verfügbar<br />

gemacht und abgerufen werden –, sondern vielmehr ihre Bildung,<br />

also die Fähigkeit, sich das vorhandene Wissen nutzbar zu machen, es<br />

zu beurteilen, zu verstehen, anzuwenden und dadurch wieder neues Wissen<br />

hervorzubringen. Und diese Bildung beginnt nicht erst in der Schule,<br />

sondern bereits im Kindergarten, in Kinderkrippen und den jeweiligen<br />

Herkunftsfamilien.<br />

In der alten Industriegesellschaft des vorigen Jahrhunderts sollten die<br />

Menschen das in der Schule erworbene Wissen ein ganzes Leben lang<br />

anwenden. Deshalb brauchten sie gut eingeprägtes Sachwissen und<br />

solide Kenntnisse, auf die sie zeitlebens zurückgreifen konnten. In der<br />

Wissens- und Ideengesellschaft des 21. Jahrhunderts hat sich dieser<br />

20


kultur Fehler machen Flexibel werden Flexib<br />

Wissenspool enorm erweitert. Jetzt kommt es immer stärker darauf an,<br />

neue Herausforderungen annehmen und unbekannte Probleme lösen<br />

zu können. Die Schule wird ihre Schüler daher künftig nicht nur auf die<br />

Durchführung von Routinen, sondern in erster Linie auf die Bewältigung<br />

von Vielheit und Offenheit vorbereiten müssen.<br />

Damit ändert sich aber schlagartig auch die traditionelle Vorstellung von<br />

Bildung und Erziehung. Überall dort, wo Bildung stattfindet, geht es nun<br />

viel stärker um die Aneignung sogenannter Metakompetenzen, um die<br />

Entwicklung von Haltungen und Einstellungen, um<br />

die Bereitschaft, sich auf neue Herausforderungen<br />

einzulassen, um die Lust am Entdecken und Gestalten,<br />

um Engagement, Teamfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft.<br />

„Die Zeit ruft nach Persönlichkeiten,<br />

aber sie wird so lange vergeblich rufen, bis wir<br />

die Kinder als Persönlichkeiten leben und lernen lassen, ihnen gestatten,<br />

einen eigenen Willen zu haben, ihre eigenen Gedanken zu denken, sich<br />

eigene Kenntnisse zu erarbeiten, sich eigene Urteile zu bilden; bis wir,<br />

mit einem Wort, aufhören, in den Schulen die Rohstoffe der Persönlichkeit<br />

zu ersticken, denen<br />

Kinder, und zwar alle Kinder,<br />

kommen mit einer unglaublichen<br />

Lust am eigenen Entdecken und<br />

Gestalten zur Welt.<br />

wir dann vergebens<br />

im Leben zu begegnen<br />

hoffen.“ (Ellen Key,<br />

schwedische Reformpädagogin,<br />

1900)<br />

Und genau hier, bei der<br />

Suche nach Lösungen, wie sich diese Forderungen in unserem gegenwärtigen<br />

Bildungssystem umsetzen lassen, bekommen diese Bemühungen<br />

plötzlich Schützenhilfe und eine enorme Bestätigung ihres Ansatzes von<br />

einer Disziplin, der man das eigentlich kaum zugetraut hätte: der Neurobiologie.<br />

Die Hirnforscher haben in den letzten zehn Jahren eine Vielzahl<br />

von Erkenntnissen darüber zutage gefördert, wie das Lernen funktioniert,<br />

unter welchen Voraussetzungen Bildungsprozesse gelingen können und<br />

unter welchen sie scheitern, unter welchen Bedingungen Kinder ihre Lust<br />

am Lernen, am Entdecken und am Gestalten entfalten können und unter<br />

welchen sie ihnen vergeht.<br />

Die Grunderkenntnis der modernen Neurobiologie heißt: Kinder, und zwar<br />

alle Kinder, kommen mit einer unglaublichen Lust am eigenen Entdecken<br />

Was wir brauchen sind Programme, die verhindern, was viel zu häufig<br />

heute noch immer passiert, nämlich dass Kinder irgendwann die Lust<br />

am Lernen verlieren.<br />

und Gestalten zur Welt. Nie wieder ist ein Mensch so neugierig und so<br />

entdeckerfreudig und so gestaltungslustig und so begeistert darauf, das<br />

Leben kennenzulernen, wie am Anfang seines Lebens. Diese Begeisterungsfähigkeit,<br />

diese enorme Lernlust und diese unglaubliche Offenheit<br />

der Kinder sind der eigentliche Schatz der frühen Kindheit. Und diesen<br />

Schatz müssen wir besser als bisher bewahren und hegen. Es geht also<br />

weniger darum, mithilfe von Förderprogrammen Kindern immer schneller<br />

immer mehr Wissen beizubringen. Was wir brauchen sind Programme,<br />

die verhindern, was viel zu häufig heute noch immer passiert, nämlich<br />

dass Kinder irgendwann die Lust am Lernen verlieren.<br />

Die Frage, unter welchen Bedingungen Kinder ihre intrinsische Lust am Lernen<br />

und Gestalten weiter entwickeln und zu starken, verantwortungsbewussten<br />

und teamfähigen Persönlichkeiten heranreifen können, lässt sich<br />

inzwischen aus neurowissenschaftlicher Sicht recht gut beantworten. Interessanterweise<br />

bestätigen die Hirnforscher mit ihren neuen Erkenntnissen<br />

21


ität Flow Frei von Sozialisation Freiheit zu for<br />

22<br />

Kinder brauchen auch Vorbilder, denen<br />

sie nacheifern und Ziele, für deren<br />

Erreichen es sich anzustrengen lohnt.<br />

vieles von dem, was von vielen Erziehern<br />

und Pädagogen seit jeher eingefordert und<br />

in erfolgreichen innovativen Bildungseinrichtungen<br />

längst umgesetzt worden ist:<br />

Anstelle der bisherigen extrinsischen Verfahren<br />

zur Verbesserung der Lernleistungen müssen Bedingungen, also<br />

Erfahrungs- und Gestaltungsräume, geschaffen werden, die die intrinsische<br />

Motivation der Kinder zum Lernen und Gestalten, zum Mitdenken<br />

und Mitgestalten wecken und stärken.<br />

Allerorten wird eine Erhöhung der Qualität von Bildungsmaßnahmen gefordert<br />

und angestrebt. Die konkrete Gestaltung von Bildungsangeboten,<br />

die Art der Wissensvermittlung, die Didaktik und Methodik des Unterrichtens<br />

kann auf eine Vielzahl von sehr gut validierten und bewährten<br />

Verfahren zurückgreifen. Viele dieser Verfahren sind auch aus neurobiologischer<br />

Perspektive sinnvoll und begründbar.<br />

Doch bevor man an Einzelmaßnahmen geht, um die Qualität von Bildungsangeboten<br />

zu erhöhen, sind folgende „hirngerechte“ Voraussetzungen<br />

für gelingende Bildung grundsätzlich voranzustellen:<br />

„Hirngerecht“ sind Bildungsangebote für Kinder (wie auch für Jugendliche<br />

und Erwachsene) immer dann,<br />

1) wenn sie „Sinn machen“, d. h. bedeutsam und wichtig für das betreffende<br />

Kind sind, sei es auch nur, dass sich jemand über das, was das Kind<br />

gelernt hat, aufrichtig freut.<br />

2) wenn sie als eigene Erfahrung am ganzen Körper, mit allen Sinnen und<br />

unter emotionaler Beteiligung erfahren werden, wenn sie also „unter die<br />

Haut“ gehen.<br />

3) wenn die so gewonnenen Einsichten, Erfahrungen, Kenntnisse und<br />

Fähigkeiten sich im praktischen Lebensvollzug als nützlich und<br />

vorteilhaft, d.h. praktisch anwendbar erweisen, auch und gerade außerhalb<br />

von Kindergarten und Schule.<br />

Aber selbst dann, wenn diese Voraussetzungen<br />

erfüllt sind, wenn das neue Wissen<br />

und Können also bedeutsam, anknüpfbar,<br />

ganzheitlich und emotional erfahrbar und als<br />

praktisch nutzbar erkannt und erlebt werden kann, wird die Frage der<br />

Qualität, der Didaktik und Methodik der Wissensvermittlung erst dann<br />

interessant, wenn die Kinder auch offen für diese Bildungsangebote sind.<br />

Kinder brauchen also nicht nur Aufgaben, an denen sie wachsen können,<br />

und Herausforderungen, die sie zu bewältigen lernen, sie brauchen auch<br />

Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, sich diesen Aufgaben zu<br />

stellen und diese Herausforderungen anzunehmen.<br />

„Die Pflanzen wachsen nicht schneller, wenn man daran zieht“, lautet<br />

eine alte Gärtnerweisheit, die nun ebenfalls durch die Befunde der Entwicklungsneurobiologen<br />

bestätigt wird. Die kleinen Pflänzchen muss man<br />

gießen, gelegentlich düngen und auch einigermaßen von Unkraut freihalten,<br />

damit sie optimal gedeihen<br />

Die Pflanzen wachsen<br />

nicht schneller,<br />

wenn man daran zieht.<br />

können.<br />

Auf unsere Kinder bezogen heißt das,<br />

wir brauchen eine neue Kultur in unseren<br />

Bildungseinrichtungen, eine<br />

Kultur der Wertschätzung, der Anerkennung,<br />

der Ermutigung und der gemeinsamen Anstrengung. „Supportive<br />

leadership“ heißt dieses neue Modell in der Wirtschaft. Und überall dort,<br />

wo diese wertschätzende, unterstützende und gleichzeitig zu Höchstleistungen<br />

ermutigende und anspornende Beziehungskultur entwickelt wird,<br />

sprechen die Erfolge für sich.<br />

Der umgekehrte Weg eines überhöhten Leistungsdruckes, einer<br />

rein an vermeintlicher Effizienz ausgerichteten Betreuung und


schen Freiraum Geduld haben Geist Geschütz<br />

23


er Raum Gestalter sein Grenzen aufheben Gre<br />

Verwaltung der Kinder hat aus neurowissenschaftlicher Sicht fatale<br />

langfristige Konsequenzen: Die unter solchen Bedingungen<br />

erworbenen Erkenntnisse und Fertigkeiten werden mit den in<br />

der betroffenen Situation erlebten negativen Gefühlen von Angst,<br />

Verunsicherung, Abwertung und Ohnmacht verkoppelt. Diese Koppelungsphänomene<br />

haben zwangsläufig<br />

Aus der Stressforschung ist zur Folge, dass nicht nur die jeweilige<br />

Tätigkeit (also das Lernen<br />

hinreichend bekannt, was die<br />

und Üben), sondern auch der Ort<br />

Entstehung und Ausbreitung<br />

(also der Kindergarten oder die<br />

von Angst verhindert:<br />

Schule) und sogar die betreffende<br />

Person (die Erzieherin oder<br />

Vertrauen.<br />

der Lehrer) fortan „angstbesetzt“<br />

wahrgenommen und bewertet werden. Das freilich sind die schlechtesten<br />

Voraussetzungen für die weitere Entfaltung von Offenheit, Interesse und<br />

Kreativität in der betreffenden Bildungseinrichtung. Aus der Stressforschung<br />

ist hinreichend bekannt, was die Entstehung und Ausbreitung von<br />

Angst verhindert: Vertrauen.<br />

Damit Bildung aus neurowissenschaftlicher Sicht gelingen kann, müssten<br />

die Bildungseinrichtungen also zu Orten werden, und die ErzieherInnen<br />

und LehrerInnen Beziehungspersonen sein, die die Kinder gern aufsuchen,<br />

wo sie sich sicher und geborgen, unterstützt und wertgeschätzt und<br />

natürlich maximal gefordert und optimal gefördert fühlen. Entscheidend<br />

ist dabei – auch das ist eine wichtige neue Erkenntnis der Hirnforschung<br />

– immer die subjektive Bewertung. Das eigene Gefühl des Kindes, nicht<br />

die objektiv herrschenden Umstände oder die behördlich geregelten Verhältnisse<br />

sind ausschlaggebend dafür, ob ein Kind seine Potenziale entfalten<br />

kann oder ob es sie aus Angst unterdrücken muss.<br />

Aber allein dadurch, dass anstelle der bisher vorherrschenden Angst sich<br />

mehr Vertrauen in unseren Bildungseinrichtungen ausbreitet, gelingt noch<br />

immer keine Bildung. Kinder brauchen auch Vorbilder, denen sie nacheifern<br />

und Ziele, für deren Erreichen es sich anzustrengen lohnt. Und sie<br />

brauchen irgendwann auch Visionen davon, wie ihr Leben gelingen kann.<br />

24


nzen überwinden Grenzüberschreitungen Halt<br />

Lernstoff<br />

i<br />

Quelle Grafik: Prof. Dr. Gerald Hüther<br />

h<br />

Gefühl<br />

h<br />

Ein synchrones<br />

Erregungsmuster<br />

entsteht<br />

h<br />

Die Erinnerung an den<br />

Lerninhalt löst das<br />

dabei mitgelernte<br />

Gefühl wieder aus<br />

25


ng Handlungsräume Hin und wieder einen Meis<br />

Konstruktive<br />

Lernstrategien<br />

Prof. Dr. Kersten Reich im Gespräch mit Ulrike Meier<br />

Herr Professor Dr. Reich, Sie haben einen eigenen konstruktivistischen<br />

Ansatz entwickelt, den Interaktionistischen Konstruktivismus<br />

Worin unterscheidet sich dieser Ansatz von anderen konstruktivistischen<br />

Ansätzen?<br />

Konstruktivistische Ansätze sind schon sehr alt und haben ihre Vorläufer<br />

in der Philosophie, Kulturtheorie und Erziehungswissenschaft; vor allem<br />

auch in der pädagogischen Psychologie. Klassiker sind z.B. Piaget, Vygotsky<br />

oder Dewey. All diese Ansätze gehen davon aus, dass Menschen ihre<br />

Wirklichkeitsbilder, ihre Bilder von Realität und von Welt durch Lernen<br />

entwickeln und dabei mit hoher Subjektivität ihr eigenes Weltbild konstruieren.<br />

Im heutigen Konstruktivismus wird der Anteil der Subjektivität,<br />

Lernumgebung oder der Kultur in diesem Vorgang der Wirklichkeitskonstruktion<br />

unterschiedlich gedeutet. Der Ansatz, den ich vertrete, nennt sich<br />

Interaktionistischer Konstruktivismus und betont mit dem Stichwort Interaktion<br />

die Beziehungen der Menschen untereinander. Er ist damit deutlich<br />

stärker kulturell orientiert als die eher subjektiv orientierten Ansätze<br />

des Radikalen Konstruktivismus (www.konstruktivismus.uni-koeln.de).<br />

Was unterscheidet eine interaktionistische Didaktik und Methodik von<br />

anderen didaktischen Konzepten?<br />

Die konstruktivistische Didaktik versucht, für Lerner wie auch für Lehrende<br />

ein Modell zu entwickeln, in dem wesentliche Grundsätze der Lehr- und<br />

Lernforschung zusammengefasst und auf unterrichtliches Handeln bezogen<br />

werden. Diese konstruktiven und systemischen Methoden stellen<br />

26


ter kennenlernen Humor Improvisation Impuls<br />

wir online zur Verfügung (www.methodenpool.de). Eine solche Didaktik<br />

bezieht die Lerner von vornherein ein, sie geht partizipativ vor und will<br />

den Lernern nicht Konzepte von außen aufdrücken. Die Lerner selbst sind<br />

immer auch Experten ihres Lernens, aber sie müssen diese Expertise nach<br />

und nach erlernen. Dazu benötigen sie geeignete Methoden, die ihnen<br />

einen kompetenten Umgang mit Inhalten und Möglichkeiten der Anwendung<br />

und des Transfers erschließen. Im Zentrum der konstruktivistischen<br />

Didaktik stehen zudem die Beziehungen der Lerner untereinander wie<br />

auch die zu den Lehrenden. In der Lehr- und Lernpraxis wie auch in<br />

den entsprechenden empirischen Untersuchungen zeigt sich: Je sympathischer<br />

uns die Lernenden sind, mit denen wir zusammen arbeiten, oder<br />

die Lehrenden, die uns anleiten und helfen, umso effektiver kann unser<br />

Lernen stattfinden.<br />

Wie wird der Lernprozess zu einem besonders wirkungsvollen und<br />

nachhaltigen Geschehen?<br />

Wir wissen heute - und auch die Hirnforschung kommt zu ähnlichen Ergebnissen,<br />

dass emotionale Beziehungen, auch emotionale Einstellungen zu<br />

sich selbst, darüber entscheiden, inwieweit die gewählten Lernstrategien<br />

für den individuellen Lerner erfolgreich sein können. Zu einem erfolgreichen<br />

