Dezember - Anwaltsblatt
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AnwBl 12/2005 771<br />
MITTEILUNGEN<br />
Anwaltsmarkt<br />
Zugang zum Recht – Ein<br />
internationaler Vergleich<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />
Die Leistungsfähigkeit eines Rechtssystems zeigt sich daran,<br />
ob es in angemessener Zeit und zu vertretbaren Kosten<br />
den Zugang zum Recht ermöglicht. Zugang zum Recht<br />
heißt in diesem Zusammenhang Durchsetzung von Einzelinteressen.<br />
Der Autor zeigt, dass das deutsche System sehr<br />
leistungsfähig ist und plädiert für eine Lockerung des Verbotes<br />
des Erfolgshonorars.<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno<br />
Heussen aus Berlin ist Mitglied<br />
im Vorstand des Deutschen<br />
Anwaltverein.<br />
1. Rechtsberatung und Rechtsdurchsetzung<br />
Rechtprobleme geraten in unser Bewusstsein nur durch<br />
Konflikte und im ersten Schritt müssen wir uns beraten lassen,<br />
wie wir damit umgehen sollen. Erst wenn man eine<br />
Vorstellung davon hat, wo man steht, entwickelt man Ideen<br />
zur Rechtsdurchsetzung, also zur Verhandlung, zum Prozess,<br />
zur Zwangsvollstreckung.<br />
Rechtsberatung ist eine Tätigkeit, für die man nur gute<br />
Fachkenntnisse braucht – je spezialisierter desto besser.<br />
Rechtsdurchsetzung hingegen bedeutet: Jemandem mit der<br />
richtigen Strategie und Durchsetzungsvermögen zu dem<br />
Recht zu verhelfen, das die Gesellschaft ihm anbietet. Das<br />
reine Fachwissen macht niemand zu dem Condottiere, der<br />
sich für fremde Interessen schlägt und dabei auch bereit ist,<br />
eigene Verletzungen wegzustecken. 1 Wie wichtig dabei die<br />
strikte Beschränkung auf die Interessen des Mandanten ist,<br />
erfährt man wahrscheinlich erst, wenn man selbst einen Anwalt<br />
gebraucht hat. Dann weiß man nämlich, dass Institutionen<br />
welcher Art auch immer niemals den persönlichen Einsatz<br />
bieten können, den ein Anwalt für sein oft bescheidenes<br />
Honorar erbringt. 2<br />
Wäre es anders, könnte kein Anwalt im Arbeitsrecht<br />
Geld verdienen, in dem neben ihm auch Gewerkschaften<br />
und Arbeitgeberverbände kostenlos die Vertretung im Prozess<br />
anbieten. Warum nimmt man sich seinen eigenen Anwalt,<br />
dessen Kosten nicht einmal erstattet werden? Die<br />
Antwort lautet: Weil Rechtsdurchsetzung nicht nur aus<br />
Wissen, sondern aus Erfahrung und dem Entschluss besteht,<br />
sich persönlich zu engagieren. Persönliches Engagement<br />
aber ist für Institutionen eine fremde Sache.<br />
MN<br />
2. Institutionelle Rechtsberatung<br />
Institutionen können aber sehr wohl an den Randzonen<br />
der Rechtsberatung ihre Dienste anbieten und tun dies<br />
auch. So z. B. Verbraucherschutzverbände, Gewerkschaften,<br />
Mietervereine, Sozialversicherungsträger, Arbeiterwohlfahrt<br />
und Sozialverbände.<br />
Sie erfüllen eine sinnvolle Aufgabe überall dort, wo man<br />
erst einmal feststellen muss, ob es einen rechtlichen Konflikt<br />
gibt. Konflikte gibt es viele. Man kann über die richtige<br />
Heizkostenabrechnung ebenso streiten wie über Rentenansprüche<br />
etc. Bei weitem nicht immer ist damit aber auch<br />
eine Rechtsfrage verbunden. Beide Parteien legen das Recht<br />
oft völlig gleichlautend aus, kommen aber bei Rechenmodellen,<br />
Zahlen, Bewertungsfragen und anderem in Schwierigkeiten.<br />
Natürlich kann man diese Vorarbeiten auch einem<br />
Anwalt übertragen. Aber wenn Institutionen das machen<br />
und einen Blick dafür entwickeln, wann z. B. eine Bewertungsfrage<br />
zur Rechtsfrage wird, leisten sie einen unverzichtbaren<br />
Beitrag im Vorfeld der Rechtsberatung.<br />
3. Schlichtung<br />
Viele solcher Fälle sind auch für Schlichtungsstellen geeignet,<br />
die überall existieren, so z. B.<br />
9 Schlichtungsstellen der Industrie- und Handelskammern<br />
und Handwerkskammern<br />
9 Schiedsgutachterverfahren zwischen Kaufleuten<br />
9 Schlichtungsstellen des KFZ-Gewerbes<br />
9 Ärztliche Schlichtungsstellen<br />
9 Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post<br />
bei Streitigkeiten um Abrechnungen<br />
9 Ombudsleute der Versicherungen, Banken<br />
9 Vermittlungen durch das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen<br />
Die Ombudsverfahren der Versicherungen 3 sind dann besonders<br />
erfolgreich, wenn sie bei kleineren Streitwerten (bis EUR<br />
5.000,00) die Versicherung einseitig binden, den Versicherten<br />
aber nicht: Dadurch wird der stets schwebende Verdacht ausgeräumt,<br />
der Ombudsmann fühle sich letztlich doch mehr dem<br />
Unternehmen verbunden und nicht dem Verbraucher.<br />
So nützlich und kostensparend ein Schlichtungsverfahren<br />
sein kann, so sehr kann es auch an der Sache vorbeigehen.<br />
Die Schlichtung kann und darf sich nur mit einem<br />
engen Segment von Problemen befassen. Das Umfeld, in<br />
dem die einzelne Konfliktfrage steht, kann nur jemand erkennen,<br />
der sich einseitig auf die Perspektive einer Seite<br />
einlässt – und das ist eben nur der Anwalt! Viele Leute<br />
glauben, ihr Recht werde durch den Notar besonders wirksam<br />
geschützt. Der Notar darf aber nicht einseitig aus der<br />
Perspektive einer Seite denken, denn täte er das für die<br />
eine Seite, würde die andere sich beschweren. Auch die<br />
Schlichter müssen diese Neutralität einhalten und das kann<br />
für die eine oder die andere Seite sehr problematisch werden.<br />
Man sieht das an Arzthaftungsfällen, die vielleicht den<br />
1 Benno Heussen: Anwalt und Mandant – Eine Insider-Report, Verlag Dr. Otto<br />
Schmidt, Köln 1999, Seite 4 ff.<br />
2 Die Mehrzahl der Anwälte verdient, wie uns die jüngste Statistik (2002) zeigt,<br />
netto nach Kosten und Steuern nicht mehr als 2.400,00 EUR pro Monat (Martin<br />
W. Huff: Große Unterschiede auf dem Deutschen Rechtsberatungsmarkt, NJW<br />
2005, Heft 21 Seite XVIII).<br />
3 Römer, Wolfgang: Der Ombudsmann für private Versicherungen, NJW 2005,<br />
1251.