Dezember - Anwaltsblatt
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AnwBl 12/2005 769<br />
9<br />
Freiheit für die<br />
Rechtsanwalts-AG!<br />
Rechtsanwalt Dr. Malte Passarge, Hamburg<br />
Wie soll die – vom BGH (AnwBl 2005, 424) nun akzeptierte<br />
– Anwalts-AG ausgestaltet werden? Prof. Dr. Martin<br />
Henssler hatte in AnwBl 2005, 374 an den Gesetzgeber appelliert,<br />
die offenen Fragen zu regeln. Der Autor dieses<br />
Kommentars widerspricht. Aktienrecht und die Berufsrechte<br />
der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater halten Lösungen<br />
bereit. Kritisch mit der Entscheidung des BGH<br />
hatte sich auch bereits Rechtsanwältin Dr. Sorika Pluskat<br />
in AnwBl 2005, 609 auseinandergesetzt.<br />
Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt<br />
in Hamburg.<br />
I. Das wahre Problem<br />
Mit Beschluss vom 10.1.2004 hat der BGH die Zulässigkeit<br />
der Rechtsanwalts-AG bejaht. Auf den ersten Blick<br />
mag dies als Durchbruch erscheinen, bei genauerer Betrachtung<br />
erweist sich die Entscheidung jedoch als Rückschlag.<br />
Den größten Teil des Beschlusses nimmt die mittlerweile<br />
– unstrittige – Frage der Zulässigkeit der<br />
Rechtsanwalts-AG ein. Zur Frage der Ausgestaltung verweist<br />
das Gericht auf die §§ 59 c ff. BRAO, dies nicht ohne<br />
zuvor eine entsprechende Analogie abgelehnt zu haben.<br />
In seiner Entscheidung hat der BGH weder die umfangreiche<br />
und sehr deutliche Kritik der berufsrechtlichen<br />
Literatur an den §§ 59 c ff. BRAO berücksichtigt, noch hat<br />
er sich mit den Vorschlägen zur Ausgestaltung der Rechtsanwalts-AG<br />
auseinandergesetzt. Die aus dem Beschluss<br />
folgenden Beschränkungen der Satzungsfreiheit der<br />
Rechtsanwalts-AG lassen sich im Vergleich zu den anwaltlichen<br />
Personengesellschaften und der Rechtsanwalts-<br />
GmbH nicht rechtfertigten. Allerdings ist dem BGH zu<br />
Gute zu halten, dass ihm nun gelingt, was einige zu verhindern<br />
suchten – ein Schritt in Richtung der Befreiung<br />
der Anwaltschaft aus jahrhundertealten standesrechtlichen<br />
Vorstellungen.<br />
Wie andere Branchen auch, befindet sich die Anwaltschaft<br />
gegenwärtig in einem Prozess grundlegender Umwälzungen.<br />
Die Rechtsanwalt-AG kann hier neue Chancen bieten,<br />
da sie eine effektive Organisation und Marketingvorteile<br />
bietet. Im Vergleich zu anderen anwaltlichen Gesellschaften<br />
kann der unabhängige Vorstand einer Rechtsanwalts-AG<br />
sehr viel flexibler und entscheidungsfreudiger handeln. Die<br />
aktienrechtliche Firmierung mit Namens-, Sach- oder Phan-<br />
MN<br />
tasiefirma ermöglicht es, eine einprägsamere Marke zu<br />
etablieren. Darüber hinaus können in einer Rechtsanwalts-<br />
AG Mitarbeiter auf unkomplizierte Art und Weise und in<br />
beliebiger Höhe an der Gesellschaft beteiligt werden.<br />
Von kaum zu unterschätzender Brisanz ist die Problematik<br />
der Konkurrenz aus anderen Beratungsberufen. Banken,<br />
Versicherungen, Finanzdienstleister, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater,<br />
Steuerberater, Aktionärsschutzvereinigungen,<br />
Architekten, Inkassounternehmen, Verbraucherschutzverbände,<br />
Gewerkschafte, Personalberatungen und<br />
vielen andere wollen den Anwälten lukrative Beratungsfelder<br />
entziehen. Diesen Berufsgruppen stehen nahezu uneingeschränkte<br />
Marketinginstrumente zur Verfügung – und der<br />
Wille diese auch zu nutzen.<br />
Dagegen scheinen sich Teile der Anwaltschaft und<br />
viele Kammern damit zu begnügen, gegen den Verfall der<br />
standesrechtlichen Grundsätze zu wettern, sich an das<br />
Rechtsberatungsgesetz zu klammern und ansonsten seelenruhig<br />
zuzuschauen, wie der Anwaltschaft grundlegende<br />
Beratungsfelder abhanden kommen. Das Berufsrecht der<br />
Anwälte stellt in seiner jetzigen Ausgestaltung eine Beschränkung<br />
der Anwaltschaft dar, die einzig den nichtanwaltlichen<br />
Beratungsberufen nutzt. Das gegenwärtige<br />
Berufsrecht stellt eine Beschränkung der Anwalschaft bei<br />
der notwendigen Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten<br />
dar.<br />
Was brauchen wir also? – Das, was Anwälte schon immer<br />
gebraucht haben – Freiheit! Also auch die Freiheit,<br />
sich mit anderen Anwälten in einer frei gewählten Rechtsform<br />
zusammenzuschließen. Und auch die Freiheit, sich<br />
mit anderen Beratungsberufen zusammenzuschließen. Was<br />
spricht gegen multiprofessionelle Zusammenschlüsse mit<br />
Unternehmensberatern, Ingenieuren, Pharmazeuten o. ä. unter<br />
einer Dienstleistungsmarke?<br />
Denkbar ist auch der Aufbau einer Beratungsholding,<br />
mit den verschiedensten spezialisierten Dienstleistungsbereichen,<br />
beispielsweise die komplette Beratung rund um<br />
den Bau durch Baurechtler, Projektfinanzierer, Architekten,<br />
und Ingenieuren. Dies stellt nur die logische Fortentwicklung<br />
der gegenwärtigen Tendenz zur Spezialisierung dar.<br />
Für Beratungsgesellschaften – aber auch für Anwaltsgesellschaften<br />
– bietet sich die Rechtsanwalts-AG, bzw. die<br />
Beratungs-AG als optimale Rechtsform an, da sie über eine<br />
klare Organisationsstruktur und ein zentrales Managements<br />
verfügt. Maßnahmen der Geschäftsführung können durch<br />
den Vorstand autonom und flexibel getroffen werden, aufwendige<br />
Mehrheitsbeschlüsse der Gesellschafter sind nicht<br />
erforderlich.<br />
Aufgrund der einfachen Beteiligungsmöglichkeiten<br />
durch die Ausgabe von Aktien können Mitarbeiter an die<br />
Gesellschaft gebunden und an den Gewinnen beteiligt werden,<br />
ein nicht zu unterschätzender Motivationsfaktor.<br />
Würde das rechtsuchende Publikum eine Rechtsanwalts-<br />
AG als unseriös empfinden, so müsste diese bald ihre Tore<br />
schließen. Der „Schutz“ durch ein entsprechendes Verbot<br />
ist weder erforderlich, noch entspricht es dem an sich unserer<br />
Verfassung zu Grunde liegendem Bild des mündigen<br />
Bürgers.