Lernen können insbesondere drei positiv wirkende Bereiche führen:<br />

1) Wir brauchen Strategien, die unsere Perspektiven erweitern und zu<br />

denen wir ein emotionales Problembewusstsein oder Situationsbewusstsein<br />

entwickeln können.<br />

2) Wir brauchen unterschiedliche Wege als unterschiedliche Lerner. Wir<br />

haben uns von Kindheit an bestimmte, erfolgreiche Strategien für unsere<br />

Wahrnehmungs- und Erinnerungsleistungen sowie für unsere Anwendungen<br />

angewöhnt, die wir später immer wieder emotional bevorzugen.<br />

Für ein kompetenzorientiertes Lernen ist aber entscheidend, möglichst<br />

unterschiedliche Zugänge und Wege des Lernens zu beschreiten, was in<br />

Deutschland insbesondere durch die Überbetonung des Frontalunterrichts<br />

unterlaufen wird.<br />

3) Die Produktivität der Lernstrategien wirkt immer wieder auf den Erfolg<br />

der Strategie selbst zurück. Das heißt, die Ergebnisse, die wir im Lernen<br />

erzielen, müssen wir für uns und andere dokumentieren können, um daraus<br />

den Ertrag der Strategien auch in einer Metaperspektive, sozusagen<br />

als Beobachter unserer eigenen Beobachtung über das Lernen, auszudrücken.<br />

Dadurch erreichen wir eine Art Metalernen, das heißt, wir können<br />

uns in unserem eigenen Lernen reflektieren. Zudem benötigen wir immer<br />

wieder Erfolgserlebnisse in unseren Lernergebnissen, um uns weiterhin<br />

zu motivieren, mit Anstrengung lernen zu wollen.<br />

Wir wissen ja mittlerweile, welche große Rolle Emotionen für das<br />

Ge- oder Misslingen von Lernprozessen spielen. In Ihrem Vortrag haben<br />

Sie außerdem den Begriff „Glücksstrategien“ benutzt. Was können wir<br />

genau darunter verstehen?<br />

Menschen mit positiven Emotionen oder bestimmten „Glücksstrategien“<br />

– ein Begriff den beispielsweise die „Positive Psychologie“ benutzt - sehen<br />

das berühmte halb volle (und nicht das halb leere) Glas Wasser. Sie<br />

sehen und verstehen z.B. ein Problem oder eine bestimmte Situation als<br />

Ausgangpunkt für ihr Lernen. Glücksstrategien wählen heißt, sich positiv<br />

gelaufene Lernprozesse und Strategien zu verdeutlichen, nach den „Juwelen“<br />

und guten, gelingenden Bedingungen zu suchen und diese zu<br />

verstärken. In dem Ansatz des „Appreciative Inquiry“, der im englischen<br />

Sprachraum verbreitet ist, versteht man unter solchen Glücksstrategien<br />

auch die Fähigkeit, sich positiv gegenseitig zu verstärken. Wenn das gelingt,<br />

entsteht eine gute Lernatmosphäre. Wenn wir den Lernprozess dadurch<br />

erschweren, dass wir uns Wissen in einer schwierigen emotionalen<br />

27


aufnehmen Impulse wahrnehmen In die Tiefe g<br />

Situation aneignen wollen, wird der Wissensprozess selbst für viele Lerner<br />

gefährdet. Diejenigen, die da positiv durchkommen, lernen unter dem<br />

Wissensdruck nicht nur das „Wissen“, sondern auch den Druck als eine<br />

Strategie. Als Eltern oder politische Entscheidungsträger werden sie, wie<br />

es in Deutschland weit verbreitet ist, den Druck unter allen Umständen<br />

und auch gegen die Einsichten der internationalen Lehr- und Lernforschung<br />

verteidigen, denn es war für sie eine erfolgreiche Strategie. Hier müssten<br />

wir in Deutschland als vermeintlich gebildetes Land darüber erschrecken,<br />

dass die meisten Industrieländer deutlich höhere Abiturientenquoten als<br />

wir erreicht haben. Dies liegt vor allem daran, dass dort eher Förderkulturen<br />

im Lernen herrschen, wohingegen wir am veralteten Modell einer inhaltsorientierten<br />

Stoffkultur festhalten wollen, die dann in der Praxis noch<br />

nicht einmal hinreichend funktioniert. Wenn wir umgekehrt eine positive<br />

emotionale Situation haben, dann wird der Wissensprozess und die Aneignung<br />

eher erleichtert. Aber dies muss dann auch noch mit dem Willen<br />

nach Förderung möglichst aller Lerner verbunden werden.<br />

Welche Rolle spielt der Lehrende im interaktionistisch-konstruktivistischen<br />

Verständnis von Wissensvermittlung und was sind seine<br />

wichtigsten Aufgaben?<br />

Der Lehrer ist nicht nur Coach, der Lehrer hat sehr viele Rollen. Notwendig<br />

bleibt der Lehrer auch heute noch Instrukteur, Experte, er hat bestimmtes<br />

Wissen und auch Stoff zu vermitteln. Das müssen Lehrerinnen und Lehrer<br />

für unterschiedliche Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Voraussetzungen<br />

gut leisten. Sie treten auch im selbstorganisierten Lernen<br />

nicht ganz in den Hintergrund, indem sie beispielsweise nur noch im<br />

Lehrerzimmer oder am Rand ihrer Klassen sitzen und ihre Vorbereitungen<br />

machen und die Lerner sich allein überlassen. Das wäre ein großes Missverständnis<br />

konstruktivistischer Didaktik. Lehrende sind Konstrukteure<br />

28<br />

von Materialien und Lernsituationen, sie schaffen eine Lernumgebung,<br />

instruieren, aber vorrangig sollen sie diese Instruktionen so einsetzen,<br />

dass die Lerner zu möglichst vielfältiger eigener Konstruktion gelangen.<br />

Material müssen Lehrende so gestalten, dass der Lerner einen positiven<br />

und emotional ansprechenden Lernanlass sehen kann. Wenn es den<br />

Lehrenden nicht gelingt, dem Lerner schon zu Beginn des Lernprozesses<br />

das Problem so darzustellen, dass er es emotional akzeptiert und für sich<br />

selbst als relevant empfindet, dass er den dahinter liegenden Sinn versteht,<br />

dann kann der Lernprozess erst gar nicht positiv beginnen. Lehrende<br />

haben dann, wenn der Lernprozess läuft, auch die Rolle Ermöglicher,<br />

Erleichterer, Förderer und Evaluierer, Helfer, aber auch Bewerter zu sein.<br />

Eine Vielzahl von Rollen, die der Lehrende heute wahrnehmen muss.<br />

Leider spielt das Lehrerbild des Instrukteurs und Wissenskontrolleurs<br />

heute im Sekundarstufenbereich in Deutschland, vor allem an Gymnasien,<br />

noch eine große Rolle. Im internationalen Vergleich und in den internationalen<br />

Schulsystemen ist die Hauptrolle der Lehrenden heute die von<br />

Förderern. Optimale Förderungen erreichen Lehrende aber nur durch die<br />

angemessene Umsetzung der Vielfalt der Rollen im Sinne einer kontinuierlichen<br />

und differenzierten Förderung, die jeden Lerner dazu bringt,<br />

seine Lernchancen umfassend zu erhöhen. Je besser dies gelingt, desto<br />

höheres Ansehen erwerben Lehrende übrigens auch in der Gesellschaft.<br />

Deshalb zählt in Finnland, das als Pisa-Siegerland gilt, der Lehrberuf zu<br />

den angesehensten Berufen. In Deutschland hingegen werden Lehrende<br />

entsprechend dem Pisa-Stand gesellschaftlich als unterdurchschnittlich<br />

erfolgreich bewertet, was unserer Gesellschaft einen deutlichen Spiegel<br />

für ihre Versäumnisse vorhält. Wir haben es vielen Lehrenden eben nicht<br />

durch hinreichendes Lernen beigebracht und ihnen auch nicht hinreichende<br />

Ressourcen bereitgestellt, um bessere Lernumgebungen zu schaffen.


ehen In Gruppe Individualität Inspiration Inspir<br />

Wie sieht es auf der Seite des Lerners aus, welche inneren Voraussetzungen<br />

müssen denn bei ihm vorhanden sein, damit sich Lernprozesse<br />

wirkungsvoll vollziehen können?<br />

Wir lernen immer. Wir können, ganz gleich, was wir tun, unsere Wahrnehmung<br />

nicht abstellen und damit auch Konsequenzen aus unserer<br />

handlungsbezogenen Verarbeitung dessen, was wir erleben, erleiden,<br />

erfahren und dabei lernen. Meist wird das Lernen allerdings ganz anders<br />

verstanden, indem wir Lernen als einen Prozess beschreiben, in dem<br />

Wissen bereits angeeignet ist. Wir gehen also eher von der Abprüfung<br />

des Wissens aus. Wenn das erfolgreich war, sagen wir, jemand hat etwas<br />

gelernt. Die Lehr- und Lernforschung geht ganz anders an die Angelegenheit<br />

heran. Sie erkennt, dass auch dann, wenn die Wissensaneignung<br />

gescheitert ist, der Lerner etwas gelernt hat. Schlimmstenfalls hat er<br />

gelernt, dass er kein guter Lerner ist. In unserer Kultur geht es heute


tion durch Qualität und Können Kein Leistungs<br />

sehr oft darum, dass wir in möglichst kurzer Zeit möglichst viel mit möglichst<br />

geringem Aufwand erreichen. Je schneller jemand etwas gelernt<br />

hat, desto besser scheint sein Lernen zu funktionieren. Die Lernforschung<br />

setzt dem entgegen, dass Lernen nicht nur individuell sehr unterschiedlich<br />

abläuft, sondern immer auch Zeit kostet. Die Entschleunigung des<br />

Lernens ist eine wesentliche Bedingung, um den Lernern Chancen für ihr<br />

Lernen in einem Zeitalter der Beschleunigung zurückzugeben. Wir erwarten<br />

heute, besonders bei der Stofflastigkeit des deutschen Schulsystems,<br />

dass eine große Menge an Wissen angeeignet wird. Die Lernforschung<br />

kann dem entgegensetzen, dass Wissen nachhaltig nur behalten werden<br />

kann, wenn die Menge reduziert wird. Sinn unseres Lernens ist, uns auf<br />

das Wesentliche zu konzentrieren und das, was wir tatsächlich anwenden<br />

können, zu behalten.<br />

Das gelingt am besten dann, wenn Lernende den Sinn ihres Lernens verstehen,<br />

also den Anwendungsraum durch eigene Erfahrungen einschätzen<br />

können. Der größte Feind des Lernens aber ist das viele tote Wissen, das<br />

insbesondere ein stofflastiges Schulsystem mitschleppt. Das ist ein Wissen,<br />

das ich mir durch Informationssuche beschaffen kann, z.B. hoch spezielles<br />

Wissen bestimmter Fächer. Hier kommt es darauf an, den Lernern<br />

Kompetenzen zu ermöglichen, sich Wissen eigenständig zu beschaffen<br />

und es in den größeren Rahmen eines Faches einzuordnen. Dann muss<br />

ich nicht mehr jede Spezialität schon in der Schule erfassen, sondern<br />

kann dies dann tun, wenn ich es im weiteren Leben tatsächlich brauche.<br />

Es wird immer eine heikle Balance sein, zwischen notwendigem Rahmenwissen<br />

als Kompetenzaufbau und speziellem Wissen zu unterscheiden.<br />

Hier sind die Schulsysteme heute erfolgreicher, die dies verantwortlich<br />

den Lehrenden vor Ort überlassen (mit nachträglicher kontrollierender<br />

Evaluation), und nicht ausschließlich den Experten, die von der Lehr- und<br />

Lernpraxis weit entfernt sind.<br />

30<br />

In Hinblick auf Fragen der Kunstvermittlung in der Schule ist neben<br />

der Erwartung an das rein künstlerische Lernen in der Vergangenheit<br />

immer häufiger zusätzlich die Erwartung an sogenannte Transferleistungen<br />

geknüpft. Mit der Bastian-Studie, einer Langzeitstudie von<br />

1992-1998 an sieben Berliner Grundschulen, konnte beispielsweise<br />

nachgewiesen werden, dass durch die intensive Beschäftigung mit<br />

Musik das Sozialverhalten verbessert, der IQ-Wert erhöht, Konzentrationsschwächen<br />

kompensiert und damit die schulischen Leistungen<br />

insgesamt verbessert werden konnten. Welche Erwartungen haben Sie<br />

an den Bereich ästhetischen Lernens in der Schule?<br />

Künstlerische Fächer können dazu beitragen, dass das Lernen breiter und<br />

besser wird. Insbesondere Howard Gardner hat mit seinem Konzept der<br />

multiplen Intelligenzen gezeigt, dass das schulische Lernen sich viel zu<br />

sehr auf den Typus des sprachlich operationalen Lernens und der mathematischen<br />

Leistungen konzentriert hat. Damit gehen andere Intelligenzen<br />

verloren. Aber hier ist der Begriff der Intelligenz auch irreführend, denn<br />

Intelligenz ist stets nur das, was der in bestimmter Weise konstruierte<br />

Test misst. IQ-Tests werben ja damit, dass sie den unveränderlichen<br />

Intelligenzwert des Menschen beschreiben. Hier wird die Sehnsucht der<br />

Menschen nach einer gerechten Beurteilung ihrer Leistung deutlich. Dies<br />

ist in meinen Augen eine der großen Illusionen von Bildungsgerechtigkeit.<br />

Denn solche Messungen erfassen immer nur einen bestimmten Teil<br />

unserer Persönlichkeiten in bestimmten Momenten. Es gehört zu einer<br />

Breite des Lernens und zu einem breiten Erwerb von Kompetenzen für das<br />

Leben, dass wir einer Engstellung allein auf eine Intelligenz hin im schulischen<br />

Lernen heute deutlich entgegentreten. Dies kann durch Förderung<br />

gelingen. Hier gibt es in Bezug auf die künstlerischen Fächer interessante<br />

Ergebnisse. Es hat sich in vielen Untersuchungen gezeigt, dass fachliche<br />

Leistungen selbst in den Hauptfächern wie Mathematik, Fremdsprachen


druck Keine Angst haben Keine Einschränkung<br />

oder Deutsch deutlich verbessert werden können, wenn Künstlerisches<br />

an die Seite dieser Fächer tritt. So ist beispielsweise bekannt, dass Theaterspielen<br />

einen großen Effekt auch auf die fachlichen Leistungen in den<br />

Hauptfächern haben kann, wenn es zu einer Steigerung des Selbstbewusstseins<br />

der Lerner kommt. Je mehr das künstlerische Lernen im Sinne<br />

einer Teilhabe an Lernprozessen die eigenen Erfahrungsräume fördert und<br />

somit Selbstbewusstsein und Selbstwert, umso breiter wird der Lerner<br />

in seinen Kompetenzen gestärkt: Im Darstellen von Sachverhalten, in der<br />

Breite seiner Perspektiven, in seinen Zugängen und Ergebnissen.<br />

Im internationalen Rahmen bieten Schulen heute verstärkt Wahlfächer an,<br />

die gerade diese Kompetenzbereiche stärken, um damit auf die Verbesserung<br />

auch in den sogenannten Hauptfächern einzuwirken. In der deutschen<br />

Schule haben wir ein sehr starres Lehrplankonzept, in Neuseeland,<br />

Kanada oder anderen Ländern könnten wir auch Fächer wählen – und dies<br />

auch kurz vor dem Abitur –, die unsere Kompetenzen sehr breit erweitern.<br />

Dazu gehören nicht nur künstlerische Fächer wie etwa Fotografie sondern<br />

auch allgemeine Lebensstilkunde wie Kochen und Hauswirtschaften. Alles<br />

Fächer, die im postmodernen Lebenszyklus heute eine große Bedeutung<br />

haben, weil in der Kultur viel von dem verlernt wurde, was früher in Familien<br />

zur Erziehung gehörte.<br />

Wie kann Schule aus Ihrer Sicht generell in einen Ort ästhetischen<br />

Lernens verwandelt werden und gibt es bestimmte Modelle, die Ihnen<br />

hierfür besonders geeignet erscheinen?<br />

Die Schulsysteme unterscheiden sich weltweit sehr stark. Deutschland<br />

zeichnet sich dadurch aus, dass die Freiräume für künstlerische Fächer besonders<br />

eng gehalten sind und nach der Reform des Gymnasiums hin auf<br />

acht Schuljahre noch enger wurden. Das heißt, wir haben besondere Probleme,<br />

künstlerische Freiräume an Schulen zu schaffen und ästhetisches<br />

31


n gelten lassen Keine Zeitvorgabe Kreative Ler<br />

Lernen breit mit hinreichender Zeit auch für Projekte oder fachübergreifendes<br />

