Dokumentation (PDF, 2,1 MB) - Montag Stiftungen
Dokumentation (PDF, 2,1 MB) - Montag Stiftungen
Dokumentation (PDF, 2,1 MB) - Montag Stiftungen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Musik<br />
inspirieren<br />
Jugendliche Lernanlass<br />
Tanz<br />
Lernmöglichkeit<br />
präsentieren<br />
fragen<br />
gestalten<br />
forschen<br />
Kinder<br />
Kunst<br />
irritieren<br />
explorieren<br />
Freiraum<br />
Pädagogen<br />
Lernlabor
under construction<br />
art as a learning environment<br />
<strong>Dokumentation</strong> zum internationalen Symposium<br />
am 23. und 24. September 2009 in Bonn
Inhalt<br />
5<br />
6<br />
9<br />
1 6<br />
20<br />
26<br />
35<br />
38<br />
44<br />
50<br />
53<br />
56<br />
59<br />
61<br />
65<br />
68<br />
69<br />
72<br />
Lernen im künstlerischen Kontext<br />
Innerer Reichtum aus eigener Kraft Carl Richard <strong>Montag</strong><br />
Kunst im Kontext sozialästhetischen Lernens und Lehrens Dr. Karl-Heinz Imhäuser<br />
under construction – art as a learning environment Nana Eger<br />
Bausteine künstlerischer Bildung<br />
Künstlerisches Lernen: Warum und wie? Prof. Dr. Anne Bamford<br />
Auf die Atmosphäre kommt es an Prof. Dr. Gerald Hüther<br />
Konstruktive Lernstrategien Prof. Dr. Kersten Reich im Gespräch mit Ulrike Meier<br />
Künstlerische Prozesse an Schulen Ulrich Schötker im Gespräch mit Yvonne Vockerodt<br />
Stirn und Nase. Einsteins pädagogische Formel Dr. Marco Wehr<br />
Künstlerische Forschung Prof Dr. Gesa Ziemer im Gespräch mit Sabine Huth<br />
Künstlerische Workshops<br />
Der Körper als Instrument Constanze Albrecht<br />
rhythm, improvisation, now Dieter Markowsky<br />
Expansion Tanz Karen Bößer<br />
Krisenfest: Theater Peter Frohleiks<br />
Variationen des Sehens Elmar Mauch<br />
Epilog<br />
Wie aus Bäumen dicke Hunde werden Kerstin Huven<br />
Installationen Ulrike Meier, Burkhard Schröder<br />
Biografien<br />
Impressum
„Was ist mir wichtig für das Lernen im künstlerischen Kontext?“ Diese Frage diskutierten die Teilnehmenden während des Symposiums.<br />
Als Ergebnis entstand das „ABC-Wortband“, das die Vielfalt der Antworten und die Mehrfachnennungen dokumentiert.<br />
A
ha Momente Aktualität Alle Möglichkeiten Al<br />
Innerer Reichtum<br />
aus eigener Kraft<br />
Auch in unserer Zeit des Umbruchs, in der vieles brüchig geworden und<br />
Neues noch nicht zur Hand ist, sind unsere Wahrnehmungssinne unser<br />
wertvollstes Kapital. Durch sie sind wir fähig, uns der Außenwelt zu öffnen<br />
und Verbindung zu ihr aufzunehmen. Dank unserer Sinne können wir<br />
Eindrücke sammeln und Erkenntnisse gewinnen. Sie sind das Rüstzeug<br />
für einen lebendigen Austausch und sie bieten uns damit auch die Chance,<br />
uns selbst zu entdecken. Sie sind der Schlüssel zu dem, was uns im Innersten<br />
bewegt. Nur wer in der Lage ist - und sich auch traut - seine Sinne<br />
zu gebrauchen, wird seine eigentliche Bestimmung erkennen. Dies ist<br />
ein spannender Prozess, in dem wir Selbstvertrauen gewinnen und damit<br />
auch Überzeugungskraft und Durchsetzungswillen entwickeln können.<br />
Vor allem in der Begegnung mit Natur und Kunst finden junge Menschen<br />
den Freiraum, um diesen Weg erfolgreich zu gehen. Hier erleben sie die<br />
ganze Vielfalt des Lebens, erfahren Spannung und Harmonie und werden<br />
eingeladen, selbst zu gestalten. Wenn dieser Gestaltungswille erst einmal<br />
geweckt ist, dann ist der Grundstein für lebenslanges Lernen gelegt.<br />
Dabei werden unsere wahren Interessen und Begabungen sichtbar - und<br />
das ist unser größtes Eigenkapital.<br />
Die Bedeutung und den Wert, den dieser Prozess für das Leben des<br />
Menschen hat, sollten Begleiter und Erzieher immer im Auge haben.<br />
Wie bedeutungsvoll eine auf diese Weise selbst entdeckte und gestaltete<br />
Welt sein kann, habe ich während der Zeit des Zweiten Weltkrieges<br />
erlebt. Ein eindrucksvolles Schauspiel, welche Macht in der Kunst steckt<br />
und welche Kraft sie einem Menschen geben kann. Ich war Augen- und<br />
5<br />
Ohrenzeuge, wie ein russischer Kriegsgefangener im Lager leidenschaftlich<br />
auf einer Geige spielte, seine Bewacher sprachlos machte, beschämte<br />
und zum Nachdenken über die Folgen von Gewalt zwang. Ich erinnere<br />
mich auch, wie nach dem Zweiten Weltkrieg ein Künstler die Rolle des<br />
Mutmachers übernahm. Der Maler Eberhard Viegener, der mich ermutigt<br />
hatte, an der ersten Kunstausstellung nach dem Kriege im sauerländischen<br />
Arnsberg teilzunehmen, hielt dort die Eröffnungsrede. Den ersten<br />
Satz habe ich auch heute, nach 60 Jahren, immer noch im Ohr: „Der<br />
Resignation unserer Tage werden wir unsere Freude am künstlerischen<br />
Schaffen und unsere Lust, Neues zu entdecken, entgegensetzen.“<br />
Dieser Satz hat mich tief beeindruckt. Wer ihn beherzigt, wird selbst in<br />
schwierigen Lebenssituationen innerlich reich werden und ein Vermögen<br />
besitzen, das ihm niemand auf der Welt mehr nehmen kann.<br />
Carl Richard <strong>Montag</strong>
Person erkennbar werden Anregende Umgebu<br />
Kunst im Kontext<br />
sozialästhetischen<br />
Lernens<br />
und Lehrens<br />
DR. Karl-Heinz Imhäuser<br />
Das Symposium „under construction – art as a learning environment“ ist<br />
eng mit wichtigen Grundideen der <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft<br />
verbunden. Um eine kurze Einordnung in den Stiftungskontext vorzunehmen,<br />
möchte ich beginnen mit einem Konzept, das wir inzwischen<br />
als Leitbild – man kann auch sagen als „Nordstern“ – unserer Stiftungsaktivitäten<br />
ansehen: die Sozialästhetik. Mit diesem Begriff entwickeln,<br />
gestalten und steuern wir die <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft,<br />
die unter diesem Leitbild somit auch die Verantwortung für das vorliegende<br />
Symposium trägt.<br />
Sozialästhetik ist für uns ein normativer, die Haltung im Denken und Handeln<br />
bestimmender Ausgangspunkt für all unsere Aktivitäten, die ihren<br />
Antrieb aus der Formel „Veränderung durch Handeln“ beziehen. Dabei<br />
geht es uns NICHT um eine „soziale Ästhetik“, in der man lediglich der<br />
Ästhetik das Soziale als Bestimmung des Begriffs voranstellen würde.<br />
Und es geht uns auch nicht um eine „Ästhetik des Sozialen“, bei der die<br />
Ästhetik das Soziale bestimmen würde. Uns geht es ganz bewusst und<br />
gewollt um eine Einwortschöpfung: die Sozialästhetik. In ihr sehen wir<br />
die untrennbare Verbindung zweier Begriffe zu einem dritten neuen – einem<br />
ganz neuen Begriff, der aus der Zusammenfügung des Begriffspaars<br />
erzeugt wurde, „emergiert“ ist, und aus dem nun Handeln mit dieser<br />
Grundhaltung entsteht.<br />
6
ng Anregende Umgebung und Räume Anregung<br />
Die beiden Bestandteile dieser Grundhaltung – das Ästhetische und das<br />
Soziale – verstehen wir folgendermaßen: das Ästhetische als „die sinnliche<br />
Wahrnehmung von Qualität“, das Soziale als „die uns allen gemeinsame<br />
Fähigkeit, zu einem Beitrag begabt zu sein, der das Ganze unserer<br />
uns gemeinsamen und gemeinsam erzeugten Kultur<br />
inspiriert, erweitert und bereichert.“ 1 Das Soziale bezieht<br />
sich dabei auf die Gemeinschaft aller eines wie<br />
auch immer gearteten – eines überschaubaren, eines<br />
abgrenzbaren, aber auch eines aufeinander verweisenden,<br />
eines zusammenhängenden und zusammengehörenden<br />
– Gemeinwesens.<br />
Bezogen auf das vorliegende Symposium „under construction – art as a<br />
learning environment“ möchte ich diese Gedanken ergänzen, um eine Sicht<br />
bzw. Deutung in Anlehnung an zwei große „Denker des Zusammenhangs“,<br />
die das Verbindende, den Zusammenhang, immer als unteilbares Ganzes<br />
verstanden haben: Gregory Bateson und Heinz von Foerster. Für beide ist<br />
das Ganze mehr als die Summe seiner Teile: Der Teil ist im Ganzen und das<br />
Ganze ist im Teil. Das Ganze ist der Teil und der Teil ist das Ganze.<br />
In diesem Zusammenhang finden wir bei Gregory Bateson auch den Begriff<br />
der Ästhetik: „Ästhetik ist die Aufmerksamkeit für das Muster, das<br />
verbindet.“ 2 Ein Satz, dem Heinz von Foerster die aus seiner Sicht notwendige<br />
Ergänzung anfügt: „ ... und für die Matrix, den Nährboden, der<br />
diese Aufmerksamkeit für die verbindenden Bezugsmöglichkeiten einbaut,<br />
oder besser einbettet und nährt.“<br />
Nach Fredmund Malik, einer der wohl wichtigsten Stimmen der Gegenwart<br />
zur systemisch-kybernetisch orientierten Gestaltung jeglicher<br />
Organisation und Institution, tritt der Begriff der Einbettung hier an<br />
die Stelle von Hierarchie: Sie ermöglicht überhaupt erst die Ausweitung<br />
von Einflussnahmen über die begrenzte Einflussnahme durch Hierarchie<br />
Der Teil ist im Ganzen<br />
und das Ganze ist im Teil.<br />
Das Ganze ist der Teil<br />
und der Teil ist das Ganze.<br />
hinaus. Im und durch den Modus des Einbettens verändert sich die Charakteristik<br />
der Operationslogik des Gestaltens, Entwickelns und Steuerns<br />
– von uni-direktional zu bi-direktional, von nicht-kommunikativ zu kommunikativ,<br />
von ungesteuert zu feedback-gesteuert.<br />
Hier wird deutlich, dass Gregory Batesons Verständnis<br />
von Ästhetik implizit bereits ein sozialästhetisches<br />
Verständnis ist. Kunst hat für ihn dabei die<br />
funktionale Aufgabe – genau wie im Übrigen die<br />
Religionen –, unvermeidliche epistemologische, also<br />
unsere Erkenntnis betreffende Probleme anzusprechen:<br />
Dazu gehören die Begrenzungen der Erkenntnis,<br />
die unumgänglichen Lücken in jeder Beschreibung von Erkenntnis und<br />
das Problem der Paradoxien, die aus unserem immer zirkulären, das heißt<br />
auf uns selbst zurückkommenden Handeln entstehen. Paradoxien also, die<br />
wir in der Welt mit und aus jedem Anfang erzeugen.<br />
Dieser letzte Punkt sei illustriert an einem kleinen Beispiel, das ich wiederum<br />
von Heinz von Foerster übernehme: Beginnen wir, unseren rechten<br />
Nachbarn zu zwacken, der wiederum seinen rechten Nachbarn zwackt,<br />
der wiederum seinen rechten Nachbarn zwackt etc. An einem bestimmten<br />
Punkt werden wir selbst gezwackt – das heißt, unser Handeln wirkt<br />
auf uns selbst zurück, wir haben uns sozusagen selbst gezwackt. Das ist<br />
paradox und gleichzeitig logisch – wie das Verhältnis des Teils zu einem<br />
Ganzen und umgekehrt.<br />
Eine weitere für unser Symposium interessante Paradoxie ist die von<br />
Identität und Wandel oder, anders ausgedrückt, die Paradoxie der Aussage:<br />
„Das Konstanteste ist der Wandel.“ Das Paradox der Gleichzeitigkeit<br />
von Konstanz und Veränderung ist gerade für das Nachdenken über identitätsbildende<br />
Aspekte, die uns ja im Zusammenhang mit Jugendlichen und<br />
Heranwachsenden besonders interessieren, irritierend.<br />
7
usbildung der Lehrenden Ausgefallene Ideen z<br />
8<br />
Die Suche nach Antworten auf beunruhigende Tatbestände und Fragen<br />
zu den prinzipiellen Begrenzungen unserer Erkenntnis, ihrer prinzipiellen<br />
Lückenhaftigkeit und zu den Paradoxien, die wir durch unser Denken und<br />
Handeln erzeugen, liegt für Gregory Bateson im Handlungsbereich der<br />
Kunst. Kunst ist für ihn ein Erfahrungsbereich, der im Transformationsprozess<br />
von Eindruck zu Ausdruck „im Allgemeinen vielfältige Zyklen der<br />
Selbstkorrektur, wiederholtes Testen und Lauschen, Korrigieren und Bearbeiten<br />
durchläuft“, die in besonderer Weise geeignet sind, Antworten für<br />
die oben genannten Erkenntnisprobleme zu erzeugen.<br />
Und hier schließt sich nun der Kreis meiner kurzen Kontextualisierung<br />
des Symposiums in die<br />
Kunst erleben wir als Umgebung Arbeit der <strong>Montag</strong> Stiftung<br />
Jugend und Ge-<br />
zum Lernen und (Nach-)Forschen,<br />
sellschaft: In unserer<br />
als sinnlich erfassbaren<br />
Veranstaltung erleben<br />
Zwischenraum „under construction“. wir Kunst als Umgebung<br />
zum Lernen und<br />
(Nach-)Forschen, als sinnlich erfassbaren Zwischenraum „under construction“.<br />
Hier entsteht für uns der Zusammenhang, der verbindet, der Fragen<br />
beantwortet und neue aufwirft, der Paradoxien aufspürt, erlebbar macht<br />
und wieder auflöst.<br />
Genau darin besteht für uns die Idee einer sozialästhetischen Lehr- und<br />
Lernpraxis, die wir in unserer Seminarreihe „einzueins“ bereits umsetzen<br />
und die wir stetig weiterentwickeln und ausbauen. Dieser Gedanke steht<br />
auch hinter unserem Symposium, das Nana Eger im Rahmen ihres Promotionsprojekts<br />
konzipiert und organisiert hat. Sie beschäftigt sich mit<br />
international erfolgreichen Ansätzen, in denen durch Künstlerinnen und<br />
Künstler initiiertes ästhetisches Erleben, Erfahren und Erkennen im Fokus<br />
pädagogischen Handelns stehen. Diese Themen finden sich auf vielfältige<br />
Weise im vorliegenden Programm, das sich so auch als Anregung<br />
und Anleitung zu einer sozialästhetischen Praxis versteht.<br />
Ich wünsche uns allen eine konstruktive Offenheit, in der „Vertrautes<br />
brüchig und Neues noch nicht zur Hand ist“, um so gemeinsam in diesem<br />
Symposium Lernende zu sein, uns inspirieren zu lassen von Impulsen,<br />
Gesprächen und neuen Eindrücken, die uns hoffentlich bereichern und zu<br />
neuen ertragreichen Erkenntnissen führen, um Kindern und Jugendlichen<br />
Erfahrungsräume zum künstlerischen Gestalten und Lernen zu eröffnen.<br />
1<br />
Definitionen nach Theo Eckmann, Gründungsvorstand der <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend<br />
und Gesellschaft, in seinem Buch „Sozialästhetik – Lernen im Begegnungsfeld von<br />
Nähe und Freiheit“, Bochum/Freiburg 2005/2008.<br />
2<br />
Aus dem posthum erschienenen Buch „Wo Engel zögern“ mit Texten, die Gregory<br />
Batesons Tochter aus dem Nachlass zusammengestellt hat.
ulassen Basis bieten und entstehen lassen Beo<br />
under construction -<br />
art as a<br />
learning<br />
environment<br />
NANA EGER<br />
Das Potenzial und – für Bildungseinrichtungen – insbesondere das Lernpotenzial,<br />
welches in der Begegnung mit den Künsten und im aktiven<br />
künstlerischen Gestalten für Kinder und Jugendliche liegen kann, wird<br />
derzeit vielerorts diskutiert. Ob als Unterrichtsfach oder als Projektwoche,<br />
in AGs, der offenen Ganztagsschule oder als Medium zur Unterstützung<br />
anderer Lerninhalte: Künstlerische Angebote und KünstlerInnen als Unterrichtende<br />
haben, dank vielfältiger Initiativen, Hochkonjunktur.<br />
Die Gründe liegen auf der Hand: Im künstlerischen Gestalten und Erfahren,<br />
z.B. einer Tanzimprovisation oder eines Theaterstückes, können Schüler-<br />
Innen eigene Erfahrungen machen, individuelle Kompetenzen und Lernstrategien<br />
entwickeln sowie ihre ganz persönliche Bedeutung (nicht nur)<br />
von künstlerischen Prozessen und Kunstwerken konstruieren. „Es gehört<br />
zum Wesen der Kunst, etwas zu konstruieren, was eine Veränderung,<br />
Verschiebung, Verfremdung usw. gegenüber herkömmlichen Sichtweisen<br />
und Deutungen bedeuten kann. Kunst in ihren vielfältigen Formen und ihrer<br />
Unabgeschlossenheit benötigt das Konstruktive als Kern ihrer Variation.“ 1<br />
Gut ausgebautes<br />
Straßennetz:<br />
Lernen muss sehr<br />
unterschiedliche Wege<br />
gehen, sehr unterschiedliche<br />
Zugänge erschließen und<br />
verschiedene Ergebnisse<br />
produzieren, um<br />
erfolgreich zu sein.<br />
9
achten statt Bewerten Bewertung abschaffen<br />
art as a learning environment<br />
Die Kuenste<br />
Tanztheater<br />
Bildhauerei<br />
Grafik<br />
Malerei<br />
Medienkunst<br />
Architektur<br />
Tanz<br />
Filmkunst<br />
Theater<br />
Improvisationstheater<br />
Musik<br />
Musiktheater<br />
bildende Kunst<br />
Literatur<br />
als<br />
vielfaeltige<br />
Inspirierende/r<br />
Irritierende/s<br />
lernende/r<br />
sich aendernde<br />
Fragende/r<br />
zu erforschende/s<br />
herausfordernde/s<br />
explorierende/r<br />
sinnlich erfassbare/r<br />
gestaltete/r<br />
zu gestaltende/r<br />
Wahrnehmenbare<br />
Innovative/r<br />
Informiernde/s<br />
erfahrbare/s<br />
Lebenswelt<br />
Lernlabor<br />
Lernraum<br />
Lernumgebung<br />
Realsituation<br />
Arbeitswelt<br />
Lernmoeglichkeit<br />
Lernanlass<br />
Umwelt<br />
Zwischenraum<br />
10<br />
Spielanleitung<br />
Kunst ist mehr als eine<br />
Lernumgebung<br />
• Nehmen Sie ein Wort aus jeder<br />
Spalte, welches Sie besonders<br />
anspricht.<br />
• Verbinden Sie diese und probieren<br />
Sie verschiedene Kombinationen.<br />
(Beispiele s. links)<br />
• Bei Bedarf Begriffe ergänzen!<br />
• So entsteht ihre ganz persönliche<br />
Bedeutung von „art as a<br />
learning environment“.
