Pedagogika 105.indb - Biblioteka
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Algimantas Martinkėnas<br />
NONVERBALE KOMMUNIKATION – EIN MYTHOS ODER DIE<br />
REALITÄT IM FREMDSPRACHENUNTERRICHT<br />
Der Körper ist der Handschuh der Seele.<br />
Samy Molcho<br />
Abstract. This paper presents an urgent still<br />
little researched significance of non-verbal communication<br />
and non-verbal behaviour elements as well as<br />
possibilities of their application in foreign language<br />
teaching. First, common pedagogy-didactic aspects<br />
of non-verbal communication and behaviour during<br />
the lesson are examined, functions of non-verbal<br />
communication and aspects of intercultural interpretation<br />
in a foreign language class are discussed.<br />
Next, the paper focuses on methodical-didactic degression<br />
functions of non-verbal communication in<br />
a foreign language classroom, peculiarities of proxemics<br />
and its role in communication.<br />
Finally, merely practical examples of nonverbal<br />
communication and behaviour are presented and advice<br />
for foreign language teachers is given. Knowing<br />
and applying this knowledge will provide an opportunity<br />
to avoid discomfort between the teacher and<br />
a pupil while communicating and benefit adequate<br />
intercommunication, understanding, and adequate<br />
decoding. The practical advice provided may be<br />
of great help for an undertaking foreign language<br />
teacher in avoiding inadequate body language interpretation<br />
or misunderstanding in a foreign language<br />
classroom.<br />
Keywords: nonverbales Verhalten, Degression<br />
der nonverbalen Kommunikation, interkulturelle<br />
Aspekte des nonverbalen Verhaltens, die Proxemik.<br />
1. Überschätzung der nonverbalen Kommunikation<br />
– ein Mythos?<br />
Jeder Mythos hat etwas von einem E-Mail-<br />
Computervirus der neuen Generation. Einmal losgelassen,<br />
vervielfältigt er sich von selber und ist in<br />
der Lage,aus sich selber heraus neue Varianten zu<br />
erfinden. Unser Virus/Mythos hat jede Menge Zeit<br />
gehabt. Er hat die Kommunikationstrainings-Branche<br />
in all ihren Facetten durchwandert. Wir finden<br />
ihn in klassischen Rhetorikkursen und Medienrhetorikkursen.<br />
Weitererzählt wird der Mythos in<br />
Fachartikeln, Zeitungen, Büchern und im Internet.<br />
Inzwischen ist er auch in sprechwissenschaftlichen<br />
Publikationen zu finden [1; 5; 6; 7].<br />
Nonverbale Kommunikation wird in diversen<br />
Disziplinen untersucht. Viele Behauptungen basieren<br />
da auf Erfahrungen und common sense. Eine<br />
brauchbare Methodologie wurde nicht entwickelt.<br />
Statt dessen finden sich wilde Behauptungen wie die,<br />
dass 70 Prozent unserer Kommunikation nonverbal<br />
stattfände. Da wäre doch interessant, wie man das<br />
quantifizieren könnte. Noch interessanter könnte<br />
es werden, wenn man in der Übersetzung oder Explikation<br />
nicht nur den Weg vom Nonverbalen zum<br />
Verbalen ginge.<br />
• Die oft zu lesenden Prozentangaben „55 %<br />
Wirkung durch die Körpersprache, 38 % durch<br />
die Stimme, 7 % durch den Inhalt“ sind allerdings<br />
unangemessene Verallgemeinerungen<br />
von Experimenten mit inhaltlich unbestimmten<br />
Ein-Wort-Sätzen („maybe“).<br />
Ohne Zweifel, Körperausdruck, stimmlicher<br />
Klang und Wortinhalt bestimmen die Wirkung<br />
mit, wenngleich es im Sprechvollzug eher um „Beziehungen“<br />
als um „Bedeutungen“ geht. Darüber<br />
hinaus scheint bislang nur eines sicher: Der emotionale<br />
Einfluss auf die Stimme kann als „eindrucksvoll<br />
untermauert gelten. Wieso kommunizieren wir überhaupt<br />
nonverbal? Wieso deuten wir das Nonverbale?<br />
Die Differenziertheit oder der kommunikative Effekt<br />
beantworten die Frage nicht: Die nonverbalen<br />
Ausdrucksmittel sind gegenüber den sprachlichen<br />
absolut ärmlich oder gar nicht recht zu fassen. Vielleicht<br />
tun wir es laut H. J. Heringer [4] deshalb:<br />
• Nonverbale Kommunikation ist begleitend. Sie<br />
läuft neben der verbalen Kommunikation her.<br />
So kann sie ständigen Feedback geben und zur<br />
Gesprächsorganisation ausgewertet werden.<br />
• Das Nonverbale ist nicht Topik. Es bleibt nebenbei.<br />
Es wird zwar gewertet, soll aber in der<br />
Regel nicht thematisiert werden. Die eigenen<br />
Deutungen auszusprechen kann zur Zerstörung<br />
der Kommunikation führen (Mundgeruch!).<br />
61<br />
ISSN 1392-0340. PEDAGOGIKA. 2012. 105
Algimantas Martinkėnas<br />
• Das Nonverbale bleibt diffus. Man legt sich<br />
nicht fest und kann nicht festgelegt werden.<br />
Deutende haben Spielraum.<br />
• Nonverbales wird als ikonisch gesehen und damit<br />
für einfacher zu verstehen gehalten.<br />
• Nonverbales halten wir für echter, weil es<br />
als weniger arbiträr gilt. Da es eher natürlich<br />
scheint, wird es für wahrhaftiger genommen.<br />
• Weil Nonverbales als weitgehend ikonisch angesehen<br />
wird, gilt es als direkter. Dies wird gestützt<br />
dadurch, dass nur in face-to-face-Kommunikation<br />
das Nonverbale seine Rolle spielt.<br />
Nonverbale Kommunikation ist spezifischer<br />
gedacht. Sie ist besonders zuständig für Gefühle,<br />
also für etwas, was sonst oft als unausdrückbar deklariert<br />
wird.<br />
2. Allgemein pädagogisch – didaktische Aspekte<br />
des nonverbalen Verhaltens im Unterricht<br />