Lernen zu entwickeln. Die Dominanz des Wissens und der Wissensreproduktion<br />

ist sehr ungünstig für die künstlerischen Freiräume. Auf<br />

der anderen Seite ist zu erkennen, dass sowohl Eltern als auch Schüler<br />

sehr stark zu Schulen hin tendieren, die solche künstlerischen Freiräume<br />

in Sonderformen, etwa als Musikschulen oder besonders künstlerische<br />

Schulen oder sportlich orientierte Schulen, gestatten. Prinzipiell ist es<br />

für das Lernen aus meiner Sicht günstig, wenn Schulen sich ein Profil<br />

geben, in dem das ästhetische Lernen mit enthalten ist und nicht bloßes<br />

Beiwerk bleibt. Besonders im Privatschulsystem gibt es Modellschulen,<br />

in denen z.B. das Theaterspielen einen großen Raum einnimmt und die<br />

damit Schülern eine große Erweiterung ihres Lernrepertoires bieten. Reinhard<br />

Kahl und andere versuchen zum Beispiel, solche Schulversuche oder<br />

andere gelingende Lernkonzepte zu dokumentieren (vgl. www.archiv-derzukunft.de/).<br />

Welches Handwerkszeug benötigen Ihrer Meinung nach KünstlerInnen<br />

und LehrerInnen, um ästhetisches Lernen anzuregen und künstlerische<br />

Lernerfahrungen zu ermöglichen?<br />

Diejenigen, die Kunst oder künstlerische Fächer in den Schulen unterrichten,<br />

müssen zunächst einmal eigene Erfahrungen im künstlerischen<br />

Bereich machen. Ohne diese wäre es sehr schwierig, sich in Lerner hineinzuversetzen,<br />

die auch solche Erfahrungen machen sollen. Das heißt,<br />

zunächst einmal muss die künstlerische Kompetenz durchaus im Vordergrund<br />

stehen. Der reine Künstler im Unterricht, der ohne pädagogische<br />

Ambitionen auftritt, wäre allerdings ein Problem. Denn die pädagogische<br />

Kompetenz muss darin bestehen, dass die Lerner dort abgeholt werden,<br />

wo sie selbst mit Sinn Kunst erkennen, leben, artikulieren können, das<br />

heißt, wo sie Anschlussfähigkeiten für sich entdecken, aus denen he-<br />

32


numgebung Kreativität fördern Künstlerische<br />

raus sie dann eigene Kompetenzen entwickeln. Künstlerische Prozesse<br />

im Unterricht sollen den Lernern nicht zeigen, was sie alles nicht können<br />

und warum sie einen großen Abstand zur professionellen Kunst haben,<br />

sondern sie sollen ihnen ermöglichen, wiederum eigene Perspektiven in<br />

Kunst zu gewinnen, als Künstler selbst tätig zu sein und dabei auf unterschiedlichen<br />

Wegen und mit unterschiedlichen Ergebnissen Erfolgserlebnisse<br />

zu haben. Selbstverständlich sind sie keine professionellen Künstler,<br />

aber der Unterschied von Schülerkunst und Kunst in der Gesellschaft<br />

wird in gelingenden Lernprozessen immer ein Übergangsfeld darstellen,<br />

sodass im Grunde auch das, was Lerner als Kunst erzeugen, schon von<br />

ihnen und anderen als Kunst angesehen werden kann.<br />

Was muss von den Universitäten im Bereich der Lehrerausbildung<br />

geleistet werden, um diese Qualitäten in das Bildungssystem Schule<br />

zu tragen?<br />

Die Lehrerbildung in Deutschland hat im internationalen Vergleich ein<br />

grundsätzliches Problem: Bei uns wird sehr stark auf das Fachliche gesetzt,<br />

das heißt die Ausbildung in zwei Fächern ist so dominant, dass<br />

4/5 der Ausbildungszeit dafür verwendet wird. Wir erwarten am Ende<br />

der Ausbildungszeit einen Fachexperten, der im Studium überwiegend<br />

Fachwissen erworben hat, das er in der Schule gar nicht vermittelt. International<br />

gesehen ist das Verhältnis genau umgekehrt: In anderen<br />

Ländern wird 4/5 der Zeit in der Lehrerbildung dafür aufgewandt, pädagogisch-psychologische<br />

Grundlagen zu vermitteln, die auch Grundlagen<br />

inklusiven Unterrichts, insbesondere auch Umgang mit behinderten oder<br />

benachteiligten Schülern, einschließt. Wenn man die Lehrerausbildung in<br />

Deutschland und im Ausland miteinander vergleicht, fällt das Defizit des<br />

deutschen Lehrers hinsichtlich der pädagogisch-psychologischen Kompetenzen<br />

besonders auf. Dieses Defizit an nicht ausgebildeten Kompetenzen<br />

führt dazu, dass Lehrende in der Praxis von ihren Schülerinnen und<br />

Schülern oft überfordert sind. Die Überforderung wurzelt darin, dass man<br />

ihnen an der Universität auch nicht hinreichend hat beibringen können<br />

– angesichts der geringen Zeit der Ausbildung –, wie sie Förderung und<br />

diagnostische Leistung miteinander kombinieren können, um möglichst<br />

allen Lernern gute Lernchancen zu geben. Die reine Wissensvermittlung,<br />

die in der Schule sowie an der Hochschule im Vordergrund steht, führt<br />

dazu, dass der deutsche Lehrer insbesondere ineffektiv in pädagogischpsychologischer<br />

Hinsicht arbeitet.<br />

Eine persönliche Frage zum Schluss: Welches sind Ihre drei wichtigsten<br />

Anliegen für eine Schule der Zukunft, in die Sie Ihre Kinder gerne und<br />

unbesorgt schicken möchten?<br />

Die drei wichtigsten Anliegen an eine Schule der Zukunft heißen für mich:<br />

1) fördern, 2) fördern, 3) fördern! Heute sind die Lernchancen eines Lerners<br />

sehr stark davon abhängig, wie die Schule auf die familiäre Herkunft<br />

und die sozialen Bedingungen der Lerner reagiert. Immer mehr Lerner<br />

kommen aus sozial schwierigen Milieus, und diesen Lernern geeignete<br />

Lernchancen zu geben, ist der wesentliche Punkt meiner Forderung nach<br />

Förderung! Förderung kann sehr vielfältig sein und sie unterscheidet sich<br />

auch von Lerner zu Lerner. Ein Optimum an Förderung zu erreichen, das<br />

ist international gesehen eine Herausforderung für Bildungsgerechtigkeit<br />

geworden. Gerade an dieser Stelle zeigt sich das deutsche Schulsystem<br />

als Verlierer im Vergleich der Industrieländer. Dies wiederum ist für uns<br />

die Herausforderung, diesen Zustand endlich zu ändern.<br />

33


Erleben als Begegnung Lebendigkeit Leichtigk


eit Materialien Materialien Medien Mich in unb<br />

Künstlerische<br />

Prozesse<br />

an Schulen<br />

Ulrich Schötker im Gespräch mit Yvonne Vockerodt<br />

Du sagst: „Kunstpädagogik muss ein widersprüchliches Verhältnis<br />

aushalten und kultivieren“ – welcher Widerspruch ist gemeint?<br />

Als Lehrer begreife ich einen künstlerischen Prozess als eine sehr hoch<br />

kultivierte Form, an die ich die Kinder bestenfalls durch meinen Unterricht<br />

heranführen kann. Es ist schnöder Unterricht, der versucht, eine künstlerische<br />

Erfahrung zu initiieren. Die ästhetische Erfahrung ist dabei höchst<br />

subjektiv. Ästhetik und Kunst sind höchst subjektiv. Eine ästhetische<br />

Erfahrung zu spüren, geht nicht nur über mein Reden. Das ist nur eine<br />

Übertragung. Ich möchte eine ästhetische Erfahrung ermöglichen, die sowohl<br />

die Kinder wie auch mich in einen Fremdheitszustand bringt.<br />

Wie baust du künstlerische Prozesse in deinen Unterricht ein?<br />

Künstlerische Prozesse baut man nicht ein. Man kann versuchen, künstlerische<br />

Prozesse zu initiieren. Das Interessante daran ist, dass man selbst<br />

bei einem Versuch nicht garantieren kann, dass der Prozess ausgelöst<br />

wird. Es gibt natürlich Momente, die sich besser dafür eignen, über ein<br />

bestimmtes Thema oder Motiv sein Gegenüber anzusprechen. In der Zusammenarbeit<br />

mit Kindern kennt man das schon: Man muss nur sagen:<br />

„Morgen hast du Geburtstag!“ Dann sieht man das Leuchten in den<br />

Augen. Dann geht das Kopfkino ab!<br />

35


kannte Situationen hineinbegeben Mit Bildern l<br />

Wie gelingt es, entlang der Motivation der Schüler den Unterricht zu<br />

entwickeln?<br />

Wenn ich zu den Kindern sage: „Wir machen eine Aufführung!“, gehen<br />

die Reaktion von „Das ist geil!“ bis „Da habe ich Angst vor!“. Die einen<br />

gehen gleich auf die Bühne. Die anderen ziehen sich aus der Affäre, indem<br />

sie zwei Wochen lang im Hintergrund zum Beispiel die anderen Kinder<br />

schminken. Und dann kommen sie doch heimlich auf die Bühne, riechen<br />

das Publikum, spüren die Atmosphäre und die Wärme der Scheinwerfer.<br />

Wichtig ist es auch, zu reagieren, wenn sich irgendetwas ereignet hat,<br />

dann zu sagen: „Ach ist egal, wir verschieben unseren Stoff und sprechen<br />

über das, was passiert ist.“ Doch Programmänderungen funktionieren nur,<br />

wenn man ein Programm hat.<br />

In welchem Verhältnis stehen für dich pädagogischer Prozess und<br />

künstlerischer Prozess?<br />

Der pädagogische Prozess ist nah dran am künstlerischen Prozess. Der<br />

Entwurf des Pädagogischen und der Entwurf des Künstlerischen werden<br />

durch die Moderne eng zusammengedacht: Beide haben ihre Unvorhersehbarkeiten.<br />

Ich unterscheide darin auch Erziehung und Pädagogik. Die<br />

Tradition der Erziehung ist eher ein moralisches Geschäft. Auch die tagesaktuelle<br />

Demokratieerziehung unterscheidet zwischen gut und böse. So<br />

gibt es auch in der Kunst die politisch korrekte und die politisch unkorrekte<br />

Kunst. Wenn Kunst politisch verfügt wird und mir ein Bild gleich sagt,<br />

was ich denken soll, dann ist sie moralinsauer. Für mich ist es wichtig,<br />

dass Kunst Beurteilungen für richtig und falsch offen lässt und mich erst<br />

mal da packt, wo ich innerlich Erfahrungsbedürfnisse habe.<br />

Wie kann in der Schule Kunst als Evaluationsinstrument genutzt werden?<br />

Ich wünsche mir eine sehr umfassende ästhetische Bildung in der Schule<br />

36<br />

und begreife Schule als potenziellen „Kulturort“. Man muss schauen, wie<br />

weit man mit den Kindern kommt: Bis zu welchem Grad haben sie Lust,<br />

ihren Schulort zu gestalten? Bis zu welchem Punkt ist ihr Handeln freiwillig?<br />

Kinder haben ja sehr individuelle Bedürfnisse. Wir haben in unserer<br />

Schule am Schulrestaurant, an der Bibliothek und an der Gestaltung des<br />

Ruheraumes mitgearbeitet. Die Curricula in der Kunstpädagogik sind immer<br />

so offen gestaltet, dass dies möglich ist.<br />

Schulen wollen sich auf Kompetenzen konzentrieren und diese müssen<br />

sich durch Wissensbefragung oder durch Handeln ablesen lassen. Wenn<br />

man diese Erfahrungen eins zu eins auf die ästhetischen Fächer übertragen<br />

möchte, verwehrt sich die Kunst. Kunst bleibt uns nebulös. Sie ist<br />

inkommensurabel. Sie ist nicht mit gleichem Maß zu fassen.<br />

Sowohl die Lernziele früher als auch die Kompetenzraster heute sind ein<br />

Kontrollsystem dafür, ob die Unterrichtsvermittlung funktioniert. Aus der<br />

Kunst kennen wir eine andere Form der Evaluation: das Ausstellen. Man<br />

kommt z.B. in die Schule hinein und sieht, dass sich etwas verändert hat.<br />

Dann kann man sich fragen: Spricht mich das an oder ist mir das egal?<br />

Wenn ich das Gefühl habe, ein Beispiel für eine ästhetische Auseinandersetzung<br />

zu sehen, ist das ein erster „Evaluationscheck“.<br />

Wie können wir Schule durch die Künste weiterentwickeln?<br />

Wenn ich im Zusammenhang mit Kunst von Schulentwicklung spreche,<br />

geht es mir darum, das fachdidaktische Denken zu lassen, sich von einer<br />

Unterrichtdidaktik zu lösen und in Zusammenhängen zu denken. Wir<br />

brauchen mehr Möglichkeiten, verschiedene Unterrichtsfächer miteinander<br />

zu verbinden. Über die eigene Fachdisziplin hinaus mit anderen zusammenzuarbeiten,<br />

bekommt eine ganz andere Dynamik. Zum Beispiel<br />

kann die ganze Schule mit allen Klassen ihre Werke ausstellen oder es<br />

gibt eine kulturelle Woche an der Schule, man verbindet sich mit anderen


ernen Mitbestimmung Möglichkeit des Dialoge<br />

Institutionen, um die Schule nach außen wachsen zu lassen. Es geht um<br />

Projektieren bzw. Ausstrahlen, und zwar an den eigenen Wänden und in<br />

den Stadtteil hinein.<br />

Wie fließen deine vielfältigen Erfahrungen bzgl. Kunstvermittlung in<br />

deinen Unterricht und in die Weiterentwicklung deiner Schule ein?<br />

Mir geht es darum, ästhetische Bildung als einen Schwerpunkt der schulischen<br />

Bildungsbiografie zu verorten. Das hat mich dazu bewogen, in die<br />

Schule zu gehen; ich wollte ein Erprobungsfeld haben. Ich arbeite derzeit<br />

an einem Konzept zur ästhetischen Bildung für die Schule. Der Großteil<br />

des Kollegiums findet das, was wir haben „in Ordnung“. Doch ich möchte<br />

Leitfragen zur Verbesserung entwickeln – einen Plan, der die nächsten<br />

fünf Jahre läuft. Und die Grundfrage dazu lautet: „Was ist machbar?“<br />

Wofür können wir Formen der Vereinbarung finden? Wie können wir das<br />

ganze Kollegium gewinnen?<br />

Welche Bedeutung haben für dich künftig die Künste in der Schule?<br />

Der Anteil der ästhetischen Bildung ist noch zu gering und vor allen Dingen<br />