Bewertungsfreier Raum Beziehung gestalten<br />
Unterstützt werden solche Projekte und Programme nicht mehr nur von<br />
Künstlern und Pädagogen. Inzwischen engagieren sich auch Bildungspolitiker<br />
im Verbund mit Kulturpolitikern für die Idee, dass die Künste einen<br />
bedeutenden Beitrag zur Bildung von Kindern und Jugendlichen leisten<br />
können, und unterstützen entsprechende Projekte. 2<br />
Die Formen dieser aktiven Auseinandersetzung mit den Künsten gestalten<br />
sich – abhängig von den Rahmenbedingungen, Inhalten und Zielen<br />
– so unterschiedlich wie ihre Kontexte selbst. Die derzeitige Praxis und<br />
deren Evaluationen zeigen allerdings auch, dass sich die Beschäftigung<br />
mit den Künsten nicht per se positiv auf Kinder und Jugendliche auswirkt,<br />
sondern wie viel Kompetenz und gute Zusammenarbeit aller Beteiligten<br />
auf den unterschiedlichen Ebenen zur Durchführung und insbesondere für<br />
das Gelingen und die Qualität solcher Kooperationen nötig sind. 3<br />
under construction<br />
Mit ihrer Seminarreihe „einszueins“ 4 engagiert sich die <strong>Montag</strong> Stiftung<br />
Jugend und Gesellschaft bereits seit vielen Jahren für eine stärkere<br />
Einbindung der Künste in die Aus- und Weiterbildung von (Lehramts-)<br />
Studierenden und Pädagogen. Aus diesen wissenschaftlichen und praktischen<br />
Erkenntnissen heraus entstand das Vorhaben, ein Symposium zu<br />
veranstalten, das die mannigfaltigen Potenziale von „art as a learning<br />
environment“ repräsentiert. Das Ziel: durch vielfältige Blicke auf Kunstund<br />
Lernstrategien die Komplexität der künstlerischen Bildung in ihrer<br />
Faszination und ihren – auch problematischen – Zusammenhängen deutlich<br />
zu machen. Dabei interessierte uns besonders,<br />
• wie künstlerische Freiräume in/an/mit Bildungseinrichtungen geschaffen<br />
und gestaltet werden können, die Denk- und Erfahrungsräume eröffnen,<br />
• wie in diesen Räumen gelungene Kunst-Lern-Strategien aussehen können,<br />
• wie künstlerische Lernprozesse andere Fachgebiete beeinflussen können,<br />
Lernen in Zusammenhängen<br />
Interpretation, Assoziation, Abstraktion, Gestaltung, Komposition, Wahrnehmen,<br />
Entscheiden, Auswählen – Kunst eignet sich besonders, Lern-Zusammenhänge herzustellen<br />
und dabei Lernende und Lehrende, Disziplinen, Fächer und Methoden zu verbinden.<br />
Scheitern!<br />
Keith Johnstone, Begründer<br />
des Improvisationstheaters,<br />
betrachtet Lernen als<br />
Experiment. Er ermutigt<br />
seine Improvisierer mit der<br />
Aussage, dass nichts wirklich<br />
interessanter für ein Publikum<br />
sein kann, als wenn die<br />
Chancen zum Scheitern 50:50<br />
stehen. Diese relativ große<br />
Möglichkeit des Scheiterns<br />
kann einen Perspektivwechsel<br />
ermöglichen: Unsicherheiten<br />
und Unvorhergesehenes nicht<br />
als Bedrohung oder Nicht-Vermögen<br />
zu betrachten, sondern<br />
als normalen Bestandteil von<br />
Lernen.<br />
Eigene Sprache<br />
Damit die Künste und Bildungseinrichtungen überhaupt zusammenkommen<br />
können, braucht es neben den gemeinsamen Erfahrungen<br />
auch eine gemeinsame Verständigungsmöglichkeit, d.h., es muss<br />
vielleicht erst ein spezifisches Vokabular geschaffen werden, um<br />
diese Prozesse und Erfahrungen angemessen kommunizieren und<br />
auch evaluieren zu können.<br />
Lernen mit Begeisterung!<br />
Auch die Neurobiologie unterstreicht,<br />
dass Lernen umso besser gelingt,<br />
je stärker es mit positiven Gefühlen<br />
besetzt ist und in einer anregenden<br />
Lernumgebung stattfindet: Kinder und<br />
Jugendliche brauchen möglichst viele<br />
und möglichst unterschiedliche Angebote<br />
und Herausforderungen, in denen sie<br />
individuell und eigenverantwortlich gestalten<br />
können, um eigene „First hand“-<br />
Erfahrungen machen zu können – und<br />
dazu eignet sich natürlich besonders<br />
die Beschäftigung mit den Künsten.<br />
11
er die das Gestalten Eigene Ideen Entwickeln Ei<br />
Abrissbirne<br />
„Kunst durchbricht Barrieren, die<br />
die Menschen voneinander trennen<br />
und die im gewöhnlichen Zusammenleben<br />
undurchdringlich sind.“<br />
(John Dewey)<br />
Versuch und Irrtum<br />
Es finden im Forschen und Lernen so<br />
viele Prozesse auf ganz verschiedenen<br />
Ebenen statt, dass es „die Methode“,<br />
gerade im künstlerischen Bereich, nicht<br />
geben kann - aber vielleicht eine<br />
eigene (künstlerische) Methode?<br />
Denken mit dem Knie?<br />
Dass das Knie nicht zum Denken da ist, muss man Kindern und Jugendlichen<br />
nicht erklären. Dass es Spaß macht, inspiriert und neue Wahrnehmungsräume<br />
öffnet, wenn man auch mal scheinbar absurde, experimentelle Ideen<br />
in das Lernen und Lehren mit einfließen lässt, auch nicht.<br />
Virus Kunst<br />
Kunst ist „eine ansteckende<br />
Tätigkeit, je ansteckender,<br />
desto besser.“<br />
(Leo N. Tolstoi, russischer<br />
Schriftsteller (1828-1910)<br />
Hierarchie?<br />
Education in the arts? Arts in education?<br />
Arts and education? Arts or education?<br />
Welche Form der künstlerischen Bildung<br />
ist für die Situation passend, gewünscht,<br />
machbar? Unter welchen Bedingungen?<br />
„Will eine Institution ihre gewohnten Abläufe<br />
beibehalten (Stundenplan, 45-Minuten-/<br />
Stundeneinheit etc.), kann das Projekt nicht<br />
stattfinden.“ (Royston Maldoom)<br />
Wie können Kooperationen von Künstlern bzw.<br />
außerschulischen kulturellen Einrichtungen<br />
und Bildungseinrichtungen<br />
auf Augenhöhe aussehen?<br />
• welche Erfahrungen und welches Handwerkszeug KünstlerInnen und<br />
LehrerInnen dazu benötigen und schließlich<br />
• wie Theorie und Praxis dieser künstlerischen Bildung voneinander<br />
profitieren und verknüpft werden können.<br />
Mit den Begriffen Information, Inspiration und Irritation sowie Innovation<br />
sind wir auf die Suche gegangen und haben einige Bausteine für<br />
erfolgreiches und lustvolles Lernen im künstlerischen Kontext zusammengetragen,<br />
um das Nebeneinander der Möglichkeiten, die Schnittstellen und<br />
Verbindungen sowie Zwischenräume in „art as a learning environment“<br />
sichtbar zu machen. Es war uns wichtig, dies durch ganz unterschiedliche<br />
Formen der Aktivität anzuregen und erfahrbar zu machen: durch<br />
theoretische Beiträge von ExpertInnen aus unterschiedlichen Disziplinen<br />
ebenso wie durch praktische Erfahrungen in den Workshops der KünstlerInnen.<br />
Darüber hinaus wollten wir den Teilnehmenden ein Forum/<br />
Freiräume/Zwischenräume zum Austausch untereinander und mit den<br />
Experten ermöglichen.<br />
Schließlich diskutierten, hörten, trommelten, spielten in der Villa Prieger<br />
in Bonn über 70 KünstlerInnen, KunstpädagogInnen, LehrerInnen,<br />
EntscheidungsträgerInnen, Organisatoren der künstlerischen Bildung<br />
und „fachfremde“ Interessierte. So entwickelte sich ein gemeinsamer,<br />
von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten inspirierter Forschungsprozess.<br />
Die verschiedenen Ansätze, Inhalte und Ergebnisse haben wir in der<br />
vorliegenden <strong>Dokumentation</strong> zusammengestellt. Dabei ist uns eine Erkenntnis<br />
ganz wichtig: Kunst ist als Lehr- und Lernumgebung vielseitig,<br />
bereichernd und – immer in Bewegung. Jeder kann diese Umgebung<br />
selbst gestalten, sich inspirieren lassen, neue Wege finden, Bekanntes<br />
neu interpretieren. Deshalb verstehen wir unsere <strong>Dokumentation</strong> auch<br />
12
genen Ideen Eigenverantwortung Emotionales<br />
als Aufforderung und Anleitung, sich – wie die Teilnehmenden des Symposiums<br />
– auf diese Umgebung einzulassen und zu entdecken, wie ein<br />
immer neuer Rahmen neue Bilder und Bedeutungen von Welt hervorbringen<br />
kann und Lernen, z.B. durch eigene praktische Erfahrungen, ein<br />
stetiges Lernen „under construction“ ist.<br />
Perspektivwechsel<br />
Wie verändern sich die eigenen Perspektiven durch Erfahrungen in/mit den Künsten?<br />
Welche Konzepte, Ideen und Ziele im Bereich der künstlerischen Bildung entstehen,<br />
wenn Erfahrungen eines künstlerischen Schaffensprozesses bei allen Beteiligten, von<br />
SchülerInnen, LehrerInnen, SchulleiterInnen bis hin zur organisatorischen Ebene<br />
vorhanden sind? Wie verändert sich dadurch der Blick auf Lernen und die Künste?<br />
1<br />
Kersten Reich (2003): Muss ein Kunstdidaktiker Künstler sein? Konstruktivistische<br />
Überlegungen zur Kundstdidaktik. In: Buschkühle, C.-P. (Hg.): Perspektiven künstlerischer<br />
Bildung. Köln. Salon Verlag.<br />
2<br />
Vgl. Projekte wie z.B. „Jedem Kind ein Instrument“, „Kultur und Schule“,<br />
die vom Land NRW unterstützt werden.<br />
3<br />
Vgl. dazu insbesondere die internationalen Studien über die Wirkung von<br />
„Arts education” von Anne Bamford, „The wow factor”, 2006.<br />
4<br />
www.montag-stiftungen.com/einszueins/<br />
Was machen die andern?<br />
Internationaler Austausch ist immer eine<br />
anregende Inspirationsquelle für die Weiterentwicklung<br />
der künstlerischen Bildung. In Finnland<br />
gibt es ein Gesetz, welches das Recht auf<br />
künstlerische Grundbildung garantiert. Dies wird<br />
in künstlerischen Angeboten sichtbar, zu denen<br />
tatsächlich alle finnischen Kinder und Jugendlichen<br />
einen Zugang haben. In den Niederlanden<br />
erhalten Jugendliche mit 15/16 einen „Kulturrucksack“<br />
in Form eines 50-Euro-Gutscheins,<br />
den sie in kulturelle Veranstaltungen investieren.<br />
Die gemachten Erfahrungen beschreiben sie<br />
dann in einem Bericht für die Schule. In England<br />
gibt es das Bestreben, künstlerische Fächer<br />
verstärkt in Schulen zu etablieren. Ziel ist es,<br />
pro Woche fünf Stunden qualitativ hochwertigen<br />
Kunstunterricht anzubieten.<br />
13<br />
Die Antwort ist die Frage<br />
„Jedes Mal, wenn du alle<br />
Antworten gefunden hast,<br />
wechseln alle Fragen.“<br />
(Frei nach Oliver Otis Howard,<br />
Gründer der Howard<br />
University (1830-1909)<br />
Lernen im<br />
Zwischenraum<br />
Lernen und (Nach-)<br />
Forschen in diesem Sinne<br />
ist keine Anhäufung von<br />
Informationen,<br />
sondern möglicherweise<br />
ein besonderer<br />
Zwischenraum<br />
„under construction“<br />
– im Bau befindlich,<br />
konstruktiv, gestaltend.
Bausteine künstlerischer Bildung<br />
15
ewusstsein Ergebnis offener Prozesse Erlebe<br />
Künstlerisches Lernen:<br />
Warum und wie?<br />
Prof. DR. Anne Bamford<br />
In der Kunst schwingen stets die Grundprinzipien der Natur, unserer<br />
Erde, des Universums und der Menschheit mit. Kunst ist Ausdruck unserer<br />
menschlichen Identität, und sie erfüllt uns mit einem Gefühl von<br />
Gemeinschaft und Austausch. Mithilfe der Kunst vermessen wir die nonverbalen<br />
Bereiche unseres Denkens und entwickeln Wege zum Lernen<br />
in einer stark fragmentarisierten Welt, die voller vielschichtiger Symbole<br />
und Bedeutungen ist. Kunst ist wichtig – für das Kind, die Schule und die<br />
Gesellschaft.<br />
In der Kunst artikulieren sich menschliche Belange. Kunst macht die<br />
Dinge zum Thema, die uns am stärksten berühren. Wenn wir uns mit<br />
Kunst beschäftigen, lernen wir etwas über unseren Platz in der Welt.<br />
Kunst gehört zu einem wahrhaft erfüllten Leben, weil sie sich den großen<br />
menschlichen Fragen widmet – Leben, Liebe, Tod, Erinnerungen, Leiden,<br />
Macht, Verlust und Sehnsucht. Wenn Kunst menschliche Grundwerte zum<br />
Ausdruck bringt, spricht sie in der Sprache der Gefühle – über kulturelle<br />
und historische Grenzen hinweg. Sie meint alle Menschen und fördert<br />
unser gegenseitiges Verständnis.<br />
Kunst gibt dem Menschen nicht nur ein Gefühl der Verbundenheit und<br />
Zusammengehörigkeit mit anderen und unserer Umwelt, sie trägt auch<br />
16
n von Räumen Erlebnisse schaffen Ermutigung<br />
unmittelbar zur intellektuellen Entwicklung bei. Durch Kunst lernen wir<br />
räumliche Wahrnehmung, kognitive Klassifizierung – die Fähigkeit, Materialien<br />
aus vielfältigen Quellen in bedeutsame Kategorien einzuordnen<br />
–, Metapher und Analogie, Veränderbarkeit und Anpassung. In der Vergangenheit<br />
spielte die Kunst eine wichtige Rolle als vitales Kommunikationsmittel<br />
– und das wird auch in Zukunft so sein. Es gibt zahlreiche<br />
Kommunikationsformen – sprachliche, visuelle, auditive, gestische und<br />
räumliche – und die moderne Kommunikation<br />
ist raffinierter geworden.<br />
Kinder müssen sich heute der<br />
versteckten Bedeutungen und der<br />
Überzeugungskraft, die Kunst als<br />
Kommunikationsform haben kann,<br />
bewusst werden. Kinder, die nicht gelernt haben, Kunst kritisch zu beurteilen,<br />
verkennen die Bedeutungen und Anspielungen, die unterhalb der<br />
Oberfläche liegen.<br />
Die Tragödie unserer Schule, wie wir sie heute kennen, liegt darin, dass<br />
sie diese Form des Lernens weitestgehend ausblendet. Wir erwarten<br />
von unseren Schulen, dass sie unseren Kindern Fähigkeiten wie Lesen,<br />
Schreiben oder Rechnen beibringen, weil wir dies als wesentliche Grundlagen<br />
für ihr späteres Berufs- und Erwachsenenleben betrachten. Der<br />
ästhetischen und kulturellen Bildung schenken die Schulen indes wenig<br />
Aufmerksamkeit. Aber Kunst war schon immer eine wichtige Form der<br />
Kommunikation, und wir stehen heute vor einem Zeitalter, das von der<br />
Kunst als multidimensionaler Kommunikation beherrscht sein wird. In<br />
den Lehrplänen unserer Schulen spielt die Kunst jedoch noch immer eine<br />
untergeordnete Rolle.<br />
Wie können wir es schaffen, dass die Kunst an den Schulen einen<br />
größeren Stellenwert erhält? Und was meinen wir überhaupt, wenn wir<br />
Wenn Kunst menschliche Grundwerte zum Ausdruck<br />
bringt, spricht sie in der Sprache der Gefühle –<br />
über kulturelle und historische Grenzen hinweg.<br />
von Kunst sprechen? Meiner Ansicht nach gibt es mindestens vier mögliche<br />
Arten, wie Kunst Eingang in die Schulen finden kann. Die erste ist<br />
vielleicht die offensichtlichste, ich nenne sie Bildung in den Künsten. Hierunter<br />
verstehe ich das systematische, fortgesetzte Erlernen von Kenntnissen<br />
und Fähigkeiten in den Bereichen Musik, bildende Kunst, Theater,<br />
Tanz, Medien, Kunsthandwerk und verschiedenen Hybrid- und neuen<br />
Kunstformen. Die zweite Art, wie Kunst Eingang in die Schulen finden<br />
kann, ist Bildung durch die Künste.<br />
Beispiele hierfür sind etwa visuelles<br />
Lernen, Erlernen einer zweiten Sprache<br />
durch Theater, die Verwendung<br />
neuer Technologien, Ton und Bild bei<br />
der Präsentation eines Geschichtsreferats<br />
oder das Ertanzen von mathematischen Raumkonzepten. Bildung<br />
durch Kunst wird häufig als kreativ, spielerisch oder kindgerecht<br />
bezeichnet. Das dritte Konzept ist, dass Bildung selbst eine Kunstform<br />
sein kann (d.h. Bildung als Kunst), wenn sie sich an kreativen, innovativen<br />
Pädagogikformen orientiert, die sich einem kulturellen, ästhetischen<br />
Verständnis von Bildung verpflichtet fühlen. Das letzte Modell wäre<br />
dann Kunst als Bildung. In anderen Worten: Kunst und Kultur werden<br />
zu einem Medium oder einer Umgebung, durch die Kinder lernen. So<br />
können wir zum Beispiel durch Bilder und Musik viel mehr über uns oder<br />
andere lernen als durch einen Vortrag oder ein Buch.<br />
Die zunehmende Bedeutung der Technologie führt heute zu einem neuen<br />
Interesse an Kunst. Benutzerfreundlichkeit und Innovation werden<br />
inzwischen als Synonyme für Ästhetik verwendet. In unserer heutigen<br />
Wirtschaftswelt sind Innovation und neue Produkte für Unternehmen<br />
überlebenswichtig. Innovation heißt, dass Gedanken und Ideen frei fließen<br />
können, und dies bedeutet wiederum, dass die Menschen kreativ und<br />
17
mutigung Ermutigung zur Selbstentdeckung<br />
gebildet sein müssen. Die Wirtschaftswelt hat die Welt der Künste längst<br />
zu ihrem Partner gemacht.<br />
Wie aber lernt ein Kind, kreativ oder innovativ zu sein? Platon war der Ansicht,<br />
dass Kreativität durch das Erleben von Kunst gefördert wird. Würde<br />
man Kinder also einem Kunstkanon aussetzen, würde die Kreativität der<br />
Meister auf sie „abfärben”. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass Platon<br />
zumindest teilweise recht hat. Eine detaillierte Untersuchung zum Besuch<br />
kultureller Veranstaltungen und zu „Taking Part” 2009 in Großbritannien<br />
kam zu dem Ergebnis, dass<br />
Aristoteles war der<br />
Meinung, dass der Künstler<br />
durch den Herstellungsprozess<br />
selbst kreativ wird.<br />
18<br />
gebildete Eltern, die als Kinder<br />
zu kulturellen Veranstaltungen<br />
mitgenommen wurden, mit<br />
höchster Wahrscheinlichkeit<br />
auch ihre Kinder zu kulturellen<br />
Ereignissen mitnehmen und<br />
für ihre Kinder höhere Bildungsziele verfolgen. Dies wird von einigen als<br />
das „kulturelle Kapital” eines Kindes bezeichnet. Der Indikator, mit dem<br />
sich der Schulerfolg eines Kindes am zuverlässigsten vorhersagen lässt,<br />
ist die Höhe seines kulturellen Kapitals.<br />
Aristoteles war hingegen der Meinung, dass der Künstler durch den Herstellungsprozess<br />
selbst kreativ wird. Es hat sich gezeigt, dass auch diese<br />
Vorstellung richtig ist. Kreativität ist ein Prozess, und ein Prozess wird weitestgehend<br />
durch Nachahmung und Partizipation erlernt. Die Kinder, die<br />
„künstlerisch reiche” Schulen besuchen – Schulen, wo zahlreiche künstlerische<br />
und kulturelle Aktivitäten ausgeübt werden – sind den Kindern, die<br />
weniger kunstinteressierte Schulen besuchen, auf allen Bildungsebenen<br />
überlegen, und die Wirkung der künstlerischen Betätigung setzt sich auch<br />
noch Jahre nach dem Schulbesuch im Erwachsenenleben fort.<br />
Welche Schlussfolgerungen sollten wir daraus für die Zukunft unseres<br />
Platon war der Ansicht, dass<br />
Kreativität durch das Erleben von<br />
Kunst gefördert wird. Würde man<br />
Kinder also einem Kunstkanon<br />
aussetzen, würde die Kreativität<br />
der Meister auf sie „abfärben”.<br />
Bildungswesens ziehen? Unsere Schulen müssen zu Orten werden, wo<br />
unsere Kinder angeregt werden, von der Zukunft zu träumen. Die jungen<br />
Menschen von heute sind die Schöpfer der kulturellen Muster und Sozialphilosophien<br />
von morgen. Schüler müssen deshalb einen nachhaltigen,<br />
regelmäßigen Kunst- und Kulturunterricht erhalten und in einer von Kunst<br />
und Kultur geprägten Umgebung lernen. Wir brauchen flexiblere Lehrpläne,<br />
die außerdem mehr in die Tiefe gehen. Schulen sollten die engen Grenzen<br />
ihrer Klassenräume verlassen und mit künstlerischen und kulturellen Institutionen<br />
zusammenarbeiten.<br />
Die Stundenpläne<br />
müssen flexibler<br />
sein, damit die Schüler<br />
Zeit haben, sich in ihre<br />
Aufgabenfelder zu vertiefen.<br />
Schüler müssen<br />
sich Fähigkeiten und<br />
Kenntnisse im Rahmen<br />
einer selbstständigen aktiven Kunstausübung aneignen.<br />
Aber nicht nur diese vorzeigbaren Fähigkeiten sind für Schüler wichtig.<br />
Kunst und Kultur sollten im gesamten Unterricht eine große Rolle spielen.<br />
Es hat sich gezeigt, dass Kunst in den Schulen auch dazu beitragen konnte,<br />
das inhärente Bildungsungleichgewicht auszugleichen. Je wohlhabender<br />
eine Familie ist, desto mehr beschäftigt sie sich tendenziell mit Kunst.<br />
Die Einführung von Kunst und Kultur in sozioökonomisch schwächeren<br />
Schulen zeigte umgehend positive Wirkungen. Kunst und Kultur konnten<br />
die Unterschiede zwischen den sozioökonomischen Gruppen gewissermaßen<br />
ausgleichen.<br />
Abschließend möchte ich noch einmal betonen, welche unschätzbare Bedeutung<br />
die Kunst für unser Leben hat. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie
(er)staunen Experimentierfreude Experimenti<br />
würden in einer Welt leben, in der es keine Kunst gibt. In den furchtbarsten<br />
Diktaturen sind die grausamsten Strafen nicht körperlicher, sondern<br />
geistiger Natur. Die Menschen werden ihrer Träume, ihrer Fantasie, ihrer<br />
Kultur, Geschichte, ihrer Rituale und ihrer schönsten Gegenstände beraubt.<br />
Dieses Jahr ist das europäische Jahr der Kreativität und Innovation.<br />
Vielleicht bietet das den notwendigen Anreiz, damit unsere Bildungssysteme<br />
die Rolle von Kunst und Kultur in den Lehrplänen überprüfen<br />
und sicherstellen, dass Kunst und Kultur im Mittelpunkt ihres Bildungsangebots<br />
stehen. Wir brauchen nicht noch mehr „Lippenbekenntnisse”,<br />
die uns den Wert der Kunst bestätigen. Der versteht sich von selbst. Was<br />
wir brauchen, sind hochwertige kulturelle und künstlerische Angebote, zu<br />
denen alle Kinder Zugang haben.<br />
19
freudigkeit Externe Profis Feedback Feedback<br />
Auf die<br />
Atmosphäre<br />
kommt es an<br />
Prof. Dr. Gerald Hüther<br />
Erkenntnisse und Konsequenzen für das Gelingen<br />
von Bildungsprozessen aus der Hirnforschung<br />
Die Zukunft unseres Landes wird von den Kindern gestaltet, die heute<br />
heranwachsen. Wollen wir keine Bruchlandung erleiden, müssen wir sie<br />
auf die Herausforderungen vorbereiten, die auf sie zukommen und denen<br />
wir schon jetzt gegenüberstehen. Wir müssen ihnen das nötige Rüstzeug<br />
