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Bildung und Erziehung in der Volksrepublik China - Universität St ...

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<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik<br />

DISSERTATION<br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. Gallen,<br />

Hochschule für Wirtschafts-,<br />

Rechts- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften (HSG)<br />

zur Erlangung <strong>der</strong> Würde e<strong>in</strong>er<br />

Doktor<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatswissenschaften<br />

vorgelegt von<br />

Regula Nowak-Speich<br />

von<br />

Glarus<br />

Genehmigt auf Antrag <strong>der</strong> Herren<br />

Prof. Dr. Rolf Dubs<br />

<strong>und</strong><br />

Prof. Dr. Jürgen Henze<br />

Dissertation Nr. 3054<br />

Difo-Druck GmbH, Bamberg, 2006


Die <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften<br />

(HSG), gestattet hiermit die Drucklegung <strong>der</strong> vorliegenden Dissertation, ohne<br />

damit zu den dar<strong>in</strong> ausgesprochenen Anschauungen <strong>St</strong>ellung zu nehmen.<br />

<strong>St</strong>. Gallen, den 19. April 2005<br />

Der Rektor:<br />

Prof. Ernst Mohr, PhD


Me<strong>in</strong>em Vater<br />

Hans Rudolf Speich<br />

(1929 - 2001)<br />

gewidmet


IX<br />

Dank<br />

«H<strong>in</strong>ter Suez gehen die Uhren an<strong>der</strong>s.<br />

Wortblech beg<strong>in</strong>nt zu klirren.<br />

Idealballone zerplatzen vor dem Sonnenpfeil.<br />

In flimmern<strong>der</strong> Glut verschwimmen die Konturen.<br />

Die Woge des Herzens zerstäubt<br />

an <strong>der</strong> Klippe des nackten Se<strong>in</strong>s.<br />

Auf Urgeste<strong>in</strong> ist abgetragen <strong>der</strong> Fels.<br />

In ste<strong>in</strong>ernen Götteraugen<br />

blüht ke<strong>in</strong>e Gnade.<br />

Wer Tigerpupillen besteht, überlebt.<br />

Thomas Immoos: Asien<br />

zitiert aus Weltenrose, S. 64<br />

Me<strong>in</strong> Dank, mich im Vorhaben, e<strong>in</strong>e Dissertation zu verfassen, zu unterstützen, richtet<br />

sich an viele Experten, Fachleute, Wissenschafter, Diplomaten, <strong>St</strong>udierende, Fre<strong>und</strong>e,<br />

Bekannte <strong>und</strong> me<strong>in</strong>e Familie. An dieser <strong>St</strong>elle möchte ich vor allem diejenigen Persönlichkeiten<br />

nennen, die mir mit Rat <strong>und</strong> Tat, Rückhalt <strong>und</strong> Unterstützung sowie Kritik<br />

<strong>und</strong> Denkanstössen zur Seite gestanden s<strong>in</strong>d.<br />

Die Möglichkeit, mich überhaupt an e<strong>in</strong>er Doktorarbeit zu versuchen, gaben mir Prof.<br />

Dr. Rolf Dubs (<strong>St</strong>. Gallen), Referent dieser Dissertation, <strong>und</strong> Prof. Dr. Jürgen Henze<br />

(Berl<strong>in</strong>), Korreferent <strong>der</strong> Arbeit. Grossen Dank möchte ich Prof. Dr. Rolf Dubs für se<strong>in</strong>e<br />

fachliche <strong>und</strong> methodische Führung <strong>und</strong> die je<strong>der</strong>zeit verfügbare Betreuung aussprechen.<br />

Dass Prof. Dr. Jürgen Henze das Korreferat <strong>der</strong> Dissertation übernommen hat,<br />

freut <strong>und</strong> ehrt mich. Für se<strong>in</strong>e Kritik <strong>und</strong> wertvollen H<strong>in</strong>weise bedanke ich mich sehr,<br />

denn sie haben viel zum Gel<strong>in</strong>gen dieser Dissertation beigetragen.<br />

Während me<strong>in</strong>en Aufenthalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a hat mir Prof. Wang Shao<br />

Lan (Beij<strong>in</strong>g) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Momenten dazu verholfen, «Tigerpupillen» zu bestehen <strong>und</strong><br />

mich <strong>in</strong> unzähligen Gesprächen, durch Vermitteln von vielen Kontakten <strong>und</strong> mit Verweisen<br />

auf Dokumente unterstützt, wofür ich ihr vielmals danke. Auch für die Unterstützung<br />

von Prof. Ma Q<strong>in</strong>g Fa (Shanghai) b<strong>in</strong> ich sehr dankbar. Prof. Zhang Peng<br />

Peng (Beij<strong>in</strong>g) <strong>und</strong> Dr. Brigitte Kölla (Zürich) verdanke ich zu e<strong>in</strong>em grossen Teil me<strong>in</strong>e<br />

Kenntnisse <strong>in</strong> Mandar<strong>in</strong>. Sie waren bisher me<strong>in</strong>e besten Lehrer, was die ch<strong>in</strong>esische<br />

Sprache anbetrifft. Me<strong>in</strong>en beiden hauptsächlichen Begleiter<strong>in</strong>nen Duan X<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

Gao Qian Y<strong>in</strong>g verdanke ich viele aufschlussreiche Erfahrungen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> danke<br />

ihnen für ihre treue Fre<strong>und</strong>schaft.<br />

Den zahlreichen Gesprächen, die ich mit Dr. Erw<strong>in</strong> Schurtenberger <strong>und</strong> Dr. Hans<br />

Jakob Roth über mehrere Jahre h<strong>in</strong>weg führen durfte, s<strong>in</strong>d von unschätzbarem Wert<br />

<strong>und</strong> haben mir <strong>in</strong> vieler H<strong>in</strong>sicht «die Augen geöffnet». Ich möchte ihnen hiermit me<strong>in</strong>en<br />

herzlichsten Dank für ihre Offenheit <strong>und</strong> Weitergabe von wertvollen Erfahrungen<br />

<strong>und</strong> H<strong>in</strong>weisen aussprechen.


X<br />

Me<strong>in</strong>er Mutter <strong>und</strong> me<strong>in</strong>en vier Schwestern danke ich für ihr fortwährendes Nachfragen<br />

<strong>und</strong> Erk<strong>und</strong>igen nach dem <strong>St</strong>and <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge sowie ihre ermutigende <strong>und</strong> anspornende<br />

Zusprache. Beson<strong>der</strong>en Dank möchte ich me<strong>in</strong>er Mutter aussprechen, die mich<br />

mit sprachlichen <strong>und</strong> redaktionellen H<strong>in</strong>weisen unterstützt hat. Auch me<strong>in</strong>er Schwester<br />

Barbara danke ich für ihre Unterstützung als Mathematiker<strong>in</strong>.<br />

Unendlich dankbar b<strong>in</strong> ich auch Altstän<strong>der</strong>at Franz Muheim (Uri), <strong>der</strong> mich mit se<strong>in</strong>en<br />

kritischen Fragen <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en unschätzbar wertvollen Gedankengängen unterstützt<br />

<strong>und</strong> mir mit <strong>der</strong> notwendigen Distanz zum Dissertationsthema immer wie<strong>der</strong> zu<br />

Korrekturen <strong>und</strong> Ergänzungen verholfen hat.<br />

Und nicht zuletzt danke ich me<strong>in</strong>em Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ehemann Gerald R. Nowak von ganzem<br />

Herzen für se<strong>in</strong>e stete Unterstützung, se<strong>in</strong>e Ruhe <strong>und</strong> Geduld mit welcher er mir<br />

je<strong>der</strong>zeit <strong>und</strong> <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht zur Seite gestanden ist.<br />

<strong>St</strong>äfa, Juni 2005<br />

Regula Nowak-Speich


Inhalt


Inhaltsübersicht<br />

TEIL I: EINFÜHRUNG UND GRUNDLAGEN<br />

1. Forschungsgr<strong>und</strong>lagen .................................................................................... 8<br />

2. H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a .................................... 19<br />

TEIL II: BILDUNG UND ERZIEHUNG IN DER VOLKSREPUBLIK CHINA<br />

1. <strong>Bildung</strong>ssystem............................................................................................... 60<br />

2. Pädagogik ........................................................................................................ 99<br />

TEIL III: INTERDEPENDENZEN<br />

1. Theoretische Erkenntnisse .......................................................................... 114<br />

2. <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a...................................................................................... 135<br />

TEIL IV: ERKENNTNISSE<br />

1. Kernaussagen................................................................................................ 173<br />

2. Schlussfolgerungen...................................................................................... 181<br />

Anhang<br />

A. Forschungsdokumentation .......................................................................... 184<br />

B. Quellenverzeichnis........................................................................................ 194


Inhaltsverzeichnis XVII<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Dank.............................................................................................................................IX<br />

Inhalt ..........................................................................................................................XIII<br />

Abbildungen ............................................................................................................. XXII<br />

Tabellen .................................................................................................................. XXIII<br />

Exkurse .................................................................................................................... XXV<br />

E<strong>in</strong>leitung..................................................................................................................... 1<br />

TEIL I: EINFÜHRUNG UND GRUNDLAGEN ......................................................... 7<br />

1. Forschungsgr<strong>und</strong>lagen .................................................................................... 8<br />

1.1. Wissenschaftstheoretische Gr<strong>und</strong>lagen ........................................................... 8<br />

1.2. Forschungsmethodik ...................................................................................... 10<br />

1.2.1. Konzept <strong>der</strong> Dissertation............................................................................ 10<br />

1.2.2. Vergleichende <strong>Erziehung</strong>swissenschaft..................................................... 11<br />

1.2.2.1. Quantitative Empirie............................................................................ 12<br />

1.2.2.2. Qualitative Forschung ......................................................................... 12<br />

1.2.2.3. Hermeneutik........................................................................................ 13<br />

1.2.2.4. Phänomenologie ................................................................................. 14<br />

1.3. <strong>Erziehung</strong>swissenschaftliche Forschung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ............. 15<br />

1.4. Def<strong>in</strong>itionen .................................................................................................... 17<br />

2. H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a .................................... 19<br />

2.1. Geschichte ..................................................................................................... 19<br />

2.1.1. Altes Ch<strong>in</strong>a................................................................................................. 19<br />

2.1.2. Ch<strong>in</strong>a im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert ........................................................................... 21<br />

2.1.2.1. Republik Ch<strong>in</strong>a 1912 - 1949................................................................ 21<br />

2.1.2.2. <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 1949 - 1976 ........................................................ 22<br />

2.1.2.2.1. Kulturrevolution 1966 - 1976 ..................................................... 24<br />

2.1.2.3. <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a seit 1976............................................................. 25<br />

2.2. Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> ........................................... 27<br />

2.2.1. Land ........................................................................................................... 27<br />

2.2.1.1. Geographie ......................................................................................... 27<br />

2.2.1.2. Bevölkerung ........................................................................................ 28<br />

2.2.1.3. Verwaltungse<strong>in</strong>heiten.......................................................................... 29<br />

2.2.2. Philosophische Traditionsl<strong>in</strong>ien .................................................................. 30<br />

2.2.2.1. Konfuzianismus................................................................................... 31<br />

2.2.2.2. Daoismus ............................................................................................ 32<br />

2.2.2.3. Buddhismus ........................................................................................ 32<br />

2.2.2.4. <strong>St</strong>rategeme ......................................................................................... 33<br />

2.2.3. Beispiele aus dem heutigen Ch<strong>in</strong>a............................................................. 34<br />

2.2.3.1. Bräuche............................................................................................... 34<br />

2.2.3.2. Freizeit ................................................................................................ 35<br />

2.2.3.3. Internet................................................................................................ 36


XVIII<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

2.3. <strong>St</strong>aats- <strong>und</strong> Parteiapparat............................................................................... 37<br />

2.3.1. Aufbau........................................................................................................ 37<br />

2.3.1.1. Verfassung.......................................................................................... 38<br />

2.3.1.2. Nationaler Volkskongress ................................................................... 39<br />

2.3.1.3. <strong>St</strong>aatsrat.............................................................................................. 39<br />

2.3.2. Kommunistische Partei Ch<strong>in</strong>as .................................................................. 40<br />

2.3.2.1. Ideologie ............................................................................................. 41<br />

2.3.2.2. <strong>St</strong>ruktur ............................................................................................... 42<br />

2.3.2.3. Heutige Bedeutung ............................................................................. 44<br />

2.4. Wirtschaftspolitische Entwicklungen............................................................... 46<br />

2.4.1. Führungsgenerationen ............................................................................... 46<br />

2.4.1.1. Maos Erbe........................................................................................... 46<br />

2.4.1.2. Deng Xiaop<strong>in</strong>g..................................................................................... 47<br />

2.4.1.3. Dritte Generation................................................................................. 48<br />

2.4.1.4. Vierte Generation................................................................................ 49<br />

2.4.2. <strong>St</strong>rukturen <strong>der</strong> Wirtschaft............................................................................ 50<br />

2.4.2.1. Von Planwirtschaft zu sozialistischer Marktwirtschaft ......................... 50<br />

2.4.2.2. Reformen ............................................................................................ 51<br />

2.4.2.3. Öffnung nach aussen.......................................................................... 52<br />

2.4.2.4. Wirtschaftssektoren............................................................................. 53<br />

2.4.2.5. Unternehmensformen ......................................................................... 56<br />

2.4.2.6. Son<strong>der</strong>zonen <strong>der</strong> Wirtschaft................................................................ 58<br />

TEIL II: BILDUNG UND ERZIEHUNG IN DER VOLKSREPUBLIK CHINA ..... 59<br />

1. <strong>Bildung</strong>ssystem............................................................................................... 60<br />

1.1. Vorschulerziehung.......................................................................................... 63<br />

1.1.1. Familie........................................................................................................ 63<br />

1.1.2. K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten............................................................................................... 64<br />

1.2. Allgeme<strong>in</strong>es Schulsystem............................................................................... 65<br />

1.2.1. Schulpflicht................................................................................................. 65<br />

1.2.2. Systeme <strong>der</strong> Leistungsbewertung .............................................................. 65<br />

1.2.3. Gr<strong>und</strong>schule............................................................................................... 66<br />

1.2.4. Mittelschule ................................................................................................ 68<br />

1.2.4.1. Unterstufe ........................................................................................... 68<br />

1.2.4.2. Oberstufe ............................................................................................ 70<br />

1.2.5. Hochschule <strong>und</strong> <strong>Universität</strong>........................................................................ 72<br />

1.2.5.1. Nationale Hochschulaufnahmeprüfung ............................................... 72<br />

1.2.5.2. Gr<strong>und</strong>studium (Bachelor) .................................................................... 73<br />

1.2.5.3. Hauptstudium (Master)........................................................................ 75<br />

1.2.5.4. Promotion............................................................................................ 77<br />

1.2.6. Schwerpunkt-Schulen ................................................................................ 78


Inhaltsverzeichnis XIX<br />

1.3. Berufsbildung ................................................................................................. 79<br />

1.3.1. Geschichte ................................................................................................. 79<br />

1.3.2. Berufsbildende Mittelschulen ..................................................................... 81<br />

1.3.2.1. Berufsmittelschulen............................................................................. 81<br />

1.3.2.2. Fachmittelschulen ............................................................................... 83<br />

1.3.2.3. Facharbeiterschulen............................................................................ 84<br />

1.3.3. Berufliche Hochschulbildung ...................................................................... 85<br />

1.4. Erwachsenenbildung ...................................................................................... 85<br />

1.4.1. Gr<strong>und</strong>schulstufe ......................................................................................... 87<br />

1.4.2. Mittelschulstufe........................................................................................... 87<br />

1.4.3. Hochschulstufe........................................................................................... 88<br />

1.4.3.1. Radio <strong>und</strong> Television <strong>Universität</strong>en..................................................... 89<br />

1.4.3.2. Beson<strong>der</strong>e Institutionen ...................................................................... 89<br />

1.5. Privatschulen.................................................................................................. 90<br />

1.5.1. Geschichte ................................................................................................. 91<br />

1.5.2. Privatschulen heute.................................................................................... 92<br />

1.5.2.1. Schultypen .......................................................................................... 93<br />

1.6. Spezialschulen ............................................................................................... 95<br />

1.6.1. Parteischulen ............................................................................................. 95<br />

1.6.2. Militärschulen ............................................................................................. 97<br />

1.6.3. Religiöse <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen................................................................... 98<br />

2. Pädagogik ........................................................................................................ 99<br />

2.1. Pädagogische Gr<strong>und</strong>werte............................................................................. 99<br />

2.1.1. Menschenbild ........................................................................................... 100<br />

2.1.1.1. Lernen............................................................................................... 100<br />

2.1.1.2. Diszipl<strong>in</strong>............................................................................................. 101<br />

2.1.1.3. Kreativität .......................................................................................... 102<br />

2.1.2. Gesellschaft ............................................................................................. 103<br />

2.1.2.1. Individualistisch - Kollektivistisch....................................................... 103<br />

2.1.2.2. Konformität........................................................................................ 105<br />

2.2. Pädagogische Professionalisierung.............................................................. 105<br />

2.2.1. Geschichte ............................................................................................... 105<br />

2.2.2. Ch<strong>in</strong>as Pädagogen heute......................................................................... 107<br />

2.2.2.1. Gesellschaftliche <strong>St</strong>ellung ................................................................. 108<br />

2.2.2.2. Pädagogische Ausbildung................................................................. 108<br />

2.2.2.3. Lehrmethoden................................................................................... 111


XX<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

TEIL III: INTERDEPENDENZEN..................................................................... 113<br />

1. Theoretische Erkenntnisse .......................................................................... 114<br />

1.1. Drei Säulen e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems ................................................... 115<br />

1.1.1. Bereitstellen von <strong>Bildung</strong>.......................................................................... 116<br />

1.1.2. Zugang zu <strong>Bildung</strong> ................................................................................... 116<br />

1.1.3. Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>.................................................................................. 117<br />

1.1.4. Folgerungen ............................................................................................. 117<br />

1.2. Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen.............................................................. 118<br />

1.2.1. <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem........................................................................ 118<br />

1.2.2. F<strong>in</strong>anzierung von <strong>Bildung</strong>ssystemen........................................................ 119<br />

1.2.2.1. Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen ...................................................... 120<br />

1.2.2.2. Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen............................................... 121<br />

1.2.3. Folgerungen ............................................................................................. 122<br />

1.3. Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen ................................................... 124<br />

1.3.1. Übergangsgesellschaften <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel............................. 124<br />

1.3.2. Dezentralisierung <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel ......................................... 126<br />

1.3.3. Arbeitsmarkt <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel................................................. 127<br />

1.3.4. Wachstum <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel.................................................... 128<br />

1.3.4.1. Wirtschaftswachstum ........................................................................ 128<br />

1.3.4.2. Chancengleichheit............................................................................. 129<br />

1.3.4.3. Qualitätssteigerung ........................................................................... 130<br />

1.3.5. Folgerungen ............................................................................................. 131<br />

1.4. Schlussfolgerungen...................................................................................... 131<br />

2. <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a...................................................................................... 135<br />

2.1. Interdependenzen von Politik <strong>und</strong> Pädagogik .............................................. 135<br />

2.1.1. <strong>Bildung</strong>spolitische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen ................................................. 135<br />

2.1.1.1. Zielsetzungen.................................................................................... 135<br />

2.1.1.2. Verwaltung <strong>und</strong> gesetzliche Gr<strong>und</strong>lagen........................................... 136<br />

2.1.1.3. Rolle <strong>der</strong> Partei ................................................................................. 138<br />

2.1.2. Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen.......................................................... 139<br />

2.1.2.1. <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem................................................................. 140<br />

2.1.2.2. Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen ...................................................... 141<br />

2.1.3. Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen ............................................... 142<br />

2.1.3.1. Dezentralisierung <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel.................................. 142<br />

2.1.3.2. Öffnungspolitik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel ...................................... 144<br />

2.1.4. Entwicklungstendenzen............................................................................ 145<br />

2.2. Interdependenzen von Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik .................................. 147<br />

2.2.1. Wirtschaftliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen....................................................... 147<br />

2.2.1.1. Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik ............................................................. 147<br />

2.2.1.2. Bevölkerungsstruktur ........................................................................ 148<br />

2.2.1.3. Vom Plan zum Markt......................................................................... 149


Inhaltsverzeichnis XXI<br />

2.2.2. Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen.......................................................... 149<br />

2.2.2.1. Wirtschaftsstrukturen <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem ....................................... 150<br />

2.2.2.2. Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen............................................... 151<br />

2.2.3. Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen ............................................... 153<br />

2.2.3.1. Übergangsgesellschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel ......................... 153<br />

2.2.3.2. Arbeitsmarkt <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel.......................................... 154<br />

2.2.3.3. Wachstum <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel............................................. 158<br />

2.2.3.3.1. Wirtschaftswachstum............................................................... 158<br />

2.2.3.3.2. Chancengleichheit................................................................... 160<br />

2.2.3.3.3. Qualitätssteigerung.................................................................. 161<br />

2.2.4. Entwicklungstendenzen............................................................................ 163<br />

2.3. Schlussfolgerungen...................................................................................... 166<br />

TEIL IV: ERKENNTNISSE .............................................................................. 169<br />

1. Kernaussagen................................................................................................ 173<br />

1.1. Entwicklungstendenzen................................................................................ 174<br />

1.2. Chancen <strong>und</strong> Risiken ................................................................................... 178<br />

2. Schlussfolgerungen...................................................................................... 181<br />

ANHANG ................................................................................................................. 183<br />

A. Forschungsdokumentation ......................................................................... 184<br />

A.1. Literaturrecherche ........................................................................................ 184<br />

A.2. <strong>St</strong>atistische Angaben.................................................................................... 184<br />

A.3. Forschungsaufenthalte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ...................................... 185<br />

A.3.1. Besichtigung von <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>und</strong> Unternehmen....................... 185<br />

A.4. Expertengespräche <strong>und</strong> Interviews .............................................................. 188<br />

A.4.1. Auswahl <strong>der</strong> Gesprächspartner................................................................ 188<br />

A.4.2. Gesprächsleitfaden .................................................................................. 193<br />

A.4.3. Datenanalyse ........................................................................................... 193<br />

B. Quellenverzeichnis....................................................................................... 194<br />

B.1. Literaturverzeichnis ...................................................................................... 194<br />

B.2. Weitere Quellen............................................................................................ 207


XXII<br />

Abbildungen<br />

Abbildungen<br />

Abbildung 1: Westliche <strong>und</strong> östliche Betrachtungsweise .............................................. 9<br />

Abbildung 2: Westliche <strong>und</strong> östliche Logik .................................................................... 9<br />

Abbildung 3: Aufbau <strong>und</strong> Inhalt des Dissertationskonzepts ........................................ 11<br />

Abbildung 4: Hermeneutischer Zirkel (Spirale) am Beispiel e<strong>in</strong>er Textanalyse ........... 14<br />

Abbildung 5: Generationen <strong>der</strong> Kulturrevolution im Jahr 2004.................................... 25<br />

Abbildung 6: Demographische Entwicklung von 1982 bis 2001.................................. 28<br />

Abbildung 7: Politisch-adm<strong>in</strong>istratives System <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ..................... 37<br />

Abbildung 8: Organe des <strong>St</strong>aatsrats auf M<strong>in</strong>isterialebene .......................................... 40<br />

Abbildung 9: <strong>St</strong>ruktur <strong>der</strong> Kommunistischen Partei Ch<strong>in</strong>as......................................... 43<br />

Abbildung 10: Entwicklung des BSP <strong>und</strong> BIP von 1952 bis 2001 ............................... 54<br />

Abbildung 11: BIP nach Sektoren von 1952 bis 2001 ................................................. 54<br />

Abbildung 12: Entwicklung des BIP <strong>und</strong> <strong>der</strong> Beschäftigung von 1985 bis 2000.......... 55<br />

Abbildung 13: <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ............................................. 61<br />

Abbildung 14: Prozentualer Anteil <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen im Jahr 2001 ................. 63<br />

Abbildung 15: Erwachsenenbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.................................. 86<br />

Abbildung 16: Pädagogische Ausbildung.................................................................. 109<br />

Abbildung 17: Teil I <strong>und</strong> II <strong>der</strong> Dissertation ............................................................... 114<br />

Abbildung 18: Drei Säulen e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems ......................................... 115<br />

Abbildung 19: Teil III: 1.2. <strong>der</strong> Dissertation: Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen ...... 118<br />

Abbildung 20: Herkunft <strong>und</strong> E<strong>in</strong>satz f<strong>in</strong>anzieller Mittel <strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen............. 119<br />

Abbildung 21: Teil III: 1.3. <strong>der</strong> Dissertation:<br />

Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen......................................... 124<br />

Abbildung 22: Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem .......... 131<br />

Abbildung 23: Verwaltungsstruktur des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems ................... 136<br />

Abbildung 24: Teil III: 2.1.2. <strong>der</strong> Dissertation: Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

von Politik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ............... 139<br />

Abbildung 25: Teil III: 2.1.3. <strong>der</strong> Dissertation: Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen von Politik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ..................................................................... 142<br />

Abbildung 26: Vergleich Verän<strong>der</strong>ung öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>und</strong> BSP<br />

von 1991 bis 2000.............................................................................. 146<br />

Abbildung 27: Teil III: 2.2.2. <strong>der</strong> Dissertation: Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ..................................................................... 149<br />

Abbildung 28: Teil III: 2.2.3. <strong>der</strong> Dissertation: Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ..................................................................... 153<br />

Abbildung 29: Organisation <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a......... 156<br />

Abbildung 30: Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ..................................................................... 166<br />

Abbildung 31: E<strong>in</strong>fluss auf <strong>und</strong> Zukunft von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts.................. 173<br />

Abbildung 32: Teil IV: 1.1. <strong>der</strong> Dissertation: Entwicklungstendenzen........................ 174<br />

Abbildung 33: Teil IV: 1.2. <strong>der</strong> Dissertation: Chancen <strong>und</strong> Risiken ........................... 178


Tabellen XXIII<br />

Tabellen<br />

Tabelle 1: Dynastien <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Geschichte..................................................... 20<br />

Tabelle 2: Ereignisse von 1912 bis 1949 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Republik Ch<strong>in</strong>a ................................. 21<br />

Tabelle 3: Massenkampagnen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mao-Ära von 1949 bis 1976 ............................. 23<br />

Tabelle 4: Ethnische Gruppen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a....................................................................... 29<br />

Tabelle 5: Verwaltungse<strong>in</strong>heiten <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a im Jahr 2002..................... 29<br />

Tabelle 6: Parteien <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a .......................................................... 40/41<br />

Tabelle 7: Mitglie<strong>der</strong> des <strong>St</strong>ändigen Ausschuss des Politbüros <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as .......... 44<br />

Tabelle 8: Wirtschaftssektoren 1990 <strong>und</strong> 2001 ........................................................... 55<br />

Tabelle 9: Beschäftigte <strong>in</strong> den <strong>St</strong>ädten <strong>und</strong> auf dem Land 1995 <strong>und</strong> 2000 ................. 57<br />

Tabelle 10: <strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung von 1982 bis 2001 .......... 62<br />

Tabelle 11: K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten von 1985 bis 2000............................................................... 64<br />

Tabelle 12: Curriculum <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule..................................................................... 66<br />

Tabelle 13: Gr<strong>und</strong>schulen von 1985 bis 2000............................................................. 67<br />

Tabelle 14: Curriculum <strong>der</strong> Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe .............................................. 69<br />

Tabelle 15: Mittelschulen <strong>der</strong> Unterstufe von 1985 bis 1999....................................... 69<br />

Tabelle 16: Curriculum <strong>der</strong> Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe ............................................... 70<br />

Tabelle 17: Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe von 1985 bis 2001 ....................................... 71<br />

Tabelle 18: Nationale Hochschulaufnahmeprüfung 1977 bis 2000 ............................. 72<br />

Tabelle 19: <strong>St</strong>udierende nach <strong>St</strong>udienrichtungen 1980 <strong>und</strong> 2001............................... 74<br />

Tabelle 20: Hochschul<strong>in</strong>stitutionen von 1985 bis 2001 ............................................... 75<br />

Tabelle 21: Berufsmittelschulen von 1990 bis 1999.................................................... 82<br />

Tabelle 22: <strong>St</strong>andard Curriculum Elektroniker-Ausbildung an oberer<br />

Berufsmittelschule.................................................................................... 82<br />

Tabelle 23: <strong>St</strong>andard Curriculum Fachmittelschule für Landwirtschaft........................ 83<br />

Tabelle 24: <strong>St</strong>andard Curriculum Modefachmittelschule ............................................. 83<br />

Tabelle 25: Fachmittelschulen von 1985 bis 2000 ...................................................... 84<br />

Tabelle 26: <strong>St</strong>andard Curriculum Facharbeiterausbildung zum Bauarbeiter ............... 84<br />

Tabelle 27: Erwachsene <strong>St</strong>udierende auf Gr<strong>und</strong>schulstufe von 1985 bis 2001 .......... 87<br />

Tabelle 28: Erwachsene <strong>St</strong>udierende auf Hochschulstufe von 1985 bis 2001............ 89<br />

Tabelle 29: Private Institutionen unterschiedlicher <strong>Bildung</strong>sstufen im Jahr 2001........ 92<br />

Tabelle 30: Pädagogische Mittelschulen von 1985 bis 2001..................................... 110<br />

Tabelle 31: Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen im Jahr 1999 im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich (<strong>in</strong> Prozenten des BIP) ........................................................... 120<br />

Tabelle 32: Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen im Jahr 1999 im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich (<strong>in</strong> Prozenten des BIP) ........................................................... 121<br />

Tabelle 33: Vergleich öffentlicher <strong>und</strong> nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

im Jahr 1999 (Län<strong>der</strong>auswahl)............................................................... 123<br />

Tabelle 34: Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

von 1991 bis 2000.................................................................................. 141<br />

Tabelle 35: Asiatische <strong>St</strong>udierende an amerikanischen Bus<strong>in</strong>ess Schools............... 144<br />

Tabelle 36: Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

von 1991 bis 2000.................................................................................. 151<br />

Tabelle 37: Internationaler Vergleich öffentlicher <strong>und</strong> nichtstaatlicher<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen im Jahr 1999........................................................ 151


XXIV<br />

Tabellen<br />

Tabelle 38: <strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung im Jahr 2001................. 156<br />

Tabelle 39: Arbeitslose <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>adtbevölkerung von 1985 bis 2000....... 157<br />

Tabelle 40: E<strong>in</strong>schulungs- <strong>und</strong> Übertrittsquoten von 1990 bis 2000 ......................... 162<br />

Tabelle 41: Entwicklungstendenzen ch<strong>in</strong>esischer <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen zu Beg<strong>in</strong>n<br />

des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts ............................................................................. 162<br />

Tabelle 42: E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a:<br />

Voraussetzungen <strong>und</strong> Folgen ......................................................... 166/167


Exkurse XXV<br />

Exkurse<br />

Exkurs 1: E<strong>in</strong> «Expat»* erzählt.................................................................................... 30<br />

Exkurs 2: Aberglaube <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a.................................................................................... 35<br />

Exkurs 3: Ke<strong>in</strong>e technischen Spezialkenntnisse erfor<strong>der</strong>lich ...................................... 79<br />

Exkurs 4: Englischunterricht im Sprachlabor............................................................. 112


E<strong>in</strong>leitung


2 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

Die Motivation, e<strong>in</strong>e Dissertation zum Thema <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a, Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik zu verfassen,<br />

gründet <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er persönlichen Überzeugung, dass <strong>Erziehung</strong>sumstände <strong>und</strong><br />

<strong>Bildung</strong>smöglichkeiten die Entwicklung jedes Menschen von Anfang an prägen. Die<br />

systembed<strong>in</strong>gten Chancen <strong>und</strong> Grenzen, <strong>in</strong> die man h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> geboren wird, bestimmen<br />

me<strong>in</strong>es Erachtens weitgehend über späteres «Se<strong>in</strong>» o<strong>der</strong> «Nicht-Se<strong>in</strong>». In diesem<br />

S<strong>in</strong>ne zitiere ich Herrmann Röhrs (1979):<br />

«<strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong> s<strong>in</strong>d als Gr<strong>und</strong>ersche<strong>in</strong>ungen<br />

menschlicher Existenz allen<br />

Lebensäusserungen immanent» (S. 85).<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser Ansicht möchte ich mit <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit e<strong>in</strong>en Beitrag zur<br />

mo<strong>der</strong>nen <strong>Erziehung</strong>swissenschaft leisten. Denn die Erfahrung, dass <strong>der</strong> Mensch erst<br />

durch <strong>Erziehung</strong> zur Verwirklichung se<strong>in</strong>es Mensch-Se<strong>in</strong>s kommt, ist - als Resultat <strong>der</strong><br />

Geschichte - zugleich die Gründungsurk<strong>und</strong>e <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen <strong>Erziehung</strong>swissenschaft<br />

(Röhrs, 1999, S. 528).<br />

An<strong>der</strong>seits möchte ich mit dieser Dissertation e<strong>in</strong>en Beitrag zu den Asienwissenschaften<br />

leisten. Persönlich hatte ich das Glück <strong>und</strong> die Chance, Ende <strong>der</strong> 80er Jahre<br />

me<strong>in</strong>e ersten Berufserfahrungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ch<strong>in</strong>esischen Firma zu machen. Seit über<br />

e<strong>in</strong>em Jahrzehnt reise ich immer wie<strong>der</strong> nach Asien. Der Wunsch, mich vertieft wissenschaftlich<br />

mit <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu setzen, ist mit dem Verfassen<br />

<strong>der</strong> Diplomarbeit <strong>und</strong> dem Abschluss des staatswissenschaftlichen <strong>St</strong>udiums<br />

(Internationale Beziehungen) an <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. Gallen gewachsen. Das Thema<br />

me<strong>in</strong>er Diplomarbeit lautet: E<strong>in</strong> duales Berufsbildungssystem <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a. Möglichkeiten<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung, Chancen <strong>und</strong> Gefahren (1996). Die Diplomarbeit ist <strong>in</strong> weiterentwickelter<br />

Form <strong>in</strong>tegrierter Bestandteil <strong>der</strong> vorliegenden Doktorarbeit.<br />

Ziel dieser Dissertation ist, Antworten auf die folgenden Fragen zu suchen:<br />

• Welche Voraussetzungen <strong>und</strong> Ereignisse prägen <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a?<br />

• Wie sieht das heutige <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a aus?<br />

• In welcher Beziehung stehen Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong>?<br />

• Welche Tendenzen lassen sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

aus politischer <strong>und</strong> wirtschaftlicher Perspektive erkennen?<br />

• Wor<strong>in</strong> bestehen die Chancen <strong>und</strong> Risiken <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen<br />

<strong>Bildung</strong>ssystems im Spannungsfeld von Politik <strong>und</strong> Wirtschaft?<br />

Im Rahmen dieser Arbeit sollen die folgenden Erkenntnisse zum Nutzen <strong>der</strong> Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Praxis erarbeitet <strong>und</strong> konkretisiert werden:


E<strong>in</strong>leitung 3<br />

1. Darstellen des aktuellen <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a:<br />

• Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

• Zielsetzungen<br />

• neuere Entwicklungen<br />

2. Erkenntnis von Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik:<br />

• systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

• verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

• Folgerungen aus den aufgezeigten Erkenntnissen<br />

3. Identifikation von Chancen <strong>und</strong> Risiken <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung des<br />

<strong>Bildung</strong>ssystems <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a:<br />

• Entwicklungstendenzen<br />

• Chancen<br />

• Risiken<br />

Die vorliegende Dissertation beabsichtigt auch, e<strong>in</strong>en Beitrag zur Gr<strong>und</strong>lagenforschung<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Vergleichenden <strong>Erziehung</strong>swissenschaft <strong>in</strong> den Bereichen<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu leisten. Es handelt sich hierbei<br />

um e<strong>in</strong>e Forschungsarbeit aus staatswissenschaftlicher Perspektive, das heisst, das<br />

Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik wird diszipl<strong>in</strong>übergreifend am<br />

Beispiel <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a untersucht. Im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> steht die Absicht, zu<br />

zeigen, wie das <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen <strong>Volksrepublik</strong> aussieht, welche Zusammenhänge<br />

sich zwischen Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik erkennen lassen <strong>und</strong><br />

welche Entwicklungstendenzen sich abzeichnen.<br />

Die Arbeit ist <strong>in</strong> vier Hauptteile geglie<strong>der</strong>t:<br />

Der erste Teil behandelt die Forschungsgr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> die relevanten H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen<br />

zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.<br />

Im zweiten Teil <strong>der</strong> Arbeit werden das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>und</strong> die entsprechenden<br />

pädagogischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen dargestellt.<br />

System- <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Pädagogik s<strong>in</strong>d Gegenstand des dritten Teils <strong>der</strong> Dissertation.<br />

Im vierten Teil werden die erarbeiteten Erkenntnisse <strong>in</strong> Kernaussagen zusammengefasst,<br />

Chancen <strong>und</strong> Risiken <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung des <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a herauskristallisiert <strong>und</strong> entsprechende Schlussfolgerungen gezogen.<br />

Die hier entstandene Arbeit ist unter an<strong>der</strong>em das Ergebnis e<strong>in</strong>er Odyssee zwischen<br />

verschiedenen Rollen <strong>der</strong> Verfasser<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rolle als Doktorand<strong>in</strong>, die<br />

beabsichtigt, den wissenschaftlichen Ansprüchen e<strong>in</strong>er westlichen <strong>Universität</strong> gerecht<br />

zu werden. An<strong>der</strong>seits we<strong>der</strong> als S<strong>in</strong>olog<strong>in</strong> noch als Ch<strong>in</strong>es<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n als Forschungslehrl<strong>in</strong>g<br />

<strong>und</strong> junge Frau aus dem Westen zu versuchen, das wissenschaftliche<br />

Interesse am Dissertationsthema während mehreren längeren Aufenthalten <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu verfolgen.


«Und wenn ihr den Gipfel des Berges erreicht habt,<br />

dann werdet ihr anfangen zu steigen»<br />

(Gibran, 2000, S. 58).


TEIL I: E<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen


8 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1. Forschungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

Das Thema <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit ist e<strong>in</strong>gegrenzt auf die heutige <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.<br />

Von <strong>der</strong> ursprünglichen Absicht, <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Schweiz zu vergleichen, wurde abgesehen. Die beiden Län<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Systeme <strong>und</strong><br />

Entwicklungen unterscheiden sich <strong>in</strong> zu vielen Aspekten, weshalb e<strong>in</strong> Vergleich als<br />

nicht s<strong>in</strong>nvoll ersche<strong>in</strong>t.<br />

Die ursprüngliche Absicht e<strong>in</strong>es Län<strong>der</strong>vergleichs ist <strong>in</strong>sofern von Bedeutung, als dass<br />

die E<strong>in</strong>grenzung des Themas auf die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a sowohl die wissenschaftstheoretischen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen als auch das forschungsmethodische Vorgehen <strong>der</strong> Arbeit<br />

bee<strong>in</strong>flusst. Es handelt sich nicht um e<strong>in</strong>en thematischen Vergleich zwischen zwei<br />

Län<strong>der</strong>n, im weiteren S<strong>in</strong>ne zwischen Osten <strong>und</strong> Westen, son<strong>der</strong>n um das Betrachten<br />

e<strong>in</strong>es östlichen Landes, dessen Systeme <strong>und</strong> Entwicklungen aus westlicher Perspektive.<br />

Es handelt sich auch nicht um e<strong>in</strong>en Vergleich e<strong>in</strong>zelner Forschungsgegenstände<br />

<strong>in</strong> verschiedenen Län<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n um den Versuch, e<strong>in</strong>zelne, zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Beziehung stehende Forschungsgegenstände <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Landes möglichst<br />

umfassend zu erkennen <strong>und</strong> zu analysieren.<br />

Die Quellen zum Erarbeiten <strong>der</strong> Erkenntnisse <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Interpretation s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>erseits<br />

theoretischer (Literaturrecherche <strong>und</strong> Expertengespräche) <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits praktischer<br />

Natur (Expertengespräche <strong>und</strong> eigene Erfahrungen aus dem Privat- <strong>und</strong> Berufsleben<br />

als <strong>St</strong>udierende <strong>und</strong> Auslandschweizer<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a). Erstere wurden<br />

<strong>in</strong> den Sprachen Deutsch, Englisch <strong>und</strong> Französisch (zum Teil auch Spanisch) bearbeitet;<br />

letztere zusätzlich <strong>in</strong> Mandar<strong>in</strong> (ch<strong>in</strong>esische Hochsprache).<br />

1.1. Wissenschaftstheoretische Gr<strong>und</strong>lagen<br />

Das Betrachten e<strong>in</strong>es östlichen Landes aus westlicher Perspektive bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e wissenschaftstheoretische<br />

Gr<strong>und</strong>lage, welche sowohl dem östlichen als auch dem westlichen<br />

Erfassen <strong>der</strong> Wirklichkeit möglichst gerecht wird.<br />

Der wissenschaftstheoretische Ansatz <strong>der</strong> Arbeit gründet deshalb e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Deduktion, das heisst dem analytisch-abstrahierenden Erfassen e<strong>in</strong>er statischen<br />

Wirklichkeit aufgr<strong>und</strong> relativ weniger Informationen; an<strong>der</strong>seits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Induktion, das<br />

heisst dem <strong>in</strong>tuitiv deskriptiv-konkretisierenden Erfassen e<strong>in</strong>er fortschreitenden dynamischen<br />

Wirklichkeit aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Informationsmosaiks. Die Deduktion entspricht<br />

mehr dem westlichen <strong>und</strong> die Induktion mehr dem östlichen Denken wie die nachfolgende<br />

Abbildung verdeutlicht (Roth, 1995).


Forschungsgr<strong>und</strong>lagen 9<br />

Das Verb<strong>in</strong>den von Deduktion <strong>und</strong> Induktion entspricht e<strong>in</strong>em Versuch <strong>der</strong> <strong>in</strong>tegrierenden<br />

Anwendung von<br />

westlich-l<strong>in</strong>earer<br />

Betrachtungsweise<br />

<strong>und</strong><br />

östlich-zirkularer<br />

Betrachtungsweise.<br />

Abbildung 1: Westliche <strong>und</strong> östliche Betrachtungsweise<br />

In den Worten von Geert Hofstede (1993) ausgedrückt «Die westliche Denkweise ist<br />

analytisch, die östliche synthetisch» (S. 196). Hofstede verdeutlicht die unterschiedliche<br />

Denkweise von Ost <strong>und</strong> West am Beispiel des Interesses an <strong>der</strong> Wahrheit: Die<br />

westliche Logik verlangt, dass wenn «A» wahr ist, «B» nicht wahr ist, sofern «B» das<br />

Gegenteil von «A» ist. Die östliche Logik - sofern es überhaupt e<strong>in</strong>e östliche Logik,<br />

das heisst Folgerichtigkeit des Denkens gibt - verlangt nicht nach e<strong>in</strong>em solchen Ausschluss,<br />

das heisst, wenn «A» wahr ist, so kann dessen Gegenteil «B» auch wahr<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Westliche, analytische Logik <strong>und</strong> Östliche, synthetische Logik<br />

«A»:<br />

wahr<br />

«B»:<br />

nicht wahr<br />

«A»:<br />

wahr<br />

«B»:<br />

auch wahr<br />

Abbildung 2: Westliche <strong>und</strong> östliche Logik


10 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Die wissenschaftstheoretische Gr<strong>und</strong>lage des Verb<strong>in</strong>dens von Deduktion <strong>und</strong> Induktion<br />

beziehungsweise westlicher <strong>und</strong> östlicher Logik, wird ergänzt durch e<strong>in</strong>en systemtheoretischen<br />

Ansatz.<br />

Das Thema <strong>der</strong> Dissertation wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelne Teile zerlegt. In<br />

e<strong>in</strong>em zweiten Schritt werden die Teile wie<strong>der</strong> zusammengefügt <strong>und</strong> zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

Beziehung gesetzt. Das <strong>Bildung</strong>ssystem, das politische <strong>und</strong> das wirtschaftliche System<br />

s<strong>in</strong>d Teile o<strong>der</strong> Subsysteme des Ganzen. Dem Untersuchen <strong>der</strong> Subsysteme<br />

folgt die Analyse <strong>der</strong> Zusammenhänge <strong>in</strong>nerhalb des übergeordneten Systems beziehungsweise<br />

des Ganzen (Husén & Postlethwaite, 1994; Gabriel, 1994). Diese theoretische<br />

Rekonstruktion erlaubt e<strong>in</strong>e Reduktion <strong>der</strong> Komplexität des Forschungsgegenstandes<br />

(Luhmann, 1973, S. 176, zit. <strong>in</strong> Röhrs, 1979).<br />

1.2. Forschungsmethodik<br />

Das Thema dieser Arbeit kann kaum anhand e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen wissenschaftlichen Forschungsmethode<br />

bearbeitet werden. Die Auswahl e<strong>in</strong>er Universal- o<strong>der</strong> Globalmethode<br />

würde <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong> zu beantwortenden Fragen nicht gerecht werden <strong>und</strong><br />

deshalb nicht zu e<strong>in</strong>em befriedigenden Resultat führen. Der Aspektreichtum <strong>der</strong> Wirklichkeiten<br />

bed<strong>in</strong>gt das Berücksichtigen verschiedener Forschungsmethoden (Gudjons,<br />

1997; Schnei<strong>der</strong>, 1961). Sogar das Anwenden verschiedener e<strong>in</strong>zelner Forschungsmethoden<br />

sowie <strong>der</strong>en Verb<strong>und</strong> können die Gesamtheit e<strong>in</strong>es Forschungsgegenstandes<br />

nur annähernd erfassen (Roth, 1991; Danner, 1989). E<strong>in</strong> kritischer Methodenpluralismus,<br />

wie es Pre<strong>in</strong> <strong>und</strong> Erzberger (2000) formulieren, ist auch für die im Rahmen<br />

dieser Dissertation zu behandelnde Thematik <strong>der</strong> erfolgsversprechende «Ausweg».<br />

Welche Methoden im Verlauf des Forschungsprozesses ausgewählt <strong>und</strong> angewandt<br />

wurden, wird anhand des nachfolgenden Konzepts <strong>der</strong> Dissertation ersichtlich. Denn<br />

erst aufgr<strong>und</strong> des Konzepts ist es möglich, geeignete Methoden zum Bearbeiten e<strong>in</strong>es<br />

Themas auszuwählen. In <strong>der</strong> Folge wird anschliessend zuerst auf das Konzept <strong>der</strong><br />

Dissertation <strong>und</strong> dann auf die e<strong>in</strong>zelnen Forschungsmethoden e<strong>in</strong>gegangen.<br />

1.2.1. Konzept <strong>der</strong> Dissertation<br />

Das Konzept <strong>der</strong> Dissertation baut auf drei Hauptpfeiler:<br />

1. Prämissen<br />

Im ersten Teil (I) werden die Forschungsgr<strong>und</strong>lagen zum Entstehen dieser Dissertation<br />

<strong>und</strong> die relevanten H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a aufgezeigt.<br />

2. Interdependenzen<br />

Der zweite Teil (II) dient <strong>der</strong> Darstellung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>und</strong><br />

Pädagogik. Im dritten Teil (III) werden das <strong>Bildung</strong>ssystem, das politische <strong>und</strong> das<br />

wirtschaftliche System zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> Beziehung gesetzt <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Zusammenwirken<br />

analysiert.


Forschungsgr<strong>und</strong>lagen 11<br />

3. Erkenntnisse<br />

Im vierten Teil (IV) werden die Kernaussagen zusammengefasst, die Entwicklungstendenzen<br />

sowie die daraus folgenden Chancen <strong>und</strong> Risiken herauskristallisiert<br />

<strong>und</strong> versucht, entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen.<br />

Teil I<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen<br />

1. Forschungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

2. H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen<br />

zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Teil II<br />

<strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1. <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

2. Pädagogik<br />

Teil III<br />

Interdependenzen<br />

1. Theoretische Erkenntnisse<br />

2. <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Teil IV<br />

Erkenntnisse<br />

1. Kernaussagen<br />

2. Schlussfolgerungen<br />

1. Prämissen 2. Interdependenzen 3. Erkenntnisse<br />

Abbildung 3: Aufbau <strong>und</strong> Inhalt des Dissertationskonzepts<br />

1.2.2. Vergleichende <strong>Erziehung</strong>swissenschaft<br />

Die Vergleichende <strong>Erziehung</strong>swissenschaft ist Teildiszipl<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Erziehung</strong>swissenschaft.<br />

Sie gründet e<strong>in</strong>erseits im Vergleich als Methode wissenschaftlicher Forschung.<br />

An<strong>der</strong>seits dient sie dem systematischen Erforschen von nationalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />

<strong>Erziehung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>sphänomenen. Forschungsgegenstand <strong>der</strong> Vergleichenden<br />

<strong>Erziehung</strong>swissenschaft s<strong>in</strong>d Schul- <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssysteme beziehungsweise Teile<br />

davon, als Ausdruck national-typischer, historisch bed<strong>in</strong>gter Eigenart <strong>in</strong> ihren gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen wie <strong>in</strong> ihren kulturellen Werten<br />

(«Brockhaus», 1994; Horney, Ruppert & Schultze, 1970; «Lexikon <strong>der</strong> Pädagogik»,<br />

1971).