Bei jeder Kommunikation geht es nicht nur um<br />
das, was gesagt wird – viel wichtiger ist oft, wie es gesagt<br />
wird. Sogar wenn wir nicht sprechen und andere<br />
uns beobachten können – bestimmte Ausdrucksmerkmale<br />
bleiben immer sichtbar. Die „Nonverbale Kommunikation“<br />
umfasst die sichtbaren und hörbaren<br />
Verhaltenskomponenten Auftreten, Körperhaltung,<br />
Gestik, Mimik, Blickkontakt, Stimmklang, Aussprache,<br />
Betonung usw. Die zentrale Fragestellung bei ihrer<br />
Erforschung heißt: Was bedeuten bestimmte Signale?<br />
Allgemein können nonverbale Signale nach D.-<br />
W. Allhoff folgende Aufgaben wahrnehmen [1]:<br />
1. Sie fördern die Sprechproduktion, begleiten<br />
und unterstützen das Gesagte (z.B. mit unterstreichenden<br />
Gesten).<br />
2. Sie schwächen Äußerungen ab (z. B. freundliche<br />
Ermahnung).<br />
3. Sie verschärfen Aussagen (z. B. als Bitte im Befehlston).<br />
4. Sie widersprechen dem formulierten Text (z. B.<br />
beim unprofessionellen Lügen).<br />
5. Sie ersetzen gesprochene Sprache (z.B. beim<br />
„Vogelzeigen“).<br />
6. Sie demonstrieren die Einstellung beim Zuhören<br />
(z. B. durch Nicken).<br />
7. Sie regeln Dialogabläufe (z. B. durch Variation<br />
des Sprechtempos).<br />
8. Sie verdeutlichen die Stimmung der beteiligten<br />
Personen (z. B. durch Angespanntheit oder<br />
Gähnen).<br />
9. Sie prägen die Einschätzung bei anderen (z. B.<br />
durch das Aussehen).<br />
10. Sie weisen auf die Art der Beziehung hin (z. B.<br />
enge Distanz bei Verliebten).<br />
62<br />
In sprecherzieherischen Veranstaltungen spielt<br />
die nonverbale Kommunikation fast durchgängig<br />
eine zentrale Rolle. In diesem Artikel geht es vor allem<br />
um die Frage, wie körpersprachliche Signale im<br />
fremdsprachlichen Unterricht interpretiert werden<br />
können.<br />
Die Kommunikation im Medium der gesprochenen<br />
Sprache hängt sehr stark mit nonverbalen Elementen<br />
wie Blickkontakt, Mimik, Gestik, Körperhaltung<br />
und Bewegung im Raum zusammen. Phylo- und ontogenetisch<br />
besteht zwischen kommunikativem Verhalten<br />
und nonverbalen Ausdrucksmitteln ein enger<br />
Zusammenhang; Spracherwerb ist an die lebendige verbale<br />
und nonverbale Interaktion gebunden, und auch<br />
in der interpersonalen Face-to-face-Kommunikation<br />
spielen nonverbale Elemente eine sehr wichtige Rolle.<br />
Nonverbale Verhaltensweisen sind stark automatisiert,<br />
und nur selten machen wir uns diesen wichtigen Teil<br />
unseres Verhaltens bewusst: aus diesem Grund können<br />
wir ihn auch nur bedingt kontrollieren und steuern. Die<br />
gezielte Integration von nonverbalen Ausdrucksmitteln<br />
in den Fremdsprachenunterricht bedeutet also ein Einbeziehen<br />
von Elementen, die konstitutive Bestandteile<br />
natürlicher Kommunikation darstellen. Im Unterricht<br />
ohne Gestik, Mimik usw. zu arbeiten, hieße zunächst,<br />
„gegen unsere natürlichen Sprech-, Ausdrucks- und<br />
Wahrnehmungsmechanismen zu arbeiten“ [3, S. 31].<br />
Den nonverbalen Ausdrucksmitteln kommt aber eine<br />
zusätzliche didaktische Funktion zu, denn je weniger<br />
Komponenten der natürlichen Kommunikation in der<br />
Lernsituation berücksichtigt werden, desto schwieriger<br />
ist eine kommunikative Verankerung der Sprache<br />
[5; 8]. Es geht im Folgenden vor allem auf die direkt<br />
pädagogisch-didaktisch funktionalen Aspekte des nonverbalen<br />
Verhaltens ein, die im Unterricht bewusst eingesetzt<br />
werden sollten.<br />
Man muss sich als Lehrer der Tatsache bewusst<br />
sein, dass jede verbale und nonverbale Handlung von<br />
den Schülern wahrgenommen und mehr oder weniger<br />
bewusst interpretiert wird. Man drückt durch sein nonverbales<br />
Verhalten (zusammen mit seinem verbalen)<br />
sehr stark „sich selbst“ aus: Sicherheit und Unsicherheit,<br />
Geduld und Ungeduld, Zuneigung und Ablehnung,<br />
Angespanntheit oder Langeweile, emotionale Zuwendung<br />
oder Distanz. Solche Eigenschaften, die Menschentypen<br />
charakterisieren können, zeigen sich sehr<br />
stark darin, wie man sich bewegt, wie man jemanden<br />
ansieht oder auch nicht, wie man seinen Kopf, seine<br />
Schultern, Arme oder Beine hält (aufrecht oder nicht,<br />
offen oder geschlossen), wie man Gesten einsetzt usw.<br />
Vor allem die sog. funktionslosen Gesten, das sind mechanische<br />
Handlungen mit unbeabsichtigter Aussagekraft,<br />
offenbaren oftmehr von uns, als uns lieb ist [7]:
Nonverbale Kommunikation – ein Mythos oder die Realität im Fremdsprachenunterricht<br />
– Übersprunghandlungen (nervöse Ausweichhandlungen):<br />
die Brille zurechtrücken, an der Kette / dem<br />
Ohrring spielen, das Uhrband öffnen und schließen,<br />
mit einem Kuli / Gummi / Kreide spielen, mit den<br />
Fingern auf den Tisch trommeln, mit einem Knopf<br />
spielen, unbegründet hin- und herlaufen, unbegründet<br />
aufstehen und sich wieder hinsetzen, Bücher und<br />
Papiere vor sich zurechtrücken usw.<br />
– Körperpflege: die Fingernägel kontrollieren, an<br />
den Fingernägeln kauen, die Haare aus dem<br />
Gesicht streichen, sich strecken, gähnen, sich<br />
an der Nase kratzen usw.<br />
– Selbstkontakte: sich über das Gesicht / die Haare<br />
streicheln, die Hände falten, die Beine / Arme<br />
verschränken, sich mit der Hand das Kinn reiben,<br />
mit der Hand den Kopf stützen usw.<br />