herrscht ein zu geringes Bewusstsein darüber, wo sie stattfindet.<br />

Der Kleidungs- und Musikstil der Kinder, ihre Turnschuhe, die Bilder auf<br />

den Mobiltelefonen, das sind völlig unbewusste Formen. Man müsste viel<br />

stärker über diese Phänomene der ästhetischen Bildung reflektieren und<br />

wie sie sich auf die gegebene Schulstrukturen auswirken. Ich kann sie<br />

lesen und weiß, dass sie Auswirkungen auf das Schulleben haben, deshalb<br />

frage ich mich auch, wie ich sie nutzen kann.<br />

37


mit dem Gemachten Möglichkeiten zum Austaus<br />

Stirn und Nase.<br />

Einsteins<br />

pädagogische<br />

Formel<br />

dr. Marco Wehr<br />

Albert Einstein ist eine intellektuelle Ikone. Wer<br />

sich auf seinen Intellekt etwas einbildet, trägt<br />

sein Konterfei auf dem T-Shirt oder kultiviert<br />

eine ähnliche Frisur. Zu allem Überfluss schwebt<br />

das Konterfei des berühmten Physikers wie ein<br />

kosmischer Sehnsuchtspunkt über den Köpfen<br />

der Bildungstheoretiker, die sich bemühen, wissenschaftliche<br />

Exzellenz am Schreibtisch zu planen.<br />

Aus einem solchen Holz müssten unsere<br />

künftigen Geistesheroen geschnitzt sein! Albert<br />

Einstein hätte sicher gelacht. Im Unterschied zu<br />

den Menschen, die ihn bewundern, bildete sich<br />

der Physiker auf seine analytische Intelligenz,<br />

die wir heute wie ein goldenes Kalb umtanzen,<br />

wenig ein. Auch gängigen Exzellenzinitiativen<br />

und Hochbegabtenprogrammen wäre er mit<br />

Skepsis begegnet.<br />

38


ch Möglichkeitsräume Mut Mut zur Lücke Na<br />

„Nur meine Stirn und meine Nase“, entgegnete er einem erstaunten<br />

Journalisten, der wissen wollte, was das Geheimnis seines Erfolgs sei.<br />

Der verunsicherte Fragesteller bohrte nach, hatte er doch erwartet, dass<br />

Einstein Intelligenz und Begabung in den Mittelpunkt<br />

rücken würde. Aber Einstein, der sich selbst<br />

nicht für einen sonderlich begabten Mathematiker<br />

hielt, führte aus, was er meinte: Seine große Nase<br />

bräuchte er, um die richtigen Fragestellungen zu erschnüffeln<br />

und die harte Stirn sei Ausdruck seiner<br />

maultierhaften Starrnäckigkeit. Die Nase als Sinnbild für Kreativität und<br />

wissenschaftliche Intuition, die Stirn als Symbol für außergewöhnliches<br />

Beharrungsvermögen, aber auch für den Mut, entschlossen die eigene<br />

Meinung zu vertreten.<br />

Stirn und Nase, das könnte man deshalb als Einsteins pädagogische<br />

Formel bezeichnen. Bemerkenswerterweise steht diese Formel in einem<br />

eklatanten Widerspruch zu den Charaktereigenschaften, die uns heute bei<br />

begabten Schülern und Studenten förderungswürdig erscheinen. Von einem<br />

hohen IQ und einem Studium in Rekordzeit sprach Einstein nicht.<br />

Irrte er also oder klingt in seinen Worten eine Wahrheit an, die auf der<br />

Strecke verloren gegangen ist? Tatsächlich wird auch heute noch gerne die<br />

Legende vom Musenkuss kultiviert. Ein über die Maßen begabter Mensch<br />

durchzuckt plötzlich das Licht der Erkenntnis: Dem sinnierenden Newton<br />

fiel erst der Apfel auf den Kopf, dann fiel es ihm wie Schuppen von<br />

den Augen. In einem einzigen Moment offenbarten sich ihm die ewigen<br />

Gesetze des Universums. Wunsch oder Wirklichkeit? Verschwiegen wird<br />

gerne, dass Isaac Newton ein „Arbeitstier“ war. Ging er in den Keller, um<br />

Wein für die Gäste zu holen, konnte es passieren, dass er diese völlig<br />

vergaß. Von den Suchenden wurde er im Keller entdeckt, während er über<br />

einer Rechnung brütete. Auch ist bezeugt, dass er sich wochenlang mit<br />

einer einzigen Seite aus den mathematischen Schriften von Descartes<br />

beschäftigte, wenn er diese nicht verstand. Je länger man sich mit den<br />

Biografien erfolgreicher Menschen auseinandersetzt, desto einsichtiger<br />

Die Nase als Sinnbild für Kreativität und wissenschaftliche Intuition,<br />

die Stirn als Symbol für auSSergewöhnliches Beharrungsvermögen,<br />

aber auch für den Mut, entschlossen die eigene Meinung zu vertreten.<br />

wird die Gültigkeit von Einsteins persönlicher Einschätzung. Viele Genies verorten<br />

ihre Begabungen an ganz anderen Stellen, als die von ihrem Glanz<br />

geblendeten Außenstehenden. Michal Jordan, der beste Basketballspieler<br />

aller Zeiten, nannte als Grund seines Erfolgs nicht sein Talent. Er könne<br />

nur mehr Schmerzen aushalten als andere, beschied er seinem Interviewpartner.<br />

Ein spät berufener Maler wie van Gogh, stilbildend für eine ganze<br />

Epoche, war sich seiner beschränkten zeichnerischen Fertigkeiten bewusst.<br />

Doch er hatte die Stirn, sich nicht beirren zu lassen, und war felsenfest<br />

überzeugt, dass es ihm mit harter Arbeit gelingen würde, in seinem Werk<br />

tiefer liegende Wahrheiten freizulegen als die handwerklich versierteren<br />

Kollegen. Sprechen Genies über sich selbst, dann ist eigentlich selten von<br />

Talent und Begabung die Rede, sondern eher von unbändiger Neugier<br />

sowie von elend langen Durststrecken, die es zu durchleiden gilt, letztlich<br />

auch von Kränkungen und Verletzungen, die jeder erfährt, der gewohnte<br />

Bahnen verlässt. Die kürzlich 100 Jahre alt gewordene Forscherin Rita<br />

Levi-Montalcini, die für die Entdeckung des Nervenwachstumsfaktors<br />

den Nobelpreis bekam, erzählt in ihrer Biografie, wie sie bis zum heutigen<br />

Tage das Unbekannte fasziniert. Noch täglich gehe sie ins Labor. Sie<br />

spricht aber auch von ihrer Verbissenheit, an einer Sache dranzubleiben<br />

und dem Gleichmut, den man braucht, um Niederlagen zu ertragen.<br />

39


t sein können Naturräume Neues Wahrnehmen<br />

Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, ob wir in unseren<br />

angestrengten Bildungsbemühungen auf das falsche Pferd setzen.<br />

Werden forcierte Wissensvermittlung und eine am Intelligenzquotienten<br />

aufgehängte Begabtenförderung dazu führen, dass junge Eliten zu brillanten<br />

Innovatoren werden? Wäre es nicht sinnvoller, bei SchülerInnen<br />

und Studierenden Kreativität, Beharrlichkeit, Mut zum selbstständigen<br />

Denken, aber auch Eloquenz und Streitbarkeit<br />

zu fördern? Sind es doch oft gerade die Unangepassten<br />

und Furchtlosen, die wirkliche Entdeckungen auf die<br />

Spur bringen!<br />

Werfen wir einen kurzen Blick auf den Intelligenzquotienten,<br />

den Dreh und Angelpunkt der Begabtenförderung.<br />

Tatsächlich sind Intelligenz, Kreativität<br />

und Erfolg korreliert, aber nur bis zu einem IQ von 120.<br />

Das ist nicht sehr beeindruckend. Diesen Wert hat etwa<br />

jeder sechste von uns. Deshalb erstaunt der Wirbel, der um<br />

den IQ gemacht wird. Selbst in der intellektuellen Paradedisziplin<br />

Schach sagt ein IQ oberhalb dieses Schwellenwerts wenig über die Spielstärke<br />

aus und andere Studien an Hoch- und Höchstbegabten ergaben,<br />

dass diese selten Außergewöhnliches zustande bringen. Zwar wird im<br />

Kreis der „Intelligenzbestien“ häufiger promoviert, aber Nobel- oder Pulitzerpreise<br />

gewannen die vermeintlichen Überflieger nicht. Im Gegenteil:<br />

Gewinner solcher Ehrungen waren wegen angeblich mangelnder Begabung<br />

von solchen Untersuchungen ausgeschlossen worden. Erstaunt das?<br />

Eher nicht, wenn man einen ungetrübten Blick auf die Mechanismen des<br />

Erfolgs wirft: Am Anfang von allem steht natürlich die Idee. Aber eine<br />

Idee ist erstmal nur eine Sternschnuppe und weit davon entfernt, schon<br />

Tat zu sein. Dazu muss sie erst zu einer Vision werden, die stark genug<br />

ist, den Adepten über die steilen Klippen zu tragen, die sich ihm fast<br />

40<br />

Was passiert, wenn ich auf<br />

einem Lichtstrahl reite und<br />

eine Taschenlampe anknipse?<br />

immer in den Weg stellen. Sich von einer Vision leiten zu lassen, erfordert<br />

aber Mut, geht es doch um eine unbestimmte Wette auf die Zukunft.<br />

Zeitliche und materielle Ressourcen werden gebunden und es kann Jahre,<br />

manchmal Jahrzehnte dauern, bis sich eine Idee konkretisiert, wobei man<br />

oft bis zum letzten Moment nicht weiß, ob sie vom Erfolg gekrönt<br />

sein wird oder nicht. Zudem erfordert dieser lange Weg von<br />

der Idee zur Tat weitere Charaktereigenschaften. In<br />

den Wissenschaften, der Technik und in den Künsten<br />

muss man sich ein Handwerkszeug erarbeiten,<br />

um der Idee eine Gestalt zu geben. Und genau<br />

an dieser Stelle wird deutlich, wie eng bei den<br />

sogenannten Genies kindlicher Spieltrieb und eine<br />

eiserne Härte miteinander verbunden sind. Betrachten<br />

wir wieder Albert Einstein. Natürlich war<br />

dieser der Meister des intellektuellen Spiels: Was<br />

passiert, wenn ich auf einem Lichtstrahl reite und eine<br />

Taschenlampe anknipse? Macht es für die Geschwindigkeit der<br />

Lichtteilchen, die aus der Lampe kommen einen Unterschied, ob ich in<br />

oder gegen die Flugrichtung leuchte? Das war nur eine der vielen kindlich<br />

anmutenden Fragen, mit denen sich Einstein leidenschaftlich beschäftigte<br />

und die zum Kern seiner Visionen wurden. Doch mit Antworten in poetischer<br />

Sprache hätte er die ohnehin misstrauischen Kollegen schwerlich<br />

begeistern können. Für ihn wie alle anderen galt das Diktum Thomas<br />

Alva Edisons: „Genie ist ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration.“<br />

Auch ein Einstein musste sich in jahrzehnte(!)langer Arbeit die<br />

notwendigen mathematischen Techniken aneignen. Erst dann konnte er<br />

die spezielle und später die allgemeine Relativitätstheorie formulieren.<br />

Anderen Weltendenkern ging es nicht anders. Der mystisch angehauchte<br />

Kepler rechnete ebenfalls Jahrzehnte an seinen Planetenbahnen und


Nicht beschämt werden Offenheit Optionen ha<br />

der brillante Physiker James Clerk Maxwell mühte sich gleichfalls sehr<br />

lange, um die fantastisch anmutenden Vorstellungen, die er von elektromagnetischen<br />

Feldern hatte – er sah rotierende Wasserwirbel vor<br />

seinem inneren Auge –, in seine scheinbar gottgegebenen Formeln zu<br />

kleiden, die uns heute in ihrer kristallinen Klarheit berühren. Was für die<br />

Wissenschaft gilt, gilt auch für die Kunst. Selbst der von seinem Vater<br />

gedrillte Mozart benötigte fast 20 Jahre, bis er eine völlig eigenständige<br />

künstlerische Handschrift entwickelte.<br />

Übung macht den Meister<br />

Dass ausdauernde Arbeit unverzichtbarer Bestandteil des Erfolgs ist, wird<br />

wenigstens in Fachkreisen nicht mehr bestritten. Mindestens 10 000 Stunden<br />

Übung sind notwendig, um es zu echter Könnerschaft zu bringen.<br />

Ganz im Gegensatz zum IQ-Dogma ist diese Einsicht hervorragend belegt.<br />

Es ist eben nicht der Intelligenzquotient, der Auskunft über die Spielstärke<br />

eines Schachgroßmeisters gibt, sondern die Anzahl absolvierter und gelernter<br />

Partien. Und auf den Musikhochschulen werden einzig diejenigen<br />

zu Virtuosen, die ausdauernd geübt haben. Trotzdem wird in diesem Zusammenhang<br />

ein Aspekt nicht genügend gewürdigt: Es ist nicht einfach<br />

die Zeit, die man übt. Entscheidend ist auch, wie man übt! In einer Studie<br />

über das Eiskunstlaufen hat man herausgefunden, dass sich nur diejenigen<br />

Sportler zu exzellenten Läufern entwickeln, die permanent an ihren<br />

Schwächen arbeiten. Diejenigen, die viel Zeit damit verbringen, bereits Gekonntes<br />

zu wiederholen, stagnieren auf längere Sicht. Deshalb braucht es<br />

zur Weiterentwicklung nicht nur Übungsdisziplin. Genauso wichtig ist eine<br />

ausgeprägte Frustrationstoleranz, da sich die erfolgreich Lernenden laufend<br />

mit den eigenen Unzulänglichkeiten beschäftigten. Ein Meister wird dadurch<br />

zum Meister, dass er von seinem Gefühl immer ein Anfänger bleibt. Wie ist<br />

das auszuhalten? Damit sind wir wieder bei der Vision.<br />

41


n Permanente Weiterentwicklung Persönlich<br />

„Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen,<br />

um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben<br />

und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach<br />

dem weiten, endlosen Meer!“ So lautet das treffliche Zitat von Antoine de<br />

Saint-Exupéry. Nur eine hohe intrinsische Motivation hilft, das permanente<br />

Scheitern zu ertragen.<br />

Frustrationstoleranz und Wagemut, Tugenden die in Vergessenheit zu geraten<br />

drohen, braucht es schließlich auch beim letzten, alles entscheidenden<br />

Schritt. Treten Künstler<br />

Wäre es nicht sinnvoller, bei oder Wissenschaftler endlich<br />

mit ihrem Werk an die<br />

SchülerInnen und Studierenden<br />

Öffentlichkeit, werden sie<br />

Kreativität, Beharrlichkeit, Mut<br />

in den seltensten Fällen<br />

zum selbstständigen Denken, aber mit offenen Armen empfangen.<br />

Als Einstein seine<br />

auch Eloquenz und Streitbarkeit<br />

zu fördern?<br />

spezielle Relativitätstheorie<br />

veröffentlichte, wurde sie<br />

anfangs totgeschwiegen. Andere Visionäre wurden verspottet, beleidigt<br />

und gedemütigt. Diese Fälle füllen eine Bibliothek. Sensible Menschen<br />

wie der Physiker Ludwig Boltzmann nahmen sich das Leben, andere wie<br />

der Mathematiker Georg Cantor oder der Mediziner Ignaz Philipp Semmelweis<br />

wurden psychiatrisch auffällig. Wieder andere verbrachten von<br />

der akademischen Nomenklatura gedemütigt ein Leben in der Provinz. In<br />

einem solchen Kampf ist deshalb Einsteins Stirn erneut gefragt, die große<br />

Nase allein führt hier nicht weiter. Als Robert Koch und Louis Pasteur<br />

im 19. Jahrhundert fast gleichzeitig proklamierten, dass viele Krankheiten<br />

von Bakterien verursacht werden, wurden beide mit beißendem Spott<br />

überzogen und viele der damaligen Granden hielten sie für geisteskrank.<br />

Während der schüchterne Koch von der akademischen Welt erst posthum<br />

42<br />

gewürdigt wurde, durfte Pasteur seinen Ruhm schon zu Lebzeiten genießen.<br />

Er ließ sich seinen Schneid nicht abkaufen und wusste sich als<br />

blendender Rhetoriker zu wehren.<br />

Wie steht es heute um die Förderung von Stirn und Nase? Werden Schüler<br />

und Studenten zu eigenständigen Denkern erzogen, die dicke Bretter<br />

bohren können und einen mit harten Bandagen geführten Diskurs nicht<br />

scheuen? Da sind Zweifel erlaubt. Während im Vorschulalter, vielleicht<br />

noch in der Grundschule das Bemühen zu erkennen ist, die Kreativität<br />

der Kinder ernst zu nehmen, so schwindet dieses auf der Oberschule.<br />

An seine Stelle tritt der Nürnberger Trichter, eine weit über das Ziel<br />

hinausschießende Wissensvermittlung, die den Schülern natürlich auch<br />

Disziplin abverlangt. Aber diese Disziplin, bei der nachgekaut wird, was<br />

andere schon vorgekaut haben, ist gänzlich verschieden von der, die man<br />

braucht, um eigenen Visionen eine<br />

Form zu geben. Diese entwickelt<br />

sich im Wechselspiel mit persönlichen<br />

Passionen. Für diese aber<br />

wird die Zeit knapp. Heutige Schüler<br />

absolvieren ein Arbeitspensum, das<br />

Gibt es dort Zeit und MuSSe<br />

für die Studenten, über den<br />

Tellerrand zu gucken?<br />

bei VW-Arbeitern schon lange zu massiven Protesten und Streiks geführt<br />

hätte. Wo bleibt da Zeit für eine individuelle, von der Schule unabhängige<br />

Entwicklung? An den immer stärker verschulten Universitäten verschlimmert<br />

sich das Problem. Gibt es dort Zeit und Muße für die Studenten, über<br />

den Tellerrand zu gucken? Fehlanzeige. In meiner Heimatstadt Tübingen<br />

sitzen in Lesungen bekannter Autoren oder in fächerübergreifenden Vorträgen<br />

des Studium Generale fast nur noch alte Menschen. Schütten wir<br />

auf diese Weise nicht das Kind mit dem Bade aus? Innovationsfähigkeit<br />

wird von allen Bildungspolitikern wie ein Mantra beschworen, einzig die<br />

dazu notwendigen Fähigkeiten werden weder gelehrt noch gefördert!