12 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Zum erfolgreichen Bearbeiten e<strong>in</strong>es ausgewählten Forschungsgegenstands gilt es,<br />

geeignete methodische Vorgehensweisen anzuwenden. Auf dem Gebiet <strong>der</strong> Vergleichenden<br />

<strong>Erziehung</strong>swissenschaft bieten sich zahlreiche methodische Vorgehensmöglichkeiten<br />

an. Nicht jede <strong>der</strong> zur Verfügung stehenden Forschungsmethoden eignet<br />

sich zum Bearbeiten des Themas dieser Dissertation. Nachfolgend wird auf die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Forschungsmethoden e<strong>in</strong>gegangen <strong>und</strong> begründet, welche Methoden bei <strong>der</strong><br />

vorliegenden Arbeit angewandt beziehungsweise nicht berücksichtigt werden.<br />

1.2.2.1. Quantitative Empirie<br />

Empirisch f<strong>und</strong>ierte Forschungsmethoden beruhen im Allgeme<strong>in</strong>en auf e<strong>in</strong>em Vorgehen<br />

<strong>in</strong> vier Schritten: Formulieren e<strong>in</strong>er Fragestellung beziehungsweise e<strong>in</strong>er Hypothese,<br />

Sammeln von relevanten Daten, Aufbereiten <strong>der</strong> gesammelten Daten <strong>und</strong> Herausarbeiten<br />

<strong>der</strong> Kernaussage, die - als Resultat <strong>der</strong> Forschung gef<strong>und</strong>en - bestätigt<br />

o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>legt wird.<br />

Bei quantitativ empirischen Forschungsmethoden geschieht das Sammeln von Daten<br />

entwe<strong>der</strong> durch Beobachtung, durch Befragung o<strong>der</strong> durch Inhaltsanalyse. Verarbeitet<br />

werden die gesammelten Daten mittels statistischer Verfahren, wobei dies zu wahrsche<strong>in</strong>lichen,<br />

aber nicht unbed<strong>in</strong>gt «sicheren» Ergebnissen führt. Deshalb ist statistisches<br />

Vorgehen beim Aufbereiten <strong>und</strong> Interpretieren von Datenmengen zwar e<strong>in</strong> nützliches<br />

Hilfsmittel, bed<strong>in</strong>gt aber e<strong>in</strong>e reduktionistische <strong>St</strong>andardisierung des Umfeldes.<br />

Beobachten zum Beispiel verschiedene Menschen dieselbe Situation, so werden sie<br />

höchstwahrsche<strong>in</strong>lich Unterschiedliches darüber berichten. Das heisst, um Objektivität,<br />

Reliabilität <strong>und</strong> Validität im Rahmen quantitativer Empirie sicher zu stellen, bedarf<br />

es bestimmter Mess<strong>in</strong>strumente, welche es verschiedenen Forschern ermöglichen,<br />

zum gleichen Resultat zu kommen (Lenzen, 1989).<br />

Habermas (1971, zit. <strong>in</strong> Lenzen, 1989, S. 619) bezeichnet es als naiv, zu glauben,<br />

dass die Wirklichkeit mittels empirischer Forschung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Weise <strong>in</strong> Aussagen transformiert<br />

werden könne, dass die Aussagen die Wirklichkeit wie<strong>der</strong>gäben. Denn im<br />

Prozess des Forschens f<strong>in</strong>det se<strong>in</strong>er Ansicht nach e<strong>in</strong>e Idealisierung <strong>der</strong> Praxis auf<br />

e<strong>in</strong>em fiktiven Durchschnitt o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er für richtig angenommenen Sichtweise statt.<br />

Auch Hermann Röhrs (1999) warnt vor wirklichkeitsfernem Forschen, denn jede B<strong>in</strong>dung<br />

an die <strong>Erziehung</strong>swirklichkeit erhöht se<strong>in</strong>es Erachtens die Glaubwürdigkeit <strong>und</strong><br />

schafft wohltuende Distanz zu <strong>der</strong> bloss formalen Funktion e<strong>in</strong>es wissenschaftlichen<br />

Chefideologen ohne Wirklichkeitsberührung.<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser Erläuterungen wird ersichtlich, dass sich quantitativ empirisch forschungsmethodisches<br />

Vorgehen zum Erarbeiten des Themas dieser Dissertation<br />

wenig eignet.<br />

1.2.2.2. Qualitative Forschung<br />

Qualitative Methoden werden im Gegensatz zu quantitativen Methoden nicht an <strong>der</strong><br />

Objektivität, son<strong>der</strong>n an <strong>der</strong> Authentizität ihrer Resultate gemessen. Um e<strong>in</strong>en möglichst<br />

direkten Zugang zur Wirklichkeit zu erlangen, wird Nähe, Vertrautheit <strong>und</strong> Erleben<br />

des Forschungsgegenstands gefor<strong>der</strong>t. Ansatzpunkt qualitativer Forschung auf


Forschungsgr<strong>und</strong>lagen 13<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> <strong>Erziehung</strong>swissenschaft ist <strong>der</strong> Erlebnisbericht aus <strong>der</strong> pädagogischen<br />

Situation heraus.<br />

Qualitativem Forschen stehen laut Krüger (2000) <strong>und</strong> Hilker (1962) folgende Verfahren<br />

zur Verfügung: Nicht reaktives Vorgehen (relativ strukturiert), Beobachten (wenig<br />

struk-turiert) <strong>und</strong> Befragen (narrativ). Das Auswerten qualitativ erschlossener Daten<br />

geschieht <strong>in</strong> Form von Beschreiben (deskriptiv), Vergleichen (komparativ), Analysieren<br />

(<strong>in</strong>terpretativ) sowie Verstehen (hermeneutisch).<br />

Die <strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> qualitativen erziehungswissenschaftlichen Forschung am meisten<br />

verwendete Form <strong>der</strong> Befragung ist das narrative Interview. Diese Art offenen Interviews<br />

besteht dar<strong>in</strong>, Personen mit Hilfe von Reizen zum Erzählen zu br<strong>in</strong>gen, um auf<br />

diese Weise möglichst umfassende Informationen über den zu erforschenden Gegenstand<br />

zu erhalten. <strong>St</strong>eht bei <strong>der</strong> quantitativen Methode die Systematik <strong>der</strong> Befragung<br />

im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, so fokussiert das qualitative Vorgehen das mündliche Zeugnis.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich können die aufgr<strong>und</strong> qualitativer Vorgehensweise gewonnenen wissenschaftlichen<br />

Aussagen genau so wenig wie quantitative Methoden beanspruchen, die<br />

Wirklichkeit umfassend wie<strong>der</strong>zugeben. Trotzdem erlaubt das qualitativ erarbeitete<br />

Wissen, den Forschungsgegenstand auf e<strong>in</strong>em neuen Niveau zu erkennen <strong>und</strong> zu<br />

reflektieren. Denn auch mittels Konstruktionen zweiten Grades kann auf vermutete<br />

Ordnungen <strong>und</strong> Regeln geschlossen werden. In diesem S<strong>in</strong>ne stellt Dieter Lenzen<br />

(1989) fest, dass durch die Zunahme an hypothetischem Wissen über die Welt,<br />

gleichzeitig die Orientierung <strong>in</strong> ihr gelernt wird. Mit Hilfe qualitativer Forschungsmethoden<br />

können wichtige Informationen über <strong>in</strong>dividuell erlebte <strong>Bildung</strong>sverläufe sowie<br />

Deutungsversuche über das <strong>in</strong>dividuelle Bild von Welt <strong>in</strong> Erfahrung gebracht werden.<br />

Im H<strong>in</strong>blick auf das Thema dieser Dissertation eignet sich aufgr<strong>und</strong> vorangehen<strong>der</strong><br />

Erläuterungen das Anwenden qualitativer Forschungsmethoden für e<strong>in</strong>en grossen Teil<br />

<strong>der</strong> Arbeit.<br />

1.2.2.3. Hermeneutik<br />

Mit Hermeneutik wird die «Kunst <strong>der</strong> Auslegung» o<strong>der</strong> die «verstehende Methode» bezeichnet.<br />

Das Verstehen richtet sich auf etwas Menschliches, dessen Bedeutung es<br />

zu erkennen gilt. Ziel hermeneutischer Forschungsmethoden ist es, dokumentarische<br />

Quellen aus <strong>der</strong> Praxis zu analysieren <strong>und</strong> auf ihren S<strong>in</strong>n h<strong>in</strong> zu verstehen. (Danner,<br />

1989; Lenzen, 1989).<br />

Die Analyse im Rahmen hermeneutischer Vorgehensweise baut auf dem Gesamtverständnis<br />

des Forschungsgegenstands auf. Der Weg vom Vorverständnis zum höheren<br />

Verstehen des zu untersuchenden Themas wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art Kreisbewegung erreicht.<br />

Der hermeneutische Zirkel beziehungsweise die hermeneutische Spirale vers<strong>in</strong>nbildlicht<br />

dieses fortschreitende Verstehen (Gudjons, 1997; Danner, 1989).


14 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

+g+(5(6<br />

9(567(+(1<br />

(5:(,7(57(6<br />

9(567b1'1,6<br />

925<br />

9(567b1'1,6<br />

7(;7925 (5:(,7(57(6<br />

9(567b1'1,6 7(;79(567b1'1,6<br />

Abbildung 4: Hermeneutischer Zirkel (Spirale) am Beispiel e<strong>in</strong>er Textanalyse<br />

Abbildung 4 zeigt, dass hermeneutisches Verstehen nie wirklich abgeschlossen ist,<br />

denn Verstehen als Ziel hermeneutischen Forschens hat nicht Produkt-, son<strong>der</strong>n Prozesscharakter<br />

(Roth, 1991, S. 38, zit. <strong>in</strong> Gudjons, 1997).<br />

Die pädagogische Hermeneutik dient dem Erforschen pädagogischer «Gegenstände».<br />

Im Erkennen vom S<strong>in</strong>n von <strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong> wird Verstehen möglich. Früher<br />

beschränkten sich die Analyse <strong>und</strong> das Verstehen auf die Lektüre von Texten. Heute<br />

bezieht sich das Verstehen nicht mehr nur auf Texte, son<strong>der</strong>n auch auf D<strong>in</strong>ge, Personen,<br />

Handlungen, Werke wie zum Beispiel Filme <strong>und</strong> Videoaufzeichnungen. Die objektive<br />

Hermeneutik hat den zusätzlichen Anspruch, unabhängig von den subjektiven<br />

Intentionen <strong>der</strong> Beteiligten, sich durchsetzende gesellschaftliche <strong>St</strong>rukturen herauszukristallisieren<br />

(Gudjons, 1997; Krüger, 2000).<br />

Hermeneutisches Vorgehen eignet sich zum Erarbeiten des Forschungsgegenstands<br />

dieser Dissertation dort, wo die entsprechenden dokumentarischen Quellen zur Verfügung<br />

stehen.<br />

1.2.2.4. Phänomenologie<br />

Bei <strong>der</strong> phänomenologischen Vorgehensweise geht es darum, Wesentliches <strong>und</strong><br />

<strong>St</strong>rukturen des Forschungsgegenstands zu erfassen. Bed<strong>in</strong>gung ist e<strong>in</strong>e möglichst<br />

unvore<strong>in</strong>genommene <strong>und</strong> vorbehaltlose E<strong>in</strong>stellung zum Untersuchungsobjekt, um<br />

das zu untersuchende Phänomen beschreibend zur Selbstdarstellung zu br<strong>in</strong>gen<br />

(Röhrs, 1971, S.94, zit. <strong>in</strong> Danner, 1989).<br />

Die pädagogische Phänomenologie besteht im Beschreiben von anthropologischen<br />

Gr<strong>und</strong>phänomenen von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> zwecks Erstellen e<strong>in</strong>es erziehungswissenschaftlichen<br />

F<strong>und</strong>aments. Phänomenologisches Beschreiben hat die Wesenserfassung,<br />

das Festhalten von Invariantem (Unverän<strong>der</strong>lichem) <strong>und</strong> Allgeme<strong>in</strong>em des<br />

Forschungsgegenstands zum Ziel (Danner, 1989).<br />

Nachdem die vorliegende Dissertation unter an<strong>der</strong>em zur Gr<strong>und</strong>lagenforschung auf<br />

dem Gebiet <strong>der</strong> Vergleichenden <strong>Erziehung</strong>swissenschaft beitragen möchte, eignet<br />

sich die phänomenologische Vorgehensweise zum Erforschen von Teilen dieses Themas.<br />

Die Tatsache, dass ich als Verfasser<strong>in</strong> dieser Arbeit we<strong>der</strong> S<strong>in</strong>olog<strong>in</strong> b<strong>in</strong> noch


Forschungsgr<strong>und</strong>lagen 15<br />

die ch<strong>in</strong>esische Sprache perfekt beherrsche, ist e<strong>in</strong>e gewisse Garantie für die nötige<br />

Unvore<strong>in</strong>genommenheit <strong>und</strong> Vorbehaltlosigkeit als Voraussetzung für die phänomenologische<br />

Vorgehensweise (Dreyer, Interview, 14. Juli 1999; Roth, Gespräche,<br />

1996-2001).<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das methodische Vorgehen im<br />

Rahmen e<strong>in</strong>er Dissertation auf dem Gebiet <strong>der</strong> <strong>Erziehung</strong>swissenschaft, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> Vergleichenden <strong>Erziehung</strong>swissenschaft, auf e<strong>in</strong>e ganze Reihe unterschiedlicher<br />

Forschungsmethoden angewiesen ist. Die Verfügbarkeit e<strong>in</strong>er Fülle von Methoden<br />

setzt e<strong>in</strong> kritisches Methodenbewusstse<strong>in</strong> <strong>und</strong> entsprechende Kenntnisse zur Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>er optimalen Methodenstrategie voraus (Röhrs, 1999; Gudjons, 1997).<br />

Um im Verlauf dieser Arbeit nicht e<strong>in</strong>er forschungsmethodischen Pedanterie zu verfallen,<br />

sei an dieser <strong>St</strong>elle Dieter Lenzen (1989) zitiert:<br />

«Die Differenz, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Erziehung</strong>swissenschaft zwischen Theorie<br />

<strong>und</strong> Praxis daraus entsteht, dass es sich beim Erziehen um e<strong>in</strong>e Kunst<br />

handelt, erweist sich als mit Forschungsmethoden nicht auf die Weise<br />

überw<strong>in</strong>dbar, dass <strong>in</strong> den Daten beziehungsweise Aussagen, die Ereignisse<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutiger Weise erfasst werden <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wissenschaft<br />

e<strong>in</strong> Abbild <strong>der</strong> Praxis entworfen werden kann. Pr<strong>in</strong>zipiell muss vielmehr<br />

davon ausgegangen werden, dass <strong>in</strong> den Aussagen <strong>und</strong> Daten<br />

immer nur Interpretationen <strong>der</strong> Praxis vorliegen <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Basis dieser<br />

Interpretationen Praxis reflektiert werden kann» (Lenzen, 1989,<br />

S. 630).<br />

1.3. <strong>Erziehung</strong>swissenschaftliche Forschung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Während <strong>der</strong> Kulturrevolution <strong>in</strong> den Jahren 1966 bis 1976 wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a praktisch ke<strong>in</strong>e Forschung <strong>in</strong> den Bereichen <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> betrieben.<br />

Erst Ende <strong>der</strong> 70er Jahre wurden vere<strong>in</strong>zelt Forschungsarbeiten auf den Gebieten <strong>der</strong><br />

ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> wie<strong>der</strong> aufgenommen (J<strong>in</strong>g, 1993, S. 87).<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Erkenntnisse dieser ersten Forschungsschritte <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen Vergleichen<br />

wurden grosse Rückstände <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung des <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystems<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a festgestellt. Es galt die Forschungsaktivitäten<br />

von sehr subjektiven <strong>und</strong> politisch orientierten Perspektiven vermehrt auf Objektivität<br />

<strong>und</strong> Rationalität auszurichten. Folgende gr<strong>und</strong>legenden Fragen waren von Bedeutung:<br />

• Welche Zielsetzungen haben <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a?<br />

• Wem sollen <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a dienen?<br />

Während <strong>der</strong> Kulturrevolution (1966 bis 1976) waren die Antworten auf diese Fragen<br />

gegeben: <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> waren Werkzeug politischer Kontrolle. Heute können<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a als multidimensionaler <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft entsprechen<strong>der</strong> beurteilt werden.


16 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre konzentrierten sich die Forschungsfragen vor allem auf Zusammenhänge<br />

zwischen <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> wirtschaftlicher Entwicklung e<strong>in</strong>er Nation:<br />

• Welchen Beitrag leisten <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> zur Mo<strong>der</strong>nisierung Ch<strong>in</strong>as?<br />

• Inwiefern korrelieren Investitionen <strong>in</strong> den Bereichen <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> mit<br />

wirtschaftlichem Wachstum?<br />

Forschungsarbeiten auf dem Gebiet <strong>der</strong> Interdependenzen von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> Wirtschaft<br />

führten zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> wichtigsten Forschungsgebiete:<br />

• Wie wichtig s<strong>in</strong>d die Lehrkräfte <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Fähigkeiten?<br />

Um Antworten auf diese Frage zu f<strong>in</strong>den, wurden Untersuchungen zu Aufgabe <strong>und</strong><br />

Funktion von Lehrenden, <strong>der</strong>en Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung, Sozialstatus, Honorierung<br />

<strong>und</strong> Arbeitse<strong>in</strong>satz sowie angewandten Unterrichtsmethoden gemacht. Die Resultate<br />

zu den Untersuchungen betreffend <strong>der</strong> Unterrichtsmethoden s<strong>in</strong>d bis heute am<br />

umstrittensten <strong>und</strong> wi<strong>der</strong>sprüchlichsten.<br />

In den späteren 80er Jahren begann man sich mit <strong>der</strong> Qualifikation <strong>der</strong> Verantwortlichen<br />

im ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>swesen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu setzen. Waren bis anh<strong>in</strong> für<br />

Verwaltungsmitarbeitende, Lehrkräfte <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>swissenschafter <strong>der</strong>en Loyalität<br />

zur Kommunistischen Partei Ch<strong>in</strong>as massgebend, so wurden nun zusätzlich die Bedeutung<br />

von pädagogischen, psychologischen, organisatorischen <strong>und</strong> führungstechnischen<br />

Fähigkeiten erforscht (Wang, 1988, S. 22).<br />

Heute konzentrieren sich die von ch<strong>in</strong>esischen Forschenden angewandten Methoden<br />

vor allem auf das Sammeln von Daten, <strong>der</strong>en Analyse <strong>und</strong> <strong>der</strong> Suche nach aufschlussreichen<br />

Schlussfolgerungen. Umfragen werden meistens anhand von Fragebogen<br />

durchgeführt. Da es im kommunistischen Ch<strong>in</strong>a an Erfahrungen auf dem Gebiet<br />

<strong>der</strong> empirischen Sozialforschung mangelt, ist die wissenschaftliche Verwendbarkeit<br />

<strong>der</strong> Resultate solcher Umfragen unter Vorbehalt zu betrachten. H<strong>in</strong>zu kommt, dass die<br />

ch<strong>in</strong>esische Bevölkerung <strong>in</strong> Fragebogen nicht unbed<strong>in</strong>gt wahrheitsgetreue Antworten<br />

gibt. Gefragte <strong>und</strong> Fragende tendieren zur Angabe von sogenannt korrekten, erwarteten<br />

<strong>und</strong> positiv ersche<strong>in</strong>enden Antworten <strong>und</strong> Resultaten (J<strong>in</strong>g, 1993, S. 94).<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> nach wie vor beliebtesten Forschungsmethoden s<strong>in</strong>d Testschulen. Oftmals<br />

s<strong>in</strong>d es auch Vorzeige<strong>in</strong>stitutionen für Besucher aus dem Ausland. Es handelt sich<br />

dabei vor allem um Schulen <strong>in</strong> den höher entwickelten <strong>St</strong>ädten (Beij<strong>in</strong>g, Shanghai) <strong>und</strong><br />

nicht <strong>in</strong> den weniger entwickelten ländlichen Regionen (Wang, 1988, S. 21). Dies ist<br />

nicht zuletzt e<strong>in</strong>e Konsequenz <strong>der</strong> grossen Probleme im Zusammenhang mit <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung<br />

solcher Modellschulen.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Forschung <strong>in</strong> den Bereichen <strong>Bildung</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a seit 1978 beachtlich an Quantität <strong>und</strong><br />

Qualität dazu gewonnen hat. Nach wie vor bestehen jedoch grosse Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

Die nachfolgende Aufzählung weist auf e<strong>in</strong>ige dieser Möglichkeiten h<strong>in</strong>:<br />

• Kritische Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen im Rahmen von Forschungsarbeiten s<strong>in</strong>d im<br />

Allgeme<strong>in</strong>en rar (mangelnde «Narrenfreiheit im Elfenbe<strong>in</strong>turm»)


Forschungsgr<strong>und</strong>lagen 17<br />

• Forschungsresultate aus dem Ausland werden häufig unreflektiert auf ch<strong>in</strong>esische<br />

Verhältnisse transferiert<br />

• Es mangelt an <strong>St</strong>rukturen, Management <strong>und</strong> Kooperation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschungsarbeit<br />

• Forschungsprojekte <strong>und</strong> F<strong>in</strong>anzierungsmöglichkeiten konzentrieren sich auf<br />

entwickelte Regionen <strong>und</strong> elitäre <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

• Forschungsaktivitäten betreffen vor allem höhere <strong>Bildung</strong>sstufen<br />

• Entwickelte Forschungstheorien f<strong>in</strong>den kaum Anwendung<br />

• <strong>Bildung</strong>sstand <strong>und</strong> Erfahrungsschatz <strong>der</strong> Forschenden entsprechen nicht immer<br />

den gestellten Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

Die Aufzählung zeigt, das Entwicklungspotential <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschung auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

<strong>Erziehung</strong>swissenschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist nach wie vor sehr gross. Ausgedehnte<br />

Forschungsaufenthalte <strong>und</strong> unzählige Gespräche mit ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>sexperten<br />

<strong>und</strong> nicht ch<strong>in</strong>esischen Fachleuten bestätigen e<strong>in</strong>erseits das enorme<br />

Forschungspotential im Bereich <strong>Erziehung</strong>swissenschaft <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits die fast unüberw<strong>in</strong>dbaren<br />

H<strong>in</strong><strong>der</strong>nisse, aussagekräftige Forschungsresultate für die <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a zu generieren.<br />

Die vorliegende Dissertation ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge e<strong>in</strong> Versuch, trotz erheblichen Schwierigkeiten<br />

<strong>und</strong> zahlreichen Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeiten, e<strong>in</strong>en Beitrag zur Forschung <strong>und</strong> Praxis<br />

des <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>swesens <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu leisten.<br />

1.4. Def<strong>in</strong>itionen<br />

Def<strong>in</strong>iert werden an dieser <strong>St</strong>elle Begriffe, <strong>der</strong>en geme<strong>in</strong>sames Verständnis für die<br />

Interpretation dieser Arbeit von gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong> Bedeutung ist.<br />

Unter <strong>der</strong> <strong>in</strong> dieser Arbeit verwendeten Bezeichnung <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist die von<br />

Mao Zedong am 1. Oktober 1949 gegründete sozialistische <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu<br />

verstehen. Das Amt des <strong>St</strong>aatspräsidenten hält seit 2002 Hu J<strong>in</strong>tao <strong>in</strong>ne. Die <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a erstreckt sich über e<strong>in</strong>e Fläche von gut 9,5 Mio. km 2 <strong>und</strong> ist <strong>in</strong> 32 Verwaltungse<strong>in</strong>heiten<br />

geglie<strong>der</strong>t (vergleiche Teil I: 2.2.1.3. Tabelle 4) («Ch<strong>in</strong>a Facts &<br />

Figures 2002» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).<br />

Mit Kommunismus wird die Gesamtheit ökonomischer <strong>und</strong> politischer Lehren, die mit<br />

dem Ziel <strong>der</strong> Errichtung e<strong>in</strong>er kommunistischen Gesellschaft auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage marxistischer<br />

Theorien umgeformt <strong>und</strong> weiterentwickelt wurden, bezeichnet. Die entscheidende<br />

Partei <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist die Kommunistische Partei Ch<strong>in</strong>as (KP<br />

Ch<strong>in</strong>as), <strong>der</strong>en wichtigste Führungsgremien das Zentralkomitee <strong>und</strong> das Politbüro<br />

s<strong>in</strong>d (Heilmann, 2004; «Schweizer Lexikon», 1998).<br />

Sozialistische Marktwirtschaft def<strong>in</strong>iert sich als Versuch, marktwirtschaftliche Verhältnisse<br />

(Angebot <strong>und</strong> Nachfrage auf dem Markt bestimmt) auf <strong>der</strong> Basis des gesamtgesellschaftlichen<br />

Eigentums <strong>der</strong> Produktionsmittel ohne dirigistische Planung zu<br />

realisieren («Schweizer Lexikon», 1998).


18 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Der Begriff System wird im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong>ung, dem Aufbau, <strong>der</strong><br />

<strong>St</strong>ruktur <strong>und</strong> dem Ordnungspr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>es <strong>in</strong> sich abgeschlossenen Ganzen verwendet<br />

(«Deutsches Wörterbuch», 1991; «Schweizer Lexikon», 1998).<br />

Interdependenz bezeichnet allgeme<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e wechselseitige Abhängigkeit beziehungsweise<br />

Verflochtenheit (Drosdowski, Müller, Scholze-<strong>St</strong>ubenrecht & Wermke, 1990;<br />

«Deutsches Wörterbuch», 1991).<br />

<strong>Bildung</strong> wird im Rahmen dieser Arbeit als das umfassende Geschehen, <strong>in</strong> welchem<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne Mensch heranwächst, sich mit den Menschen se<strong>in</strong>er Umgebung, <strong>der</strong><br />

natürlichen Umwelt <strong>und</strong> Kultur ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzt <strong>und</strong> dadurch zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuell geprägten<br />

Person «gebildet» wird. Es handelt sich sowohl um e<strong>in</strong>en Prozess, <strong>in</strong> dem <strong>der</strong><br />

Mensch se<strong>in</strong>e geistig-seelische Gestalt gew<strong>in</strong>nt, als auch diese selbst sowie das Wissen<br />

(Allgeme<strong>in</strong>bildung <strong>und</strong> berufliche <strong>Bildung</strong>), ohne das diese geistig-seelische Formung<br />

nicht denkbar ist («Schweizer Lexikon», 1998).<br />

Unter <strong>Erziehung</strong> ist die soziale Interaktion zwischen Menschen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> mehrere<br />

Erzieher, im Idealfall planmässig <strong>und</strong> zielgerichtet (<strong>in</strong>tentional), versuchen, bei<br />

den zu Erziehenden, unter Berücksichtigung se<strong>in</strong>er menschlichen Eigenart, e<strong>in</strong> gewünschtes<br />

Verhalten zu entfalten o<strong>der</strong> zu verstärken. Durch <strong>Erziehung</strong> wird die zu<br />

erziehende Person gezielt an die <strong>in</strong> ihrer sozialen beziehungsweise geistigen Umwelt<br />

als gültig anerkannten Normen angepasst («Deutsches Wörterbuch», 1991; «Schweizer<br />

Lexikon», 1998).<br />

Pädagogik ist e<strong>in</strong> Begriff aus <strong>der</strong> griechischen Sprache (paidós áge<strong>in</strong> «die Kunst,<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu leiten») <strong>und</strong> steht für «Wissenschaft von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>» («Schweizer<br />

Lexikon», 1998).<br />

Weitere Def<strong>in</strong>itionen erfolgen im Zusammenhang mit dem Inhalt <strong>der</strong> Dissertation.<br />

Für die sprachliche Formulierung geschlechtsspezifischer Bezeichnungen wird nach<br />

Möglichkeit die neutrale Form gewählt. Ist es beim Schreiben <strong>und</strong> für die Lesenden<br />

dieser Arbeit nicht zumutbar, e<strong>in</strong>e Bezeichnung neutral zu formulieren, umfasst die<br />

ausgewählte Form <strong>der</strong> Bezeichnung sämtliche geschlechtsspezifischen Aspekte.


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 19<br />

2. H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Menschliche Gesellschaften gibt es schon seit m<strong>in</strong>destens 10'000 Jahren, vielleicht<br />

sogar wesentlich länger. In fruchtbaren Gebieten beg<strong>in</strong>nt vor vielen tausend Jahren<br />

die Entwicklung <strong>der</strong> grossen Kulturen dieser Welt, <strong>und</strong> es werden die ersten mächtigen<br />

Reiche geschaffen. Das älteste heute noch existierende Reich ist Ch<strong>in</strong>a. Obwohl<br />

das ch<strong>in</strong>esische Reich nicht immer vere<strong>in</strong>t war, blickt es doch auf e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche<br />

Geschichte von ungefähr viertausend Jahren zurück. Es würde zu weit führen, im<br />

Rahmen dieser Arbeit e<strong>in</strong>en vollständigen Überblick über die ch<strong>in</strong>esische Geschichte,<br />

Kultur, Politik <strong>und</strong> Wirtschaft aufzubereiten. Dennoch ist es für e<strong>in</strong> möglichst abger<strong>und</strong>etes<br />

Erfassen des Dissertationsthemas unerlässliche Voraussetzung, die wesentlichen<br />

geschichtlichen, kulturellen, politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen H<strong>in</strong>tergründe im<br />

H<strong>in</strong>blick auf das heutige <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

zu kennen.<br />

Die bisherige erziehungswissenschaftliche Forschungserfahrung zeigt unter an<strong>der</strong>em,<br />

dass vor allem die Verflechtung von <strong>Bildung</strong>smodellen <strong>und</strong> pädagogischen Handlungskonzepten<br />

mit den örtlichen Gesellschaftsstrukturen <strong>und</strong> dem kulturellen Umfeld<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a oftmals zu wenig deutlich herauskristallisiert wird. In <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

mag das westliche Denken betreffend <strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>, Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung,<br />

nur teilweise bekannt se<strong>in</strong>, doch im Westen ist das pädagogische Denken <strong>der</strong> Ch<strong>in</strong>esen<br />

noch wesentlich unbekannter (Wagner, 1999).<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne ist die Bedeutung dieses Kapitels zurückzuführen auf:<br />

1. Den <strong>in</strong> unseren Breitengraden allgeme<strong>in</strong> beschränkten Wissensstand<br />

betreffend <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a,<br />

2. den zweifellos grossen E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> nachfolgenden Zahlen <strong>und</strong> Fakten auf <strong>Bildung</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong><br />

3. die notwendige Voraussetzung <strong>der</strong> Kenntnis e<strong>in</strong>er Reihe von Beson<strong>der</strong>heiten,<br />

um die weiteren Ausführungen dieser Arbeit richtig e<strong>in</strong>ordnen zu können.<br />

2.1. Geschichte<br />

Die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a wird am 1. Oktober 1949 von Mao Zedong ausgerufen. Mit<br />

diesem historischen Tag endet die sogenannte Republik Ch<strong>in</strong>a, das heisst <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsform<br />

seit <strong>der</strong> Abdankung des letzten Kaisers im Jahre 1912. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />

im Jahre 1949 herrschten zahlreiche Dynastien im Reich <strong>der</strong> Mitte. In den nachfolgenden<br />

Abschnitten werden die relevanten historischen Perioden mit Bezug auf die Entwicklung<br />

von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a kurz erläutert.<br />

2.1.1. Altes Ch<strong>in</strong>a<br />

Die tatsächlichen Anfänge <strong>der</strong> Geschichte Ch<strong>in</strong>as s<strong>in</strong>d nicht genau bekannt. Man<br />

schätzt sie auf ungefähr 5000 Jahre vor Christus (v. Chr.). Die folgende Übersicht<br />

dient <strong>der</strong> Orientierung über die verschiedenen Zeitabschnitte <strong>der</strong> Dynastien <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Geschichte (Schmidt-Gl<strong>in</strong>tzer, 1999; Seitz, 2000).


20 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Dynastien<br />

Zeitperiode<br />

Erste mythische Kaiser<br />

3. Jahrtausend v. Chr.<br />

Xia-Dynastie<br />

2205 - 1766 v. Chr.<br />

Shang-Dynastie<br />

1766 - 1122 v. Chr.<br />

Zhou-Dynastie (westliche <strong>und</strong> östliche)<br />

1122 - 256 v. Chr.<br />

Zhangguo-Periode<br />

403 - 221 v. Chr.<br />

Q<strong>in</strong>-Dynastie<br />

221 - 206 v. Chr.<br />

Han-Dynastie (frühere (westliche) - X<strong>in</strong> / spätere (östliche) Han) 206 v. Chr. – 220 n. Chr.<br />

Liuchao («Sechs-Dynastien») - Zeit 220 – 581<br />

Sanguo (Drei Reiche) 221 – 265<br />

Westliche J<strong>in</strong>-Dynastie 265 – 316<br />

Östliche J<strong>in</strong>-Dynastie 317 – 420<br />

Südliche <strong>und</strong> Nördliche Dynastien 420 – 581<br />

Sui-Dynastie 581 – 618<br />

Tang-Dynastie 618 – 907<br />

Fünf Dynastien (Wudai) 907 – 960<br />

Song-Dynastie (Höhepunkt <strong>der</strong> Konfuzianischen Kultur) 960 - 1279<br />

Yuan-Dynastie (Mongolen) 1279 - 1368<br />

M<strong>in</strong>g-Dynastie (Zhu Yuanzhang :1DQMLQJ 1368 - 1644<br />

Q<strong>in</strong>g-Dynastie (Mandschurei) 1644 - 1911<br />

Tabelle 1: Dynastien <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Geschichte<br />

Im alten Ch<strong>in</strong>a bleibt <strong>Bildung</strong> beziehungsweise <strong>Erziehung</strong> ausserhalb des Familienkreises,<br />

den Beamten des Kaisers vorbehalten. Während <strong>der</strong> Han-Dynastie werden<br />

die Beamten erstmals speziell ausgebildet <strong>und</strong> geprüft. Schriftliche Prüfungen s<strong>in</strong>d<br />

während <strong>der</strong> Song-Dynastie das Haupt<strong>in</strong>strument bei <strong>der</strong> Auswahl von Regierungsbeamten.<br />

E<strong>in</strong> komplexes System von <strong>St</strong>aatsexam<strong>in</strong>a entsteht zur Zeit <strong>der</strong> M<strong>in</strong>g-<br />

Dynastie. Dieses System bleibt bis <strong>in</strong> die späte Q<strong>in</strong>g-Dynastie unverän<strong>der</strong>t bestehen.<br />

In dieser Zeit zählt das sogenannte Mandar<strong>in</strong>at (die europäische Bezeichnung für die<br />

hohe Beamtenschaft des ehemaligen ch<strong>in</strong>esischen Kaiserreichs (Drosdowski, Müller,<br />

Scholze-<strong>St</strong>ubenrecht & Wermke, 1990)) schätzungsweise 0,03 Prozent <strong>der</strong> gesamten<br />

Bevölkerung Ch<strong>in</strong>as. Der Examensstoff zur Aufnahme <strong>in</strong> das Mandar<strong>in</strong>at setzt sich<br />

aus Kenntnissen über die klassischen konfuzianischen Schriften zusammen. Demzufolge<br />

spricht man auch von konfuzianischen <strong>St</strong>aatsexam<strong>in</strong>a beziehungsweise konfuzianischem<br />

Kaisertum. Doch mit Bestehen <strong>der</strong> Aufnahmeprüfung ist es nicht getan; die<br />

kaiserlichen Beamten müssen <strong>in</strong> regelmässigen Abständen Prüfungen ablegen. Kaiser<br />

<strong>und</strong> Beamte wirken als moralische Vorbil<strong>der</strong>, um e<strong>in</strong> ordentliches <strong>und</strong> harmonisches<br />

Klima <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft zu schaffen <strong>und</strong> zu bewahren. In diesem S<strong>in</strong>ne ist Beamtenerziehungssystem<br />

die treffen<strong>der</strong>e Bezeichnung als Beamtenbildungssystem im<br />

alten Ch<strong>in</strong>a (Seitz, 2000).


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 21<br />

2.1.2. Ch<strong>in</strong>a im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

2.1.2.1. Republik Ch<strong>in</strong>a 1912 - 1949<br />

1912 dankt Puyi mit sechs Jahren als letzter Kaiser des ch<strong>in</strong>esischen Reichs ab. Mit<br />

<strong>der</strong> formellen Abdankung von Puyi geht das über zweitausend Jahre alte Kaisertum<br />

Ch<strong>in</strong>as zu Ende. Die folgende Übersicht dient <strong>der</strong> Orientierung über die Ereignisse<br />

von 1912 bis 1949, das heisst zur Zeit <strong>der</strong> Republik auf dem ch<strong>in</strong>esischen Festland<br />

(Schmidt-Gl<strong>in</strong>tzer, 1999; Seitz, 2000).<br />

Ereignisse zur Zeit <strong>der</strong> Republik Ch<strong>in</strong>a<br />

Zeitperiode<br />

Präsidentschaft von Yuan Shikai 1912 - 1916<br />

Periode <strong>der</strong> Kriegsherren 1916 - 1928<br />

Machtkampf zwischen Kommunistischer Partei Ch<strong>in</strong>as (Mao Zedong)<br />

<strong>und</strong> Guom<strong>in</strong>dang (Sun Yatsen)<br />

1921 - 1949<br />

Erste E<strong>in</strong>heitsfront 1925 - 1927<br />

Jiangxi-Sowjet <strong>und</strong> Langer Marsch 1928 - 1936<br />

Nanj<strong>in</strong>g-Regierung 1928 - 1937<br />

Zweite E<strong>in</strong>heitsfront 1937 - 1945<br />

Krieg gegen Japan 1937 - 1945<br />

Bürgerkrieg 1945 - 1949<br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a seit 1949<br />

Republik Ch<strong>in</strong>a auf Taiwan seit 1949<br />

Tabelle 2: Ereignisse von 1912 bis 1949 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Republik Ch<strong>in</strong>a<br />

Die kaiserliche Beamtenprüfung wird bereits im Jahr 1905 abgeschafft. Hiermit ist <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong> für die Entwicklung e<strong>in</strong>es mo<strong>der</strong>nen <strong>Bildung</strong>swesens <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a gelegt.<br />

E<strong>in</strong>erseits ist das System <strong>der</strong> ausschliesslich konfuzianisch orientierten Exam<strong>in</strong>a den<br />

sich verän<strong>der</strong>nden Ansprüchen <strong>der</strong> Gesellschaft nicht mehr gerecht geworden. An<strong>der</strong>seits<br />

machen sich regional unterschiedliche Entwicklungen bemerkbar, welche nach<br />

entsprechenden Anpassungen verlangen. Diese Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong>nerhalb Ch<strong>in</strong>as<br />

werden ergänzt von e<strong>in</strong>em zunehmenden Austausch mit dem Ausland. Erste <strong>St</strong>udienaufenthalte<br />

ch<strong>in</strong>esischer <strong>St</strong>aatsbürger an ausländischen Hochschulen wurden schon<br />

Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts registriert. Samuel Robb<strong>in</strong>s Brown, e<strong>in</strong> Missionar, brachte<br />

1847 drei ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>udenten nach Amerika. E<strong>in</strong>er von ihnen war Yung W<strong>in</strong>g, <strong>der</strong><br />

1854 als erster Ch<strong>in</strong>ese <strong>in</strong> Yale e<strong>in</strong>en Doktortitel erwirbt. In den Jahren 1847 bis 1954<br />

lassen sich annähernd 25'000 Ch<strong>in</strong>esen an amerikanischen Hochschulen ausbilden.<br />

Ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>udierende zieht es aber nicht nur <strong>in</strong> die USA, son<strong>der</strong>n auch nach Japan<br />

<strong>und</strong> Europa. Diejenigen, die nach Ch<strong>in</strong>a zurückkehren, haben gute Chancen, hohe<br />

Verwaltungspositionen zu bekleiden. Dies ermöglicht ihnen, nicht ohne Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> klassischen kulturellen Traditionen, ihre im Ausland gemachten Erfahrungen<br />

<strong>in</strong> den Mo<strong>der</strong>nisierungsprozess Ch<strong>in</strong>as e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen (vergleiche Teil III: 2.1.4.)<br />

(Cheng, 1967; Henze, 1991; Meng, 1962).


22 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Das Ende <strong>der</strong> konfuzianischen Exam<strong>in</strong>a bedeutet auch das Ende <strong>der</strong> e<strong>in</strong>heitlich <strong>in</strong>doktr<strong>in</strong>ierten<br />

Beamtenschicht <strong>und</strong> damit <strong>der</strong> konfuzianischen Hochkultur. Frauen gew<strong>in</strong>nen<br />

neu Zugang zu <strong>Bildung</strong>. An die <strong>St</strong>elle <strong>der</strong> re<strong>in</strong> männlichen Beamtenschicht tritt<br />

e<strong>in</strong>e mo<strong>der</strong>ne Intellektuellenschicht, die offen ist für die unterschiedlichsten E<strong>in</strong>flüsse<br />

aus dem Westen, wobei man sich die Verhältnisse <strong>der</strong> damaligen Zeit vor Augen halten<br />

muss. Bis <strong>in</strong> die 30er Jahre lernen ungefähr 30 bis 45 Prozent <strong>der</strong> männlichen <strong>und</strong><br />

zwei bis zehn Prozent <strong>der</strong> weiblichen Bevölkerung Ch<strong>in</strong>as e<strong>in</strong>igermassen lesen,<br />

schreiben <strong>und</strong> rechnen (Seeberg, 2000; Seitz, 2000).<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Öffnung nach aussen <strong>in</strong>teressiert sich Ch<strong>in</strong>a für die Ideen des amerikanischen<br />

Philosophen John Dewey (1859 bis 1952). Der Amerikaner tritt für e<strong>in</strong>e Neubestimmung<br />

<strong>der</strong> Pädagogik e<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>er breiten Schicht <strong>der</strong> Bevölkerung zugute kommen<br />

soll. Der Kern se<strong>in</strong>er Idee ist das Verb<strong>in</strong>den von moralischer <strong>Erziehung</strong> mit praktischem<br />

Lernen. Dewey wird nach Ch<strong>in</strong>a berufen, um beim Aufbau des neuen <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

mitzuwirken. Er lehrt von 1919 bis 1921 an <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> Beij<strong>in</strong>g. Die<br />

Anregungen von John Dewey, welche man den «mo<strong>der</strong>nen Konfuzius» nennt, f<strong>in</strong>den<br />

E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> den Erlass für das «Neue Schulsystem» von 1922. Die Ch<strong>in</strong>esen versprechen<br />

sich von Deweys Idee <strong>der</strong> Verb<strong>in</strong>dung von Schule <strong>und</strong> Gesellschaft e<strong>in</strong>e Kompensation<br />

für die rückständige Gesellschaft, geprägt von <strong>der</strong> konfuzianischen <strong>Bildung</strong>stradition<br />

(Risler 1989; Dewey, Deuel 1951; Gehrig 1995).<br />

Auch <strong>in</strong> politischer H<strong>in</strong>sicht werden die Weichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

neu gestellt. 1921 f<strong>in</strong>det im Rahmen e<strong>in</strong>es Kongresses <strong>in</strong> Shanghai die formelle<br />

Gründung <strong>der</strong> Kommunistischen Partei Ch<strong>in</strong>as (KP Ch<strong>in</strong>as) statt. Zwei Jahre später<br />

beg<strong>in</strong>nt Sun Yatsen (1866 bis 1925), die Guom<strong>in</strong>dang (die nationale Volkspartei) als<br />

len<strong>in</strong>istisch strukturierte Partei neu zu organisieren. Der bis heute andauernde Konflikt<br />

zwischen diesen beiden Parteien - <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Guom<strong>in</strong>dang <strong>in</strong> <strong>der</strong> Republik Ch<strong>in</strong>a, das heisst Taiwan - ist damit entfacht. Bis heute<br />

ist unklar, auf welche geistigen <strong>und</strong> moralischen Gr<strong>und</strong>lagen die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

wirklich baut: Konfuzianische? Kommunistische? Demokratische? O<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e eigene,<br />

typisch ch<strong>in</strong>esische Form?<br />

2.1.2.2. <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 1949 - 1976<br />

Am 1. Oktober 1949 ruft Mao Zedong (1893 bis 1976) auf dem Platz des Himmlischen<br />

Friedens (Tiananmen: nach ch<strong>in</strong>esischer Vorstellung <strong>der</strong> Mittelpunkt des Reichs <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Welt) die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a aus. Das neue Ch<strong>in</strong>a soll e<strong>in</strong>e «Demokratische<br />

Diktatur des Volkes» se<strong>in</strong>. Die führende Rolle übernimmt die Kommunistische Partei.<br />

Mao <strong>und</strong> die Partei verstehen die «Neue Demokratie» als e<strong>in</strong>e Übergangsphase. Das<br />

Zusammenwirken von Bauern, Arbeitern, Kle<strong>in</strong>bürgern <strong>und</strong> nationalen Unternehmen<br />

soll nach Jahrzehnten <strong>der</strong> Unruhe wie<strong>der</strong> aufgebaut werden. Ch<strong>in</strong>a ist 1949 e<strong>in</strong>es <strong>der</strong><br />

ärmsten <strong>und</strong> überbevölkerten Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Welt <strong>und</strong> e<strong>in</strong> fast re<strong>in</strong>er Agrarstaat. Im<br />

kriegszerstörten Reich <strong>der</strong> Mitte gilt es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Verwaltung <strong>und</strong> die Wirtschaft<br />

wie<strong>der</strong> aufzubauen, was <strong>der</strong> neuen kommunistischen Macht bis Ende des ersten<br />

Fünfjahresplanes 1957 <strong>in</strong> erstaunlich kurzer Zeit tatsächlich gel<strong>in</strong>gt. Doch gleichzeitig<br />

beg<strong>in</strong>nen die Massenkampagnen, die e<strong>in</strong>e sozialistische <strong>und</strong> schliesslich maoi-


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 23<br />

stische Gesellschaft heranzüchten. Die nachfolgende Übersicht zeigt die chronologische<br />

Abfolge <strong>der</strong> Massenkampagnen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit von 1949 bis 1976 (Seitz, 2000):<br />

Jahr Kampagne<br />

1950 - 1952 Landreform: Unterdrückung <strong>der</strong> Konterrevolutionäre<br />

1951 - 1952 Drei Kampagnen zur Verän<strong>der</strong>ung des<br />

Bewusstse<strong>in</strong>s: Drei-Anti; Fünf-Anti; Gedankenreform<br />

1955 - 1956 Kollektivierung <strong>der</strong> Landwirtschaft;<br />

Sozialistische Transformation von Industrie <strong>und</strong><br />

Handel; Anti-Hu Feng<br />

1957 H<strong>und</strong>ert Blumen-Bewegung;<br />

Anti-Rechts-Kampagne<br />

1958 - 1961 Grosser Sprung nach vorne<br />

1963 - 1965 Sozialistische <strong>Erziehung</strong>sbewegung<br />

1966 - 1976 Kulturrevolution<br />

1966 - 1969 Kulturrevolution: Phase <strong>der</strong> Roten Garden<br />

1973 - 1974 Kulturrevolution: Anti-L<strong>in</strong> Biao <strong>und</strong> Anti-Konfuzius<br />

1976 Kulturrevolution: Kritisiere Deng Xiaop<strong>in</strong>g<br />

Tabelle 3: Massenkampagnen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mao-Ära von 1949 bis 1976<br />

Mit <strong>der</strong> Machtübernahme von Mao Zedong 1949 rückt e<strong>in</strong>e landesweite Vere<strong>in</strong>heitlichung<br />

des <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. In e<strong>in</strong>er ersten Rekonstruktionsphase<br />

(1949 bis 1952) konzentriert man sich auf Alphabetisierungsprogramme <strong>und</strong> Umschulungsmassnahmen.<br />

In den <strong>St</strong>ädten entsteht e<strong>in</strong>e Reihe von <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen nach<br />

dem Vorbild <strong>der</strong> Sowjetunion. Zehntausende von Ka<strong>der</strong>leuten sollen m<strong>in</strong>destens im<br />

Lesen <strong>und</strong> Schreiben ausgebildet werden, damit sie für den nötigen Wirtschaftsaufbau<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden können. Bis 1952 s<strong>in</strong>d sämtliche schulischen Institutionen religiöser<br />

o<strong>der</strong> ausländischer Träger <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a verschw<strong>und</strong>en. Der E<strong>in</strong>fluss aus <strong>der</strong> westlichen<br />

(vor allem <strong>der</strong> amerikanischen) Welt ist damit vorerst unterb<strong>und</strong>en (Risler, 1989;<br />

Wang, 1993).<br />

1956 versucht Mao erstmals die Parole «Lasst h<strong>und</strong>ert Blumen blühen, lasst h<strong>und</strong>ert<br />

Schulen mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wetteifern!» durchzusetzen. Es gel<strong>in</strong>gt ihm aber erst im folgenden<br />

Jahr, die Intellektuellen für se<strong>in</strong>e Kritik an <strong>der</strong> Partei <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bürokratie zu <strong>in</strong>strumentalisieren.<br />

Trotzdem gerät die H<strong>und</strong>ert-Blumen-Bewegung ausser Kontrolle <strong>und</strong><br />

schlägt <strong>in</strong> die Anti-Rechts-Kampagne um. Intellektuelle werden im Verlauf dieser<br />

Kampagne gebrandmarkt <strong>und</strong> fallen ihr zu H<strong>und</strong>erttausenden zum Opfer. Ch<strong>in</strong>a verliert<br />

<strong>in</strong> dieser Zeit e<strong>in</strong>en grossen Teil se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tellektuellen Elite, <strong>der</strong> knappsten Ressource<br />

für den dr<strong>in</strong>gend notwendigen Aufbau e<strong>in</strong>es mo<strong>der</strong>nen <strong>St</strong>aats <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er funktionierenden<br />

Wirtschaft. E<strong>in</strong>e neue Schicht von schlecht ausgebildeten Arbeitern <strong>und</strong><br />

Bauern kommt an die Macht. Diese führt e<strong>in</strong>en Kampf gegen die verbliebene <strong>in</strong>tellektuelle<br />

Elite <strong>und</strong> ignoriert die Aussenwelt bis <strong>in</strong> die 70er Jahre (Seitz, 2000).<br />

Mit <strong>der</strong> Idee des Grossen Sprungs nach vorne im Jahre 1958 glaubt Mao das<br />

Wachstum <strong>der</strong> Gesamtwirtschaft, vor allem <strong>der</strong> Schwer<strong>in</strong>dustrie för<strong>der</strong>n zu können.<br />

Diese Kampagne bewirkt e<strong>in</strong>en enormen Ausbau von berufsbildenden Schulen. Als<br />

Gegenreaktion <strong>und</strong> Kritik am sowjetischen Modell, das sich auf den Industriebereich<br />

konzentriert, werden sämtliche Programme auf die Landregionen zugeschnitten.