zur Bewältigung dieser Aufgaben mit auf den Weg geben. Und das<br />
Wichtigste, was ihnen helfen wird, diesen Herausforderungen gewachsen<br />
zu sein, ist nicht mehr allein ihr Wissen – das kann künftig jederzeit verfügbar<br />
gemacht und abgerufen werden –, sondern vielmehr ihre Bildung,<br />
also die Fähigkeit, sich das vorhandene Wissen nutzbar zu machen, es<br />
zu beurteilen, zu verstehen, anzuwenden und dadurch wieder neues Wissen<br />
hervorzubringen. Und diese Bildung beginnt nicht erst in der Schule,<br />
sondern bereits im Kindergarten, in Kinderkrippen und den jeweiligen<br />
Herkunftsfamilien.<br />
In der alten Industriegesellschaft des vorigen Jahrhunderts sollten die<br />
Menschen das in der Schule erworbene Wissen ein ganzes Leben lang<br />
anwenden. Deshalb brauchten sie gut eingeprägtes Sachwissen und<br />
solide Kenntnisse, auf die sie zeitlebens zurückgreifen konnten. In der<br />
Wissens- und Ideengesellschaft des 21. Jahrhunderts hat sich dieser<br />
20
kultur Fehler machen Flexibel werden Flexib<br />
Wissenspool enorm erweitert. Jetzt kommt es immer stärker darauf an,<br />
neue Herausforderungen annehmen und unbekannte Probleme lösen<br />
zu können. Die Schule wird ihre Schüler daher künftig nicht nur auf die<br />
Durchführung von Routinen, sondern in erster Linie auf die Bewältigung<br />
von Vielheit und Offenheit vorbereiten müssen.<br />
Damit ändert sich aber schlagartig auch die traditionelle Vorstellung von<br />
Bildung und Erziehung. Überall dort, wo Bildung stattfindet, geht es nun<br />
viel stärker um die Aneignung sogenannter Metakompetenzen, um die<br />
Entwicklung von Haltungen und Einstellungen, um<br />
die Bereitschaft, sich auf neue Herausforderungen<br />
einzulassen, um die Lust am Entdecken und Gestalten,<br />
um Engagement, Teamfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft.<br />
„Die Zeit ruft nach Persönlichkeiten,<br />
aber sie wird so lange vergeblich rufen, bis wir<br />
die Kinder als Persönlichkeiten leben und lernen lassen, ihnen gestatten,<br />
einen eigenen Willen zu haben, ihre eigenen Gedanken zu denken, sich<br />
eigene Kenntnisse zu erarbeiten, sich eigene Urteile zu bilden; bis wir,<br />
mit einem Wort, aufhören, in den Schulen die Rohstoffe der Persönlichkeit<br />
zu ersticken, denen<br />
Kinder, und zwar alle Kinder,<br />
kommen mit einer unglaublichen<br />
Lust am eigenen Entdecken und<br />
Gestalten zur Welt.<br />
wir dann vergebens<br />
im Leben zu begegnen<br />
hoffen.“ (Ellen Key,<br />
schwedische Reformpädagogin,<br />
1900)<br />
Und genau hier, bei der<br />
Suche nach Lösungen, wie sich diese Forderungen in unserem gegenwärtigen<br />
Bildungssystem umsetzen lassen, bekommen diese Bemühungen<br />
plötzlich Schützenhilfe und eine enorme Bestätigung ihres Ansatzes von<br />
einer Disziplin, der man das eigentlich kaum zugetraut hätte: der Neurobiologie.<br />
Die Hirnforscher haben in den letzten zehn Jahren eine Vielzahl<br />
von Erkenntnissen darüber zutage gefördert, wie das Lernen funktioniert,<br />
unter welchen Voraussetzungen Bildungsprozesse gelingen können und<br />
unter welchen sie scheitern, unter welchen Bedingungen Kinder ihre Lust<br />
am Lernen, am Entdecken und am Gestalten entfalten können und unter<br />
welchen sie ihnen vergeht.<br />
Die Grunderkenntnis der modernen Neurobiologie heißt: Kinder, und zwar<br />
alle Kinder, kommen mit einer unglaublichen Lust am eigenen Entdecken<br />
Was wir brauchen sind Programme, die verhindern, was viel zu häufig<br />
heute noch immer passiert, nämlich dass Kinder irgendwann die Lust<br />
am Lernen verlieren.<br />
und Gestalten zur Welt. Nie wieder ist ein Mensch so neugierig und so<br />
entdeckerfreudig und so gestaltungslustig und so begeistert darauf, das<br />
Leben kennenzulernen, wie am Anfang seines Lebens. Diese Begeisterungsfähigkeit,<br />
diese enorme Lernlust und diese unglaubliche Offenheit<br />
der Kinder sind der eigentliche Schatz der frühen Kindheit. Und diesen<br />
Schatz müssen wir besser als bisher bewahren und hegen. Es geht also<br />
weniger darum, mithilfe von Förderprogrammen Kindern immer schneller<br />
immer mehr Wissen beizubringen. Was wir brauchen sind Programme,<br />
die verhindern, was viel zu häufig heute noch immer passiert, nämlich<br />
dass Kinder irgendwann die Lust am Lernen verlieren.<br />
Die Frage, unter welchen Bedingungen Kinder ihre intrinsische Lust am Lernen<br />
und Gestalten weiter entwickeln und zu starken, verantwortungsbewussten<br />
und teamfähigen Persönlichkeiten heranreifen können, lässt sich<br />
inzwischen aus neurowissenschaftlicher Sicht recht gut beantworten. Interessanterweise<br />
bestätigen die Hirnforscher mit ihren neuen Erkenntnissen<br />
21
ität Flow Frei von Sozialisation Freiheit zu for<br />
22<br />
Kinder brauchen auch Vorbilder, denen<br />
sie nacheifern und Ziele, für deren<br />
Erreichen es sich anzustrengen lohnt.<br />
vieles von dem, was von vielen Erziehern<br />
und Pädagogen seit jeher eingefordert und<br />
in erfolgreichen innovativen Bildungseinrichtungen<br />
längst umgesetzt worden ist:<br />
Anstelle der bisherigen extrinsischen Verfahren<br />
zur Verbesserung der Lernleistungen müssen Bedingungen, also<br />
Erfahrungs- und Gestaltungsräume, geschaffen werden, die die intrinsische<br />
Motivation der Kinder zum Lernen und Gestalten, zum Mitdenken<br />
und Mitgestalten wecken und stärken.<br />
Allerorten wird eine Erhöhung der Qualität von Bildungsmaßnahmen gefordert<br />
und angestrebt. Die konkrete Gestaltung von Bildungsangeboten,<br />
die Art der Wissensvermittlung, die Didaktik und Methodik des Unterrichtens<br />
kann auf eine Vielzahl von sehr gut validierten und bewährten<br />
Verfahren zurückgreifen. Viele dieser Verfahren sind auch aus neurobiologischer<br />
Perspektive sinnvoll und begründbar.<br />
Doch bevor man an Einzelmaßnahmen geht, um die Qualität von Bildungsangeboten<br />
zu erhöhen, sind folgende „hirngerechte“ Voraussetzungen<br />
für gelingende Bildung grundsätzlich voranzustellen:<br />
„Hirngerecht“ sind Bildungsangebote für Kinder (wie auch für Jugendliche<br />
und Erwachsene) immer dann,<br />
1) wenn sie „Sinn machen“, d. h. bedeutsam und wichtig für das betreffende<br />
Kind sind, sei es auch nur, dass sich jemand über das, was das Kind<br />
gelernt hat, aufrichtig freut.<br />
2) wenn sie als eigene Erfahrung am ganzen Körper, mit allen Sinnen und<br />
unter emotionaler Beteiligung erfahren werden, wenn sie also „unter die<br />
Haut“ gehen.<br />
3) wenn die so gewonnenen Einsichten, Erfahrungen, Kenntnisse und<br />
Fähigkeiten sich im praktischen Lebensvollzug als nützlich und<br />
vorteilhaft, d.h. praktisch anwendbar erweisen, auch und gerade außerhalb<br />
von Kindergarten und Schule.<br />
Aber selbst dann, wenn diese Voraussetzungen<br />
erfüllt sind, wenn das neue Wissen<br />
und Können also bedeutsam, anknüpfbar,<br />
ganzheitlich und emotional erfahrbar und als<br />
praktisch nutzbar erkannt und erlebt werden kann, wird die Frage der<br />
Qualität, der Didaktik und Methodik der Wissensvermittlung erst dann<br />
interessant, wenn die Kinder auch offen für diese Bildungsangebote sind.<br />
Kinder brauchen also nicht nur Aufgaben, an denen sie wachsen können,<br />
und Herausforderungen, die sie zu bewältigen lernen, sie brauchen auch<br />
Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, sich diesen Aufgaben zu<br />
stellen und diese Herausforderungen anzunehmen.<br />
„Die Pflanzen wachsen nicht schneller, wenn man daran zieht“, lautet<br />
eine alte Gärtnerweisheit, die nun ebenfalls durch die Befunde der Entwicklungsneurobiologen<br />
bestätigt wird. Die kleinen Pflänzchen muss man<br />
gießen, gelegentlich düngen und auch einigermaßen von Unkraut freihalten,<br />
damit sie optimal gedeihen<br />
Die Pflanzen wachsen<br />
nicht schneller,<br />
wenn man daran zieht.<br />
können.<br />
Auf unsere Kinder bezogen heißt das,<br />
wir brauchen eine neue Kultur in unseren<br />
Bildungseinrichtungen, eine<br />
Kultur der Wertschätzung, der Anerkennung,<br />
der Ermutigung und der gemeinsamen Anstrengung. „Supportive<br />
leadership“ heißt dieses neue Modell in der Wirtschaft. Und überall dort,<br />
wo diese wertschätzende, unterstützende und gleichzeitig zu Höchstleistungen<br />
ermutigende und anspornende Beziehungskultur entwickelt wird,<br />
sprechen die Erfolge für sich.<br />
Der umgekehrte Weg eines überhöhten Leistungsdruckes, einer<br />
rein an vermeintlicher Effizienz ausgerichteten Betreuung und
schen Freiraum Geduld haben Geist Geschütz<br />
23
er Raum Gestalter sein Grenzen aufheben Gre<br />
Verwaltung der Kinder hat aus neurowissenschaftlicher Sicht fatale<br />
langfristige Konsequenzen: Die unter solchen Bedingungen<br />
erworbenen Erkenntnisse und Fertigkeiten werden mit den in<br />
der betroffenen Situation erlebten negativen Gefühlen von Angst,<br />
Verunsicherung, Abwertung und Ohnmacht verkoppelt. Diese Koppelungsphänomene<br />
haben zwangsläufig<br />
Aus der Stressforschung ist zur Folge, dass nicht nur die jeweilige<br />
Tätigkeit (also das Lernen<br />
hinreichend bekannt, was die<br />
und Üben), sondern auch der Ort<br />
Entstehung und Ausbreitung<br />
(also der Kindergarten oder die<br />
von Angst verhindert:<br />
Schule) und sogar die betreffende<br />
Person (die Erzieherin oder<br />
Vertrauen.<br />
der Lehrer) fortan „angstbesetzt“<br />
wahrgenommen und bewertet werden. Das freilich sind die schlechtesten<br />
Voraussetzungen für die weitere Entfaltung von Offenheit, Interesse und<br />
Kreativität in der betreffenden Bildungseinrichtung. Aus der Stressforschung<br />
ist hinreichend bekannt, was die Entstehung und Ausbreitung von<br />
Angst verhindert: Vertrauen.<br />
Damit Bildung aus neurowissenschaftlicher Sicht gelingen kann, müssten<br />
die Bildungseinrichtungen also zu Orten werden, und die ErzieherInnen<br />
und LehrerInnen Beziehungspersonen sein, die die Kinder gern aufsuchen,<br />
wo sie sich sicher und geborgen, unterstützt und wertgeschätzt und<br />
natürlich maximal gefordert und optimal gefördert fühlen. Entscheidend<br />
ist dabei – auch das ist eine wichtige neue Erkenntnis der Hirnforschung<br />
– immer die subjektive Bewertung. Das eigene Gefühl des Kindes, nicht<br />
die objektiv herrschenden Umstände oder die behördlich geregelten Verhältnisse<br />
sind ausschlaggebend dafür, ob ein Kind seine Potenziale entfalten<br />
kann oder ob es sie aus Angst unterdrücken muss.<br />
Aber allein dadurch, dass anstelle der bisher vorherrschenden Angst sich<br />
mehr Vertrauen in unseren Bildungseinrichtungen ausbreitet, gelingt noch<br />
immer keine Bildung. Kinder brauchen auch Vorbilder, denen sie nacheifern<br />
und Ziele, für deren Erreichen es sich anzustrengen lohnt. Und sie<br />
brauchen irgendwann auch Visionen davon, wie ihr Leben gelingen kann.<br />
24
nzen überwinden Grenzüberschreitungen Halt<br />
Lernstoff<br />
i<br />
Quelle Grafik: Prof. Dr. Gerald Hüther<br />
h<br />
Gefühl<br />
h<br />
Ein synchrones<br />
Erregungsmuster<br />
entsteht<br />
h<br />
Die Erinnerung an den<br />
Lerninhalt löst das<br />
dabei mitgelernte<br />
Gefühl wieder aus<br />
25
ng Handlungsräume Hin und wieder einen Meis<br />
Konstruktive<br />
Lernstrategien<br />
Prof. Dr. Kersten Reich im Gespräch mit Ulrike Meier<br />
Herr Professor Dr. Reich, Sie haben einen eigenen konstruktivistischen<br />
Ansatz entwickelt, den Interaktionistischen Konstruktivismus<br />
Worin unterscheidet sich dieser Ansatz von anderen konstruktivistischen<br />
Ansätzen?<br />
Konstruktivistische Ansätze sind schon sehr alt und haben ihre Vorläufer<br />
in der Philosophie, Kulturtheorie und Erziehungswissenschaft; vor allem<br />
auch in der pädagogischen Psychologie. Klassiker sind z.B. Piaget, Vygotsky<br />
oder Dewey. All diese Ansätze gehen davon aus, dass Menschen ihre<br />
Wirklichkeitsbilder, ihre Bilder von Realität und von Welt durch Lernen<br />
entwickeln und dabei mit hoher Subjektivität ihr eigenes Weltbild konstruieren.<br />
Im heutigen Konstruktivismus wird der Anteil der Subjektivität,<br />
Lernumgebung oder der Kultur in diesem Vorgang der Wirklichkeitskonstruktion<br />
unterschiedlich gedeutet. Der Ansatz, den ich vertrete, nennt sich<br />
Interaktionistischer Konstruktivismus und betont mit dem Stichwort Interaktion<br />
die Beziehungen der Menschen untereinander. Er ist damit deutlich<br />
stärker kulturell orientiert als die eher subjektiv orientierten Ansätze<br />
des Radikalen Konstruktivismus (www.konstruktivismus.uni-koeln.de).<br />
Was unterscheidet eine interaktionistische Didaktik und Methodik von<br />
anderen didaktischen Konzepten?<br />
Die konstruktivistische Didaktik versucht, für Lerner wie auch für Lehrende<br />
ein Modell zu entwickeln, in dem wesentliche Grundsätze der Lehr- und<br />
Lernforschung zusammengefasst und auf unterrichtliches Handeln bezogen<br />
werden. Diese konstruktiven und systemischen Methoden stellen<br />
26
ter kennenlernen Humor Improvisation Impuls<br />
wir online zur Verfügung (www.methodenpool.de). Eine solche Didaktik<br />
bezieht die Lerner von vornherein ein, sie geht partizipativ vor und will<br />
den Lernern nicht Konzepte von außen aufdrücken. Die Lerner selbst sind<br />
immer auch Experten ihres Lernens, aber sie müssen diese Expertise nach<br />
und nach erlernen. Dazu benötigen sie geeignete Methoden, die ihnen<br />
einen kompetenten Umgang mit Inhalten und Möglichkeiten der Anwendung<br />
und des Transfers erschließen. Im Zentrum der konstruktivistischen<br />
Didaktik stehen zudem die Beziehungen der Lerner untereinander wie<br />
auch die zu den Lehrenden. In der Lehr- und Lernpraxis wie auch in<br />
den entsprechenden empirischen Untersuchungen zeigt sich: Je sympathischer<br />
uns die Lernenden sind, mit denen wir zusammen arbeiten, oder<br />
die Lehrenden, die uns anleiten und helfen, umso effektiver kann unser<br />
Lernen stattfinden.<br />
Wie wird der Lernprozess zu einem besonders wirkungsvollen und<br />
nachhaltigen Geschehen?<br />
Wir wissen heute - und auch die Hirnforschung kommt zu ähnlichen Ergebnissen,<br />
dass emotionale Beziehungen, auch emotionale Einstellungen zu<br />
sich selbst, darüber entscheiden, inwieweit die gewählten Lernstrategien<br />
für den individuellen Lerner erfolgreich sein können. Zu einem erfolgreichen<br />
Lernen können insbesondere drei positiv wirkende Bereiche führen:<br />
1) Wir brauchen Strategien, die unsere Perspektiven erweitern und zu<br />
denen wir ein emotionales Problembewusstsein oder Situationsbewusstsein<br />
entwickeln können.<br />
2) Wir brauchen unterschiedliche Wege als unterschiedliche Lerner. Wir<br />
haben uns von Kindheit an bestimmte, erfolgreiche Strategien für unsere<br />
Wahrnehmungs- und Erinnerungsleistungen sowie für unsere Anwendungen<br />
angewöhnt, die wir später immer wieder emotional bevorzugen.<br />
Für ein kompetenzorientiertes Lernen ist aber entscheidend, möglichst<br />
unterschiedliche Zugänge und Wege des Lernens zu beschreiten, was in<br />
Deutschland insbesondere durch die Überbetonung des Frontalunterrichts<br />
unterlaufen wird.<br />
3) Die Produktivität der Lernstrategien wirkt immer wieder auf den Erfolg<br />
der Strategie selbst zurück. Das heißt, die Ergebnisse, die wir im Lernen<br />
erzielen, müssen wir für uns und andere dokumentieren können, um daraus<br />
den Ertrag der Strategien auch in einer Metaperspektive, sozusagen<br />
als Beobachter unserer eigenen Beobachtung über das Lernen, auszudrücken.<br />
Dadurch erreichen wir eine Art Metalernen, das heißt, wir können<br />
uns in unserem eigenen Lernen reflektieren. Zudem benötigen wir immer<br />
wieder Erfolgserlebnisse in unseren Lernergebnissen, um uns weiterhin<br />
zu motivieren, mit Anstrengung lernen zu wollen.<br />
Wir wissen ja mittlerweile, welche große Rolle Emotionen für das<br />
Ge- oder Misslingen von Lernprozessen spielen. In Ihrem Vortrag haben<br />
Sie außerdem den Begriff „Glücksstrategien“ benutzt. Was können wir<br />
genau darunter verstehen?<br />
Menschen mit positiven Emotionen oder bestimmten „Glücksstrategien“<br />
– ein Begriff den beispielsweise die „Positive Psychologie“ benutzt - sehen<br />
das berühmte halb volle (und nicht das halb leere) Glas Wasser. Sie<br />
sehen und verstehen z.B. ein Problem oder eine bestimmte Situation als<br />
Ausgangpunkt für ihr Lernen. Glücksstrategien wählen heißt, sich positiv<br />
gelaufene Lernprozesse und Strategien zu verdeutlichen, nach den „Juwelen“<br />
und guten, gelingenden Bedingungen zu suchen und diese zu<br />
verstärken. In dem Ansatz des „Appreciative Inquiry“, der im englischen<br />
Sprachraum verbreitet ist, versteht man unter solchen Glücksstrategien<br />
auch die Fähigkeit, sich positiv gegenseitig zu verstärken. Wenn das gelingt,<br />
entsteht eine gute Lernatmosphäre. Wenn wir den Lernprozess dadurch<br />
erschweren, dass wir uns Wissen in einer schwierigen emotionalen<br />
27
aufnehmen Impulse wahrnehmen In die Tiefe g<br />
Situation aneignen wollen, wird der Wissensprozess selbst für viele Lerner<br />
gefährdet. Diejenigen, die da positiv durchkommen, lernen unter dem<br />
Wissensdruck nicht nur das „Wissen“, sondern auch den Druck als eine<br />
Strategie. Als Eltern oder politische Entscheidungsträger werden sie, wie<br />
es in Deutschland weit verbreitet ist, den Druck unter allen Umständen<br />
und auch gegen die Einsichten der internationalen Lehr- und Lernforschung<br />
verteidigen, denn es war für sie eine erfolgreiche Strategie. Hier müssten<br />
wir in Deutschland als vermeintlich gebildetes Land darüber erschrecken,<br />
dass die meisten Industrieländer deutlich höhere Abiturientenquoten als<br />
wir erreicht haben. Dies liegt vor allem daran, dass dort eher Förderkulturen<br />
im Lernen herrschen, wohingegen wir am veralteten Modell einer inhaltsorientierten<br />
Stoffkultur festhalten wollen, die dann in der Praxis noch<br />
nicht einmal hinreichend funktioniert. Wenn wir umgekehrt eine positive<br />
emotionale Situation haben, dann wird der Wissensprozess und die Aneignung<br />
eher erleichtert. Aber dies muss dann auch noch mit dem Willen<br />
nach Förderung möglichst aller Lerner verbunden werden.<br />
Welche Rolle spielt der Lehrende im interaktionistisch-konstruktivistischen<br />
Verständnis von Wissensvermittlung und was sind seine<br />
wichtigsten Aufgaben?<br />
Der Lehrer ist nicht nur Coach, der Lehrer hat sehr viele Rollen. Notwendig<br />
bleibt der Lehrer auch heute noch Instrukteur, Experte, er hat bestimmtes<br />
Wissen und auch Stoff zu vermitteln. Das müssen Lehrerinnen und Lehrer<br />
für unterschiedliche Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Voraussetzungen<br />
gut leisten. Sie treten auch im selbstorganisierten Lernen<br />
nicht ganz in den Hintergrund, indem sie beispielsweise nur noch im<br />
Lehrerzimmer oder am Rand ihrer Klassen sitzen und ihre Vorbereitungen<br />
machen und die Lerner sich allein überlassen. Das wäre ein großes Missverständnis<br />
konstruktivistischer Didaktik. Lehrende sind Konstrukteure<br />
28<br />
von Materialien und Lernsituationen, sie schaffen eine Lernumgebung,<br />
instruieren, aber vorrangig sollen sie diese Instruktionen so einsetzen,<br />
dass die Lerner zu möglichst vielfältiger eigener Konstruktion gelangen.<br />
Material müssen Lehrende so gestalten, dass der Lerner einen positiven<br />
und emotional ansprechenden Lernanlass sehen kann. Wenn es den<br />
Lehrenden nicht gelingt, dem Lerner schon zu Beginn des Lernprozesses<br />
das Problem so darzustellen, dass er es emotional akzeptiert und für sich<br />
selbst als relevant empfindet, dass er den dahinter liegenden Sinn versteht,<br />
dann kann der Lernprozess erst gar nicht positiv beginnen. Lehrende<br />
haben dann, wenn der Lernprozess läuft, auch die Rolle Ermöglicher,<br />
Erleichterer, Förderer und Evaluierer, Helfer, aber auch Bewerter zu sein.<br />
Eine Vielzahl von Rollen, die der Lehrende heute wahrnehmen muss.<br />
Leider spielt das Lehrerbild des Instrukteurs und Wissenskontrolleurs<br />
heute im Sekundarstufenbereich in Deutschland, vor allem an Gymnasien,<br />
noch eine große Rolle. Im internationalen Vergleich und in den internationalen<br />
Schulsystemen ist die Hauptrolle der Lehrenden heute die von<br />
Förderern. Optimale Förderungen erreichen Lehrende aber nur durch die<br />
angemessene Umsetzung der Vielfalt der Rollen im Sinne einer kontinuierlichen<br />
und differenzierten Förderung, die jeden Lerner dazu bringt,<br />
seine Lernchancen umfassend zu erhöhen. Je besser dies gelingt, desto<br />
höheres Ansehen erwerben Lehrende übrigens auch in der Gesellschaft.<br />
Deshalb zählt in Finnland, das als Pisa-Siegerland gilt, der Lehrberuf zu<br />
den angesehensten Berufen. In Deutschland hingegen werden Lehrende<br />
entsprechend dem Pisa-Stand gesellschaftlich als unterdurchschnittlich<br />
erfolgreich bewertet, was unserer Gesellschaft einen deutlichen Spiegel<br />
für ihre Versäumnisse vorhält. Wir haben es vielen Lehrenden eben nicht<br />
durch hinreichendes Lernen beigebracht und ihnen auch nicht hinreichende<br />
Ressourcen bereitgestellt, um bessere Lernumgebungen zu schaffen.