e Beziehung Persönlichkeitsentwicklung Polit<br />

Das ist dringlicher denn je. Auch die jungen Menschen,<br />

die ihr Studium in kürzestmöglicher Zeit und<br />

allerbesten Noten durchlaufen haben, ziehen eine<br />

gesicherte Versorgungslage den Fährnissen des<br />

freien Unternehmertums vor. Noch nie gab es so<br />

wenige Existenzgründer wie heute. Und auch den<br />

Universitäten würde frischer Wind guttun. Durch<br />

das gängige Berufungssystem – Gleichgesinnte berufen<br />

Gleichgesinnte, weil sie in Journalen, die von<br />

Gleichgesinnten begutachtet werden, Gleichgesinntes<br />

veröffentlicht haben – entstehen geistige Monokulturen,<br />

die nicht zwangsläufig zu großen wissenschaftlichen<br />

Umbrüchen führen. Das ändert sich auch<br />

nicht dadurch, dass laufend das Wort „Exzellenz“ im<br />

Mund geführt wird. Wirkliche „Exzellenz“ nährt sich<br />

aus anderen Quellen. Das hat Einstein sehr klar erkannt.<br />

Deshalb sollten wir uns nicht scheuen, seine<br />

pädagogische Formel auf die Fahnen zu schreiben.<br />

Wir brauchen eigenständige Denker mit einer individuellen<br />

Biografie, die sich trauen, dicke Bretter zu<br />

bohren, um dann in einem fruchtbaren Diskurs für<br />

die besten Ideen und Standpunkte zu streiten. Für<br />

diese Menschen müssen wir die Weichen stellen.<br />

Dazu brauchen wir keinen Intelligenztest.<br />

43


he und gesellschaftliche Kontexte einbeziehe<br />

Künstlerische<br />

Forschung<br />

Prof. Dr. Gesa Ziemer im Gespräch mit Sabine Huth<br />

Woher stammt der Begriff „künstlerisches Forschen“?<br />

Terminologisch beziehe ich mich auf eine Unterteilung im Bereich Künstlerische<br />

Forschung, die Christopher Frayling 1993 in seinem Artikel „Research<br />

in Art and Design“ gemacht hat. Es gibt erstens Forschung über die Kunst,<br />

zweitens Forschung für die Kunst und drittens Forschung durch die Kunst.<br />

Forschung über Kunst besagt, dass die Forschenden eine große Distanz<br />

zu dem zu beforschenden Objekt (ein Bild, eine Performance etc.) einnehmen.<br />

Aus der Vogelperspektive wird Kunst beobachtet, beschrieben,<br />

kategorisiert oder historisiert. Klassische Kunst- oder Theatergeschichte<br />

funktioniert in dieser Art. Im zweiten Fall erforschen die Forschenden<br />

Materialien oder Anwendungen für die Produktion von Kunst. Diese angewandte<br />

Forschung, die auch instrumentelle Perspektive genannt wird,<br />

entwickelt etwa Material für Musikinstrumente oder erforscht Licht für<br />

Bühnenkünstler. Am interessantesten und auch umstrittensten ist der<br />

dritte Anspruch, denn hier steht nicht die Distanz zur Kunst im Mittelpunkt,<br />

sondern es wird von einem gleichberechtigten Verhältnis von Kunst<br />

und Theorie ausgegangen. Kunst wird nicht beforscht, sondern sie forscht<br />

selber. Mit ihren spezifischen – oft nicht primär sprachlichen – Verfahren<br />

(wie z.B. visuellen, tonalen oder körperlich-performativen) tritt sie in den<br />

Dialog mit der Theorie, die sich eher sprachlich-begrifflich äußert.<br />

44


n Positive Erfahrungen in der Gruppe Präsenta<br />

Was fasziniert Sie an der künstlerischen Forschung und wie sind Sie<br />

dazu gekommen?<br />

Ich konnte mich lange nicht entscheiden, ob ich gestalterisch tätig sein<br />

wollte oder eine wissenschaftliche Karriere einschlagen sollte. Ich habe<br />

gleich engagiert Philosophie studiert und im Theater gearbeitet. Bis ich<br />

gemerkt habe, dass ich mich gar nicht entscheiden muss, denn genau<br />

diese Schnittstelle ist sehr produktiv und auch noch nicht sehr stark beforscht.<br />

Meine Philosophieauffassung liegt sehr nah bei der Kunst, denn<br />

ich vertrete ein sehr kreatives, begriffschöpfendes Philosphieverständnis.<br />

Die Geisteswissenschaft scheint mir im Allgemeinen sehr unkreativ und<br />

ängstlich zu sein und könnte diesbezüglich von der Kunst lernen; vor<br />

allem könnte sie ihr enges Methodenrepertoire erweitern. Die Kunst hingegen<br />

ist manchmal sehr unreflektiert, es herrscht der Mythos des rein<br />

Subjektiven. Dort wiederum kann die Theorie scharfe Begriffe und Entstehungsgeschichten<br />

von Diskursen einbringen.<br />

Wer beschäftigt sich mit dieser Art des Forschens? Gibt es ein Netzwerk<br />

„künstlerischer Forscher und Forscherinnen“?<br />

Während diese Debatte in England und auch in Skandinavien weiter fortgeschritten<br />

ist, fängt man im deutschsprachigen Raum erst jetzt an, Orte<br />

zu kreieren und zu definieren, an denen Forschung durch Kunst stattfinden<br />

kann. Häufig sind es Kunsthochschulen, die eine Infrastruktur für<br />

solche Projekte zur Verfügung stellen. Hinzu kommen interdisziplinäre<br />

Forschungsinstitute, an denen Künstler und Wissenschaftler zusammenarbeiten,<br />

PHD-Programme, aber auch neue Studienordnungen an Universitäten,<br />

die es schon BA- oder MA-Studierenden erlauben, nicht „nur“<br />

mit einem akademischen Text, sondern auch mit einem Videoessay, einer<br />

Performance oder einer Installation abzuschließen. Daneben gibt es viele<br />

informelle Netzwerke.<br />

45


n Prozess und Produkt Prozessorientierung Q<br />

Wie verändern sich Ergebnisse und Prozesse in der künstlerischen<br />

Forschung? Welche Erfahrungen haben Sie in Ihren Forschungsprojekten<br />

gemacht?<br />

Künstlerische Forschung verknüpft beide Stärken, um etwas Drittes zu<br />

produzieren. In meinen beiden größeren Forschungsprojekten „Verletzbare<br />

Orte“ und „Komplizenschaften“ haben Tänzer, Juristen, Theoretiker<br />

Innen, Musiker, UnternehmensberaterInnen, Behindertenaktivisten etc.<br />

zusammengearbeitet. Forschung wird dann interessant, wenn man ein<br />

Klima herstellen kann, in dem alle auf Augenhöhe miteinander diskutieren.<br />

Kunst darf in so einem Setting auf keinen Fall zur Dekoration benutzt<br />

werden, und Theorie darf die Kunst nicht besserwisserisch erklären.<br />

Wie können Schulen, Kinder, Jugendliche und Lehrer von diesem Forschungsbegriff<br />

profitieren, damit umgehen und ihn umsetzen?<br />

Wir fordern z.B. in der Bewerbung für unserem neuen BA-Studiengang<br />

„Kultur der Metropole“, den ich an der HafenCity Universität Hamburg leite,<br />

einen Bild-Text-Essay zum Thema Stadt. Es sollen nicht nur die Schulnoten<br />

zählen, sondern uns interessiert genauso das kreativ-gestalterische<br />

Potenzial der Studierenden. Was zählt, ist neben einer interessanten Fragestellung,<br />

auch die Qualität der Bilder und der Bezug zum Text, den die<br />

BewerberInnen herstellen müssen. Diese Verbindung thematisieren auch<br />

forschende Künstler. Wie kann man Bilder und Texte in ein Verhältnis<br />

setzen, ohne dass das eine das andere einfach illustriert? Ich nenne die<br />

Arbeit des Künstlers Alan Sekulas mit dem Titel „Fish Story“, eine frühe<br />

Recherche über Globalisierung, in der Fotografien und Texte in ein sehr<br />

poetisches Verhältnis zueinander gestellt werden. Solche Beispiele aus<br />

der Kunst könnten als Modelle dienen.<br />

46<br />

Wie kann künstlerisches Forschen in Schulen gestaltet werden?<br />

Ich denke, dass Lehrende, wenn sie Kreativität anregen wollen, nicht<br />

nur Wissensvermittler sein sollten. Kreativität fordert ein vertrauensvolles<br />

Klima, in dem die SchülerInnen Ideen entwickeln können, die unfertig,<br />

komisch, falsch oder unangenehm sind. Wer kreativ ist, setzt etwas aufs<br />

Spiel – seine Kompetenz, seinen Stil, seinen Ruf –,was auch immer.<br />

Lehrende sollten sich eher als Komplizen der Schüler verstehen denn als<br />

Instanzen des Wissens.<br />

Welche Bedeutung haben für Sie „Komplizenschaften“ an Schulen und<br />

anderen Bildungseinrichtungen?<br />

Komplizenschaft heißt Mittäterschaft; in komplizitär organisierten Gruppen<br />

werden alle gleichermaßen für das Delikt zur Verantwortung gezogen.<br />

Ich plädiere dafür, das Wort positiv zu besetzen, denn auch in einem<br />

komplizitären Lehr- und Lernverhältnis geht es darum, gemeinsam etwas<br />

zu entwickeln und auch Grauzonen zuzulassen. Diese sind für kreative<br />

Prozesse enorm wichtig. Als Lehrende, die Komplizin ist, fühle ich mich<br />

genauso für die Qualität einer Master-Ausstellung verantwortlich wie die<br />

Studierenden. Mich würde es freuen, wenn SchülerInnen mit dem Anspruch<br />

an die Uni kämen, Verbündete (auch im Lehrpersonal) zu suchen<br />

und nicht nur Meister. Es wäre schön, wenn SchülerInnen ein angstfreieres<br />

Verhältnis zur Kunst entwickeln. Ich erlebe immer noch oft, dass<br />

Kunst verstanden werden will. Dabei ist starke Kunst gerade diejenige,<br />

die man nicht versteht, die einen in Bereiche führt, in denen es nichts<br />

mehr zu verstehen gibt.<br />

Zudem ist es klar, dass Komplizenschaften auch unter Lehrenden eingegangen<br />

werden sollen, um den Kunstunterricht in Schulen zu stärken. Es<br />

ist ganz deutlich zu beobachten, dass künstlerische Kompetenzen heute in<br />

vielen anderen – sehr kunstfernen – gesellschaftlichen Bereichen benötigt


ualität des Angebots Querdenken fördern Rä<br />

werden. Kreativität gehört heute zur Schlüsselkompetenz für jeden, der<br />

sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten will. Aufgrund dieser gesellschaftlichen<br />

Transformationen ist gerade kulturelle Bildung an Schulen heute ein<br />

Kerngeschäft.<br />

Woran forschen Sie gerade? Welche Wünsche und Ideen haben Sie<br />

für die Zukunft?<br />

Ich beobachte eine Entwicklung, die ich problematisch finde: Kunst wird<br />

zurzeit stark akademisiert. Kunsthochschulen führen z.B. PHD-Programme<br />

ein, welche die Arbeiten nach akademischen Kriterien beurteilen. Wichtiger<br />

fände ich, dass Kunst ihre Eigenheiten stark machen kann. Kunst stellt<br />

Fragen und beantwortet keine Probleme, Kunst beharrt auf Vieldeutigkeiten,<br />

anstatt Eindeutigkeiten herzustellen, Kunst konfrontiert mit Nicht-<br />

Wissen, anstatt eine weitere Erkenntnistheorie zu liefern. Kurz: Kunst<br />

forscht und weiß nichts. Ein forschender künstlerischer Ansatz produziert<br />

etwas Anderes, Drittes, Qualitäten im Zwischenraum.<br />

Wenn man die Kunst ernst nimmt, transformiert sie zuerst einmal unseren<br />

engen (wissenschaftlichen) Forschungsbegriff. Eine Eingemeindung<br />

und Befriedung der Kunst durch rationale und objektive Kriterien wissenschaftlicher<br />

Bewertung muss verhindert werden. In diesem Sinne<br />

wünsche ich mir als Wissenschaftlerin eine künstlerische Forschung, die<br />

vor allem unseren engen Wissenschaftsbegriff erweitert. Dazu gehört im<br />

Übrigen auch ein Vertrauen in Humor (eine große Qualität der Künstler),<br />

welcher der Wissenschaft nur guttun kann.


Künstlerische Workshops<br />

49


Der Körper<br />

als Instrument<br />

Constanze Albrecht<br />

Fernab von Leistungsdruck werden Sie in diesem<br />

Workshop Ihre Stimme erleben und lernen,<br />

Ihren stimmlichen Fähigkeiten zu vertrauen.<br />

Experimentiert wird mit Übungen zur Klang- und<br />

Körperwahrnehmung nach der Lichtenberger®-<br />

Methode, die auf die Optimierung der Stimmfunktion<br />

direkten Einfluss haben. Sie werden erfahren,<br />

wie Ihre Stimme klangvoller und tragfähiger<br />

werden kann, ohne dass Sie sich dafür körperlich<br />

anstrengen müssen.<br />

50


Allen Lehrenden, aber auch allen darstellenden Künstlern ist eines<br />

gemeinsam: Sie wollen gehört werden; sie möchten andere erreichen.<br />

Dieser verständlichen Absicht wird erfahrungsgemäß körperlich und<br />

stimmlich sehr viel Nachdruck verliehen. Steht der Kehlkopf jedoch unter<br />

Druck, kann er nicht optimal schwingen. Die Stimmlippen können sich nur<br />

schwer schließen, das umliegende Gewebe versteift und kommt für die<br />

Klangverstärkung nicht infrage. Die Stimmen klingen leise oder hart. Die<br />

körperliche Anstrengung ist groß. Das Klangspektrum ist eingeschränkt.<br />

Mein Vorhaben war, folgende grundsätzliche Erfahrungen zu vermitteln:<br />

Die Klangqualität der Sprech- und Singstimme wird gesteigert, wenn es<br />

gelingt, das eigene Sprechen oder Singen sinnlich zu erleben, also beim<br />

„Senden“ selbst „Empfänger“ zu sein, die Zuhörenden empfinden die im<br />

„Empfangsmodus“ gesungenen oder gesprochenen Klänge als angenehmer<br />

und klangvoller. Diese Erkenntnisse könnten weitreichende Folgen für den<br />

beruflichen Alltag haben, für die Art und Weise, wie man etwas vorträgt.<br />

51<br />

Ich arbeitete mit der Lichtenberger®Methode, eine Stimulanz- und<br />

Fragepädagogik in Bezug auf die Stimmentwicklung.<br />

Zu Beginn des Workshops standen Übungen, die den Teilnehmenden<br />

ermöglichen sollten, in Beziehung zum eigenen Klangerleben zu kommen<br />

und die gleichzeitig das „Empfangen“ schulen. Sie sangen einzelne Töne<br />

auf die Vokale o-a-o und ich stellte ihnen dazu folgende Fragen:<br />

Woran merkt ihr, dass ihr singt? Wo vibriert es? Am Kehlkopf? Wie weit<br />

geht das? Vergrößert mit den Händen eure Ohrmuscheln! Wie hört sich<br />

der Klang vor euch an? Er wurde kräftiger und schwingungsreicher. Nehmt<br />

die Hände weg! Könnt ihr mit der Erinnerung an das Gehörte singen?<br />

Der Klang blieb genauso vibrationsreich, die Teilnehmenden empfanden<br />

weniger Anstrengung. (Der Kehlkopf profitiert vom Hören.)<br />

Legt die Hände vor die Ohren, sodass ihr den Klang hinter euch hört!<br />

Könnt ihr ihn noch hören, wenn ihr die Hände wegnehmt?