24 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Zum ersten Mal wird <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>as ländlichen Regionen e<strong>in</strong> öffentliches Schulwesen aufgebaut<br />

(Wang, 1993).<br />

Während e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Phase <strong>der</strong> Konsolidierung anfangs <strong>der</strong> 60er Jahre zieht<br />

sich Mao vorerst aus dem politischen Alltag zurück. 1962 ergreift er die Initiative für<br />

e<strong>in</strong>e Sozialistische <strong>Erziehung</strong>skampagne. Er schafft es aber nicht, diese Initiative<br />

gegen die Partei durchzusetzen. Se<strong>in</strong> persönliches Ansehen im e<strong>in</strong>fachen Volk ist<br />

jedoch ausreichend, um se<strong>in</strong>e erzieherischen Leitl<strong>in</strong>ien im Rahmen <strong>der</strong> Kulturrevolution<br />

Mitte <strong>der</strong> 60er Jahre doch noch umzusetzen (Seitz, 2000).<br />

2.1.2.2.1. Kulturrevolution 1966 - 1976<br />

Geme<strong>in</strong>sam mit <strong>der</strong> Kulturrevolutionsgruppe versucht Mao 1966 «se<strong>in</strong>e» Revolution<br />

zu retten. Die Überzeugung, dass <strong>Erziehung</strong> <strong>der</strong> proletarischen Politik zu dienen hat<br />

<strong>und</strong> mit praktischer Arbeit verb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong> muss, setzt er mit <strong>der</strong> Grossen Proletarischen<br />

Kulturrevolution durch. Das folgende Zitat veranschaulicht Maos Gr<strong>und</strong>haltung<br />

gegenüber <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> treffen<strong>der</strong> Art <strong>und</strong> Weise (Schram, 1975, S.161):<br />

«Doch wie steht es mit dem Buchwissen? Wenn man nichts an<strong>der</strong>es<br />

tun will als lesen, muss man drei- bis fünftausend Zeichen beherrschen,<br />

mit e<strong>in</strong>em Wörterbuch – mangels Können – e<strong>in</strong> Buch <strong>in</strong> die<br />

Hand nehmen <strong>und</strong> sich Hirse geben lassen. Dann kann man bequem<br />

se<strong>in</strong>en Kopf über e<strong>in</strong> Buch beugen <strong>und</strong> zu lesen anfangen. Es ist die<br />

e<strong>in</strong>fachste Sache <strong>der</strong> Welt, viel e<strong>in</strong>facher als die Zubereitung e<strong>in</strong>er<br />

Mahlzeit o<strong>der</strong> das Schlachten e<strong>in</strong>es Schwe<strong>in</strong>s.»<br />

Die Jahre <strong>der</strong> Kulturrevolution s<strong>in</strong>d geprägt von Intellektuellenfe<strong>in</strong>dlichkeit, Verkürzung<br />

bis Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung von elitären <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten <strong>und</strong> Verzicht auf schulische Berufsbildung<br />

zugunsten von <strong>Bildung</strong>se<strong>in</strong>richtungen auf niedriger <strong>St</strong>ufe. Zwischen 1966<br />

<strong>und</strong> 1976 wird <strong>der</strong> Unterricht an den meisten Schulen <strong>und</strong> <strong>Universität</strong>en über längere<br />

Zeit ganz e<strong>in</strong>gestellt. Die bestehende differenzierte <strong>St</strong>ruktur des Sek<strong>und</strong>arschulwesens<br />

wird zerstört. <strong>Universität</strong>en bleiben bis 1970 grösstenteils geschlossen. Wird <strong>der</strong><br />

Schulbetrieb wie<strong>der</strong> aufgenommen, s<strong>in</strong>d die Inhalte des Unterrichts stark ideologisch<br />

bee<strong>in</strong>flusst. An den <strong>Universität</strong>en werden vorerst naturwissenschaftliche <strong>und</strong> technische<br />

Fakultäten wie<strong>der</strong> geöffnet. Die <strong>St</strong>udierenden werden nicht aufgr<strong>und</strong> ihrer Leistungsnachweise<br />

rekrutiert, son<strong>der</strong>n gemäss ihrer ideologischen Orientierung. Das<br />

heisst, es werden nur «l<strong>in</strong>ientreu» ges<strong>in</strong>nte Interessenten aus Fabriken, Landwirtschaft<br />

<strong>und</strong> Militär zugelassen. Man spricht deshalb auch von Arbeiter-, Bauern- <strong>und</strong><br />

Soldatenstudierenden. Das akademische Leben im eigentlichen S<strong>in</strong>ne ist tot. Mao<br />

hat das Primat <strong>der</strong> Politik durchgesetzt (Henze, 1991; Pepper, 1996; Risler, 1989;<br />

Seitz, 2000).<br />

Die Ereignisse <strong>der</strong> Kulturrevolution haben bis heute grossen E<strong>in</strong>fluss auf das <strong>Bildung</strong>sniveau<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung, auf den <strong>St</strong>and <strong>der</strong> schulischen E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> nicht<br />

zuletzt auf das Verhalten <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung im Alltag. Die Intellektuellen<br />

wurden damals zu körperlicher Arbeit gezwungen <strong>und</strong> zögerten - nach <strong>der</strong> Kulturrevolution<br />

- ihre Geistesarbeit wie<strong>der</strong> aufzunehmen. Sie befürchteten e<strong>in</strong>en Rückfall <strong>in</strong><br />

die Kulturrevolution. Die nachfolgende Darstellung zeigt, welche Altersgruppen heute


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 25<br />

noch von den e<strong>in</strong>geschränkten <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten während <strong>der</strong> Kulturrevolution<br />

betroffen s<strong>in</strong>d:<br />

Jahrgänge vor 1950 (heute 54jährig <strong>und</strong> älter) haben<br />

Schul- <strong>und</strong> Hochschulbildung vor <strong>der</strong> Kulturrevolution abgeschlossen<br />

Jahrgänge 1950 bis 1960 (heute 44- bis 54jährig) konnten teilweise<br />

die Gr<strong>und</strong>schule, die älteren auch noch die untere Mittelschule vor <strong>der</strong><br />

Kulturrevolution abschliessen, aber erst mit 16 beziehungsweise mit 26<br />

Jahren ihren <strong>Bildung</strong>sweg fortsetzen<br />

Jahrgänge 1960 bis 1966 (heute 38- bis 44jährig) hatten ke<strong>in</strong>e<br />

normale Gr<strong>und</strong>schulausbildung bis sie 10 beziehungsweise 16 Jahre alt<br />

waren<br />

Jahrgänge 1966 bis 1970 (heute 34- bis 38jährig) sollten normal<br />

mit 6 o<strong>der</strong> 10 Jahren, also e<strong>in</strong>er Verspätung von höchstens 4 Jahren<br />

e<strong>in</strong>geschult worden se<strong>in</strong><br />

Jahrgänge ab 1970 (heute 34jährig <strong>und</strong> jünger) wurden von <strong>der</strong><br />

Kulturrevolution <strong>in</strong> ihren Ausbildungsmöglichkeiten nicht mehr direkt<br />

e<strong>in</strong>geschränkt<br />

1950<br />

1960<br />

1966<br />

1970<br />

1976<br />

KULTUR -<br />

REVOLUTION<br />

1966 - 1976<br />

Abbildung 5: Generationen <strong>der</strong> Kulturrevolution im Jahr 2004<br />

2.1.2.3. <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a seit 1976<br />

1978 Reform- <strong>und</strong><br />

Öffnungspolitik<br />

seit 1978<br />

Mit dem Tod von Mao Zedong im Jahre 1976 entscheidet sich das Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

zweier politischer Richtungen seit 1970. Maos Nachfolger, Hua Kuo-feng, schlägt<br />

vorerst e<strong>in</strong>en gemässigten, konservativen Kurs e<strong>in</strong>. Er entmachtet die «l<strong>in</strong>ksorientierte<br />

Viererbande» um Maos Witwe Jiang Q<strong>in</strong>g. Um se<strong>in</strong>er Politik die entsprechende<br />

Durchsetzungskraft zu verleihen, schliesst er sich dem Militär an. Gleichzeitig<br />

erstarkt im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> rehabilitierte Deng Xiaop<strong>in</strong>g, <strong>der</strong> 1978 die Führung übernimmt.<br />

Die Regierung unter Deng steht im Zeichen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung. Das neue<br />

erklärte Ziel <strong>der</strong> Partei ist Wachstum <strong>und</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> Wirtschaft sowie Verbesserung<br />

des Lebensstandards <strong>der</strong> Bevölkerung. Deng kann jetzt se<strong>in</strong> «Credo» von<br />

1962 umsetzen:<br />

«Es kommt nicht darauf an, ob e<strong>in</strong>e Katze weiss o<strong>der</strong> schwarz<br />

ist, solange sie Mäuse fängt, ist sie e<strong>in</strong>e gute Katze».<br />

Dengs Ziele s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie wirtschaftlicher Natur. In diesem S<strong>in</strong>ne wird auch die<br />

strenge Politik <strong>der</strong> Geburtenkontrolle e<strong>in</strong>geführt. Es soll verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden, dass die<br />

von Mao zur <strong>St</strong>ärkung <strong>der</strong> Produktionskraft <strong>in</strong>itiierte Bevölkerungsexplosion das geplante<br />

Wirtschaftswachstum bee<strong>in</strong>trächtigt. Dengs Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik folgt<br />

den Gr<strong>und</strong>sätzen: Pragmatismus, Gradualismus, Dezentralisierung <strong>und</strong> Delegation<br />

von Entscheidungsbefugnissen (Böl<strong>in</strong>ger, 2001; Seitz, 2000).


26 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Deng Xiaop<strong>in</strong>gs Politik <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong> Öffnung nach aussen weckt auch den Reformgeist<br />

im Bereich <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>. Das während <strong>der</strong> Kulturrevolution vollkommen zerstörte<br />

<strong>Bildung</strong>swesen gilt es wie<strong>der</strong> von Gr<strong>und</strong> auf aufzubauen. Zum ersten Mal seit <strong>der</strong><br />

Machtübernahme des kommunistischen Regimes werden Massnahmen <strong>in</strong> die Wege<br />

geleitet, welche <strong>der</strong> gesamten ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung e<strong>in</strong>en wirklichen Zugang zu<br />

<strong>Bildung</strong> versprechen. 1980 verabschiedet <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsrat den ersten Bericht zur <strong>St</strong>rukturreform<br />

<strong>der</strong> oberen Mittelschulen <strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung von berufsbildenden Schulen<br />

<strong>in</strong> allen Branchen. Fünf Jahre später beschliesst das Zentralkomitee <strong>der</strong> Kommunistischen<br />

Partei Ch<strong>in</strong>as die Reformierung des gesamten <strong>Bildung</strong>ssystems. Die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> beruflichen <strong>und</strong> technischen <strong>Bildung</strong> soll dadurch stark geför<strong>der</strong>t werden.<br />

Privatschulen s<strong>in</strong>d wie<strong>der</strong> erlaubt. Damit gibt die kommunistische Macht erstmals die<br />

ausschliessliche Kontrolle über das <strong>Erziehung</strong>swesen aus <strong>der</strong> Hand (Seeberg, 2000;<br />

Böl<strong>in</strong>ger, 2001; Domes & Näth, 1992; Risler, 1989).<br />

Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre f<strong>in</strong>den die ersten <strong>St</strong>udentendemonstrationen statt. Die neue<br />

Politik <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong> die zunehmende Öffnung des Landes lassen For<strong>der</strong>ungen<br />

nach mehr Demokratie - nicht im westlichen S<strong>in</strong>ne (vergleiche Teil I: 2.3.2.1.) - aufkommen.<br />

Die studentische Demokratiebewegung führt zu den Ereignissen auf dem<br />

Tiananmen-Platz am 4. Juni 1989. Die nachfolgende <strong>in</strong>nenpolitische Eiszeit, geprägt<br />

von Repression <strong>und</strong> <strong>St</strong>agnation, bremst vor allem die wirtschaftliche Entwicklung Ch<strong>in</strong>as.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> neunziger Jahre wird die ursprüngliche Dengsche Reform von<br />

unten, mit e<strong>in</strong>er Reform von oben ergänzt: Die Zentralregierung übernimmt die Aufgabe,<br />

Gesetze <strong>und</strong> Institutionen zu schaffen, die für e<strong>in</strong>e funktionsfähige Marktwirtschaft<br />

notwendig s<strong>in</strong>d. Mit dem Ziel, die sozialistische Marktwirtschaft e<strong>in</strong>zuführen, wird 1992<br />

die zweite Reformphase unter Deng Xiaop<strong>in</strong>g realisiert. Für das Schul- <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>swesen<br />

bedeuten diese Entwicklungen erneut e<strong>in</strong>geschränkte Handlungsspielräume.<br />

Verstärkte Vorgaben durch politisch-ideologische <strong>und</strong> moralische Richtl<strong>in</strong>ien gilt es<br />

e<strong>in</strong>zuhalten. Das Festlegen von Verhaltensregeln für Ausbildende <strong>und</strong> Auszubildende<br />

rückt wie<strong>der</strong> vermehrt <strong>in</strong> den Verantwortungsbereich <strong>der</strong> Partei <strong>und</strong> wird auch entsprechend<br />

kontrolliert (Böl<strong>in</strong>ger 2001; Henze, 1991; Seitz, 2000).<br />

Mit Deng Xiaop<strong>in</strong>gs Tod im Februar 1997 beg<strong>in</strong>nt die Ära Jiang Zem<strong>in</strong>s. Im März<br />

1998 wird die Zentralregierung reorganisiert. Die von Deng verfolgten Gr<strong>und</strong>sätze<br />

werden nur teilweise fortgeführt. Zhu Rongji, <strong>der</strong> neue M<strong>in</strong>isterpräsident, macht die<br />

e<strong>in</strong>geleiteten Dezentralisierungsmassnahmen weitgehend rückgängig <strong>und</strong> rezentralisiert.<br />

1997 übergibt die britische Regierung <strong>in</strong> Hongkong nach 99 Jahren englischer Herrschaft<br />

das Zepter wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> ch<strong>in</strong>esische Hände. E<strong>in</strong> Land, zwei Systeme heisst es<br />

fortan - e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zip, das die Zentralregierung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a auch gegenüber<br />

Taiwan vertritt. Diese Trennung von Land <strong>und</strong> System gilt auch im Bezug auf das<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem <strong>der</strong> ehemaligen Kronkolonie Englands. 1999 kehrt auch Macao von<br />

Portugal nach Ch<strong>in</strong>a zurück.


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 27<br />

2.2. Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> s<strong>in</strong>d weitgehend auf die kulturellen<br />

H<strong>in</strong>tergründe e<strong>in</strong>es Landes zurückzuführen. Die Kultur e<strong>in</strong>es Landes beziehungsweise<br />

e<strong>in</strong>es Volkes, def<strong>in</strong>iert sich durch das von e<strong>in</strong>er Gruppe von Menschen, zu<br />

bestimmten Zeiten, <strong>in</strong> abgrenzbaren Regionen, <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

Umwelt, <strong>in</strong> ihrem Handeln Hervorgebrachte. Mit an<strong>der</strong>en Worten, e<strong>in</strong>e Kultur wird<br />

bestimmt durch die Summe <strong>der</strong> als typisch feststellbaren Lebensformen e<strong>in</strong>er Menschengruppe.<br />

Im E<strong>in</strong>zelfall wird dies durch die verfe<strong>in</strong>erte Lebensweise <strong>und</strong> Lebensart<br />

sowie durch die geistige <strong>und</strong> seelische <strong>Bildung</strong> <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft erkennbar<br />

(«Deutsches Wörterbuch», 1991; «Schweizer Lexikon», 1998).<br />

Auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage dieser Def<strong>in</strong>ition werden im Folgenden die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a anhand <strong>der</strong> Landesstruktur, <strong>der</strong><br />

Traditionsl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> <strong>der</strong> heutigen Gesellschaft erläutert. Die Landesstruktur Ch<strong>in</strong>as<br />

wird im Wesentlichen durch die geographischen Verhältnisse <strong>und</strong> die Bevölkerung<br />

bestimmt. Traditionen, Sitten <strong>und</strong> Gebräuche gibt es <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a zu H<strong>und</strong>erten wie <strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>en Kulturen dieser Erde auch. Die ch<strong>in</strong>esische Gesellschaft ist vor allem geprägt<br />

von Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus <strong>und</strong>, dem Westen erst kürzlich von Prof.<br />

Harro von Senger vorgestellt, den 36 <strong>St</strong>rategemen. Das mo<strong>der</strong>ne gesellschaftliche<br />

Ch<strong>in</strong>a ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit <strong>und</strong> täglichen Verän<strong>der</strong>ungen kaum fassbar. Das Unerwartete<br />

gilt es zu erwarten, sei es von aussen, «dem Westen», o<strong>der</strong> von <strong>in</strong>nen, das<br />

heisst <strong>der</strong> traditionellen ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft <strong>in</strong> ihrer Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ne. Der nachfolgende Versuch e<strong>in</strong>er exemplarischen Darstellung des mo<strong>der</strong>nen<br />

Ch<strong>in</strong>as erfolgt anhand <strong>der</strong> Beispiele Freizeit <strong>und</strong> Internet <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a.<br />

2.2.1. Land<br />

2.2.1.1. Geographie<br />

Das Territorium <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a umfasst 9'571'300 km 2 . Im Vergleich zu europäischen<br />

Verhältnissen entspricht dies e<strong>in</strong>er Fläche von etwa 230 mal <strong>der</strong> Grösse <strong>der</strong><br />

Schweiz mit r<strong>und</strong> 40'000 km 2 , knapp 30 mal <strong>der</strong> Grösse von Deutschland mit etwa<br />

357'000 km 2 o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal ganz Europa. Die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist flächenmässig<br />

e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> grössten Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Welt. Im Südwesten <strong>und</strong> Nordosten bilden hohe Gebirgslandschaften<br />

die Landesgrenzen. Die Wüste Gobi begrenzt das ch<strong>in</strong>esische Territorium<br />

im Norden. Gut e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> Gesamtfläche Ch<strong>in</strong>as besteht aus Gebirgen. E<strong>in</strong><br />

Viertel des Landes s<strong>in</strong>d Hochebenen wie zum Beispiel das tibetische Hochland, welches<br />

Quellgebiet <strong>der</strong> beiden grossen Flüsse Ch<strong>in</strong>as, des Gelben Flusses <strong>und</strong> des<br />

Yangzi, ist. Die restlichen Gebiete bestehen aus Becken, Ebenen <strong>und</strong> Hügellandschaften.<br />

Die klimatischen Bed<strong>in</strong>gungen reichen dementsprechend von trockenem, kalten<br />

Hochlandklima bis zu tropischen Verhältnissen vor allem <strong>in</strong> den südlichen Küstenregionen<br />

(Baratta, 1996; «Ch<strong>in</strong>a Facts & Figures ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).


28 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.2.1.2. Bevölkerung<br />

Die 5. nationale Volkszählung im Jahr 2000 zählt <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a knapp 1,3 Milliarden Menschen.<br />

Dies bedeutet e<strong>in</strong>e Bevölkerungsdichte von ungefähr 135 E<strong>in</strong>wohnern pro km 2<br />

(E<strong>in</strong>w./km 2 ). E<strong>in</strong> Vergleich mit <strong>der</strong> Schweiz <strong>und</strong> Deutschland, wo die Bevölkerungsdichte<br />

ungefähr 175 E<strong>in</strong>w./km 2 beziehungsweise 228 E<strong>in</strong>w./km 2 zählt, lässt sich nur<br />

schlecht anstellen. Denn die Verteilung <strong>der</strong> Bevölkerung <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a ist extrem ungleich.<br />

In den Küstengebieten erreicht die Bevölkerungsdichte bis 320 E<strong>in</strong>w./km 2 , im Landes<strong>in</strong>neren<br />

nur etwa 71 E<strong>in</strong>w./km 2 <strong>und</strong> im Südwesten <strong>und</strong> Norden des Landes zum Teil<br />

nur 11 E<strong>in</strong>w./km 2 . Die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a macht mit etwa 22 Prozent <strong>der</strong> gesamten<br />

Weltbevölkerung gut e<strong>in</strong>en Fünftel <strong>der</strong> Menschheit aus. Die Wachstumsrate <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Bevölkerung liegt im Jahr 2001 bei 8,4 Prozent. Der Anteil <strong>der</strong> männlichen<br />

Bevölkerung Ch<strong>in</strong>as ist im gleichen Jahr mit 51,46 Prozent leicht höher als <strong>der</strong>jenige<br />

<strong>der</strong> weiblichen mit 48,54 Prozent. Die demographische Entwicklung <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Bevölkerung sieht wie folgt aus («Basic Conditions of ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002):<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

1982 1990 1995 1999 2000 2001<br />

0 bis 14 Jahre 15 bis 64 Jahre 65 Jahre <strong>und</strong> älter<br />

Abbildung 6: Demographische Entwicklung von 1982 bis 2001<br />

Die Altersgruppe von 0 bis 14 Jahren ist von 33,6 Prozent im Jahr 1982 auf 22,5<br />

Prozent im Jahr 2001 gesunken. H<strong>in</strong>gegen haben die Altersgruppen von 15 bis 64<br />

Jahren <strong>und</strong> älter zugenommen. Erstere ist von 61,5 Prozent im Jahr 1982 auf 70,4<br />

Prozent im Jahr 2001, letztere von 4,9 Prozent im Jahr 1982 auf 7,1 Prozent im Jahr<br />

2001 angestiegen. Die Entwicklung <strong>der</strong> <strong>St</strong>adt- <strong>und</strong> Landbevölkerung zeigt <strong>in</strong> den<br />

letzten zwei Jahrzehnten e<strong>in</strong> drastischeres Bild. Machte die ch<strong>in</strong>esische Bevölkerung<br />

auf dem Land 1980 noch 80,61 Prozent aus, so s<strong>in</strong>d es im Jahr 2001 noch 62,34<br />

Prozent. Die städtische Bevölkerung zählt im Jahr 2001 bereits 37,66 Prozent (Baratta,<br />

1996; «Ch<strong>in</strong>a Facts & Figures ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Ch<strong>in</strong>a: Zahlen <strong>und</strong> ...», 2001).<br />

Betrachtet man die Bevölkerungsdichte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a, zeigt sich e<strong>in</strong>e<br />

deutlich dichtere Besiedlung <strong>der</strong> Küstengebiete gegenüber kaum bewohnten Regionen<br />

im Südwesten, Westen <strong>und</strong> Norden Ch<strong>in</strong>as. Daran hat sich <strong>in</strong> den vergangenen<br />

70 Jahren wenig geän<strong>der</strong>t. Die Verteilung <strong>der</strong> Wachstumsrate <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 29<br />

Gesamtbevölkerung zeigt das gleiche Bild, wobei e<strong>in</strong> Vergleich <strong>der</strong> Wachstumsraten<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Prov<strong>in</strong>zen fast das Spiegelbild zeigt. Das heisst, die<br />

prozentuale Wachstumsrate <strong>der</strong> Bevölkerung ist <strong>in</strong> den dünn besiedelten Regionen<br />

stärker als <strong>in</strong> den dicht besiedelten Küstengebieten. Da jedoch viel mehr Menschen an<br />

<strong>der</strong> Küsten leben, ist das Bevölkerungswachstum <strong>in</strong>sgesamt an <strong>der</strong> Küste stärker<br />

(Baratta, 1996; «Ch<strong>in</strong>a: Population Density» [Onl<strong>in</strong>e a], 2002; Wang, 2000).<br />

Fast 92 Prozent <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wohner Ch<strong>in</strong>as<br />

gehören <strong>der</strong> grössten ethnischen<br />

Bevölkerungsgruppe, den Han-Ch<strong>in</strong>esen,<br />

an. Die verbleibenden acht<br />

Prozent bestehen aus 55 verschiedenen<br />

Völkern, die vor allem im Süden<br />

<strong>und</strong> Westen des Landes leben<br />

(«Ch<strong>in</strong>a Facts & Figures ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002; «Ch<strong>in</strong>a: Zahlen <strong>und</strong> ...», 2001;<br />

Baratta, 1996).<br />

Bevölkerungsgruppen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a:<br />

Ethnische Gruppen Prozent Millionen<br />

Han-Nationalität 91,9 ~1'190<br />

Zhuang 1,4 ~18<br />

Mandschu 0,8 ~10<br />

Hui (Muslim) 0,8 ~10<br />

Miao 0,7 ~9<br />

Uiguren 0,7 ~7<br />

Yi 0,6 ~8<br />

Tujia 0,5 ~6<br />

Mongolen 0,4 ~5<br />

Tibeter 0,4 ~5<br />

Sonstige: Buyi, Koreaner,<br />

Turkvölker<br />

1,8 ~23<br />

Tabelle 4: Ethnische Gruppen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.2.1.3. Verwaltungse<strong>in</strong>heiten<br />

Die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist <strong>in</strong> 32 Verwaltungse<strong>in</strong>heiten e<strong>in</strong>geteilt («Ch<strong>in</strong>a Facts &<br />

Figures ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Ch<strong>in</strong>a: Zahlen <strong>und</strong> ...», 2001; Liu, 1998; «Lonely Planet<br />

Ch<strong>in</strong>a», 2000; «Schweizer Lexikon», 1998):<br />

Verwaltungse<strong>in</strong>heit<br />

(Hauptstadt)<br />

Fläche <strong>in</strong> E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong><br />

1000 km 2 Mio. (1998)<br />

Verwaltungse<strong>in</strong>heit<br />

(Hauptstadt)<br />

Fläche <strong>in</strong> E<strong>in</strong>wohner <strong>in</strong><br />

1000 km 2 Mio. (1998)<br />

Prov<strong>in</strong>zen:<br />

Anhui (Hefei) 140 59,9 (60,1) Yunnan (Kunm<strong>in</strong>g) 394,0 42,9 (40,4)<br />

Fujian (Fuzhou) 120 34,7 (32,7) Zhejian (Hangzhou) 101,0 46,8 (41,1)<br />

Gansu (Lanzhou) 390 25,6 (24,7)<br />

Guangdong (Guangzhou)<br />

180 86,4 (69,7) <strong>St</strong>adtprov<strong>in</strong>zen:<br />

Beij<strong>in</strong>g (Beij<strong>in</strong>g) 16,8 13,8 (12,6)<br />

Guizhou (Guiyang) 170 35,3 (35,6) Chongq<strong>in</strong>g (Chongq<strong>in</strong>g) 82,3 30,9 (-)<br />

Ha<strong>in</strong>an (Haikou) 34 7,9 (7,3) Shanghai (Shanghai) 6,3 16,7 (14,2)<br />

Hebei (Shijiazhuang) 190 67,4 (64,9) Tianj<strong>in</strong> (Tianj<strong>in</strong>) 11,3 10,0 (9,5)<br />

Heilongjiang (Harb<strong>in</strong>) 460 36,9 (37,3)<br />

Henan (Zhengzhou) 167 92,6 (91,7) Autonome Regionen:<br />

Hubei (Wuhan) 187 60,3 (58,3) Guangxi (Nann<strong>in</strong>g) 236,0 44,9 (45,9)<br />

Hunan (Changsha) 210 64,4 (64,3) Innere Mongolei<br />

1183,0 23,8 (23,1)<br />

Jiangsu (Nanj<strong>in</strong>g)<br />

102 74,4 (71,1) (Huhehaote)<br />

Jiangxi (Nanchang) 166 41,4 (41,1) N<strong>in</strong>gxia (Y<strong>in</strong>chuan) 66,0 5,6 (5,2)<br />

Jil<strong>in</strong> (Changchun) 187 27,3 (26,1) X<strong>in</strong>jiang (Ürüqi) 1600,0 19,3 (16,9)<br />

Liaon<strong>in</strong>g (Shenyang) 146 42,4 (41,0) Xizang (Lhasa) 1220,0 2,6 (2,4)<br />

Q<strong>in</strong>ghai(X<strong>in</strong><strong>in</strong>g) 720 5,2 (4,9)<br />

Shaanxi (Xi’an)<br />

Shandong (J<strong>in</strong>an)<br />

205<br />

153<br />

36,0 (35,4)<br />

90,8 (87,3)<br />

Son<strong>der</strong>verwaltungsregionen:<br />

Shanxi (Taiyuan) 156 33,0 (31,1) Hongkong 1,092 6,8 (6,3)<br />

Sichuan (Chengdu) 480 83,3 (84,3) Macao 0,0235 0,44 (-)<br />

Tabelle 5: Verwaltungse<strong>in</strong>heiten <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a im Jahr 2002


30 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.2.2. Philosophische Traditionsl<strong>in</strong>ien<br />

Ch<strong>in</strong>esisches Bewusstse<strong>in</strong> <strong>und</strong> Verhalten orientieren sich stark an philosophischen<br />

Traditionsl<strong>in</strong>ien. Der E<strong>in</strong>fluss stammt sowohl vom philosophischen Gedankengut des<br />

Konfuzianismus <strong>und</strong> des klassischen Daoismus als auch vom Buddhismus als<br />

religiöser Glaubensrichtung. Diese Drei koexistieren seit Jahrh<strong>und</strong>erten <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Gesellschaft. Deren «friedliche» Koexistenz mag darauf zurückzuführen se<strong>in</strong>,<br />

dass es drei verschiedene Kernpunkte gibt. Für Konfuzianisten ist die Gesellschaft das<br />

Wichtigste, für Daoisten die Beziehung zur Natur <strong>und</strong> für Buddhisten das Absolute im<br />

Jenseits. Es wird kaum versucht, nur das E<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> das An<strong>der</strong>e zu se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> zu praktizieren.<br />

Das heisst, es entspricht dem ch<strong>in</strong>esischen Naturell nicht, sich e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen<br />

«Glaubensrichtung» anzuschliessen, denn es herrscht e<strong>in</strong>e milde Art von Überzeugung.<br />

E<strong>in</strong> wesentliches Merkmal ch<strong>in</strong>esischen Bewusstse<strong>in</strong>s <strong>und</strong> Verhaltens ist, sich<br />

we<strong>der</strong> ausschliesslich als «Konfuzianer», noch als «Daoisten», noch als «Buddhisten»<br />

zu betrachten. E<strong>in</strong> typischer Ch<strong>in</strong>ese bezeichnet sich an fröhlichen Anlässen als Konfuzianer,<br />

<strong>in</strong> schwierigen Situationen als Buddhist <strong>und</strong> Daoist ist er immer. Neben Konfuzianismus,<br />

Daoismus <strong>und</strong> Buddhismus ist die Kenntnis des Katalogs <strong>der</strong> 36 <strong>St</strong>rategeme<br />

e<strong>in</strong> weiterer Schlüssel, <strong>der</strong> dem westlichen Menschen das Tor zum ch<strong>in</strong>esischen<br />

Denken öffnet, denn <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>rategemk<strong>und</strong>e spiegelt sich das<br />

menschliche Verhalten - <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a - schlechth<strong>in</strong> («Brockhaus», 1994; Fahrni, 1999;<br />

Gall, 1997; Hsu, Marsella & DeVos, 1985; Immoos, Gespräch, 1999; «Meyers», 1975;<br />

Senger, 2000).<br />

Exkurs 1: E<strong>in</strong> «Expat»* erzählt<br />

«In <strong>der</strong> Absicht, me<strong>in</strong>e ch<strong>in</strong>esischen Angestellten mit dem neusten <strong>und</strong><br />

mo<strong>der</strong>nsten Pager auszustatten, beauftragte ich me<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e<br />

Ch<strong>in</strong>es<strong>in</strong>, den mir von e<strong>in</strong>er bekannten Firma zur Verfügung gestellten<br />

Pager zu testen. Am Tag darauf kommt sie - normalerweise gut gelaunt<br />

<strong>und</strong> zuverlässig - völlig aufgelöst zur Arbeit. Man hat ihr auf dem Weg<br />

zur Arbeit das Portemonnaie gestohlen. Sie geht zur Polizei <strong>und</strong> meldet<br />

den Vorfall. Doch ihr Portemonnaie kommt nicht wie<strong>der</strong> zum Vorsche<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e Woche später kommt sie wie<strong>der</strong> völlig aufgewühlt zur Arbeit. Der<br />

Pager ist ihr gestohlen worden! Sie wisse genau, sie sei nicht genug oft<br />

im Tempel gewesen, habe nicht genug gebetet, wimmert sie <strong>und</strong> we<strong>in</strong>t.<br />

Ich tröste sie <strong>und</strong> gebe ihr den Auftrag, den Vorfall dem betriebs<strong>in</strong>ternen<br />

Sicherheitsdienst zu melden <strong>und</strong> regle die Angelegenheit mit<br />

<strong>der</strong> Pager-Firma. E<strong>in</strong> paar Monate später, verlässt me<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong><br />

den Betrieb <strong>und</strong> mir wird e<strong>in</strong>e neue Sekretär<strong>in</strong> vermittelt.<br />

E<strong>in</strong>es Tages studiere ich me<strong>in</strong>e Lohnabrechnung des Betriebs <strong>und</strong> sehe,<br />

dass mir e<strong>in</strong> Abzug über den Betrag e<strong>in</strong>es Pagers gemacht wurde.<br />

Ich erk<strong>und</strong>ige mich bei <strong>der</strong> Buchhaltung, worauf mir e<strong>in</strong>e Rechnung <strong>der</strong><br />

Pager-Firma vorgelegt wird, die auf me<strong>in</strong>en Namen lautet. Nachdem<br />

me<strong>in</strong>e ehemalige Sekretär<strong>in</strong> den gestohlenen Pager we<strong>der</strong> dem Betriebssicherheitsdienst<br />

noch <strong>der</strong> Polizei gemeldet hat, muss <strong>der</strong> Pager


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 31<br />

bezahlt werden, <strong>und</strong> zwar von mir?! Wo <strong>der</strong> Pager wirklich ist, weiss<br />

ich bis heute nicht. Dass es e<strong>in</strong> sehr guter Pager se<strong>in</strong> muss, dessen<br />

b<strong>in</strong> ich mir ziemlich sicher.»<br />

(Beij<strong>in</strong>g, 2001: * aus Gründen <strong>der</strong> Diskretion hier anonym)<br />

Dieses Beispiel veranschaulicht die alltägliche Koexistenz <strong>der</strong> genannten philosophischen<br />

Traditionsl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Welt. Es ist zu vermuten, dass die Sekretär<strong>in</strong><br />

anhand e<strong>in</strong>er List versucht hat, e<strong>in</strong> bestimmtes Ziel zu erreichen. Das heisst, sie<br />

gibt an, ihr sei das Portemonnaie gestohlen worden, um die Glaubhaftigkeit e<strong>in</strong>es<br />

weiteren Diebstahls - dem Pager - zu erhöhen. E<strong>in</strong> klassisches Verhalten im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong><br />

<strong>St</strong>rategeme. Im gleichen Atemzug weist sie auf ihren buddhistischen Glauben h<strong>in</strong>.<br />

Konfuzianisch tugendhaft meldet sie den Vorfall dem Sicherheitsdienst - verme<strong>in</strong>tlich,<br />

e<strong>in</strong>e weitere List, die sie näher zu ihrem vermutlichen Ziel, dem Besitz des mo<strong>der</strong>nsten<br />

Pagers, führt.<br />

Für «den Expat» hat dies zur Folge, dass er die entsprechende Zeche zu bezahlen<br />

hat. Als Unerfahrener im ch<strong>in</strong>esischen Umfeld hätte er se<strong>in</strong>e Sekretär<strong>in</strong> kaum von<br />

ihrem Ziel abbr<strong>in</strong>gen können. Wohl aber hätte er vermeiden können, dafür bezahlen<br />

zu müssen, hätte er die Meldung beim Sicherheitsdienst überprüft. E<strong>in</strong> erfahrener<br />

Expat hätte den Pager se<strong>in</strong>er Sekretär<strong>in</strong> höchst wahrsche<strong>in</strong>lich nicht ohne Quittung<br />

<strong>und</strong> Verlustregelung überlassen. Mit an<strong>der</strong>en Worten, um sich im ch<strong>in</strong>esischen Alltag<br />

über Wasser zu halten, tut man gut daran, sich mit den philosophischen Traditionsl<strong>in</strong>ien<br />

vertraut zu machen <strong>und</strong> <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Situation, alles Mögliche <strong>in</strong> Betracht zu ziehen.<br />

2.2.2.1. Konfuzianismus<br />

E<strong>in</strong>ige sehr typische Züge <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft haben ihren Ursprung im<br />

Konfuzianismus. Das Klassendenken, die Familienstruktur <strong>und</strong> das schwer durchschaubare<br />

Beziehungsgeflecht unter den Ch<strong>in</strong>esen s<strong>in</strong>d unter an<strong>der</strong>em auf die Lehren<br />

des vorchristlichen Philosophen Konfuzius zurückzuführen (Chen, 1998).<br />

Konfuzius lebte von 551 bis 479 vor Christus. Im Alter von drei Jahren verliert er<br />

se<strong>in</strong>en Vater. Se<strong>in</strong>e Mutter verlässt mit dem kle<strong>in</strong>en Jungen die Familie <strong>und</strong> lebt <strong>in</strong><br />

grosser Armut. Mit 17 Jahren verliert Konfuzius auch se<strong>in</strong>e Mutter. Um se<strong>in</strong> tägliches<br />

Brot zu verdienen, geht er Arbeiten nach, die sehr verachtet werden. Doch die Armut<br />

bricht se<strong>in</strong>en Willen nicht. Er beschliesst, sich Wissen anzueignen <strong>und</strong> sich emporzuarbeiten.<br />

In se<strong>in</strong>er Heimat, dem <strong>St</strong>adtstaat Lu <strong>der</strong> heutigen Prov<strong>in</strong>z Shandong (südlich<br />

von Beij<strong>in</strong>g), ist er Beamter, bis er verbannt wird <strong>und</strong> erst nach langen Wan<strong>der</strong>ungen<br />

wie<strong>der</strong> zurückkehrt. Nach se<strong>in</strong>er Rückkehr versammelt er viele Schüler um sich <strong>und</strong><br />

trägt philosophische <strong>und</strong> moralische Ideen vor. Er lehrt, dass man durch rechtes Verhalten,<br />

die Harmonie mit <strong>der</strong> ewigen Weltordnung erreichen kann. Dieses Verhalten<br />

besteht se<strong>in</strong>er Überzeugung nach <strong>in</strong> <strong>der</strong> Treue gegenüber sich selbst <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Selbstlosigkeit, Menschlichkeit, Rechtschaffenheit, Sittlichkeit, Weisheit <strong>und</strong> Aufrichtigkeit.<br />

Se<strong>in</strong>e Weisheiten werden <strong>in</strong> den vier Büchern se<strong>in</strong>er Jünger (Unterredungen,<br />

Grosse Lehre, Rechte Mitte <strong>und</strong> Weg des Himmels) festgehalten <strong>und</strong> überliefert.<br />

Er selbst hat ke<strong>in</strong>e Schriften h<strong>in</strong>terlassen («Konfuzius <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e ...», 1995; «Brockhaus»,<br />

1994; «Meyers», 1975).


32 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Konfuzius hat sich e<strong>in</strong>gehend mit <strong>der</strong> <strong>Erziehung</strong> des Individuums beschäftigt, ohne je<br />

von Individualität zu sprechen. Die Quelle <strong>der</strong> Moral liegt nach konfuzianischer Auffassung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Achtung <strong>und</strong> dem Respekt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des vor se<strong>in</strong>en Eltern, das heisst <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie vor se<strong>in</strong>em Vater, denn die Mutter steht traditionell im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong>. Die<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Familie als Geme<strong>in</strong>schaft ist sehr hoch zu werten. E<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf,<br />

dass sich Mitglie<strong>der</strong> konfuzianisch geprägter Gesellschaften stärker an Gruppen <strong>und</strong><br />

dem Kollektiv orientieren, als dass sie auf <strong>in</strong>dividueller Basis handeln würden. Moral<br />

<strong>und</strong> Gerechtigkeit gegenüber <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit im Diesseits ist Kern <strong>der</strong> Lehre. Der<br />

Glaube an das Jenseits ist ke<strong>in</strong> Thema. Es gilt, den gesellschaftlich höher Gestellten<br />

<strong>und</strong> den Älteren Respekt <strong>und</strong> Ehre zu zollen («Kodansha», 1983; Mak, 2001).<br />

Konfuzianismus ist jedoch nicht ausschliesslich auf Konfuzius zurückzuführen. Se<strong>in</strong>e<br />

Schüler <strong>und</strong> Nachfolger Menzius (372 bis 289 vor Christus) <strong>und</strong> Xünzi (298 bis 233<br />

vor Christus) bee<strong>in</strong>flussen <strong>und</strong> entwickeln die Lehren von Konfuzius weiter. Die konfuzianische<br />

Doktr<strong>in</strong> wird im alten Ch<strong>in</strong>a zur orthodoxen Ideologie <strong>der</strong> herrschenden<br />

Gesellschaftselite, dem Mandar<strong>in</strong>at <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsbürokratie. In diesem S<strong>in</strong>ne ist <strong>der</strong><br />

Konfuzianismus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ganzen Komplexität eng mit <strong>der</strong> politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Ordnung Ch<strong>in</strong>as verknüpft. Gleichzeitig ist er das geistige F<strong>und</strong>ament für den<br />

typischen ch<strong>in</strong>esischen Familienalltag - heute aktuell wie eh <strong>und</strong> je (Chen, 1998; «Kodansha»,<br />

1983).<br />

2.2.2.2. Daoismus<br />

Der Daoismus ist das zweite wichtige Gedankensystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Kulturgeschichte.<br />

Es handelt sich um e<strong>in</strong>e Art geistige Variante des Konfuzianismus. Für jene<br />

Konfuzianer, die <strong>der</strong> gesellschaftlichen Zwänge überdrüssig s<strong>in</strong>d, bietet <strong>der</strong> Daoismus<br />

e<strong>in</strong>e Rückzugsmöglichkeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e mystische Komponente <strong>der</strong> vom Konfuzianismus<br />

geprägten Kultur <strong>der</strong> Gelehrtenelite. Die Philosophie des Daoismus predigt die Abkehr<br />

von <strong>der</strong> Zivilisation <strong>und</strong> Rückkehr zur Natur, um so mit dem Dao («kosmische Spontaneität»)<br />

<strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu kommen. In E<strong>in</strong>klang mit dem Dao wird das Ziel, <strong>in</strong> Harmonie<br />

zu leben, erreicht. Menschliche Aktivitäten verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n das Durchdr<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> angestrebten<br />

Harmonie. «Nicht-Tun», wahrgenommen als Wirkung des Dao, ist geeignet,<br />

Abweichungen vom Dao zu vermeiden <strong>und</strong> gilt seit jeher als Vorbild <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsführung.<br />

Die unmittelbare <strong>und</strong> universelle Erkenntnis des Dao kann nur durch vollkommene<br />

<strong>in</strong>nere Ruhe <strong>und</strong> Leidenschaftslosigkeit erlangt werden. Daoisten wie Konfuzianer<br />

streben nach e<strong>in</strong>er diesseitigen Harmonie; das Jenseits wird nicht thematisiert. Im<br />

Gegensatz zum Konfuzianismus tritt <strong>der</strong> Daoismus jedoch für die Selbständigkeit <strong>und</strong><br />

Individualität des Menschen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft e<strong>in</strong> (Gernet, 1988; Huang,<br />

1996; Mak, 2001; R<strong>in</strong>k, 1994; Weggel, 1997a).<br />

2.2.2.3. Buddhismus<br />

Der Buddhismus ist direkt vom Ursprungsland Indien nach Ch<strong>in</strong>a gelangt. In se<strong>in</strong>er<br />

Lehre ist <strong>der</strong> Buddhismus wesentlich praxisnaher als <strong>der</strong> Konfuzianismus <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Daoismus. Der buddhistische Leitgedanke ist, dass Leben Leiden bedeutet. Durch das<br />

E<strong>in</strong>gehen <strong>in</strong>s Nichts, <strong>in</strong>s Absolute, <strong>in</strong>s Nirwana, wird man von diesem Leiden erlöst.


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 33<br />

Um dorth<strong>in</strong> zu gelangen, muss e<strong>in</strong> Wesen <strong>in</strong> allen möglichen Re<strong>in</strong>karnationen (Übergang<br />

<strong>der</strong> Seele e<strong>in</strong>es Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en neuen Körper <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e neue Existenz) wie<strong>der</strong>geboren<br />

werden. Jedoch nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Re<strong>in</strong>karnation als Mensch ist es möglich, die<br />

Erleuchtung zu f<strong>in</strong>den, die den Weg <strong>in</strong>s Nirwana weist. Der Buddhismus ist e<strong>in</strong>e sehr<br />

volksnahe Lehre. Die Rituale lassen sich gut <strong>in</strong> jede Art von Alltag <strong>in</strong>tegrieren. Für<br />

alles, was geschieht, gibt es e<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong>. In jedem Leben gilt das Pr<strong>in</strong>zip von Ursache<br />

<strong>und</strong> Wirkung, genannt Karma. E<strong>in</strong> «gutes Leben» führt zu e<strong>in</strong>em «guten Tod» <strong>und</strong><br />

damit zu e<strong>in</strong>er glücklichen Wie<strong>der</strong>geburt. E<strong>in</strong> «guter Tod» bedeutet natürliches <strong>St</strong>erben<br />

<strong>in</strong> hohem Alter, ohne Schmerz <strong>und</strong> ohne Mühe (Chen 1998, Drosdowski, Müller,<br />

Scholze-<strong>St</strong>ubenrecht & Wermke, 1990; Mak 2001).<br />

In Ch<strong>in</strong>a etablierte sich <strong>der</strong> Buddhismus demzufolge nicht als «neue orthodoxe Religion<br />

<strong>der</strong> herrschenden Klasse», son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong> volkstümliches Glaubensbekenntnis.<br />

Der Buddhismus unterscheidet sich im alltäglichen Ersche<strong>in</strong>ungsbild <strong>in</strong>sofern vom<br />

Konfuzianismus <strong>und</strong> Daoismus, als er «sichtbarer» ist. Buddhistische Tempel s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

ganz Ch<strong>in</strong>a zu f<strong>in</strong>den. Auch wenn die Mönche heute zum Teil nur noch für den Unterhalt<br />

<strong>der</strong> religiösen Bauten zuständig s<strong>in</strong>d, so s<strong>in</strong>d sie doch Zeugen e<strong>in</strong>er praktizierten<br />

Religion. Vere<strong>in</strong>zelt f<strong>in</strong>det man auch daoistische o<strong>der</strong> konfuzianistische Tempel <strong>in</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a (R<strong>in</strong>k, 1994).<br />

2.2.2.4. <strong>St</strong>rategeme<br />

Die 36 <strong>St</strong>rategeme <strong>der</strong> Ch<strong>in</strong>esen wurden <strong>in</strong> ihrer Gesamtheit lange als Geheimwissen<br />

gehütet <strong>und</strong> erst kürzlich im Westen erstmals vorgestellt. Es handelt sich um e<strong>in</strong>en<br />

Katalog von Überlistungstechniken, die das Denken <strong>und</strong> Handeln im politischen, geschäftlichen<br />

<strong>und</strong> privaten Leben <strong>der</strong> Menschen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a bee<strong>in</strong>flusst. Fast allen Ch<strong>in</strong>esen<br />

s<strong>in</strong>d die <strong>St</strong>rategeme aufgr<strong>und</strong> klassischer Novellen <strong>und</strong> Volksliteratur vertraut.<br />

Nachdem auch <strong>in</strong> den Schulbüchern e<strong>in</strong>e Auflistung <strong>der</strong> 36 <strong>St</strong>rategeme zu f<strong>in</strong>den ist,<br />

kann davon ausgegangen werden, dass diese heutzutage zum Allgeme<strong>in</strong>wissen von<br />

Mittelschülern gehören. Sei es <strong>in</strong> Massenmedien, <strong>in</strong>nenpolitischen Reportagen <strong>und</strong><br />

Kommentaren o<strong>der</strong> aussenpolitischen Analysen, überall können im heutigen Ch<strong>in</strong>a<br />

Elemente des <strong>St</strong>rategem-Denkens entdeckt werden. Der ganze Katalog <strong>der</strong> 36 <strong>St</strong>rategeme<br />

besteht aus nicht mehr als 138 ch<strong>in</strong>esischen Schriftzeichen, das heisst drei<br />

bis vier Schriftzeichen pro <strong>St</strong>rategem. Diese sprachliche Kargheit lässt viel Raum zur<br />

Interpretation. Die 36 <strong>St</strong>rategeme lauten (Heilmann, 2000; Senger, 2000):<br />

Nr. 1 Den Kaiser täuschen <strong>und</strong> das Meer überqueren<br />

Nr. 2 Wei belagern, um Zhao zu retten<br />

Nr. 3 Mit dem Messer e<strong>in</strong>es An<strong>der</strong>en töten<br />

Nr. 4 Ausgeruht den erschöpften Fe<strong>in</strong>d erwarten<br />

Nr. 5 E<strong>in</strong>e Feuersbrunst für e<strong>in</strong>en Raub ausnützen<br />

Nr. 6 Im Osten lärmen, im Westen angreifen<br />

Nr. 7 Aus e<strong>in</strong>em Nichts etwas erzeugen<br />

Nr. 8 Sichtbar die Holzstege wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>stand setzen, heimlich nach Chencang<br />

marschieren<br />

Nr. 9 Das Feuer am gegenüberliegenden Ufer beobachten<br />

Nr. 10 H<strong>in</strong>ter dem Lächeln den Dolch verbergen


34 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Nr. 11 Der Pflaumenbaum verdorrt anstelle des Pfirsichbaums<br />

Nr. 12 Mit leichter Hand das Schaf wegführen<br />

Nr. 13 Auf das Gras schlagen, um die Schlange aufzuscheuchen<br />

Nr. 14 Für die Rückkehr <strong>der</strong> Seele e<strong>in</strong>en Leichnam ausleihen<br />

Nr. 15 Den Tiger vom Berg <strong>in</strong> die Ebene locken<br />

Nr. 16 Will man etwas fangen, muss man es zunächst loslassen<br />

Nr. 17 E<strong>in</strong>en Backste<strong>in</strong> h<strong>in</strong>werfen, um e<strong>in</strong>en Jadeste<strong>in</strong> zu erlangen<br />

Nr. 18 Will man e<strong>in</strong>e Räuberbande unschädlich machen, muss man zuerst Ihren<br />

Anführer fangen<br />

Nr. 19 Unter dem Kessel das Brennholz wegziehen<br />

Nr. 20 Im getrübten Wasser fischen<br />

Nr. 21 Die Zikade entschlüpft ihrer goldglänzenden Hülle<br />

Nr. 22 Die Tür schliessen <strong>und</strong> den Dieb fangen<br />

Nr. 23 Sich mit dem fernen Fe<strong>in</strong>d verbünden, um den nahen Fe<strong>in</strong>d anzugreifen<br />

Nr. 24 E<strong>in</strong>en Weg durch den <strong>St</strong>aat Yu für e<strong>in</strong>en Angriff auf Guo ausleihen<br />

Nr. 25 Die Tragbalken stehlen <strong>und</strong> die <strong>St</strong>ützpfosten auswechseln<br />

Nr. 26 Die Akazie schelten, dabei aber auf den Maulbeerbaum zeigen<br />

Nr. 27 Den Tölpel spielen, ohne den Kopf zu verlieren<br />

Nr. 28 Auf das Dach locken <strong>und</strong> dann die Leiter wegziehen<br />

Nr. 29 Auf e<strong>in</strong>em Baum Blumen blühen lassen<br />

Nr. 30 Die Rolle des Gastes <strong>in</strong> die des Gastgebers umkehren<br />

Nr. 31 Das <strong>St</strong>rategem <strong>der</strong> schönen Frau<br />

Nr. 32 Das <strong>St</strong>rategem <strong>der</strong> leeren <strong>St</strong>adt<br />

Nr. 33 Das Geheimagenten-<strong>St</strong>rategem / Das <strong>St</strong>rategem des Zwietrachtsäens<br />

Nr. 34 Das <strong>St</strong>rategem <strong>der</strong> Selbstverletzung<br />

Nr. 35 Das Ketten-<strong>St</strong>rategem<br />

Nr. 36 Weglaufen ist das Beste<br />

Aus den Überschriften <strong>der</strong> 36 <strong>St</strong>rategeme lassen sich die <strong>in</strong> den Texten beschriebenen<br />

Überlistungstechniken erahnen. Diese Techniken prägen auch alltägliche Denk<strong>und</strong><br />

Handlungsmuster <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft. So f<strong>in</strong>den sich die 36 <strong>St</strong>rategeme<br />

nicht nur <strong>in</strong> Lehrbüchern wie<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n gehören zum <strong>Bildung</strong>salltag von <strong>St</strong>udierenden<br />

<strong>und</strong> Lehrenden. Sei es, um e<strong>in</strong>e Prüfung zu bestehen, das gewünschte Zimmer<br />

an e<strong>in</strong>er <strong>Universität</strong> zu bewohnen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Lehrauftrag zu erhalten, um nur<br />

e<strong>in</strong>ige mögliche Anwendungsbeispiele zu nennen. In den folgenden Abschnitten werden<br />

weitere Denk-, Handlungs- <strong>und</strong> Verhaltensmuster, welche die ch<strong>in</strong>esische Gesellschaft<br />

prägen, ausgeführt.<br />

2.2.3. Beispiele aus dem heutigen Ch<strong>in</strong>a<br />

2.2.3.1. Bräuche<br />

Aus den Jahrtausende alten Traditionen Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus <strong>und</strong><br />

den <strong>St</strong>rategemen ergibt sich e<strong>in</strong>e Reihe volkstümlicher Bräuche, die im mo<strong>der</strong>nen<br />