ehen In Gruppe Individualität Inspiration Inspir<br />
Wie sieht es auf der Seite des Lerners aus, welche inneren Voraussetzungen<br />
müssen denn bei ihm vorhanden sein, damit sich Lernprozesse<br />
wirkungsvoll vollziehen können?<br />
Wir lernen immer. Wir können, ganz gleich, was wir tun, unsere Wahrnehmung<br />
nicht abstellen und damit auch Konsequenzen aus unserer<br />
handlungsbezogenen Verarbeitung dessen, was wir erleben, erleiden,<br />
erfahren und dabei lernen. Meist wird das Lernen allerdings ganz anders<br />
verstanden, indem wir Lernen als einen Prozess beschreiben, in dem<br />
Wissen bereits angeeignet ist. Wir gehen also eher von der Abprüfung<br />
des Wissens aus. Wenn das erfolgreich war, sagen wir, jemand hat etwas<br />
gelernt. Die Lehr- und Lernforschung geht ganz anders an die Angelegenheit<br />
heran. Sie erkennt, dass auch dann, wenn die Wissensaneignung<br />
gescheitert ist, der Lerner etwas gelernt hat. Schlimmstenfalls hat er<br />
gelernt, dass er kein guter Lerner ist. In unserer Kultur geht es heute
tion durch Qualität und Können Kein Leistungs<br />
sehr oft darum, dass wir in möglichst kurzer Zeit möglichst viel mit möglichst<br />
geringem Aufwand erreichen. Je schneller jemand etwas gelernt<br />
hat, desto besser scheint sein Lernen zu funktionieren. Die Lernforschung<br />
setzt dem entgegen, dass Lernen nicht nur individuell sehr unterschiedlich<br />
abläuft, sondern immer auch Zeit kostet. Die Entschleunigung des<br />
Lernens ist eine wesentliche Bedingung, um den Lernern Chancen für ihr<br />
Lernen in einem Zeitalter der Beschleunigung zurückzugeben. Wir erwarten<br />
heute, besonders bei der Stofflastigkeit des deutschen Schulsystems,<br />
dass eine große Menge an Wissen angeeignet wird. Die Lernforschung<br />
kann dem entgegensetzen, dass Wissen nachhaltig nur behalten werden<br />
kann, wenn die Menge reduziert wird. Sinn unseres Lernens ist, uns auf<br />
das Wesentliche zu konzentrieren und das, was wir tatsächlich anwenden<br />
können, zu behalten.<br />
Das gelingt am besten dann, wenn Lernende den Sinn ihres Lernens verstehen,<br />
also den Anwendungsraum durch eigene Erfahrungen einschätzen<br />
können. Der größte Feind des Lernens aber ist das viele tote Wissen, das<br />
insbesondere ein stofflastiges Schulsystem mitschleppt. Das ist ein Wissen,<br />
das ich mir durch Informationssuche beschaffen kann, z.B. hoch spezielles<br />
Wissen bestimmter Fächer. Hier kommt es darauf an, den Lernern<br />
Kompetenzen zu ermöglichen, sich Wissen eigenständig zu beschaffen<br />
und es in den größeren Rahmen eines Faches einzuordnen. Dann muss<br />
ich nicht mehr jede Spezialität schon in der Schule erfassen, sondern<br />
kann dies dann tun, wenn ich es im weiteren Leben tatsächlich brauche.<br />
Es wird immer eine heikle Balance sein, zwischen notwendigem Rahmenwissen<br />
als Kompetenzaufbau und speziellem Wissen zu unterscheiden.<br />
Hier sind die Schulsysteme heute erfolgreicher, die dies verantwortlich<br />
den Lehrenden vor Ort überlassen (mit nachträglicher kontrollierender<br />
Evaluation), und nicht ausschließlich den Experten, die von der Lehr- und<br />
Lernpraxis weit entfernt sind.<br />
30<br />
In Hinblick auf Fragen der Kunstvermittlung in der Schule ist neben<br />
der Erwartung an das rein künstlerische Lernen in der Vergangenheit<br />
immer häufiger zusätzlich die Erwartung an sogenannte Transferleistungen<br />
geknüpft. Mit der Bastian-Studie, einer Langzeitstudie von<br />
1992-1998 an sieben Berliner Grundschulen, konnte beispielsweise<br />
nachgewiesen werden, dass durch die intensive Beschäftigung mit<br />
Musik das Sozialverhalten verbessert, der IQ-Wert erhöht, Konzentrationsschwächen<br />
kompensiert und damit die schulischen Leistungen<br />
insgesamt verbessert werden konnten. Welche Erwartungen haben Sie<br />
an den Bereich ästhetischen Lernens in der Schule?<br />
Künstlerische Fächer können dazu beitragen, dass das Lernen breiter und<br />
besser wird. Insbesondere Howard Gardner hat mit seinem Konzept der<br />
multiplen Intelligenzen gezeigt, dass das schulische Lernen sich viel zu<br />
sehr auf den Typus des sprachlich operationalen Lernens und der mathematischen<br />
Leistungen konzentriert hat. Damit gehen andere Intelligenzen<br />
verloren. Aber hier ist der Begriff der Intelligenz auch irreführend, denn<br />
Intelligenz ist stets nur das, was der in bestimmter Weise konstruierte<br />
Test misst. IQ-Tests werben ja damit, dass sie den unveränderlichen<br />
Intelligenzwert des Menschen beschreiben. Hier wird die Sehnsucht der<br />
Menschen nach einer gerechten Beurteilung ihrer Leistung deutlich. Dies<br />
ist in meinen Augen eine der großen Illusionen von Bildungsgerechtigkeit.<br />
Denn solche Messungen erfassen immer nur einen bestimmten Teil<br />
unserer Persönlichkeiten in bestimmten Momenten. Es gehört zu einer<br />
Breite des Lernens und zu einem breiten Erwerb von Kompetenzen für das<br />
Leben, dass wir einer Engstellung allein auf eine Intelligenz hin im schulischen<br />
Lernen heute deutlich entgegentreten. Dies kann durch Förderung<br />
gelingen. Hier gibt es in Bezug auf die künstlerischen Fächer interessante<br />
Ergebnisse. Es hat sich in vielen Untersuchungen gezeigt, dass fachliche<br />
Leistungen selbst in den Hauptfächern wie Mathematik, Fremdsprachen
druck Keine Angst haben Keine Einschränkung<br />
oder Deutsch deutlich verbessert werden können, wenn Künstlerisches<br />
an die Seite dieser Fächer tritt. So ist beispielsweise bekannt, dass Theaterspielen<br />
einen großen Effekt auch auf die fachlichen Leistungen in den<br />
Hauptfächern haben kann, wenn es zu einer Steigerung des Selbstbewusstseins<br />
der Lerner kommt. Je mehr das künstlerische Lernen im Sinne<br />
einer Teilhabe an Lernprozessen die eigenen Erfahrungsräume fördert und<br />
somit Selbstbewusstsein und Selbstwert, umso breiter wird der Lerner<br />
in seinen Kompetenzen gestärkt: Im Darstellen von Sachverhalten, in der<br />
Breite seiner Perspektiven, in seinen Zugängen und Ergebnissen.<br />
Im internationalen Rahmen bieten Schulen heute verstärkt Wahlfächer an,<br />
die gerade diese Kompetenzbereiche stärken, um damit auf die Verbesserung<br />
auch in den sogenannten Hauptfächern einzuwirken. In der deutschen<br />
Schule haben wir ein sehr starres Lehrplankonzept, in Neuseeland,<br />
Kanada oder anderen Ländern könnten wir auch Fächer wählen – und dies<br />
auch kurz vor dem Abitur –, die unsere Kompetenzen sehr breit erweitern.<br />
Dazu gehören nicht nur künstlerische Fächer wie etwa Fotografie sondern<br />
auch allgemeine Lebensstilkunde wie Kochen und Hauswirtschaften. Alles<br />
Fächer, die im postmodernen Lebenszyklus heute eine große Bedeutung<br />
haben, weil in der Kultur viel von dem verlernt wurde, was früher in Familien<br />
zur Erziehung gehörte.<br />
Wie kann Schule aus Ihrer Sicht generell in einen Ort ästhetischen<br />
Lernens verwandelt werden und gibt es bestimmte Modelle, die Ihnen<br />
hierfür besonders geeignet erscheinen?<br />
Die Schulsysteme unterscheiden sich weltweit sehr stark. Deutschland<br />
zeichnet sich dadurch aus, dass die Freiräume für künstlerische Fächer besonders<br />
eng gehalten sind und nach der Reform des Gymnasiums hin auf<br />
acht Schuljahre noch enger wurden. Das heißt, wir haben besondere Probleme,<br />
künstlerische Freiräume an Schulen zu schaffen und ästhetisches<br />
31
n gelten lassen Keine Zeitvorgabe Kreative Ler<br />
Lernen breit mit hinreichender Zeit auch für Projekte oder fachübergreifendes<br />
Lernen zu entwickeln. Die Dominanz des Wissens und der Wissensreproduktion<br />
ist sehr ungünstig für die künstlerischen Freiräume. Auf<br />
der anderen Seite ist zu erkennen, dass sowohl Eltern als auch Schüler<br />
sehr stark zu Schulen hin tendieren, die solche künstlerischen Freiräume<br />
in Sonderformen, etwa als Musikschulen oder besonders künstlerische<br />
Schulen oder sportlich orientierte Schulen, gestatten. Prinzipiell ist es<br />
für das Lernen aus meiner Sicht günstig, wenn Schulen sich ein Profil<br />
geben, in dem das ästhetische Lernen mit enthalten ist und nicht bloßes<br />
Beiwerk bleibt. Besonders im Privatschulsystem gibt es Modellschulen,<br />
in denen z.B. das Theaterspielen einen großen Raum einnimmt und die<br />
damit Schülern eine große Erweiterung ihres Lernrepertoires bieten. Reinhard<br />
Kahl und andere versuchen zum Beispiel, solche Schulversuche oder<br />
andere gelingende Lernkonzepte zu dokumentieren (vgl. www.archiv-derzukunft.de/).<br />
Welches Handwerkszeug benötigen Ihrer Meinung nach KünstlerInnen<br />
und LehrerInnen, um ästhetisches Lernen anzuregen und künstlerische<br />
Lernerfahrungen zu ermöglichen?<br />
Diejenigen, die Kunst oder künstlerische Fächer in den Schulen unterrichten,<br />
müssen zunächst einmal eigene Erfahrungen im künstlerischen<br />
Bereich machen. Ohne diese wäre es sehr schwierig, sich in Lerner hineinzuversetzen,<br />
die auch solche Erfahrungen machen sollen. Das heißt,<br />
zunächst einmal muss die künstlerische Kompetenz durchaus im Vordergrund<br />
stehen. Der reine Künstler im Unterricht, der ohne pädagogische<br />
Ambitionen auftritt, wäre allerdings ein Problem. Denn die pädagogische<br />
Kompetenz muss darin bestehen, dass die Lerner dort abgeholt werden,<br />
wo sie selbst mit Sinn Kunst erkennen, leben, artikulieren können, das<br />
heißt, wo sie Anschlussfähigkeiten für sich entdecken, aus denen he-<br />
32
numgebung Kreativität fördern Künstlerische<br />
raus sie dann eigene Kompetenzen entwickeln. Künstlerische Prozesse<br />
im Unterricht sollen den Lernern nicht zeigen, was sie alles nicht können<br />
und warum sie einen großen Abstand zur professionellen Kunst haben,<br />
sondern sie sollen ihnen ermöglichen, wiederum eigene Perspektiven in<br />
Kunst zu gewinnen, als Künstler selbst tätig zu sein und dabei auf unterschiedlichen<br />
Wegen und mit unterschiedlichen Ergebnissen Erfolgserlebnisse<br />
zu haben. Selbstverständlich sind sie keine professionellen Künstler,<br />
aber der Unterschied von Schülerkunst und Kunst in der Gesellschaft<br />
wird in gelingenden Lernprozessen immer ein Übergangsfeld darstellen,<br />
sodass im Grunde auch das, was Lerner als Kunst erzeugen, schon von<br />
ihnen und anderen als Kunst angesehen werden kann.<br />
Was muss von den Universitäten im Bereich der Lehrerausbildung<br />
geleistet werden, um diese Qualitäten in das Bildungssystem Schule<br />
zu tragen?<br />
Die Lehrerbildung in Deutschland hat im internationalen Vergleich ein<br />
grundsätzliches Problem: Bei uns wird sehr stark auf das Fachliche gesetzt,<br />
das heißt die Ausbildung in zwei Fächern ist so dominant, dass<br />
4/5 der Ausbildungszeit dafür verwendet wird. Wir erwarten am Ende<br />
der Ausbildungszeit einen Fachexperten, der im Studium überwiegend<br />
Fachwissen erworben hat, das er in der Schule gar nicht vermittelt. International<br />
gesehen ist das Verhältnis genau umgekehrt: In anderen<br />
Ländern wird 4/5 der Zeit in der Lehrerbildung dafür aufgewandt, pädagogisch-psychologische<br />
Grundlagen zu vermitteln, die auch Grundlagen<br />
inklusiven Unterrichts, insbesondere auch Umgang mit behinderten oder<br />
benachteiligten Schülern, einschließt. Wenn man die Lehrerausbildung in<br />
Deutschland und im Ausland miteinander vergleicht, fällt das Defizit des<br />
deutschen Lehrers hinsichtlich der pädagogisch-psychologischen Kompetenzen<br />
besonders auf. Dieses Defizit an nicht ausgebildeten Kompetenzen<br />
führt dazu, dass Lehrende in der Praxis von ihren Schülerinnen und<br />
Schülern oft überfordert sind. Die Überforderung wurzelt darin, dass man<br />
ihnen an der Universität auch nicht hinreichend hat beibringen können<br />
– angesichts der geringen Zeit der Ausbildung –, wie sie Förderung und<br />
diagnostische Leistung miteinander kombinieren können, um möglichst<br />
allen Lernern gute Lernchancen zu geben. Die reine Wissensvermittlung,<br />
die in der Schule sowie an der Hochschule im Vordergrund steht, führt<br />
dazu, dass der deutsche Lehrer insbesondere ineffektiv in pädagogischpsychologischer<br />
Hinsicht arbeitet.<br />
Eine persönliche Frage zum Schluss: Welches sind Ihre drei wichtigsten<br />
Anliegen für eine Schule der Zukunft, in die Sie Ihre Kinder gerne und<br />
unbesorgt schicken möchten?<br />
Die drei wichtigsten Anliegen an eine Schule der Zukunft heißen für mich:<br />
1) fördern, 2) fördern, 3) fördern! Heute sind die Lernchancen eines Lerners<br />
sehr stark davon abhängig, wie die Schule auf die familiäre Herkunft<br />
und die sozialen Bedingungen der Lerner reagiert. Immer mehr Lerner<br />
kommen aus sozial schwierigen Milieus, und diesen Lernern geeignete<br />
Lernchancen zu geben, ist der wesentliche Punkt meiner Forderung nach<br />
Förderung! Förderung kann sehr vielfältig sein und sie unterscheidet sich<br />
auch von Lerner zu Lerner. Ein Optimum an Förderung zu erreichen, das<br />
ist international gesehen eine Herausforderung für Bildungsgerechtigkeit<br />
geworden. Gerade an dieser Stelle zeigt sich das deutsche Schulsystem<br />
als Verlierer im Vergleich der Industrieländer. Dies wiederum ist für uns<br />
die Herausforderung, diesen Zustand endlich zu ändern.<br />
33
Erleben als Begegnung Lebendigkeit Leichtigk
eit Materialien Materialien Medien Mich in unb<br />
Künstlerische<br />
Prozesse<br />
an Schulen<br />
Ulrich Schötker im Gespräch mit Yvonne Vockerodt<br />
Du sagst: „Kunstpädagogik muss ein widersprüchliches Verhältnis<br />
aushalten und kultivieren“ – welcher Widerspruch ist gemeint?<br />
Als Lehrer begreife ich einen künstlerischen Prozess als eine sehr hoch<br />
kultivierte Form, an die ich die Kinder bestenfalls durch meinen Unterricht<br />
heranführen kann. Es ist schnöder Unterricht, der versucht, eine künstlerische<br />
Erfahrung zu initiieren. Die ästhetische Erfahrung ist dabei höchst<br />
subjektiv. Ästhetik und Kunst sind höchst subjektiv. Eine ästhetische<br />
Erfahrung zu spüren, geht nicht nur über mein Reden. Das ist nur eine<br />
Übertragung. Ich möchte eine ästhetische Erfahrung ermöglichen, die sowohl<br />
die Kinder wie auch mich in einen Fremdheitszustand bringt.<br />
Wie baust du künstlerische Prozesse in deinen Unterricht ein?<br />
Künstlerische Prozesse baut man nicht ein. Man kann versuchen, künstlerische<br />
Prozesse zu initiieren. Das Interessante daran ist, dass man selbst<br />
bei einem Versuch nicht garantieren kann, dass der Prozess ausgelöst<br />
wird. Es gibt natürlich Momente, die sich besser dafür eignen, über ein<br />
bestimmtes Thema oder Motiv sein Gegenüber anzusprechen. In der Zusammenarbeit<br />
mit Kindern kennt man das schon: Man muss nur sagen:<br />
„Morgen hast du Geburtstag!“ Dann sieht man das Leuchten in den<br />
Augen. Dann geht das Kopfkino ab!<br />
35
kannte Situationen hineinbegeben Mit Bildern l<br />
Wie gelingt es, entlang der Motivation der Schüler den Unterricht zu<br />
entwickeln?<br />
Wenn ich zu den Kindern sage: „Wir machen eine Aufführung!“, gehen<br />
die Reaktion von „Das ist geil!“ bis „Da habe ich Angst vor!“. Die einen<br />
gehen gleich auf die Bühne. Die anderen ziehen sich aus der Affäre, indem<br />
sie zwei Wochen lang im Hintergrund zum Beispiel die anderen Kinder<br />
schminken. Und dann kommen sie doch heimlich auf die Bühne, riechen<br />
das Publikum, spüren die Atmosphäre und die Wärme der Scheinwerfer.<br />
Wichtig ist es auch, zu reagieren, wenn sich irgendetwas ereignet hat,<br />
dann zu sagen: „Ach ist egal, wir verschieben unseren Stoff und sprechen<br />
über das, was passiert ist.“ Doch Programmänderungen funktionieren nur,<br />
wenn man ein Programm hat.<br />
In welchem Verhältnis stehen für dich pädagogischer Prozess und<br />
künstlerischer Prozess?<br />
Der pädagogische Prozess ist nah dran am künstlerischen Prozess. Der<br />
Entwurf des Pädagogischen und der Entwurf des Künstlerischen werden<br />
durch die Moderne eng zusammengedacht: Beide haben ihre Unvorhersehbarkeiten.<br />
Ich unterscheide darin auch Erziehung und Pädagogik. Die<br />
Tradition der Erziehung ist eher ein moralisches Geschäft. Auch die tagesaktuelle<br />
Demokratieerziehung unterscheidet zwischen gut und böse. So<br />
gibt es auch in der Kunst die politisch korrekte und die politisch unkorrekte<br />
Kunst. Wenn Kunst politisch verfügt wird und mir ein Bild gleich sagt,<br />
was ich denken soll, dann ist sie moralinsauer. Für mich ist es wichtig,<br />
dass Kunst Beurteilungen für richtig und falsch offen lässt und mich erst<br />
mal da packt, wo ich innerlich Erfahrungsbedürfnisse habe.<br />
Wie kann in der Schule Kunst als Evaluationsinstrument genutzt werden?<br />
Ich wünsche mir eine sehr umfassende ästhetische Bildung in der Schule<br />
36<br />
und begreife Schule als potenziellen „Kulturort“. Man muss schauen, wie<br />
weit man mit den Kindern kommt: Bis zu welchem Grad haben sie Lust,<br />
ihren Schulort zu gestalten? Bis zu welchem Punkt ist ihr Handeln freiwillig?<br />
Kinder haben ja sehr individuelle Bedürfnisse. Wir haben in unserer<br />
Schule am Schulrestaurant, an der Bibliothek und an der Gestaltung des<br />
Ruheraumes mitgearbeitet. Die Curricula in der Kunstpädagogik sind immer<br />
so offen gestaltet, dass dies möglich ist.<br />
Schulen wollen sich auf Kompetenzen konzentrieren und diese müssen<br />
sich durch Wissensbefragung oder durch Handeln ablesen lassen. Wenn<br />
man diese Erfahrungen eins zu eins auf die ästhetischen Fächer übertragen<br />
möchte, verwehrt sich die Kunst. Kunst bleibt uns nebulös. Sie ist<br />
inkommensurabel. Sie ist nicht mit gleichem Maß zu fassen.<br />
Sowohl die Lernziele früher als auch die Kompetenzraster heute sind ein<br />
Kontrollsystem dafür, ob die Unterrichtsvermittlung funktioniert. Aus der<br />