Es folgten Übungen, in denen das Erlebte auf die Sprechstimme übertragen<br />

wurde, mit dem Text von „Der Mond ist aufgegangen“. In einer<br />

speziellen Übung zum „Empfangen und Senden“ bildeten die Teilnehmenden<br />

einen Innen- und einen Außenkreis. Die äußere Gruppe sang in zwei<br />

Varianten: einmal mit „Sendungsbewusstsein“, also mit der Motivation,<br />

die Menschen in der Mitte erreichen zu wollen, und dann im „Empfangsmodus“,<br />

also im Zustand des eigenen Klangerlebens. Die Gruppe in der<br />

Mitte wusste nicht, welche Variante zuerst gewählt wurde.<br />

Das Ergebnis: Die innere Gruppe nahm deutliche Unterschiede wahr, obwohl<br />

die Tonhöhe und die Vokale gleich waren: Beim „Senden“ empfanden<br />

sie sich bedrängt und den Klang als scharf und teilweise schmerzvoll.<br />

Beim „Empfangen“ fühlten sie sich selbst als Vibrationskörper und den<br />

Klang als obertonreicher. Er berührte sie mehr.<br />

Für den beruflichen Alltag könnte das heißen: Wenn es gelingt, beim<br />

Sprechen oder Singen die Aufmerksamkeit auf das eigenes Klangerleben<br />

zu richten, also wegzukommen von der Idee, andere erreichen zu<br />

müssen, ist das Frequenzspektrum reicher. Der körperliche Krafteinsatz<br />

verringert sich. Die Stimme ist tragfähiger, ohne scharf zu sein. Das Gegenüber<br />

erlebt sie als angenehm. Gesungene oder gesprochene Inhalte<br />

haben so mehr Chancen, gehört zu werden. (Hier sei kurz erwähnt, dass<br />

die „Idee vom Empfangen“ oder vom „Aufnehmen der Schwingungen“<br />

das Schließen der Stimmlippen optimiert, während das „Senden“ oder<br />

das „Jemanden-Erreichen-Wollen“ oft zu einem Überdruck führt, der sie<br />

aufbläht und die Stimmgebung erschwert.)<br />

Auf den Rückmeldebögen berichteten die Teilnehmenden, dass sie Folgendes<br />

fasziniert habe:<br />

die Vibrationserfahrung + der Klang im Kopf + die Beeinflussung des<br />

Singens durch die Wahrnehmung + die Veränderung der Stimme durch<br />

Hinhören + die Verbindung von Stimme und Körper + die Steigerung der<br />

stimmlichen Kraft in kurzer Zeit.<br />

Folgendes wollen sie in ihren Alltag integrieren:<br />

beim Sprechen mehr „bei sich bleiben“ + die Erinnerung an die Vibrationen<br />

und das damit verbunden Gefühl, den Körper als Instrument zu<br />

erleben + mehr auf die eigene Stimme hören + auf dem Hin- und Rückweg<br />

öfter singen + Schwingung und Raum innen in den Klangraum nach außen<br />

tragen + dranbleiben + Erkenntnis: Nicht Lautstärke, sondern Schwingung<br />

gibt die Qualität. Und: Ich darf mich beim Sprechen und Singen selbst<br />

erleben.<br />

52


hythm,<br />

improvisation,<br />

now<br />

Dieter Markowsky<br />

Im Workshop geht es um musikalisch-rhythmische<br />

Begegnungen und das gemeinsame Gestalten eines<br />

Rhythmuskreises. Dabei stehen die Freude beim<br />

Zuhören und die eigene kreative Aktivität im Vordergrund<br />

– vor Leistung und Perfektion, unabhängig<br />

vom musikalischen Können sowie dem eigenen<br />

kulturellen Hintergrund. Bei der Gestaltung des<br />

Rhythmuskreises wird mit Gesang, Bodypercussion<br />

und auf Instrumenten improvisiert. Es werden<br />

individuelle rhythmische Ressourcen entdeckt und<br />

erlebt, erweitert und in den gemeinsamen Prozess<br />

gestellt. Das Seminar soll dazu anregen, selbst auszuprobieren<br />

und das Entdeckte weiterzuentwickeln.<br />

Dieses Angebot bietet einen Zugang, Rhythmus mit<br />

allen Sinnen zu erfahren, sich tragen zu lassen,<br />

herausfallen zu dürfen und wieder einfinden zu<br />

können oder im Hören und Fühlen zu verweilen und<br />

auch ohne Worte zu kommunizieren.<br />

53


Rhythmuserlebnisse lassen sich nur schwer durch Worte vermitteln, vielmehr<br />

geht es darum, ins Spielen und Improvisieren zu kommen. Meine<br />

Aufgabe war die des Vermittlers („Facilitator“), der arrangiert und orchestriert<br />

und den Teilnehmenden einen einfachen Weg in die Welt der Musik<br />

und des Rhythmus eröffnet. Dabei spielt es keine Rolle, wie viel musikalische<br />

Erfahrung oder welchen kulturellen Hintergrund die Einzelnen haben.<br />

In einem offenen Trommelkreis („Drum Circle“) stellte ich Trommeln und<br />

Perkussionsinstrumente aus verschiedenen Ländern vor. Die Teilnehmenden<br />

waren sofort von Handhabung, Klangvielfalt und der Exotik der<br />

Instrumente fasziniert. Als Einstieg und Grundlage unseres gemeinsamen<br />

Rhythmusausflugs klatschten wir jeden Vor- und Nachnamen, um<br />

gemeinsam das rhythmische Muster („Pattern“) zu erleben und spürbar<br />

zu machen. Dabei entstand eine Vielzahl spannungsreicher Muster. Dann<br />

sollten alle das eigene Vor-/Nachnamen-Pattern auf das von ihnen gewählte<br />

Instrument übertragen und fortlaufend spielen. Ziel war es, in<br />

den rhythmischen Ablauf hineinzufinden. Dabei konnte man den eigenen<br />

Namensrhythmus verlassen und frei improvisieren oder bei diesem bleiben.<br />

Im gemeinsamen Gestalten des Rhythmuskreises gab es viel zu<br />

entdecken: das Gestalten mit den verschiedenen musikalischen Basiselementen<br />

wie zum Beispiel Tempo, Dynamik, Melodie und Lautstärke. Jeder<br />

war am gemeinsamen Geschehen beteiligt und konnte dieses durch sein<br />

Spielen gestalten.<br />

Als Facilitator gab ich durch Körpersprache verschiedene Aktionen in die<br />

Gruppe hinein, die den Verlauf unterstützten und dazu einluden, die Rolle<br />

als Facilitator selbst zu übernehmen. So entstand ein „Call and Response“-<br />

Spiel: Ein Teilnehmer spielte auf der Glocke eine Folge von Schlägen und<br />

die Gruppe antwortete darauf. Eine Kleingruppe blieb bei ihrer Improvisation,<br />

gleichzeitig reagierte der andere Teil der Gruppe im „Call and<br />

Response“-Spiel auf eingegebene Signale des Vermittlers.<br />

Für mich war es eine Freude zu erleben, wie alle mehr und mehr zu ihrem<br />

rhythmischen Ausdruck fanden. Dabei wurde kraftvoll getrommelt, langsam<br />

und kontinuierlich, leise, mutig, schnell und wechselnd, rhythmisch,<br />

verträumt, ängstlich, herausfordernd, melodisch, im Dialog und vieles<br />

mehr. Es entwickelte sich ein gemeinschaftliches Miteinander, ein improvisierendes<br />

Perkussions-Ensemble, das Lust auf mehr machte.<br />

54


Ka le ba schi Ka le ba schi Ka le ba schi Ka le ba schi Puls<br />

Die ter Mar kow sky Die ter Mar kow sky Namen<br />

Rü di ger Mus ter Rü di ger Mus ter Namen<br />

tR tL tR tL FuSS<br />

Praxis-Beispiel: Namen-Rhythmus<br />

• Zu Beginn startet ihr mit dem Klatschen eures<br />

Vor- und Nachnamens.<br />

• Sucht euch einen weiteren Mitspieler,<br />

der wiederum seinen Namen klatscht.<br />

• Findet einen gemeinsamen Grundschlag.<br />

• Dann beginnt einer von euch mit dem Klatschen<br />

und der nächste steigt ein, wenn er den Impuls verspürt.<br />

• Wenn ihr keine Instrumente zur Verfügung habt,<br />

nehmt das, was grade zur Hand ist, z.B. Gläser, Tisch,<br />

den eigenen Körper (klatschen, patschen, Brust klopfen).<br />

Viel Spaß beim Ausprobieren!


Expansion<br />

Tanz<br />

Karen Bösser<br />

Haltung, Gesten und Blicke<br />

im Raum, Eindrücke von<br />

Orten und Plätzen werden<br />

umgesetzt in tänzerische<br />

Bewegung. Ausgehend von<br />

einfachen Übungen zum<br />

Platzieren des Körpers geht<br />

es um die Sensibilisierung<br />

und Orientierung anhand<br />

von Bewegung im Raum.<br />

Der Kreis als Unterrichtsform<br />

steht symbolisch für Schutz<br />

und Sicherheit aufgrund<br />

seiner in sich geschlossenen,<br />

vollkommenen Form.<br />

56


Übungsformen und Ziele<br />

Vorstellungsrunde und Warm-up:<br />

Den eigenen Körper wahrnehmen und erleben<br />

Jeder erfindet zu dem eigenen Namen eine passende Bewegung. Die<br />

Gruppe wiederholt den Namen mit der Bewegung, sodass eine Bewegungssequenz<br />

entsteht. Warm-up: einfache Übungen zum Platzieren<br />

des Körpers und Sensibilisieren der Körperwahrnehmung, z.B. einfache<br />

Rotationen der Wirbelsäule in der waagerechten Ebene mit dem Ziel, die<br />

Flexibilität im emotionalen Bereich zu stimulieren.<br />

Tai-Chi-Übung „Cloud Hands“ zum Energetisieren der Hände als Ansatz für<br />

die Möglichkeit, besser zu „begreifen“.<br />

Stärkung des sozialen Gleichklangs in der Gruppe:<br />

Die anderen Mitspieler im interaktiven Umgang erleben<br />

Im Kreis synchron gehen, um das eigene Zentrum zu spüren, das Zentrum<br />

der Kreismitte zu finden, in der sich alle Zentren der Gruppe mischen.<br />

Eine Person geht mit geschlossenen Augen schlangenförmig durch die<br />

Lücken zwischen den Teilnehmenden. Ziele sind: Sensibilisieren und Stimulieren<br />

der Sinne, eigenes Erleben der Gewichtsverlagerung beim Slalom, taktile<br />

Eindrücke beim Anstoßen an die Stehenden sowie Raumorientierung.<br />

Aus dem Kreis wird eine Person mit geschlossenen Augen losgeschickt,<br />

sie geht durch den Raum und wird, sobald sie den Rand erreicht, von dem<br />

dort Stehenden empfangen und mehrmals wieder zurück in den Kreis<br />

geschickt. Ziel ist: Wahrnehmung des Alleine-Gehens im Raum und die<br />

der gefühlten nonverbalen Begegnung.<br />

Dann wird der durch den Raum wandernden Person ein Erlebnis vermittelt<br />

– sie wird z.B. zum geführten Tanz eingeladen, gestoppt, gehoben.<br />

Ziel ist: fürsorgliche, aufmerksame Verantwortung für die blinde Person zu<br />

übernehmen, aber auch Vertrauen und Aufmerksamkeit zu geben. Fragen:<br />

Welche Form der Berührung gab Sicherheit? Was fühlte sich grob oder<br />

fahrlässig an? Welche Form der Berührung gebe ich aufgrund meiner eigenen<br />

Erfahrung an andere weiter?<br />

Einleitung und Vertiefung der Raumwahrnehmung: Eine Person steht mit<br />

geschlossenen Augen im Kreis, die Teilnehmenden pirschen sich langsam<br />

von allen Seiten an. Die Versuchsperson teilt mit, von welcher Seite sie<br />

eine „Information“ empfängt. Was nehme ich wahr? (Licht, Geräusche,<br />

Menschen, Geruch, Wärme?) Welche Körperseite ist wach oder schwach<br />

in der Wahrnehmung? Wie empfinde ich den Raum um mich?<br />

Eine sinnliche „Multitasking-Tanzpartitur“ in drei Gruppen:<br />

Den Mitspieler und den Raum situativ erfahren<br />

Die einzelnen Gruppen suchen sich die spannendste, atmosphärischste<br />

oder merkwürdigste Stelle im Raum aus.<br />

An den gewählten Orten wird in Bezug zur spezifischen Raumarchitektur<br />

eine Choreografie erarbeitet.<br />

Jede Gruppe stellt gemeinsam eine Bewegungssequenz her, d.h., jede<br />

Person steuert drei Bewegungen zur Choreografie bei, die anschließend<br />

der Rest der Gruppe lernt.<br />

Nach dem gegenseitigen Anschauen der „Tanz-Raum-Installation“ werden<br />

alle Choreografien gleichzeitig in den Raum gesetzt und performt: Beim<br />

Performen, im Miteinander mit der Gruppe stand die Auseinandersetzung<br />

mit der Beschaffenheit des gewählten Ortes im Mittelpunkt sowie das<br />

Wahrnehmen der Mitperformer im ganzen „Bühnenbereich“.<br />

57


Krisenfest:<br />

Theater<br />

Peter Frohleiks<br />

Warum überhaupt das Risiko eingehen und Improvisationstheater<br />

machen? Fragen Sie die Eintagsfliege!<br />

„Stellen Sie sich vor, Sie wären eine Eintagsfliege. Dieser Tag heute<br />

ist dann sozusagen der schönste und wichtigste Tag in Ihrem Leben,<br />

den können Sie ja wohl nicht so einfach vertrödeln oder so. Sie haben<br />

keine Zeit zu verlieren und Sie können ja auch schlecht auf bessere Tage<br />

warten. Sie können nicht einfach sagen: ‚Das ist nicht mein Tag heute,<br />

ich hau mich mal wieder hin!‘ Nichts da, Pustekuchen! Auch wenn Sie<br />

vielleicht mit dem falschen Bein aufgestanden sind und es da ja jetzt<br />

deutlich mehr Möglichkeiten gibt, sich zu vertun – Pech gehabt! Das<br />

kann einem zwar den ganzen Tag versauen, aber bitte schön: Da muss<br />

man sich morgens beim Aufstehen eben mal ein bisschen konzentrieren.<br />

Gehen Sie also nicht so leichtfüßig mit Ihrem kostbarsten Tag um.<br />

Es kann einen ja als Eintagsfliege ohnehin schon hart genug treffen.<br />

Stellen Sie sich vor, Sie werden im Sommer in Deutschland geboren,<br />

dann haben Sie wahrscheinlich Ihr ganzes Leben lang Regen. Oder Sie<br />

wollen ins Kino und sehen schon von Weitem: Heute Ruhetag! Bitte<br />

kommen Sie morgen wieder! Und dann auch die berufliche Situation.<br />

Sie haben nie die Aussicht auf eine Ausbildung oder gar ein Studium,<br />

sondern bleiben immer einfacher Tagelöhner. Jetzt werden Sie sagen:<br />

‚Das ist doch einfach gemein, wo bleibt da die soziale Gerechtigkeit?‘<br />

Das ist richtig, aber andererseits haben Sie jeden Tag Ihres Lebens<br />

Geburtstag und bekommen Ihr ganzes Leben lang Geschenke! Sie<br />

müssen sich nie Sorgen um Ihre Rente machen, für Sie ist kein Tag wie<br />

der andere, Sie brauchen nie für den nächsten Tag einzukaufen, haben<br />

immer die richtige Tageszeitung und wenn Sie auf einer Party Ihren<br />

Traumtyp treffen, hören Sie bestimmt nicht: ‚Tut mir leid, ich bin nicht<br />

für einen One-Night-Stand zu haben, ich suche eine feste Beziehung fürs<br />

Leben!‘ Nein, so einen Blödsinn würde man dann nicht hören wollen!<br />

Und ganz bestimmt würden Sie sich nicht Ihren einzigen Tag durch irgendwelches<br />

sinnloses Zeug vermiesen lassen. Sie würden das machen,<br />

worauf es im Leben, ob kurz oder lang, ankommt: Scheitern mit Spaß!<br />

Sie würden mit Sicherheit lebenslang Improvisationstheater spielen.“<br />

59


Die meisten Teilnehmenden im Workshop „Krisenfest: Theater“ hatten<br />

noch keine Erfahrungen im Bereich Theater. Ziel war es daher, allen<br />

in der kurzen Zeit einen Eindruck von den Grundlagen und Methoden<br />

des Improvisationstheaters zu vermitteln. Voraussetzung dafür war es,<br />

möglichst schnell ein Klima zu erzeugen, in dem praktische Erfahrungen<br />

angstfrei gemacht werden können. Ich versicherte deshalb, dass Fehler<br />

beim Improvisationstheater nicht nur erlaubt, sondern absolut erwünscht<br />

seien, dass Scheitern mit Spaß geradezu unabdingbar sei und dass man<br />

überhaupt erst durch Fehler lernen könne, Improvisationstheater immer<br />

besser zu spielen.<br />

So war bereits der Einstieg im dynamischen Klatschkreis von mir bewusst<br />

darauf angelegt, Fehler zu provozieren. In diesem Fall hieß dies, die Teilnehmenden<br />

rasch an ihre koordinativen, rhythmischen Grenzen heranzuführen<br />

und dabei auch noch – oder gerade deswegen – Spaß zu haben.<br />

Dass allen – auch mir – irgendwann zwangsläufig Fehler unterliefen,<br />

machte es leicht, über sich zu lachen und gleichzeitig spielerisch wachsame<br />