Ch<strong>in</strong>a genauso gelebt werden wie im Altertum. Der Glaube an das Schicksal, dem<br />

man machtlos gegenüber steht <strong>und</strong> das es zu akzeptieren gilt, äussert sich <strong>in</strong> manchen<br />

Situationen des ch<strong>in</strong>esischen Alltags <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ansche<strong>in</strong>end wi<strong>der</strong>spruchslosen


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 35<br />

Gehorsam beziehungsweise e<strong>in</strong>er Art Passivität <strong>der</strong> Beteiligten. Viele Ch<strong>in</strong>esen suchen<br />

aus diesem Gr<strong>und</strong> Wahrsager auf, was nicht selten als abergläubisch abgetan<br />

wird. Auch das Verehren von Vorfahren, e<strong>in</strong> gewisser Ahnenkult, ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Gesellschaft nach wie vor sehr verbreitet. Dies zeigt sich erstens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Überzeugung,<br />

dass die heute Lebenden sowohl ihr Wohl als auch ihr Leid mit ihren Vorfahren<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung br<strong>in</strong>gen. Zweitens glaubt man, dass die Ahnen ähnliche Bedürfnisse<br />

wie die Lebenden hegen <strong>und</strong> drittens, dass Diejenigen im Jenseits den Diesseitigen<br />

helfen <strong>und</strong> umgekehrt. Das im Westen seit Jahren sensationell gut vermarktete<br />

Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Geomantie (die Kunst, aus L<strong>in</strong>ien <strong>und</strong> Figuren im Sand wahrzusagen<br />

(Drosdowski, Müller, Scholze-<strong>St</strong>ubenrecht & Wermke, 1990)), das Feng Shui, wird<br />

auch im mo<strong>der</strong>nen Ch<strong>in</strong>a sehr ernst genommen. Feng Shui Experten werden beim<br />

Bauen, bei <strong>der</strong> Auswahl von Geschäftspartnern, bei Bestattungen <strong>und</strong> vielem mehr zu<br />

Rate gezogen. Es handelt sich um e<strong>in</strong>e Art ch<strong>in</strong>esische «Wissenschaft», die Anleitungen<br />

vermittelt, wie man <strong>in</strong> Harmonie mit se<strong>in</strong>er persönlichen Umgebung leben <strong>und</strong><br />

sich e<strong>in</strong>es beständigen Glücks sicher se<strong>in</strong> kann. Und nicht zuletzt glauben viele Ch<strong>in</strong>esen<br />

auch heute noch an Gottheiten unterschiedlichster Art. Sie alle werden auf<br />

irgende<strong>in</strong>e Weise angebetet, um Rat gefragt <strong>und</strong> <strong>in</strong> phantasievollsten Formen bei<br />

Laune gehalten (Chen 1998; Mak, 2001; Weggel, 1997a; Too, 2000).<br />

Exkurs 2: Aberglaube <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

«Wenn es dunkel wird <strong>in</strong> Guangzhou (Prov<strong>in</strong>z Guangdong), kommt <strong>der</strong><br />

gebeugte Greis mit se<strong>in</strong>em Klapphocker, hängt e<strong>in</strong>e rote Papierlaterne<br />

mit magischen Zeichen <strong>in</strong> den <strong>St</strong>rassenbaum <strong>und</strong> bietet se<strong>in</strong>e hellseherischen<br />

Kräfte an. An guten Tagen ist er eng umr<strong>in</strong>gt von K<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

Neugierigen. Es s<strong>in</strong>d vor allem Alte <strong>und</strong> Jungverliebte, die hören wollen,<br />

wie es mit ihrer Zukunft aussieht. Ob ihnen e<strong>in</strong> langes Leben beschieden<br />

ist, ob Krankheiten o<strong>der</strong> Wohlstand <strong>in</strong>s Haus stehen o<strong>der</strong> wie es<br />

mit <strong>der</strong> Beziehung weitergeht. In den späten Abendst<strong>und</strong>en f<strong>in</strong>den sich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gasse unweit des Bahnhofs zuweilen zwei Dutzend Weise e<strong>in</strong>,<br />

die sich vom Wahrsagen ernähren. E<strong>in</strong> «Meister», <strong>der</strong> schon hoch <strong>in</strong><br />

den Siebzigern ist, lässt sich die Handfläche e<strong>in</strong>es betucht wirkenden<br />

Geschäftsmannes zeigen <strong>und</strong> orakelt tiefs<strong>in</strong>nig drauflos, bis ihn das<br />

Handy se<strong>in</strong>es K<strong>und</strong>en aufschreckt. ...» (Mann, 1999).<br />

2.2.3.2. Freizeit<br />

Der Alltag <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a ist nicht mit dem gesellschaftlichen Alltag <strong>in</strong> westlichen Industrielän<strong>der</strong>n<br />

zu vergleichen. Freizeit ist e<strong>in</strong>e typisch westliche Ersche<strong>in</strong>ung, welche durch<br />

die Trennung von Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsplatz entstanden ist. In Ch<strong>in</strong>a hat diese Entwicklung<br />

<strong>in</strong> den grossen <strong>St</strong>ädten erst begonnen. Auf dem Lande ist man noch weit davon<br />

entfernt. «Durchschnittsch<strong>in</strong>esen» verbr<strong>in</strong>gen ihre Freizeit <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit ihrer<br />

Familie. Ansonsten s<strong>in</strong>d sportliche Aktivitäten <strong>in</strong> Gruppen am weitesten verbreitet. So<br />

ertüchtigen sich vor allem ältere Menschen <strong>in</strong> frühen Morgenst<strong>und</strong>en mit «Schattenboxen»<br />

<strong>und</strong> tagsüber mit Fahrradfahren. Die jüngere Generation bevorzugt Sportarten<br />

wie Tischtennis, Korbball, Volleyball o<strong>der</strong> Fussball. Schwimmen können die<br />

wenigsten Ch<strong>in</strong>esen. Hauptvergnügen im heutigen Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d vor allem das gesellige


36 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Beisammense<strong>in</strong>, geme<strong>in</strong>sames Essen, Plau<strong>der</strong>n, E<strong>in</strong>kaufen auf Märkten <strong>und</strong> sich<br />

Aufhalten im Grünen, das heisst <strong>in</strong> Gärten zu verweilen. In Park- <strong>und</strong> Gartenanlagen<br />

wird das Bild von Männern mit S<strong>in</strong>gvogelkäfigen, menschengrossen Riesenp<strong>in</strong>seln<br />

<strong>und</strong> Brettspielen geprägt. Brettspiele wie das ch<strong>in</strong>esische Schach o<strong>der</strong> Majiang (dom<strong>in</strong>oähnliches<br />

Spiel) s<strong>in</strong>d sehr beliebt. Die riesigen P<strong>in</strong>sel netzen die Ch<strong>in</strong>esen mit Wasser,<br />

um dann ch<strong>in</strong>esische Schriftzeichen auf dem Boden zu üben, denn e<strong>in</strong> guter Kalligraph<br />

zu se<strong>in</strong>, ist auch heute noch erstrebenswert. S<strong>in</strong>gen können nicht nur die Vögel<br />

w<strong>und</strong>erschön. Viele Ch<strong>in</strong>esen s<strong>in</strong>gen sehr gut. Die ältere Generation s<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> Chören<br />

traditionelle Lie<strong>der</strong> <strong>und</strong> die Jüngeren vergnügen sich mit Karaoke. Reisen ist e<strong>in</strong> Vergnügen,<br />

dass sich viele Ch<strong>in</strong>esen nicht leisten können. Ist e<strong>in</strong>e Reise trotz allem notwendig,<br />

so werden oftmals viele <strong>St</strong>rapazen <strong>in</strong> Kauf genommen. Bahnreisen von 20 bis<br />

30 <strong>St</strong><strong>und</strong>en auf e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Holzsitz <strong>in</strong> voll besetzten Wagen s<strong>in</strong>d nichts ungewöhnliches<br />

(Chen, 1998; Weggel, 1997; Weggel, 1994).<br />

2.2.3.3. Internet<br />

Das Zeitalter von Computernetzwerken, E-Mail <strong>und</strong> Internet begann <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a relativ<br />

spät. Der heutige Entwicklungsstand des Internet ist im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich immer<br />

noch bescheiden. Dies ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf den im Durchschnitt relativ niedrigen<br />

Lebensstandard <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung zurückzuführen. Im Vergleich zu den<br />

Anfängen vor wenigen Jahren, erfuhr das Internet <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e fast explosionsartige<br />

Entwicklung. Ch<strong>in</strong>a belegt nicht nur bee<strong>in</strong>druckende Wachstumsraten im<br />

Internetbereich, son<strong>der</strong>n platzierte sich bereits 1998 mit <strong>der</strong> absoluten Zahl <strong>der</strong> Internetbenutzer<br />

im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich unter den ersten fünfzehn Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt.<br />

Und dies obwohl nur etwa e<strong>in</strong> Prozent <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung das Internet<br />

benutzte. E<strong>in</strong> Prozent s<strong>in</strong>d immerh<strong>in</strong> ungefähr 13 Millionen Menschen, das heisst<br />

annähernd zweimal die gesamte Schweizer Bevölkerung. Heute zählt die <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a r<strong>und</strong> 50 Millionen Internetbenutzer. Bis <strong>in</strong> wenigen Jahren wird erwartet, dass<br />

Ch<strong>in</strong>as Bevölkerung «Onl<strong>in</strong>e» weltweit den ersten Rang belegt. E<strong>in</strong>e Untersuchung<br />

vom Dezember 1999 zeigt, dass das Internet am häufigsten für E-Mail genutzt wird.<br />

Am zweit häufigsten werden Suchmasch<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>gesetzt. Die Benutzer s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie junge städtische Berufstätige männlichen Geschlechts mit überdurchschnittlichem<br />

E<strong>in</strong>kommen. Die geographische Verteilung <strong>der</strong> Internetbenutzer konzentriert<br />

sich auf die städtischen Metropolen Beij<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Shanghai sowie die Prov<strong>in</strong>z Guangdong.<br />

Diese Verteilung wi<strong>der</strong>spiegelt den hohen Entwicklungsstand <strong>der</strong> Küstenregionen<br />

im Gegensatz zu den weniger entwickelten Regionen <strong>in</strong> den zentralen <strong>und</strong> peripheren<br />

Landesteilen im Südwesten, Westen <strong>und</strong> Norden Ch<strong>in</strong>as («The Future of ...»<br />

[Onl<strong>in</strong>e], 2002; Wacker, 2000; «Neue Mauer im ...», 2002).<br />

Die Beispiele Bräuche, Freizeit <strong>und</strong> Internet lassen unter Berücksichtigung <strong>der</strong> philosophischen<br />

Traditionsl<strong>in</strong>ien erahnen, wie komplex die ch<strong>in</strong>esische Gesellschaft ist.<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a entziehen sich dieser gesellschaftlichen<br />

Komplexität <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>ster Weise. Die vorliegende Dissertation ist <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne<br />

e<strong>in</strong> Versuch, <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> im Lichte <strong>der</strong> philosophischen Traditionsl<strong>in</strong>ien <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Gesellschaft im heutigen Ch<strong>in</strong>a zu betrachten (vergleiche Teil II: 2.1.2.).


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 37<br />

2.3. <strong>St</strong>aats- <strong>und</strong> Parteiapparat<br />

Am 27. September 1949 legt die erste Plenartagung des ersten Landeskomitees <strong>der</strong><br />

Politischen Konsultativkonferenz des ch<strong>in</strong>esischen Volkes die rote Fahne mit den fünf<br />

gelben <strong>St</strong>ernen als <strong>St</strong>aatsflagge <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a fest. Der grosse gelbe <strong>St</strong>ern<br />

symbolisiert die Partei, die vier kle<strong>in</strong>en das Volk im neuen Ch<strong>in</strong>a. Die rote Farbe steht<br />

für die Revolution. Gelb bedeutet das Licht. Vier Tage später, am 1. Oktober 1949, ruft<br />

Mao Zedong <strong>in</strong> <strong>der</strong> neuen Hauptstadt Beij<strong>in</strong>g die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a aus. Wie sich<br />

<strong>der</strong> Aufbau <strong>und</strong> die <strong>St</strong>ruktur dieses neuen <strong>St</strong>aats <strong>und</strong> <strong>der</strong> Partei 55 Jahre später<br />

darstellen, wird <strong>in</strong> den folgenden Abschnitten ausgeführt («Ch<strong>in</strong>a: Zahlen <strong>und</strong> ...»,<br />

2001).<br />

2.3.1. Aufbau<br />

In kommunistischen Regierungssystemen s<strong>in</strong>d Partei <strong>und</strong> <strong>St</strong>aat meistens kaum zu<br />

unterscheiden. Abbildung 7 zeigt das aktuelle politisch-adm<strong>in</strong>istrative System <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die Partei stellt be<strong>in</strong>ahe ausnahmslos das Personal für Führungspositionen<br />

<strong>in</strong> Regierungs- <strong>und</strong> Verwaltungsorganen, wobei die Regierungsorgane<br />

<strong>in</strong> ihren Entscheidungskompetenzen nicht autonom, son<strong>der</strong>n den Parteikomitees<br />

untergeordnet s<strong>in</strong>d. Das heisst, Parteikomitees verfügen <strong>in</strong> strittigen <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Fragen nach wie vor über Vetorecht <strong>und</strong> Weisungsbefugnis gegenüber Regierung<br />

<strong>und</strong> Verwaltung (Heilmann, 2004:)<br />

PARTEI<br />

STAAT<br />

Weisungsautorität<br />

Wahl<br />

Politbüro<br />

<strong>St</strong>ändiger Ausschuss<br />

Zentralkomitee (ZK)<br />

ZK-Sekretariat<br />

ZK-Abteilungen<br />

Zentrale<br />

Militärkommission<br />

<strong>St</strong>aatsrat<br />

Kommissionen<br />

M<strong>in</strong>isterien<br />

<strong>St</strong>aatspräsident<br />

Nationaler<br />

Volkskongress<br />

<strong>St</strong>ändiger Ausschuss<br />

Prov<strong>in</strong>zparteikomitee<br />

Prov<strong>in</strong>zregierung<br />

Prov<strong>in</strong>zvolkskongress<br />

<strong>St</strong>adtparteikomitee<br />

Bezirksparteikomitee<br />

<strong>St</strong>adtregierung<br />

Bezirksregierung<br />

<strong>St</strong>adtvolkskongress<br />

Bezirksvolkskongress *<br />

Kreisparteikomitee<br />

Kreisregierung<br />

Kreisvolkskongress<br />

Geme<strong>in</strong>departeikomitee<br />

Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>egierung<br />

Geme<strong>in</strong>devolkskongress<br />

Dorfparteizelle/-komitee<br />

Dorfkomitee<br />

Wahlbevölkerung<br />

* nur <strong>in</strong> «Autonomen<br />

Bezirken»<br />

ethnischer<br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten<br />

Abbildung 7: Politisch-adm<strong>in</strong>istratives System <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a


38 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Laut offiziellen Quellen ist <strong>der</strong> Nationale Volkskongress das höchste Organ <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

<strong>St</strong>aatsmacht. Dem Nationalen Volkskongress obliegt eigentlich die gesetzgebende<br />

Macht (Legislative). Der <strong>St</strong>aatspräsident ist das <strong>St</strong>aatsoberhaupt <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> damit <strong>der</strong> höchste Vertreter Ch<strong>in</strong>as nach <strong>in</strong>nen <strong>und</strong> nach aussen.<br />

Dem <strong>St</strong>aatsrat untersteht die <strong>St</strong>aatsverwaltung. Unter an<strong>der</strong>en gehören dem <strong>St</strong>aatsrat<br />

<strong>der</strong> M<strong>in</strong>isterpräsident, die Organe <strong>der</strong> M<strong>in</strong>isterien (M<strong>in</strong>ister) <strong>und</strong> die Kommissionen an.<br />

Der M<strong>in</strong>isterpräsident trägt die volle Verantwortung für den <strong>St</strong>aatsrat. Der <strong>St</strong>aatsrat<br />

führt die Politik <strong>der</strong> Partei <strong>und</strong> die Erlasse des Nationalen Volkskongresses aus (Exekutive).<br />

Die Zentrale Militärkommission ist das höchste militärische Führungsorgan<br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a, wobei <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>fluss weit über die re<strong>in</strong> militärische Funktion<br />

h<strong>in</strong>aus geht, so dass sie auch als eigentliches Machtzentrum bezeichnet wird. Das<br />

Oberste Volksgericht <strong>und</strong> die Volksstaatsanwaltschaft bilden das höchste Rechtsprechungsorgan<br />

Ch<strong>in</strong>as (Judikative). Trotz dieser formellen Gewaltenteilung funktioniert<br />

<strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsapparat <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a nicht nach dem Pr<strong>in</strong>zip von «Checks and<br />

Balances» (Baratta, 1997; «Ch<strong>in</strong>a: Zahlen <strong>und</strong> ...», 2001; Seitz, 2000; <strong>St</strong>arr, 2001).<br />

2.3.1.1. Verfassung<br />

Seit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist die geltende Verfassung 1982 zum<br />

letzten Mal erneuert worden. Ergänzungen wurden 1988, 1993 <strong>und</strong> 1999 verabschiedet.<br />

In <strong>der</strong> Verfassung wird Ch<strong>in</strong>a als «sozialistischer <strong>St</strong>aat <strong>der</strong> Diktatur des Proletariats»<br />

def<strong>in</strong>iert. Diktatur des Proletariats bedeutet Diktatur über die Fe<strong>in</strong>de des Volkes.<br />

Das Volk besteht aus Arbeitern, Bauern, Intellektuellen <strong>und</strong> allen Patrioten, die den<br />

Sozialismus befürworten. Die ideologische Gr<strong>und</strong>lage dieser Verfassung bildet <strong>der</strong><br />

Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus <strong>in</strong> Ergänzung zu den von Mao Zedong als politische <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />

Richtl<strong>in</strong>ie festgelegten Gr<strong>und</strong>sätzen. Die Verfassung glie<strong>der</strong>t sich folgende<br />

Abschnitte («Ch<strong>in</strong>a’s Political System» [Onl<strong>in</strong>e a], 2002; Heilmann, 2004; Q<strong>in</strong>, 1995;<br />

R<strong>in</strong>k, 1994):<br />

• Präambel<br />

• Allgeme<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>sätze<br />

• Gr<strong>und</strong>legende Rechte<br />

<strong>und</strong> Pflichten <strong>der</strong> Bürger<br />

• <strong>St</strong>ruktur des <strong>St</strong>aats<br />

• <strong>St</strong>aatsflagge<br />

• <strong>St</strong>aatsemblem<br />

• Hauptstadt<br />

Die Rechte <strong>der</strong> Bürger be<strong>in</strong>halten:<br />

• Wahl- <strong>und</strong> Abstimmungsrecht<br />

• Rede-, Press-, Versammlungs-, Vere<strong>in</strong>s-, Prozessions- <strong>und</strong><br />

Demonstrationsrecht<br />

• Religions- <strong>und</strong> Glaubensfreiheit<br />

• Persönliche Freiheit, Würde <strong>und</strong> Unverletzbarkeit des<br />

eigenen Heims<br />

• Freies <strong>und</strong> gesetzlich geschütztes Privatleben<br />

• Recht auf Kritik <strong>und</strong> Verbesserungsvorschläge für<br />

<strong>St</strong>aatsorgane <strong>und</strong> Beamtenschaft<br />

• Recht auf Arbeit <strong>und</strong> Erholung<br />

• Recht auf materielle Unterstützung vom <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Gesellschaft im Alter, im Falle von Krankheit o<strong>der</strong><br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />

• RECHT AUF BILDUNG<br />

• Freiheit, wissenschaftlich zu forschen, literarische <strong>und</strong><br />

künstlerische Kreativität sowie weitere kulturelle<br />

Interessen zu verfolgen


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 39<br />

Die Verfassung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist nicht von grosser Bedeutung. Denn we<strong>der</strong><br />

das Handeln <strong>der</strong> Legislativen, noch <strong>der</strong> Exekutiven o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Judikativen wird im S<strong>in</strong>ne<br />

<strong>der</strong> Verfassung gutgeheissen o<strong>der</strong> abgelehnt (<strong>St</strong>arr, 2001).<br />

2.3.1.2. Nationaler Volkskongress<br />

Der Nationale Volkskongress (NVK) zählt 2985 Abgeordnete, welche für e<strong>in</strong>e Legislaturperiode<br />

von fünf Jahren gewählt werden. 2003 wurde <strong>der</strong> 10. NVK <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a gewählt. Die Abgeordneten des NVK werden auf e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>direkten Weg vom<br />

Volk ernannt («Ch<strong>in</strong>a: Zahlen <strong>und</strong> ...»; Heilmann, 2004; <strong>St</strong>arr, 2001):<br />

1. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt wählt das ch<strong>in</strong>esische Volk direkt die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Volkskongresse auf <strong>St</strong>adt- <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>deebene. Lokale Organisationen <strong>und</strong><br />

Interessengruppen s<strong>in</strong>d ebenfalls <strong>in</strong> diesen Volkskongressen vertreten.<br />

2. Die Kongressmitglie<strong>der</strong> auf <strong>St</strong>adt- <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>deebene wählen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweiten<br />

Schritt die Abgeordneten <strong>der</strong> Volkskongresse auf Prov<strong>in</strong>zebene.<br />

3. Diese wie<strong>der</strong>um sowie nationale Organisationen <strong>und</strong> Interessengruppen ernennen<br />

im dritten <strong>und</strong> letzten Schritt <strong>der</strong> Wahl die Delegierten des NVK<br />

Als sogenannte Legislative stehen dem NVK Gesetzgebungs-, Ernennungs-, Abberufungs-,<br />

Entscheidungs- <strong>und</strong> Kontrollrechte zu. Der NVK versammelt sich jedes Jahr<br />

e<strong>in</strong>mal im März. Nicht zuletzt deswegen wird die ch<strong>in</strong>esische Legislative (im Westen)<br />

teilweise als «<strong>St</strong>empel-Parlament» wahrgenommen. Denn die von <strong>der</strong> Partei <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Exekutiven dem <strong>St</strong>ändigen Ausschuss des NVK (164 Mitglie<strong>der</strong>) unterbreiteten Vorschläge<br />

wurden bis vor kurzem praktisch anonym abgesegnet. 1998 ist zum ersten<br />

Mal e<strong>in</strong> Vorschlag nicht angenommen worden - vielleicht e<strong>in</strong> erster Schritt <strong>in</strong> Richtung<br />

e<strong>in</strong>es wirklichen Parlaments? (<strong>St</strong>arr, 2001).<br />

2.3.1.3. <strong>St</strong>aatsrat<br />

Der <strong>St</strong>aatsrat ist das höchste Organ <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>aatsverwaltung. Unterstellt<br />

s<strong>in</strong>d dem <strong>St</strong>aatsrat 28 Kommissionen <strong>und</strong> M<strong>in</strong>isterien (Heilmann, 1998, S. 281; Heilmann,<br />

2004):


40 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Makro-ökonomische Koord<strong>in</strong>ation<br />

• <strong>St</strong>aatliche Kommission für<br />

Entwicklung <strong>und</strong> Reform<br />

• F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>isterium<br />

• Zentralbank (Ch<strong>in</strong>esische<br />

Volksbank)<br />

Umfassende wirtschaftliche<br />

Regulierungskompetenzen<br />

• Handelsm<strong>in</strong>isterium<br />

• M<strong>in</strong>sterium für Informations<strong>in</strong>dustrie<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Bodenverwaltung<br />

<strong>und</strong> natürliche Ressourcen<br />

Auswärtige Angelegenheiten<br />

• Aussenm<strong>in</strong>isterium<br />

• Verteidigungsm<strong>in</strong>isterium<br />

Spezielle<br />

Regulierungskompetenzen<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Wasserressourcen<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Verkehrswesen<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Landwirtschaft<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Bauwesen<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Eisenbahnwesen<br />

• <strong>St</strong>aatliche Kommission für Wissenschaft,<br />

Technologie <strong>und</strong> Industrie<br />

im Verteidigungswesen<br />

Inneradm<strong>in</strong>istrative<br />

Angelegenheiten<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Diszipl<strong>in</strong>araufsicht<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Personalwesen<br />

• <strong>St</strong>aatliches Rechnungskontrollamt<br />

<strong>Bildung</strong>, Wissenschaft <strong>und</strong> Kultur<br />

• M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong><br />

• M<strong>in</strong>isterium für Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Technologie<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Kultur<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Justiz<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Öffentliche<br />

Sicherheit<br />

• M<strong>in</strong>isterium für <strong>St</strong>aatssicherheit<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Justiz<br />

Soziales<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Arbeit <strong>und</strong> soziale<br />

Sicherheit<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Zivilverwaltung<br />

• M<strong>in</strong>isterium für Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

• <strong>St</strong>aatliche Kommission für<br />

Angelegenheiten von<br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>heitennationalitäten<br />

• <strong>St</strong>aatliche Kommission für<br />

Bevölkerung <strong>und</strong> Familienplanung<br />

Abbildung 8: Organe des <strong>St</strong>aatsrats auf M<strong>in</strong>isterialebene<br />

Abbildung 8 zeigt alle Organe des <strong>St</strong>aatsrats auf M<strong>in</strong>isterialebene (Kommissionen <strong>und</strong><br />

M<strong>in</strong>isterien) wie sie seit den Reorganisationen 1998 <strong>und</strong> 2003 bestehen.<br />

2.3.2. Kommunistische Partei Ch<strong>in</strong>as<br />

Das Parteisystem <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist offiziell e<strong>in</strong> Mehrparteiensystem. Insgesamt<br />

gibt es seit 1949 die Kommunistische Partei Ch<strong>in</strong>as (KP Ch<strong>in</strong>as) <strong>und</strong> acht<br />

demokratische beziehungsweise nicht kommunistische Parteien wie die nachfolgende<br />

Übersicht zeigt («CPC Has Over ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Ch<strong>in</strong>a’s Political System» [Onl<strong>in</strong>e<br />

b], 2002; «Ch<strong>in</strong>a: Zahlen <strong>und</strong> ...», 2001; Heilmann, 2004; «Hu J<strong>in</strong>tao an ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002; <strong>St</strong>arr, 2001):<br />

Parte<strong>in</strong>ame: Gründung: Zusammensetzung: Mitglie<strong>der</strong>: Vorsitz:<br />

• Kommunistische<br />

Partei Ch<strong>in</strong>as<br />

• Revolutionäres<br />

Komitee <strong>der</strong><br />

Ch<strong>in</strong>esischen<br />

Kuom<strong>in</strong>tang<br />

• Demokratische Liga<br />

Ch<strong>in</strong>as<br />

• Gesellschaft für den<br />

Nationalen<br />

Demokratischen<br />

Aufbau Ch<strong>in</strong>as<br />

• Gesellschaft für die<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Demokratie Ch<strong>in</strong>as<br />

1921 «Die Besten» des ch<strong>in</strong>esischen<br />

Volkes<br />

1948 Demokratische Fraktion <strong>der</strong><br />

Kuom<strong>in</strong>tang <strong>und</strong> weitere<br />

patriotische Demokraten<br />

1939 Intellektuelle mittlerer <strong>und</strong> oberer<br />

<strong>St</strong>ufe<br />

1945 Persönlichkeiten aus<br />

Wirtschaftskreisen, Experten <strong>und</strong><br />

Wissenschafter<br />

1945 Intellektuelle aus den Bereichen<br />

<strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> Verlagswesen, Kultur<br />

<strong>und</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Bereichen<br />

66'400'000<br />

Hu J<strong>in</strong>tao<br />

60'000 He Luli<br />

144'000 DIng Shisun<br />

78'000 Cheng Siwei<br />

73'000 Xu Jialu


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 41<br />

Parte<strong>in</strong>ame: Gründung: Zusammensetzung: Mitglie<strong>der</strong>: Vorsitz:<br />

• Demokratische<br />

Partei <strong>der</strong> Bauern<br />

<strong>und</strong> Arbeiter Ch<strong>in</strong>as<br />

• Zhi gong Dang<br />

Ch<strong>in</strong>as<br />

1930 Intellektuelle mittlerer <strong>und</strong> oberer<br />

<strong>St</strong>ufe aus den Bereichen Mediz<strong>in</strong>,<br />

Hygiene, Wissenschaft, Technik,<br />

Kultur- <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>swesen<br />

1925 Heimgekehrte Auslandch<strong>in</strong>esen mit<br />

Familien <strong>und</strong> Wissenschafter, die<br />

Verb<strong>in</strong>dungen zu Überseech<strong>in</strong>esen<br />

haben<br />

• Jiusan-Gesellschaft 1946 Intellektuelle mittlerer <strong>und</strong> oberer<br />

<strong>St</strong>ufe aus den Bereichen<br />

Wissenschaft, Technik, Kultur,<br />

<strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

• Demokratische<br />

Selbstbestimmungsliga<br />

Taiwans<br />

Tabelle 6: Parteien <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

73'000 Jiang<br />

Zhenghua<br />

18'000 Luo Haocai<br />

78'000 Wu Jiep<strong>in</strong>g<br />

1947 Taiwanesen auf dem Festland 1'800 Zhang Kehui<br />

Alle Parteien <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a unterstehen <strong>der</strong> ideologischen <strong>und</strong> politischen<br />

Führung <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as. Das offizielle System <strong>der</strong> Zusammenarbeit mehrerer Parteien<br />

sowie <strong>der</strong> politischen Konsultation im Rahmen <strong>der</strong> Entscheidungsf<strong>in</strong>dung wird ausschliesslich<br />

von <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as kontrolliert. In Ch<strong>in</strong>a gibt es ke<strong>in</strong>e konkurrierenden<br />

politischen Parteien (Bauer, 1997).<br />

2.3.2.1. Ideologie<br />

Das eigentliche Gedankengut <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as geht aus <strong>der</strong> Revolution vor 1949 hervor.<br />

Mao’s Lehre für die Bauernrevolution entsteht durch e<strong>in</strong>e Abwandlung des Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus<br />

sowjetischen Ursprungs. 1942 setzt Mao se<strong>in</strong>e «Gedanken» <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

ersten Kampagne zur ideologischen Gleichrichtung <strong>der</strong> 1921 gegründeten KP Ch<strong>in</strong>as<br />

durch. Bei se<strong>in</strong>er Machtübernahme 1949 verkündet er das neue Ch<strong>in</strong>a als «Demokratische<br />

Diktatur des Volkes». Die Idee <strong>der</strong> Kommunistischen Führungselite von 1949 ist<br />

jedoch ke<strong>in</strong>e pluralistische Demokratie nach westlicher Auffassung, son<strong>der</strong>n - im S<strong>in</strong>ne<br />

<strong>der</strong> alten konfuzianischen Tradition - die Herrschaft e<strong>in</strong>er Partei, die «für», aber<br />

nicht «durch» das Volk regiert. Das heisst, de facto steht die KP Ch<strong>in</strong>as über <strong>der</strong> Verfassung<br />

<strong>und</strong> über dem Volk: Die Partei, nicht das Volk, ist <strong>der</strong> Souverän im <strong>St</strong>aat <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die Partei führt das Land <strong>in</strong> die «Neue Demokratie», <strong>in</strong>dem sie<br />

das Zusammenwirken von Bauern, Arbeitern, Kle<strong>in</strong>bürgern <strong>und</strong> nationalen Unternehmen<br />

wie<strong>der</strong> aufbaut. Erst auf dieser Gr<strong>und</strong>lage kann <strong>der</strong> Sozialismus beziehungsweise<br />

<strong>der</strong> neue sozialistische Mensch für das neue Ch<strong>in</strong>a geschaffen werden (Heilmann,<br />

2004; Seitz, 2000).<br />

Nach dem Ende <strong>der</strong> Mao-Ära gew<strong>in</strong>nt die Ideologie <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as unter <strong>der</strong> Führung<br />

von Deng Xiaop<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e neue Dimension. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes<br />

sowie die Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik nach aussen gelten als zusätzliche wichtige<br />

Pfeiler <strong>der</strong> sozialistischen Mo<strong>der</strong>nisierung. Trotzdem hält die KP Ch<strong>in</strong>as weiterh<strong>in</strong> an<br />

ihren Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>und</strong> dem Anspruch auf die absolute Führungsrolle fest. 1979 formuliert<br />

Deng die «Vier Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zipien», welche auf ke<strong>in</strong>e wirkliche ideologische Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as h<strong>in</strong>weisen. Sie lauten: Festhalten an <strong>der</strong> Führung <strong>der</strong> Kom-


42 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

munistischen Partei Ch<strong>in</strong>as, an <strong>der</strong> Diktatur des Proletariats, am Sozialismus, am<br />

Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus <strong>und</strong> an den Mao-Zedong-Ideen (Bauer, 1997; «The Communist<br />

Party ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).<br />

Das Machtmonopol <strong>der</strong> Partei bleibt bestehen. 1992 präzisiert Jiang Zem<strong>in</strong> auf dem<br />

XIV. Parteitag das ideologische Ziel e<strong>in</strong>er Demokratie, die ch<strong>in</strong>esischen Verhältnissen<br />

entspricht, das heisst, e<strong>in</strong>er sozialistischen Demokratie ch<strong>in</strong>esischer Prägung. Nach<br />

dem Tod von Deng Xiaop<strong>in</strong>g 1997 werden die ideologischen Gr<strong>und</strong>pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong><br />

Partei mit <strong>der</strong> Deng-Xiaop<strong>in</strong>g-Theorie ergänzt. Diese Theorie wird als Weiterentwicklung<br />

<strong>der</strong> Mao-Zedong-Ideen beschrieben, e<strong>in</strong>e Art Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus, angepasst<br />

an die neuen, zeitgenössischen Bed<strong>in</strong>gungen. Haben sich die ideologischen Gr<strong>und</strong>sätze<br />

auch nicht wirklich verän<strong>der</strong>t, so lässt sich doch e<strong>in</strong>e wichtige Verschiebung<br />

nach dem Ende <strong>der</strong> Mao-Ära erkennen. Maos Ziel war es, die Menschen <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a zu sozialistischen Menschen umzuerziehen. Mit se<strong>in</strong>en zahlreichen «<strong>Erziehung</strong>s-Kampagnen»<br />

versuchte er dieses Ziel zu erreichen. Nach Mao bleibt das<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Ziel «Sozialismus» <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a bestehen. Es steht aber nicht mehr <strong>der</strong><br />

Mensch im Mittelpunkt, son<strong>der</strong>n das System. Das heisst, es geht nicht mehr <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie darum, den «sozialistischen Menschen» im S<strong>in</strong>ne Mao’s zu kreieren, son<strong>der</strong>n die<br />

Menschen Ch<strong>in</strong>as <strong>in</strong> e<strong>in</strong> entsprechendes sozialistisches System zu <strong>in</strong>tegrieren (Bauer,<br />

1997; Seitz, 2000; «The Communist Party ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).<br />

Am 16. Parteitag 2002 wird die von Jiang Zem<strong>in</strong> propagierte Öffnung <strong>der</strong> Partei für<br />

soziale Schichten, das heisst vor allem auch für Unternehmer, ideologisch abgesegnet.<br />

Das <strong>in</strong>haltliche Profil <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as wird mit Jiangs «Drei Vertretungen» ergänzt.<br />

Diese s<strong>in</strong>d: Erstens die Arbeiterklasse <strong>und</strong> das Volk Ch<strong>in</strong>as, zweitens fortschrittliche<br />

Produktionskräfte, mit an<strong>der</strong>en Worten Unternehmer <strong>und</strong> Kulturschaffende sowie<br />

drittens die gr<strong>und</strong>legenden Interessen e<strong>in</strong>er grossen Mehrheit des ch<strong>in</strong>esischen Volkes.<br />

Obwohl die «Drei Vertretungen» aus Jiangs Fe<strong>der</strong> stammen, wird se<strong>in</strong> Name<br />

«Jiang Zem<strong>in</strong>» nicht wie bei se<strong>in</strong>en Vorgängern Mao <strong>und</strong> Deng im Parteistatut verewigt<br />

(Schoettli [Onl<strong>in</strong>e], 2002a).<br />

2.3.2.2. <strong>St</strong>ruktur<br />

Die Kommunistische Partei Ch<strong>in</strong>as (KP Ch<strong>in</strong>as) wi<strong>der</strong>spiegelt <strong>in</strong> ihrer <strong>St</strong>ruktur den<br />

<strong>St</strong>aatsaufbau <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a (vergleiche Teil I: 2.3.1.). Abbildung 9 skizziert<br />

die e<strong>in</strong>zelnen Parteiorgane. Das Zentralkomitee ist das höchste Organ <strong>der</strong> Partei <strong>und</strong><br />

vertritt die KP Ch<strong>in</strong>as nach <strong>in</strong>nen <strong>und</strong> nach aussen. Das Komitee setzt sich im Zeitraum<br />

von 2002 bis 2007 aus 198 Vollmitglie<strong>der</strong>n <strong>und</strong> 158 alternierenden Mitglie<strong>der</strong>n,<br />

das heisst nicht stimmberechtigten «Kandidaten» zusammen. E<strong>in</strong>e Vollversammlung<br />

des Zentralkomitees f<strong>in</strong>det m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal im Jahr statt. Das Politbüro <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>St</strong>ändige Ausschuss des Politbüros s<strong>in</strong>d das «Herz» <strong>der</strong> Partei. Der <strong>St</strong>ändige Ausschuss<br />

hat neun Mitglie<strong>der</strong>. Dem Politbüro gehören diese neun <strong>und</strong> zusätzliche 15<br />

Mitglie<strong>der</strong> an. Sowohl die Zentrale Militärkommission als auch die Zentrale Diszipl<strong>in</strong>-<br />

Kontrollkommission s<strong>in</strong>d direkt dem Zentralkomitee unterstellt. Das Sekretariat steht<br />

mit se<strong>in</strong>en adm<strong>in</strong>istrativen Diensten dem Politbüro <strong>und</strong> dem <strong>St</strong>ändigen Ausschuss zur<br />

Verfügung («CPC Congress Closes ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Heilmann, 2004; «How many


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 43<br />

delegates ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; R<strong>in</strong>k, 1994; «<strong>St</strong>ories of Women ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002;<br />

«The 15th Central ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «The Communist Party ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).<br />

Parteiorgane auf gesellschaftlicher Ebene s<strong>in</strong>d die staatlichen Arbeitse<strong>in</strong>heiten, Danwei,<br />

<strong>und</strong> Verbände wie Gewerkschaften, Frauen- o<strong>der</strong> <strong>St</strong>udentenverbände. Sie bilden<br />

die Gr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>heiten <strong>der</strong> Kontrolle durch die Partei im Volk (Bauer, 1997; R<strong>in</strong>k, 1994;<br />

Seitz, 2000; «The Communist Party of Ch<strong>in</strong>a [Onl<strong>in</strong>e], 2002).<br />

Die Kommunistische Partei <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Gesellschaftsebene<br />

Parteiebene<br />

Danwei<br />

(<strong>St</strong>aatliche Arbeitse<strong>in</strong>heit)<br />

Soziale Verbände<br />

NATIONALER VOLKSKONGRESS<br />

ZENTRALKOMITEE<br />

POLITBÜRO<br />

STÄNDIGER AUSSCHUSS<br />

Zentrale<br />

Militärkommission<br />

Sekretariat<br />

Zentrale<br />

Diszipl<strong>in</strong>-Kontrollkommission<br />

Politische<br />

Konsultativkonferenz<br />

Abbildung 9: <strong>St</strong>ruktur <strong>der</strong> Kommunistischen Partei Ch<strong>in</strong>as<br />

Der Versuch die KP Ch<strong>in</strong>as von <strong>der</strong> Zentralregierung zu trennen erweist sich als kaum<br />

möglich. Die meisten wichtigen Regierungsämter werden von Parteimitglie<strong>der</strong>n ausgeübt.<br />

Am Beispiel <strong>der</strong> <strong>in</strong> Tabelle 7 aufgeführten Mitglie<strong>der</strong> des <strong>St</strong>ändigen Ausschuss<br />

des Politbüros <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as wird deutlich, wo sich das eigentliche Machtzentrum im<br />

ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>aat bef<strong>in</strong>det («CPC Congress Closes ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Seitz, 2000;<br />

<strong>St</strong>arr, 2001):<br />

Am 16. Parteitag 2002 werden neben Hu J<strong>in</strong>tao die folgenden Mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> den <strong>St</strong>ändigen<br />

Ausschuss gewählt (vergleiche Tabelle 7): Huang Ju, Jia Q<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>, Li Changchun,<br />

Luo Gan, Wen Jiabao, Wu Bangguo, Wu Guanzheng <strong>und</strong> Zeng Q<strong>in</strong>ghong. Der <strong>St</strong>ändige<br />

Ausschuss wird damit um zwei auf neun Mitglie<strong>der</strong> erweitert (Heilmann, 2004;<br />

«Ch<strong>in</strong>a's New ... » [Onl<strong>in</strong>e]; 2004; «Who’s Who ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2004).


44 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Wahl am 16. Parteitag 2002<br />

Hu J<strong>in</strong>tao (1942*)<br />

Huang Ju (1938*)<br />

Jia Q<strong>in</strong>gl<strong>in</strong> (1940*)<br />

Li Changchun (1944*)<br />

Luo Gan (1935*)<br />

Wen Jiabao (1942*),<br />

Wu Bangguo (1941*)<br />

Wu Guanzheng (1938*)<br />

Zeng Q<strong>in</strong>ghong (1939*)<br />

* Geburtsjahr<br />

Heutige Funktionen<br />

<strong>St</strong>aatspräsident,<br />

Generalsekretär <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as,<br />

Vizepräsident <strong>der</strong> Zentralen Militärkommission<br />

Vize M<strong>in</strong>isterpräsident des <strong>St</strong>aatsrats<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Politischen Konsultativkonferenz<br />

Sekretär des Guangdong Prov<strong>in</strong>zparteikomitees<br />

Leiter <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsratskanzlei,<br />

Sekretär <strong>der</strong> Kommission für Politik <strong>und</strong> Recht<br />

M<strong>in</strong>isterpräsident des <strong>St</strong>aatsrats<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> des Nationalen Volkskongresses<br />

Sekretär <strong>der</strong> Zentralen Diszipl<strong>in</strong>-Kontrollkommission,<br />

Sekretär des Shandong Prov<strong>in</strong>zparteikomitees<br />

Vize-<strong>St</strong>aatspräsident<br />

Tabelle 7: Mitglie<strong>der</strong> des <strong>St</strong>ändigen Ausschuss des Politbüros <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as<br />

Die Politische Konsultativkonferenz <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as verabschiedet 1949 die erste Verfassung<br />

<strong>und</strong> das erste Regierungsprogramm <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die Konferenz<br />

versammelt die acht nicht kommunistischen Parteien sowie herausragende Persönlichkeiten<br />

aller Berufsschichten. Gr<strong>und</strong>sätzlich hat sie beratende Funktion, wobei sie<br />

<strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as heute vor allem als <strong>St</strong>immungsbarometer des Volkes dient. Mit <strong>der</strong><br />

Übernahme <strong>der</strong> Oberaufsicht über <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> Aussenwirtschaftsfragen durch den<br />

Vizepremier wird die <strong>Bildung</strong>spolitik im <strong>St</strong>ändigen Ausschuss verankert. Diese Tatsache<br />

lässt erkennen, welche herausragende Bedeutung für die politische Führung <strong>Bildung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a hat (Seitz, 2000).<br />

Nach offiziellen Angaben zählt die KP Ch<strong>in</strong>as <strong>der</strong>zeit über 66 Millionen Mitglie<strong>der</strong>. In<br />

den vergangenen fünf Jahren rekrutierte die Partei fast 12 Millionen neue Mitglie<strong>der</strong>;<br />

drei Viertel davon jünger als 35 Jahre. Somit s<strong>in</strong>d heute gut 22 Prozent (15 Millionen)<br />

aller Parteimitglie<strong>der</strong> noch ke<strong>in</strong>e 35 Jahre alt. Mit über 17 Prozent ist <strong>der</strong> Anteil von<br />

Frauen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Partei auf be<strong>in</strong>ahe 12 Millionen gestiegen. Die ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten<br />

s<strong>in</strong>d mit gut sechs Prozent (über vier Millionen) <strong>in</strong> <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as vertreten. Die Partei<br />

vere<strong>in</strong>t sämtliche Berufsschichten <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft. Mehr als die Hälfte<br />

aller Parteimitglie<strong>der</strong> genoss e<strong>in</strong>e höhere Ausbildung («CPC Has Over ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002).<br />

2.3.2.3. Heutige Bedeutung<br />

Das Machtmonopol <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as darf <strong>und</strong> durfte als alle<strong>in</strong>ige <strong>St</strong>aatspartei <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a gr<strong>und</strong>sätzlich nie <strong>in</strong> Frage gestellt werden. Die <strong>St</strong>ruktur <strong>der</strong> Partei <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong>en allgegenwärtigen Mitglie<strong>der</strong> - wie die Fische im Wasser, um das Bild von Edgar<br />

Bauer (1997) zu übertragen (S. 133) -, lassen kaum Zweifel an diesem nach wie vor<br />

bestehenden Machtmonopol aufkommen. Auch die führenden Repräsentanten <strong>der</strong><br />

acht nicht kommunistischen Parteien gehören <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as an. Trotzdem wird es für<br />

die Partei zunehmend schwierig, die une<strong>in</strong>geschränkte Kontrolle über Land <strong>und</strong> Leute<br />

auszuüben. Die KP Ch<strong>in</strong>as steht vor Herausfor<strong>der</strong>ungen, die von <strong>in</strong>nen <strong>und</strong> aussen<br />

auf sie zukommen.


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 45<br />

Anlässlich des 50. Jahrestages <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a am 1. Oktober 1999 stellte <strong>der</strong><br />

amtierende <strong>St</strong>aatspräsident Jiang Zem<strong>in</strong> fest: «E<strong>in</strong>ige Mitglie<strong>der</strong> haben den Glauben<br />

an den Sozialismus verloren, sie haben ke<strong>in</strong>en revolutionären Geist mehr, sie verbr<strong>in</strong>gen<br />

ihre Tage mit Tr<strong>in</strong>ken <strong>und</strong> Essen, sie hängen dem Aberglauben an. Sie jagen dem<br />

Geld mit Hilfe <strong>der</strong> Korruption nach» (Lorenz, 1999, S. 195). «Mit Korruption <strong>und</strong> Vetternwirtschaft,<br />

den traditionellen «guanxi» (Beziehungen), untergraben die Kommunisten<br />

die hohe Verantwortung, die sie 1949 übernommen haben» (Lorenz, 1999,<br />

S. 197). Die zunehmend unkontrollierbare Korruption ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> grössten Herausfor<strong>der</strong>ungen,<br />

die sich <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Partei stellt. Das Bekämpfen dieser nach Konrad<br />

Seitz (2000, S. 331) «endemischen» Korruption gehört zu den wichtigsten <strong>und</strong> wohl<br />

auch schwierigsten Aufgaben <strong>der</strong> Zentralen Diszipl<strong>in</strong>-Kontrollkommission (Heilmann,<br />

2004; Mattli, Interview, 1999; Seitz, 2000).<br />

Auch das Rekrutieren von neuen Mitglie<strong>der</strong>n ist für die Partei problematischer geworden.<br />

Erfolgreiche Jungunternehmer <strong>in</strong>teressieren sich kaum für e<strong>in</strong>e Parteimitgliedschaft<br />

beziehungsweise nur dann, wenn sie sich davon nützliche Seilschaften für ihre<br />

eigenen Geschäfte versprechen. Diese Möglichkeiten werden jedoch nicht sehr hoch<br />

e<strong>in</strong>geschätzt, denn <strong>der</strong> wirtschaftliche Erfolg <strong>und</strong> das vielversprechende Wachstum<br />

Ch<strong>in</strong>as werden im Allgeme<strong>in</strong>en nicht als Verdienst <strong>der</strong> Partei gesehen. Über diese<br />

Tatsache kann auch die <strong>in</strong>mitten des Vergnügungsviertels von Beij<strong>in</strong>g, Sanlitun, gegründete<br />

Parteizelle nicht h<strong>in</strong>weg täuschen. Ungefähr e<strong>in</strong> Dutzend Zwanzigjährige<br />

treffen sich auf Anregung von Mitglie<strong>der</strong>n des Parteika<strong>der</strong>s von Beij<strong>in</strong>g regelmässig <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> zahlreichen Bars. S<strong>in</strong>d solche Aktionen e<strong>in</strong> Schritt <strong>in</strong> Richtung «Volkspartei»<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> mo<strong>der</strong>ner Propagandacoup <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as? (Maass, 2002; Seitz, 2000; <strong>St</strong>arr,<br />

2001).<br />

Der E<strong>in</strong>satz mo<strong>der</strong>ner Kommunikationstechnologien <strong>und</strong> das Internet s<strong>in</strong>d Möglichkeiten,<br />

auf welche die ch<strong>in</strong>esische Führung nicht verzichten will. Doch gerade diese<br />

neuen technischen Möglichkeiten br<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong> Risiko für das Weiterbestehen des<br />

Machtmonopols <strong>der</strong> Partei mit sich. Daraus ergibt sich e<strong>in</strong>e zwiespältige Haltung <strong>der</strong><br />

Partei zum Beispiel gegenüber dem Internet. E<strong>in</strong>erseits wird <strong>der</strong> Aufbau <strong>der</strong> nötigen<br />

Infrastruktur von <strong>der</strong> Regierung unterstützt. Denn <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> Teile <strong>der</strong><br />

Partei versprechen sich davon sowohl wirtschaftlichen als auch politischadm<strong>in</strong>istrativen<br />

Nutzen. An<strong>der</strong>seits überwachen die Behörden möglichst alle Netzaktivitäten,<br />

um zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e gewisse Kontrolle zu behalten. Es wird sich erst <strong>in</strong> Zukunft<br />

zeigen, ob die ch<strong>in</strong>esische Führung die «subversive» Wirkung des Internet <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er<br />

mo<strong>der</strong>ner Kommunikationstechnologien richtig e<strong>in</strong>schätzt. Dass sich dadurch nämlich<br />

mittel- <strong>und</strong> langfristig Lebensgewohnheiten, Denken <strong>und</strong> Wertvorstellungen verän<strong>der</strong>n,<br />

hat sich bereits an<strong>der</strong>weitig gezeigt. Könnte dies e<strong>in</strong>e verborgene Gefahr für<br />

die zukünftige Machtstellung <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as <strong>und</strong> die gesellschaftliche <strong>St</strong>abilität <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a bedeuten? (Heilmann, 2004; Wacker, 2000).