Als Lehrer sollte man diese funktionslosen nonverbalen<br />
Mittel intensiv kontrollieren. Sie lenken die Schüler<br />
ab, senden ihnen unbeabsichtigte Signale und können signalisieren,<br />
dass sich der Lehrer in der Unterrichtssituation<br />
– aus welchem Grund immer – nicht wohl fühlt. Sie<br />
können das Klassenklima negativ beeinflussen.<br />
Nonverbale Mittel, besonders der Gesichtsausdruck,<br />
spiegeln auch sehr direkt die momentane emotionale<br />
Verfassung eines Menschen wider. Anders als einige<br />
andere nonverbale Mittel, sind die Mittel für Gefühlsausdruck<br />
nicht eng an verbale Äußerungen gebunden,<br />
und sie lassen sich auch kaum bewusst kontrollieren.<br />
Nonverbale Ausdrucksmittel können im fremdsprachlichen<br />
Unterricht verschiedene didaktische<br />
Funktionen haben; dabei ist zu unterscheiden, ob sie<br />
vom Lehrer oder vom Schüler eingesetzt werden.<br />
3. Funktionen des nonverbalen Verhaltens<br />
im Fremdsprachenunterricht<br />
Allgemein interaktive Funktion. Nonverbale<br />
Mittel haben zunächst eine allgemein interaktive<br />
Funktion. Blickkontakt, Gestik, Mimik und Körperbewegung<br />
spielen eine wichtige Rolle bei der Initiierung,<br />
Aufrechterhaltung und Beendigung von interpersonalen<br />
Kontakten – sei es mit einem einzelnen<br />
Schüler (a), mit einer Gruppe oder mit der ganzen<br />
Klasse (b) – z. B. (als Verhalten des Lehrers):<br />
– einen Schüler ansehen; einen Schritt auf ihn<br />
zu tun; den Körper leicht in seine Richtung vorbeugen;<br />
den Blick von ihm abwenden; sich einem anderen<br />
Schüler zuwenden usw.<br />
– verschiedene Schüler in der Klasse ansehen;<br />
den Blick ab und zu schweifen lassen; eine aufrechte<br />
offene Körperhaltung frontal zur Klasse einnehmen;<br />
eine Position im Raum einnehmen, bei der zu<br />
allen Schülern Blickkontakt besteht und sich alle angesprochen<br />
fühlen usw.<br />
Diese allgemeine interaktive Funktion kann unbeabsichtigt<br />
pädagogisch interpretiert werden, wenn<br />
z. B. einzelne Schüler den Eindruck haben, dass der<br />
Lehrer sie sehr oft bzw. nie ansieht, dass er sehr oft<br />
bzw. nie in ihrer Nähe steht usw.<br />
Aktivierende Funktion. Gestik und Bewegung<br />
haben in einem allgemeinen Sinn eine motorische<br />
Funktion, die dem physiologischen Bedürfnis nach<br />
Bewegung (Bewegungsdrang) Rechnung trägt. Nonverbale<br />
Mittel haben darüber hinaus eine aktivierende<br />
Funktion. Ein Lehrer, der einen lebendigen anregenden<br />
Unterricht halten will, kann dazu durch den Einsatz<br />
nonverbaler Mittel beitragen: durch eine lebendige,<br />
sprechende Gestik; durch eine abwechslungsreiche Mimik;<br />
durch Bewegung im Raum, die Lebendigkeit ausdrückt,<br />
ohne Unruhe oder gar Nervosität zu verbreiten.<br />
Durch nonverbale Mittel kann der Lehrer die Aufmerksamkeit<br />
der Lernenden aktivieren und zugleich<br />
sein eigenes „Aktivitätspotenzial“ aufrechterhalten.<br />
Gleiches gilt für die Lerner, wobei der Bewegungsdrang<br />
vor allem bei Kindern wichtig ist. Gestik<br />
und Bewegung im Raum können auch dazu beitragen,<br />
Stress in der Lernsituation physiologisch zu<br />
verarbeiten. Es besteht zudem ein Widerspruch darin,<br />
dass einerseits von den Lernenden ein sprachlich<br />
aktives Verhalten erwartet wird, andererseits aber<br />
ihre körperlichen Aktivitäten durch die Organisation<br />
des Unterrichts auf ein Minimum reduziert sind.<br />
Regulierung der didaktischen Interaktion.<br />
Nonverbale Mittel können einen wesentlichen<br />
Beitrag zur Regelung der unterrichtssspezifischen<br />
didaktischen Interaktion leisten (regulierende und<br />
organisierende Funktion), z.B.:<br />
Nonverbale<br />
Mittel<br />
Gestik<br />
Mimik<br />
Nonverbale Ausdrucksmittel bei<br />
didaktischen Handlungen des Lehrers<br />
einen Schüler<br />
aufrufen<br />
mit dem ausgestreckten<br />
Arm<br />
auf S zeigen<br />
freundlich, lächelnd,<br />
ermutigend<br />
einen Fehler<br />
signalisieren<br />
die gespreizte<br />
hand Hin- und<br />
herbewegen<br />
Stirn in Falten<br />
legen<br />
Blick S ansehen S ansehen, Augen<br />
zusammenkneifen<br />
Körperhaltung<br />
Bewegung<br />
im<br />
Raum<br />
leicht vorgebeugt,<br />
mit Kopf<br />
nicken<br />
einen Schritt<br />
auf S tun<br />
Schultern leicht<br />
heben<br />
einen Schritt<br />
zurück tun<br />
Abb. 1<br />
eine Phase<br />
einleiten<br />
auf das Medium<br />
zeigen<br />
freundlich, lächelnd,<br />
ermutigend<br />
S ansehen,<br />
schweifender<br />
Blick<br />
aufrecht, offen,<br />
frontal<br />
Platzwechsel,<br />
frontale Position<br />
63<br />
ISSN 1392-0340. PEDAGOGIKA. 2012. 105
Algimantas Martinkėnas<br />
Die Beispiele zeigen exemplarisch, dass an<br />
einer Handlung immer mehrere nonverbale Ausdrucksmittel<br />
beteiligt sind. Diese Mittel können die<br />
Lehrersprache begleiten und damit auch semantisch<br />
entlasten; in manchen Fällen können sie sie auch<br />
ganz ersetzen und dazu beitragen, dass der Lehrer<br />
seine Redeanteile reduziert. In diesem Fall sollte er<br />
die nonverbalen Ausdrucksmittel sehr kontrolliert<br />
einsetzen, damit er nicht den Eindruck von Distanz,<br />
Unfreundlichkeit oder Desinteresse vermittelt.<br />
Man muss sich allerdings bewusst machen, dass<br />
bestimmte nonverbale Mittel eine negative interaktive<br />
Wirkung haben können, z.B.:<br />