Kunst kennen wir eine andere Form der Evaluation: das Ausstellen. Man<br />
kommt z.B. in die Schule hinein und sieht, dass sich etwas verändert hat.<br />
Dann kann man sich fragen: Spricht mich das an oder ist mir das egal?<br />
Wenn ich das Gefühl habe, ein Beispiel für eine ästhetische Auseinandersetzung<br />
zu sehen, ist das ein erster „Evaluationscheck“.<br />
Wie können wir Schule durch die Künste weiterentwickeln?<br />
Wenn ich im Zusammenhang mit Kunst von Schulentwicklung spreche,<br />
geht es mir darum, das fachdidaktische Denken zu lassen, sich von einer<br />
Unterrichtdidaktik zu lösen und in Zusammenhängen zu denken. Wir<br />
brauchen mehr Möglichkeiten, verschiedene Unterrichtsfächer miteinander<br />
zu verbinden. Über die eigene Fachdisziplin hinaus mit anderen zusammenzuarbeiten,<br />
bekommt eine ganz andere Dynamik. Zum Beispiel<br />
kann die ganze Schule mit allen Klassen ihre Werke ausstellen oder es<br />
gibt eine kulturelle Woche an der Schule, man verbindet sich mit anderen
ernen Mitbestimmung Möglichkeit des Dialoge<br />
Institutionen, um die Schule nach außen wachsen zu lassen. Es geht um<br />
Projektieren bzw. Ausstrahlen, und zwar an den eigenen Wänden und in<br />
den Stadtteil hinein.<br />
Wie fließen deine vielfältigen Erfahrungen bzgl. Kunstvermittlung in<br />
deinen Unterricht und in die Weiterentwicklung deiner Schule ein?<br />
Mir geht es darum, ästhetische Bildung als einen Schwerpunkt der schulischen<br />
Bildungsbiografie zu verorten. Das hat mich dazu bewogen, in die<br />
Schule zu gehen; ich wollte ein Erprobungsfeld haben. Ich arbeite derzeit<br />
an einem Konzept zur ästhetischen Bildung für die Schule. Der Großteil<br />
des Kollegiums findet das, was wir haben „in Ordnung“. Doch ich möchte<br />
Leitfragen zur Verbesserung entwickeln – einen Plan, der die nächsten<br />
fünf Jahre läuft. Und die Grundfrage dazu lautet: „Was ist machbar?“<br />
Wofür können wir Formen der Vereinbarung finden? Wie können wir das<br />
ganze Kollegium gewinnen?<br />
Welche Bedeutung haben für dich künftig die Künste in der Schule?<br />
Der Anteil der ästhetischen Bildung ist noch zu gering und vor allen Dingen<br />
herrscht ein zu geringes Bewusstsein darüber, wo sie stattfindet.<br />
Der Kleidungs- und Musikstil der Kinder, ihre Turnschuhe, die Bilder auf<br />
den Mobiltelefonen, das sind völlig unbewusste Formen. Man müsste viel<br />
stärker über diese Phänomene der ästhetischen Bildung reflektieren und<br />
wie sie sich auf die gegebene Schulstrukturen auswirken. Ich kann sie<br />
lesen und weiß, dass sie Auswirkungen auf das Schulleben haben, deshalb<br />
frage ich mich auch, wie ich sie nutzen kann.<br />
37
mit dem Gemachten Möglichkeiten zum Austaus<br />
Stirn und Nase.<br />
Einsteins<br />
pädagogische<br />
Formel<br />
dr. Marco Wehr<br />
Albert Einstein ist eine intellektuelle Ikone. Wer<br />
sich auf seinen Intellekt etwas einbildet, trägt<br />
sein Konterfei auf dem T-Shirt oder kultiviert<br />
eine ähnliche Frisur. Zu allem Überfluss schwebt<br />
das Konterfei des berühmten Physikers wie ein<br />
kosmischer Sehnsuchtspunkt über den Köpfen<br />
der Bildungstheoretiker, die sich bemühen, wissenschaftliche<br />
Exzellenz am Schreibtisch zu planen.<br />
Aus einem solchen Holz müssten unsere<br />
künftigen Geistesheroen geschnitzt sein! Albert<br />
Einstein hätte sicher gelacht. Im Unterschied zu<br />
den Menschen, die ihn bewundern, bildete sich<br />
der Physiker auf seine analytische Intelligenz,<br />
die wir heute wie ein goldenes Kalb umtanzen,<br />
wenig ein. Auch gängigen Exzellenzinitiativen<br />
und Hochbegabtenprogrammen wäre er mit<br />
Skepsis begegnet.<br />
38
ch Möglichkeitsräume Mut Mut zur Lücke Na<br />
„Nur meine Stirn und meine Nase“, entgegnete er einem erstaunten<br />
Journalisten, der wissen wollte, was das Geheimnis seines Erfolgs sei.<br />
Der verunsicherte Fragesteller bohrte nach, hatte er doch erwartet, dass<br />
Einstein Intelligenz und Begabung in den Mittelpunkt<br />
rücken würde. Aber Einstein, der sich selbst<br />
nicht für einen sonderlich begabten Mathematiker<br />
hielt, führte aus, was er meinte: Seine große Nase<br />
bräuchte er, um die richtigen Fragestellungen zu erschnüffeln<br />
und die harte Stirn sei Ausdruck seiner<br />
maultierhaften Starrnäckigkeit. Die Nase als Sinnbild für Kreativität und<br />
wissenschaftliche Intuition, die Stirn als Symbol für außergewöhnliches<br />
Beharrungsvermögen, aber auch für den Mut, entschlossen die eigene<br />
Meinung zu vertreten.<br />
Stirn und Nase, das könnte man deshalb als Einsteins pädagogische<br />
Formel bezeichnen. Bemerkenswerterweise steht diese Formel in einem<br />
eklatanten Widerspruch zu den Charaktereigenschaften, die uns heute bei<br />
begabten Schülern und Studenten förderungswürdig erscheinen. Von einem<br />
hohen IQ und einem Studium in Rekordzeit sprach Einstein nicht.<br />
Irrte er also oder klingt in seinen Worten eine Wahrheit an, die auf der<br />
Strecke verloren gegangen ist? Tatsächlich wird auch heute noch gerne die<br />
Legende vom Musenkuss kultiviert. Ein über die Maßen begabter Mensch<br />
durchzuckt plötzlich das Licht der Erkenntnis: Dem sinnierenden Newton<br />
fiel erst der Apfel auf den Kopf, dann fiel es ihm wie Schuppen von<br />
den Augen. In einem einzigen Moment offenbarten sich ihm die ewigen<br />
Gesetze des Universums. Wunsch oder Wirklichkeit? Verschwiegen wird<br />
gerne, dass Isaac Newton ein „Arbeitstier“ war. Ging er in den Keller, um<br />
Wein für die Gäste zu holen, konnte es passieren, dass er diese völlig<br />
vergaß. Von den Suchenden wurde er im Keller entdeckt, während er über<br />
einer Rechnung brütete. Auch ist bezeugt, dass er sich wochenlang mit<br />
einer einzigen Seite aus den mathematischen Schriften von Descartes<br />
beschäftigte, wenn er diese nicht verstand. Je länger man sich mit den<br />
Biografien erfolgreicher Menschen auseinandersetzt, desto einsichtiger<br />
Die Nase als Sinnbild für Kreativität und wissenschaftliche Intuition,<br />
die Stirn als Symbol für auSSergewöhnliches Beharrungsvermögen,<br />
aber auch für den Mut, entschlossen die eigene Meinung zu vertreten.<br />
wird die Gültigkeit von Einsteins persönlicher Einschätzung. Viele Genies verorten<br />
ihre Begabungen an ganz anderen Stellen, als die von ihrem Glanz<br />
geblendeten Außenstehenden. Michal Jordan, der beste Basketballspieler<br />
aller Zeiten, nannte als Grund seines Erfolgs nicht sein Talent. Er könne<br />
nur mehr Schmerzen aushalten als andere, beschied er seinem Interviewpartner.<br />
Ein spät berufener Maler wie van Gogh, stilbildend für eine ganze<br />
Epoche, war sich seiner beschränkten zeichnerischen Fertigkeiten bewusst.<br />
Doch er hatte die Stirn, sich nicht beirren zu lassen, und war felsenfest<br />
überzeugt, dass es ihm mit harter Arbeit gelingen würde, in seinem Werk<br />
tiefer liegende Wahrheiten freizulegen als die handwerklich versierteren<br />
Kollegen. Sprechen Genies über sich selbst, dann ist eigentlich selten von<br />
Talent und Begabung die Rede, sondern eher von unbändiger Neugier<br />
sowie von elend langen Durststrecken, die es zu durchleiden gilt, letztlich<br />
auch von Kränkungen und Verletzungen, die jeder erfährt, der gewohnte<br />
Bahnen verlässt. Die kürzlich 100 Jahre alt gewordene Forscherin Rita<br />
Levi-Montalcini, die für die Entdeckung des Nervenwachstumsfaktors<br />
den Nobelpreis bekam, erzählt in ihrer Biografie, wie sie bis zum heutigen<br />
Tage das Unbekannte fasziniert. Noch täglich gehe sie ins Labor. Sie<br />
spricht aber auch von ihrer Verbissenheit, an einer Sache dranzubleiben<br />
und dem Gleichmut, den man braucht, um Niederlagen zu ertragen.<br />
39
t sein können Naturräume Neues Wahrnehmen<br />
Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, ob wir in unseren<br />
angestrengten Bildungsbemühungen auf das falsche Pferd setzen.<br />
Werden forcierte Wissensvermittlung und eine am Intelligenzquotienten<br />
aufgehängte Begabtenförderung dazu führen, dass junge Eliten zu brillanten<br />
Innovatoren werden? Wäre es nicht sinnvoller, bei SchülerInnen<br />
und Studierenden Kreativität, Beharrlichkeit, Mut zum selbstständigen<br />
Denken, aber auch Eloquenz und Streitbarkeit<br />
zu fördern? Sind es doch oft gerade die Unangepassten<br />
und Furchtlosen, die wirkliche Entdeckungen auf die<br />
Spur bringen!<br />
Werfen wir einen kurzen Blick auf den Intelligenzquotienten,<br />
den Dreh und Angelpunkt der Begabtenförderung.<br />
Tatsächlich sind Intelligenz, Kreativität<br />
und Erfolg korreliert, aber nur bis zu einem IQ von 120.<br />
Das ist nicht sehr beeindruckend. Diesen Wert hat etwa<br />
jeder sechste von uns. Deshalb erstaunt der Wirbel, der um<br />
den IQ gemacht wird. Selbst in der intellektuellen Paradedisziplin<br />
Schach sagt ein IQ oberhalb dieses Schwellenwerts wenig über die Spielstärke<br />
aus und andere Studien an Hoch- und Höchstbegabten ergaben,<br />
dass diese selten Außergewöhnliches zustande bringen. Zwar wird im<br />
Kreis der „Intelligenzbestien“ häufiger promoviert, aber Nobel- oder Pulitzerpreise<br />
gewannen die vermeintlichen Überflieger nicht. Im Gegenteil:<br />
Gewinner solcher Ehrungen waren wegen angeblich mangelnder Begabung<br />
von solchen Untersuchungen ausgeschlossen worden. Erstaunt das?<br />
Eher nicht, wenn man einen ungetrübten Blick auf die Mechanismen des<br />
Erfolgs wirft: Am Anfang von allem steht natürlich die Idee. Aber eine<br />
Idee ist erstmal nur eine Sternschnuppe und weit davon entfernt, schon<br />
Tat zu sein. Dazu muss sie erst zu einer Vision werden, die stark genug<br />
ist, den Adepten über die steilen Klippen zu tragen, die sich ihm fast<br />
40<br />
Was passiert, wenn ich auf<br />
einem Lichtstrahl reite und<br />
eine Taschenlampe anknipse?<br />
immer in den Weg stellen. Sich von einer Vision leiten zu lassen, erfordert<br />
aber Mut, geht es doch um eine unbestimmte Wette auf die Zukunft.<br />
Zeitliche und materielle Ressourcen werden gebunden und es kann Jahre,<br />
manchmal Jahrzehnte dauern, bis sich eine Idee konkretisiert, wobei man<br />
oft bis zum letzten Moment nicht weiß, ob sie vom Erfolg gekrönt<br />
sein wird oder nicht. Zudem erfordert dieser lange Weg von<br />
der Idee zur Tat weitere Charaktereigenschaften. In<br />
den Wissenschaften, der Technik und in den Künsten<br />
muss man sich ein Handwerkszeug erarbeiten,<br />
um der Idee eine Gestalt zu geben. Und genau<br />
an dieser Stelle wird deutlich, wie eng bei den<br />
sogenannten Genies kindlicher Spieltrieb und eine<br />
eiserne Härte miteinander verbunden sind. Betrachten<br />
wir wieder Albert Einstein. Natürlich war<br />
dieser der Meister des intellektuellen Spiels: Was<br />
passiert, wenn ich auf einem Lichtstrahl reite und eine<br />
Taschenlampe anknipse? Macht es für die Geschwindigkeit der<br />
Lichtteilchen, die aus der Lampe kommen einen Unterschied, ob ich in<br />
oder gegen die Flugrichtung leuchte? Das war nur eine der vielen kindlich<br />
anmutenden Fragen, mit denen sich Einstein leidenschaftlich beschäftigte<br />
und die zum Kern seiner Visionen wurden. Doch mit Antworten in poetischer<br />
Sprache hätte er die ohnehin misstrauischen Kollegen schwerlich<br />
begeistern können. Für ihn wie alle anderen galt das Diktum Thomas<br />
Alva Edisons: „Genie ist ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration.“<br />
Auch ein Einstein musste sich in jahrzehnte(!)langer Arbeit die<br />
notwendigen mathematischen Techniken aneignen. Erst dann konnte er<br />
die spezielle und später die allgemeine Relativitätstheorie formulieren.<br />
Anderen Weltendenkern ging es nicht anders. Der mystisch angehauchte<br />
Kepler rechnete ebenfalls Jahrzehnte an seinen Planetenbahnen und
Nicht beschämt werden Offenheit Optionen ha<br />
der brillante Physiker James Clerk Maxwell mühte sich gleichfalls sehr<br />
lange, um die fantastisch anmutenden Vorstellungen, die er von elektromagnetischen<br />
Feldern hatte – er sah rotierende Wasserwirbel vor<br />
seinem inneren Auge –, in seine scheinbar gottgegebenen Formeln zu<br />
kleiden, die uns heute in ihrer kristallinen Klarheit berühren. Was für die<br />
Wissenschaft gilt, gilt auch für die Kunst. Selbst der von seinem Vater<br />
gedrillte Mozart benötigte fast 20 Jahre, bis er eine völlig eigenständige<br />
künstlerische Handschrift entwickelte.<br />
Übung macht den Meister<br />
Dass ausdauernde Arbeit unverzichtbarer Bestandteil des Erfolgs ist, wird<br />
wenigstens in Fachkreisen nicht mehr bestritten. Mindestens 10 000 Stunden<br />
Übung sind notwendig, um es zu echter Könnerschaft zu bringen.<br />
Ganz im Gegensatz zum IQ-Dogma ist diese Einsicht hervorragend belegt.<br />
Es ist eben nicht der Intelligenzquotient, der Auskunft über die Spielstärke<br />
eines Schachgroßmeisters gibt, sondern die Anzahl absolvierter und gelernter<br />
Partien. Und auf den Musikhochschulen werden einzig diejenigen<br />
zu Virtuosen, die ausdauernd geübt haben. Trotzdem wird in diesem Zusammenhang<br />
ein Aspekt nicht genügend gewürdigt: Es ist nicht einfach<br />
die Zeit, die man übt. Entscheidend ist auch, wie man übt! In einer Studie<br />
über das Eiskunstlaufen hat man herausgefunden, dass sich nur diejenigen<br />
Sportler zu exzellenten Läufern entwickeln, die permanent an ihren<br />
Schwächen arbeiten. Diejenigen, die viel Zeit damit verbringen, bereits Gekonntes<br />
zu wiederholen, stagnieren auf längere Sicht. Deshalb braucht es<br />
zur Weiterentwicklung nicht nur Übungsdisziplin. Genauso wichtig ist eine<br />
ausgeprägte Frustrationstoleranz, da sich die erfolgreich Lernenden laufend<br />
mit den eigenen Unzulänglichkeiten beschäftigten. Ein Meister wird dadurch<br />
zum Meister, dass er von seinem Gefühl immer ein Anfänger bleibt. Wie ist<br />
das auszuhalten? Damit sind wir wieder bei der Vision.<br />
41
n Permanente Weiterentwicklung Persönlich<br />
„Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen,<br />
um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben<br />
und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach<br />
dem weiten, endlosen Meer!“ So lautet das treffliche Zitat von Antoine de<br />
Saint-Exupéry. Nur eine hohe intrinsische Motivation hilft, das permanente<br />
Scheitern zu ertragen.<br />
Frustrationstoleranz und Wagemut, Tugenden die in Vergessenheit zu geraten<br />
drohen, braucht es schließlich auch beim letzten, alles entscheidenden<br />
Schritt. Treten Künstler<br />
Wäre es nicht sinnvoller, bei oder Wissenschaftler endlich<br />
mit ihrem Werk an die<br />
SchülerInnen und Studierenden<br />
Öffentlichkeit, werden sie<br />
Kreativität, Beharrlichkeit, Mut<br />
in den seltensten Fällen<br />
zum selbstständigen Denken, aber mit offenen Armen empfangen.<br />
Als Einstein seine<br />
auch Eloquenz und Streitbarkeit<br />
zu fördern?<br />
spezielle Relativitätstheorie<br />
veröffentlichte, wurde sie<br />
anfangs totgeschwiegen. Andere Visionäre wurden verspottet, beleidigt<br />
und gedemütigt. Diese Fälle füllen eine Bibliothek. Sensible Menschen<br />
wie der Physiker Ludwig Boltzmann nahmen sich das Leben, andere wie<br />
der Mathematiker Georg Cantor oder der Mediziner Ignaz Philipp Semmelweis<br />
wurden psychiatrisch auffällig. Wieder andere verbrachten von<br />
der akademischen Nomenklatura gedemütigt ein Leben in der Provinz. In<br />
einem solchen Kampf ist deshalb Einsteins Stirn erneut gefragt, die große<br />
Nase allein führt hier nicht weiter. Als Robert Koch und Louis Pasteur<br />
im 19. Jahrhundert fast gleichzeitig proklamierten, dass viele Krankheiten<br />
von Bakterien verursacht werden, wurden beide mit beißendem Spott<br />
überzogen und viele der damaligen Granden hielten sie für geisteskrank.<br />
Während der schüchterne Koch von der akademischen Welt erst posthum<br />
42<br />
gewürdigt wurde, durfte Pasteur seinen Ruhm schon zu Lebzeiten genießen.<br />
Er ließ sich seinen Schneid nicht abkaufen und wusste sich als<br />
blendender Rhetoriker zu wehren.<br />
Wie steht es heute um die Förderung von Stirn und Nase? Werden Schüler<br />
und Studenten zu eigenständigen Denkern erzogen, die dicke Bretter<br />
bohren können und einen mit harten Bandagen geführten Diskurs nicht<br />
scheuen? Da sind Zweifel erlaubt. Während im Vorschulalter, vielleicht<br />
noch in der Grundschule das Bemühen zu erkennen ist, die Kreativität<br />
der Kinder ernst zu nehmen, so schwindet dieses auf der Oberschule.<br />
An seine Stelle tritt der Nürnberger Trichter, eine weit über das Ziel<br />
hinausschießende Wissensvermittlung, die den Schülern natürlich auch<br />
Disziplin abverlangt. Aber diese Disziplin, bei der nachgekaut wird, was<br />
andere schon vorgekaut haben, ist gänzlich verschieden von der, die man<br />
braucht, um eigenen Visionen eine<br />
Form zu geben. Diese entwickelt<br />
sich im Wechselspiel mit persönlichen<br />
Passionen. Für diese aber<br />
wird die Zeit knapp. Heutige Schüler<br />
absolvieren ein Arbeitspensum, das<br />
Gibt es dort Zeit und MuSSe<br />
für die Studenten, über den<br />
Tellerrand zu gucken?<br />
bei VW-Arbeitern schon lange zu massiven Protesten und Streiks geführt<br />
hätte. Wo bleibt da Zeit für eine individuelle, von der Schule unabhängige<br />
Entwicklung? An den immer stärker verschulten Universitäten verschlimmert<br />
sich das Problem. Gibt es dort Zeit und Muße für die Studenten, über<br />
den Tellerrand zu gucken? Fehlanzeige. In meiner Heimatstadt Tübingen<br />
sitzen in Lesungen bekannter Autoren oder in fächerübergreifenden Vorträgen<br />
des Studium Generale fast nur noch alte Menschen. Schütten wir<br />
auf diese Weise nicht das Kind mit dem Bade aus? Innovationsfähigkeit<br />
wird von allen Bildungspolitikern wie ein Mantra beschworen, einzig die<br />
dazu notwendigen Fähigkeiten werden weder gelehrt noch gefördert!