46 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.4. Wirtschaftspolitische Entwicklungen<br />

Die unter Deng Xiaop<strong>in</strong>g im Jahre 1978 e<strong>in</strong>geleitete Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik löst<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>en weltweit beispiellosen Wirtschaftsboom aus. Nach<br />

Jahrzehnten <strong>der</strong> <strong>St</strong>agnation <strong>und</strong> weitgehen<strong>der</strong> Abgeschlossenheit vom Weltmarkt<br />

gel<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> Wirtschaftsw<strong>und</strong>er <strong>in</strong> kaum da gewesener Art. Die rückständige ch<strong>in</strong>esische<br />

Agrargesellschaft Ende <strong>der</strong> 70er Jahre, das grösste Entwicklungsland <strong>der</strong> Welt,<br />

wartet <strong>in</strong>nert kürzester Frist mit wirtschaftlich bedeutenden Erfolgen auf. Die wirtschaftliche<br />

Dynamik nach Mao entwickelt sich unter fortwähren<strong>der</strong> kommunistischer<br />

Herrschaftsordnung. Und doch sche<strong>in</strong>t Ch<strong>in</strong>a heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e vielversprechen<strong>der</strong>e ökonomische<br />

Zukunft als manch an<strong>der</strong>es Entwicklungsland zu schauen («The Global<br />

Worth<strong>in</strong>ess ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Bauer, 1997; Shi, 2000).<br />

Die folgenden Abschnitte s<strong>in</strong>d erstens den wirtschaftlich massgebenden Führungspersönlichkeiten<br />

seit Bestehen <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a gewidmet. Zweitens werden<br />

die <strong>St</strong>rukturen <strong>der</strong> Wirtschaft im heutigen Ch<strong>in</strong>a dargestellt. Als Drittes wird auf die<br />

von Deng Xiaop<strong>in</strong>g 1992 kreierte Formel <strong>der</strong> «sozialistischen Marktwirtschaft»<br />

e<strong>in</strong>gegangen.<br />

2.4.1. Führungsgenerationen<br />

Mao Zedong ist <strong>der</strong> bestimmende Führer von <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

im Jahr 1949 bis zu se<strong>in</strong>em Tod im Jahr 1976. Kurze Zeit nach Maos Tod übernimmt<br />

Deng Xiaop<strong>in</strong>g das Regierungszepter <strong>und</strong> führt das Land <strong>in</strong> nur zwei Jahrzehnten<br />

aus e<strong>in</strong>em wirtschaftlich desolaten Zustand heraus, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Position von weltwirtschaftlich<br />

grosser Bedeutung (vergleiche Teil I: 2.1.2.3.). Der dritten Führungsgeneration<br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a gehören ke<strong>in</strong>e Genossen <strong>der</strong> Revolution mehr an. Jiang Zem<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> Zhu Rongji bewegen sich auf dem globalen Wirtschaftsparkett, auf das Deng<br />

sie vorbereitet hat. Und auch die Fäden für die vierte Führungsgeneration unter Hu<br />

J<strong>in</strong>tao s<strong>in</strong>d vom 1997 verstorbenen Deng Xiaop<strong>in</strong>g gezupft worden.<br />

2.4.1.1. Maos Erbe<br />

Mao Zedong erblickt 1893 <strong>in</strong> Shaoshan (Prov<strong>in</strong>z Hunan) das Licht <strong>der</strong> Welt. Se<strong>in</strong> Vater<br />

ist Bauer. Mit sechs Jahren arbeitet Mao bereits auf den Fel<strong>der</strong>n mit. Im Alter von<br />

acht Jahren besucht er die lokale Elementarschule. Da se<strong>in</strong> Vater mehr als fünf Jahre<br />

Schule nicht für nötig hält, wird Mao mit dreizehn Jahren Bauer. Doch mit sechzehn<br />

beschliesst Mao, weiter zur Schule zu gehen. Mitte Zwanzig beendet er erfolgreich<br />

das Lehrersem<strong>in</strong>ar. Für e<strong>in</strong> Jahr reist er nach Beij<strong>in</strong>g, wo er als Bibliotheksgehilfe an<br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong> arbeitet. Zurück <strong>in</strong> Changsha, <strong>der</strong> Hauptstadt Hunans, übernimmt er<br />

1920 die Direktion e<strong>in</strong>er Volksschule. Schon <strong>in</strong> jungen Jahren beg<strong>in</strong>nt Mao mit dem<br />

Aufbau e<strong>in</strong>er kommunistischen Parteigruppe <strong>in</strong> Hunan. Mit 28 Jahren ist er im Jahre<br />

1921 bei <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Kommunistischen Partei Ch<strong>in</strong>as <strong>in</strong> Shanghai mit dabei<br />

(«Encyclopedia of Marxism: ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Seitz, 2000).


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 47<br />

Von diesem Zeitpunkt an bestimmt die Revolution den Weg des Bauernsohns Mao Zedong.<br />

Er führt die Revolution «se<strong>in</strong>er» Klasse, <strong>der</strong> Bauern, zum militärischen <strong>und</strong><br />

politischen Sieg über die Guom<strong>in</strong>dang (die nationale Volkspartei, 1923 gegründet von<br />

Sun Yatsen; vergleiche Teil I: 2.1.2.1.). Das Ziel vor Augen, e<strong>in</strong>e egalitäre Gesellschaft<br />

zu schaffen <strong>und</strong> überzeugt, dass sozialistisches Bewusstse<strong>in</strong>, die Bauern dazu bewegt,<br />

Berge zu versetzen, ruft Mao am 1. Oktober 1949 <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g die <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a aus. Der neue Führer Ch<strong>in</strong>as will zuerst den sozialistischen Menschen kreieren,<br />

um dann mit dessen Hilfe den wirtschaftlichen Aufschwung zu realisieren. Maos Vorstellung<br />

ist es, dass <strong>der</strong> sozialistische Mensch <strong>in</strong> tiefer Armut <strong>und</strong> totaler, selbstloser<br />

Opferbereitschaft lebt, damit das Land reich wird <strong>und</strong> es schliesslich Güter gibt, die<br />

verteilt werden können. Und das will er aus eigenen Kräften schaffen. Wie im alten<br />

konfuzianischen Ch<strong>in</strong>a werden Kaufleute <strong>und</strong> Profit verachtet. Das maoistische Ch<strong>in</strong>a<br />

legt ke<strong>in</strong>en Wert auf Aussenhandel <strong>und</strong> Fremde im Land. Trotz dieser - aus heutiger<br />

Sicht kritisch zu betrachtenden - Zielsetzung gel<strong>in</strong>gt es Mao, die <strong>in</strong>dustrielle Revolution<br />

Ch<strong>in</strong>as zu vollziehen. Das ch<strong>in</strong>esische Sozialprodukt wächst zwischen 1952 <strong>und</strong> 1976<br />

um jährlich 6,1 Prozent <strong>und</strong> das Pro-Kopf-E<strong>in</strong>kommen um vier Prozent pro Jahr. Doch<br />

das Wachstum beruht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf erhöhtem Ressourcene<strong>in</strong>satz <strong>und</strong> nicht auf<br />

Effizienzsteigerung von Produktionsprozessen. Das Wirtschaftswachstum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ära<br />

Maos baut auf quantitativen Investitionen von Produktionsfaktoren <strong>und</strong> Arbeitskräften;<br />

e<strong>in</strong> Wachstum, das nicht ewig fortgesetzt werden kann. Nach Maos Tod im Jahr 1976<br />

lebt e<strong>in</strong> Viertel <strong>der</strong> Bevölkerung auf dem Land <strong>in</strong> absoluter Armut, die Ineffizienz <strong>der</strong><br />

<strong>St</strong>aats<strong>in</strong>dustrie hat ihren Höhepunkt erreicht <strong>und</strong> die Investitionen lassen sich nicht<br />

mehr steigern. Doch dies s<strong>in</strong>d nicht die e<strong>in</strong>zigen Probleme, die Mao Mitte <strong>der</strong> 70er<br />

Jahre h<strong>in</strong>terlässt. Das Wachstum <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung ist enorm. Es herrscht<br />

e<strong>in</strong> akuter Mangel an ausgebildeten Fachkräften. Unter Mao ist sowohl die alte konfuzianische<br />

Kultur als auch <strong>der</strong> ursprüngliche kommunistische Glaube von 1949 beziehungsweise<br />

1921 zerstört worden. Damit sche<strong>in</strong>en die Barrieren für die wirtschaftlicheEntfaltung<br />

Ch<strong>in</strong>as nach Maos Tod beseitigt. Denn wahrsche<strong>in</strong>lich ist es für Maos<br />

Nachfolger nur aufgr<strong>und</strong> dieser Ausgangslage möglich, erfolgreich die Brücke <strong>in</strong>s<br />

Zeitalter <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Marktwirtschaft zu schlagen («Mao Zedong: Reference ...»<br />

[Onl<strong>in</strong>e], 2002; Seitz, 2000).<br />

2.4.1.2. Deng Xiaop<strong>in</strong>g<br />

Deng Xiaop<strong>in</strong>g wird 1904 <strong>in</strong> Paifang (Prov<strong>in</strong>z Sichuan) geboren. Se<strong>in</strong> Vater ist nicht<br />

nur <strong>der</strong> reichste Grossgr<strong>und</strong>besitzer im Dorf, son<strong>der</strong>n auch Kommandant <strong>der</strong> lokalen<br />

Miliz <strong>und</strong> geistig-moralischer Führer Paifangs. Dengs Familie blickt auf e<strong>in</strong>e lange<br />

Tradition im Dienste des <strong>St</strong>aats zurück. Der kle<strong>in</strong>e Deng geniesst e<strong>in</strong>e vorzügliche<br />

<strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong> auf renommierten Schulen. Mit sechzehn Jahren geht er als<br />

Werkstudent nach Paris. In Frankreich bewegt sich Deng hauptsächlich unter se<strong>in</strong>en<br />

Landsleuten <strong>und</strong> schliesst sich <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Kommunistischen Partei <strong>in</strong> Paris an.<br />

Vor se<strong>in</strong>er Rückkehr nach Ch<strong>in</strong>a studiert er während e<strong>in</strong>em Jahr Marxismus-<br />

Len<strong>in</strong>ismus an <strong>der</strong> Sun-Yatsen-<strong>Universität</strong> <strong>in</strong> Moskau. Nach gut sechs Jahren im Ausland<br />

kehrt er 1927 nach Ch<strong>in</strong>a zurück <strong>und</strong> arbeitet im Untergr<strong>und</strong> als Revolutionär für<br />

Mao («Deng Xiaop<strong>in</strong>g» [Onl<strong>in</strong>e a], 2002; Seitz, 2000).


48 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Dengs Karriere führt nach <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> <strong>in</strong> zwei Etappen bis an die<br />

Spitze <strong>der</strong> Macht. 1952 wird er Vizepremier <strong>und</strong> kurz darauf Generalsekretär <strong>der</strong> Partei.<br />

Doch während <strong>der</strong> Kulturrevolution wird er wegen se<strong>in</strong>en materialistischen <strong>und</strong><br />

kapitalistischen Ideen verurteilt <strong>und</strong> schliesslich verbannt. Zwei Jahre nach Maos Tod<br />

im Jahr 1976 kehrt Deng 1978 zurück an die Macht. Unter Deng Xiaop<strong>in</strong>g setzt Ch<strong>in</strong>a<br />

zum phänomenalen wirtschaftlichen Aufstieg an. Innert zwei Jahrzehnten gew<strong>in</strong>nt die<br />

<strong>Volksrepublik</strong> unter den grossen Wirtschaftsmächten <strong>der</strong> Welt enorm an Bedeutung.<br />

Das Primat <strong>der</strong> Wirtschaft ist unverkennbar das erklärte neue Ziel Ch<strong>in</strong>as. Im Rahmen<br />

<strong>der</strong> «Vier Mo<strong>der</strong>nisierungen» sollen Landwirtschaft, Industrie, Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Technologie sowie die Armee auf Vor<strong>der</strong>mann gebracht werden. Wobei die Priorität<br />

eben dieser Reihenfolge entspricht, das heisst, die Armee vorerst das Schlusslicht<br />

bildet, bis die Wirtschaft stark genug ist. Deng sieht den Zweck des Sozialismus dar<strong>in</strong>,<br />

das Land reich zu machen <strong>und</strong> die Wirtschaft zu entwickeln. Damit gehört Maos totalitäre<br />

Diktatur, die als erstes Ziel das Schaffen des neuen sozialistischen Menschen<br />

verfolgte, <strong>der</strong> Vergangenheit an. Deng wandelt Ch<strong>in</strong>a zur ostasiatischen Entwicklungsdiktatur<br />

mit kommunistischer Fassade. Er beabsichtigt e<strong>in</strong> schnelles Wachstum <strong>der</strong><br />

Wirtschaft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e möglichst umgehende Verbesserung des Lebensstandards im<br />

ganzen Land zu erreichen. Se<strong>in</strong> oberster methodischer Gr<strong>und</strong>satz heisst Pragmatismus.<br />

Den Fluss überqueren <strong>in</strong>dem man mit den Füssen die <strong>St</strong>e<strong>in</strong>e sucht, auf die man<br />

treten kann, ist das Bild, mit welchem Deng se<strong>in</strong>en zweiten methodischen Gr<strong>und</strong>satz<br />

beschreibt: Gradualismus. E<strong>in</strong>e dritte Methode, nach welcher <strong>der</strong> neue Führer vorgeht,<br />

heisst, Verän<strong>der</strong>ung von unten. Deng dezentralisiert <strong>und</strong> delegiert Entscheidungsbefugnisse<br />

auf untere Hierarchiestufen. Maos Politik <strong>der</strong> Autarkie <strong>und</strong> Abschottung<br />

vom Weltmarkt beendet Deng Xiaop<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>er Politik <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong><br />

Öffnung nach aussen. Ch<strong>in</strong>a setzt auf Integrationskurs <strong>in</strong> die Weltwirtschaft, denn<br />

ohne ausländische Technologie <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e ohne ausländisches Kapital ist die<br />

angestrebte Mo<strong>der</strong>nisierung kaum realisierbar. 1997 h<strong>in</strong>terlässt Deng Xiaop<strong>in</strong>g se<strong>in</strong>en<br />

Nachfolgern e<strong>in</strong> von «blauen Ameisen» befreites Land. Er hat es geschafft, den maoistischen<br />

<strong>St</strong>aat nie<strong>der</strong>zureissen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt e<strong>in</strong> neues Ch<strong>in</strong>a zu offenbaren (Bauer,<br />

1997; «Deng Xiaop<strong>in</strong>g» [Onl<strong>in</strong>e b], 2002; Seitz 2000; <strong>St</strong>arr, 2001).<br />

2.4.1.3. Dritte Generation<br />

Jiang Zem<strong>in</strong> kommt 1926 <strong>in</strong> Yangzhou (Prov<strong>in</strong>z Jiangsu) zur Welt. Se<strong>in</strong> familiärer<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> ist geprägt von <strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektuellen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit ch<strong>in</strong>esischer<br />

<strong>und</strong> ausländischer Literatur. Trotz <strong>der</strong> literarischen Kenntnisse erwirbt Jiang e<strong>in</strong>en<br />

<strong>Universität</strong>sabschluss als Elektro<strong>in</strong>genieur <strong>in</strong> Shanghai. Schon während des <strong>St</strong>udiums<br />

ist er politisch aktiv. 1946 tritt Jiang <strong>der</strong> Kommunistischen Partei bei. Mitte <strong>der</strong> 50er<br />

Jahre geht er für e<strong>in</strong> Jahr nach Moskau, um dort <strong>in</strong> <strong>der</strong> Automobilfabrik «<strong>St</strong>al<strong>in</strong>» zu<br />

arbeiten. Nach se<strong>in</strong>er Rückkehr führt er verschiedene Fabriken <strong>in</strong> ganz Ch<strong>in</strong>a bis er<br />

schliesslich <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> hohes <strong>St</strong>aatsamt übernimmt. Se<strong>in</strong>e politische Karriere erreicht<br />

mit <strong>der</strong> Wahl zum <strong>St</strong>aatspräsidenten 1993 ihren Höhepunkt («Jiang Zem<strong>in</strong>»<br />

[Onl<strong>in</strong>e], 2002).


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 49<br />

Zhu Rongji ist 1928 <strong>in</strong> Changsha (Prov<strong>in</strong>z Hunan) geboren. Auch er absolviert e<strong>in</strong><br />

Elektor<strong>in</strong>genieur-<strong>St</strong>udium. Se<strong>in</strong>en Abschluss macht er 1951 an <strong>der</strong> Ts<strong>in</strong>ghua-<br />

<strong>Universität</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g, <strong>der</strong> Elitehochschule für naturwissenschaftliche <strong>und</strong> technische<br />

Ausbildung <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a. An <strong>der</strong> Ts<strong>in</strong>ghua-<strong>Universität</strong> wird er 1984 Professor <strong>und</strong> später<br />

Dekan des Management<strong>in</strong>stituts. Daneben ist er als Wirtschaftsplaner tätig. Zhu arbeitet<br />

ausschliesslich <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a. 1949 tritt er <strong>der</strong> Kommunistischen Partei bei. Er übernimmt<br />

verschiedene politische Ämter bevor er 1987 zum Bürgermeister von Shanghai<br />

ernannt wird. 1991 kehrt er zurück nach Beij<strong>in</strong>g, um dort <strong>in</strong> hohem Rang im <strong>St</strong>aatsrat<br />

zu wirken. M<strong>in</strong>isterpräsident ist er seit 1998 («Zhu Rongji» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).<br />

So wie <strong>der</strong> Scherbenhaufen am Ende <strong>der</strong> Mao Ära 1976 auch positive Seiten mit sich<br />

gebracht hat, stellt <strong>der</strong> grosse wirtschaftliche Erfolg <strong>der</strong> Deng Ära die dritte Führungsgeneration<br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a vor schwierige neue Herausfor<strong>der</strong>ungen. Zu<br />

Dengs Zeit hat <strong>der</strong> wirtschaftliche Aufschwung h<strong>in</strong>ter dem kommunistischen Vorhang<br />

gegenüber <strong>der</strong> Partei <strong>und</strong> nach aussen stattgef<strong>und</strong>en. Jetzt ist es aber nicht mehr<br />

möglich, den wirtschaftlichen Erfolgskurs weiter zu verfolgen, ohne den <strong>St</strong>aats- <strong>und</strong><br />

Verwaltungsapparat entsprechend aufzuweichen <strong>und</strong> neue Schwerpunkte zu setzen.<br />

Jiang <strong>und</strong> Zhu leiten demzufolge drei grosse <strong>St</strong>rukturreformen zugunsten e<strong>in</strong>es weiter<br />

fortschreitenden Wirtschaftswachstums e<strong>in</strong>. Als erstes steht die Reform des Regierungs-<br />

<strong>und</strong> Verwaltungssystems im Zentrum <strong>und</strong> <strong>in</strong> den Prov<strong>in</strong>zen an, die 1998<br />

umgesetzt wird. Im gleichen Jahr wird die Reform <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsunternehmen <strong>in</strong> die<br />

Wege geleitet. Die dritte Reform betrifft die Banken <strong>und</strong> F<strong>in</strong>anzmärkte. Zudem verfolgt<br />

Zhu hartnäckig die baldige Aufnahme Ch<strong>in</strong>as <strong>in</strong> die Welthandelsorganisation.<br />

Er ist nach ursprünglicher Skepsis überzeugt, dass e<strong>in</strong>e verstärkte Integration <strong>in</strong> die<br />

Weltwirtschaft den Reformdruck erhöht <strong>und</strong> dadurch <strong>der</strong> zukünftige wirtschaftliche<br />

Erfolg <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a greifbarer wird (Seitz, 2000; <strong>St</strong>arr 2001; Zweig, 2001).<br />

2.4.1.4. Vierte Generation<br />

Hu J<strong>in</strong>tao, geboren 1942 <strong>in</strong> Jixi (Prov<strong>in</strong>z Anhui), stammt aus e<strong>in</strong>er traditionellen Beamtenfamilie.<br />

Das Ingenieurstudium an <strong>der</strong> Eliteuniversität Tsh<strong>in</strong>ghua <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g absolviert<br />

er mit Bravour. Nach se<strong>in</strong>em Abschluss 1965 doziert er an <strong>der</strong>selben <strong>Universität</strong> Politik<br />

<strong>und</strong> Ideologie. Während <strong>der</strong> Kulturrevolution (1966-1976) wird er sowohl <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g<br />

im M<strong>in</strong>isterium für Wasserressourcen <strong>und</strong> Elektrizität als auch auf dem Land beschäftigt.<br />

In den 80er Jahren beg<strong>in</strong>nt Hus steile politische Karriere. 1982 wird er jüngstes<br />

Mitglied des Zentralkomitees. Drei Jahre später übernimmt er, als bisher Jüngster, das<br />

Amt des Parteichefs <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z Guizhou. 1988 wird Hu zum ersten Kommunistische<br />

Parteichef ohne militärische Ausbildung <strong>in</strong> Xizang (Tibet) ernannt («Hu J<strong>in</strong>tao» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002); Sieren, 2002).<br />

1992 beför<strong>der</strong>t Deng Xiaop<strong>in</strong>g Hu J<strong>in</strong>tao <strong>in</strong> den <strong>St</strong>ändigen Ausschuss des Politbüros,<br />

wo er von Jiang Zem<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>em Nachfolger im Führungskollektiv aufgebaut wird. E<strong>in</strong><br />

Jahr später wird Hu J<strong>in</strong>tao Präsident <strong>der</strong> Zentralen Parteischule (vergleiche Teil II:<br />

1.6.1.). Unter Hus Präsidium weht e<strong>in</strong> neuer W<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> wichtigsten Parteischule<br />

Ch<strong>in</strong>as. Er setzt sich für offene Debatten e<strong>in</strong> <strong>und</strong> regt zum <strong>St</strong>udium <strong>in</strong>ternationaler<br />

Politik <strong>und</strong> Wirtschaft an. Ab dem 15. Parteitag 1997 kann Hu als neuer Chef des


50 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Parteisekretariats se<strong>in</strong>e Machtstellung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Partei weiter ausbauen. Das Amt<br />

des Vize-<strong>St</strong>aatspräsidenten hält er seit 1998 <strong>in</strong>ne. Als offiziell <strong>St</strong>ellvertreten<strong>der</strong> <strong>St</strong>aatspräsident<br />

ist es ihm möglich, se<strong>in</strong>en Bekanntheitsgrad im Ausland zu erhöhen <strong>und</strong><br />

aussenpolitische Erfahrungen zu sammeln. Am 16. Parteitag 2002 wird Hu J<strong>in</strong>tao als<br />

Nachfolger Jiang Zem<strong>in</strong>s zum neuen Generalsekretär <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as gewählt. Im März<br />

2003 löst Hu J<strong>in</strong>tao Jiang Zem<strong>in</strong> auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Funktion als <strong>St</strong>aatspräsident <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ab (Heilmann, 2004; «Hu J<strong>in</strong>tao» [Onl<strong>in</strong>e], 2002); Schoettli [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002b; Seitz, 2000; Sieren, 2002).<br />

2.4.2. <strong>St</strong>rukturen <strong>der</strong> Wirtschaft<br />

Die <strong>St</strong>rukturen <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Wirtschaft werden <strong>in</strong> den folgenden sechs Abschnitten<br />

dargestellt. Die «kaiserliche» Südreise von Deng Xiaop<strong>in</strong>g im Jahr 1992 leitet die<br />

endgültige Abkehr von <strong>der</strong> Planwirtschaft <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>. Welche Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />

Übergang von <strong>der</strong> Planwirtschaft zur sozialistischen Marktwirtschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a zur Folge hat, wird im ersten Abschnitt ausgeführt. Die mit <strong>der</strong> Deng-<br />

Ära <strong>in</strong>s Leben gerufene Politik <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong> Öffnung erfährt im Anschluss an die<br />

Südreise von 1992 zusätzlichen Schwung. Die Reformen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> die <strong>in</strong>tensivierte<br />

globale Integration <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> s<strong>in</strong>d Thema <strong>der</strong> Abschnitte Reformen <strong>und</strong> Öffnung<br />

nach aussen. Die drei klassischen Wirtschaftssektoren: primärer, sek<strong>und</strong>ärer<br />

<strong>und</strong> tertiärer Sektor werden anhand <strong>der</strong> Entwicklung des Bruttosozial- (BSP) <strong>und</strong> Brutto<strong>in</strong>landproduktes<br />

(BIP) sowie <strong>der</strong> Anzahl Beschäftigten dargestellt. Im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Qualifikation von Arbeitskräften gilt es zu berücksichtigen, <strong>in</strong> welchen Sektoren die<br />

volkswirtschaftlichen Werte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land geschaffen werden. Die verschiedenen<br />

Unternehmensformen, wie sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a vorkommen, werden im<br />

fünften Abschnitt erläutert, denn die ch<strong>in</strong>esische Unternehmenswelt ist e<strong>in</strong>e sehr spezifische.<br />

S<strong>in</strong>d staatliche <strong>und</strong> kollektive Betriebe typische Unternehmensformen kommunistischer<br />

Planwirtschaft, so zeugen Privatunternehmen <strong>und</strong> Betriebe mit ausländischer<br />

Beteiligung von marktwirtschaftlichen Elementen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a. Je nach <strong>St</strong>ruktur,<br />

Kultur <strong>und</strong> Tätigkeitsbereich e<strong>in</strong>es Betriebs, werden völlig unterschiedliche Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an die Mitarbeitenden <strong>und</strong> die Betriebsleitung gestellt. Auf e<strong>in</strong>e weitere Spezifität<br />

<strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Wirtschaft, die sogenannten Son<strong>der</strong>zonen <strong>der</strong> Wirtschaft, wird<br />

im letzten Abschnitt e<strong>in</strong>gegangen.<br />

2.4.2.1. Von Planwirtschaft zu sozialistischer Marktwirtschaft<br />

Deng Xiaop<strong>in</strong>g bereist von Ende 1990 bis anfangs 1992 den Süden Ch<strong>in</strong>as. Er hält<br />

programmatische Reden <strong>und</strong> führt Gespräche, die e<strong>in</strong>e doppelte Botschaft vermitteln.<br />

E<strong>in</strong>erseits betont Deng die Wichtigkeit, Reform <strong>und</strong> Öffnung des Landes zu beschleunigen<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits die absolute Notwendigkeit, das wirtschaftliche Wachstum<br />

voranzutreiben. Er def<strong>in</strong>iert den Sozialismus als Entwicklung <strong>der</strong> Produktionskräfte<br />

zugunsten <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft. Denn das Wesen des Sozialismus ist nach Deng die<br />

Befreiung <strong>und</strong> Entwicklung von Produktionskräften, was schliesslich zum Wohlstand<br />

für alle führt. Planwirtschaft ist nicht mit Sozialismus gleichzusetzen. Genauso ist<br />

Marktwirtschaft nicht mit Kapitalismus gleichzusetzen. Und - Deng for<strong>der</strong>t auf, vom<br />

Ausland zu lernen. Ziel ist, dass <strong>der</strong> Sozialismus dem Kapitalismus überlegen ist <strong>und</strong>


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 51<br />

dazu gilt es, sich die Errungenschaften desselben zu Nutze zu machen. Unternehmen<br />

mit ausländischer Kapitalbeteiligung bedeuten nützliche Ergänzungen zur sozialistischen<br />

Wirtschaft Ch<strong>in</strong>as. Die fortgeschrittenen Managementmethoden <strong>und</strong> -techniken,<br />

die sie mitbr<strong>in</strong>gen, sollen studiert <strong>und</strong> gelernt werden. Mit diesen Aussagen Deng<br />

Xiaop<strong>in</strong>gs wird die bisherige Zielsetzung e<strong>in</strong>er «sozialistisch geplanten Warenwirtschaft»<br />

umformuliert zum Ziel <strong>der</strong> «sozialistischen Marktwirtschaft». Doch Deng ist<br />

we<strong>der</strong> Ideologe noch Theoretiker. Se<strong>in</strong>e Vorstellungen gehen weiter als die <strong>der</strong> re<strong>in</strong>en<br />

Ergänzung <strong>der</strong> Planwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Elementen beziehungsweise<br />

<strong>der</strong> Komb<strong>in</strong>ation von Plan- mit Marktwirtschaft. Es sollen sich Märkte für Produktionsfaktoren<br />

wie Boden <strong>und</strong> Arbeit entwickeln. Der <strong>St</strong>aat hat sich aus <strong>der</strong> Wirtschaft zurückzuziehen<br />

<strong>und</strong> die Märkte nur noch <strong>in</strong>direkt, durch makroökonomische Massnahmen<br />

zu steuern. Mit diesen Ideen ist das Zeitalter <strong>der</strong> sozialistischen Marktwirtschaft<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>geläutet, was das Ende <strong>der</strong> Planwirtschaft bedeutet («Selected<br />

Works of ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Seitz, 2000).<br />

2.4.2.2. Reformen<br />

Der erste Pfeiler <strong>der</strong> neuen Politik Deng Xiaop<strong>in</strong>gs ist jener <strong>der</strong> Reformen. Seit Ende<br />

<strong>der</strong> 70er Jahre haben mehrere Reformwellen die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a erfasst: E<strong>in</strong>e<br />

erste 1978-79, e<strong>in</strong>e zweite 1984-85, e<strong>in</strong>e dritte 1987-88, e<strong>in</strong>e vierte 1992-93 <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />

fünfte Reformwelle 1998-2000. Alle diese Reformphasen f<strong>in</strong>den zur Zeit e<strong>in</strong>es politisch,<br />

wirtschaftlich <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternational positiven Klimas statt. Reformwellen werden <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Regel von anhalten<strong>der</strong> <strong>St</strong>agnation ausgelöst. Dadurch entsteht e<strong>in</strong> gewisses Vakuum,<br />

welches schliesslich zu Verän<strong>der</strong>ungen führt. Auch <strong>in</strong>terne o<strong>der</strong> externe wirtschaftliche<br />

Schocks sowie soziale Unruhen <strong>in</strong> grösserem Ausmass können Reformen<br />

auslösen (Zweig, 2001).<br />

Die fünfte ch<strong>in</strong>esische Reformwelle wird von Zhu Rongji <strong>in</strong> die Wege geleitet. Er präsentiert<br />

e<strong>in</strong> Reformpaket, das weitreichende <strong>und</strong> vernetzte Folgen hat. Die Reform<br />

<strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsunternehmen entlässt die kle<strong>in</strong>en Unternehmen aus <strong>der</strong> Kontrolle des<br />

<strong>St</strong>aats <strong>und</strong> beabsichtigt die verlustreichen grossen Unternehmen zu sanieren <strong>und</strong><br />

profitabel zu machen. E<strong>in</strong>e weitere Massnahme ist die Reform <strong>der</strong> Banken. Mit <strong>der</strong><br />

Reduktion von Personal im Regierungsapparat wird zum ersten Mal e<strong>in</strong> Plan tatsächlich<br />

umgesetzt, <strong>der</strong> vorsieht, den aufgeblähten Regierungs- <strong>und</strong> Verwaltungsapparat<br />

zu verschlanken. Die Hälfte des Personals <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bürokratie wird abgebaut. Die<br />

Anti-Korruptionskamgagne <strong>und</strong> die Anti-Schmuggelkampagne br<strong>in</strong>gen we<strong>der</strong><br />

Korruption noch Schmuggel zum Verschw<strong>in</strong>den, aber die Kampagnen dämmen Vorkommnisse<br />

dieser Art wenigstens teilweise e<strong>in</strong>. Das Privatisieren <strong>und</strong> Kommerzialisieren<br />

des Wohnungswesens bedeutet langfristig e<strong>in</strong>e grosse Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Lebens- <strong>und</strong> Denkweise <strong>in</strong>nerhalb ch<strong>in</strong>esischer Familien. In wirtschaftlicher H<strong>in</strong>sicht<br />

wird mit dem Wohnungsmarkt e<strong>in</strong> ungeheures Wachstumspotential für die ch<strong>in</strong>esische<br />

Gesamtwirtschaft erschlossen. Mit dem Ziel, e<strong>in</strong> tragfähiges Arbeitslosen- <strong>und</strong> Rentenprogramm<br />

e<strong>in</strong>zurichten, wird e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> unvermeidbaren Folgen <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a Rechnung getragen. Die For<strong>der</strong>ung, den privaten<br />

Sektor zu legitimieren <strong>und</strong> zu för<strong>der</strong>n, verbessert die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für<br />

Privatunternehmen zehn Jahre nach <strong>der</strong>en gesetzlicher E<strong>in</strong>führung. Auch die Reform


52 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

<strong>der</strong> Beziehungen zu ausländischen Investoren <strong>und</strong> <strong>der</strong> Beitritt zur Welthandelsorganisation<br />

(World Trade Organization: WTO) gehören zu Zhu Rongjis Reformpaket.<br />

Die fünfte Welle <strong>der</strong> Reformen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a betrifft den <strong>St</strong>aat, die Partei, die Wirtschaft,<br />

die Gesellschaft <strong>und</strong> die <strong>in</strong>ternationalen Beziehungen Ch<strong>in</strong>as. Entsprechend<br />

schwierig ist die Umsetzung. Doch das politische, wirtschaftliche <strong>und</strong> globale Klima<br />

begünstigt den unter Zhu Rongji e<strong>in</strong>geleiteten Reformprozess (Fischer, 2000; Kraus,<br />

1997; Seitz, 2000; Zweig, 2001)<br />

2.4.2.3. Öffnung nach aussen<br />

Der zweite Pfeiler <strong>der</strong> Politik Deng Xiaop<strong>in</strong>gs ist die Öffnung des Landes nach aussen.<br />

Das Ziel ist die Mo<strong>der</strong>nisierung Ch<strong>in</strong>as. Der Weg zu diesem Ziel soll über e<strong>in</strong>e verstärkte<br />

Integration <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> die Weltwirtschaft führen. Die <strong>in</strong> den<br />

80er Jahren noch zurückhaltende Öffnungspolitik nach aussen, erfährt <strong>in</strong> den 90er<br />

Jahren neue Impulse. Mit Hilfe von Technologien <strong>und</strong> Kapital aus dem Ausland wird<br />

e<strong>in</strong> verstärktes Wachstum angestrebt. Nachdem das staatliche Aussenhandelsmonopol<br />

aufgehoben ist, wachsen die Importe <strong>und</strong> Exporte <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a um e<strong>in</strong> Vielfaches.<br />

Ch<strong>in</strong>a steigt an die siebte <strong>St</strong>elle unter den Handelsmächten <strong>der</strong> Welt auf. Das Angebot<br />

<strong>und</strong> die Nachfrage Ch<strong>in</strong>as bee<strong>in</strong>flusst zunehmend die Preise <strong>und</strong> Wettbewerbsbed<strong>in</strong>gungen<br />

auf den Weltmärkten.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 80er Jahre entstehen <strong>in</strong> Shanghai <strong>und</strong> Shenzen die ersten Börsen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Erste ch<strong>in</strong>esische Aktiengesellschaften werden Ende <strong>der</strong><br />

80er Jahre gegründet. 1993 s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt 228 ch<strong>in</strong>esische Unternehmen mit e<strong>in</strong>em<br />

Aktienkapital von <strong>in</strong>sgesamt über 400 Milliarden Yuan börsenkotiert. Die Aktien werden<br />

<strong>in</strong> A-, B-, C-, <strong>und</strong> H-Aktien geglie<strong>der</strong>t <strong>und</strong> je nachdem zusätzlich mit dem zugeteilten<br />

Handelsplatz gekennzeichnet. Folgende Personen werden zum Handel zugelassen<br />

(Vassiliadis, 2000):<br />

• A<br />

juristische <strong>und</strong> natürliche Personen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• B Shanghai juristische <strong>und</strong> natürliche Personen ausserhalb <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• B Shenzen juristische <strong>und</strong> natürliche Personen ausserhalb <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• C<br />

juristische Personen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• H<br />

juristische <strong>und</strong> natürliche Personen ausserhalb <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Diese Glie<strong>der</strong>ung dient <strong>der</strong> unterschiedlichen Zulassung von ch<strong>in</strong>esischen (A- <strong>und</strong> C-<br />

Aktien) <strong>und</strong> ausländischen (B- <strong>und</strong> H-Aktien) Investoren. Die Kurse <strong>der</strong> A-Aktien s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel eher <strong>in</strong>stabil, da private ch<strong>in</strong>esische Anleger kaum Erfahrung mit Wertpapierhandel<br />

haben <strong>und</strong> tendenziell kurzfristig orientiert agieren. Die C-Aktienkurse s<strong>in</strong>d<br />

stabiler, da die Regierung Börsenaktivitäten ch<strong>in</strong>esischer juristischer Personen steuert<br />

<strong>und</strong> kontrolliert. Die Kurse <strong>der</strong> B- <strong>und</strong> H-Aktien h<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d stärker vom <strong>in</strong>ternationalen<br />

Wertpapierhandel bee<strong>in</strong>flusst, da ausländische Investoren diese Aktien handeln.<br />

In <strong>der</strong> Folge wi<strong>der</strong>spiegeln B- <strong>und</strong> H-Aktien eher e<strong>in</strong>en wirklichen Marktwert als die<br />

Kurse <strong>der</strong> A- <strong>und</strong> C-Aktien (Vassiliadis, 2000).


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 53<br />

Der Beitritt <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zur WTO <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen zusätzlichen<br />

Reformmassnahmen <strong>in</strong>tegriert das Land zunehmend <strong>in</strong> den Welthandel. Im Dezember<br />

2001 tritt Ch<strong>in</strong>a nach über fünfzehn Jahren Verhandlungen als 143stes Mitglied<br />

<strong>der</strong> WTO bei. Dieser historische Moment bedeutet für Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>en äusserst<br />

grossen Schritt <strong>in</strong> Richtung engere E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> die multilaterale Wirtschaftswelt. Die<br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a bekräftigt mit <strong>der</strong> WTO-Mitgliedschaft ihre Öffnungspolitik <strong>und</strong><br />

verspricht sich davon sowohl wirtschaftlichen Fortschritt als auch soziale <strong>und</strong> politische<br />

<strong>St</strong>abilität im Land selbst (Cabestan & Choukroune, 2002; Fischer, 2000; Seitz,<br />

2000).<br />

Unter an<strong>der</strong>em aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Öffnung nach aussen ist Ch<strong>in</strong>a heute weltweit<br />

Hauptempfänger für ausländische Direkt<strong>in</strong>vestitionen. Ch<strong>in</strong>as Regelungen für<br />

Ausland<strong>in</strong>vestitionen s<strong>in</strong>d im Vergleich mit an<strong>der</strong>en Entwicklungslän<strong>der</strong>n äusserst<br />

liberal, obwohl die gesetzlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für Investitionen nach wie vor<br />

grosse Lücken aufweisen. Zudem ist die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a heute <strong>der</strong> grösste<br />

Darlehensnehmer <strong>der</strong> Weltbank. 1978 öffnet das Reich <strong>der</strong> Mitte se<strong>in</strong>e Grenzen für<br />

den Tourismus. 25 Jahre später gehören ausländische Touristen zum Bild je<strong>der</strong><br />

grösseren <strong>St</strong>adt <strong>und</strong> jener abgelegenen Orte, welche entsprechend vermarktet<br />

werden. Auch die Zahl <strong>der</strong> Ch<strong>in</strong>esen, die <strong>in</strong>s Ausland reisen, nimmt stetig zu. Ch<strong>in</strong>as<br />

obere Mittelschicht verbr<strong>in</strong>gt ihre Ferien immer öfter im Ausland. Zahlreiche<br />

ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>udierende <strong>und</strong> Wissenschafter zieht es bereits <strong>in</strong> den 80er Jahren<br />

<strong>in</strong>s Ausland. Aber nur ungefähr e<strong>in</strong> Drittel von ihnen kehrt nach Ch<strong>in</strong>a zurück, wenn<br />

auch die Kontakte zum Mutterland gr<strong>und</strong>sätzlich bestehen bleiben (Fischer, 2000;<br />

Seitz, 2000; Tang & Xue, 1999).<br />

Die Politik <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong> <strong>der</strong> Öffnung Ch<strong>in</strong>as nach aussen hat von 1978 bis heute<br />

angehalten. Die dadurch ausgelösten Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> auch betreffend <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Integration Ch<strong>in</strong>as s<strong>in</strong>d enorm. In diesem<br />

S<strong>in</strong>ne sei an dieser <strong>St</strong>elle Urs Schoettli (2002) zitiert:<br />

«Sollte Ch<strong>in</strong>a während des nächsten Vierteljahrh<strong>und</strong>erts auch nur<br />

die Hälfte des Wachstums erreichen, das es seit <strong>der</strong> historischen<br />

Öffnung se<strong>in</strong>er Wirtschaft unter Deng Xiaop<strong>in</strong>g realisiert hat, so<br />

würde dies die Weltwirtschaft <strong>und</strong> damit auch Europas Zukunft<br />

nachhaltig verän<strong>der</strong>n».<br />

2.4.2.4. Wirtschaftssektoren<br />

Betrachtet man die Entwicklung des Bruttosozial- (BSP) <strong>und</strong> des Brutto<strong>in</strong>landprodukts<br />

(BIP) <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a so ist das explosionsartige Wirtschaftswachstum seit<br />

Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre deutlich erkennbar. Doch nicht nur das Wachstum <strong>der</strong> volkswirtschaftlichen<br />

Leistung ist aus Abbildung 10 ersichtlich. Von 1952 bis 1980 s<strong>in</strong>d BSP<br />

<strong>und</strong> BIP <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a identisch. Das ist e<strong>in</strong>e volkswirtschaftlich gesehen sehr unübliche<br />

Tatsache, die auf die absolute Unterb<strong>in</strong>dung des Aussenhandels zu Maos Zeiten zurückzuführen<br />

ist. 1981 gibt es <strong>in</strong>folge <strong>der</strong> Öffnung nach aussen erstmals e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong>imale<br />

Differenz zwischen BSP <strong>und</strong> BIP («Brutto<strong>in</strong>landprodukt» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Gross Domestic<br />

Product» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).


54 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

10<br />

8<br />

BIP / BSP<br />

<strong>in</strong> 1'000<br />

Milliarden<br />

Yuan<br />

6<br />

4<br />

2<br />

BIP %63<br />

0<br />

1952 1962 1972 1982 1992<br />

2001<br />

Abbildung 10: Entwicklung BSP <strong>und</strong> BIP von 1952 bis 2001<br />

Analysiert man das BIP nach den <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Sektoren erwirtschafteten Anteilen,<br />

zeigt sich, dass e<strong>in</strong>e Verschiebung vom primären <strong>in</strong> den sek<strong>und</strong>ären Sektor stattgef<strong>und</strong>en<br />

hat. Heute werden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a die volkswirtschaftlichen Werte hauptsächlich im<br />

Industriesektor geschaffen. Abbildung 11 zeigt zudem den Aufschwung, welchen <strong>der</strong><br />

Industriesektor zur Zeit des Grossen Sprungs nach vorne (1958 bis 1961) erfährt. In<br />

dieser Zeit fliessen enorme Investitionen <strong>in</strong> die Schwer<strong>in</strong>dustrie (vor allem <strong>in</strong> die<br />

<strong>St</strong>ahlproduktion), was entsprechende Auswirkungen auf die BIP-<strong>St</strong>ruktur zur Folge hat<br />

(«Gross Domestic Product» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).<br />

100%<br />

80%<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

0%<br />

1952 1962 1972 1982 1992<br />

2001<br />

Agrarsektor Industriesektor Dienstleistungssektor<br />

Abbildung 11: BIP nach Sektoren von 1952 bis 2001


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 55<br />

E<strong>in</strong> Vergleich des BIP mit dem jeweiligen Anteil Beschäftigte <strong>der</strong> drei Wirtschaftssektoren<br />

<strong>in</strong> den Jahren 1990 <strong>und</strong> 2001 zeigt folgende Verhältnismässigkeiten («Anteil <strong>und</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ung ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Employment» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Gross Domestic<br />

Product» [Onl<strong>in</strong>e], 2002):<br />

Agrarsektor Industriesektor Dienstleistungssektor<br />

1990 2001 1990 2001 1990 2001<br />

Anteil Beschäftigte 60.1 50.0 21.4 22.3 18.5 27.7<br />

Anteil am BIP 27.1 15.2 41.6 51.2 31.3 33.6<br />

Tabelle 8: Wirtschaftssektoren 1990 <strong>und</strong> 2001<br />

Angaben <strong>in</strong> Prozent<br />

Die Hälfte <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung ist auch zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Landwirtschaft tätig. Der Agrarsektor erwirtschaftet heute jedoch nur noch<br />

15 Prozent des gesamten BIP. Vor zehn Jahren wurde im primären Sektor mit nur<br />

e<strong>in</strong>em Fünftel mehr an Beschäftigten noch fast doppelt so viel erarbeitet. Der sek<strong>und</strong>äre<br />

Wirtschaftssektor produziert r<strong>und</strong> die Hälfte des heutigen BIP Ch<strong>in</strong>as. Gut zwanzig<br />

Prozent <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung s<strong>in</strong>d <strong>der</strong>zeit im Sek<strong>und</strong>ärsektor beschäftigt.<br />

Noch vor zehn Jahren waren nicht wesentlich weniger Menschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Industrie tätig,<br />

sie produzierten aber zwanzig Prozent weniger des BIP. Der Dienstleistungssektor<br />

beschäftigt knapp e<strong>in</strong>en Drittel <strong>der</strong> Bevölkerung Ch<strong>in</strong>as <strong>und</strong> hat e<strong>in</strong>en Anteil von gut<br />

e<strong>in</strong>em Drittel am BIP. 1990 war <strong>der</strong> Anteil des tertiären Sektors am BIP kaum weniger,<br />

h<strong>in</strong>gegen produzierte e<strong>in</strong> Drittel weniger Beschäftigte denselben BIP-Anteil. Dies bedeutet,<br />

das sowohl im Dienstleistungs- als auch im Agrarsektor e<strong>in</strong> Verlust an Produktivität<br />

stattgef<strong>und</strong>en hat. Der Industriesektor h<strong>in</strong>gegen ist gewachsen <strong>und</strong> hat an Produktivität<br />

<strong>und</strong> Effizienz zugelegt. Die nachfolgende grafische Darstellung verdeutlicht<br />

diese Entwicklung («Anteil <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ung ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Employment»<br />

[Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Gross Domestic Product» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).<br />

Beschäftigung<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

BIP <strong>in</strong> 1'000<br />

Milliarden Yuan<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

1985 1990 1995 2000<br />

Beschäftigung Sektor I Beschäftigung Sektor II Beschäftigung Sektor III<br />

BIP-Anteil Sektor I BIP-Anteil Sektor II BIP-Anteil Sektor III<br />

1<br />

0<br />

Abbildung 12: Entwicklung des BIP <strong>und</strong> <strong>der</strong> Beschäftigung von 1985 bis 2000


56 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.4.2.5. Unternehmensformen<br />

Die wichtigste Unternehmensform seit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist <strong>der</strong><br />

<strong>St</strong>aatsbetrieb. Es handelt sich hierbei um Unternehmen, die vom Kle<strong>in</strong>betrieb mit<br />

wenigen Mitarbeitenden bis zur Betriebsgeme<strong>in</strong>schaft mit mehreren H<strong>und</strong>erttausend<br />

Mitglie<strong>der</strong>n <strong>in</strong> allen möglichen Grössenordnungen vorkommen. <strong>St</strong>aatsbetriebe gibt es<br />

sowohl <strong>in</strong> den <strong>St</strong>ädten als auch auf dem Land. Es gibt ke<strong>in</strong>en bestimmten Bereich <strong>der</strong><br />

Wirtschaft für <strong>St</strong>aatsbetriebe. Landwirtschafts-, Industrie- <strong>und</strong> Dienstleistungsunternehmen<br />

können genauso wie <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heits<strong>in</strong>stitutionen <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es<br />

<strong>St</strong>aatsbetriebs geführt werden. Während früher ohne Zielvorgaben produziert <strong>und</strong><br />

<strong>in</strong>vestiert wurde, steht die Unternehmensführung heute oftmals unter Vertrag <strong>und</strong><br />

muss e<strong>in</strong> bestimmtes Ziel <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es vorgegebenen Zeitrahmens erreichen. Der<br />

Betriebsgew<strong>in</strong>n muss zwar nicht mehr dem <strong>St</strong>aat abgeliefert werden, dafür müssen<br />

die Unternehmen <strong>St</strong>euern bezahlen. Wurden Verluste <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit offiziell<br />

vom <strong>St</strong>aat gedeckt, so wenden sich defizitäre Unternehmen heute an Banken, um<br />

Kredite aufzunehmen <strong>und</strong> müssen dafür Z<strong>in</strong>sen bezahlen. Doch <strong>der</strong> Sche<strong>in</strong> trügt.<br />

Obwohl die Produktivität dank <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> vielen <strong>St</strong>aatsbetrieben<br />

angeblich gesteigert werden konnte, nimmt <strong>der</strong> Beitrag <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsbetriebe<br />

zum Brutto<strong>in</strong>landprodukt (BIP) immer mehr ab. Bei Bankkrediten für <strong>St</strong>aatsbetriebe<br />

handelt es sich <strong>in</strong> vielen Fällen um verdeckte <strong>St</strong>aatssubventionen. Durch adm<strong>in</strong>istrative<br />

Manipulation werden tatsächliche mit sche<strong>in</strong>baren Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis<br />

vermischt, wodurch wirkliche Verän<strong>der</strong>ungsprozesse kaum mehr nachvollziehbar s<strong>in</strong>d.<br />

Die Undurchsichtigkeit des publizierten Zahlenmaterials im Zusammenhang mit<br />

<strong>St</strong>aatsbetrieben ist wahrsche<strong>in</strong>lich logische Folge dieser Umstände (Hebel, 1997;<br />

Seitz, 2000; Sharma, 2000; <strong>St</strong>arr, 2001).<br />

E<strong>in</strong>e zweite, aus den planwirtschaftlichen <strong>St</strong>rukturen hervorgehende Unternehmensform,<br />

ist <strong>der</strong> Kollektivbetrieb. Das Kollektiv besitzt <strong>und</strong> betreibt geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> Unternehmen.<br />

Es handelt sich hierbei um e<strong>in</strong>e Arbeits- <strong>und</strong> Lebensgeme<strong>in</strong>schaft, die<br />

gleichzeitig e<strong>in</strong>e staatliche Arbeitse<strong>in</strong>heit, genannt Danwei, bildet. Wie <strong>St</strong>aatsbetriebe<br />

s<strong>in</strong>d auch Kollektivbetriebe gr<strong>und</strong>sätzlich nicht mit e<strong>in</strong>em bestimmten Bereich <strong>der</strong><br />

Wirtschaft <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu br<strong>in</strong>gen. In <strong>der</strong> Praxis kommt diese Betriebsform sehr<br />

häufig auf dem Land vor. Es gibt sowohl Kle<strong>in</strong>unternehmen als auch sehr grosse Betriebe,<br />

die im Kollektiv geführt werden. Insgesamt zählen die Kollektivbetriebe <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

etwa die Hälfte <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsbetriebe. Typisch für kollektiv organisierte Unternehmen<br />

ist die umfassende Organisation sämtlicher Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbereiche. Die<br />

E<strong>in</strong>heit (Danwei) kümmert sich um Unterkunft, Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung, E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten,<br />

ges<strong>und</strong>heitliche Versorgung, K<strong>in</strong><strong>der</strong>aufenthaltsorte <strong>und</strong> weitere Bedürfnisse<br />

ihrer Mitglie<strong>der</strong>. F<strong>in</strong>anzielle Angelegenheiten werden geme<strong>in</strong>sam geregelt. Diese <strong>in</strong><br />

sich geschlossene Art von Wirtschaftse<strong>in</strong>heiten hat dazu geführt, dass sich Kollektivbetriebe<br />

teilweise <strong>in</strong>nerhalb von <strong>St</strong>aatsbetrieben <strong>in</strong> Form von kle<strong>in</strong>en Profitzentren<br />

gebildet haben. Seit <strong>der</strong> von Deng Xiaop<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>geleiteten Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik<br />

Ende <strong>der</strong> 70er Jahre <strong>und</strong> dem Bekenntnis zum Primat <strong>der</strong> Wirtschaft, s<strong>in</strong>d Kollektivunternehmen<br />

als Triebkräfte für das angestrebte Wachstum beson<strong>der</strong>s geför<strong>der</strong>t worden<br />

(Bauer, 1997; <strong>St</strong>arr, 2001).