• mit dem ausgestreckten Zeigefinger einen<br />
Schüler aufrufen;<br />
• mit einer Bewegung des rechten Arms einen<br />
links sitzenden Schüler aufrufen (der Arm<br />
errichtet eine Barriere zwischen Lehrer und<br />
Schülern);<br />
• einen Schüler nicht ansehen während man mit<br />
ihm spricht;<br />
• öfter aus dem Fenster/an die Decke/ins Leere<br />
schauen;<br />
• Verletzung von Distanzzonen.<br />
Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Lehrer<br />
sein nonverbales Verhalten im Rahmen des Möglichen<br />
kontrolliert.<br />
In einem lernerzentrierten Unterricht haben die<br />
nonverbalen sprachbegleitenden und sprachersetzenden<br />
Mittel auch für die Schüler eine sehr wichtige<br />
Funktion, da sie ungenügende Sprachkenntnisse<br />
partiell kompensieren können. Oft können Lerner<br />
nur mit nonverbalen Mitteln Einfluss auf die Interaktion<br />
in der Klasse nehmen, z. B. den Lehrer unterbrechen,<br />
Unverständnis ausdrücken, eine Handlung<br />
initiieren oder ihr Ende signalisieren. Deshalb sollte<br />
der Lehrer stets das nonverbale Verhalten seiner<br />
Schüler gut beobachten, und er sollte sie ermutigen,<br />
ihr nonverbales Ausdruckspotenzial gezielt einzusetzen.<br />
Verstehens- und Ausdruckshilfe. Unter dem<br />
Verstehens – und Ausdrucksaspekt kommt laut H.<br />
Sarter [9], H. S. Rosenbusch, O. Schober [8] nonverbalen<br />
Mitteln eine wichtige didaktische Funktion<br />
im Unterricht zu. Schon die natürlichen sprachbegleitenden<br />
nonverbalen Ausdrucksmittel, vor allem<br />
die Gesten (Taktstock-Signale), spielen eine wichtige<br />
Rolle. Es sind die Mittel, die weitgehend automatisch<br />
synchron zur Sprache eingesetzt werden und die die<br />
verbale Aussage durch Rhythmisieren, Hervorheben,<br />
Abgrenzen und Illustrieren des gesprochenen Wortes<br />
anschaulich begleiten. Dadurch leisten diese nonverbalen<br />
Mittel einen Beitrag zum Verständnis der<br />
64<br />
Aussage (z. B. kreisende Handbewegungen, Handfläche<br />
nach vorn/nach unten/nach oben, erhobener<br />
Zeigefinger, geballte Faust usw.; wiegende Körperhaltung,<br />
einen Schritt zurücktreten usw.). Gezielt<br />
vom Lehrer eingesetzt, können diese nonverbalen<br />
sprachbegleitenden Ausdrucksmittel die Aussage<br />
verdeutlichen und dazu beitragen, den Lernern das<br />
Verstehen zu erleichtern. Das ist im Fremdsprachenunterricht<br />
besonders wichtig, weil sich der Lehrer<br />
in seinem kommunikativen Verhalten auf das reduzierte<br />
Sprachniveau der Lerner einstellen muss. Mit<br />
Hilfe nonverbaler sprachbegleitender Mittel kann er<br />
Inhalte verbalisieren, die die Lerner rein sprachlich<br />
noch nicht verstehen würden. In diesem Fall muss<br />
der semantische Wert der nonverbalen Elemente<br />
entsprechend hoch sein.<br />
Semantisierung. Bei der Semantisierung von<br />
unbekannten Wörtern oder Ausdrücken können<br />
nonverbale Mittel sogar in sprachersetzender Funktion<br />
verwendet werden. Bei Bedeutungserklärungen<br />
hilft die Fremdsprache oft nicht weiter, weil die<br />
Lernenden eine verbale Erklärung nicht verstehen<br />
würden; die Verwendung nonverbaler Mittel kann<br />
in diesem Fall zu einem ersten Verständnis beitragen,<br />
z. B. groß/klein durch Gesten, rennen/gehen durch<br />
Bewegung im Raum, jdn. begrüßen durch Bewegung,<br />
Gestik und Veränderung der Körperhaltung, weinen<br />
durch Mimik und Gestik usw.<br />
Für den Lernenden haben nonverbale Mittel<br />
andere, zum Teil komplementäre Funktionen [3].<br />
Zunächst können nonverbale Ausdrucksmittel<br />
die Sprachproduktion allgemein fördern: sprachbegleitende<br />
motorische Bewegungen erleichtern das<br />
In-Gang-Kommen des sprachlichen Handelns und<br />
können dazu beitragen, dass schwierig zu äußernde<br />
Wörter, Phrasen leichter produziert werden. Dadurch<br />
wird es dem Lerner erleichtert, sich aktiv am<br />
unterrichtlichen Lern- bzw. Kommunikationsprozess<br />
zu beteiligen.<br />
Nonverbale Ausdrucksmittel können sprachlich<br />
Defizite aber auch in einem direkteren Sinne<br />
kompensieren. Fremdsprachenlerner befinden sich<br />
meist in der schwierigen Situation, die fremde Sprache<br />
verwenden zu wollen, dazu aber noch nicht entsprechend<br />
ihrem Ausdrucksbedürfnis in der Lage zu<br />
sein. Durch den gezielten Einsatz nonverbaler Mittel<br />
können die Lernenden beim Kommunizieren versuchen,<br />
einen Teil ihrer sprachlichen Defizite in der<br />
Fremdsprache auszugleichen und mehr auszudrücken,<br />
als sie rein sprachlich vermögen. Unterricht<br />
wird aber nur selten so organisiert, dass die Lerner<br />
dazu die Möglichkeit haben. Könnten sich die Lerner<br />
beim sprachlichen Handeln frei im Raum be-
Nonverbale Kommunikation – ein Mythos oder die Realität im Fremdsprachenunterricht<br />
wegen (wie auch in vielen realen kommunikativen<br />
Situationen), so würde das ihre Ausdrucksmöglichkeiten<br />
wahrscheinlich erhöhen.<br />
Den nonverbalen Ausdrucksmitteln kommt<br />
schließlich eine wichtige Funktion als Lernhilfe zu [3].<br />
Ist Sprache intensiv mit nonverbalen Ausdrucksmitteln<br />
verbunden, so wird sie bei ihrer Darbietung mit<br />
den sie begleitenden nonverbalen Reizen über verschiedene<br />
Sinneskanäle aufgenommen, multimodal<br />
verarbeitet und mit den verschiedenen Parallelreizen<br />
im Gedächtnis gespeichert. Besonders wichtig für das<br />