e Beziehung Persönlichkeitsentwicklung Polit<br />
Das ist dringlicher denn je. Auch die jungen Menschen,<br />
die ihr Studium in kürzestmöglicher Zeit und<br />
allerbesten Noten durchlaufen haben, ziehen eine<br />
gesicherte Versorgungslage den Fährnissen des<br />
freien Unternehmertums vor. Noch nie gab es so<br />
wenige Existenzgründer wie heute. Und auch den<br />
Universitäten würde frischer Wind guttun. Durch<br />
das gängige Berufungssystem – Gleichgesinnte berufen<br />
Gleichgesinnte, weil sie in Journalen, die von<br />
Gleichgesinnten begutachtet werden, Gleichgesinntes<br />
veröffentlicht haben – entstehen geistige Monokulturen,<br />
die nicht zwangsläufig zu großen wissenschaftlichen<br />
Umbrüchen führen. Das ändert sich auch<br />
nicht dadurch, dass laufend das Wort „Exzellenz“ im<br />
Mund geführt wird. Wirkliche „Exzellenz“ nährt sich<br />
aus anderen Quellen. Das hat Einstein sehr klar erkannt.<br />
Deshalb sollten wir uns nicht scheuen, seine<br />
pädagogische Formel auf die Fahnen zu schreiben.<br />
Wir brauchen eigenständige Denker mit einer individuellen<br />
Biografie, die sich trauen, dicke Bretter zu<br />
bohren, um dann in einem fruchtbaren Diskurs für<br />
die besten Ideen und Standpunkte zu streiten. Für<br />
diese Menschen müssen wir die Weichen stellen.<br />
Dazu brauchen wir keinen Intelligenztest.<br />
43
he und gesellschaftliche Kontexte einbeziehe<br />
Künstlerische<br />
Forschung<br />
Prof. Dr. Gesa Ziemer im Gespräch mit Sabine Huth<br />
Woher stammt der Begriff „künstlerisches Forschen“?<br />
Terminologisch beziehe ich mich auf eine Unterteilung im Bereich Künstlerische<br />
Forschung, die Christopher Frayling 1993 in seinem Artikel „Research<br />
in Art and Design“ gemacht hat. Es gibt erstens Forschung über die Kunst,<br />
zweitens Forschung für die Kunst und drittens Forschung durch die Kunst.<br />
Forschung über Kunst besagt, dass die Forschenden eine große Distanz<br />
zu dem zu beforschenden Objekt (ein Bild, eine Performance etc.) einnehmen.<br />
Aus der Vogelperspektive wird Kunst beobachtet, beschrieben,<br />
kategorisiert oder historisiert. Klassische Kunst- oder Theatergeschichte<br />
funktioniert in dieser Art. Im zweiten Fall erforschen die Forschenden<br />
Materialien oder Anwendungen für die Produktion von Kunst. Diese angewandte<br />
Forschung, die auch instrumentelle Perspektive genannt wird,<br />
entwickelt etwa Material für Musikinstrumente oder erforscht Licht für<br />
Bühnenkünstler. Am interessantesten und auch umstrittensten ist der<br />
dritte Anspruch, denn hier steht nicht die Distanz zur Kunst im Mittelpunkt,<br />
sondern es wird von einem gleichberechtigten Verhältnis von Kunst<br />
und Theorie ausgegangen. Kunst wird nicht beforscht, sondern sie forscht<br />
selber. Mit ihren spezifischen – oft nicht primär sprachlichen – Verfahren<br />
(wie z.B. visuellen, tonalen oder körperlich-performativen) tritt sie in den<br />
Dialog mit der Theorie, die sich eher sprachlich-begrifflich äußert.<br />
44
n Positive Erfahrungen in der Gruppe Präsenta<br />
Was fasziniert Sie an der künstlerischen Forschung und wie sind Sie<br />
dazu gekommen?<br />
Ich konnte mich lange nicht entscheiden, ob ich gestalterisch tätig sein<br />
wollte oder eine wissenschaftliche Karriere einschlagen sollte. Ich habe<br />
gleich engagiert Philosophie studiert und im Theater gearbeitet. Bis ich<br />
gemerkt habe, dass ich mich gar nicht entscheiden muss, denn genau<br />
diese Schnittstelle ist sehr produktiv und auch noch nicht sehr stark beforscht.<br />
Meine Philosophieauffassung liegt sehr nah bei der Kunst, denn<br />
ich vertrete ein sehr kreatives, begriffschöpfendes Philosphieverständnis.<br />
Die Geisteswissenschaft scheint mir im Allgemeinen sehr unkreativ und<br />
ängstlich zu sein und könnte diesbezüglich von der Kunst lernen; vor<br />
allem könnte sie ihr enges Methodenrepertoire erweitern. Die Kunst hingegen<br />
ist manchmal sehr unreflektiert, es herrscht der Mythos des rein<br />
Subjektiven. Dort wiederum kann die Theorie scharfe Begriffe und Entstehungsgeschichten<br />
von Diskursen einbringen.<br />
Wer beschäftigt sich mit dieser Art des Forschens? Gibt es ein Netzwerk<br />
„künstlerischer Forscher und Forscherinnen“?<br />
Während diese Debatte in England und auch in Skandinavien weiter fortgeschritten<br />
ist, fängt man im deutschsprachigen Raum erst jetzt an, Orte<br />
zu kreieren und zu definieren, an denen Forschung durch Kunst stattfinden<br />
kann. Häufig sind es Kunsthochschulen, die eine Infrastruktur für<br />
solche Projekte zur Verfügung stellen. Hinzu kommen interdisziplinäre<br />
Forschungsinstitute, an denen Künstler und Wissenschaftler zusammenarbeiten,<br />
PHD-Programme, aber auch neue Studienordnungen an Universitäten,<br />
die es schon BA- oder MA-Studierenden erlauben, nicht „nur“<br />
mit einem akademischen Text, sondern auch mit einem Videoessay, einer<br />
Performance oder einer Installation abzuschließen. Daneben gibt es viele<br />
informelle Netzwerke.<br />
45
n Prozess und Produkt Prozessorientierung Q<br />
Wie verändern sich Ergebnisse und Prozesse in der künstlerischen<br />
Forschung? Welche Erfahrungen haben Sie in Ihren Forschungsprojekten<br />
gemacht?<br />
Künstlerische Forschung verknüpft beide Stärken, um etwas Drittes zu<br />
produzieren. In meinen beiden größeren Forschungsprojekten „Verletzbare<br />
Orte“ und „Komplizenschaften“ haben Tänzer, Juristen, Theoretiker<br />
Innen, Musiker, UnternehmensberaterInnen, Behindertenaktivisten etc.<br />
zusammengearbeitet. Forschung wird dann interessant, wenn man ein<br />
Klima herstellen kann, in dem alle auf Augenhöhe miteinander diskutieren.<br />
Kunst darf in so einem Setting auf keinen Fall zur Dekoration benutzt<br />
werden, und Theorie darf die Kunst nicht besserwisserisch erklären.<br />
Wie können Schulen, Kinder, Jugendliche und Lehrer von diesem Forschungsbegriff<br />
profitieren, damit umgehen und ihn umsetzen?<br />
Wir fordern z.B. in der Bewerbung für unserem neuen BA-Studiengang<br />
„Kultur der Metropole“, den ich an der HafenCity Universität Hamburg leite,<br />
einen Bild-Text-Essay zum Thema Stadt. Es sollen nicht nur die Schulnoten<br />
zählen, sondern uns interessiert genauso das kreativ-gestalterische<br />
Potenzial der Studierenden. Was zählt, ist neben einer interessanten Fragestellung,<br />
auch die Qualität der Bilder und der Bezug zum Text, den die<br />
BewerberInnen herstellen müssen. Diese Verbindung thematisieren auch<br />
forschende Künstler. Wie kann man Bilder und Texte in ein Verhältnis<br />
setzen, ohne dass das eine das andere einfach illustriert? Ich nenne die<br />
Arbeit des Künstlers Alan Sekulas mit dem Titel „Fish Story“, eine frühe<br />
Recherche über Globalisierung, in der Fotografien und Texte in ein sehr<br />
poetisches Verhältnis zueinander gestellt werden. Solche Beispiele aus<br />
der Kunst könnten als Modelle dienen.<br />
46<br />
Wie kann künstlerisches Forschen in Schulen gestaltet werden?<br />
Ich denke, dass Lehrende, wenn sie Kreativität anregen wollen, nicht<br />
nur Wissensvermittler sein sollten. Kreativität fordert ein vertrauensvolles<br />
Klima, in dem die SchülerInnen Ideen entwickeln können, die unfertig,<br />
komisch, falsch oder unangenehm sind. Wer kreativ ist, setzt etwas aufs<br />
Spiel – seine Kompetenz, seinen Stil, seinen Ruf –,was auch immer.<br />
Lehrende sollten sich eher als Komplizen der Schüler verstehen denn als<br />
Instanzen des Wissens.<br />
Welche Bedeutung haben für Sie „Komplizenschaften“ an Schulen und<br />
anderen Bildungseinrichtungen?<br />
Komplizenschaft heißt Mittäterschaft; in komplizitär organisierten Gruppen<br />
werden alle gleichermaßen für das Delikt zur Verantwortung gezogen.<br />
Ich plädiere dafür, das Wort positiv zu besetzen, denn auch in einem<br />
komplizitären Lehr- und Lernverhältnis geht es darum, gemeinsam etwas<br />
zu entwickeln und auch Grauzonen zuzulassen. Diese sind für kreative<br />
Prozesse enorm wichtig. Als Lehrende, die Komplizin ist, fühle ich mich<br />
genauso für die Qualität einer Master-Ausstellung verantwortlich wie die<br />
Studierenden. Mich würde es freuen, wenn SchülerInnen mit dem Anspruch<br />
an die Uni kämen, Verbündete (auch im Lehrpersonal) zu suchen<br />
und nicht nur Meister. Es wäre schön, wenn SchülerInnen ein angstfreieres<br />
Verhältnis zur Kunst entwickeln. Ich erlebe immer noch oft, dass<br />
Kunst verstanden werden will. Dabei ist starke Kunst gerade diejenige,<br />
die man nicht versteht, die einen in Bereiche führt, in denen es nichts<br />
mehr zu verstehen gibt.<br />
Zudem ist es klar, dass Komplizenschaften auch unter Lehrenden eingegangen<br />
werden sollen, um den Kunstunterricht in Schulen zu stärken. Es<br />
ist ganz deutlich zu beobachten, dass künstlerische Kompetenzen heute in<br />
vielen anderen – sehr kunstfernen – gesellschaftlichen Bereichen benötigt
ualität des Angebots Querdenken fördern Rä<br />
werden. Kreativität gehört heute zur Schlüsselkompetenz für jeden, der<br />
sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten will. Aufgrund dieser gesellschaftlichen<br />
Transformationen ist gerade kulturelle Bildung an Schulen heute ein<br />
Kerngeschäft.<br />
Woran forschen Sie gerade? Welche Wünsche und Ideen haben Sie<br />
für die Zukunft?<br />
Ich beobachte eine Entwicklung, die ich problematisch finde: Kunst wird<br />
zurzeit stark akademisiert. Kunsthochschulen führen z.B. PHD-Programme<br />
ein, welche die Arbeiten nach akademischen Kriterien beurteilen. Wichtiger<br />
fände ich, dass Kunst ihre Eigenheiten stark machen kann. Kunst stellt<br />
Fragen und beantwortet keine Probleme, Kunst beharrt auf Vieldeutigkeiten,<br />
anstatt Eindeutigkeiten herzustellen, Kunst konfrontiert mit Nicht-<br />
Wissen, anstatt eine weitere Erkenntnistheorie zu liefern. Kurz: Kunst<br />
forscht und weiß nichts. Ein forschender künstlerischer Ansatz produziert<br />
etwas Anderes, Drittes, Qualitäten im Zwischenraum.<br />
Wenn man die Kunst ernst nimmt, transformiert sie zuerst einmal unseren<br />
engen (wissenschaftlichen) Forschungsbegriff. Eine Eingemeindung<br />
und Befriedung der Kunst durch rationale und objektive Kriterien wissenschaftlicher<br />
Bewertung muss verhindert werden. In diesem Sinne<br />
wünsche ich mir als Wissenschaftlerin eine künstlerische Forschung, die<br />
vor allem unseren engen Wissenschaftsbegriff erweitert. Dazu gehört im<br />
Übrigen auch ein Vertrauen in Humor (eine große Qualität der Künstler),<br />
welcher der Wissenschaft nur guttun kann.
Künstlerische Workshops<br />
49
Der Körper<br />
als Instrument<br />
Constanze Albrecht<br />
Fernab von Leistungsdruck werden Sie in diesem<br />
Workshop Ihre Stimme erleben und lernen,<br />
Ihren stimmlichen Fähigkeiten zu vertrauen.<br />
Experimentiert wird mit Übungen zur Klang- und<br />
Körperwahrnehmung nach der Lichtenberger®-<br />
Methode, die auf die Optimierung der Stimmfunktion<br />
direkten Einfluss haben. Sie werden erfahren,<br />
wie Ihre Stimme klangvoller und tragfähiger<br />
werden kann, ohne dass Sie sich dafür körperlich<br />
anstrengen müssen.<br />
50
Allen Lehrenden, aber auch allen darstellenden Künstlern ist eines<br />
gemeinsam: Sie wollen gehört werden; sie möchten andere erreichen.<br />
Dieser verständlichen Absicht wird erfahrungsgemäß körperlich und<br />
stimmlich sehr viel Nachdruck verliehen. Steht der Kehlkopf jedoch unter<br />
Druck, kann er nicht optimal schwingen. Die Stimmlippen können sich nur<br />
schwer schließen, das umliegende Gewebe versteift und kommt für die<br />
Klangverstärkung nicht infrage. Die Stimmen klingen leise oder hart. Die<br />
körperliche Anstrengung ist groß. Das Klangspektrum ist eingeschränkt.<br />
Mein Vorhaben war, folgende grundsätzliche Erfahrungen zu vermitteln:<br />
Die Klangqualität der Sprech- und Singstimme wird gesteigert, wenn es<br />
gelingt, das eigene Sprechen oder Singen sinnlich zu erleben, also beim<br />
„Senden“ selbst „Empfänger“ zu sein, die Zuhörenden empfinden die im<br />
„Empfangsmodus“ gesungenen oder gesprochenen Klänge als angenehmer<br />
und klangvoller. Diese Erkenntnisse könnten weitreichende Folgen für den<br />
beruflichen Alltag haben, für die Art und Weise, wie man etwas vorträgt.<br />
51<br />
Ich arbeitete mit der Lichtenberger®Methode, eine Stimulanz- und<br />
Fragepädagogik in Bezug auf die Stimmentwicklung.<br />
Zu Beginn des Workshops standen Übungen, die den Teilnehmenden<br />
ermöglichen sollten, in Beziehung zum eigenen Klangerleben zu kommen<br />
und die gleichzeitig das „Empfangen“ schulen. Sie sangen einzelne Töne<br />
auf die Vokale o-a-o und ich stellte ihnen dazu folgende Fragen:<br />
Woran merkt ihr, dass ihr singt? Wo vibriert es? Am Kehlkopf? Wie weit<br />
geht das? Vergrößert mit den Händen eure Ohrmuscheln! Wie hört sich<br />
der Klang vor euch an? Er wurde kräftiger und schwingungsreicher. Nehmt<br />
die Hände weg! Könnt ihr mit der Erinnerung an das Gehörte singen?<br />
Der Klang blieb genauso vibrationsreich, die Teilnehmenden empfanden<br />
weniger Anstrengung. (Der Kehlkopf profitiert vom Hören.)<br />
Legt die Hände vor die Ohren, sodass ihr den Klang hinter euch hört!<br />
Könnt ihr ihn noch hören, wenn ihr die Hände wegnehmt?
Es folgten Übungen, in denen das Erlebte auf die Sprechstimme übertragen<br />
wurde, mit dem Text von „Der Mond ist aufgegangen“. In einer<br />
speziellen Übung zum „Empfangen und Senden“ bildeten die Teilnehmenden<br />
einen Innen- und einen Außenkreis. Die äußere Gruppe sang in zwei<br />
Varianten: einmal mit „Sendungsbewusstsein“, also mit der Motivation,<br />
die Menschen in der Mitte erreichen zu wollen, und dann im „Empfangsmodus“,<br />
also im Zustand des eigenen Klangerlebens. Die Gruppe in der<br />
Mitte wusste nicht, welche Variante zuerst gewählt wurde.<br />
Das Ergebnis: Die innere Gruppe nahm deutliche Unterschiede wahr, obwohl<br />
die Tonhöhe und die Vokale gleich waren: Beim „Senden“ empfanden<br />
sie sich bedrängt und den Klang als scharf und teilweise schmerzvoll.<br />
Beim „Empfangen“ fühlten sie sich selbst als Vibrationskörper und den<br />
Klang als obertonreicher. Er berührte sie mehr.<br />
Für den beruflichen Alltag könnte das heißen: Wenn es gelingt, beim<br />
Sprechen oder Singen die Aufmerksamkeit auf das eigenes Klangerleben<br />
zu richten, also wegzukommen von der Idee, andere erreichen zu<br />
müssen, ist das Frequenzspektrum reicher. Der körperliche Krafteinsatz<br />
verringert sich. Die Stimme ist tragfähiger, ohne scharf zu sein. Das Gegenüber<br />
erlebt sie als angenehm. Gesungene oder gesprochene Inhalte<br />
haben so mehr Chancen, gehört zu werden. (Hier sei kurz erwähnt, dass<br />
die „Idee vom Empfangen“ oder vom „Aufnehmen der Schwingungen“<br />
das Schließen der Stimmlippen optimiert, während das „Senden“ oder<br />
das „Jemanden-Erreichen-Wollen“ oft zu einem Überdruck führt, der sie<br />
aufbläht und die Stimmgebung erschwert.)<br />
Auf den Rückmeldebögen berichteten die Teilnehmenden, dass sie Folgendes<br />
fasziniert habe:<br />
die Vibrationserfahrung + der Klang im Kopf + die Beeinflussung des<br />
Singens durch die Wahrnehmung + die Veränderung der Stimme durch<br />
Hinhören + die Verbindung von Stimme und Körper + die Steigerung der<br />
stimmlichen Kraft in kurzer Zeit.<br />
Folgendes wollen sie in ihren Alltag integrieren:<br />
beim Sprechen mehr „bei sich bleiben“ + die Erinnerung an die Vibrationen<br />
und das damit verbunden Gefühl, den Körper als Instrument zu<br />
erleben + mehr auf die eigene Stimme hören + auf dem Hin- und Rückweg<br />
öfter singen + Schwingung und Raum innen in den Klangraum nach außen<br />
tragen + dranbleiben + Erkenntnis: Nicht Lautstärke, sondern Schwingung<br />
gibt die Qualität. Und: Ich darf mich beim Sprechen und Singen selbst<br />
erleben.<br />
52
hythm,<br />
improvisation,<br />
now<br />
Dieter Markowsky<br />
Im Workshop geht es um musikalisch-rhythmische<br />
Begegnungen und das gemeinsame Gestalten eines<br />
Rhythmuskreises. Dabei stehen die Freude beim<br />
Zuhören und die eigene kreative Aktivität im Vordergrund<br />
– vor Leistung und Perfektion, unabhängig<br />
vom musikalischen Können sowie dem eigenen<br />
kulturellen Hintergrund. Bei der Gestaltung des<br />
Rhythmuskreises wird mit Gesang, Bodypercussion<br />
und auf Instrumenten improvisiert. Es werden<br />
individuelle rhythmische Ressourcen entdeckt und<br />
erlebt, erweitert und in den gemeinsamen Prozess<br />
gestellt. Das Seminar soll dazu anregen, selbst auszuprobieren<br />
und das Entdeckte weiterzuentwickeln.<br />
Dieses Angebot bietet einen Zugang, Rhythmus mit<br />
allen Sinnen zu erfahren, sich tragen zu lassen,<br />
herausfallen zu dürfen und wieder einfinden zu<br />
können oder im Hören und Fühlen zu verweilen und<br />
auch ohne Worte zu kommunizieren.<br />
53
Rhythmuserlebnisse lassen sich nur schwer durch Worte vermitteln, vielmehr<br />
geht es darum, ins Spielen und Improvisieren zu kommen. Meine<br />
Aufgabe war die des Vermittlers („Facilitator“), der arrangiert und orchestriert<br />
und den Teilnehmenden einen einfachen Weg in die Welt der Musik<br />
und des Rhythmus eröffnet. Dabei spielt es keine Rolle, wie viel musikalische<br />
Erfahrung oder welchen kulturellen Hintergrund die Einzelnen haben.<br />
In einem offenen Trommelkreis („Drum Circle“) stellte ich Trommeln und<br />
Perkussionsinstrumente aus verschiedenen Ländern vor. Die Teilnehmenden<br />
waren sofort von Handhabung, Klangvielfalt und der Exotik der<br />
Instrumente fasziniert. Als Einstieg und Grundlage unseres gemeinsamen<br />
Rhythmusausflugs klatschten wir jeden Vor- und Nachnamen, um<br />
gemeinsam das rhythmische Muster („Pattern“) zu erleben und spürbar<br />
zu machen. Dabei entstand eine Vielzahl spannungsreicher Muster. Dann<br />
sollten alle das eigene Vor-/Nachnamen-Pattern auf das von ihnen gewählte<br />
Instrument übertragen und fortlaufend spielen. Ziel war es, in<br />
den rhythmischen Ablauf hineinzufinden. Dabei konnte man den eigenen<br />
Namensrhythmus verlassen und frei improvisieren oder bei diesem bleiben.<br />
Im gemeinsamen Gestalten des Rhythmuskreises gab es viel zu<br />
entdecken: das Gestalten mit den verschiedenen musikalischen Basiselementen<br />
wie zum Beispiel Tempo, Dynamik, Melodie und Lautstärke. Jeder<br />
war am gemeinsamen Geschehen beteiligt und konnte dieses durch sein<br />
Spielen gestalten.<br />
Als Facilitator gab ich durch Körpersprache verschiedene Aktionen in die<br />
Gruppe hinein, die den Verlauf unterstützten und dazu einluden, die Rolle<br />
als Facilitator selbst zu übernehmen. So entstand ein „Call and Response“-<br />
Spiel: Ein Teilnehmer spielte auf der Glocke eine Folge von Schlägen und<br />
die Gruppe antwortete darauf. Eine Kleingruppe blieb bei ihrer Improvisation,<br />
gleichzeitig reagierte der andere Teil der Gruppe im „Call and<br />
Response“-Spiel auf eingegebene Signale des Vermittlers.<br />
Für mich war es eine Freude zu erleben, wie alle mehr und mehr zu ihrem<br />
rhythmischen Ausdruck fanden. Dabei wurde kraftvoll getrommelt, langsam<br />
und kontinuierlich, leise, mutig, schnell und wechselnd, rhythmisch,<br />
verträumt, ängstlich, herausfordernd, melodisch, im Dialog und vieles<br />
mehr. Es entwickelte sich ein gemeinschaftliches Miteinander, ein improvisierendes<br />
Perkussions-Ensemble, das Lust auf mehr machte.<br />
54
Ka le ba schi Ka le ba schi Ka le ba schi Ka le ba schi Puls<br />
Die ter Mar kow sky Die ter Mar kow sky Namen<br />
Rü di ger Mus ter Rü di ger Mus ter Namen<br />
tR tL tR tL FuSS<br />
Praxis-Beispiel: Namen-Rhythmus<br />
• Zu Beginn startet ihr mit dem Klatschen eures<br />
Vor- und Nachnamens.<br />
• Sucht euch einen weiteren Mitspieler,<br />
der wiederum seinen Namen klatscht.<br />
• Findet einen gemeinsamen Grundschlag.<br />
• Dann beginnt einer von euch mit dem Klatschen<br />
und der nächste steigt ein, wenn er den Impuls verspürt.<br />
• Wenn ihr keine Instrumente zur Verfügung habt,<br />
nehmt das, was grade zur Hand ist, z.B. Gläser, Tisch,<br />
den eigenen Körper (klatschen, patschen, Brust klopfen).<br />
Viel Spaß beim Ausprobieren!