H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen 57<br />

Im Vergleich zur grossen Zahl ch<strong>in</strong>esischer <strong>St</strong>aats- <strong>und</strong> Kollektivbetriebe ist die Anzahl<br />

Privatunternehmen (def<strong>in</strong>iert durch mehr als sieben abhängige Beschäftigte) verschw<strong>in</strong>dend<br />

kle<strong>in</strong>. 1988 s<strong>in</strong>d die gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen, die den Besitz e<strong>in</strong>es Unternehmen<br />

auf privater Basis <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a legalisieren, geschaffen worden. Doch im Geschäftsalltag<br />

s<strong>in</strong>d Privatunternehmer nach wie vor sehr häufig <strong>der</strong> politischen Willkür<br />

lokaler Machthaber ausgesetzt (vergleiche Teil II: 1.5.2.). Trotzdem f<strong>in</strong>det das private<br />

Unternehmertum <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a enormen Zuwachs <strong>und</strong> trägt heute schon beachtlich zur<br />

volkswirtschaftlichen Wertschöpfung bei. In <strong>der</strong> Regel s<strong>in</strong>d Privatunternehmen kle<strong>in</strong>e<br />

Familienbetriebe, die je nach Geschäftsgang, auf e<strong>in</strong> paar Dutzend Mitarbeitende<br />

anwachsen. Inzwischen gibt es <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>ige sehr erfolgreiche private Grossunternehmen.<br />

Obwohl sich private Unternehmer <strong>in</strong> fast allen Bereichen <strong>der</strong> Wirtschaft engagieren,<br />

s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie im Konsumgüter- <strong>und</strong> Dienstleistungssektor tätig.<br />

Demzufolge s<strong>in</strong>d viele Privatbetriebe <strong>in</strong> den <strong>St</strong>ädten angesiedelt. Auf dem Land gehen<br />

immer mehr Kollektivbetriebe <strong>in</strong> Privatbesitz über <strong>und</strong> zählen damit auch zu den Privatunternehmen<br />

(Bauer, 1997; Seitz, 2000; <strong>St</strong>arr, 2001).<br />

Seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik s<strong>in</strong>d ausländische Unternehmensbeteiligungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zugelassen. Betriebe mit ausländischer Beteiligung<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Jo<strong>in</strong>t Ventures (zwei o<strong>der</strong> mehrere beteiligte Besitzer) zwischen<br />

ch<strong>in</strong>esischen <strong>und</strong> ausländischen Beteiligten o<strong>der</strong> vollständig ausländische Unternehmen.<br />

Bereits Ende <strong>der</strong> 80er Jahre gibt es <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a mehrere tausend Unternehmen<br />

mit ausländischer Beteiligung. Die meisten davon s<strong>in</strong>d Jo<strong>in</strong>t Ventures. 1993 erreicht<br />

die Anzahl Betriebe mit ausländischer Beteiligung ihren Höhepunkt. Heute gibt<br />

es gut 20'000 registrierte Unternehmen mit ausländischer Beteiligung, wobei sich Jo<strong>in</strong>t<br />

Ventures <strong>und</strong> Unternehmen <strong>in</strong> vollständig ausländischem Besitz zahlenmässig die<br />

Waage halten. Betriebe mit ausländischer Beteiligung s<strong>in</strong>d fast ausschliesslich <strong>in</strong> städtischen<br />

Agglomerationen angesiedelt. E<strong>in</strong> grosser Teil <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesen Betrieben produzierten<br />

Güter s<strong>in</strong>d für den Export bestimmt. Die Verteilung <strong>der</strong> Beschäftigten auf die<br />

verschiedenen Unternehmen sieht folgen<strong>der</strong>massen aus («Employment» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002; «Foreign Direct Investment ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Rosen, 1999; Seitz, 2000; <strong>St</strong>arr,<br />

2001)<br />

1995 2000<br />

Beschäftigte <strong>in</strong>sgesamt: 679 720<br />

In <strong>St</strong>ädten: 190 221<br />

<strong>St</strong>aatssektor (<strong>St</strong>aatsbetriebe, Regierungs- <strong>und</strong> Verwaltungsapparat, Sozial- <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heitsdienste, Medien, Forschungs- <strong>und</strong> höhere Ausbildungsstätten)<br />

113 81<br />

Kollektivunternehmen 31 15<br />

Selbständige 16 21<br />

Privatunternehmen 5 13<br />

Unternehmen mit ausländischer Beteiligung 2 3<br />

An<strong>der</strong>e 23 88<br />

Auf dem Land: 489 499<br />

Landwirtschaft 325 331<br />

Dorf- <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>deunternehmen 129 128<br />

Selbständige 30 29<br />

Privatunternehmen 5 11<br />

alle Angaben <strong>in</strong> Millionen<br />

Tabelle 9: Beschäftigte <strong>in</strong> den <strong>St</strong>ädten <strong>und</strong> auf dem Land 1995 <strong>und</strong> 2000


58 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.4.2.6. Son<strong>der</strong>zonen <strong>der</strong> Wirtschaft<br />

Mit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong> <strong>der</strong> Öffnung Ende <strong>der</strong> 70er Jahre s<strong>in</strong>d auch die<br />

sogenannten Son<strong>der</strong>zonen <strong>der</strong> Wirtschaft geschaffen worden. Diese Zonen dienen <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung von Exporten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Anziehung von ausländischen Investitionen<br />

aufgr<strong>und</strong> beson<strong>der</strong>er Rahmenbed<strong>in</strong>gungen. Die <strong>in</strong> den Son<strong>der</strong>wirtschaftszonen<br />

angesiedelten Unternehmen profitieren von breiteren Handlungsspielräumen,<br />

<strong>St</strong>euervorteilen <strong>und</strong> weiteren Bevorzugungen, welche die unternehmerische Tätigkeit<br />

för<strong>der</strong>n. Die Exportwirtschaft ist dank den Son<strong>der</strong>zonen zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Wachstumsfaktoren Ch<strong>in</strong>as geworden. Diese Regionen s<strong>in</strong>d zudem Experimentierfel<strong>der</strong><br />

für die schrittweise E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Marktwirtschaft, die vorerst <strong>in</strong> den Son<strong>der</strong>zonen<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> später <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a umgesetzt werden soll.<br />

Alle Son<strong>der</strong>wirtschaftszonen bef<strong>in</strong>den sich an <strong>der</strong> Ostküste Ch<strong>in</strong>as. 1979 s<strong>in</strong>d die vier<br />

ersten Zonen errichtet worden: Shenzhen, Zhuhai <strong>und</strong> Shantou <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z<br />

Guangdong <strong>und</strong> Xiamen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z Fujian. Ha<strong>in</strong>an (1988) <strong>und</strong> Shanghai (1990)<br />

s<strong>in</strong>d im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zur Son<strong>der</strong>zone <strong>der</strong> Wirtschaft erklärt worden. In Ergänzung zu<br />

den fünf Son<strong>der</strong>wirtschaftszonen (ohne Shanghai) s<strong>in</strong>d zusätzlich vierzehn Küstenstädte<br />

für ausländische Investitionen geöffnet worden (e<strong>in</strong>schliesslich Shanghai).<br />

Harb<strong>in</strong>, Shenyang <strong>und</strong> Shanghai s<strong>in</strong>d zudem beson<strong>der</strong>s wichtige städtische Wirtschaftszentren<br />

(«Ch<strong>in</strong>a: Spezial Economic ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Bauer, 1997; <strong>St</strong>arr,<br />

2001).<br />

Das Errichten von Son<strong>der</strong>wirtschaftszonen, <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>em massiven wirtschaftlichen<br />

Ungleichgewicht <strong>in</strong>nerhalb Ch<strong>in</strong>as, wird damit begründet, dass es für e<strong>in</strong> so<br />

grosses Entwicklungsland wie Ch<strong>in</strong>a unmöglich ist, e<strong>in</strong> zu allen Zeiten stetiges <strong>und</strong><br />

überall gleichwertiges, schnelles Wachstum zu realisieren. Diejenigen Regionen <strong>und</strong><br />

<strong>St</strong>ädte, die sich schneller entwickeln, werden helfen können, den Fortschritt <strong>der</strong>jenigen<br />

zu för<strong>der</strong>n, die zurückliegen, bis schliesslich alle den angestrebten Wohlstand erreicht<br />

haben. Wo die lokalen Bed<strong>in</strong>gungen es erlauben, soll die wirtschaftliche Entwicklung<br />

so schnell wie möglich vorangetrieben werden. E<strong>in</strong>e erfolgreiche, exportorientierte<br />

Wirtschaft soll sich aufgr<strong>und</strong> von erhöhten Effizienz- <strong>und</strong> Qualitätsstandards entwikkeln.<br />

Erklärtes Ziel ist es, dass die Prov<strong>in</strong>z Guangdong (Hauptstadt Guangzhou) als<br />

erste Son<strong>der</strong>wirtschaftszone bis <strong>in</strong>s Jahr 2010 den Entwicklungsstand <strong>der</strong> vier kle<strong>in</strong>en<br />

Drachen Asiens erreicht. Die vier kle<strong>in</strong>en Drachen Asiens s<strong>in</strong>d Hongkong, S<strong>in</strong>gapur,<br />

Südkorea <strong>und</strong> Taiwan («Selected Works of ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Seitz, 2000).


TEIL II: <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a


60 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

s<strong>in</strong>d das Resultat <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung sowie <strong>der</strong> kulturellen, politischen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen H<strong>in</strong>tergründe e<strong>in</strong>es Landes, das e<strong>in</strong>en Fünftel <strong>der</strong> gesamten<br />

Menschheit beheimatet. Nachdem sich <strong>der</strong> erste Teil dieser Arbeit mit den Forschungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

<strong>und</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen zum Thema <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a beschäftigt, geht es im zweiten Teil um den Versuch,<br />

das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er heutigen Form zu erfassen. Im ersten<br />

Kapitel des zweiten Teils wird versucht, das facettenreiche ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

möglichst umfassend <strong>und</strong> klar darzustellen. Das zweite Kapitel dieses Teils ist<br />

<strong>der</strong> Pädagogik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a gewidmet.<br />

1. <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Mit dem Ende <strong>der</strong> Kulturrevolution (1976) <strong>und</strong> Deng Xiaop<strong>in</strong>gs Rückkehr an die Macht<br />

(1978) beg<strong>in</strong>nt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems e<strong>in</strong>e neue Ära.<br />

Im Zuge <strong>der</strong> «Vier Mo<strong>der</strong>nisierungen» (Landwirtschaft, Industrie, Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Technologie sowie Armee) wird auch das <strong>Bildung</strong>ssystem reformiert. Es werden landesweit<br />

geltende Regulierungen <strong>und</strong> akademische <strong>St</strong>andards e<strong>in</strong>geführt. Viele Schulen<br />

<strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen werden geschlossen o<strong>der</strong> zusammengeführt, an<strong>der</strong>e<br />

wie<strong>der</strong>um neu gegründet <strong>und</strong> e<strong>in</strong>gerichtet. 1995 tritt das neue <strong>Bildung</strong>sgesetz <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> Kraft. Dieses Gesetz kodifiziert bildungspolitische Reformen<br />

<strong>und</strong> Dekrete <strong>der</strong> vergangenen Jahre. Die wesentlichen Punkte des neuen <strong>Bildung</strong>sgesetzes<br />

lauten («Educational Law of ...», 1995):<br />

• Aufbau e<strong>in</strong>es sozialistischen <strong>Bildung</strong>ssystems ch<strong>in</strong>esischer Prägung (Artikel 3)<br />

• verfassungsmässiges Recht jedes Bürgers auf <strong>Bildung</strong> (Artikel 9, 42)<br />

• Befreiung <strong>der</strong> Bevölkerung vom Analphabetentum (Artikel 23)<br />

• allgeme<strong>in</strong>e Schulpflicht von neun Jahren (Artikel 18)<br />

• Entwicklung <strong>der</strong> Berufsbildung (Artikel 19, 40)<br />

• verbesserte Ausgestaltung <strong>der</strong> Erwachsenenbildung (Artikel 19)<br />

• Systematisieren des Prüfungs-, Zertifikats- <strong>und</strong> Schulabschlusswesens<br />

(Artikel 20, 21, 22)<br />

Ziel dieses Gesetzes ist es, e<strong>in</strong> allumfassendes <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystem<br />

aufzubauen, welches die ch<strong>in</strong>esische Bevölkerung zu Gelehrten, Wissenschaftern <strong>und</strong><br />

Facharbeitern macht. Der Weg zu diesem Ziel führt über die Grenzen Ch<strong>in</strong>as h<strong>in</strong>aus.<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne sei an dieser <strong>St</strong>elle David Surowski (2000) zitiert:<br />

«However, Ch<strong>in</strong>a is irreversibly part of the <strong>in</strong>ternational community, and<br />

developments <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a’s education system will have an <strong>in</strong>creas<strong>in</strong>gly<br />

profo<strong>und</strong> <strong>in</strong>fluence on the other systems of the world, just as so many of<br />

them have <strong>in</strong>fluenced the present system <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a» (S.7).<br />

Das heutige <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist gr<strong>und</strong>sätzlich dreistufig:<br />

Gr<strong>und</strong>- (I), Mittel- (II) <strong>und</strong> Hochschule (III). Vor <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schulung gibt es K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten.<br />

Die Mittelschulen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e untere <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e obere <strong>St</strong>ufe unterteilt. In Gr<strong>und</strong><strong>und</strong><br />

Mittelschule (Unterstufe) werden die gesetzlich vorgeschriebenen neun Pflichtschuljahre<br />

absolviert.


<strong>Bildung</strong>ssystem 61<br />

Die Berufsbildung f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a vorwiegend auf dem schulischen Weg statt. E<strong>in</strong>e<br />

Beson<strong>der</strong>heit des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems s<strong>in</strong>d die sogenannten Schwerpunkt-Schulen.<br />

Der erste <strong>und</strong> zweite Abschnitt dieses Kapitels s<strong>in</strong>d dem allgeme<strong>in</strong>en ch<strong>in</strong>esischen<br />

Schulsystem <strong>und</strong> den Schwerpunkt-Schulen gewidmet. Im dritten Abschnitt wird auf<br />

die Berufsbildung <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>gegangen. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> jüngeren Geschichte <strong>der</strong> Volksre-publik<br />

Ch<strong>in</strong>a (vor allem <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Kulturrevolution von 1966 bis 1976) ist es nachvollziehbar,<br />

dass die Erwachsenenbildung e<strong>in</strong>en bedeutenden <strong>St</strong>ellenwert im ch<strong>in</strong>esischen<br />

<strong>Erziehung</strong>swesen e<strong>in</strong>nimmt; sie wird im vierten Abschnitt dieses Kapitels<br />

erläutert. Der fünfte Abschnitt ist den Privatschulen gewidmet. Im sechsten Abschnitt<br />

wird kurz auf Spezialschulen, das heisst Partei- <strong>und</strong> Militärschulen sowie religiöse<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen e<strong>in</strong>gegangen. Die nachfolgende Darstellung ermöglicht e<strong>in</strong>e<br />

Übersicht über die <strong>St</strong>ufen I-III des allgeme<strong>in</strong>en Schulsystems <strong>und</strong> <strong>der</strong> Berufsbildung <strong>in</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a (Schüller, 1999; M<strong>in</strong>istry of Education [MOE], 2002; Surowski, 2000):<br />

III<br />

Alter:<br />

29<br />

28<br />

27<br />

26<br />

25<br />

24<br />

23<br />

22<br />

21<br />

20<br />

19<br />

Schuljahre:<br />

23<br />

22<br />

21<br />

20<br />

19<br />

18<br />

17<br />

16<br />

15<br />

14<br />

13<br />

Berufshochschule<br />

(2-3 Jahre)<br />

Hochschule/<br />

<strong>Universität</strong>:<br />

• Promotion<br />

(2-4 Jahre)<br />

• Hauptstudium<br />

(2-3 Jahre)<br />

• Gr<strong>und</strong>studium<br />

(4-6 Jahre) Schwerpunktschule<br />

II<br />

18<br />

17<br />

16<br />

15<br />

14<br />

13<br />

12<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

Facharbeiterschule<br />

(3 Jahre)<br />

Pflichtschuljahre<br />

Berufsmittelschule<br />

Oberstufe<br />

(2-4 Jahre)<br />

Berufsmittelschule<br />

Unterstufe<br />

(3-4 Jahre)<br />

Fachmittelschule<br />

(2-3 Jahre)<br />

Mittelschule Unterstufe<br />

(3-4 Jahre)<br />

Mittelschule Oberstufe<br />

(3-4 Jahre)<br />

Schwerpunktschule<br />

12<br />

7<br />

Schwerpunktschule<br />

I<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

Gr<strong>und</strong>schule<br />

(5-6 Jahre)<br />

Schwerpunktschule<br />

5<br />

4<br />

3<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />

(maximal 3 Jahre)<br />

Abbildung 13: <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a


62 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Die Entwicklung des <strong>Bildung</strong>sgrades <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung stellt folgende<br />

Übersicht dar («Basic Conditions of ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Population and Its ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002):<br />

Prozentzahlen auf e<strong>in</strong>e Dezimalstelle ger<strong>und</strong>et<br />

1982 1990 1995 1999 2000 2001 Tendenz<br />

Höhere Ausbildung: 0.6 1.4 2.0 2.9 3.6 4.1<br />

prozentuale Verän<strong>der</strong>ung zur Vorspalte<br />

(bere<strong>in</strong>igt)<br />

133.3<br />

(120.7)<br />

42.9<br />

(37.0)<br />

45.0<br />

(41.0)<br />

24.1<br />

(23.4)<br />

13.9<br />

(13.2)<br />

Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe: 6.6 8.0 8.3 9.9 11.1 11.5<br />

prozentuale Verän<strong>der</strong>ung zur Vorspalte<br />

(bere<strong>in</strong>igt)<br />

21.2<br />

(8.6)<br />

3.8<br />

(-2.2)<br />

19.3<br />

(15.3)<br />

12.1<br />

(11.4)<br />

3.6<br />

(2.9)<br />

Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe: 17.8 23.3 27.3 31.9 34.0 34.4<br />

prozentuale Verän<strong>der</strong>ung zur Vorspalte<br />

(bere<strong>in</strong>igt)<br />

30.9<br />

(18.3)<br />

17.2<br />

(11.3)<br />

16.9<br />

(12.9)<br />

6.6<br />

(5.9)<br />

1.2<br />

(0.5)<br />

Gr<strong>und</strong>schule: 35.4 37.2 38.4 35.7 35.7 33.8<br />

prozentuale Verän<strong>der</strong>ung zur Vorspalte<br />

(bere<strong>in</strong>igt)<br />

5.1<br />

(-7.5)<br />

3.2<br />

(-2.7)<br />

-7.0<br />

(-11.0)<br />

0.0<br />

(-0.7)<br />

-5.3<br />

(-6.0)<br />

Analphabeten: 28.3 18.1 14.5 12.4 6.7 9.0<br />

prozentuale Verän<strong>der</strong>ung zur Vorspalte<br />

(bere<strong>in</strong>igt)<br />

-36.0<br />

(-48.6)<br />

-19.9<br />

(-25.8)<br />

-14.5<br />

(-18.5)<br />

-46.0<br />

(-46.7)<br />

34.3<br />

(33.6)<br />

Restliche: 11.3 12.0 9.5 7.2 8.9 7.2<br />

prozentuale Verän<strong>der</strong>ung zur Vorspalte<br />

(bere<strong>in</strong>igt)<br />

6.2<br />

(-6.4)<br />

20.8<br />

(26.7)<br />

-24.2<br />

(-28.2)<br />

22.9<br />

(22.2)<br />

19.1<br />

(19.8)<br />

Gesamtbevölkerung* <strong>in</strong> Millionen: 1,015634 1,14333 1,2121 1,25909 1,26743 1,27627<br />

prozentuale Verän<strong>der</strong>ung zur Vorspalte 12.6 5.9 4.0 0.7 0.7<br />

* ohne Hong Kong, Macao, Taiwan<br />

Tabelle 10: <strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung von 1982 bis 2001<br />

Tabelle 10 zeigt e<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong> deutlich höheren <strong>Bildung</strong>sgrad <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Bevölkerung im Jahr 2001 als 1982. Die Spalte Tendenz zeigt die zu erwartende<br />

zukünftige Entwicklung unter an<strong>der</strong>em aufgr<strong>und</strong> des Vergleichs <strong>der</strong> Zahlen <strong>in</strong> den<br />

vorangehenden beiden Spalten an. Das Analphabetentum (Kriterium: nicht Beherrschen<br />

<strong>der</strong> 2'500 meist verwendeten ch<strong>in</strong>esischen Schriftzeichen) konnte <strong>in</strong>sgesamt<br />

um zwei Drittel verr<strong>in</strong>gert werden. Laut offiziellen Angaben des M<strong>in</strong>isteriums für <strong>Bildung</strong><br />

s<strong>in</strong>d im Jahr 2001 6,72 Prozent <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung Analphabeten,<br />

wobei unter den 15- bis 20jährigen nur 4,8 Prozent analphabetisch s<strong>in</strong>d. Während<br />

nach wie vor etwa e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> Bevölkerung auf Gr<strong>und</strong>schulstufe abschliesst, verdoppelte<br />

sich die Zahl <strong>der</strong> Mittelschulabsolventen <strong>und</strong> die <strong>der</strong> Hochschulabsolventen<br />

<strong>in</strong>nerhalb von 19 Jahren um das Siebenfache. Der Zuwachs <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Gesamtbevölkerung<br />

(unterste Zeile <strong>der</strong> Tabelle 10) ist seit 1982 stetig zurückgegangen.<br />

Das heisst, bei <strong>der</strong> prozentualen Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wachstumszahlen <strong>der</strong> prozentualen<br />

Anteile <strong>der</strong> verschiedenen <strong>Bildung</strong>sstufen bedeutet «bere<strong>in</strong>igt» um die prozentuale<br />

Verän<strong>der</strong>ung des Bevölkerungswachstums bere<strong>in</strong>igt. Betrachtet man den Verlauf <strong>der</strong><br />

bere<strong>in</strong>igten Wachstumszahlen <strong>der</strong> prozentualen Anteile <strong>der</strong> verschiedenen <strong>Bildung</strong>s-


<strong>Bildung</strong>ssystem 63<br />

stufen, so zeigt sich e<strong>in</strong> tendenzieller Rückgang des Zuwachses auf Mittel- <strong>und</strong> Hochschulstufe.<br />

Auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schulstufe ist e<strong>in</strong> Negativwachstum festzustellen, wobei<br />

dieses sehr ger<strong>in</strong>g ist <strong>und</strong> sich <strong>in</strong> Richtung Null entwickelt. Das heisst, das leichte<br />

Negativwachstum des auf Gr<strong>und</strong>schulstufe abschliessenden Bevölkerungsanteils wird<br />

Abbildung 14 zeigt, dass <strong>der</strong> 0,3% 0,3%<br />

prozentuale Anteil an Gr<strong>und</strong>schulen<br />

11,3% 21,2%<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten 21,2%<br />

(66,9) doppelt so hoch<br />

Gr<strong>und</strong>schulen 66,9%<br />

ist wie die Absolventenzahl<br />

Reguläre Mittelschulen 11,3%<br />

(33,8) <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung.<br />

Hochschulen & <strong>Universität</strong>en 0,3%<br />

Die Anzahl Mittel-<br />

(11,3) <strong>und</strong> Hochschulen (0,3)<br />

66,9%<br />

Beson<strong>der</strong>e Schulen 0,3%<br />

ist h<strong>in</strong>gegen kle<strong>in</strong>er im Vergleich<br />

zu den Absolventenzahlen<br />

(45,9 beziehungsweise 4,1; Abbildung 14: Prozentualer Anteil <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

im Jahr 2001<br />

vergleiche Tabelle 10) (MOE,<br />

kle<strong>in</strong>er, was e<strong>in</strong>e positive Entwicklung bedeutet (MOE, 2002; Tan & Peng, 2000).<br />

2002).<br />

Nach diesem e<strong>in</strong>führenden Überblick über die verschiedenen <strong>Bildung</strong>sstufen des<br />

ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems werden <strong>in</strong> den folgenden sechs Abschnitten die e<strong>in</strong>zelnen<br />

<strong>St</strong>ufen <strong>der</strong> Reihe nach genauer ausgeführt.<br />

1.1. Vorschulerziehung<br />

Die Vorschulerziehung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a hauptsächlich <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Familie <strong>und</strong> im K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten statt.<br />

1.1.1. Familie<br />

Das Elternhaus spielt bei <strong>der</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>und</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>e sehr wichtige<br />

Rolle. Hanne Chen (1998) beschreibt die ch<strong>in</strong>esische Familie <strong>in</strong> Anlehnung an<br />

den Missionar Arthur Smith als e<strong>in</strong>e «Assoziation von Individuen, die unlöslich mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

verb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d» (S. 145). Das traditionelle Familienbild ist <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>e unauflösliche<br />

Geme<strong>in</strong>schaft, <strong>der</strong>en Aufrechterhaltung e<strong>in</strong> Akt lebenslanger Diszipl<strong>in</strong> bedeutet.<br />

E<strong>in</strong>e harmonische Familie gilt letztendlich als Keimzelle e<strong>in</strong>er auf sozialen Frieden<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>tracht gründenden staatlichen Ordnung. Seit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d-Politik<br />

im Jahre 1979 s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong><strong>der</strong> zum über alles geliebten Mittelpunkt des familiären Geschehens<br />

geworden. Die Angst, dass dem e<strong>in</strong>zigen K<strong>in</strong>d etwas zustossen könnte, ist<br />

oft enorm gross. Demzufolge wird e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d von den Eltern <strong>und</strong> <strong>der</strong> näheren Familie<br />

äusserst aufmerksam umsorgt. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Erwartungen, dass das K<strong>in</strong>d später e<strong>in</strong>mal<br />

hochgesteckte (akademische) Ziele erreicht, werden die musischen Fähigkeiten<br />

schon <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren zu Hause geför<strong>der</strong>t. Der grosse Wunsch ch<strong>in</strong>esischer<br />

Eltern, dass ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Zukunft sehr erfolgreich se<strong>in</strong> wird, hat verschiedene<br />

Gründe. Erstens konzentriert sich die ganze «Erfolgshoffnung» auf das e<strong>in</strong>zige K<strong>in</strong>d.<br />

Zweitens ist <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>sweg <strong>der</strong> heute 32- bis 52jährigen während <strong>der</strong> Kulturrevolution<br />

bee<strong>in</strong>trächtigt worden. Und drittens soll für den Nachwuchs e<strong>in</strong>e möglichst gute


64 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Ausgangslage geschaffen werden, um zukünftigen Herausfor<strong>der</strong>ungen wie beispielsweise<br />

Arbeitslosigkeit o<strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> Arbeitsplatzsicherheit gewachsen zu se<strong>in</strong><br />

(Chen, 1998; Dav<strong>in</strong>, 1991; Wagner, 1999).<br />

1.1.2. K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />

In Ch<strong>in</strong>a können Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong> ab drei Jahren <strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten gehen. Das bedeutet,<br />

sie besuchen den K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten während höchstens drei Jahren, bis sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />

mit sechs Jahren e<strong>in</strong>geschult werden. Die nachfolgende Tabelle zeigt e<strong>in</strong>en Überblick<br />

über die Entwicklung <strong>der</strong> quantitativen Verhältnisse an K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a («Basic <strong>St</strong>atistics on ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002):<br />

1985 1990 1995 2000 Tendenz<br />

Anzahl K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten 172'262 172'322 180'438 175'836<br />

Anzahl K<strong>in</strong><strong>der</strong> 14'797'000 19'722'000 27'112'000 22'442'000<br />

Anzahl neu registrierter<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

(ke<strong>in</strong>e Angaben) (ke<strong>in</strong>e Angaben) 19'724'000 15'311'000<br />

Anzahl Betreuer (Vollzeit) 550'000 750'000 875'000 856'000<br />

Anzahl K<strong>in</strong><strong>der</strong> pro<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten im<br />

86 115 260 215<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl K<strong>in</strong><strong>der</strong> pro<br />

Betreuer im Durchschnitt<br />

(ger<strong>und</strong>et)<br />

27 26 54 44<br />

Tabelle 11: K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten von 1985 bis 2000<br />

Die Zahlen <strong>in</strong> Tabelle 11 zeigen, dass vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>der</strong> 90er Jahre<br />

e<strong>in</strong>e starke Zunahme von K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Betreuern <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten stattgef<strong>und</strong>en<br />

hat. Die Anzahl Betreuer hat jedoch im Verhältnis zur Anzahl K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht <strong>in</strong><br />

gleichem Masse zugenommen, was die hohe Anzahl K<strong>in</strong><strong>der</strong> pro Betreuer <strong>in</strong> den 90er<br />

Jahren zeigt. In den <strong>St</strong>ädten gehen tendenziell mehr K<strong>in</strong><strong>der</strong> während mehreren Jahren<br />

<strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten. Es gibt <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a gute <strong>und</strong> weniger gute K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten. Die Wahl<br />

des K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartens ist entscheidend für den späteren Schule<strong>in</strong>tritt. Obwohl die besten<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten hohe Beiträge verlangen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e sogenannte E<strong>in</strong>trittsprüfung abgelegt<br />

werden muss, verfügen sie über lange E<strong>in</strong>trittswartelisten. Die Vorschulerziehung <strong>in</strong><br />

den ch<strong>in</strong>esischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten dient e<strong>in</strong>em zweifachen Zweck. E<strong>in</strong>erseits besteht<br />

dank K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten für berufstätige Eltern o<strong>der</strong> Alle<strong>in</strong>erziehende die Möglichkeit, dass<br />

tagsüber für ihr K<strong>in</strong>d gesorgt ist. An<strong>der</strong>seits können sich die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft<br />

soziale <strong>und</strong> erste <strong>in</strong>tellektuelle Fähigkeiten aneignen. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden im<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten ihrem Alter entsprechend <strong>in</strong> verschiedene Gruppen e<strong>in</strong>geteilt. Die Aktivitäten<br />

dieser Gruppen s<strong>in</strong>d dem Alter angepasst, das heisst, die älteren K<strong>in</strong><strong>der</strong> werden<br />

<strong>in</strong> strukturierterer Form beschäftigt als die jüngeren. In allen Altersgruppen wird<br />

e<strong>in</strong>faches sprachliches <strong>und</strong> rechnerisches Können sowie Allgeme<strong>in</strong>wissen vermittelt.<br />

Soziale Fähigkeiten werden <strong>in</strong> Form von Rollenspielen geübt. Musische <strong>und</strong> körperliche<br />

Betätigung ist für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten e<strong>in</strong>e Pflicht. Der Tag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ch<strong>in</strong>esischen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten ist gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Morgenklasse, e<strong>in</strong>e Mittagspause mit<br />

anschliessendem Mittagsschlaf <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Nachmittagsklasse e<strong>in</strong>geteilt. 1995 besuchten<br />

<strong>in</strong>sgesamt 42,2 Prozent <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Alter von drei bis fünf


<strong>Bildung</strong>ssystem 65<br />

Jahren e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten (Dav<strong>in</strong>, 1991; L<strong>in</strong>, Interview, 1999; Surowski, 2000; «The<br />

Situation of ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002).<br />

1.2. Allgeme<strong>in</strong>es Schulsystem<br />

Das allgeme<strong>in</strong>e ch<strong>in</strong>esische Schulsystem beg<strong>in</strong>nt mit <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule. Im Anschluss<br />

an die Gr<strong>und</strong>schule folgt die Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe, mit <strong>der</strong>en Abschluss die neun<br />

Pflichtschuljahre erfüllt s<strong>in</strong>d. Es gibt verschiedene Systeme <strong>der</strong> Aufteilung dieser neun<br />

Jahre: sechs o<strong>der</strong> fünf Jahre Gr<strong>und</strong>schule <strong>und</strong> drei o<strong>der</strong> vier Jahre Mittelschule <strong>der</strong><br />

Unterstufe. Das «<strong>in</strong>tegrierte System» verb<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> Jahr Vorschulerziehung mit neun<br />

Jahren Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe. Das System von sechs Jahren Gr<strong>und</strong>schule<br />

<strong>und</strong> drei Jahren Mittelschule Unterstufe ist am meisten verbreitet <strong>und</strong> ist deshalb<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> nachfolgenden Ausführungen. Wird die Schule nach Absolvieren<br />

<strong>der</strong> Pflichtschuljahre fortgesetzt, dann folgt die Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe. Auf Hochschulstufe<br />

ist mit Bestehen e<strong>in</strong>er stark selektiven Aufnahmeprüfung das <strong>St</strong>udium an<br />

e<strong>in</strong>er Hochschule o<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>er <strong>Universität</strong> möglich. Auf Hochschulstufe besteht die<br />

Möglichkeit, e<strong>in</strong> volles o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Kurzzeitstudium zu absolvieren (MOE, 2002).<br />

1.2.1. Schulpflicht<br />

Das Ziel, die 1986 e<strong>in</strong>geführte neunjährige Schulpflicht <strong>in</strong> ganz Ch<strong>in</strong>a zu 100 Prozent<br />

durchzusetzen, ist nach wie vor nicht erreicht. Die regionalen Unterschiede s<strong>in</strong>d gross.<br />

Das <strong>Bildung</strong>sgesetz <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a teilt das Land diesbezüglich <strong>in</strong> drei Kategorien<br />

e<strong>in</strong>:<br />

1. Grossstädte <strong>und</strong> wirtschaftlich entwickelte Regionen<br />

2. <strong>St</strong>ädte <strong>und</strong> Regionen mittleren wirtschaftlichen Entwicklungsstandes<br />

3. Wirtschaftlich rückständige Regionen<br />

In den Grossstädten <strong>und</strong> wirtschaftlich entwickelten Regionen ist die neunjährige<br />

Schulpflicht heute zu annähernd 100 Prozent umgesetzt. Für die meisten K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>St</strong>ädten <strong>und</strong> Regionen mittleren wirtschaftlichen Entwicklungsstandes ist <strong>der</strong> Besuch<br />

e<strong>in</strong>er Gr<strong>und</strong>schule (sechs Jahre) möglich. In den wirtschaftlich rückständigen Regionen<br />

ist die neunjährige Schulpflicht jedoch noch kaum durchgesetzt. Gemäss Tabelle<br />

10 erfüllen im Jahr 2001 50 (34.4 + 11.5 + 4.1 = 50) Prozent <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung<br />

die neunjährige Schulpflicht. Laut offiziellen Angaben des M<strong>in</strong>isteriums für<br />

<strong>Bildung</strong> s<strong>in</strong>d es im Jahr 2001 85 Prozent <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung, welche die<br />

neunjährige Schulpflicht erfüllen («Basic Conditions of ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; MOE, 2002;<br />

Surowski, 2000; Xue, Interview, 1999).<br />

1.2.2. Systeme <strong>der</strong> Leistungsbewertung<br />

Es gibt verschiedene Systeme <strong>der</strong> Bewertung von Leistungen im ch<strong>in</strong>esischen Schulwesen.<br />

Die folgenden vier Systeme werden sowohl zur Bewertung von Prüfungen <strong>in</strong><br />

den Schulen als auch bei Abschlussexamen <strong>und</strong> Zulassungsprüfungen angewandt<br />

(Gao, Gespräche, 1999; Surowski, 2000):


66 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Fünfstufige Notenskala:<br />

A Hervorragend<br />

B Sehr Gut<br />

C Gut<br />

D Befriedigend<br />

F Unbefriedigend<br />

Vierstufige Notenskala:<br />

A Hervorragend<br />

B Gut<br />

C Befriedigend<br />

D Unbefriedigend<br />

Numerische Notenskala:<br />

A 90-100<br />

B 80-89<br />

C 70-79<br />

In den gleichen Abständen<br />

geht die Skala bis Null.<br />

Bestanden /<br />

Nicht-Bestanden:<br />

Die vierte Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> Leistungsbewertung<br />

beruht<br />

auf «Bestanden»<br />

o<strong>der</strong> «Nicht-<br />

Bestanden» e<strong>in</strong>er<br />

Prüfung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es<br />

Faches am Ende<br />

des Schuljahrs.<br />

1.2.3. Gr<strong>und</strong>schule<br />

Mit sechs Jahren werden die ch<strong>in</strong>esischen K<strong>in</strong><strong>der</strong> normalerweise e<strong>in</strong>geschult. Mit dem<br />

E<strong>in</strong>schulen nimmt das «Unschuldsalter» <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong> Ende. Bis zu diesem Alter<br />

geniessen sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>e grosse Freiheit. Aus traditioneller ch<strong>in</strong>esischer Sicht,<br />

darf jetzt von den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n erwartet werden, dass sie e<strong>in</strong>e gewisse Verantwortung<br />

übernehmen können <strong>und</strong> sie die Aufgaben, die ihnen übertragen werden, verstehen<br />

<strong>und</strong> pflichtbewusst ausführen. Die E<strong>in</strong>schulung ist <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>der</strong><br />

grösste «äusserliche» Sprung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die<br />

Gr<strong>und</strong>schule dauert <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel sechs Jahre. Diese ersten Schuljahre sollen für die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tellektuelle, körperliche <strong>und</strong> moralische Gr<strong>und</strong>lage bilden. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

gehen während 39 Wochen im Jahr zur Schule. Idealerweise sieht das Curriculum <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schule <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a wie <strong>in</strong> Tabelle 12 aufgeführt aus. Das tatsächlich angebotene<br />

Curriculum ist jedoch abhängig von den Ressourcen, die <strong>der</strong> jeweiligen Gr<strong>und</strong>schule<br />

zur Verfügung stehen. Es ist durchaus möglich, dass an e<strong>in</strong>er Gr<strong>und</strong>schule nur die<br />

Fächer Ch<strong>in</strong>esische Sprache <strong>und</strong> Mathematik o<strong>der</strong> nur Ideologische Morallehre, Ch<strong>in</strong>esische<br />

Sprache, Mathematik <strong>und</strong> Allgeme<strong>in</strong>wissen gelehrt werden. Am Ende <strong>der</strong><br />

sechsten Gr<strong>und</strong>schulklasse muss e<strong>in</strong>e Prüfung abgelegt werden. Massgebend s<strong>in</strong>d<br />

nur die Leistungen <strong>in</strong> den Fächern Ch<strong>in</strong>esische Sprache <strong>und</strong> Mathematik. Die an<strong>der</strong>en<br />

Fächer können auch geprüft werden, s<strong>in</strong>d aber für das weitere Fortkommen e<strong>in</strong>es<br />

Schülers nicht ausschlaggebend (Dav<strong>in</strong>, 1991; Surowski, 2000).<br />

Anzahl <strong>St</strong><strong>und</strong>en pro Schuljahr:<br />

Fach:<br />

1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse 4. Klasse 5. Klasse 6. Klasse<br />

Ideologische Morallehre 1 1 1 1 1 1<br />

Ch<strong>in</strong>esische Sprache 10 10 9 8 7 7<br />

Mathematik 4 5 5 5 5 5<br />

Sozialk<strong>und</strong>e - - - 2 2 2<br />

Naturk<strong>und</strong>e 1 1 1 1 2 2<br />

Körperk<strong>und</strong>e 2 2 3 3 3 3<br />

Musik 3 3 2 2 2 2<br />

Kultur 2 2 2 2 2 2<br />

Arbeit - - 1 1 1 1<br />

Wochenst<strong>und</strong>en 23 24 24 25 25 25<br />

Tabelle 12: Curriculum <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule


<strong>Bildung</strong>ssystem 67<br />

Im Fach Ideologische Morallehre werden den Schülern die «Fünf Lieben» beigebracht:<br />

Liebe das Land, das Volk, die Arbeit, die Wissenschaft <strong>und</strong> den Sozialismus.<br />

Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> lernen, wie sie sich für die Geme<strong>in</strong>schaft <strong>und</strong> ihr Heimatland e<strong>in</strong>setzen <strong>und</strong><br />

wie sie ethisch <strong>und</strong> moralisch richtige Entscheidungen treffen können. Die Ch<strong>in</strong>esische<br />

Sprache lernen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> zuerst mit Hilfe e<strong>in</strong>es phonetischen Systems (P<strong>in</strong>y<strong>in</strong>).<br />

Da viele zu Hause Dialekt sprechen, lernen sie, sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> offiziellen ch<strong>in</strong>esischen<br />

Hochsprache <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a (Mandar<strong>in</strong>) auszudrücken. In Mathematik werden<br />

die Gr<strong>und</strong>operationen <strong>der</strong> Arithmetik <strong>und</strong> Algebra vermittelt. Das Schwergewicht<br />

liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> praktischen Anwendung <strong>der</strong> Mathematik. Das logische <strong>und</strong> räumliche Denken<br />

wird beson<strong>der</strong>s geför<strong>der</strong>t. In manchen Gr<strong>und</strong>schulen wird auch heute noch das<br />

Umgehen mit dem Abakus (antikes Rechenbrett) gelehrt. Im Fach Sozialk<strong>und</strong>e lernen<br />

die K<strong>in</strong><strong>der</strong> ab <strong>der</strong> vierten Klasse gr<strong>und</strong>legendes Allgeme<strong>in</strong>wissen betreffend gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen, Geschichte <strong>und</strong> Geographie Ch<strong>in</strong>as <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt. In Naturk<strong>und</strong>e<br />

werden Naturphänomene untersucht. Die Schüler erwerben e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>verständnis<br />

über Vorkommnisse <strong>und</strong> Prozesse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur, <strong>in</strong>dem sie praktische Experimente<br />

durchführen. Turnen ist Teil des Fachs Körperk<strong>und</strong>e. In diesen Schulst<strong>und</strong>en<br />

wird zudem gr<strong>und</strong>sätzliches Wissen zu Hygiene <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit vermittelt. Musik<br />

gewährt den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die reiche Welt <strong>der</strong> musikalischen Traditionen Ch<strong>in</strong>as.<br />

Sie beg<strong>in</strong>nen mit dem Erlernen von Musiktheorie <strong>und</strong> Harmonielehre, wobei <strong>der</strong> Gesangsunterricht<br />

e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>s hohen <strong>St</strong>ellenwert geniesst. Im Fach Kultur werden<br />

die Gr<strong>und</strong>schüler <strong>in</strong> die Welt <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Kultur e<strong>in</strong>geführt. Ab <strong>der</strong> dritten Klasse<br />

besuchen die Schüler das Fach Arbeit. E<strong>in</strong>erseits wird ihnen theoretisches Wissen<br />

vermittelt <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits werden sie zu praktischen Arbeiten, wie Hilfe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche,<br />

Re<strong>in</strong>igungs- <strong>und</strong> Hausarbeiten aufgefor<strong>der</strong>t (G. Chen, Interview, 1999; Liu, Interview,<br />

1999; Qiao, Interview, 1999; Surowski, 2000).<br />

Die Entwicklung <strong>der</strong> quantitativen Verhältnisse an Gr<strong>und</strong>schulen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a zeigt Tabelle<br />

13 («Basic <strong>St</strong>atistics on ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Educational Evolution <strong>in</strong> ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002; MOE, 2002):<br />

1985 1990 1995 2000 Tendenz<br />

Anzahl Gr<strong>und</strong>schulen 832'309 766'072 668'685 553'622<br />

Anzahl Schüler<br />

133'702'000 122'414'000 131'952'000 130'133'000<br />

Anzahl neu registrierter Schüler 22'982'000 20'640'000 25'318'000 19'465'000<br />

Anzahl Absolventen <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schule<br />

19'999'000 18'631'000 19'615'000 24'192'000<br />

Anzahl Lehrende (Vollzeit) 5'377'000 5'582'000 5'664'000 5'860'000<br />

Anzahl Schüler pro Gr<strong>und</strong>schule<br />

im Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Schüler pro Lehrenden<br />

im Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Absolventen pro<br />

Gr<strong>und</strong>schule im Durchschnitt<br />

(ger<strong>und</strong>et)<br />

Tabelle 13: Gr<strong>und</strong>schulen von 1985 bis 2000<br />

188 187 235 270<br />

29 26 28 26<br />

24 24 29 44


68 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Laut offiziellen statistischen Angaben ist die Anzahl Gr<strong>und</strong>schulen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a auch im<br />

Jahr 2001 weiter zurückgegangen. Seit 1990 hat sich dadurch das Verhältnis <strong>der</strong><br />

Anzahl Schüler pro Gr<strong>und</strong>schule stark erhöht, wobei die Anzahl Schüler pro Lehrenden<br />

ke<strong>in</strong>e wesentlichen Verän<strong>der</strong>ungen zeigt. Auffällig ist die enorme Zunahme von<br />

Absolventen im Jahr 2000, die im Jahr 2001 weiter gestiegen ist. Die Entwicklung <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> 90er Jahre ist abnehmend sowohl betreffend Schulen als auch<br />

Schüler <strong>und</strong> Lehrenden. Diese Tendenz setzt sich voraussichtlich fort («Basic <strong>St</strong>atistics<br />

on ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Educational Evolution <strong>in</strong> ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; MOE, 2002).<br />

1.2.4. Mittelschule<br />

Die Mittelschule ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e untere <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e obere <strong>St</strong>ufe aufgeteilt. Die Unterstufe ist<br />

<strong>der</strong> zweite <strong>und</strong> abschliessende Teil <strong>der</strong> neunjährigen Schulpflicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a. Bereits auf dieser <strong>St</strong>ufe gibt es e<strong>in</strong>e Alternative zur akademisch ausgerichteten<br />

allgeme<strong>in</strong>en Mittelschule: die Berufsmittelschule <strong>der</strong> Unterstufe (vergleiche Teil II:<br />

1.3.2.). Die Berufsmittelschule wird <strong>in</strong> Abschnitt 1.3.2. dieses Kapitels behandelt. Auch<br />

zur allgeme<strong>in</strong>en Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe, welche gr<strong>und</strong>sätzlich auf e<strong>in</strong>e akademische<br />

Laufbahn ausgerichtet ist, gibt es alternative berufsbildende Möglichkeiten.<br />

1.2.4.1. Unterstufe<br />

Mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> neunjährigen Schulpflicht (1986) ist die Aufnahmeprüfung für<br />

den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe abgeschafft worden. Damit soll allen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> ganz Ch<strong>in</strong>a ermöglicht werden, neun Jahre zur Schule zu gehen. Dieses<br />

Ziel wurde bis heute vor allem <strong>in</strong> wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen auf dem<br />

Land nicht erreicht. Wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule, gehen auch die Mittelschüler während 39<br />

Wochen im Jahr zur Schule. Das vorgegebene Curriculum, wie <strong>in</strong> Tabelle 14 dargestellt,<br />

entspricht auch auf dieser <strong>St</strong>ufe e<strong>in</strong>er Idealvorstellung, <strong>der</strong>en Umsetzung von<br />

den zur Verfügung stehenden Ressourcen abhängig ist. Im Fach Ideologische Politiklehre<br />

werden verschiedenste Themen, unter an<strong>der</strong>em im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Kommunistischen Partei Ch<strong>in</strong>as, gelehrt (vergleiche Teil I: 2.3.2.; Teil II: 1.6.1.; Teil III:<br />

2.1.1.3.). Das Funktionieren des <strong>St</strong>aatsapparats <strong>und</strong> des Rechtssystem wird erklärt<br />

<strong>und</strong> verständlich gemacht. Die Pr<strong>in</strong>zipien <strong>der</strong> sozialistischen Moral, <strong>der</strong> Rechte <strong>und</strong><br />

Pflichten <strong>der</strong> Bürger <strong>und</strong> das Konstrukt des ch<strong>in</strong>esischen Sozialismus wird auf dieser<br />

<strong>St</strong>ufe <strong>der</strong> Mittelschule vermittelt. In Ch<strong>in</strong>esischer Sprache verfügen die Schüler am<br />

Ende <strong>der</strong> Schulpflichtjahre mit ungefähr 2'500 Schriftzeichen über e<strong>in</strong>e gute Gr<strong>und</strong>lage,<br />

um e<strong>in</strong>fachere Literatur lesen zu können. Im Vergleich dazu beherrschen Hochschulabsolventen<br />

zwischen 10'000 bis 15'000 Schriftzeichen («Basic <strong>St</strong>atistics on ...»<br />

[On-l<strong>in</strong>e], 2002; «Educational Evolution <strong>in</strong> ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; MOE, 2002; Surowski,<br />

2000).