Lernen ist die Koppelung von aktiven sprachlichen<br />
Äußerungen mit Handlungen und vielfältigen nonverbalen<br />
Ausdrucksmitteln des Sprechenden selbst<br />
(Gestik, Bewegung, Rhythmus usw.), da hierbei neben<br />
der verbalen oder verbal- visuellen auch motorische<br />
Komponente der Informationsverarbeitung aktiviert<br />
wird, was zu besseren Lernergebnissen führt [1; 5].<br />
4. Degression der methodisch-didaktischen<br />
Funktion der nonverbalen Kommunikation<br />
Mündliche Kommunikation ist eingebettet in<br />
Situationen mit hohen nonverbalen Artikeln. Die<br />
begleitenden nicht-sprachlichen Anteile des Kommunikationsaktes<br />
beeinflussen das Verständnis der<br />
sprachlichen Anteile. Nonverbale Kommunikation<br />
kann die verbale Kommunikation interpretieren; d.h.<br />
sie kann die Aussage unterstützen, sie kann sie aber<br />
auch konterkarieren, so dass die verbale Äußerung in<br />
ihr Gegenteil verkehrt wird. Sie kann sie auch ersetzen,<br />
z. B. Nicken als Zustimmung. Kommunikation<br />
schließt nonverbales Handeln als zielgerichtete Aktivität<br />
ein und sieht den Interaktionspartner als interpretierenden<br />
Adressaten der verbalen und nonverbalen<br />
Bestandteile. Im (früh)beginnenden Unterricht<br />
einer anderen Sprache, wo nonverbale Kommunikation<br />
und nonverbales Handeln eine entscheidende<br />
Rolle für den Spracherwerb spielen, kommt ihnen<br />
der Stellenwert eines didaktisch-methodischen Mediums<br />
zu. Sie sind gezielt als solches einzusetzen.<br />
Ihre Funktion ändert sich im Laufe des fortschreitenden<br />
Spracherwerbs und mit zunehmendem Alter<br />
der Lerner. Je jünger die Lerner sind, desto mehr<br />
verbleibt der Unterricht in der Mündlichkeit und desto<br />
wichtiger sind die nonverbalen Komponenten als<br />
integrale Bestandteile des Spracherwerbsprozesses.<br />
Nonverbales Handeln (Gestik und Mimik eingeschlossen)<br />
übernimmt Aufgaben vor allem für die<br />
Sprachrezeption; es sichert das (Text)Verständnis, das<br />
gerade in der ersten Phase hergestellt wird über das Sehverständnis<br />
auf der Grundlage der Ausgangssprache(n)<br />
der Lerner. Mit zunehmendem Hörverständnis reduziert<br />
sich die Wichtigkeit des Sehverständnisses und<br />
damit auch des nonverbalen Handelns. Agens des nonverbalen<br />
Handelns ist einerseits die Lehrkraft, wenn sie<br />
sprachbegleitend handelt und damit den Schülerinnen<br />
und Schülern die Möglichkeit gibt, den unbekannten<br />
Lautketten auf diese Weise Bedeutung zuzuschreiben.<br />
Andererseits werden auch die Lerner zu nonverbalen<br />
Handelnden. Dies kann geplant eingesetzt werden,<br />
um ihre rezeptiven Fähigkeiten zu überprüfen. Dass<br />
sie eine Äußerung verstanden haben, zeigt sich, wenn<br />
sie entsprechend reagieren/handeln, auch durch Gestik<br />
und Mimik [5].<br />
Eine zunehmende Vertrautheit mit der neuen<br />
Sprache verändert den Stellenwert der nonverbalen<br />
Kommunikation. Im Laufe der Lernjahre nimmt ihre<br />
Relevanz ab. Die methodisch-didaktische Funktion<br />
der nonverbalen Kommunikation unterliegt damit<br />
einer Degression. Es können drei – z. T. zeitlich parallel<br />
vorhandene – Stufen unterschieden werden [9]:<br />
Stufe 1 Substitutionsfunktion<br />
Degression der nonverbalen<br />
Kommunikation<br />
(Verbleib in<br />
der Mündlichkeit)<br />
Stufe 2 Begleitfunktion<br />
(Aufbau<br />
des Hörverständnisses:<br />
Mündlichkeit<br />
im Übergang<br />
zur Schriftlichkeit)<br />
Stufe 3 Differenzierungs-funktion<br />
(gesichertes<br />
Hörverständnis)<br />
Abb. 2<br />
Für die Schüler hat nonverbales Handeln<br />
zunächst die Aufgabe, verbales<br />
Handeln zu ersetzen:<br />
Sie hören unbekannte Lautketten,<br />
die mit den bisher genutzen<br />
(ausgangs)sprachlichen Mitteln nicht<br />
zu entschlüsseln sind.<br />
Aufgrund ihrer metasprachlichen kognitiven<br />
Fähigkeiten und mit ihrem<br />
Weltwissen interpretieren sie das Gesehene<br />
und ordnen dadurch dem Gehörten<br />
Sinn zu.<br />
Aufgrund der schon vorhandenen Vertrautheit<br />
mit der neuen Sprache bekommt<br />
nonverbales Handeln mehr und<br />
mehr die Funktion, das sprachliche<br />
Handeln zu begleiten:<br />
Die unbekannte Lautkette wird segmentiert.<br />
Dabei werden zunächst Hypothesen<br />
über ihre semantischen Bestandteile aufgestellt.<br />
Gleichzeitig findet eine phonetisch-phonologische<br />
Einteilung der Lautkette<br />
statt, die jedoch noch nicht in allen<br />
Fällen den Wortgrenzen folgt. Die Einteilung<br />
in semantische Bestandteile (Wörter)<br />
erfolgt durch Segmentierungsübungen<br />
und auf der Grundlage von Schriftbildern.<br />
Sprachliches Handeln verzichtet zunehmend<br />
auf die Begleitung durch nichtsprachliches,<br />
und zwar sowohl bei der<br />
Lehrkraft als auch bei den Schülern.<br />
Die zielsprachige Kompetenz ist so<br />
groß, dass sprachliches Handeln allein<br />
das Verständnis sichern kann. Nonverbales<br />
Handeln übernimmt – wie bei<br />
muttersprachlichen Kommunikationsakten<br />
– eine Differenzierungsfunktion.<br />
65<br />
ISSN 1392-0340. PEDAGOGIKA. 2012. 105
Algimantas Martinkėnas<br />
66<br />
Die dritte Stufe bedarf gerade aufgrund ihrer<br />
Parallelität zu muttersprachlichen Situationen in hohem<br />
Maße der (Selbst)Beobachtung. Denn Gestik<br />
und Mimik geben Zusatzinformationen, die unter<br />
