Dezember - Anwaltsblatt
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MN<br />
Europäischer Juristentag<br />
Gesellschaftsrecht, Zivilprozessrecht<br />
und Grundrechte<br />
600 Juristen diskutierten in Genf<br />
Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />
Nach Nürnberg 2001 und Athen 2003 fand in diesem Jahr<br />
der dritte Europäische Juristentag vom 7. bis 9. September<br />
2005 in Genf statt. Alle Eröffnungsredner, darunter auch<br />
Prof. Dr. Paul Kirchhof als Präsident des Deutschen Juristentages,<br />
wurden nicht müde zu betonen, dass mit der dritten<br />
Veranstaltung nunmehr von einer Tradition der Europäischen<br />
Juristentage gesprochen werden könne.<br />
Drei Tage lang wurde von den ca. 600 Teilnehmern am<br />
Europäischen Haus gebaut, nach dem Wunsch von Kirchhof<br />
„bemüht, den Aufbau zu fördern und gleichzeitig mit<br />
einer Kultur des Maßes, um die Stabilität des Hauses nicht<br />
in Gefahr zu bringen“. Bei der großen Zahl an herausragenden<br />
Wissenschaftlern, Rechtsanwälten, Richtern, Verfassungsrichtern<br />
und vor allem Ministerialbeamten aus dem<br />
deutschen Bundesjustizministerium war es bedauerlich, nur<br />
sehr wenige Beamte der Europäischen Kommission unter<br />
den Gästen zu sehen. Anwesend waren u. a. die Justizminister<br />
Österreichs, Rumäniens, Ungarns und der<br />
Schweiz; das Bundesjustizministerium wurde durch den<br />
Staatsminister Dr. Hansjörg Geiger vertreten.<br />
Deutsch dominierte als Sprache<br />
Neben einer großen Zahl deutschsprachiger Teilnehmer<br />
(ca. 200) kamen die Besucher hauptsächlich aus der<br />
deutschsprachigen Schweiz. Leider ist es also auch im französischsprachigen<br />
Genf somit nicht gelungen, in großer<br />
Zahl Teilnehmer aus dem romanischen Sprachkreis anzuziehen;<br />
die sehr starke Präsenz deutschsprachiger Teilnehmer<br />
bei gleichzeitiger fast völliger Abwesenheit von Gästen<br />
aus Südeuropa oder den britischen Inseln war schon in<br />
Nürnberg und Athen festzustellen. Dies ist bedauerlich, da<br />
die Fachbeiträge äußerst interessant und die Diskussionen<br />
auf einem konstant hohen Niveau geführt wurden.<br />
Diskussion in den Abteilungen<br />
Der 3. Europäische Juristentag widmete sich drei gleichsam<br />
interessanten Themen: Während sich Abteilung 1 mit<br />
der Verantwortlichkeit der Gesellschafts- und Aufsichtsorgane<br />
in der Europäischen Union beschäftigte, ging es in<br />
Abteilung 2 um die Entwicklung eines gemeinschaftlichen<br />
Zivilprozessrechts. Abteilung 3 diskutierte die Koordination<br />
des Grundrechtsschutzes in Europa.<br />
9 Abteilung 1 wurde eingeleitet durch den die weitere Diskussion<br />
bestimmenden Vortrag des Generalberichterstatters<br />
Prof. Dr. Marcus Lutter, der in einer viel beachteten<br />
Tour de Force über die Haftung des Managements, der<br />
Aufsichtsräte, Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden<br />
referierte und sich speziell mit dem Pflichtenprogramm<br />
des Managements beschäftigte. Die Vorträge in dieser<br />
Abteilung waren von sehr hohem fachlichen Niveau und<br />
überaus gut besucht.<br />
9 In Abteilung 2 setzten sich die Redner recht kritisch mit<br />
den Vorschlägen der Kommission zum Europäischen Zi-<br />
AnwBl 12/2005<br />
Europa<br />
vilprozessrecht, unter anderem zum Europäischen Mahnund<br />
Bagatellverfahren, auseinander. Prof. Dr. Christian<br />
Kohler, Abteilungsleiter beim Wissenschaftlichen Dienst<br />
des EuGH, sprach von dem Systemwechsel, der mit der<br />
Verordnung über den europäischen Vollstreckungstitel<br />
für unbestrittene Forderungen eingeläutet sei. Dies gelte<br />
weniger für die Abschaffung des Verfahrens der eigentlichen<br />
Vollstreckbarkeitserklärung, als vielmehr für das<br />
Verbot, die Anerkennung der bestätigten Entscheidung<br />
außerhalb des Ursprungsstaates in Frage zu stellen und<br />
die damit verbundene Verkürzung des Rechtsschutzes im<br />
Vollstreckungsstaat. Es werde ein Herkunftslandprinzip<br />
mit einer Selbstkontrolle des Ursprungsstaates (Staat des<br />
Erkenntnisverfahrens) eingeführt, an der man rechtstaatliche<br />
Zweifel haben müsse. Es war in diesem Zusammenhang<br />
interessant von den schweizerischen Kollegen zu erfahren,<br />
dass dort trotz einer bundesweiten Anerkennung<br />
der Urteile anderer Kantone Fehler im Erkenntnisverfahren<br />
auch im Vollstreckungsverfahren geltend gemacht<br />
werden können.<br />
9 Auf besonderes Interesse unter den Veranstaltungen in<br />
Abteilung 3 stießen die Vorträge und anschließende Diskussion<br />
der drei Gerichtspräsidenten Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />
Papier (Präsident des BVerfG), Prof. Dr. Vassilios<br />
Skouris (Präsident des EuGH) und Prof. Dr. Luzius Wildhaber<br />
(Präsident des EGMR). Papier musste sich unter<br />
anderem kritischen Fragen der Anwaltschaft, darunter<br />
des ehemaligen DAV-Präsidenten Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />
Rabe, des DAV-Vorstandsmitglieds Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />
Hellwig und Dr. Hartmut Lübbert aus Freiburg, Mitglied<br />
des DAV-Ausschusses Internationaler Rechtsverkehr, zum<br />
Verhältnis des BVerfG zum EuGH auf der einen und zum<br />
EGMR auf der anderen Seite stellen.<br />
4. Europäischer Juristentag 2007<br />
Der 4. Europäische Juristentag wird vom 3. bis 5. Mai<br />
2007 in Wien stattfinden und sich mit dem Themen Europäisches<br />
Vertragsrecht, Entstehung eines europäischen<br />
Strafrechts, sowie Migration in und nach Europa beschäftigen<br />
(Informationen dazu finden Sie auf der Internetseite:<br />
http://www.eujurist2007.at). Auch der Tagungsort für den<br />
übernächsten Europäischen Juristentag steht bereits fest. In<br />
seiner Begrüßungsrede lud der ungarische Justizminister<br />
bereits jetzt für das Jahr 2009 nach Budapest ein.<br />
Die europäischen Juristen werden also weiterbauen am<br />
Europäischen Haus. Es ist dem Europäischen Juristentag zu<br />
wünschen, dass er für die Juristen in der Europäischen<br />
Union zu einer festen und gut besuchten Diskussionsplattform<br />
wird, vergleichbar den Deutschen Juristentagen. Dazu<br />
wird es allerdings notwendig sein, auch die bisher schwach<br />
vertretenen europäischen Länder, insbesondere den romanischen<br />
Sprachkreis, in stärkerem Maße zur Teilnahme zu bewegen,<br />
damit während des Europäischen Juristentages tatsächlich<br />
die Stimmen der verschiedenen europäischen<br />
Rechtstraditionen und -kreise ausreichend Gehör finden.