<strong>Bildung</strong>ssystem 69<br />

Das Angebot <strong>der</strong> Fremdsprachenfächer<br />

erstreckt sich <strong>in</strong> den meisten<br />

Schulen über Englisch, Russisch<br />

<strong>und</strong> Japanisch. In Geschichte<br />

wird die Entwicklung <strong>der</strong> Region,<br />

wo sich die betreffende Mittelschule<br />

bef<strong>in</strong>det, die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> Weltgeschichte<br />

unterrichtet. Auch das mo<strong>der</strong>ne<br />

Ch<strong>in</strong>a ist Thema im Fach Geschichte.<br />

In diesen Schulst<strong>und</strong>en stehen<br />

ch<strong>in</strong>esischer Patriotismus <strong>und</strong> Sozialismus<br />

sowie Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>ternationalen Beziehungen im<br />

Mittelpunkt des Unterrichts. Im<br />

Fach Geographie lernen die Mittelschüler<br />

Landkarten lesen, <strong>und</strong> es<br />

wird ihnen Gr<strong>und</strong>lagenwissen zu<br />

den Themen Demographie, natürliche<br />

Ressourcen <strong>und</strong> Umwelt vermittelt.<br />

In Physik <strong>und</strong> Chemie wird<br />

auf Mittelschulstufe vor allem Theo-<br />

Anzahl <strong>St</strong><strong>und</strong>en pro Schuljahr:<br />

Fach:<br />

7. Klasse 8. Klasse 9. Klasse<br />

Ideologische<br />

Politiklehre<br />

2 2 2<br />

Ch<strong>in</strong>esische<br />

Sprache *<br />

6 6 5<br />

Mathematik * 5 5 5<br />

Erste<br />

Fremdsprache<br />

4 4 -<br />

Zweite<br />

Fremdsprache<br />

4 4 4<br />

Geschichte 2 3 2<br />

Geographie 3 2 -<br />

Physik - 2 3<br />

Chemie - - 3<br />

Biologie 3 2 -<br />

Körperk<strong>und</strong>e * 3 3 3<br />

Musik * 1 1 1<br />

Kultur * 1 1 1<br />

Arbeit * 2 2 2<br />

Wochenst<strong>und</strong>en 36 37 31<br />

* Fortsetzung aus <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule<br />

Tabelle 14: Curriculum <strong>der</strong> Mittelschule<br />

<strong>der</strong> Unterstufe<br />

rie gelehrt. Das theoretische Wissen dient als Gr<strong>und</strong>lage für späteres Experimentieren.<br />

Im Fach Arbeit wird <strong>der</strong> theoretische Unterricht <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule fortgesetzt,<br />

wobei es auf Mittelschulstufe vor allem um die Unterscheidung von <strong>in</strong>dustrieller <strong>und</strong><br />

landwirtschaftlicher Produktion geht. Verschiedene Berufe <strong>und</strong> Arbeitsgebiete werden<br />

den Schülern im praktischen Bereich vorgestellt. Am Ende <strong>der</strong> Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe<br />

wird e<strong>in</strong>e Abschlussprüfung abgelegt. Diese Prüfung ist <strong>der</strong> Ausweis, die neunjährige<br />

Schulpflicht absolviert zu haben, wobei dieser Ausweis, für den Übertritt <strong>in</strong> die<br />

Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe nicht ausreicht. Hierzu ist das Bestehen e<strong>in</strong>er Aufnahmeprüfung<br />

erfor<strong>der</strong>lich. Die Entwicklung <strong>der</strong> quantitativen Verhältnisse sieht an den ch<strong>in</strong>esischen<br />

Mittelschulen <strong>der</strong> Unterstufe wie folgt aus («Basic <strong>St</strong>atistics on ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002; «Educational Evolution <strong>in</strong> ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; MOE, 2002; Surowski, 2000):<br />

1985 1990 1995 1999 Tendenz<br />

Anzahl Mittelschulen <strong>der</strong> Unterstufe 75'903 71'953 67'029 63'086<br />

Anzahl Schüler<br />

39'648'000 38'687'000 46'578'000 57'216'000<br />

Anzahl neu registrierter Schüler<br />

Anzahl Absolventen<br />

Anzahl Schüler pro Schule im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Absolventen pro Schule im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

13'494'000 13'699'000 17'523'000 21'497'000<br />

9'983'000 11'091'000 12'274'000 15'898'000<br />

700 728 956 1248<br />

132 154 183 252<br />

Tabelle 15: Mittelschulen <strong>der</strong> Unterstufe von 1985 bis 1999


70 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Die Anzahl Mittelschulen <strong>der</strong> Unterstufe ist laut offiziellen statistischen Angaben zurückgegangen.<br />

Schüler s<strong>in</strong>d es h<strong>in</strong>gegen mehr geworden, was zur Folge hat, dass<br />

sowohl die Anzahl Schüler als auch die Absolventenzahl pro Schule auf <strong>der</strong> Unterstufe<br />

heute sehr viel grösser ist als Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre («Basic <strong>St</strong>atistics on ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002).<br />

1.2.4.2. Oberstufe<br />

Für den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> erfolgreicher Abschluss <strong>der</strong><br />

Unterstufe <strong>und</strong> das Bestehen e<strong>in</strong>er Aufnahmeprüfung erfor<strong>der</strong>lich. Die Aufnahmeprüfungen<br />

für die Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe werden regional durchgeführt. Geprüft<br />

werden die Fächer Ch<strong>in</strong>esische Sprache, Mathematik, Fremdsprachen (meistens<br />

Englisch), Physik, Chemie <strong>und</strong> Politik. Für die def<strong>in</strong>itive Aufnahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Mittelschule<br />

oberer <strong>St</strong>ufe s<strong>in</strong>d neben <strong>der</strong> erreichten Punktzahl bei <strong>der</strong> Zulassungsprüfung auch die<br />

bisherigen Leistungsausweise sowie Empfehlungen <strong>der</strong> zuvor besuchten Schulen<br />

massgebend. Schüler, die regionale o<strong>der</strong> sogar nationale Leistungswettbewerbe gewonnen<br />

haben, können auch ohne Aufnahmeprüfung an e<strong>in</strong>er Schule zugelassen<br />

werden. Das Schuljahr <strong>der</strong> oberen Mittelschulen dauert 40 Wochen, das heisst e<strong>in</strong>e<br />

Woche länger als <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe. Das Curriculum <strong>der</strong><br />

oberen Mittelschule sieht im Allgeme<strong>in</strong>en die <strong>in</strong> Tabelle 16 aufgeführten Fächer <strong>und</strong><br />

Anzahl Unterrichtsst<strong>und</strong>en vor. Im ersten <strong>und</strong> zweiten Schuljahr werden alle aufgeführten<br />

Fächer, ausgenommen Biologie <strong>und</strong> Geographie, unterrichtet (S. Chen, Interview,<br />

1999; Surowski, 2000):<br />

Seit Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre können<br />

Physik, Chemie, Biologie, Geschichte,<br />

Geographie, Fremdsprache,<br />

Sport, Kultur <strong>und</strong> Arbeit ab<br />

dem zweiten Schuljahr auch als<br />

Wahlfach belegt werden. Damit<br />

wurde die Möglichkeit <strong>der</strong> Spezialisierung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> oberen Mittelschule<br />

e<strong>in</strong>geführt. Die wöchentliche Anzahl<br />

Schulst<strong>und</strong>en ist <strong>in</strong> allen drei Jahren<br />

auf maximal 38 <strong>St</strong><strong>und</strong>en beschränkt.<br />

Ideologie <strong>und</strong> Politik ist<br />

auf dieser <strong>St</strong>ufe <strong>der</strong> Marxistischen<br />

Theorie gewidmet. In Ch<strong>in</strong>esischer<br />

Sprache werden klassische <strong>und</strong><br />

mo<strong>der</strong>ne Literatur studiert. In Mathematik<br />

wird höhere Mathematik<br />

unterrichtet. Englisch ist diejenige<br />

Fremdsprache, die an den meisten<br />

oberen Mittelschulen studiert wird.<br />

E<strong>in</strong>e Art gr<strong>und</strong>legende Moralerziehung<br />

fliesst <strong>in</strong> alle unterrichteten<br />

Fächern mit e<strong>in</strong>.<br />

Anzahl <strong>St</strong><strong>und</strong>en pro Schuljahr:<br />

Fach: 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr<br />

Ideologie <strong>und</strong><br />

Politik<br />

3 3 3<br />

Ch<strong>in</strong>esische<br />

Sprache<br />

4 4 5<br />

Mathematik 5 4 5<br />

Fremdsprache 6 6 6<br />

Physik 3 3 -<br />

Chemie 3 3 -<br />

Biologie - 3 -<br />

Geschichte 2 2 -<br />

Geographie 3 - -<br />

Kunst <strong>und</strong> Kultur 1 1 -<br />

Sport 2 2 2<br />

Sonstige<br />

Aktivitäten<br />

6 6 6<br />

Arbeit 4 Wochen 4 Wochen 4 Wochen<br />

Prüfungsvorbereitung<br />

2 Wochen 2 Wochen 12 Wochen<br />

Wochenst<strong>und</strong>en 38 35 27<br />

Tabelle 16: Curriculum <strong>der</strong> Mittelschule<br />

<strong>der</strong> Oberstufe


<strong>Bildung</strong>ssystem 71<br />

Hierzu gehören auch die 36 <strong>St</strong>rategeme, die Teil des Allgeme<strong>in</strong>wissens e<strong>in</strong>es Mittelschülers<br />

s<strong>in</strong>d, wie aus den Schulmaterialien ersichtlich ist. Während den vier Wochen<br />

Arbeit pro Schuljahr, werden die Schüler an fünf Tagen pro Woche für sechs <strong>St</strong><strong>und</strong>en<br />

mit e<strong>in</strong>er bestimmten Aufgabe beschäftigt. In den drei oberen Mittelschuljahren müssen<br />

die Schüler m<strong>in</strong>destens drei Examen ablegen. Das Resultat dieser Examen ist<br />

e<strong>in</strong>erseits entscheidend für den Übertritt <strong>in</strong> die nächste Klasse <strong>und</strong> je nach Fach, Teil<br />

des Abschlussexamens. Damit e<strong>in</strong> Schüler <strong>in</strong> die nächste Klasse aufsteigen kann, darf<br />

höchstens e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> geprüften Fächer ungenügend benotet werden. Das ungenügende<br />

Fach muss auf jeden Fall wie<strong>der</strong>holt werden. Wenn die Prüfung beim zweiten Versuch<br />

wie<strong>der</strong> ungenügend ausfällt, wird <strong>der</strong> Schüler aus <strong>der</strong> Schule ausgeschlossen.<br />

Am Ende <strong>der</strong> drei Jahre oberer Mittelschule f<strong>in</strong>den die letzten Prüfungen des grossen<br />

Abschlussexamens statt. Dieses Examen ist 1995 für ganz Ch<strong>in</strong>a, (ausgenommen<br />

Shanghai) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitlicher Form e<strong>in</strong>geführt worden. Besteht e<strong>in</strong> Schüler die Abschlussprüfung<br />

nicht (auch beim zweiten Versuch nicht) wird trotzdem e<strong>in</strong>e Schulabschlussbestätigung<br />

ausgestellt. Das offizielle Abschlusszeugnis <strong>der</strong> Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe<br />

erhalten jedoch nur diejenigen, welche alle Prüfungen, die Teile des Abschlussexamens<br />

s<strong>in</strong>d, bestehen. Folgende Fächer s<strong>in</strong>d Teil des Abschlussexamens<br />

(S. Chen, Interview, 1999; Senger, 2000; Surowski, 2000):<br />

1. Schuljahr: Geschichte<br />

2. Schuljahr: Biologie, Chemie, Geographie <strong>und</strong> Experimente im Labor<br />

3. Schuljahr: Ch<strong>in</strong>esische Sprache, Fremdsprache, Mathematik, Sport, Politik<br />

Bewertet werden die Abschlussprüfungen nach <strong>der</strong> vierstufigen o<strong>der</strong> numerischen<br />

Notenskala. Die Entwicklung <strong>der</strong> quantitativen Verhältnisse an den Mittelschulen <strong>der</strong><br />

Oberstufe stellt sich wie folgt dar («Basic <strong>St</strong>atistics on ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Surowski,<br />

2000):<br />

1985 1990 1995 2001 Tendenz<br />

Anzahl Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe 93'221 87'631 81'020 80'432<br />

Anzahl Schüler<br />

47'060'000 45'860'000 53'710'000 78'360'000<br />

Anzahl neu registrierter Schüler<br />

Anzahl Absolventen mit<br />

Abschlusszeugnis<br />

16'069'000 16'196'000 20'259'000 28'159'000<br />

11'949'000 13'421'000 14'290'000 20'474'000<br />

Anzahl Lehrende (Vollzeit) 2'652'000 3'033'000 3'334'000 4'188'000<br />

Anzahl Schüler pro Schule im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Absolventen pro Schule im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Schüler pro Lehrenden im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

677 708 913 1324<br />

128 153 176 255<br />

24 21 22 25<br />

Tabelle 17: Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe von 1985 bis 2001<br />

Die Anzahl <strong>der</strong> Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe ist heute <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a ger<strong>in</strong>ger als Mitte <strong>der</strong><br />

80er Jahre. An oberen Mittelschulen haben sich die Anzahl Schüler, Absolventen <strong>und</strong><br />

Lehrende h<strong>in</strong>gegen be<strong>in</strong>ahe verdoppelt. Diese Entwicklung zeigt sich an den ebenfalls<br />

fast doppelt so hohen Schüler- <strong>und</strong> Absolventenzahlen pro Schule, wobei sich das<br />

Verhältnis <strong>der</strong> Anzahl Schüler pro Lehrenden nicht wesentlich verän<strong>der</strong>t hat.


72 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1.2.5. Hochschule <strong>und</strong> <strong>Universität</strong><br />

Der Unterschied zwischen e<strong>in</strong>er Hochschule <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Universität</strong> besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausgestaltung<br />

des Curriculums. Die Hochschulausbildung ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel praxisnaher <strong>und</strong><br />

flexibler als universitäre Lehrgänge, wobei die Unterschiede stark mit dem jeweiligen<br />

<strong>St</strong>udienfach zusammenhängen, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen. Die<br />

Zulassung zu e<strong>in</strong>er Hochschule <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist erstens vom erfolgreichen<br />

Abschluss e<strong>in</strong>er Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe <strong>und</strong> zweitens von <strong>der</strong> stark selektiven<br />

nationalen Hochschulaufnahmeprüfung abhängig. S<strong>in</strong>d diese Hürden geschafft,<br />

ist <strong>der</strong> Zugang zum Gr<strong>und</strong>studium gewährt. Die Unterteilung <strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong><br />

Hauptstudium sowie die Möglichkeit <strong>der</strong> Promotion entsprechen dem amerikanischen<br />

Hochschulsystem von Bachelor, Master <strong>und</strong> PhD. In diesem S<strong>in</strong>ne ist es auch <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

durchaus üblich sowohl nach dem Gr<strong>und</strong>- als auch nach dem Hauptstudium <strong>in</strong>s<br />

Berufsleben e<strong>in</strong>zusteigen.<br />

1.2.5.1. Nationale Hochschulaufnahmeprüfung<br />

Seit 1952 wird <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a (ausgenommen während <strong>der</strong> Kulturrevolution von 1966 bis<br />

1976) jährlich die nationale Hochschulaufnahmeprüfung durchgeführt. Diese Zulassungsprüfung<br />

ist stark selektiv, wie die folgende Übersicht <strong>der</strong> Anzahl Bewerbungen<br />

im Vergleich zur Anzahl Zugelassenen zeigt («Educational Evolution <strong>in</strong> ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002; Surowski, 2000):<br />

Jahr Anzahl Bewerber:<br />

Zugelassene <strong>in</strong> Prozenten<br />

Anzahl Zugelassene: aller Bewerber:<br />

1977 5‘858‘300 273‘000 4.66<br />

1980 6'161‘500 281‘200 4.56<br />

1985 1'966‘000 619‘200 31.50<br />

1990 2'329‘600 608‘900 26.14<br />

1995 2'530‘000 925‘900 36.60<br />

2000 3'885‘000 2'206‘000 56.78<br />

Tabelle 18: Nationale Hochschulaufnahmeprüfung 1977 bis 2000<br />

Die Anzahl Bewerber bewegt sich seit <strong>der</strong> Kulturrevolution zwischen zwei <strong>und</strong> sechs<br />

Millionen pro Jahr. Sowohl die absolute als auch die prozentuale Aufnahmequote ist<br />

tendenziell zunehmend. In Shanghai, Beij<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Anhui werden seit März 2000 zweimal<br />

pro Jahr nationale Hochschulaufnahmeprüfungen durchgeführt. Dies hat unter<br />

an<strong>der</strong>em zu erstmaligem Überschreiten <strong>der</strong> 50-Prozent-Quote <strong>der</strong> erfolgreichen Kandidaten<br />

geführt. Prüfungsfächer <strong>der</strong> nationalen Hochschulaufnahmeprüfung s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

jedem Fall Ch<strong>in</strong>esische Sprache, Mathematik <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Fremdsprache (meistens Englisch).<br />

Weitere Prüfungsfächer s<strong>in</strong>d abhängig vom <strong>St</strong>udienfach <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Hochschule,<br />

bei <strong>der</strong> die Bewerbung e<strong>in</strong>gereicht wird. Die Aufnahmeprüfung dauert drei<br />

Tage <strong>und</strong> kann beliebig oft wie<strong>der</strong>holt werden. Es gibt lediglich e<strong>in</strong>e altersmässige<br />

Zulassungsbeschränkung, die je nach <strong>St</strong>udienfach 25 bis 28 Jahre beträgt. Nach bestandener<br />

Prüfung müssen sich die Kandidaten e<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>heitskontrolle unterziehen<br />

<strong>und</strong> je nach Fakultät auch e<strong>in</strong>em Test <strong>in</strong> Politik. Jedes Jahr bestimmt das M<strong>in</strong>isterium<br />

für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g für jede Hochschule <strong>und</strong> jedes <strong>St</strong>udienfach <strong>in</strong> ganz Ch<strong>in</strong>a


<strong>Bildung</strong>ssystem 73<br />

die maximale Anzahl neuer <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong>. Die m<strong>in</strong>imale E<strong>in</strong>trittsquote wird auf Geme<strong>in</strong>de-<br />

beziehungsweise Prov<strong>in</strong>zebene festgelegt. Da die Bewerber <strong>der</strong> Küstenregionen<br />

bei den nationalen Aufnahmeprüfungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel besser abschneiden als<br />

diejenigen aus ländlichen Gebieten, ist die zu erreichende Punktzahl für das Bestehen<br />

<strong>der</strong> Prüfung an Hochschulen <strong>in</strong> Küstengebieten höher als <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Regionen. Beson<strong>der</strong>e<br />

Regelungen gelten für Bewerber von ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten, von ch<strong>in</strong>esischen<br />

Familien aus dem Ausland <strong>und</strong> solchen mit sportlichen, wissenschaftlichen o<strong>der</strong><br />

militärischen Auszeichnungen. Das Bevorzugen von Kandidaten, die «vom Land»<br />

kommen o<strong>der</strong> speziellen Bevölkerungsgruppen angehören, ist auf die bevölkerungsspezifische<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Regierung zurückzuführen (vergleiche<br />

Teil III: 2.2.1.2.) (L. Chen, Interview, 1999; «Educational Evolution <strong>in</strong> ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002; Gao, Gespräche, 1999-2001; Surowski, 2000).<br />

1.2.5.2. Gr<strong>und</strong>studium (Bachelor)<br />

Das Angebot auf Hochschulgr<strong>und</strong>stufe ist für ganz Ch<strong>in</strong>a vom M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong><br />

vorgeschrieben. Dies hat zur Folge, dass die <strong>St</strong>udien<strong>in</strong>halte, abgesehen von wenigen<br />

Ausnahmen, überall <strong>in</strong> ungefähr gleichem Rahmen gelehrt werden. Die angebotenen<br />

<strong>St</strong>udienrichtungen s<strong>in</strong>d:<br />

Ingenieurwissenschaften:<br />

Sprachwissenschaften:<br />

Naturwissenschaften:<br />

Mediz<strong>in</strong>:<br />

Oftmals sehr theoretisches <strong>St</strong>udium<br />

<strong>St</strong>udienrichtung für Geschichte <strong>der</strong><br />

Kommunistischen Partei Ch<strong>in</strong>as <strong>und</strong> des<br />

Sozialismus; Ch<strong>in</strong>esische Sprache, Literatur<br />

<strong>und</strong> Fremdsprachen (vergleiche Teil II: 1.6.1.)<br />

<strong>St</strong>udienfach für Chemie, Mathematik <strong>und</strong><br />

Physik; oftmals sehr theoretisches <strong>St</strong>udium mit<br />

Ausnahme e<strong>in</strong>iger weniger Hochschulen, die<br />

über aufwendige Labore<strong>in</strong>richtungen verfügen<br />

<strong>St</strong>udienrichtung für Traditionelle Ch<strong>in</strong>esische<br />

Mediz<strong>in</strong> (TCM) (vergleiche Teil II: 2.1.2.1. am<br />

Ende), Krankenpflege <strong>und</strong> Pharmazie; oftmals<br />

beste E<strong>in</strong>richtungen für Labor- <strong>und</strong><br />

Forschungsarbeit<br />

Rechts- <strong>und</strong> Politikwissenschaften: <strong>St</strong>udienrichtung für Recht, Politik <strong>und</strong> Internationale<br />

Beziehungen (vergleiche Teil II: 1.6.1.)<br />

Wirtschaftswissenschaften:<br />

<strong>Erziehung</strong>swissenschaft:<br />

Land- <strong>und</strong> Waldwirtschaft:<br />

<strong>St</strong>udienrichtung für F<strong>in</strong>anz- <strong>und</strong> Rechnungswesen,<br />

Volkswirtschaft <strong>und</strong> Internationalen Handel<br />

<strong>St</strong>udienrichtung <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie für Lehrende,<br />

zum Teil auch für <strong>Erziehung</strong>sverwaltung <strong>und</strong><br />

Sport (vergleiche Teil II: 2.2.2.2.)<br />

<strong>St</strong>udium verb<strong>und</strong>en mit praktischer Arbeit;<br />

verbreitete <strong>St</strong>udienrichtung an Hochschulen auf<br />

dem Land


74 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Geschichte:<br />

Philosophie:<br />

Militärwissenschaften:<br />

<strong>St</strong>udienfach für Geschichte <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Revolution (Inhalte <strong>der</strong> jüngeren Geschichte<br />

nach Mao werden immer wie<strong>der</strong> angepasst)<br />

<strong>St</strong>udienrichtung für Sozialismus, das heisst<br />

Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus, politische Ökonomie<br />

sowie Geschichte des ch<strong>in</strong>esischen<br />

Sozialismus <strong>und</strong> Kommunismus als auch<br />

Parteigeschichte (vergleiche Teil II: 1.6.1.)<br />

nur an Militärschulen gelehrt<br />

(vergleiche Teil II: 1.6.2.)<br />

Das Gr<strong>und</strong>studium dauert vier bis sechs Jahre, wobei es auf dieser <strong>St</strong>ufe die Möglichkeit<br />

gibt, e<strong>in</strong> sogenanntes Kurzzeitstudium zu absolvieren. <strong>St</strong>udierende, die erfolgreich<br />

abschliessen, erhalten e<strong>in</strong> Abschlusszeugnis <strong>in</strong> ihrem <strong>St</strong>udienfach. Diejenigen, welche<br />

ungenügende Leistungen erbr<strong>in</strong>gen, erhalten e<strong>in</strong>e Abschlussbestätigung mit <strong>der</strong><br />

Möglichkeit, während e<strong>in</strong>es zusätzlichen <strong>St</strong>udienjahres ihre Leistungen zu verbessern<br />

<strong>und</strong> somit das Abschlusszeugnis doch noch zu erwerben. E<strong>in</strong>e Hochschule kann nur<br />

dann Abschlusszeugnisse ausstellen, wenn die Zentralregierung sie offiziell dazu<br />

autorisiert. Es ist gr<strong>und</strong>sätzlich möglich, e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>studium <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweiten Fach zu<br />

absolvieren. Diese Möglichkeit wird jedoch selten wahrgenommen. Die prozentuale<br />

Verteilung <strong>der</strong> <strong>St</strong>udierenden auf die verschiedenen <strong>St</strong>udienrichtungen ergibt das folgende<br />

Bild («Enrollment of Regular ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Hayhoe, 1996; Ma, Gespräche,<br />

1999; Surowski, 2000):<br />

<strong>St</strong>udienrichtung:<br />

1980 1990 2000 2001<br />

E<strong>in</strong>geschriebene<br />

E<strong>in</strong>geschriebene<br />

Bisherige<br />

Neue<strong>in</strong>geschriebene<br />

Absolventen<br />

Bisherige<br />

Neue<strong>in</strong>geschriebene<br />

Absolventen<br />

Ingenieurwissenschaften 34 37 38,6 37,7 37,3 40,4 35,8 38,9<br />

Sprachwissenschaften (6*) (6*) 14,7 15,6 15,5 17,2 16,8 17,6<br />

Naturwissenschaften 7 4 9,7 9,2 10,3 11,6 10,4 12,9<br />

Mediz<strong>in</strong> 12 9 7,6 6,8 6,3 8,6 7,0 7,0<br />

Politik- <strong>und</strong> Rechtswissenschaften<br />

1 2 4,9 5,2 4,6 6,3 5,9 6,8<br />

Wirtschaftswissenschaften 3 13 15,8 16,5 16,8 5,8 14,6 6,4<br />

<strong>Erziehung</strong>swissenschaft 30 24 4,2 4,9 4,4 6,1 6,3 5,9<br />

Land- <strong>und</strong> Waldwirtschaft 7 5 3,3 3,1 3,2 3,0 2,5 3,2<br />

Geschichte (6*) (6*) 1,1 1,0 1,5 0,9 0,6 1,1<br />

Philosophie (6*) (6*) 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1<br />

Tabelle 19: <strong>St</strong>udierende nach <strong>St</strong>udienrichtungen 1980 <strong>und</strong> 2001<br />

(6*) <strong>in</strong>sgesamt 6 Prozent<br />

Die Reihenfolge <strong>der</strong> <strong>St</strong>udienrichtungen <strong>in</strong> Tabelle 19 verläuft nach <strong>der</strong> Grössenordnung<br />

<strong>der</strong> Absolventenzahlen im Jahr 2001 (letzte Spalte). Die Abbildung zeigt, dass<br />

das Ingenieurstudium <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a seit den 80er Jahren höchste Priorität<br />

hat. E<strong>in</strong>e Vielzahl hoher Funktionäre s<strong>in</strong>d Absolventen dieses <strong>St</strong>udienlehrgangs. An<br />

zweiter <strong>St</strong>elle lag damals die <strong>Erziehung</strong>swissenschaft, welche heute auf Rang 7 liegen.<br />

An zweiter <strong>St</strong>elle liegt heute die <strong>St</strong>udienrichtung Sprachwissenschaften.


<strong>Bildung</strong>ssystem 75<br />

Die Absolventen des wirtschaftswissenschaftlichen Lehrgangs s<strong>in</strong>d im Jahr 2001 im<br />

Vergleich zum Vorjahr stark zurückgegangen. Dafür haben Rechts- <strong>und</strong> Politikwissenschaften<br />

im Jahr 2001 leicht zugelegt.<br />

Die Entwicklung <strong>der</strong> quantitativen Verhältnisse von <strong>St</strong>udierenden <strong>und</strong> Dozierenden an<br />

Hochschulen <strong>und</strong> <strong>Universität</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a sieht wie folgt aus («Basic<br />

<strong>St</strong>atistics on ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Hayhoe, 1991; MOE, 2002):<br />

1985 1990 1995 2001 Tendenz<br />

Anzahl Hochschul<strong>in</strong>stitutionen 1'061 1'075 1'054 1'225<br />

Anzahl <strong>St</strong>udierende 1'703'000 2'063'000 2'906'000 7'190'700<br />

Anzahl neu e<strong>in</strong>geschriebene<br />

<strong>St</strong>udierende<br />

Anzahl Absolventen mit<br />

Abschlusszeugnis<br />

619'000 609'000 926'000 2'682'800<br />

316'000 614'000 805'000 1'036'300<br />

Anzahl Lehrende (Vollzeit) 344'000 395'000 401'000 531'900<br />

Anzahl <strong>St</strong>udierende pro Hochschule<br />

im Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Absolventen pro Hochschule<br />

im Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl <strong>St</strong>udierende pro Lehrenden<br />

im Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Tabelle 20: Hochschul<strong>in</strong>stitutionen von 1985 bis 2001<br />

2189 2486 3636 8060<br />

298 571 764 846<br />

7 7 10 19<br />

Seit 1985 nehmen die quantitativen Verhältnisse an Hochschulen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a stetig zu. Die Zunahme <strong>der</strong> <strong>St</strong>udierenden ist enorm, wie vor allem die hohe<br />

Anzahl <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> <strong>und</strong> Absolventen pro Hochschule zeigt. Auch das Verhältnis von<br />

<strong>St</strong>udierenden pro Lehrenden hat sich von 1985 bis 2001 be<strong>in</strong>ahe verdreifacht.<br />

1.2.5.3. Hauptstudium (Master)<br />

Die Zulassung zum Hauptstudium basiert auf den folgenden Kriterien:<br />

1. Absolvieren e<strong>in</strong>es Gr<strong>und</strong>studiums, das heisst Vorweisen e<strong>in</strong>er<br />

Abschlussbestätigung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er gleichwertigen Qualifikation<br />

2. Bestehen <strong>der</strong> Aufnahmeprüfung zum Hauptstudium<br />

3. nicht älter als 40 Jahre<br />

4. schriftliche Empfehlung vorher besuchter Schulen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Arbeitgebers<br />

5. Bestehen e<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>heitskontrolle <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Tests <strong>in</strong> Politik<br />

Bevor e<strong>in</strong> Kandidat zur Aufnahmeprüfung (2.) zugelassen wird, müssen die erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Bewerbungsunterlagen (1., 3., 4.) bei <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>skommission auf Prov<strong>in</strong>zebene<br />

e<strong>in</strong>gereicht se<strong>in</strong>. Im Falle e<strong>in</strong>er Zulassung zur Aufnahmeprüfung f<strong>in</strong>det diese <strong>in</strong><br />

zwei Etappen statt. Im ersten Teil <strong>der</strong> Aufnahmeprüfung werden während drei Tagen<br />

die Fächer Politikwissenschaft <strong>und</strong> Fremdsprachen sowie drei Fächer des angestrebten<br />

Hauptstudiengangs geprüft. Für die ersten beiden Fächer ist die regionale <strong>Bildung</strong>skommission<br />

zuständig. Die drei weiteren Prüfungsfächer werden von <strong>der</strong> ent-


76 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

sprechenden Ausbildungs<strong>in</strong>stitution abgenommen. Diejenigen Kandidaten, die den<br />

ersten Teil erfolgreich bestehen, werden zum zweiten Teil <strong>der</strong> Prüfung zugelassen.<br />

Für die Zulassung zum zweiten Teil <strong>der</strong> Aufnahmeprüfung ist das M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong><br />

<strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g zuständig. Das M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> setzt jedes Jahr sowohl die<br />

Quoten für die Zulassung zum Hauptstudium als auch die erfor<strong>der</strong>lichen Punktzahlen<br />

(Bewertung nach numerischer Skala) für das Bestehen <strong>der</strong> Aufnahmeprüfung fest. Die<br />

strengsten Kriterien gelten für Bewerber mit ausschliesslich schulischem Werdegang.<br />

Für Kandidaten mit Berufserfahrung gelten weniger strenge Aufnahmebed<strong>in</strong>gungen.<br />

Kandidaten aus den Prov<strong>in</strong>zen Gansu, Guizhou, Q<strong>in</strong>ghai <strong>und</strong> Yunnan sowie aus den<br />

autonomen Regionen Guangxi, Innere Mongolei, N<strong>in</strong>gxia <strong>und</strong> Xizang werden bevorzugt<br />

behandelt (vergleiche Teil III: 2.2.1.2.). Die zweite Etappe <strong>der</strong> Aufnahmeprüfung<br />

wird ausschliesslich von <strong>der</strong>jenigen Institution durchgeführt, wo die Kandidaten studieren<br />

möchte. Es handelt sich hierbei um schriftliche o<strong>der</strong> mündliche Prüfungen, die<br />

Aufschluss über die analytischen Fähigkeiten, das Problemlösungsvermögen, Präsentationsfähigkeiten<br />

<strong>und</strong> allfällige Schwächen <strong>der</strong> Kandidaten geben sollen. Bewerber,<br />

die sich durch bisherige ausserordentliche Leistungen ausgezeichnet haben,<br />

können auch ohne Aufnahmeprüfung zugelassen werden. Im Gegensatz zum Gr<strong>und</strong>studium<br />

kann e<strong>in</strong> Hauptstudium nicht an allen Hochschulen absolviert werden. Nur<br />

etwa die Hälfte aller Hochschulen ist vom <strong>Bildung</strong>sm<strong>in</strong>isterium autorisiert, Hauptstudiengänge<br />

durchzuführen. Dafür bieten neben Hochschulen zahlreiche an<strong>der</strong>e <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen,<br />

wie Forschungs<strong>in</strong>stitute, Spezialakademien <strong>und</strong> <strong>Universität</strong>en, <strong>St</strong>udienlehrgänge<br />

im Anschluss an das Gr<strong>und</strong>studium an. Um <strong>St</strong>udierende im Hauptstudium<br />

aufzunehmen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt se<strong>in</strong> (Surowski, 2000):<br />

• es müssen genügend Professoren <strong>und</strong> Dozenten zur Betreuung für die<br />

<strong>St</strong>udierenden zur Verfügung stehen<br />

• e<strong>in</strong>e angemessene Anzahl Pflicht- <strong>und</strong> Wahlfächer muss angeboten werden,<br />

damit entsprechende theoretische <strong>und</strong> praktische Forschungsmöglichkeiten<br />

garantiert s<strong>in</strong>d<br />

• Forschungsziele <strong>und</strong> -projekte müssen durch ausreichende Forschungse<strong>in</strong>richtungen,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Laborausstattungen <strong>und</strong> Bibliotheken, unterstützt werden<br />

• Vorgaben des M<strong>in</strong>isteriums für <strong>Bildung</strong> betreffend Zulassung <strong>und</strong> Adm<strong>in</strong>istration<br />

müssen e<strong>in</strong>gehalten werden<br />

Das Hauptstudium dauert zwei bis drei Jahre. Die Anzahl <strong>St</strong>udierenden auf dieser <strong>St</strong>ufe<br />

ist sehr viel ger<strong>in</strong>ger als auf <strong>St</strong>ufe des Gr<strong>und</strong>studiums. Die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> Vorschriften<br />

s<strong>in</strong>d je nach Institution sehr unterschiedlich. Der Inhalt des Hauptstudiums<br />

besteht aus den Pflichtfächern: Marxistische Theorie, Fremdsprache <strong>und</strong> Spezialisierung<br />

(gewähltes <strong>St</strong>udienfach). Die Lehrveranstaltungen f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Form von Sem<strong>in</strong>aren<br />

statt, welche meistens während <strong>der</strong> ersten drei Semester absolviert werden. Ab<br />

dem vierten Semester verlangt das Hauptstudium von den <strong>St</strong>udierenden <strong>in</strong>tensiveres<br />

Selbststudium <strong>und</strong> eigene Forschungsarbeit. Der erfolgreiche Abschluss des<br />

Hauptstudiums basiert auf drei Komponenten: Fachprüfungen am Ende <strong>der</strong> Lehrveranstaltungen,<br />

Sprachprüfungen nach Vorgabe <strong>der</strong> staatlichen <strong>Bildung</strong>skommission<br />

<strong>und</strong> Diplomarbeit. Die Fachprüfungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die gleichen <strong>St</strong>udienrichtungen wie auf<br />

<strong>der</strong> <strong>St</strong>ufe des Gr<strong>und</strong>studiums e<strong>in</strong>geteilt (vergleiche Teil I: 1.2.5.2.). Zusätzlich können


<strong>Bildung</strong>ssystem 77<br />

heute an e<strong>in</strong>igen Hochschulen im Hauptstudium die Fächer Betriebswirtschaft <strong>und</strong><br />

Architektur belegt werden. Zeugnisse werden nach erfolgreichem Abschluss des <strong>St</strong>udiums<br />

entsprechend <strong>der</strong> <strong>St</strong>udienrichtung ausgestellt. <strong>St</strong>udierende, welche die Prüfungen<br />

nicht bestehen, können die ungenügenden Prüfungen wie<strong>der</strong>holen. Auch am<br />

Ende des Hauptstudiums kann anstelle e<strong>in</strong>es Abschlusszeugnisses lediglich e<strong>in</strong>e<br />

Bestätigung ausgestellt werden, was aber eher selten vorkommt. Im Jahr 2001 haben<br />

67'000 <strong>St</strong>udierende e<strong>in</strong> Hauptstudium an <strong>in</strong>sgesamt 728 autorisierten Hochschulen<br />

abgeschlossen. Im gleichen Jahr waren 393‘200 <strong>St</strong>udierende e<strong>in</strong>geschrieben <strong>und</strong><br />

165‘200 wurden neu für e<strong>in</strong> Hauptstudium immatrikuliert. Das heisst, im Jahr 2001<br />

haben sich 16 Prozent <strong>der</strong> Absolventen e<strong>in</strong>es Gr<strong>und</strong>studiums für die Fortsetzung ihres<br />

<strong>St</strong>udiums entschieden (J. Li, Interview, 1999; Ma, Gespräche, 1999; MOE, 2002; Surowski,<br />

2000).<br />

E<strong>in</strong>e Beson<strong>der</strong>heit ch<strong>in</strong>esischer <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen auf dieser <strong>St</strong>ufe s<strong>in</strong>d die Teilzeit-<strong>St</strong>udienprogramme.<br />

Ursprünglich wurde dieses Angebot für diejenigen geschaffen,<br />

die ihre akademische Karriere aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kulturrevolution unterbrechen<br />

mussten. Heute werden jene <strong>St</strong>udierenden zu diesen Teilzeitprogrammen zugelassen,<br />

die m<strong>in</strong>destens fünf Jahre Berufserfahrung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em akademischen Umfeld mitbr<strong>in</strong>gen.<br />

Die Kandidaten müssen Referenzen aus diesem Umfeld vorweisen, e<strong>in</strong>e Fremdsprachenprüfung<br />

<strong>und</strong> weitere Tests bestehen, um aufgenommen zu werden. Teilzeitstudierende<br />

müssen nicht auf dem Campus leben. Sie erwerben nach Abschluss ihres <strong>St</strong>udiums<br />

normalerweise ke<strong>in</strong> Zeugnis, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e Abschlussbestätigung (Surowski,<br />

2000).<br />

1.2.5.4. Promotion<br />

Die Zulassung zum Promotionsstudium setzt das Folgende voraus:<br />

1. Absolvieren e<strong>in</strong>es Hauptstudiums, das heisst Vorweisen e<strong>in</strong>es entsprechenden<br />

Abschlusszeugnisses beziehungsweise -bestätigung<br />

2. Bestehen e<strong>in</strong>er Prüfung im entsprechenden Spezialfach, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fremdsprache<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Politikwissenschaft (falls nicht schon früher absolviert)<br />

3. nicht älter als 45 Jahre<br />

4. zwei Empfehlungsschreiben von Professoren <strong>der</strong> Fakultät, wo <strong>der</strong> Kandidat<br />

promovieren möchte<br />

5. Bestehen e<strong>in</strong>er Ges<strong>und</strong>heitskontrolle <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Tests <strong>in</strong> Politik<br />

Die Bewerbungsunterlagen werden direkt <strong>der</strong> Hochschule o<strong>der</strong> dem Institut, wo das<br />

Promotionsstudium angestrebt wird, e<strong>in</strong>gereicht. Das komplette Dossier muss das<br />

Bewerbungsformular, die Empfehlungsschreiben (4.), das Abschlusszeugnis (falls<br />

nicht vorhanden die Abschlussbestätigung) des Hauptstudiums (1.), die Diplomarbeit<br />

<strong>und</strong> das Resultat <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitskontrolle (5.) enthalten. Das Angebot an Promotionsstudienplätzen<br />

ist noch beschränkter als die Möglichkeiten, e<strong>in</strong> Hauptstudium zu<br />

absolvieren. In ganz Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d nur ungefähr 300 <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen autorisiert,<br />

Promotionsstudiengänge anzubieten. Die Voraussetzungen, um Promovierende aufzunehmen,<br />

s<strong>in</strong>d die gleichen wie für die Aufnahme von <strong>St</strong>udierenden <strong>in</strong>s Hauptstudium.<br />

Die Anfor<strong>der</strong>ungen an die Betreuer von Doktorierenden s<strong>in</strong>d jedoch höher. Sie


78 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

müssen deshalb höhere Qualifikationsbed<strong>in</strong>gungen erfüllen. Die Prüfungen (2.) <strong>der</strong><br />

Promotionszulassung werden direkt von den <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen durchgeführt. <strong>St</strong>udierende<br />

des Hauptstudiums können <strong>in</strong> Ausnahmefällen ohne Abschluss (1.) <strong>in</strong>s Promotionsstudium<br />

aufgenommen werden. Voraussetzung dafür s<strong>in</strong>d herausragende<br />

Leistungen vor allem im Bereich <strong>der</strong> Forschung <strong>und</strong> das Erfüllen <strong>der</strong> übrigen Voraussetzungen<br />

(2. bis 5.). Das Promotionsstudium dauert zwei bis vier Jahre. Das Curriculum<br />

<strong>der</strong> Promotion schreibt die Pflichtfächer Marxistische Theorie, zwei Fremdsprachen<br />

<strong>und</strong> die <strong>in</strong>dividuelle Spezialisierung vor. Bevor die Promovierenden damit beg<strong>in</strong>nen,<br />

ihre Dissertation zu verfassen, müssen sie Prüfungen <strong>in</strong> den Pflichtfächern ablegen.<br />

Ist die Dissertation abgeschlossen, muss sie öffentlich verteidigt <strong>und</strong> publiziert<br />

werden. Sollte die Doktorarbeit die gestellten Anfor<strong>der</strong>ungen nicht erfüllen, besteht die<br />

Möglichkeit e<strong>in</strong>es zweiten Versuchs. E<strong>in</strong>e Dissertation wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht mit Noten<br />

bewertet, son<strong>der</strong>n lediglich angenommen o<strong>der</strong> abgelehnt (J. Li, Interview, 1999;<br />

Osterwal<strong>der</strong>, Knus & <strong>St</strong>icher, 1998; Surowski, 2000).<br />

1.2.6. Schwerpunkt-Schulen<br />

Die Schwerpunkt-Schulen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Beson<strong>der</strong>heit des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems.<br />

Es handelt sich um Spezialschulen für Gr<strong>und</strong>-, Mittel- <strong>und</strong> Hochschüler, die Überdurchschnittliches<br />

leisten. Die E<strong>in</strong>führung von Schwerpunkt-Schulen erfolgt Ende <strong>der</strong><br />

70er Jahre aufgr<strong>und</strong> des Bedarfs an hochqualifizierten Arbeitskräften. E<strong>in</strong>e beschränkte<br />

Anzahl von vorzüglich e<strong>in</strong>gerichteten <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen, die Schwerpunkt-Schulen,<br />

soll auf effiziente Art <strong>und</strong> Weise, diesen Bedarf an hochqualifizierten<br />

Arbeitskräften decken. Heute gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a nationale, regionale<br />

<strong>und</strong> kommunale Schwerpunkt-Schulen. Sogenannt «gute» K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten ermöglichen<br />

den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schwerpunkt-Schule bereits auf Gr<strong>und</strong>schulstufe. Aufgr<strong>und</strong> herausragen<strong>der</strong><br />

Leistungsausweise ist es gr<strong>und</strong>sätzlich auf allen drei <strong>St</strong>ufen möglich, e<strong>in</strong>e<br />

Schwerpunkt-Schule zu besuchen (Henze, 1982; Mürner, 1983; Surowski, 2000).<br />

Die Zulassung zu Schwerpunkt-Schulen erfolgt e<strong>in</strong>erseits unter <strong>der</strong> Voraussetzung,<br />

dass e<strong>in</strong>e spezielle Aufnahmeprüfung erfolgreich absolviert wird. Nur die besten<br />

Schüler erreichen die verlangten, sehr hohen Punktzahlen zum Bestehen dieser<br />

strengen Selektionsprüfungen. An<strong>der</strong>seits müssen die Kandidaten über e<strong>in</strong> ausserordentlich<br />

hohes akademisches Potential, das anhand ihrer bisherigen schulischen Leistungen<br />

gemessen wird, verfügen. Das Curriculum an Schwerpunkt-Schulen auf<br />

Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschulstufe weicht nicht wesentlich von demjenigen an allgeme<strong>in</strong>en<br />

Schulen ab. H<strong>in</strong>gegen ist die Qualität <strong>der</strong> Lehrenden, des Unterrichts <strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen<br />

an Schwerpunkt-Schulen sehr viel besser. Für die Auswahl <strong>und</strong> Gewichtung<br />

<strong>der</strong> unterrichteten Fächer sowie <strong>der</strong> beschäftigten Lehrenden ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel die Führung<br />

<strong>der</strong> Schule zuständig (Henze, 1982; S. Chen, Interview, 1999; Surowski, 2000).<br />

Den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schwerpunkt-<strong>Universität</strong> schaffen nur diejenigen mit den besten<br />

Resultaten bei <strong>der</strong> nationalen Hochschulzulassungsprüfung. Bewerber, die während<br />

<strong>der</strong> drei Schuljahre <strong>der</strong> oberen Mittelschule durchgehend ausgezeichnete Leistungen<br />

erbracht haben, können <strong>in</strong> Ausnahmefällen ohne Zulassungsprüfung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schwerpunkt-<strong>Universität</strong><br />

aufgenommen werden. Die Quote <strong>der</strong> prüfungsfreien E<strong>in</strong>tritte ist vom


<strong>Bildung</strong>ssystem 79<br />

M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g auf maximal drei Prozent <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt neu e<strong>in</strong>tretenden<br />

<strong>St</strong>udierenden beschränkt worden. E<strong>in</strong>e weitere Ausnahme s<strong>in</strong>d leistungsstarke<br />

Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschüler, die noch ke<strong>in</strong>e 18 Jahre alt s<strong>in</strong>d. Auch sie können mit beson<strong>der</strong>er<br />

Genehmigung frühzeitig zum Hochschulstudium zugelassen werden. Der<br />

Erfolg des Schwerpunkt-Schulsystems wird hauptsächlich am Prozentsatz <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong><br />

aus diesen Spezialschulen auf Hochschulstufe gemessen. Fast alle Mittelschüler<br />

von Schwerpunkt-Schulen schaffen die E<strong>in</strong>trittshürden <strong>in</strong> die tertiäre <strong>Bildung</strong>sstufe.<br />

Heute gibt es <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a ungefähr 100 Schwerpunkt-<strong>Universität</strong>en. Das langfristige Ziel<br />

besteht dar<strong>in</strong>, diese zu <strong>in</strong>ternational wettbewerbsfähigen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen zu entwickeln.<br />

Etwa e<strong>in</strong> Drittel davon untersteht direkt dem M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>der</strong> Zentralregierung.<br />

Die An<strong>der</strong>en s<strong>in</strong>d entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em M<strong>in</strong>isterium <strong>der</strong> Zentralregierung o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>skommission auf Prov<strong>in</strong>z- beziehungsweise <strong>St</strong>adtebene unterstellt. E<strong>in</strong>em<br />

M<strong>in</strong>isterium unterstellte Schwerpunkt-<strong>Universität</strong>en s<strong>in</strong>d sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lehre als auch<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Organisation meistens eng mit dem entsprechenden M<strong>in</strong>isterium verb<strong>und</strong>en.<br />

Das Eisenbahnm<strong>in</strong>isterium verfügt zum Beispiel über e<strong>in</strong> komplette, eigene <strong>Universität</strong>,<br />

<strong>der</strong>en Angebot an <strong>St</strong>udiengängen dem M<strong>in</strong>isterium entsprechend ausgerichtet ist<br />

(Osterwal<strong>der</strong>, Knus & <strong>St</strong>icher, 1998; Surowski, 2000).<br />

1.3. Berufsbildung<br />

Die Berufsbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist vor allem im Zusammenhang mit dem<br />

starken wirtschaftlichen Wachstum seit den 80er Jahren zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Teile des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems geworden. Auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage des <strong>Bildung</strong>sgesetzes<br />

von 1995 <strong>und</strong> des Berufsbildungsgesetzes von 1996 soll <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung<br />

nachgekommen werden, dass möglichst je<strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esische Arbeitende beim E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong>s<br />

Berufsleben über e<strong>in</strong>e berufliche beziehungsweise schulische o<strong>der</strong> gar akademische<br />

Ausbildung verfügt. Welche berufsbildenden Möglichkeiten das heutige <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a anbietet, wird nach e<strong>in</strong>er kurzen historischen E<strong>in</strong>führung<br />

<strong>in</strong> den Abschnitten berufsbildende Mittelschulen <strong>und</strong> berufliche Hochschulbildung<br />

ausgeführt.<br />

1.3.1. Geschichte<br />

Exkurs 3: Ke<strong>in</strong>e technischen Spezialkenntnisse erfor<strong>der</strong>lich<br />

«Fan Tschï bat um Belehrung über den Ackerbau. Der Meister sprach:<br />

«In diesem <strong>St</strong>ück b<strong>in</strong> ich nicht so bewan<strong>der</strong>t wie e<strong>in</strong> alter Bauer.» Darauf<br />

bat er um Belehrung über den Gartenbau. Der Meister sprach:<br />

«Dar<strong>in</strong> b<strong>in</strong> ich nicht so bewan<strong>der</strong>t wie e<strong>in</strong> alter Gärtner.» Fan Tschï g<strong>in</strong>g<br />

h<strong>in</strong>aus. Da sprach <strong>der</strong> Meister: «E<strong>in</strong> beschränkter Mensch ist er doch,<br />

dieser Fan Sü. Wenn die Oberen die Ordnung hochhalten, so wird das<br />

Volk nie wagen, unehrerbietig zu se<strong>in</strong>. Wenn die Oberen die Gerechtigkeit<br />

hochhalten, so wird das Volk nie wagen, wi<strong>der</strong>spenstig zu se<strong>in</strong>.<br />

Wenn die Obrigen die Wahrhaftigkeit hochhalten, so wird das Volk es<br />

nie wagen, unaufrichtig zu se<strong>in</strong>. Wenn es aber so steht, so werden die<br />

Leute aus allen Himmelsrichtungen herbeikommen. Was braucht man<br />

dazu die Lehre vom Ackerbau!» (Günther, 1994, S.131f.).


80 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

So spricht Konfuzius (551 bis 479 vor Christus) <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Gleichnisses zu se<strong>in</strong>en<br />

Schülern. Der bedeutendste Schüler von Konfuzius, Menzius (372 bis 289 vor Christus),<br />

formuliert dieses Gleichnis später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Satz: «Arbeitet jemand mit<br />

dem Herz (das Herz gilt im alten Ch<strong>in</strong>a als Ort <strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektuellen Kopfarbeit), beherrscht<br />

er die Menschen, arbeitet jemand mit Kraft (die Kraft symbolisiert körperliche<br />

Arbeit), wird er beherrscht.» Nachdem die konfuzianische Tradition die ch<strong>in</strong>esische<br />

Welt seit Jahrtausenden prägt, ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass die handwerkliche<br />

<strong>Bildung</strong> als <strong>in</strong>feriore Lernaufgabe <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gedrängt wird (Elrod, Interview,<br />

1996; Wagner, 1999; Wang, Gespräche, 1995-2001; Yan, Interview, 1996).<br />

Trotzdem gehen die ersten Berichte über Handwerkszünfte <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong>s achte Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

vor Christus zurück. Die damaligen Zünfte entstehen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Initiative<br />

von Handwerkern, nachdem sich diese von <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Produktion losgelöst<br />

hatten. In <strong>der</strong> Hierarchie <strong>der</strong> klassischen ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft stehen die<br />

Handwerker <strong>in</strong> dieser Zeit an vorletzter <strong>St</strong>elle: Beamte - Bauern - Handwerker -<br />

Händler. Im Schatten <strong>der</strong> <strong>in</strong>tellektuellen Führungsschicht <strong>der</strong> Beamten <strong>und</strong> des feudalistisch<br />

strukturierten Bauerntums bilden sich die Handwerkszünfte. Innerhalb dieser<br />

Zünfte entwickelt sich, ähnlich wie viel später <strong>in</strong> Europa, e<strong>in</strong>e Art Lehrl<strong>in</strong>gsausbildung.<br />

Die Lehrl<strong>in</strong>ge lernen von ihrem Meister. Meistens arbeiten sie ohne Bezahlung. Das<br />

Zunftwesen ist mehr als «nur» e<strong>in</strong> Arbeitgeber, denn Zünfte vermitteln e<strong>in</strong>e Identität,<br />

die über den Beruf h<strong>in</strong>aus geht. Die alten Handwerkstechniken <strong>und</strong> die Organisation<br />

<strong>der</strong> Zünfte bestehen solange, bis <strong>der</strong> Handel überhand nimmt. Gegen Ende <strong>der</strong> Q<strong>in</strong>g-<br />

Dynastie (1644 bis 1911) wird die Verkehrs<strong>in</strong>frastruktur zunehmend ausgebaut, <strong>und</strong><br />

es entwickeln sich neue Vertriebswege. Die durch den Handel aus dem Ausland e<strong>in</strong>geführten<br />

neuen Waren <strong>und</strong> mo<strong>der</strong>nen Produktionsmethoden überholen die alten<br />

Techniken des Zunfthandwerks. Somit verschw<strong>in</strong>den mit den Produkten, die ke<strong>in</strong>en<br />

Absatz mehr f<strong>in</strong>den, schliesslich auch die Zünfte (Risler, 1989; Wang, Gespräche,<br />

1995-2001; Wang, 1993).<br />

In den 50er Jahren entstehen <strong>in</strong> den <strong>St</strong>ädten <strong>der</strong> neuen <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von berufsbildenden Facharbeiter- <strong>und</strong> Fachmittelschulen nach dem Vorbild<br />

<strong>der</strong> damaligen Sowjetunion. In diesen Schulen lernen die für den Wirtschaftsaufbau<br />

dr<strong>in</strong>gend benötigten Arbeitskräfte als Erstes Lesen <strong>und</strong> Schreiben. Bis 1957 besuchen<br />

fast 50 Prozent aller Schüler <strong>der</strong> Mittelschulstufe diese berufsbildenden Schulen. Während<br />

des «grossen Sprungs nach vorn» (1958 bis 1959) werden die berufsbildenden<br />

Schulen weiter ausgebaut. Als Gegenreaktion <strong>und</strong> Kritik am sowjetischen Modell, das<br />

sich vor allem auf die Industrie konzentriert, werden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a sämtliche Programme<br />

auf die Landregionen zugeschnitten. Während <strong>der</strong> Kulturrevolution (1966 bis 1976)<br />

wird auch <strong>der</strong> Betrieb an den Berufsbildungsschulen weitgehend e<strong>in</strong>gestellt. Mit Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik Ende <strong>der</strong> 70er Jahre wird neben <strong>der</strong> akademischen<br />

auch die berufliche <strong>und</strong> technische <strong>Bildung</strong> geför<strong>der</strong>t. Das heutige ch<strong>in</strong>esische<br />

Berufsbildungssystem ist das Ergebnis e<strong>in</strong>es zwanzigjährigen Reformprozesses.<br />

Die unterschiedlichen Berufsbildungswege, die heute <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

zur Auswahl stehen, werden <strong>in</strong> den folgenden Abschnitten erläutert (Risler, 1989;<br />

Wang, 1993).