Umständen weder bewusst noch gewollt sind, und<br />
zwar sowohl für die Schüler als auch für die Lehrkräfte.<br />
Scheinbare Kleinigkeiten wie hochgezogene<br />
Augenbrauen, abschätziges Kopf-Wiegen, kleine<br />
wegwerfende Handbewegungen, aber auch paraverbale<br />
Signale – wie beispielsweise ein entsprechender<br />
Tonfall – signalisieren Despektierlichkeit gegenüber<br />
einzelnen Schülern, ihren Leistungen, ihrer Persönlichkeit,<br />
die sich auf die Mitarbeit und Selbsteinschätzung<br />
der Betroffenen sehr negativ auswirken<br />
können. Der (verbale) Inhalt und die (nonverbale)<br />
Botschaft widersprechen sich nicht selten; die<br />
Botschaft ist häufig der wichtigere Bestandteil des<br />
Kommunikationsaktes für die Schüler und hat<br />
nachhaltigen Einfluss. Auf der anderen Seite tut jede<br />
Lehrkraft gut daran, die nonverbalen Reaktionen<br />
ihrer Schüler ständig zu beobachten, denn sie zeigen<br />
Unverständnis, Probleme beim Verstehen, andere<br />
Meinungen und bieten damit Ansatzpunkte für<br />
Klärungen, zum Einbinden gerade dieser Schüler in<br />
das Unterrichtsgeschehen, indem auf ihre Probleme<br />
eingegangen wird.<br />
5. Interkulturelle Aspekte des nonverbalen<br />
Verhaltens im Fremdsprachenunterricht.<br />
Parallel zu den drei funktionalen Stufen nonverbaler<br />
Kommunikation für den Erwerb der anderen<br />
Sprache kommen unterschiedliche interkuturelle<br />
Aspekte ins Spiel [4]. Auch hier hat nonverbale Kommunikation<br />
eine wichtige Funktion. Denn interkulturelle<br />
Handlungsfähigkeit beinhaltet nicht zuletzt<br />
auch die Fähigkeit, spezifische nonverbale Botschaften<br />
der anderssprachigen Kultur ‚lesen‘ zu können.<br />
Bestimmte Gesten, eine bestimmte Mimik bieten<br />
– sofern sie nicht als Teil der Botschaft erkannt und<br />
entsprechend interpretiert werden – Anlass für Missverständnisse<br />
in Kommunikationssituationen mit<br />
Muttersprachlern. Da es sich hier um einen höchst<br />
sensiblen Bereich interkuturellen Miteinanders handelt,<br />
sollte es im Unterricht nicht darum gehen, dass<br />
die Schüler die anderskulturelle Spezifik von Mimik<br />
und Gestik aktiv (einzusetzen) lernen. Wesentlich<br />
ist der rezeptive Aspekt: Sie müssen in der Lage sein,<br />
spezifische Gewohnheiten in ihrer Bedeutung in der<br />
und für die Kommunikation zu erkennen. Ähnlich<br />
wie ein allzu umgangssprachlicher Wortschatz kann<br />
auch der Einsatz kulturspezifischer Gestik und Mimik‚<br />
genau daneben liegen‘ oder aber als Usurpation<br />
aufgefasst werden. Wesentlich ist hier die Herausbildung<br />
von culture awareness, d.h. der Fähigkeit, unterschiedliche<br />
kulturelle (nonverbale) Verhaltensweisen<br />
zu bemerken und empathische Interpretationen leisten<br />
zu können. Dies bedeutet auch, die eigenkulturellen<br />
Aspekte nonverbaler Kommunikation als<br />
solche zu erkennen und gegebenenfalls auf ihre Verwendung<br />
zu verzichten.<br />
6. Proxemik<br />
Unter „Proxemik“ versteht man das Distanzverhalten<br />
eines Menschen zu anderen Menschen in<br />
seiner Umgebung. Der Abstand zwischen zwei Kommunikationspartnern<br />
kann z. B. auf den Grad ihrer<br />
Vertrautheit oder den Zweck ihrer Kommunikation<br />
hinweisen. Distanzverhalten hat etwas mit Vertrautheit<br />
und Sicherheit zu tun; je unsicherer der Lehrer<br />
oder die Schüler sind, umso größer wird der räumliche<br />
Abstand zunächst sein, z. B. am Anfang einer Stunde.<br />
Ein unsicherer Lehrer wird zudem öfter hinter seinem<br />
Tisch/Pult Zuflucht suchen als ein sicherer Lehrer.<br />
Im Umgang mit Schülern sollte man auf die<br />
Einhaltung bestimmter Distanzzonen achten; d.h. je<br />
nach Ansprechpartner (Gesamtklasse, Einzelschüler,<br />
Kleingruppe) ist ein unterschiedliches Distanzverhalten<br />
sinnvoll.<br />
Wendet sich der Lehrer an die gesamte Klasse<br />
(Begrüßung, Lehrervortrag), sollte er sich in der<br />
„allgemeinen Ansprachedistanz“ befinden, d.h. sich<br />
im Bereich der Grundlinie bewegen (ca. 3–4 m). Das<br />
ermöglicht eine Kontaktaufnahme, bei der sich alle<br />
Schüler als Gesprächspartner angesprochen fühlen.<br />
Der Lehrer vermeidet dadurch, dass er einzelnen<br />
Schülern den Rücken zuwendet oder eine Position im<br />
Klassenzimmer einnimmt, von der aus ihn nicht alle<br />
Schüler sehen können (und umgekehrt). Durch Annäherung<br />
(ein bis zwei Schritte nach vorn) kann man<br />
sich einzelnen Schülern direkter zuwenden (persönliche<br />
Ansprachedistanz), z. B. bei einer Schülerfrage;<br />
man wird sich aber nicht zu lange dort aufhalten, um<br />
nicht den Kontakt zu den anderen Schülern zu verlieren.<br />
Ein „Eindringen“ in die Intimdistanz sollte<br />
möglichst vermieden werden, ist es dennoch einmal<br />
erforderlich, z. B. beim Blick ins Heft oder der Betreuung<br />
von Partner-/Gruppenarbeit, so sollte man<br />
sich nicht in ganzer Körpergröße vor den Lernenden<br />
„aufbauen“ (das kann leicht bedrohlich wirken), sondern<br />
sich durch Knien, Herabbeugen oder Dazusetzen<br />
auf gleiche Blickhöhe mit den Schülern begeben<br />
(Die Werte für die einzelnen Distanzzonen schwanken<br />
je nach Größe des Klassenzimmers, Sitzordung.<br />
soziokulturellen Konventionen).<br />
Bei der Rückkehr zur Grundlinie oder beim<br />
Gang zur Tafel kann man rückwärts gehen, sodass<br />
man den Schülern nicht den Rücken zuwenden muss.