Präsenz zu erlangen, sich gegenseitig bewusst wahrzunehmen.<br />

Es folgten einige kurze Körperübungen zum Thema Anspannung/Entspannung,<br />

freies und themengebundenes Assoziieren im Kreis und anschließend<br />

einfache Übungen und Spiele des Improvisationstheaters. Nachdem<br />

die jeweiligen Spielregeln vermittelt waren, forderte ich beim Spielen<br />

immer wieder dazu auf, sich in rascher Folge in die Rolle der Zuschauer<br />

oder der Spieler zu begeben und ohne allzuviel Abwägen und Nachdenken<br />

spontanen Eingebungen zu folgen. Sehr schnell entstand während der<br />

Spiele eine heitere, gelöste Stimmung und die Angst, sich eventuell durch<br />

einen Einfall zu „blamieren“, trat sichtlich in den Hintergrund.<br />

Bei der abschließenden Feedbackrunde waren viele über die offensichtliche<br />

Originalität und Kreativität der eigenen Einfälle und der der anderen<br />

sowie die insgesamt lustvolle Atmosphäre erstaunt bis begeistert.<br />

60


Variationen<br />

des Sehens<br />

Elmar Mauch<br />

Dieser Workshop wird in eineinhalb Stunden die Möglichkeiten und<br />

Variationen des Sehens anschaulich machen. Ausgehend von fotografischen<br />

Bildern wird in die Thematik des subjektiven Blickes eingeführt.<br />

Grundüberlegungen: Um zu einem gestalterischen Produkt oder einem<br />

künstlerischen Werk zu gelangen, müssen Entscheidungen getroffen<br />

werden. Ausgehend von einer Position (Standpunkt) wird eine Perspektive<br />

(Blick) eingenommen, um zu einem Entwurf (Bild) zu kommen.<br />

Grundlage und Ausgangspunkt all dieser Vorgänge ist das Sehen. Und<br />

dieses unterliegt höchst subjektiven Kriterien, die in diesem Workshop<br />

anschaulich gemacht werden.<br />

Bilder sind wandlungsfähig – sie ermöglichen Zugänge zu Abwesendem –<br />

ihre Wirkung hängt vom Erfahrungshorizont der Betrachter ab –<br />

sie agieren bis in den nichtsprachlichen Bereich – es gibt so etwas<br />

wie eine visuelle Intelligenz bzw. Erfahrung – diese setzt<br />

Empathiefähigkeit voraus – ich muss mich einlassen –<br />

dann kann ich die Hintergründigkeit der Bilder entdecken<br />

Dieses waren meine Grundüberlegungen und der Ausgangspunkt für<br />

den Workshop. Mir war wichtig, dass die Teilnehmer durch praktische<br />

Übungen in verschiedene Denk- und Gestaltungsprozesse eingebunden<br />

wurden. So sollten sie durch eigenes Erfahren, durch direktes Anwenden,<br />

Durchdenken und Erproben einiges über die Grundlagen des Mediums<br />

Fotografie und über die Subjektivität unserer visuellen Wahrnehmung<br />

erfahren. Andererseits sollte das Gesehene in ein aktives Handeln und<br />

bewusstes Entscheiden umgesetzt werden. Sensibilisierung für latente<br />

Bilder und beginnende Autorenschaft galt es zu verbinden.<br />

61


das Abbild – die Welt bildet sich selber ab (Camera Obscura) –<br />

der Fotoapparat ist ein Reduktionsinstrument – er nimmt Ausschnitte<br />

aus der sichtbaren Wirklichkeit<br />

Anhand eines Kameramodells zeigte ich die Wirkungsweise von Kameras<br />

und versprach den Teilnehmern, dass wir uns jetzt in die Kamera<br />

hineinbegeben würden. Wir betraten im Schein einer Taschenlampe den<br />

dunklen Nebenraum. Erst war man von vollkommener Dunkelheit umgeben.<br />

Erst langsam war die kleine Öffnung zu erkennen, durch die Licht in<br />

den Raum fiel. Und nach etwa drei Minuten waren auf der weißen Wand<br />

Schemen zu erkennen. In der dunklen Kammer waren wir alle Beobachter<br />

von optischen Phänomenen, die immer klarer wurden, je mehr sich das<br />

Auge der Dunkelheit angepasst hatte. Langsam wurde die Projektion des<br />

Außenraumes, der auf dem Kopf stehend und seitenverkehrt auf die Rückseite<br />

des Raumes projiziert war, zu erkennen. Der helle Teil am Boden war<br />

der Himmel. Der dunkle Streifen in der Mitte ließ sich als Siebengebirge<br />

erkennen. Und oben war der Rhein zu sehen. Dazu ein Baum, ein Geländer,<br />

die Hausfassade. Das Erstaunen war groß, als dann sogar Rheinschiffe<br />

durch die Bildfläche fuhren.<br />

Das Prinzip dieser dunklen Kammer, in die durch ein kleines Loch Licht von<br />

außen hineinfällt und ein Abbild der äußeren Wirklichkeit auf dem Kopf<br />

stehend zeigt, ist schon mehr als 2000 Jahre bekannt. Dieses Abbild aber<br />

festhalten, d.h. fixieren zu können, war die Geburtsstunde der Fotografie.<br />

62<br />

Es war von mir ein bewusster Schritt, im Zeitalter digitaler Bilder, die<br />

allzuoft latent bleiben, zu den Ursprüngen des Sehens zurückzugehen.<br />

Jetzt hatten wir also dem Entstehen eines Bildes zugeschaut und das<br />

Staunen gelernt. Genau nach dem gerade gesehenen Prinzip funktioniert<br />

auch unser Auge. Aber die Netzhautbilder müssen dann noch vom Gehirn<br />

verarbeitet werden. Und dieses Prinzip des Verarbeitens probierten wir<br />

nun anhand des Ausschnittsuchens innerhalb einer Bildpostkarte aus. Ein<br />

langweiliger und ein spannender Bildteil sollte von jedem, mithilfe einer<br />

24 x 36 mm großen Schablone, gefunden und ausgeschnitten werden.<br />

Interessant war es zu sehen, wie unterschiedlich die Entscheidungen<br />

anhand des selben Bildes getroffen wurden. Was einige für langweilig<br />

hielten, erschien anderen spannend. Wir redeten also über die Relativität<br />

von Entscheidungskriterien.<br />

finden und entscheiden – Ausschnitt festlegen nach unterschiedlichen<br />

Kriterien – was entsteht?<br />

In einem weiteren Schritt ging es darum, beim Gang durch den Garten<br />

der Villa Prieger ein einziges Bild, einen einzigen Ausschnitt der sichtbaren<br />

Wirklichkeit zu suchen. Mithilfe einer Schablone konnten Teile des<br />

Sichtfeldes ausgeblendet werden. Es ging darum, sich Gedanken zu machen,<br />

wieso dieser eine Ausschnitt aus dem unendlichen Angebot der<br />

sichtbaren Wirklichkeit auch für andere von Interesse sein könnte. Es<br />

sollte dabei geübt werden, Bilder mal nur zu denken. Angesichts der Tatsache,<br />

dass wir heute jederzeit unendlich viele Bilder machen können und


dabei vielleicht die Konzentration auf das Wesentliche vernachlässigen,<br />

war dies eine Übung, Blick und Gedanken zu erfahren, ohne sie materialisieren<br />

zu müssen.<br />

bewusst wahrnehmen – Bilder denken – Standpunkt suchen –<br />

Blickrichtung finden – warum dieser Blick – was wähle ich aus –<br />

und wieso – was könnte dadurch für Dritte sichtbar werden?<br />

In der abschließenden Kleingruppenarbeit war die Aufgabe für jede und<br />

jeden, aus einer Ausgabe eines Nachrichtenmagazins zwei unterschiedliche<br />

Bilder zu finden, die gemeinsam zu einem Bildpaar werden sollten,<br />

das in seiner Gesamtheit einen gestalterischen und inhaltlichen Mehrwert<br />

zu den Einzelbildern darstellt. Wie Bilder auf- und miteinander wirken,<br />

kam dabei in den Fokus der Wahrnehmung. Vom Sehen über das Denken<br />

kamen wir nun zum aktiven Handeln nach eigenen Kriterien und Vorstellungen.<br />

Das aktive Umgehen mit Bildern auf ein Ziel hin, war für manche<br />

ungewohnt. Es wurden Bildpaare gesucht, gebildet, diskutiert, überprüft<br />

und manchmal wieder verworfen. Die Diskussionen in den Zweiergruppen<br />

führten zur aktiven Erkenntnis, wie wichtig Kontext und Umfeld für die<br />

Wirkung von Bildern ist.<br />

Bildpaare finden – in Gruppenarbeit über die Bildauswahl diskutieren<br />

– wo will ich hin – was geschieht, wenn Bilder aufeinanderstoßen –<br />

Entscheidung treffen aufgrund der eigenen Erfahrung und Individualität<br />

– die Erweiterung des Bildraumes<br />

Fazit: Dieser kleine Exkurs in die Welt der fotografischen Bilder, ihrer<br />

Ursprünge und Grundlagen verschaffte den Workshopteilnehmern eine<br />

Sensibilisierung für die Thematik des Bildes, seiner Wirkung und Möglichkeiten.<br />

Zumal schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts weise<br />

erkannt wurde, dass der Bildunkundige der Analphabet der Zukunft sei.<br />

63<br />

ein Gestaltungsprozess kommt in Gang – neue Bild- und Denkräume<br />

entstehen<br />

Es war mir wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer anhand von<br />

Erfahrungen und Übungen Wirkungsweisen fotografischer Bilder selbst erleben,<br />

sie durchdenken und sich ihre Erkenntnisse selbst erarbeiten. Gerade<br />

deshalb, weil der heute übliche, oft gedankenlose Umgang mit Bildern,<br />

die ohne großen Aufwand geknipst werden können und permanent verfügbar<br />

sind, oft Wichtiges und Grundlegendes vergessen lässt. Das bewusste<br />

Innehalten vor dem Bild, das Nachdenken über den Vorgang des<br />

Bildermachens einerseits und das aktive Eingreifen und Entscheiden beim<br />

Bildermachen andererseits war für die Beteiligten ein wichtiger Schritt,<br />

Kommunikationsprozesse mit Bildern von einer anderen Position aus zu<br />

sehen und anzugehen.<br />

Ein besonderes Erlebnis war es für mich zu beobachten, wie einzelne Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer über die Sensibilisierung ihrer eigenen Wahrnehmung<br />

erstaunt waren. Sie fanden großen Gefallen an diesem hintergründigen<br />

Umgang mit Bildern, bei dem Gedanken Gestalt werden können.<br />

Dass der Workshop erfolgreich verlief, lässt sich auch daran ablesen, welch<br />

eine Vielfalt von ungewöhnlichen Lösungen bei der abschließenden Übung<br />

gefunden wurde. Bei der Präsentation der Bildpaare wurde dann geschaut,<br />

gedacht, diskutiert, verglichen oder einfach nur gestaunt.


Epilog<br />

Wie aus Bäumen<br />

dicke Hunde<br />

werden<br />

Kerstin Huven<br />

Reflexionen aus Sicht der TeilnehmerInnen<br />

Ein mit Menschen, Themen und Methoden reichhaltig und dicht bestücktes<br />

Symposium liegt hinter mir. Und vor mir die Bitte der Organisatorinnen,<br />

für die <strong>Dokumentation</strong> eine subjektive Rückschau und Reflexion<br />

zu den Besonderheiten dieser zwei Tage zu wagen, zu dem, was die<br />

Veranstaltung von anderen abgehoben hat, dazu, wie Theorie und Praxis<br />

zueinander fanden, und was ich nun mitnehme für mich.<br />

Inspirationen<br />

Inspirierend in vielerlei Hinsicht und im Vergleich besonders waren für<br />

mich – neben den unterschiedlichen inhaltlichen Perspektiven auf das<br />

Tagungsthema – vor allem drei Dinge.<br />

Erstens: die Begeisterung der Referentinnen und Referenten.<br />

Gerald Hüther hat uns neben vielem anderen erzählt, Begeisterung sei<br />

sozusagen ein neuronales Düngemittel für das Hirn und damit Sprungbrett<br />

für Kreativität und Potenzialentfaltung. Mehrmals haben wir gehört,<br />

wie wichtig es sei, Funkenträger zu sein, zum Lernen einzuladen und<br />

zu ermutigen. Und das Gute daran ist: Es ist ganz einfach, weil genau<br />

diese Funken schon in uns liegen! Das haben die Vortragenden mit ihrer<br />

Haltung, ihren Schilderungen, mit der Art und Weise, mit der sie für ihre<br />

Themen brennen, so lebendig und authentisch vorgemacht.<br />

Zweitens: das Spiel mit Zufällen und Einfällen, Realitäten und Rollen während<br />

des Improvisationstheaterworkshops.<br />

Für jemanden wie mich, die vornehmlich über und mit Sprache arbeitet,<br />

65


Epilog<br />

ein ziemliches Wagnis. Und gleichzeitig ein spannendes und vergnügliches<br />

Erfahrungsfeld, in dem Facetten und Seiten in uns Raum bekommen,<br />

die sonst sehr im Verborgenen liegen.<br />

Unabhängig von der persönlichen Ausdrucksfindung war der Workshop<br />

auch eine Einladung, das vorher Gehörte gleich nachzuerleben und Impulse<br />

für die eigene Praxis zu sammeln. Ermutigung, positive Erfahrungen,<br />

freudvolles Lernen – das scheint so leicht zu erreichen. Die Aufmerksamkeit<br />

schärfen, Wachsamkeit wecken und ein leicht gelingendes Fokussieren<br />

jenseits von anstrengendem, verlangtem Konzentrieren – alles einfach<br />

so da. Ebenso wie das wohltuende Gefühl, Körper und Geist nach dem<br />

frontalen Input Bewegung zu gönnen und sich gewissermaßen mehrsinnig<br />

auf ungewohntes Terrain zu begeben. Oder in spielerischer Absichtslosigkeit<br />

viel Kreativität freizusetzen, Selbstwirksamkeit zu erspüren, im<br />

Spiel mit anderen den Verlauf einzelner Impulse zu verfolgen.<br />

Drittens: „Die Logik des Gelingens“ von Marco Wehr. Lesen!<br />

Irritationen<br />

Allein das Wort finde ich bereits verstörend – mit dem „irr“ am Anfang<br />

und damit dem Verweis auf Denk- oder Verhaltensmuster abseits gesellschaftlicher<br />

Konventionen und sozialer Normen. Die Assoziationskette<br />

weiterführend ergibt sich schnell die „Verrücktheit“ und damit das Potenzial<br />

künstlerischer Prozesse, eingefahrene Muster und Perspektiven im<br />

positiven Sinne zu ver-rücken. So geschehen etwa im Workshop zu den<br />

„Variationen des Sehens“ mit der Anleitung, sich die eigenen, subjektiven<br />

Kriterien des Betrachtens von Welt zu vergegenwärtigen und das Wahrnehmen<br />

deutlich wahrzunehmen. In einer Camera obscura stehend ist es<br />

– abgesehen vom lebensechten Eintauchen in die Funktionsweise einer<br />

Lochkamera – ein eigenwilliges Gefühl, das Bild eigentlich schon „da“<br />

zu wissen, ohne es sehen zu können. Dem sich langsam abzeichnenden<br />

Schatten auf der Wand weise ich ziemlich willkürlich einen Sinn zu und<br />

finde, dass das Geäst des Baumes draußen viel eher ein sich heranpirschender<br />

dicker Hund ist, das auf dem Kopf stehende Balkongeländer eigentlich<br />

den Spitzengardinen in der Küche meiner Oma entspricht, während<br />

der Rhein zum wolkenverhangenen Himmel vor dem Fenster wird.<br />

Zurück zum Wort Irritationen: Die Mitte auslassend bleibt „irren“ stehen<br />

und ein kleines Experiment, das mir aus Kersten Reichs Vortrag<br />

sehr nachdrücklich im Kopf geblieben ist. Was uns das Wort Cwmbrân<br />

– nicht aufgeschrieben, sondern schnell und nuschelig ausgesprochenen<br />

– sage. Klingt wie „guck mal an“ oder „Koona Bay“ und soll doch nur ein<br />

Wort sein. Im Geiste nachsprechend wird daraus Kormoran, Membran,<br />

Co-brain, Kuhgang, combat … ein walisischer Ort schließlich ist die<br />

Lösung. Diesen gedanklichen Ausflug in all das während des Symposiums


Epilog<br />

Gehörte und Erlebte einbettend, führt der Blick darauf zu einer versöhnlichen<br />