Expansion<br />
Tanz<br />
Karen Bösser<br />
Haltung, Gesten und Blicke<br />
im Raum, Eindrücke von<br />
Orten und Plätzen werden<br />
umgesetzt in tänzerische<br />
Bewegung. Ausgehend von<br />
einfachen Übungen zum<br />
Platzieren des Körpers geht<br />
es um die Sensibilisierung<br />
und Orientierung anhand<br />
von Bewegung im Raum.<br />
Der Kreis als Unterrichtsform<br />
steht symbolisch für Schutz<br />
und Sicherheit aufgrund<br />
seiner in sich geschlossenen,<br />
vollkommenen Form.<br />
56
Übungsformen und Ziele<br />
Vorstellungsrunde und Warm-up:<br />
Den eigenen Körper wahrnehmen und erleben<br />
Jeder erfindet zu dem eigenen Namen eine passende Bewegung. Die<br />
Gruppe wiederholt den Namen mit der Bewegung, sodass eine Bewegungssequenz<br />
entsteht. Warm-up: einfache Übungen zum Platzieren<br />
des Körpers und Sensibilisieren der Körperwahrnehmung, z.B. einfache<br />
Rotationen der Wirbelsäule in der waagerechten Ebene mit dem Ziel, die<br />
Flexibilität im emotionalen Bereich zu stimulieren.<br />
Tai-Chi-Übung „Cloud Hands“ zum Energetisieren der Hände als Ansatz für<br />
die Möglichkeit, besser zu „begreifen“.<br />
Stärkung des sozialen Gleichklangs in der Gruppe:<br />
Die anderen Mitspieler im interaktiven Umgang erleben<br />
Im Kreis synchron gehen, um das eigene Zentrum zu spüren, das Zentrum<br />
der Kreismitte zu finden, in der sich alle Zentren der Gruppe mischen.<br />
Eine Person geht mit geschlossenen Augen schlangenförmig durch die<br />
Lücken zwischen den Teilnehmenden. Ziele sind: Sensibilisieren und Stimulieren<br />
der Sinne, eigenes Erleben der Gewichtsverlagerung beim Slalom, taktile<br />
Eindrücke beim Anstoßen an die Stehenden sowie Raumorientierung.<br />
Aus dem Kreis wird eine Person mit geschlossenen Augen losgeschickt,<br />
sie geht durch den Raum und wird, sobald sie den Rand erreicht, von dem<br />
dort Stehenden empfangen und mehrmals wieder zurück in den Kreis<br />
geschickt. Ziel ist: Wahrnehmung des Alleine-Gehens im Raum und die<br />
der gefühlten nonverbalen Begegnung.<br />
Dann wird der durch den Raum wandernden Person ein Erlebnis vermittelt<br />
– sie wird z.B. zum geführten Tanz eingeladen, gestoppt, gehoben.<br />
Ziel ist: fürsorgliche, aufmerksame Verantwortung für die blinde Person zu<br />
übernehmen, aber auch Vertrauen und Aufmerksamkeit zu geben. Fragen:<br />
Welche Form der Berührung gab Sicherheit? Was fühlte sich grob oder<br />
fahrlässig an? Welche Form der Berührung gebe ich aufgrund meiner eigenen<br />
Erfahrung an andere weiter?<br />
Einleitung und Vertiefung der Raumwahrnehmung: Eine Person steht mit<br />
geschlossenen Augen im Kreis, die Teilnehmenden pirschen sich langsam<br />
von allen Seiten an. Die Versuchsperson teilt mit, von welcher Seite sie<br />
eine „Information“ empfängt. Was nehme ich wahr? (Licht, Geräusche,<br />
Menschen, Geruch, Wärme?) Welche Körperseite ist wach oder schwach<br />
in der Wahrnehmung? Wie empfinde ich den Raum um mich?<br />
Eine sinnliche „Multitasking-Tanzpartitur“ in drei Gruppen:<br />
Den Mitspieler und den Raum situativ erfahren<br />
Die einzelnen Gruppen suchen sich die spannendste, atmosphärischste<br />
oder merkwürdigste Stelle im Raum aus.<br />
An den gewählten Orten wird in Bezug zur spezifischen Raumarchitektur<br />
eine Choreografie erarbeitet.<br />
Jede Gruppe stellt gemeinsam eine Bewegungssequenz her, d.h., jede<br />
Person steuert drei Bewegungen zur Choreografie bei, die anschließend<br />
der Rest der Gruppe lernt.<br />
Nach dem gegenseitigen Anschauen der „Tanz-Raum-Installation“ werden<br />
alle Choreografien gleichzeitig in den Raum gesetzt und performt: Beim<br />
Performen, im Miteinander mit der Gruppe stand die Auseinandersetzung<br />
mit der Beschaffenheit des gewählten Ortes im Mittelpunkt sowie das<br />
Wahrnehmen der Mitperformer im ganzen „Bühnenbereich“.<br />
57
Krisenfest:<br />
Theater<br />
Peter Frohleiks<br />
Warum überhaupt das Risiko eingehen und Improvisationstheater<br />
machen? Fragen Sie die Eintagsfliege!<br />
„Stellen Sie sich vor, Sie wären eine Eintagsfliege. Dieser Tag heute<br />
ist dann sozusagen der schönste und wichtigste Tag in Ihrem Leben,<br />
den können Sie ja wohl nicht so einfach vertrödeln oder so. Sie haben<br />
keine Zeit zu verlieren und Sie können ja auch schlecht auf bessere Tage<br />
warten. Sie können nicht einfach sagen: ‚Das ist nicht mein Tag heute,<br />
ich hau mich mal wieder hin!‘ Nichts da, Pustekuchen! Auch wenn Sie<br />
vielleicht mit dem falschen Bein aufgestanden sind und es da ja jetzt<br />
deutlich mehr Möglichkeiten gibt, sich zu vertun – Pech gehabt! Das<br />
kann einem zwar den ganzen Tag versauen, aber bitte schön: Da muss<br />
man sich morgens beim Aufstehen eben mal ein bisschen konzentrieren.<br />
Gehen Sie also nicht so leichtfüßig mit Ihrem kostbarsten Tag um.<br />
Es kann einen ja als Eintagsfliege ohnehin schon hart genug treffen.<br />
Stellen Sie sich vor, Sie werden im Sommer in Deutschland geboren,<br />
dann haben Sie wahrscheinlich Ihr ganzes Leben lang Regen. Oder Sie<br />
wollen ins Kino und sehen schon von Weitem: Heute Ruhetag! Bitte<br />
kommen Sie morgen wieder! Und dann auch die berufliche Situation.<br />
Sie haben nie die Aussicht auf eine Ausbildung oder gar ein Studium,<br />
sondern bleiben immer einfacher Tagelöhner. Jetzt werden Sie sagen:<br />
‚Das ist doch einfach gemein, wo bleibt da die soziale Gerechtigkeit?‘<br />
Das ist richtig, aber andererseits haben Sie jeden Tag Ihres Lebens<br />
Geburtstag und bekommen Ihr ganzes Leben lang Geschenke! Sie<br />
müssen sich nie Sorgen um Ihre Rente machen, für Sie ist kein Tag wie<br />
der andere, Sie brauchen nie für den nächsten Tag einzukaufen, haben<br />
immer die richtige Tageszeitung und wenn Sie auf einer Party Ihren<br />
Traumtyp treffen, hören Sie bestimmt nicht: ‚Tut mir leid, ich bin nicht<br />
für einen One-Night-Stand zu haben, ich suche eine feste Beziehung fürs<br />
Leben!‘ Nein, so einen Blödsinn würde man dann nicht hören wollen!<br />
Und ganz bestimmt würden Sie sich nicht Ihren einzigen Tag durch irgendwelches<br />
sinnloses Zeug vermiesen lassen. Sie würden das machen,<br />
worauf es im Leben, ob kurz oder lang, ankommt: Scheitern mit Spaß!<br />
Sie würden mit Sicherheit lebenslang Improvisationstheater spielen.“<br />
59
Die meisten Teilnehmenden im Workshop „Krisenfest: Theater“ hatten<br />
noch keine Erfahrungen im Bereich Theater. Ziel war es daher, allen<br />
in der kurzen Zeit einen Eindruck von den Grundlagen und Methoden<br />
des Improvisationstheaters zu vermitteln. Voraussetzung dafür war es,<br />
möglichst schnell ein Klima zu erzeugen, in dem praktische Erfahrungen<br />
angstfrei gemacht werden können. Ich versicherte deshalb, dass Fehler<br />
beim Improvisationstheater nicht nur erlaubt, sondern absolut erwünscht<br />
seien, dass Scheitern mit Spaß geradezu unabdingbar sei und dass man<br />
überhaupt erst durch Fehler lernen könne, Improvisationstheater immer<br />
besser zu spielen.<br />
So war bereits der Einstieg im dynamischen Klatschkreis von mir bewusst<br />
darauf angelegt, Fehler zu provozieren. In diesem Fall hieß dies, die Teilnehmenden<br />
rasch an ihre koordinativen, rhythmischen Grenzen heranzuführen<br />
und dabei auch noch – oder gerade deswegen – Spaß zu haben.<br />
Dass allen – auch mir – irgendwann zwangsläufig Fehler unterliefen,<br />
machte es leicht, über sich zu lachen und gleichzeitig spielerisch wachsame<br />
Präsenz zu erlangen, sich gegenseitig bewusst wahrzunehmen.<br />
Es folgten einige kurze Körperübungen zum Thema Anspannung/Entspannung,<br />
freies und themengebundenes Assoziieren im Kreis und anschließend<br />
einfache Übungen und Spiele des Improvisationstheaters. Nachdem<br />
die jeweiligen Spielregeln vermittelt waren, forderte ich beim Spielen<br />
immer wieder dazu auf, sich in rascher Folge in die Rolle der Zuschauer<br />
oder der Spieler zu begeben und ohne allzuviel Abwägen und Nachdenken<br />
spontanen Eingebungen zu folgen. Sehr schnell entstand während der<br />
Spiele eine heitere, gelöste Stimmung und die Angst, sich eventuell durch<br />
einen Einfall zu „blamieren“, trat sichtlich in den Hintergrund.<br />
Bei der abschließenden Feedbackrunde waren viele über die offensichtliche<br />
Originalität und Kreativität der eigenen Einfälle und der der anderen<br />
sowie die insgesamt lustvolle Atmosphäre erstaunt bis begeistert.<br />
60
Variationen<br />
des Sehens<br />
Elmar Mauch<br />
Dieser Workshop wird in eineinhalb Stunden die Möglichkeiten und<br />
Variationen des Sehens anschaulich machen. Ausgehend von fotografischen<br />
Bildern wird in die Thematik des subjektiven Blickes eingeführt.<br />
Grundüberlegungen: Um zu einem gestalterischen Produkt oder einem<br />
künstlerischen Werk zu gelangen, müssen Entscheidungen getroffen<br />
werden. Ausgehend von einer Position (Standpunkt) wird eine Perspektive<br />
(Blick) eingenommen, um zu einem Entwurf (Bild) zu kommen.<br />
Grundlage und Ausgangspunkt all dieser Vorgänge ist das Sehen. Und<br />
dieses unterliegt höchst subjektiven Kriterien, die in diesem Workshop<br />
anschaulich gemacht werden.<br />
Bilder sind wandlungsfähig – sie ermöglichen Zugänge zu Abwesendem –<br />
ihre Wirkung hängt vom Erfahrungshorizont der Betrachter ab –<br />
sie agieren bis in den nichtsprachlichen Bereich – es gibt so etwas<br />
wie eine visuelle Intelligenz bzw. Erfahrung – diese setzt<br />
Empathiefähigkeit voraus – ich muss mich einlassen –<br />
dann kann ich die Hintergründigkeit der Bilder entdecken<br />
Dieses waren meine Grundüberlegungen und der Ausgangspunkt für<br />
den Workshop. Mir war wichtig, dass die Teilnehmer durch praktische<br />
Übungen in verschiedene Denk- und Gestaltungsprozesse eingebunden<br />
wurden. So sollten sie durch eigenes Erfahren, durch direktes Anwenden,<br />
Durchdenken und Erproben einiges über die Grundlagen des Mediums<br />
Fotografie und über die Subjektivität unserer visuellen Wahrnehmung<br />
erfahren. Andererseits sollte das Gesehene in ein aktives Handeln und<br />
bewusstes Entscheiden umgesetzt werden. Sensibilisierung für latente<br />
Bilder und beginnende Autorenschaft galt es zu verbinden.<br />
61
das Abbild – die Welt bildet sich selber ab (Camera Obscura) –<br />
der Fotoapparat ist ein Reduktionsinstrument – er nimmt Ausschnitte<br />
aus der sichtbaren Wirklichkeit<br />
Anhand eines Kameramodells zeigte ich die Wirkungsweise von Kameras<br />
und versprach den Teilnehmern, dass wir uns jetzt in die Kamera<br />
hineinbegeben würden. Wir betraten im Schein einer Taschenlampe den<br />
dunklen Nebenraum. Erst war man von vollkommener Dunkelheit umgeben.<br />
Erst langsam war die kleine Öffnung zu erkennen, durch die Licht in<br />
den Raum fiel. Und nach etwa drei Minuten waren auf der weißen Wand<br />
Schemen zu erkennen. In der dunklen Kammer waren wir alle Beobachter<br />
von optischen Phänomenen, die immer klarer wurden, je mehr sich das<br />
Auge der Dunkelheit angepasst hatte. Langsam wurde die Projektion des<br />
Außenraumes, der auf dem Kopf stehend und seitenverkehrt auf die Rückseite<br />
des Raumes projiziert war, zu erkennen. Der helle Teil am Boden war<br />
der Himmel. Der dunkle Streifen in der Mitte ließ sich als Siebengebirge<br />
erkennen. Und oben war der Rhein zu sehen. Dazu ein Baum, ein Geländer,<br />
die Hausfassade. Das Erstaunen war groß, als dann sogar Rheinschiffe<br />
durch die Bildfläche fuhren.<br />
Das Prinzip dieser dunklen Kammer, in die durch ein kleines Loch Licht von<br />
außen hineinfällt und ein Abbild der äußeren Wirklichkeit auf dem Kopf<br />
stehend zeigt, ist schon mehr als 2000 Jahre bekannt. Dieses Abbild aber<br />
festhalten, d.h. fixieren zu können, war die Geburtsstunde der Fotografie.<br />
62<br />
Es war von mir ein bewusster Schritt, im Zeitalter digitaler Bilder, die<br />
allzuoft latent bleiben, zu den Ursprüngen des Sehens zurückzugehen.<br />
Jetzt hatten wir also dem Entstehen eines Bildes zugeschaut und das<br />
Staunen gelernt. Genau nach dem gerade gesehenen Prinzip funktioniert<br />
auch unser Auge. Aber die Netzhautbilder müssen dann noch vom Gehirn<br />
verarbeitet werden. Und dieses Prinzip des Verarbeitens probierten wir<br />
nun anhand des Ausschnittsuchens innerhalb einer Bildpostkarte aus. Ein<br />
langweiliger und ein spannender Bildteil sollte von jedem, mithilfe einer<br />
24 x 36 mm großen Schablone, gefunden und ausgeschnitten werden.<br />
Interessant war es zu sehen, wie unterschiedlich die Entscheidungen<br />
anhand des selben Bildes getroffen wurden. Was einige für langweilig<br />
hielten, erschien anderen spannend. Wir redeten also über die Relativität<br />
von Entscheidungskriterien.<br />
finden und entscheiden – Ausschnitt festlegen nach unterschiedlichen<br />
Kriterien – was entsteht?<br />
In einem weiteren Schritt ging es darum, beim Gang durch den Garten<br />
der Villa Prieger ein einziges Bild, einen einzigen Ausschnitt der sichtbaren<br />
Wirklichkeit zu suchen. Mithilfe einer Schablone konnten Teile des<br />
Sichtfeldes ausgeblendet werden. Es ging darum, sich Gedanken zu machen,<br />
wieso dieser eine Ausschnitt aus dem unendlichen Angebot der<br />
sichtbaren Wirklichkeit auch für andere von Interesse sein könnte. Es<br />
sollte dabei geübt werden, Bilder mal nur zu denken. Angesichts der Tatsache,<br />
dass wir heute jederzeit unendlich viele Bilder machen können und
dabei vielleicht die Konzentration auf das Wesentliche vernachlässigen,<br />
war dies eine Übung, Blick und Gedanken zu erfahren, ohne sie materialisieren<br />
zu müssen.<br />
bewusst wahrnehmen – Bilder denken – Standpunkt suchen –<br />
Blickrichtung finden – warum dieser Blick – was wähle ich aus –<br />
und wieso – was könnte dadurch für Dritte sichtbar werden?<br />
In der abschließenden Kleingruppenarbeit war die Aufgabe für jede und<br />
jeden, aus einer Ausgabe eines Nachrichtenmagazins zwei unterschiedliche<br />
Bilder zu finden, die gemeinsam zu einem Bildpaar werden sollten,<br />
das in seiner Gesamtheit einen gestalterischen und inhaltlichen Mehrwert<br />
zu den Einzelbildern darstellt. Wie Bilder auf- und miteinander wirken,<br />
kam dabei in den Fokus der Wahrnehmung. Vom Sehen über das Denken<br />
kamen wir nun zum aktiven Handeln nach eigenen Kriterien und Vorstellungen.<br />
Das aktive Umgehen mit Bildern auf ein Ziel hin, war für manche<br />
ungewohnt. Es wurden Bildpaare gesucht, gebildet, diskutiert, überprüft<br />
und manchmal wieder verworfen. Die Diskussionen in den Zweiergruppen<br />
führten zur aktiven Erkenntnis, wie wichtig Kontext und Umfeld für die<br />
Wirkung von Bildern ist.<br />
Bildpaare finden – in Gruppenarbeit über die Bildauswahl diskutieren<br />
– wo will ich hin – was geschieht, wenn Bilder aufeinanderstoßen –<br />
Entscheidung treffen aufgrund der eigenen Erfahrung und Individualität<br />
– die Erweiterung des Bildraumes<br />
Fazit: Dieser kleine Exkurs in die Welt der fotografischen Bilder, ihrer<br />
Ursprünge und Grundlagen verschaffte den Workshopteilnehmern eine<br />
Sensibilisierung für die Thematik des Bildes, seiner Wirkung und Möglichkeiten.<br />
Zumal schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts weise<br />
erkannt wurde, dass der Bildunkundige der Analphabet der Zukunft sei.<br />
63<br />
ein Gestaltungsprozess kommt in Gang – neue Bild- und Denkräume<br />
entstehen<br />
Es war mir wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer anhand von<br />
Erfahrungen und Übungen Wirkungsweisen fotografischer Bilder selbst erleben,<br />
sie durchdenken und sich ihre Erkenntnisse selbst erarbeiten. Gerade<br />
deshalb, weil der heute übliche, oft gedankenlose Umgang mit Bildern,<br />
die ohne großen Aufwand geknipst werden können und permanent verfügbar<br />
sind, oft Wichtiges und Grundlegendes vergessen lässt. Das bewusste<br />
Innehalten vor dem Bild, das Nachdenken über den Vorgang des<br />
Bildermachens einerseits und das aktive Eingreifen und Entscheiden beim<br />
Bildermachen andererseits war für die Beteiligten ein wichtiger Schritt,<br />
Kommunikationsprozesse mit Bildern von einer anderen Position aus zu<br />
sehen und anzugehen.<br />
Ein besonderes Erlebnis war es für mich zu beobachten, wie einzelne Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer über die Sensibilisierung ihrer eigenen Wahrnehmung<br />
erstaunt waren. Sie fanden großen Gefallen an diesem hintergründigen<br />
Umgang mit Bildern, bei dem Gedanken Gestalt werden können.<br />
Dass der Workshop erfolgreich verlief, lässt sich auch daran ablesen, welch<br />
eine Vielfalt von ungewöhnlichen Lösungen bei der abschließenden Übung<br />
gefunden wurde. Bei der Präsentation der Bildpaare wurde dann geschaut,<br />
gedacht, diskutiert, verglichen oder einfach nur gestaunt.