Nonverbale Kommunikation – ein Mythos oder die Realität im Fremdsprachenunterricht<br />
Ein Lehrer sollte sich Gedanken darüber machen,<br />
in welchen Unterrichtsphasen es günstig<br />
sein könnte, zu stehen, auf einer Schülerbank/dem<br />
Lehrerstuhl zu sitzen oder sich stehend am Lehrertisch<br />
abzustützen. Auch wenn es dazu keine verbindlichen<br />
Regeln gibt und individuelle Vorlieben<br />
ihre Berechtigung haben, gibt es einige sinnvolle<br />
Arrangements, z. B:<br />
Stehen: Stundenbeginn, Stundenende, in Vortrags-<br />
und Erklärphasen, immer wenn Tafelbenutzung<br />
zu erwarten ist, bei Gruppen-/Partner-/<br />
Einzelarbeit mit Betreuung der Schüler, bei Semantisierungsphasen<br />
(im freien Stehen kann man körpersprachliche<br />
Mittel am wirkungsvollsten einsetzen).<br />
Erhöhtes Sitzen: bei lehrerdominierten Gesprächs-Diskussionsphasen,<br />
beim Lehrervortrag<br />
ohne Tafelbenutung, in bestimmten Übungsphasen.<br />
Sitzen: bei Gruppen-/Einzelarbeit ohne Betreuung<br />
der Schüler, beim stillen Lesen.<br />
Wichtig ist auch, wo man sitzt: hinter, neben<br />
oder vor dem Lehrerpult/-tisch oder auf einer Schülerbank.<br />
Das Pult kann leicht als Barriere zwischen<br />
Lehrer und Schüler empfunden werden; es kann<br />
aber auch signalisieren, dass die Schüler in einer bestimmten<br />
Arbeitsphase auf sich selbst gestellt sind.<br />
Das Pult sollte nicht in der Mitte stehen (Tafelzugang),<br />
sondern mehr seitlich.<br />
7. Einige Empfehlungen für Lehrer/Schüler<br />
im nonverbalen Bereich.<br />
Die Hauptziele eines Trainings im nonverbalen<br />
Bereich sind bewusste und sensiblere Wahrnehmungen<br />
der Kommunikationspartner ohne „Schubladeninterpretationen“<br />
und selbstkritische Beobachtung<br />
des eigenen Ausdrucks (zur Vermeidung von Inkongruenz)<br />
ohne Beeinträchtigung der angemessenen<br />
Authentizität („Echtheit“) und Spontaneität [10].<br />
Dabei nützen aufmerksame Beobachtungen<br />
anderer (auch mit Hilfe von Fotos, Filmen und Videos,<br />
evll. ohne Bild oder Ton), Analyseversuche<br />
mit Rückfragen, Selbstbeobachtungen mit Bandaufzeichnungen<br />
und Kommentierungen durch andere,<br />
Ausdrucksübungen (z. B. Stimmungen ohne Text<br />
darstellen, Interpretationen mehrdeutiger Sätze),<br />
Scharaden (= pantomimisches Begriffe- bzw. Personenraten),<br />
‚Spiegeln‘ (= Imitieren einer gegenüberstehenden<br />
Person), absichtliche Demonstration problematischer<br />
bzw. inkongruenter nonverbaler Mittel,<br />
angemessenes Vorlesen ausdrucksstarker Texte,<br />
Pantomime, Hörspiele, Rollen- und Planspiele, darstellendes<br />
Spiel, gruppendynamische Übungen zum<br />
Blickkontakt und zum Distanzverhalten.<br />
Mit Hilfe dieser Übungen sollten die Lernenden:<br />
• den engen Zusammenhang zwischen innerer<br />
und äußerer Haltung erspüren und positiv verändern<br />
können;<br />
• erleben, wie sie über einen stabilen und doch<br />
lockeren Stand sicherer auftreten;<br />
• akustisch beobachten und selbst an sich wahrnehmen,<br />
wie stark Klang- und Atemräume von<br />
Sitz- und Standpositionen beeinflusst werden;<br />
• erkennen, welche Funktion Gestik auf Zuschauer<br />
und sie selbst hat und wie sie eine natürliche<br />
Unterstützung durch die Hände im Stehen<br />
(auch mit Konzept) ermöglichen können;<br />
• beim Sprechen mit Konzept oder beim Vorlesen<br />
in den Pausen Sinnschritte erfassen und mit<br />
Blickkontakt zum Publikum sprechen können;<br />
• erkennen, wie sie den Kontakt zu anderen über<br />
den Blick intensivieren, zum Sprechen ermuntern,<br />
Feedback aufnehmen und Seitengespräche<br />
stoppen können;<br />
• von der Bedeutung eines wechselnden Blickkontakts<br />
auch für die Natürlichkeit und Betontheit<br />
ihres Sprechens erfahren;<br />
• die Wirkung von Körpersprache nach außen<br />
reflektieren und differenzieren können;<br />
• auf wichtige interkulturelle Unterschiede nonverbaler<br />
und verbaler Ausdrucksmittel sensibilisiert<br />
werden;<br />
• mit „fremden“ Zeichen/Symbolen umgehen<br />
können.<br />
Die folgenden Empfehlungen zur Körpersprache<br />
haben sich in der Unterrichtspraxis als besonders<br />
nötig und sinnvoll erwiesen.<br />
1. Ein guter Stand gibt mehr Sicherheit. Wenn<br />
es Ihnen schwer fällt, die übliche entspannte<br />
Grundstellung mit Stand- und Spielbein einzusetzen,<br />
sollten die Füße etwa ‚beckenbreit‘<br />
auseinander stehen und gleichmäßig guten Bodenkontakt<br />
herstellen. Die Zehen zeigen leicht<br />
nach außen, so dass Sie sich gut nach allen Seiten<br />
abstützen können.<br />
2. Die Knie sind bei einem stabilen Stand nicht<br />
durchgedrückt, sondern federn das Körpergewicht<br />
elastisch ab.<br />
3. Die Arme und Hände sollten eine Grundstellung<br />
einnehmen, die Gestik ermöglicht (und so<br />
für eine variable Intonation sorgt). Das bedeutet<br />
kein Sich-an-den-eigenen-Händen-Festhalten,<br />