Erkenntnis: Nichtwissen und Irrungen sind Türen zu neuen Denkund<br />

Erfahrungswelten.<br />

Die „Ionen“ am Wortende rufen in mir vor allem ungute Erinnerung an<br />

naturwissenschaftliche Doppelstunden hervor und an die miesen Noten<br />

in Physik und Chemie, die am Schuljahresende den Schnitt immer so nach<br />

unten drückten. Ein leicht irritierender Zufall, dass im Publikum ein Teilnehmer<br />

als Physiker entlarvt und just zu seinem Blick auf sich selbst<br />

als Künstler befragt wurde. Die Antwort wiederum war durchaus inspirierend<br />

– seien doch vornehmlich die forschenden Kollegen als Künstler<br />

zu verstehen, deren theoretische Kreativität oftmals zu bahnbrechenden<br />

Erkenntnissen führe.<br />

67<br />

Innovationen<br />

Was also nehme ich mit aus dem Symposium? Zunächst einmal mit Blick<br />

auf den Alltag viele Fragen: Wie stellt man Verständigung her zwischen<br />

diesen zwei so unterschiedlich funktionierenden Systemen Pädagogik und<br />

Kunst, wenn die Menschen weniger offen sind und sich auf das Bekannte<br />

und Gewohnte verlassen wollen? Wie gelingen Grenzgänge, Brüche und<br />

wirklich offene Prozesse zwischen Einzelkämpfern, Lehrmeistern, Fürsten<br />

und Querköpfen?<br />

Inwieweit können oder müssen künstlerische Prozesse autonom verlaufen,<br />

wenn pädagogische Ziele erreicht werden sollen? Wie variabel muss<br />

Kunst sein, damit sie als Motor zum Erkenntnisgewinn dienen kann? Und<br />

welches Selbstverständnis sollte ein Künstler mitbringen, will er ein inspirierendes<br />

Lernumfeld gestalten?<br />

Sollten nicht auch die Pädagoginnen und Pädagogen ermutigt werden, das<br />

Künstlerische in sich zu entdecken? Wie gelingt es, künstlerische Projekte<br />

sinnvoll mit dem gemeinhin engmaschigen und rigiden Schulalltag zu verknüpfen,<br />

wenn sie eigentlich außerhalb des schulischen Geschehens stehen?<br />

Neben den Fragen haben zwei Symposiumstage viel Freude, Energie und<br />

Erholung bereitgehalten – und sie haben ermutigt! Und letztlich auch das<br />

Bewusstsein für die Bedingungen und Strategien der beiden Felder Kunst<br />

und Bildung geschärft sowie die ein oder andere Idee für gegenseitige<br />

Übersetzungen und Anschlussmöglichkeiten offenbart.<br />

Kerstin Huven, inbetweener, tätig als Projektleiterin für Vorhaben im Dazwischen von<br />

Pädagogik und Kunst sowie als freie Journalistin. Hat am liebsten zu tun mit Projekten,<br />

die über Einrichtungs- und Fächergrenzen hinweg reichen, Menschen zusammenbringen<br />

und Sinn mit Ästhetik verbinden.


Epilog<br />

Installationen<br />

Ulrike Meier, Burkhard Schröder<br />

Im Vorfeld des Symposiums<br />

„under construction – art as a learning environment“<br />

entstanden in der Villa Ingenohl die treppenaugenweide<br />

von Burkhard Schröder und die Klanginstallation<br />

„Soundscapes“ von Ulrike Meier.<br />

Die Klanginstallation machte Arbeitsergebnisse von<br />

Studierenden, die im Vorfeld einer Lehrveranstaltung<br />

entstanden, hörbar. Im Rahmen dieser Lehrveranstaltung<br />

wurden durch Übungen und Experimente neue und ungewohnte<br />

Zugänge zu individuellen und kollektiven Klangwelten<br />

und zur Klangkunst angeregt. Daneben setzten<br />

sich die Studierenden mit Fragen auditiver Ästhetik und<br />

akustischer Ökologie auseinander. Sie lernten außerdem,<br />

wie Audiomaterial digital bearbeitet werden kann und wie<br />

diese Arbeit im Kontext einer klangkünstlerischen Auseinandersetzung<br />

für unterschiedliche Zwecke und Zielgruppen<br />

gezielt eingesetzt und genutzt werden kann.<br />

treppenaugenweide, Burkhard Schröder, 2009<br />

68


Biografien<br />

Constanze Albrecht<br />

Constanze Albrecht ist Diplomgesangspädagogin und -sängerin sowie<br />

Stimmbildnerin der Lichtenberger®Methode. Seit 1999 gibt sie Seminare<br />

für die <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft unter anderem an der<br />

Universität zu Köln und Oppeln/Polen. Sie arbeitet an verschiedenen<br />

Lehrer-Fortbildungsinstituten, an Logopädieschulen und als Stimmbildnerin<br />

in Chören.<br />

Prof. Dr. Anne Bamford<br />

Professor Dr. Anne Bamford ist Leiterin des „Engine Room” an der<br />

Universität der Künste zu London. Sie ist international anerkannt für<br />

ihre Forschungen im Bereich der künstlerischen und kulturellen Bildung,<br />

Bildungsentwicklung und visuellen Kommunikation. Als Wissenschaftlerin<br />

für die UNESCO leitete Anne die Studien zu „The Wow Factor: Global<br />

research compendium on the impact of the arts in education” und publizierte<br />

den Bericht 2006 im Waxmann-Verlag. Das australische Institut<br />

für Bildungsforschung zeichnete sie mit dem „Outstanding Educational<br />

Research Award 2002“ aus; 2006 war sie für den „British Female Innovator<br />

of the Year“ gelistet. Als Anerkennung für ihren Beitrag zur Weiterentwicklung<br />

von kultureller Bildung wurde sie 2008 zum „Freeman of<br />

the Guild of Educators” gewählt.<br />

Weitere Informationen unter: www.engineroomcogs.org<br />

Karen BöSSer<br />

Karen Bößer, Tänzerin und Choreografin, lebt in Düsseldorf, studierte<br />

Tanz bei Dance Space Inc. und dem Panetta Movement Center in New<br />

York, zu ihren Lehrern zählen u.a. Lynn Simonson, Janet Panetta,<br />

Frey Faust und Howard Katz. Als Tänzerin arbeitete sie mit Michael<br />

Schmidt, Dyane Neiman, Elaine Shipman, Urban Art Tribe Multimedia,<br />

Ballet for Young Audience und Howard Katz zusammen. Ihre Soloperformances,<br />

die in Belgien, Ungarn, Polen, Israel, Tschechoslowakei,<br />

Armenien und den USA gezeigt wurden, zeichnen sich durch ihre Zusammenarbeit<br />

mit Künstlern aus dem Bereich der bildenden Künste aus.<br />

Nana Eger<br />

Nana Eger (Projektleitung „under construction“) erforscht derzeit als<br />

Stipendiatin für die <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft internationale<br />

Ansätze zur Kunstvermittlung (Schwerpunkt zeitgenössischer<br />

Tanz) und promoviert darüber an der Universität zu Köln. Ausgebildet als<br />

Diplomsportlehrerin, Tanz- und Theaterpädagogin und in „participatory<br />

Arts“, verfügt sie sowohl über zahlreiche künstlerische als auch vielfältige<br />

tanzpädagogische Erfahrungen an Bildungseinrichtungen. Sie ist an<br />

verschiedenen Hochschulen im Bereich der Aus- und Weiterbildung von<br />

KünstlerInnen und MultiplikatorInnen tätig.<br />

Peter Frohleiks<br />

Peter Frohleiks, Jahrgang 1965, ist Kabarettist und ausgebildeter Sozialpädagoge,<br />

Sportlehrer und Theaterpädagoge (BuT). Seit 1995 Engagements<br />

als Aktionskünstler und Schauspieler, freiberufliche Lehrtätigkeiten<br />

an verschiedenen Universitäten, Instituten und für die <strong>Montag</strong><br />

Stiftung für Jugend und Gesellschaft (Bonn). Intensive Beschäftigung<br />

mit Improvisations-, Theater- und Zirkustechniken. Seit 1999 Entwicklung<br />

eigener Kabarett-Programme u.a. mit der Gruppe „Männerkulturen“. Seit<br />

2009 Kabarett-Solo „EinMannKultur“.<br />

Weitere Informationen unter: www.frohleiks.de<br />

69


Biografien<br />

Prof. Dr. Gerald Hüther<br />

Prof. Dr. Gerald Hüther ist Neurobiologe und leitet die Zentralstelle für<br />

Neurobiologische Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der<br />

Universität Göttingen und des Instituts für Public Health der Universität<br />

Mannheim/Heidelberg. Wissenschaftlich befasst er sich mit dem<br />

Einfluss früher Erfahrungen auf die Hirnentwicklung, mit den Auswirkungen<br />

von Angst und Stress und der Bedeutung emotionaler Reaktionen.<br />

Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und populärwissenschaftlicher<br />

Darstellungen (Sachbuchautor).<br />

Weitere Informationen unter: www.med.uni-goettingen.de<br />

Dr. Karl-Heinz Imhäuser<br />

Dr. päd. Karl-Heinz Imhäuser ist seit 2005 Vorstand der <strong>Montag</strong> Stiftung<br />

Jugend und Gesellschaft in Bonn. Zuvor lehrte er an den Universitäten<br />

Köln und Berlin zur Didaktik inklusiver Bildung, Erziehung und Diagnostik<br />

und arbeitete an verschiedenen pädagogischen Fort- und Weiterbildungsinstituten<br />

in Berlin. Als Lehrer war er über 20 Jahre an Förder-,<br />

Haupt- und Realschulen tätig. Er ist zum Feldenkraistrainer sowie zum<br />

Trainer für „Selbstorganisiertes Lernen“ ausgebildet und promovierte an<br />

der Heilpädagogischen Fakultät Köln.<br />

Dieter Markowsky<br />

Dieter Markowsky, Diplomsozialpädagoge, 1967 in Bochum geboren,<br />

lebt und arbeitet als freischaffender Musikpädagoge und Perkussionist<br />

in Düsseldorf. Nach dem Studium der Sozialpädagogik absolvierte er<br />

eine Ausbildung im Bereich Perkussion bei verschiedenen afrikanischen<br />

und europäischen Lehrern. Seit 1995 leitet er musikpädagogische und<br />

künstlerische Projekte, seit 1997 lehrt er an Hochschulen, Bildungs- und<br />

Kultureinrichtungen. Nach Weiterbildungen u.a. im Lincoln Center<br />

70<br />

Institute (New York) sowie zu Talking drums (Schweiz), Europa In Takt<br />

(Uni Dortmund) und Körpermusik (Schweiz) lässt er sich derzeit bei<br />

Andreas Gerber (Schweiz) zum Körpermusiker ausbilden.<br />

Er ist Mitglied und Leiter verschiedener Perkussions-Gruppen.<br />

Elmar Mauch<br />

Elmar Mauch, Künstler, Bildforscher und Dozent für Fotografie, geboren<br />

1961, lebt in Dortmund und Zürich. Als Bildforscher in unterschiedlichen<br />

praktischen Arbeitsfeldern tätig. Schwerpunkte sind fotografische Arbeiten<br />

zur Naturwahrnehmung sowie Buchkonzepte, phänomenologische<br />

Bildessays und Bildmontagen, die aus gefundenem Material generiert<br />

werden. Schwerpunkte in der Lehre sind erweiterte Fotografie, Fragestellungen<br />

zu Bildrhetoriken und visueller Kultur, sowie die Schnittstelle<br />

zwischen Fotografie und Film. Von 1994-1999 Lehrtätigkeiten an der<br />

Kunsthochschule für Medien in Köln. Von 2002-2009 Dozent im Studienbereich<br />

Fotografie der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Aktuelles<br />

Buch: Elmar Mauch „Die Bewohner“ (Edition Patrick Frey Zürich, 2009).<br />

Weitere Informationen unter: www.elmarmauch.de<br />

Prof. Dr. Kersten Reich<br />

Prof. Dr. Kersten Reich war von 1979-2006 Professor für Allgemeine<br />

Pädagogik an der Universität zu Köln; seit 2007 vertritt er das Gebiet<br />

Internationale Lehr- und Lernforschung und leitet das Dewey-Center<br />

Köln. Studium der Kunst und Politikwissenschaften im Lehramt, später<br />

Pädagogik, Philosophie und Psychologie; er promovierte und habilitierte<br />

an der TU Berlin. Nach längeren Gastprofessuren in den USA und in<br />

China wurde er Leiter des Dewey-Centers Köln. Forschungsschwerpunkte<br />

sind Internationale Lehr- und Lernforschung, Konstruktivismusund<br />

Pragmatismusforschung. Bekannt sind seine Lehrbücher zur


Biografien<br />

konstruktvistischen Pädagogik und Didaktik (Beltz).<br />

Weitere Informationen unter: www.konstruktivismus.uni-koeln.de<br />

Ulrich Schötker<br />

Ulrich Schötker, geboren 1971, Kunstpädagoge und Kunstvermittler,<br />

derzeit Studienrat an der Erich-Kästner-Gesamtschule und Fachkoordinator<br />

im Rahmen eines Hamburger Schulversuchs zur Schulentwicklung.<br />

Studium der Germanistik, Kunstpädagogik und Freien Kunst an der Universität<br />

Gesamthochschule Kassel sowie MA-Studium der Media Science<br />

& Media Education am Institute of Education, University of London.<br />

Seit 1997 verschiedenste Tätigkeiten in Bereich der Kunst- und Kulturvermittlung,<br />

u.a. die Ausstellungen und Tagungen „WALDEN #3 – oder<br />

Das Kind als Medium“ im Kunsthaus Dresden 2006 (mit Christiane<br />

Mennicke) und „WALDEN #3 – oder Die Schule des Lebens“ in der<br />

Rathausgalerie München 2009. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im<br />

Institut für ästhetische Erziehung der Universität Hamburg. 2007 Leiter<br />

des Vermittlungsprogramms der documenta 12. Er ist Mitbegründer des<br />

Projektraums und Kunstvereins Liquidación Total in Madrid.<br />

Weitere Informationen unter: www.liquidaciontotal.org<br />

Yvonne Vockerodt<br />

Yvonne Vockerodt (Moderation „under construction“) ist Erziehungswissenschaftlerin<br />

und Gründerin von kindersicht – Rat für Beteiligung.<br />

Weitere Informationen unter: www.kindersicht.net<br />

Dr. Marco Wehr<br />

Geboren 1961 in Wuppertal. 1983-1992 Studium der Chemie, Physik und<br />

Philosophie in Tübingen. Diplom in Physik mit dem Schwerpunkt Gehirntheorie.<br />

1993-1999 Promotion im Fach Philosophie über die Chaostheorie.<br />

Freier Autor u.a. für Die ZEIT, GEO, Bild der Wissenschaft und Spektrum<br />

der Wissenschaft sowie verschiedene Buchbeiträge (Themen: Relativitätstheorie,<br />

Quantenmechanik, Chaostheorie und Evolution). Bücher:<br />

„Die Hand – Werkzeug des Geistes“ (Hrsg.) zusammen mit Martin Weinmann<br />

(Spektrum Akademischer Verlag, 1999), „Der Schmetterlingsdefekt<br />

– Turbulenzen in der Chaostheorie“ (Klett-Cotta, 2002), „Welche Farbe<br />

hat die Zeit? – Wie Kinder uns zum Denken bringen“ (Eichborn, 2007).<br />

Dozent im Tübinger Studium Generale. Vortrags- und Lehrtätigkeit u.a.<br />

für das Deutsche Arbeitsministerium, die Kultusministerien der Länder<br />

Bayern und Baden-Württemberg sowie die österreichische Bundesakademie.<br />

1985-2007 Arbeit als Berufstänzer, Tanzlehrer und Choreograf.<br />

Prof. Dr. Gesa Ziemer<br />

Gesa Ziemer (Prof. Dr. phil.), geboren 1968, lebt in Zürich und Hamburg.<br />

Sie ist Professorin in den Bereichen Kulturtheorie und Ästhetik an der<br />

Zürcher Hochschule der Künste. An der HafenCity Universität Hamburg<br />

ist sie seit 2009 Studiendekanin für den neuen Studiengang „Kultur der<br />

Metropole“. Als freie Kuratorin realisiert sie Projekte an den Schnittstellen<br />

Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst und ist im Beirat des internationalen<br />

Kunstfestivals Steirischer Herbst in Graz.<br />

Weitere Informationen unter: www.gesa-ziemer.ch<br />

71


Impressum<br />

Herausgeber und Veranstalter<br />

<strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft<br />

Raiffeisenstraße 2<br />

53113 Bonn<br />

Telefon +49 (0) 228 26716-310<br />

Fax +49 (0) 228 26716-311<br />

www.montag-stiftungen.com<br />

Konzeption und Projektleitung Symposium<br />

under construction – art as a learning environment<br />

Nana Eger<br />

Konzeption <strong>Dokumentation</strong> Nana Eger, Sabine Huth<br />

Textredaktion Sabine Huth<br />

Lektorat Sabine Huth, Caroline Eckmann<br />

Gestaltung Sonja Kuprat<br />

Fotos<br />

alle Fotos zum Symposium von Ludolf Dahmen<br />

Foto S. 23 von Mike Erbrich

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