Epilog<br />
Wie aus Bäumen<br />
dicke Hunde<br />
werden<br />
Kerstin Huven<br />
Reflexionen aus Sicht der TeilnehmerInnen<br />
Ein mit Menschen, Themen und Methoden reichhaltig und dicht bestücktes<br />
Symposium liegt hinter mir. Und vor mir die Bitte der Organisatorinnen,<br />
für die <strong>Dokumentation</strong> eine subjektive Rückschau und Reflexion<br />
zu den Besonderheiten dieser zwei Tage zu wagen, zu dem, was die<br />
Veranstaltung von anderen abgehoben hat, dazu, wie Theorie und Praxis<br />
zueinander fanden, und was ich nun mitnehme für mich.<br />
Inspirationen<br />
Inspirierend in vielerlei Hinsicht und im Vergleich besonders waren für<br />
mich – neben den unterschiedlichen inhaltlichen Perspektiven auf das<br />
Tagungsthema – vor allem drei Dinge.<br />
Erstens: die Begeisterung der Referentinnen und Referenten.<br />
Gerald Hüther hat uns neben vielem anderen erzählt, Begeisterung sei<br />
sozusagen ein neuronales Düngemittel für das Hirn und damit Sprungbrett<br />
für Kreativität und Potenzialentfaltung. Mehrmals haben wir gehört,<br />
wie wichtig es sei, Funkenträger zu sein, zum Lernen einzuladen und<br />
zu ermutigen. Und das Gute daran ist: Es ist ganz einfach, weil genau<br />
diese Funken schon in uns liegen! Das haben die Vortragenden mit ihrer<br />
Haltung, ihren Schilderungen, mit der Art und Weise, mit der sie für ihre<br />
Themen brennen, so lebendig und authentisch vorgemacht.<br />
Zweitens: das Spiel mit Zufällen und Einfällen, Realitäten und Rollen während<br />
des Improvisationstheaterworkshops.<br />
Für jemanden wie mich, die vornehmlich über und mit Sprache arbeitet,<br />
65
Epilog<br />
ein ziemliches Wagnis. Und gleichzeitig ein spannendes und vergnügliches<br />
Erfahrungsfeld, in dem Facetten und Seiten in uns Raum bekommen,<br />
die sonst sehr im Verborgenen liegen.<br />
Unabhängig von der persönlichen Ausdrucksfindung war der Workshop<br />
auch eine Einladung, das vorher Gehörte gleich nachzuerleben und Impulse<br />
für die eigene Praxis zu sammeln. Ermutigung, positive Erfahrungen,<br />
freudvolles Lernen – das scheint so leicht zu erreichen. Die Aufmerksamkeit<br />
schärfen, Wachsamkeit wecken und ein leicht gelingendes Fokussieren<br />
jenseits von anstrengendem, verlangtem Konzentrieren – alles einfach<br />
so da. Ebenso wie das wohltuende Gefühl, Körper und Geist nach dem<br />
frontalen Input Bewegung zu gönnen und sich gewissermaßen mehrsinnig<br />
auf ungewohntes Terrain zu begeben. Oder in spielerischer Absichtslosigkeit<br />
viel Kreativität freizusetzen, Selbstwirksamkeit zu erspüren, im<br />
Spiel mit anderen den Verlauf einzelner Impulse zu verfolgen.<br />
Drittens: „Die Logik des Gelingens“ von Marco Wehr. Lesen!<br />
Irritationen<br />
Allein das Wort finde ich bereits verstörend – mit dem „irr“ am Anfang<br />
und damit dem Verweis auf Denk- oder Verhaltensmuster abseits gesellschaftlicher<br />
Konventionen und sozialer Normen. Die Assoziationskette<br />
weiterführend ergibt sich schnell die „Verrücktheit“ und damit das Potenzial<br />
künstlerischer Prozesse, eingefahrene Muster und Perspektiven im<br />
positiven Sinne zu ver-rücken. So geschehen etwa im Workshop zu den<br />
„Variationen des Sehens“ mit der Anleitung, sich die eigenen, subjektiven<br />
Kriterien des Betrachtens von Welt zu vergegenwärtigen und das Wahrnehmen<br />
deutlich wahrzunehmen. In einer Camera obscura stehend ist es<br />
– abgesehen vom lebensechten Eintauchen in die Funktionsweise einer<br />
Lochkamera – ein eigenwilliges Gefühl, das Bild eigentlich schon „da“<br />
zu wissen, ohne es sehen zu können. Dem sich langsam abzeichnenden<br />
Schatten auf der Wand weise ich ziemlich willkürlich einen Sinn zu und<br />
finde, dass das Geäst des Baumes draußen viel eher ein sich heranpirschender<br />
dicker Hund ist, das auf dem Kopf stehende Balkongeländer eigentlich<br />
den Spitzengardinen in der Küche meiner Oma entspricht, während<br />
der Rhein zum wolkenverhangenen Himmel vor dem Fenster wird.<br />
Zurück zum Wort Irritationen: Die Mitte auslassend bleibt „irren“ stehen<br />
und ein kleines Experiment, das mir aus Kersten Reichs Vortrag<br />
sehr nachdrücklich im Kopf geblieben ist. Was uns das Wort Cwmbrân<br />
– nicht aufgeschrieben, sondern schnell und nuschelig ausgesprochenen<br />
– sage. Klingt wie „guck mal an“ oder „Koona Bay“ und soll doch nur ein<br />
Wort sein. Im Geiste nachsprechend wird daraus Kormoran, Membran,<br />
Co-brain, Kuhgang, combat … ein walisischer Ort schließlich ist die<br />
Lösung. Diesen gedanklichen Ausflug in all das während des Symposiums
Epilog<br />
Gehörte und Erlebte einbettend, führt der Blick darauf zu einer versöhnlichen<br />
Erkenntnis: Nichtwissen und Irrungen sind Türen zu neuen Denkund<br />
Erfahrungswelten.<br />
Die „Ionen“ am Wortende rufen in mir vor allem ungute Erinnerung an<br />
naturwissenschaftliche Doppelstunden hervor und an die miesen Noten<br />
in Physik und Chemie, die am Schuljahresende den Schnitt immer so nach<br />
unten drückten. Ein leicht irritierender Zufall, dass im Publikum ein Teilnehmer<br />
als Physiker entlarvt und just zu seinem Blick auf sich selbst<br />
als Künstler befragt wurde. Die Antwort wiederum war durchaus inspirierend<br />
– seien doch vornehmlich die forschenden Kollegen als Künstler<br />
zu verstehen, deren theoretische Kreativität oftmals zu bahnbrechenden<br />
Erkenntnissen führe.<br />
67<br />
Innovationen<br />
Was also nehme ich mit aus dem Symposium? Zunächst einmal mit Blick<br />
auf den Alltag viele Fragen: Wie stellt man Verständigung her zwischen<br />
diesen zwei so unterschiedlich funktionierenden Systemen Pädagogik und<br />
Kunst, wenn die Menschen weniger offen sind und sich auf das Bekannte<br />
und Gewohnte verlassen wollen? Wie gelingen Grenzgänge, Brüche und<br />
wirklich offene Prozesse zwischen Einzelkämpfern, Lehrmeistern, Fürsten<br />
und Querköpfen?<br />
Inwieweit können oder müssen künstlerische Prozesse autonom verlaufen,<br />
wenn pädagogische Ziele erreicht werden sollen? Wie variabel muss<br />
Kunst sein, damit sie als Motor zum Erkenntnisgewinn dienen kann? Und<br />
welches Selbstverständnis sollte ein Künstler mitbringen, will er ein inspirierendes<br />
Lernumfeld gestalten?<br />
Sollten nicht auch die Pädagoginnen und Pädagogen ermutigt werden, das<br />
Künstlerische in sich zu entdecken? Wie gelingt es, künstlerische Projekte<br />
sinnvoll mit dem gemeinhin engmaschigen und rigiden Schulalltag zu verknüpfen,<br />
wenn sie eigentlich außerhalb des schulischen Geschehens stehen?<br />
Neben den Fragen haben zwei Symposiumstage viel Freude, Energie und<br />
Erholung bereitgehalten – und sie haben ermutigt! Und letztlich auch das<br />
Bewusstsein für die Bedingungen und Strategien der beiden Felder Kunst<br />
und Bildung geschärft sowie die ein oder andere Idee für gegenseitige<br />
Übersetzungen und Anschlussmöglichkeiten offenbart.<br />
Kerstin Huven, inbetweener, tätig als Projektleiterin für Vorhaben im Dazwischen von<br />
Pädagogik und Kunst sowie als freie Journalistin. Hat am liebsten zu tun mit Projekten,<br />
die über Einrichtungs- und Fächergrenzen hinweg reichen, Menschen zusammenbringen<br />
und Sinn mit Ästhetik verbinden.
Epilog<br />
Installationen<br />
Ulrike Meier, Burkhard Schröder<br />
Im Vorfeld des Symposiums<br />
„under construction – art as a learning environment“<br />
entstanden in der Villa Ingenohl die treppenaugenweide<br />
von Burkhard Schröder und die Klanginstallation<br />
„Soundscapes“ von Ulrike Meier.<br />
Die Klanginstallation machte Arbeitsergebnisse von<br />
Studierenden, die im Vorfeld einer Lehrveranstaltung<br />
entstanden, hörbar. Im Rahmen dieser Lehrveranstaltung<br />
wurden durch Übungen und Experimente neue und ungewohnte<br />
Zugänge zu individuellen und kollektiven Klangwelten<br />
und zur Klangkunst angeregt. Daneben setzten<br />
sich die Studierenden mit Fragen auditiver Ästhetik und<br />
akustischer Ökologie auseinander. Sie lernten außerdem,<br />
wie Audiomaterial digital bearbeitet werden kann und wie<br />
diese Arbeit im Kontext einer klangkünstlerischen Auseinandersetzung<br />
für unterschiedliche Zwecke und Zielgruppen<br />
gezielt eingesetzt und genutzt werden kann.<br />
treppenaugenweide, Burkhard Schröder, 2009<br />
68
Biografien<br />
Constanze Albrecht<br />
Constanze Albrecht ist Diplomgesangspädagogin und -sängerin sowie<br />
Stimmbildnerin der Lichtenberger®Methode. Seit 1999 gibt sie Seminare<br />
für die <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft unter anderem an der<br />
Universität zu Köln und Oppeln/Polen. Sie arbeitet an verschiedenen<br />
Lehrer-Fortbildungsinstituten, an Logopädieschulen und als Stimmbildnerin<br />
in Chören.<br />
Prof. Dr. Anne Bamford<br />
Professor Dr. Anne Bamford ist Leiterin des „Engine Room” an der<br />
Universität der Künste zu London. Sie ist international anerkannt für<br />
ihre Forschungen im Bereich der künstlerischen und kulturellen Bildung,<br />
Bildungsentwicklung und visuellen Kommunikation. Als Wissenschaftlerin<br />
für die UNESCO leitete Anne die Studien zu „The Wow Factor: Global<br />
research compendium on the impact of the arts in education” und publizierte<br />
den Bericht 2006 im Waxmann-Verlag. Das australische Institut<br />
für Bildungsforschung zeichnete sie mit dem „Outstanding Educational<br />
Research Award 2002“ aus; 2006 war sie für den „British Female Innovator<br />
of the Year“ gelistet. Als Anerkennung für ihren Beitrag zur Weiterentwicklung<br />
von kultureller Bildung wurde sie 2008 zum „Freeman of<br />
the Guild of Educators” gewählt.<br />
Weitere Informationen unter: www.engineroomcogs.org<br />
Karen BöSSer<br />
Karen Bößer, Tänzerin und Choreografin, lebt in Düsseldorf, studierte<br />
Tanz bei Dance Space Inc. und dem Panetta Movement Center in New<br />
York, zu ihren Lehrern zählen u.a. Lynn Simonson, Janet Panetta,<br />
Frey Faust und Howard Katz. Als Tänzerin arbeitete sie mit Michael<br />
Schmidt, Dyane Neiman, Elaine Shipman, Urban Art Tribe Multimedia,<br />
Ballet for Young Audience und Howard Katz zusammen. Ihre Soloperformances,<br />
die in Belgien, Ungarn, Polen, Israel, Tschechoslowakei,<br />
Armenien und den USA gezeigt wurden, zeichnen sich durch ihre Zusammenarbeit<br />
mit Künstlern aus dem Bereich der bildenden Künste aus.<br />
Nana Eger<br />
Nana Eger (Projektleitung „under construction“) erforscht derzeit als<br />
Stipendiatin für die <strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft internationale<br />
Ansätze zur Kunstvermittlung (Schwerpunkt zeitgenössischer<br />
Tanz) und promoviert darüber an der Universität zu Köln. Ausgebildet als<br />
Diplomsportlehrerin, Tanz- und Theaterpädagogin und in „participatory<br />
Arts“, verfügt sie sowohl über zahlreiche künstlerische als auch vielfältige<br />
tanzpädagogische Erfahrungen an Bildungseinrichtungen. Sie ist an<br />
verschiedenen Hochschulen im Bereich der Aus- und Weiterbildung von<br />
KünstlerInnen und MultiplikatorInnen tätig.<br />
Peter Frohleiks<br />
Peter Frohleiks, Jahrgang 1965, ist Kabarettist und ausgebildeter Sozialpädagoge,<br />
Sportlehrer und Theaterpädagoge (BuT). Seit 1995 Engagements<br />
als Aktionskünstler und Schauspieler, freiberufliche Lehrtätigkeiten<br />
an verschiedenen Universitäten, Instituten und für die <strong>Montag</strong><br />
Stiftung für Jugend und Gesellschaft (Bonn). Intensive Beschäftigung<br />
mit Improvisations-, Theater- und Zirkustechniken. Seit 1999 Entwicklung<br />
eigener Kabarett-Programme u.a. mit der Gruppe „Männerkulturen“. Seit<br />
2009 Kabarett-Solo „EinMannKultur“.<br />
Weitere Informationen unter: www.frohleiks.de<br />
69
Biografien<br />
Prof. Dr. Gerald Hüther<br />
Prof. Dr. Gerald Hüther ist Neurobiologe und leitet die Zentralstelle für<br />
Neurobiologische Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der<br />
Universität Göttingen und des Instituts für Public Health der Universität<br />
Mannheim/Heidelberg. Wissenschaftlich befasst er sich mit dem<br />
Einfluss früher Erfahrungen auf die Hirnentwicklung, mit den Auswirkungen<br />
von Angst und Stress und der Bedeutung emotionaler Reaktionen.<br />
Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und populärwissenschaftlicher<br />
Darstellungen (Sachbuchautor).<br />
Weitere Informationen unter: www.med.uni-goettingen.de<br />
Dr. Karl-Heinz Imhäuser<br />
Dr. päd. Karl-Heinz Imhäuser ist seit 2005 Vorstand der <strong>Montag</strong> Stiftung<br />
Jugend und Gesellschaft in Bonn. Zuvor lehrte er an den Universitäten<br />
Köln und Berlin zur Didaktik inklusiver Bildung, Erziehung und Diagnostik<br />
und arbeitete an verschiedenen pädagogischen Fort- und Weiterbildungsinstituten<br />
in Berlin. Als Lehrer war er über 20 Jahre an Förder-,<br />
Haupt- und Realschulen tätig. Er ist zum Feldenkraistrainer sowie zum<br />
Trainer für „Selbstorganisiertes Lernen“ ausgebildet und promovierte an<br />
der Heilpädagogischen Fakultät Köln.<br />
Dieter Markowsky<br />
Dieter Markowsky, Diplomsozialpädagoge, 1967 in Bochum geboren,<br />
lebt und arbeitet als freischaffender Musikpädagoge und Perkussionist<br />
in Düsseldorf. Nach dem Studium der Sozialpädagogik absolvierte er<br />
eine Ausbildung im Bereich Perkussion bei verschiedenen afrikanischen<br />
und europäischen Lehrern. Seit 1995 leitet er musikpädagogische und<br />
künstlerische Projekte, seit 1997 lehrt er an Hochschulen, Bildungs- und<br />
Kultureinrichtungen. Nach Weiterbildungen u.a. im Lincoln Center<br />
70<br />
Institute (New York) sowie zu Talking drums (Schweiz), Europa In Takt<br />
(Uni Dortmund) und Körpermusik (Schweiz) lässt er sich derzeit bei<br />
Andreas Gerber (Schweiz) zum Körpermusiker ausbilden.<br />
Er ist Mitglied und Leiter verschiedener Perkussions-Gruppen.<br />
Elmar Mauch<br />
Elmar Mauch, Künstler, Bildforscher und Dozent für Fotografie, geboren<br />
1961, lebt in Dortmund und Zürich. Als Bildforscher in unterschiedlichen<br />
praktischen Arbeitsfeldern tätig. Schwerpunkte sind fotografische Arbeiten<br />
zur Naturwahrnehmung sowie Buchkonzepte, phänomenologische<br />
Bildessays und Bildmontagen, die aus gefundenem Material generiert<br />
werden. Schwerpunkte in der Lehre sind erweiterte Fotografie, Fragestellungen<br />
zu Bildrhetoriken und visueller Kultur, sowie die Schnittstelle<br />
zwischen Fotografie und Film. Von 1994-1999 Lehrtätigkeiten an der<br />
Kunsthochschule für Medien in Köln. Von 2002-2009 Dozent im Studienbereich<br />
Fotografie der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Aktuelles<br />
Buch: Elmar Mauch „Die Bewohner“ (Edition Patrick Frey Zürich, 2009).<br />
Weitere Informationen unter: www.elmarmauch.de<br />
Prof. Dr. Kersten Reich<br />
Prof. Dr. Kersten Reich war von 1979-2006 Professor für Allgemeine<br />
Pädagogik an der Universität zu Köln; seit 2007 vertritt er das Gebiet<br />
Internationale Lehr- und Lernforschung und leitet das Dewey-Center<br />
Köln. Studium der Kunst und Politikwissenschaften im Lehramt, später<br />
Pädagogik, Philosophie und Psychologie; er promovierte und habilitierte<br />
an der TU Berlin. Nach längeren Gastprofessuren in den USA und in<br />
China wurde er Leiter des Dewey-Centers Köln. Forschungsschwerpunkte<br />
sind Internationale Lehr- und Lernforschung, Konstruktivismusund<br />
Pragmatismusforschung. Bekannt sind seine Lehrbücher zur
Biografien<br />
konstruktvistischen Pädagogik und Didaktik (Beltz).<br />
Weitere Informationen unter: www.konstruktivismus.uni-koeln.de<br />
Ulrich Schötker<br />
Ulrich Schötker, geboren 1971, Kunstpädagoge und Kunstvermittler,<br />
derzeit Studienrat an der Erich-Kästner-Gesamtschule und Fachkoordinator<br />
im Rahmen eines Hamburger Schulversuchs zur Schulentwicklung.<br />
Studium der Germanistik, Kunstpädagogik und Freien Kunst an der Universität<br />
Gesamthochschule Kassel sowie MA-Studium der Media Science<br />
& Media Education am Institute of Education, University of London.<br />
Seit 1997 verschiedenste Tätigkeiten in Bereich der Kunst- und Kulturvermittlung,<br />
u.a. die Ausstellungen und Tagungen „WALDEN #3 – oder<br />
Das Kind als Medium“ im Kunsthaus Dresden 2006 (mit Christiane<br />
Mennicke) und „WALDEN #3 – oder Die Schule des Lebens“ in der<br />
Rathausgalerie München 2009. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im<br />
Institut für ästhetische Erziehung der Universität Hamburg. 2007 Leiter<br />
des Vermittlungsprogramms der documenta 12. Er ist Mitbegründer des<br />
Projektraums und Kunstvereins Liquidación Total in Madrid.<br />
Weitere Informationen unter: www.liquidaciontotal.org<br />
Yvonne Vockerodt<br />
Yvonne Vockerodt (Moderation „under construction“) ist Erziehungswissenschaftlerin<br />
und Gründerin von kindersicht – Rat für Beteiligung.<br />
Weitere Informationen unter: www.kindersicht.net<br />
Dr. Marco Wehr<br />
Geboren 1961 in Wuppertal. 1983-1992 Studium der Chemie, Physik und<br />
Philosophie in Tübingen. Diplom in Physik mit dem Schwerpunkt Gehirntheorie.<br />
1993-1999 Promotion im Fach Philosophie über die Chaostheorie.<br />
Freier Autor u.a. für Die ZEIT, GEO, Bild der Wissenschaft und Spektrum<br />
der Wissenschaft sowie verschiedene Buchbeiträge (Themen: Relativitätstheorie,<br />
Quantenmechanik, Chaostheorie und Evolution). Bücher:<br />
„Die Hand – Werkzeug des Geistes“ (Hrsg.) zusammen mit Martin Weinmann<br />
(Spektrum Akademischer Verlag, 1999), „Der Schmetterlingsdefekt<br />
– Turbulenzen in der Chaostheorie“ (Klett-Cotta, 2002), „Welche Farbe<br />
hat die Zeit? – Wie Kinder uns zum Denken bringen“ (Eichborn, 2007).<br />
Dozent im Tübinger Studium Generale. Vortrags- und Lehrtätigkeit u.a.<br />
für das Deutsche Arbeitsministerium, die Kultusministerien der Länder<br />
Bayern und Baden-Württemberg sowie die österreichische Bundesakademie.<br />
1985-2007 Arbeit als Berufstänzer, Tanzlehrer und Choreograf.<br />
Prof. Dr. Gesa Ziemer<br />
Gesa Ziemer (Prof. Dr. phil.), geboren 1968, lebt in Zürich und Hamburg.<br />
Sie ist Professorin in den Bereichen Kulturtheorie und Ästhetik an der<br />
Zürcher Hochschule der Künste. An der HafenCity Universität Hamburg<br />
ist sie seit 2009 Studiendekanin für den neuen Studiengang „Kultur der<br />
Metropole“. Als freie Kuratorin realisiert sie Projekte an den Schnittstellen<br />
Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst und ist im Beirat des internationalen<br />
Kunstfestivals Steirischer Herbst in Graz.<br />
Weitere Informationen unter: www.gesa-ziemer.ch<br />
71
Impressum<br />
Herausgeber und Veranstalter<br />
<strong>Montag</strong> Stiftung Jugend und Gesellschaft<br />
Raiffeisenstraße 2<br />
53113 Bonn<br />
Telefon +49 (0) 228 26716-310<br />
Fax +49 (0) 228 26716-311<br />
www.montag-stiftungen.com<br />
Konzeption und Projektleitung Symposium<br />
under construction – art as a learning environment<br />
Nana Eger<br />
Konzeption <strong>Dokumentation</strong> Nana Eger, Sabine Huth<br />
Textredaktion Sabine Huth<br />
Lektorat Sabine Huth, Caroline Eckmann<br />
Gestaltung Sonja Kuprat<br />
Fotos<br />
alle Fotos zum Symposium von Ludolf Dahmen<br />
Foto S. 23 von Mike Erbrich