keine verschränkten Arme, keine Hände in<br />
den Hosentaschen (nur wenn man sich in einer<br />
eher lässigen bzw. von US-amerikanischen<br />
Sitten beeinflussten Umgebung befindet, wird<br />
67<br />
ISSN 1392-0340. PEDAGOGIKA. 2012. 105
Algimantas Martinkėnas<br />
eine Hand in der Tasche toleriert). Für manche<br />
„Gestikmuffel“ kann eine vor dem ersten Satz<br />
kurzfristig absichtlich eingesetzte eher unbequeme<br />
Armhaltung dafür sorgen, dass rasch die<br />
normale unterstreichende Gestik einsetzt. Wer<br />
nicht weiß, wohin mit den Händen, kann etwas<br />
zur Situation Passendes in die Hand nehmen (z.<br />
B. Konzeptkarten oder eine Schreibmappe).<br />
4. Auch beim Sitzen ist ein guter Kontakt zum<br />
Stuhl vorteilhaft. Wer nur die vordere Stuhlkante<br />
als Unterlage nutzt, gerät automatisch in<br />
eine etwas höhere Körperspannung.<br />
5. Wenn man hinter einem Tisch sitzt, dann<br />
sollten die Hände für die Gegenübersitenden<br />
sichtbar sein. Als Ausgangsposition empfiehlt<br />
sich eine lockere, offene Ablage der Hände und<br />
Unterarme auf dem Tisch. Achten Sie einfach<br />
einmal auf die üblichen Sitzpositionen bei informativen<br />
Fernsehsendungen – diese werden<br />
(meist unbewusst) als Standard interpretiert!<br />
6. Sobald man mit dem Sprechen begonnen hat,<br />
kann und sollte die Gestik vergessen werden,<br />
damit Sie sich auf den Inhalt, die Formulierungen<br />
und die Gesprächspartner konzentrieren<br />
können. In der Regel entwickelt sich aus einer<br />
günstigen Anfangshaltung die natürliche Körpersprache<br />
von selbst.<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
4.<br />
5.<br />
6.<br />
68<br />
Literaturverzeichnis<br />
Allhoff D.-W. Beobachtungs – und Verhaltenstraining<br />
zur nonverbalen Kommunikation. In:<br />
Berthold, S. / Naumann, C. L. (Hrsg.): Mündliche<br />
Kommunikation im 5. – 10. Schuljahr. Bad<br />
Heilbrunn: Klinkhardt, 1984, S. 118–133.<br />
Argyle M. Körpersprache & Kommunikation.<br />
8. Auflage. Paderborn: Junferman, 2002.<br />
Baur R. Superlearning und Suggestopädie. Grundlagen–Anwendundung–Kritik–Perspektiven.<br />
Berlin, München, New York: Langenscheidt,<br />
1990.<br />
Heringer, H. J. Interkulturelle Kommunikation,<br />
Tübingen und Basel: A. Francke Verlag.<br />
2004.<br />
Kaiser C. Körpersprache der Schüler: lautlose Mitteilungen<br />
erkennen, bewerten, reagieren. Neuwied:<br />
Luchterhand 1998.<br />
Lehnhart H., Wachtel S. Zu sieben Prozent<br />
kommt es auf den Inhalt an. Wie ein Mythos<br />
entsteht und was er anrichtet. In: Lemke, S.<br />
(Hrsg): Sprechwissenschaftler/in und Sprecherzieher/<br />
7.<br />
8.<br />
9.<br />
10.<br />
in. Eignung und Qualifikation. München, Basel,<br />
2001, S. 74–79.<br />
Morris D. Körpersignale (Bodywatching). München:<br />
Heyne, 1986.<br />
Rosenbusch, H. S. Schober, O. (Hrsg.): Körpersprache<br />
in der schulischen Erziehung. 3. Auflage.<br />
Hohengehren: Schneider Verlag, 2000.<br />
Sarter H. Einführung in die Fremdsprachendidaktik.<br />
Darmstadt: WBG, 2006.<br />
Wagner W. R. Rhetorische Ausbildung in Lehramtsstudiengängen.<br />
In: Sprechen. Zeitschrift für<br />
Sprechwissenschaft–Sprechpädagogik–Sprechtherapie–Sprechkunst.<br />
26. Jahrgang, Heft 48. 2009, S.<br />
82–96.<br />
Santrauka<br />
Algimantas Martinkėnas<br />
NEVERBALINĖ KOMUNIKAKCIJA –<br />
MITAS AR REALI BŪTINYBĖ<br />
MOKANT UŽSIENIO KALBŲ<br />
Straipsnyje nagrinėjama aktuali iki šiol mažai<br />
tyrinėta neverbalinės komunikacijos, neverbalinės<br />
elgsenos elementų reikšmė bei panaudojimo galimybės<br />
mokant užsienio kalbų. Pradžioje apžvelgiami<br />
bendrieji pedagoginiai-didaktiniai neverbalinės komunikacijos<br />
ir elgsenos pamokoje aspektai, aptariamos<br />
neverbalinės komunikacijos užsienio kalbų pamokoje<br />
funkcijos, jos tarpkultūriniai interpretavimo<br />
aspektai. Straipsnyje išsamiai nagrinėjamos metodinės-didaktinės<br />
neverbalinės komunikacijos užsienio<br />
kalbų pamokoje degresijos funkcijos, proksemikos<br />
ypatumai ir jos vaidmuo komunikacijoje.<br />
Straipsnio pabaigoje pateikiami praktinio pobūdžio<br />
neverbalinės komunikacijos ir elgsenos pavyzdžiai<br />
ir patarimai užsienio kalbų mokytojui. Atsižvelgimas<br />
į juos, jų žinojimas ir taikymas padės ne<br />
tik išvengti mokytojo ir mokinio bendravimo diskomforto,<br />
bet ir prisidės prie adekvataus tarpusavio<br />
supratimo, komunikacijos autentiškumo ir adekvataus<br />
dekodavimo. Pateikiami praktiniai patarimai<br />
pradedančiajam užsienio kalbų mokytojui gali būti<br />
naudingi ir padėti išvengti bendravimo nesusipratimo<br />
užsienio kalbų pamokoje, neadekvataus kūno<br />
kalbos interpretavimo niuansų.<br />
Esminiai žodžiai: neverbalinis elgesys, neverbalinės<br />
komunikacijos degresija, tarpkultūriniai neverbalinės<br />
komunikacijos aspektai, proksemika.<br />
Lietuvos edukologijos universitetas<br />
Įteikta 2011 m. birželio mėn.