<strong>Bildung</strong>ssystem 81<br />

1.3.2. Berufsbildende Mittelschulen<br />

Obwohl das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>sgesetz vorsieht, dass die neunjährige Schulpflicht im<br />

Rahmen des allgeme<strong>in</strong>en (akademischen) Schulsystems absolviert wird, besteht<br />

schon auf <strong>der</strong> unteren Mittelschulstufe die Möglichkeit, e<strong>in</strong>e Berufsmittelschule zu<br />

besuchen. Das grösste Angebot an Berufsbildungsschulen besteht jedoch auf <strong>der</strong><br />

<strong>St</strong>ufe <strong>der</strong> oberen Mittelschule (vergleiche Teil II: 1. Abbildung 13). In den folgenden<br />

Abschnitten wird auf die drei Haupt<strong>in</strong>stitutionen <strong>der</strong> berufsbildenden Mittelschulen: die<br />

Berufsmittelschulen sowie die Fachmittelschulen <strong>und</strong> die Facharbeiterschulen<br />

e<strong>in</strong>gegangen.<br />

1.3.2.1. Berufsmittelschulen<br />

Die Berufsmittelschulen <strong>der</strong> Unterstufe unterscheiden sich von den allgeme<strong>in</strong>en<br />

Mittelschulen <strong>in</strong>sofern, als dass die Allgeme<strong>in</strong>bildung e<strong>in</strong>en weniger wichtigen <strong>St</strong>ellenwert<br />

e<strong>in</strong>nimmt. Die berufsbildende Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe ist stark spezialisiert.<br />

Die Curricula s<strong>in</strong>d je nach Ausrichtung <strong>der</strong> Schule sehr unterschiedlich. Es gibt zum<br />

Beispiel Berufsmittelschulen <strong>der</strong> Unterstufe, welche auf e<strong>in</strong>e musische Ausbildung<br />

spezialisiert s<strong>in</strong>d. An diesen Schulen werden die Schüler <strong>in</strong> den Fächern Gesang,<br />

Tanz o<strong>der</strong> Akrobatik ausgebildet. In ländlichen Regionen ist die Spezialisierung vor<br />

allem auf landwirtschaftliche Kenntnisse ausgerichtet. Die Anzahl Schulst<strong>und</strong>en entspricht<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel jener <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Mittelschule auf dieser <strong>St</strong>ufe, das heisst<br />

während 39 Wochen im Jahr zwischen 31 bis 37 Unterrichtsst<strong>und</strong>en pro Woche. Nach<br />

erfolgreichem Abschluss <strong>der</strong> Berufsmittelschule <strong>der</strong> Unterstufe wird e<strong>in</strong> entsprechendes<br />

Abschlusszeugnis ausgestellt. Die meisten Absolventen <strong>der</strong> unteren berufsbildenden<br />

Mittelschule setzen ihren schulischen Werdegang nicht fort. Falls doch, s<strong>in</strong>d für<br />

den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Berufsmittelschule <strong>der</strong> Oberstufe e<strong>in</strong> erfolgreicher Abschluss<br />

e<strong>in</strong>er Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe <strong>und</strong> das Bestehen e<strong>in</strong>er Aufnahmeprüfung erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Ob <strong>der</strong> Abschluss <strong>der</strong> unteren Mittelschule an e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Schule o<strong>der</strong> an<br />

e<strong>in</strong>er Berufsmittelschule absolviert wurde, spielt ke<strong>in</strong>e Rolle. Die meisten Mittelschüler<br />

an oberen Berufsschulen treten jedoch von e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Mittelschule her e<strong>in</strong>. Es<br />

besteht auch die Möglichkeit nach Abschluss e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Berufsmittelschule <strong>der</strong> Oberstufe e<strong>in</strong>zutreten. In diesem Fall ist das Bestehen<br />

<strong>der</strong> nationalen Hochschulaufnahmeprüfung erfor<strong>der</strong>lich, wobei die erreichte<br />

Punktzahl nicht so hoch se<strong>in</strong> muss wie im Falle e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>tritts <strong>in</strong> die Hochschule. E<strong>in</strong><br />

solcher Transfer vom allgeme<strong>in</strong>en System <strong>in</strong>s berufsbildende System ist auch auf <strong>der</strong><br />

Unterstufe <strong>der</strong> Mittelschule möglich. Auf <strong>der</strong> unteren <strong>St</strong>ufe erfolgt <strong>der</strong> Übertritt prüfungsfrei.<br />

E<strong>in</strong> Wechsel vom allgeme<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> die Berufsbildung ist praktisch<br />

immer möglich. Der Wechsel vom Berufsbildungsweg <strong>in</strong>s allgeme<strong>in</strong>e System ist<br />

h<strong>in</strong>gegen nicht möglich, das heisst e<strong>in</strong> Absolvent <strong>der</strong> Berufsmittelschule <strong>der</strong> Unterstufe<br />

kann nicht mehr <strong>in</strong>s allgeme<strong>in</strong>e Schulsystem zurück. Unter an<strong>der</strong>em wird die Berufsbildung<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a auch aus diesem Gr<strong>und</strong> oftmals als e<strong>in</strong>e Art Auffangbecken für diejenigen,<br />

die im allgeme<strong>in</strong>en System nicht weiter kommen, gesehen (Li, Interview, 1999;<br />

Schüller, 1999; Surowski, 2000; Wagner, 1999).


82 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Die Entwicklung <strong>der</strong> quantitativen Verhältnisse an Berufsmittelschulen ergibt das folgende<br />

Bild («Basic <strong>St</strong>atistics on ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002):<br />

1990 1995 1999 Tendenz<br />

Anzahl Berufsmittelschulen 9‘164 10‘147 9‘636<br />

Anzahl Schüler 2‘950‘000 4‘483‘000 5‘339‘000<br />

Anzahl neu registrierter Schüler 1‘232‘000 1‘900‘000 1‘941‘000<br />

Anzahl Absolventen mit Abschlusszeugnis 893‘000 1‘240‘000 1‘678‘000<br />

Anzahl Lehrende (Vollzeit) 224‘000 292‘000 336‘000<br />

Anzahl Schüler pro Schule im Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et) 456 629 756<br />

Anzahl Absolventen pro Schule im Durchschnitt<br />

(ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Schüler pro Lehrenden im Durchschnitt<br />

(ger<strong>und</strong>et)<br />

Tabelle 21: Berufsmittelschulen von 1990 bis 1999<br />

98 122 174<br />

19 22 22<br />

Die Anzahl Berufsmittelschulen hat sich <strong>in</strong> den 90er Jahren nicht wesentlich verän<strong>der</strong>t.<br />

H<strong>in</strong>gegen ist die Anzahl Schüler <strong>und</strong> Lehrende um be<strong>in</strong>ahe das Doppelte angestiegen.<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Absolventen hat sich <strong>in</strong>nerhalb von knapp zehn Jahren ebenfalls verdoppelt.<br />

Die erste Berufsmittelschule <strong>der</strong> Oberstufe ist 1981 <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g gegründet worden.<br />

Bis Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre s<strong>in</strong>d knapp 80 Prozent aller oberen Berufsmittelschulen <strong>in</strong><br />

städtischen Agglomerationen <strong>und</strong> nur gut 20 Prozent auf dem Land e<strong>in</strong>gerichtet worden.<br />

Die Dauer <strong>der</strong> Ausbildung variiert je nach Schule <strong>und</strong> Spezialisierung zwischen<br />

zwei bis vier Jahren. Das Curriculum an Berufsmittelschulen ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf die<br />

Industrie o<strong>der</strong> die Verwaltung ausgerichtet. Als Beispiel sei hier das Curriculum <strong>der</strong><br />

oberen Berufsmittelschulausbildung zum Elektroniker aufgeführt (Schüller, 1999;<br />

Surowski, 2000):<br />

Gebiet: Fach: Gesamte Anzahl <strong>St</strong><strong>und</strong>en:<br />

Politik Politik 152<br />

Berufsethik <strong>und</strong> -moral 36<br />

Allgeme<strong>in</strong>bildung Ch<strong>in</strong>esische Sprache 284<br />

Mathematik 284<br />

Physik 104<br />

Sport 188<br />

Spezialisierung Teil I <strong>und</strong> II Theoretische Gr<strong>und</strong>lagen ungefähr 60 Prozent<br />

Praktisches Arbeiten<br />

ungefähr 40 Prozent<br />

Total 1048 <strong>St</strong><strong>und</strong>en<br />

Tabelle 22: <strong>St</strong>andard Curriculum Elektroniker-Ausbildung an oberer Berufsmittelschule<br />

Während <strong>der</strong> gesamten Ausbildung müssen verschiedene Tests <strong>und</strong> Prüfungen absolviert<br />

werden. Nach Abschluss e<strong>in</strong>er Berufsmittelschule wird, wie an allgeme<strong>in</strong>en<br />

Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe, e<strong>in</strong> Abschlusszeugnis (mit Prüfung) o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Abschlussbestätigung<br />

ausgestellt.


<strong>Bildung</strong>ssystem 83<br />

1.3.2.2. Fachmittelschulen<br />

Die Fachmittelschulen (auch als Technische Fachmittelschulen bezeichnet) s<strong>in</strong>d verwaltungsmässig<br />

verschiedenen Fachm<strong>in</strong>isterien auf nationaler o<strong>der</strong> lokaler Ebene<br />

zugeordnet. Der E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Fachmittelschule kann sowohl nach <strong>der</strong> Mittelschule<br />

<strong>der</strong> Unterstufe als auch nach <strong>der</strong> Oberstufe erfolgen. Die Ausbildung dauert <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel zwei (für Oberstufenabsolventen) bis drei (für Unterstufenabsolventen) Jahre.<br />

Als Beispiele seien hier die Curricula e<strong>in</strong>er Fachmittelschule für Landwirtschaft <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er Modefachmittelschule aufgeführt (Schüller, 1999; Surowski, 2000):<br />

Gebiet: Fach: Gesamte Anzahl <strong>St</strong><strong>und</strong>en:<br />

Politik Politik 120<br />

Berufsethik <strong>und</strong> -moral 32<br />

Allgeme<strong>in</strong>bildung Ch<strong>in</strong>esische Sprache 240<br />

Mathematik 213<br />

Physik (Theorie <strong>und</strong> Labor) 83<br />

Chemie (Theorie <strong>und</strong> Labor) 155<br />

Sport 120<br />

Spezialisierung Theoretische Gr<strong>und</strong>lagen 617<br />

Wahlfächer 285<br />

Praktisches Arbeiten 201<br />

Feldarbeit 468<br />

Saisonale Feldarbeit 900<br />

Tabelle 23: <strong>St</strong>andard Curriculum Fachmittelschule für Landwirtschaft<br />

Total 963 <strong>St</strong><strong>und</strong>en<br />

Theorie ungefähr 35 Prozent<br />

Praxis ungefähr 65 Prozent<br />

Gebiet: Fach: Gesamte Anzahl <strong>St</strong><strong>und</strong>en:<br />

Politik Politik 144<br />

Berufsethik <strong>und</strong> -moral 36<br />

Allgeme<strong>in</strong>bildung Ch<strong>in</strong>esische Sprache 252 Total 864 <strong>St</strong><strong>und</strong>en<br />

Mathematik 252<br />

Sport 180<br />

Spezialisierung Theoretische Gr<strong>und</strong>lagen 711<br />

Wahlfächer 72<br />

Theorie ungefähr 30 Prozent<br />

Praktisches Arbeiten 1680 Praxis ungefähr 70 Prozent<br />

Tabelle 24: <strong>St</strong>andard Curriculum Modefachmittelschule<br />

Während <strong>der</strong> Ausbildung an Fachmittelschulen müssen verschiedene Tests <strong>und</strong> Prüfungen<br />

abgelegt werden. Nach erfolgreichem Abschluss e<strong>in</strong>er Fachmittelschule wird<br />

wie an allgeme<strong>in</strong>en Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe e<strong>in</strong> Abschlusszeugnis (mit Prüfung)<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Abschlussbestätigung ausgestellt. Die Entwicklung <strong>der</strong> quantitativen Verhältnisse<br />

an Fachmittelschulen zeigt folgendes Bild («Basic <strong>St</strong>atistics on ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002):


84 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1985 1990 1995 2000 Tendenz<br />

Anzahl Fachmittelschulen 3‘557 3‘982 4‘049 3‘260<br />

Anzahl Schüler 1‘571‘000 2‘244‘000 3‘722‘000 4‘580‘000<br />

Anzahl neu registrierter Schüler 668‘000 730‘000 1‘381‘000 1‘277‘000<br />

Anzahl Absolventen mit Abschlusszeugnis 429‘000 661‘000 839‘000 1‘503‘000<br />

Anzahl Lehrende (Vollzeit) 174‘000 234‘000 257‘000 230‘000<br />

Anzahl Schüler pro Schule im Durchschnitt<br />

(ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Absolventen pro Schule im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Schüler pro Lehrenden im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Tabelle 25: Fachmittelschulen von 1985 bis 2000<br />

630 747 1260 1797<br />

121 166 207 461<br />

13 13 20 26<br />

Die Anzahl <strong>der</strong> Fachmittelschulen hat sich seit 1985 nicht wesentlich verän<strong>der</strong>t. H<strong>in</strong>gegen<br />

hat sich die Anzahl Schüler pro Schule verdreifacht. Die starke Zunahme <strong>der</strong><br />

Schülerzahl schlägt sich sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> sehr hohen Zahl <strong>der</strong> Absolventen als auch <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> hohen Schülerzahl pro Schule im Jahr 2001 nie<strong>der</strong>. Auch das Verhältnis Schüler<br />

pro Lehrenden hat sich an Fachmittelschulen zwischen 1985 <strong>und</strong> 2001 verdoppelt.<br />

1.3.2.3. Facharbeiterschulen<br />

Facharbeiterschulen werden e<strong>in</strong>erseits von Betrieben <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits von Fachm<strong>in</strong>isterien<br />

getragen, wobei Betriebe die grössere Anzahl Schulen unterstützen. Die Ausbildung<br />

an Facharbeiterschulen dauert durchschnittlich drei Jahre. Das Curriculum ist auf<br />

den Tätigkeitsbereich des Betriebs o<strong>der</strong> des M<strong>in</strong>isteriums abgestimmt. Als Beispiel sei<br />

hier das Curriculum <strong>der</strong> Facharbeiterausbildung zum Bauarbeiter aufgeführt (Schüller,<br />

1999; Surowski, 2000):<br />

Gebiet: Fach: Gesamte Anzahl <strong>St</strong><strong>und</strong>en:<br />

Politik Politik 124<br />

Berufsethik <strong>und</strong> -moral 40<br />

Allgeme<strong>in</strong>bildung Ch<strong>in</strong>esische Sprache 230<br />

Mathematik 288<br />

Physik 108<br />

Sport 124<br />

Spezialisierung Teil I Theoretische Pflichtfächer 740<br />

Wahlfächer 180<br />

Spezialisierung Teil II Theoretische Pflichtfächer 324<br />

Wahlfächer 110<br />

Total 914 <strong>St</strong><strong>und</strong>en<br />

Theorie ungefähr 40 Prozent<br />

Praktisches Arbeiten 62 Wochen Praxis ungefähr 60 Prozent<br />

Tabelle 26: <strong>St</strong>andard Curriculum Facharbeiterausbildung zum Bauarbeiter<br />

Im Verlauf <strong>der</strong> Facharbeiterausbildung müssen verschiedene Tests <strong>und</strong> Prüfungen<br />

absolviert werden. Nach erfolgreichem Abschluss e<strong>in</strong>er Facharbeiterschule wird, wie<br />

an allgeme<strong>in</strong>en Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe, e<strong>in</strong> Abschlusszeugnis (mit Prüfung) o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e Abschlussbestätigung ausgestellt.


<strong>Bildung</strong>ssystem 85<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Anzahl Schüler an berufsbildenden<br />

Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe seit Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre sehr stark angestiegen<br />

ist. Demzufolge hat sich auch die Anzahl Absolventen berufsbilden<strong>der</strong> Mittelschulen<br />

enorm gesteigert. Die aufgeführten Curricula von Berufsmittelschule <strong>der</strong> Oberstufe<br />

(Elektroniker), Fachmittelschule (Landwirtschaft <strong>und</strong> Modefach) <strong>und</strong> Facharbeiterschule<br />

(Bauarbeiter) zeigen, dass:<br />

• an Berufsmittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe <strong>der</strong> Ausbildungsanteil <strong>der</strong> Fächer Politik<br />

<strong>und</strong> Allgeme<strong>in</strong>bildung höher ist als an Fachmittel- <strong>und</strong> Facharbeiterschulen.<br />

• <strong>der</strong> theoretische Ausbildungsanteil <strong>in</strong> den Spezialisierungsfächern an<br />

Berufsmittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe ebenfalls höher ist als an Fachmittel- <strong>und</strong><br />

Facharbeiterschulen.<br />

1.3.3. Berufliche Hochschulbildung<br />

Das Absolvieren e<strong>in</strong>er Berufsbildung auf tertiärer <strong>St</strong>ufe ist sowohl an e<strong>in</strong>er Berufshochschule<br />

als auch an e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Hochschule möglich. Seit 1987 autorisiert<br />

das M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> auch allgeme<strong>in</strong>e Hochschulen, Absolventen <strong>der</strong> berufsbildenden<br />

Mittelschulen <strong>in</strong> berufsbildende Lehrgänge aufzunehmen. In <strong>der</strong> Folge ist es <strong>in</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a an ungefähr 300 <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen möglich, e<strong>in</strong>e höhere Berufsbildung zu<br />

absolvieren. Davon s<strong>in</strong>d etwa e<strong>in</strong> Drittel eigentliche Berufshochschulen. E<strong>in</strong> berufsbilden<strong>der</strong><br />

Lehrgang auf akademischer Ebene dauert zwei bis drei Jahre. Die Curricula<br />

<strong>der</strong> berufsbildenden <strong>St</strong>udiengänge s<strong>in</strong>d sehr spezialisiert, wie dies bereits auf <strong>der</strong><br />

Mittelschulstufe <strong>der</strong> Fall ist. Das Angebot an <strong>St</strong>udien<strong>in</strong>halten entspricht meistens dem<br />

Bedarf <strong>der</strong> Region, wo sich die Hochschule bef<strong>in</strong>det. Das heisst, e<strong>in</strong>e berufliche Hochschulbildung<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Landwirtschaft wird <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> ländlichen Regionen<br />

angeboten. Seit Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre wird das berufsbildende Angebot auf<br />

Hochschulstufe von e<strong>in</strong>er zusätzlichen Möglichkeit an Fachmittelschulen ergänzt. E<strong>in</strong>e<br />

kle<strong>in</strong>e Anzahl Fachmittelschulen hat mit dem Aufbau akademischer Lehrgänge begonnen.<br />

Nach den Vorgaben des M<strong>in</strong>isteriums für <strong>Bildung</strong> dürfen diese Fachmittelschulen<br />

<strong>in</strong>sgesamt gut 2000 <strong>St</strong>udierende pro Jahr aufnehmen. Die Ausbildung dauert<br />

fünf Jahre <strong>und</strong> die <strong>St</strong>udierenden werden direkt von <strong>der</strong> Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe<br />

rekrutiert (MOE, 2002; Schüller, 1999; Surowski, 2000).<br />

1.4. Erwachsenenbildung<br />

Bis 1966 hat Erwachsenenbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a vor allem dar<strong>in</strong> bestanden,<br />

Arbeiter <strong>und</strong> Bauern weiterzubilden <strong>und</strong> das Analphabetentum <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Bevölkerung zu verr<strong>in</strong>gern. Während <strong>der</strong> Kulturrevolution (1966 bis 1976) blieben<br />

die Institutionen <strong>der</strong> Erwachsenenbildung, wie die meisten <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen,<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a geschlossen. 1978 ist die Erwachsenenbildung wie<strong>der</strong> aufgenommen worden<br />

<strong>und</strong> hat sich seither stark weiter entwickelt. Knapp zehn Jahre später (1987) erklärt die<br />

<strong>St</strong>aatliche <strong>Bildung</strong>skommission (heute M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong>) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offiziellen<br />

Beschluss, dass Erwachsenenbildung e<strong>in</strong>en wichtigen Teil von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a darstellt. Heute bietet die Erwachsenenbildung <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

verschiedenste Möglichkeiten <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung auf Gr<strong>und</strong>-, Mittel- <strong>und</strong><br />

Hochschulstufe an. Die nachfolgende Abbildung ermöglicht e<strong>in</strong>en Überblick über das


86 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Angebot im Bereich Erwachsenenbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a (Schüller,<br />

1999; Pan, 1998; Surowski, 2000):<br />

Schuljahre:<br />

16<br />

15<br />

Hochschulselbststudium<br />

(2-6Jahre)<br />

Arbeiter, Bauern <strong>und</strong> Freizeit<br />

<strong>Universität</strong>en<br />

(2-5 Jahre)<br />

III<br />

14<br />

13<br />

12<br />

Ka<strong>der</strong>managementhochschulen<br />

(3-6Jahre)<br />

Abend- <strong>und</strong> Fernstudienprogramme<br />

(3-6Jahre)<br />

Radio & Television<br />

<strong>Universität</strong>en<br />

(2-6 Jahre)<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

Technische Schule<br />

(2-4 Jahre)<br />

Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe<br />

(Fernstudium möglich)<br />

(2-4 Jahre)<br />

II<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe<br />

für Angestellte, Arbeiter <strong>und</strong> Bauern<br />

(2-4 Jahre)<br />

3<br />

I<br />

2<br />

1<br />

Gr<strong>und</strong>schule<br />

für Arbeiter <strong>und</strong> Bauern<br />

(1-2 Jahre)<br />

Lese- <strong>und</strong> Schreibkurse<br />

(3-6 Monate)<br />

Abbildung 15: Erwachsenenbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Die Zielsetzungen <strong>der</strong> Erwachsenenbildung <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a lauten wie folgt (Surowski,<br />

2000):<br />

1. Analphabeten die Fähigkeit Lesen <strong>und</strong> Schreiben beibr<strong>in</strong>gen<br />

2. Gr<strong>und</strong>schulbildungs- <strong>und</strong> höhere <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten für diejenigen, die ihre<br />

allgeme<strong>in</strong>e Schulbildung unterbrochen haben<br />

3. Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungsmöglichkeiten für Arbeitsuchende <strong>und</strong> diejenigen, die sich<br />

beruflich verän<strong>der</strong>n möchten<br />

4. Umschulungsmöglichkeiten für diejenigen, die zwar e<strong>in</strong>e höhere Ausbildung<br />

absolviert haben, sich jedoch verän<strong>der</strong>n möchten<br />

5. Möglichkeit des «lebenslangen Lernens» für alle, die ihren Lebensstandard<br />

erhöhen möchten


<strong>Bildung</strong>ssystem 87<br />

1.4.1. Gr<strong>und</strong>schulstufe<br />

Dass überhaupt e<strong>in</strong> Bedarf an Gr<strong>und</strong>schulbildung für Erwachsene besteht, zeugt von<br />

ungenügendem Zugang zur Gr<strong>und</strong>schule im Alter von sechs bis zwölf Jahren. Führt<br />

man diesen Mangel auf die Zeit <strong>der</strong> Kulturrevolution zurück, so betrifft dies die heutige<br />

Generation <strong>der</strong> 34- bis 49jährigen (geboren <strong>in</strong> den Jahren 1970 bis 1955) (vergleiche<br />

Teil I: 2.1.2.2.1.). Viele Ch<strong>in</strong>es<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ch<strong>in</strong>esen dieser Altersgruppe (aber auch<br />

an<strong>der</strong>e) haben als K<strong>in</strong><strong>der</strong> we<strong>der</strong> Lesen noch Schreiben gelernt. In diesem S<strong>in</strong>ne dient<br />

das Angebot <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule für Erwachsene <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dem Bekämpfen des<br />

Analphabetentums <strong>und</strong> <strong>in</strong> zweiter L<strong>in</strong>ie dem Vermitteln von weiterem Gr<strong>und</strong>schulwissen<br />

wie Mathematik, Sozial- <strong>und</strong> Naturk<strong>und</strong>e. E<strong>in</strong>e umfassende Gr<strong>und</strong>schulausbildung<br />

für erwachsene Arbeiter <strong>und</strong> Bauern dauert e<strong>in</strong> bis zwei Jahre. Lese- <strong>und</strong> Schreibkurse<br />

werden meistens über e<strong>in</strong>e Dauer von drei o<strong>der</strong> sechs Monaten angeboten. Die<br />

nachfolgende Tabelle zeigt die Entwicklung <strong>der</strong> Erwachsenenbildung auf Gr<strong>und</strong>schulstufe<br />

(«Enrollment of Adult ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Surowski, 2000).<br />

1985 1990 1995 2001 Tendenz<br />

<strong>St</strong>udierende an Gr<strong>und</strong>schulen für 8‘338‘000 22‘821‘000 7‘783‘000 4‘227‘000<br />

Erwachsene<br />

<strong>St</strong>udierende <strong>in</strong> Lese- <strong>und</strong> Schreibkursen 5‘190‘000 5‘598‘000 4‘876‘000 2‘015‘000<br />

Tabelle 27: Erwachsene <strong>St</strong>udierende auf Gr<strong>und</strong>schulstufe von 1985 bis 2001<br />

Die Tabelle zeigt e<strong>in</strong>e Abnahme erwachsener <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> auf Gr<strong>und</strong>schulstufe seit<br />

anfangs <strong>der</strong> 90er Jahre. Im Jahr 2001 s<strong>in</strong>d sowohl an Gr<strong>und</strong>schulen für Erwachsene<br />

als auch <strong>in</strong> Lese- <strong>und</strong> Schreibkursen nur noch etwa die Hälfte <strong>der</strong> Anzahl <strong>St</strong>udierenden<br />

im Jahr 1985 e<strong>in</strong>geschrieben. 1990 ist e<strong>in</strong> temporärer Anstieg <strong>der</strong> erwachsenen<br />

<strong>St</strong>udierenden auf Gr<strong>und</strong>schulstufe zu erkennen.<br />

1.4.2. Mittelschulstufe<br />

Erwachsene haben Zugang zu Mittelschulbildung sowohl auf unterer als auch auf<br />

oberer <strong>St</strong>ufe. Mittelschulen für Erwachsene haben mehr berufsbildenden Charakter<br />

als dass sie auf e<strong>in</strong>e akademische Laufbahn ausgerichtet s<strong>in</strong>d. Zur Unterstufe werden<br />

diejenigen Erwachsenen zugelassen, die e<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>schule abgeschlossen haben<br />

beziehungsweise über e<strong>in</strong>e gleichwertige Vorbildung verfügen. Voraussetzung für die<br />

Aufnahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe, ist e<strong>in</strong>erseits <strong>der</strong> erfolgreiche Abschluss<br />

<strong>der</strong> unteren <strong>St</strong>ufe <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits das Bestehen e<strong>in</strong>er Aufnahmeprüfung nach den<br />

Vorgaben des M<strong>in</strong>isteriums für <strong>Bildung</strong>. An <strong>der</strong> Aufnahmeprüfung werden die Fächer<br />

Ch<strong>in</strong>esische Sprache, Mathematik, Politik <strong>und</strong> allfällige weitere Fächer, welche von<br />

<strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>skommission auf Prov<strong>in</strong>zebene festgelegt werden, geprüft. Im Unterschied<br />

zu K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen, haben Erwachsene die Wahl, ob sie e<strong>in</strong>e Schule im<br />

Vollzeit-, Teilzeitpensum o<strong>der</strong> <strong>in</strong> ihrer Freizeit besuchen möchten. Sofern die nötigen<br />

<strong>St</strong>udienmaterialien zur Verfügung stehen, ist auch auf dieser <strong>St</strong>ufe e<strong>in</strong> Fernstudium<br />

möglich. Das Curriculum besteht aus den Hauptfächern <strong>der</strong> Human- <strong>und</strong> Naturwissenschaften<br />

sowie je nach Schule den Spezialfächern Landwirtschaft, Mediz<strong>in</strong>, Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> F<strong>in</strong>anzen, Recht <strong>und</strong> Politik, Pädagogik o<strong>der</strong> Sport. Das Niveau <strong>der</strong> Lern<strong>in</strong>halte<br />

ist im Allgeme<strong>in</strong>en nicht so hoch wie dasjenige an allgeme<strong>in</strong>en Mittelschulen


88 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

für K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche. Die Mittelschulen für Erwachsene dauern zwischen zwei<br />

bis vier Jahren. Wie im allgeme<strong>in</strong>en Schulsystem, können Erwachsene nach Schulabschluss<br />

entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Abschlusszeugnis o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Abschlussbestätigung erwerben.<br />

Bis 1990 haben gut zehn Millionen Erwachsene e<strong>in</strong>e Mittelschule für Erwachsene<br />

absolviert. Die Anzahl <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> an Mittelschulen für Erwachsene ist von 5,47<br />

Millionen im Jahr 1985 kont<strong>in</strong>uierlich auf 69,98 Millionen im Jahr 2001 angestiegen<br />

(«Enrollment of Adult ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Grow<strong>in</strong>g numbers of ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002;<br />

Surowski, 2000).<br />

1.4.3. Hochschulstufe<br />

Seit 1980 gibt es <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>Bildung</strong>sprogramme auf Hochschulstufe für Erwachsene. Es<br />

handelt sich hierbei unter an<strong>der</strong>em um alternative <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten auf tertiärer<br />

<strong>St</strong>ufe für diejenigen, welche die Aufnahmebed<strong>in</strong>gungen für die akademisch ausgerichteten<br />

<strong>St</strong>udiengänge an allgeme<strong>in</strong>en Hochschulen <strong>und</strong> <strong>Universität</strong>en nicht erfüllen.<br />

Beson<strong>der</strong>e Institutionen <strong>der</strong> Erwachsenenbildung auf Hochschulstufe s<strong>in</strong>d Radio <strong>und</strong><br />

Television <strong>Universität</strong>en, Selbststudium, Ka<strong>der</strong>managementhochschulen,<br />

Abend- <strong>und</strong> Fernstudienprogramme, Arbeiter, Bauern <strong>und</strong> Freizeit <strong>Universität</strong>en.<br />

In <strong>der</strong> Regel unterstehen diese Institutionen wie allgeme<strong>in</strong>e <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

dem M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g. Auch allgeme<strong>in</strong>e <strong>Universität</strong>en <strong>und</strong> Hochschulen<br />

bieten <strong>Bildung</strong>sprogramme für Erwachsene an. Diese f<strong>in</strong>den meistens <strong>in</strong> Form von<br />

Abend- o<strong>der</strong> Fernkursen statt. Die eigentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen für Erwachsene<br />

bieten Voll- <strong>und</strong> Teilzeitprogramme an. Die Aufnahmebed<strong>in</strong>gungen, Anzahl <strong>St</strong>udienjahre,<br />

Curricula, <strong>St</strong>udienmaterialien <strong>und</strong> Abschlussbestimmungen für erwachsene<br />

<strong>St</strong>udierende unterscheiden sich nicht wesentlich von denjenigen für <strong>St</strong>udierende allgeme<strong>in</strong>er<br />

Lehrgänge. 1986 ist die nationale Aufnahmeprüfung für Erwachsenenbildung<br />

auf Hochschulstufe e<strong>in</strong>geführt worden. Die Prüfungsfächer setzen sich je nach<br />

<strong>St</strong>udienfach an<strong>der</strong>s zusammen. So werden für die Zulassung zu e<strong>in</strong>em humanwissenschaftlichen<br />

<strong>St</strong>udium Politik, Ch<strong>in</strong>esische Sprache, Geschichte <strong>und</strong> Geographie geprüft.<br />

Für die Aufnahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en naturwissenschaftlichen <strong>St</strong>udiengang werden Mathematik,<br />

Physik <strong>und</strong> Chemie geprüft. Wie bei den nationalen Aufnahmeprüfungen für<br />

allgeme<strong>in</strong>e <strong>Universität</strong>en <strong>und</strong> Hochschulen wird die zum Bestehen <strong>der</strong> Prüfung erfor<strong>der</strong>liche<br />

Punktzahl auch für Erwachsene vom M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> festgelegt. Abgesehen<br />

von <strong>der</strong> <strong>St</strong>udienrichtung werden zwei <strong>St</strong>udienprogramme unterschieden. Es<br />

gibt e<strong>in</strong>erseits Programme, die vom M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g anerkannt werden<br />

<strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>em offiziellen Abschluss mit Abschlusszeugnis führen. Hierbei handelt<br />

es sich um sogenannt qualifizierte <strong>Bildung</strong>sprogramme für Erwachsene. Diese<br />

Lehrgänge dauern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel zwei bis vier Jahre. An<strong>der</strong>seits gibt es Programme, die<br />

vom <strong>Bildung</strong>sm<strong>in</strong>isterium nicht anerkannt werden. Dies s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel Spezialausbildungen,<br />

die e<strong>in</strong> bis drei Monate dauern. Es handelt sich hierbei um sogenannt<br />

nichtqualifizierte <strong>Bildung</strong>sprogramme, die auch nicht zu e<strong>in</strong>em offiziellen Abschluss<br />

mit Abschlusszeugnis führen. Sowohl qualifizierte als auch nichtqualifizierte <strong>Bildung</strong>sprogramme<br />

können an <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen eigens für Erwachsene o<strong>der</strong> an allgeme<strong>in</strong>en<br />

Hochschulen absolviert werden. Die zeitliche E<strong>in</strong>teilung des <strong>St</strong>udiums ist nicht<br />

ausschlaggebend. Normalerweise werden drei <strong>St</strong>udienjahre Teilzeit mit zwei <strong>St</strong>udienjahren<br />

Vollzeit gleichgesetzt (Surowski, 2000; Wang & Colletta, 1991).


<strong>Bildung</strong>ssystem 89<br />

1.4.3.1. Radio <strong>und</strong> Television <strong>Universität</strong>en<br />

Radio <strong>und</strong> Television <strong>Universität</strong>en (TV <strong>Universität</strong>en) gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a schon seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 60er Jahren. Während <strong>der</strong> Kulturrevolution (1966 bis<br />

1976) ist auch <strong>der</strong> Betrieb von TV <strong>Universität</strong>en e<strong>in</strong>gestellt worden. Danach ist 1979<br />

die Zentrale Radio <strong>und</strong> Television <strong>Universität</strong> (ZRTU) als erste TV <strong>Universität</strong> offiziell<br />

<strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g wie<strong>der</strong> eröffnet worden. Seit 1986 können sich an TV <strong>Universität</strong>en nur<br />

noch <strong>St</strong>udierende mit erfolgreichem Abschluss <strong>der</strong> oberen Mittelschule <strong>und</strong> Bestehen<br />

<strong>der</strong> nationalen Hochschulaufnahmeprüfung e<strong>in</strong>schreiben. Wobei TV <strong>Universität</strong>en die<br />

e<strong>in</strong>zigen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen auf Hochschulstufe für Erwachsene s<strong>in</strong>d, die <strong>St</strong>udierende<br />

mit <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> <strong>der</strong> nationalen Hochschulaufnahmeprüfung für Erwachsenenbildung<br />

auf Hochschulstufe zulassen. Während die ZRTU direkt dem M<strong>in</strong>isterium<br />

für <strong>Bildung</strong> unterstellt ist, s<strong>in</strong>d die TV <strong>Universität</strong>en im Allgeme<strong>in</strong>en den regionalen<br />

<strong>Bildung</strong>skommissionen unterstellt. Die ZRTU bietet heute neben qualifizierten <strong>Bildung</strong>sprogammen<br />

ungefähr 60 nicht-qualifizierte <strong>Bildung</strong>sprogramme <strong>in</strong> über h<strong>und</strong>ert<br />

Fachgebieten an. Die ZRTU setzt die gr<strong>und</strong>sätzlichen <strong>St</strong>andards für sämtliche TV<br />

<strong>Universität</strong>en fest. Das Niveau an TV <strong>Universität</strong>en entspricht demjenigen an<strong>der</strong>er<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen auf Hochschulstufe. Die Vorlesungen f<strong>in</strong>den sowohl am Tag<br />

(Vollzeit) o<strong>der</strong> am Abend (Teilzeit) <strong>in</strong> den Räumlichkeiten <strong>der</strong> TV <strong>Universität</strong>en statt.<br />

Die Lern<strong>in</strong>halte werden über Radio, Television <strong>und</strong> Fernstudium vermittelt. <strong>St</strong>udierende,<br />

die e<strong>in</strong> Selbststudium absolvieren, s<strong>in</strong>d nur während <strong>der</strong> Prüfungen anwesend. Die<br />

Leistungsbewertung f<strong>in</strong>det mittels e<strong>in</strong>es Punktesystems, wie es <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten<br />

<strong>St</strong>aaten von Amerika üblich ist, statt. Nach bestandener Abschlussprüfung erwerben<br />

die Absolventen je nach <strong>Bildung</strong>sprogramm e<strong>in</strong> Zeugnis o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Bestätigung. Tabelle<br />

28 zeigt die Entwicklung <strong>der</strong> Anzahl <strong>St</strong>udierenden von 1985 bis 2001. An TV <strong>Universität</strong>en<br />

werden anzahlmässig am meisten Erwachsene aus- <strong>und</strong> weitergebildet.<br />

Wobei alle Institutionen <strong>der</strong> Erwachsenenbildung e<strong>in</strong>en enormen Zuwachs seit Mitte<br />

<strong>der</strong> 80er Jahre verzeichnen («Education Technology» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Enrollment of<br />

Adults ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; MOE, 2002; Surowski, 2000; Wang & Colletta, 1991):<br />

Erwachsene <strong>St</strong>udierende: 1985 1990 1995 2001 Tendenz<br />

an Radio <strong>und</strong> Television <strong>Universität</strong>en 674‘000 388‘000 2‘570‘000 4‘560‘000<br />

im Hochschulselbststudium (unabhängig) 10‘000 16‘000 14000 16‘000<br />

an Ka<strong>der</strong>managementschulen 40‘000 54‘000 148000 154‘000<br />

<strong>in</strong> Abend- <strong>und</strong> Fernstudienprogrammen 493‘000 521‘000 1‘339‘000 3‘334‘000<br />

an Arbeiter, Bauern <strong>und</strong> Freizeit <strong>Universität</strong>en 261‘000 231‘000 315‘000 352‘000<br />

Tabelle 28: Erwachsene <strong>St</strong>udierende auf Hochschulstufe von 1985 bis 2001<br />

1.4.3.2. Beson<strong>der</strong>e Institutionen<br />

Das Nationale Prüfungskomitee für das Hochschulselbststudium spielt e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Rolle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erwachsenenbildung <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a. Gegründet 1983, stellt das Komitee<br />

das <strong>St</strong>udienmaterial zusammen <strong>und</strong> setzt die Prüfungsstandards für das Hochschulselbststudium<br />

fest. Die Organisation des Nationalen Komitees besteht aus regionalen<br />

<strong>und</strong> lokalen Komitees sowie Fachabteilungen, die für die e<strong>in</strong>zelnen <strong>St</strong>udienfächer<br />

verantwortlich s<strong>in</strong>d. Die Vorsitzenden dieser Fachabteilungen s<strong>in</strong>d meistens Experten,<br />

die e<strong>in</strong>en hohe Bekanntheitsgrad <strong>in</strong> ganz Ch<strong>in</strong>a geniessen. E<strong>in</strong> Hochschulselbststudi-


90 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

um kann auf Gr<strong>und</strong>stufe <strong>und</strong> Hauptstufe sowie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnen Fach absolviert<br />

werden (Surowski, 2000).<br />

Ka<strong>der</strong>managementhochschulen gibt es heute <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a weit über<br />

h<strong>und</strong>ert. Die Zulassungs- <strong>und</strong> <strong>St</strong>udienbed<strong>in</strong>gungen entsprechen normalerweise den<br />

üblichen Vorschriften <strong>der</strong> Hochschulen für Erwachsene. Die angebotenen Lehrgänge<br />

dauern von wenigen Monaten bis zu drei Jahren Vollzeit <strong>St</strong>udium. Nach erfolgreichem<br />

Absolvieren des <strong>St</strong>udiums wird e<strong>in</strong> Abschlusszeugnis o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Abschlussbestätigung<br />

ausgestellt (Surowski, 2000; Wang & Colletta, 1991).<br />

Schon vor 1966 gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>Universität</strong>en, die Abend- <strong>und</strong><br />

Fernstudienprogramme anbieten. Die meisten dieser Programme werden während<br />

<strong>der</strong> Kulturrevolution (1966 bis 1976) e<strong>in</strong>gestellt. Seit Ende <strong>der</strong> 70er Jahre s<strong>in</strong>d diese<br />

Programme wie<strong>der</strong> aufgenommen <strong>und</strong> stark ausgebaut worden. Heute s<strong>in</strong>d Abend<strong>und</strong><br />

Fernstudienprogramme Teil des Angebots an über 600 <strong>Universität</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a. Die Zulassungsbed<strong>in</strong>gungen entsprechen den normalen Aufnahmekriterien<br />

an e<strong>in</strong>e <strong>Universität</strong> für Erwachsene. Das <strong>St</strong>udium dauert je nach Lehrgang<br />

drei bis sechs Jahre. Nach erfolgreichem Abschluss wird e<strong>in</strong> Zeugnis o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Bestätigung ausgestellt (Surowski, 2000; Wang & Colletta, 1991).<br />

Während <strong>der</strong> Kulturrevolution s<strong>in</strong>d unter <strong>der</strong> Bezeichnung «Arbeiter <strong>Universität</strong>en des<br />

21sten Juli» die sogenannten Arbeiter <strong>Universität</strong>en e<strong>in</strong>gerichtet worden. Es handelt<br />

sich bei diesen <strong>Universität</strong>en um betriebs<strong>in</strong>terne <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen. Arbeiter <strong>Universität</strong>en<br />

werden auch heute vom M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> anerkannt. Sie unterstehen<br />

den lokalen <strong>Bildung</strong>skommissionen. Die Aufnahme an e<strong>in</strong>e Arbeiter <strong>Universität</strong> erfor<strong>der</strong>t<br />

die üblichen Kriterien (Abschluss <strong>der</strong> Mittelschule Unterstufe <strong>und</strong> Bestehen e<strong>in</strong>er<br />

Aufnahmeprüfung). In <strong>der</strong> Regel dauern die Lehrgänge zwischen zwei bis drei Jahren<br />

Vollzeit o<strong>der</strong> vier bis fünf Jahren Teilzeit. Nach erfolgreichem Abschluss des <strong>St</strong>udiums<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Projekt- o<strong>der</strong> Diplomarbeit stellen Arbeiter <strong>Universität</strong>en e<strong>in</strong> Abschlusszeugnis<br />

aus (Surowski, 2000; Wang & Colletta, 1991).<br />

Sogenannte Bauern <strong>Universität</strong>en gibt es nur sehr wenige. Die Aufnahme- <strong>und</strong> <strong>St</strong>udienbed<strong>in</strong>gungen<br />

s<strong>in</strong>d gr<strong>und</strong>sätzlich gleich wie an Arbeiter <strong>Universität</strong>en. Die <strong>St</strong>udien<strong>in</strong>halte<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel auf die Landwirtschaft bezogen. Die Lehrgänge dauern<br />

zwischen zwei bis drei Jahren (Surowski, 2000; Wang & Colletta, 1991).<br />

Freizeit <strong>Universität</strong>en bieten Abend- <strong>und</strong> Wochenendkurse <strong>und</strong> -programme auf<br />

Hochschulstufe an. <strong>St</strong>udierende an diesen <strong>Universität</strong>en bilden sich meistens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

mit ihrer Arbeit verb<strong>und</strong>enen Fachgebiet weiter (Surowski, 2000; Wang & Colletta,<br />

1991).<br />

1.5. Privatschulen<br />

Unter <strong>der</strong> Bezeichnung Privatschulen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a allgeme<strong>in</strong> nichtstaatliche<br />

(das heisst nicht öffentliche) <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen zu verstehen. Je nach<br />

Verwaltungs- <strong>und</strong> Organisationsstrukturen, gilt es verschiedene Typen von Privatschulen<br />

zu unterscheiden. Sowohl auf <strong>der</strong> <strong>St</strong>ufe <strong>der</strong> Vorschulerziehung als auch auf<br />

Gr<strong>und</strong>-, Mittel- <strong>und</strong> Hochschulstufe gibt es heute <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a private <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen


<strong>Bildung</strong>ssystem 91<br />

wie nach e<strong>in</strong>er kurzen historischen E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> den nachfolgenden Abschnitten<br />

ausgeführt wird.<br />

1.5.1. Geschichte<br />

Die Geschichte <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Privatschulen geht bis <strong>in</strong>s Zeitalter von Konfuzius<br />

(551 bis 479 vor Christus) zurück. Konfuzius ist es, <strong>der</strong> die erste Privatschule im alten<br />

Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>richtet. Auch Sun Tzu (von ungefähr 550 bis 500 vor Christus) <strong>und</strong> Menzius<br />

(372 bis 289 vor Christus) betreiben ihre eigenen, nichtstaatlichen Schulen. In <strong>der</strong><br />

Zhanguo-Periode (auch die Zeit <strong>der</strong> «streitenden Reiche» genannt: 403 bis 221 vor<br />

Christus) <strong>und</strong> <strong>der</strong> Han-Dynastie (206 vor bis 220 nach Christus) werden nichtstaatliche<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> zu e<strong>in</strong>em bedeutenden Teil des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems.<br />

Während <strong>der</strong> Sui-Dynastie (581 bis 618) gehören Privatschulen zu den wichtigsten<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen zur Vorbereitung <strong>der</strong> kaiserlichen Beamtenprüfungen<br />

(vergleiche Teil I: 2.1.1.) (LaRoque & Jacobsen, 2000; L<strong>in</strong>, 1999; Roth, 1995; Schmidt-<br />

Gl<strong>in</strong>tzer, H. 1999; Wohlfahrt, 1992).<br />

Bis <strong>in</strong> die erste Hälfte des 20sten Jahrh<strong>und</strong>erts spielen nichtstaatliche <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Erziehung</strong> durchwegs e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle im Reich <strong>der</strong> Mitte. 1928 gibt es alle<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

Beij<strong>in</strong>g 317 private Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschulen <strong>und</strong> nur 63 staatliche Schulen auf dieser<br />

<strong>St</strong>ufe. In ganz Ch<strong>in</strong>a gibt es 1931 neben 56 staatlichen <strong>Universität</strong>en <strong>in</strong>sgesamt 47<br />

private <strong>Universität</strong>en. Im Jahr 1947 machen <strong>in</strong> den fünf grössten <strong>St</strong>ädten Ch<strong>in</strong>as (Beij<strong>in</strong>g,<br />

Tianj<strong>in</strong>, Wuhan, Nanj<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Shanghai) 1‘452 private Gr<strong>und</strong>schulen 56 Prozent<br />

auf dieser <strong>St</strong>ufe aus. Gleichzeitig zählen 439 private Mittelschulen 84 Prozent aller<br />

ch<strong>in</strong>esischen Mittelschulen. In ganz Ch<strong>in</strong>a gibt es 1947 <strong>in</strong>sgesamt 79 private <strong>und</strong> 128<br />

staatliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen auf Hochschulstufe. Vor <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Verstaatlichung<br />

sämtlicher <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen (ab 1949) zählen die privaten<br />

88 <strong>und</strong> die staatlichen <strong>Universität</strong>en 139 (Chan & Mok, 2001; LaRocque & Jacobsen,<br />

2000; L<strong>in</strong>, 1999).<br />

Mit <strong>der</strong> Machtübernahme <strong>der</strong> Kommunistischen Partei Ch<strong>in</strong>as im Jahr 1949 verschw<strong>in</strong>den<br />

alle privaten Schulen, das heisst, sie werden entwe<strong>der</strong> geschlossen o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

öffentliche Schulen umgewandelt. Von Mitte <strong>der</strong> 50er Jahre bis anfangs <strong>der</strong> 80er Jahre<br />

gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ke<strong>in</strong>e privaten <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen. Mit Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik ist das Betreiben von Schulen auf privater Basis wie<strong>der</strong><br />

erlaubt. Die Entwicklung des privaten Schulwesens verläuft <strong>in</strong> den 80er Jahren<br />

vorerst zögerlich <strong>und</strong> konzentriert sich vor allem auf Vorbereitungskurse für die nationale<br />

Hochschulaufnahmeprüfung. In den 90er Jahren wächst die Zahl privater <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

rasant an. Auslöser für diesen enormen Zuwachs ist unter an<strong>der</strong>em<br />

Deng Xiaop<strong>in</strong>gs Reise <strong>in</strong> den Süden Ch<strong>in</strong>as (1990 bis 1992, vergleiche Teil I:<br />

2.4.2.1.). Deng for<strong>der</strong>t zur Entwicklung <strong>der</strong> Produktionskräfte, zum <strong>St</strong>udieren <strong>und</strong><br />

Lernen zugunsten des wirtschaftlichen Wachstums <strong>und</strong> des geme<strong>in</strong>schaftlichen Fortschritts<br />

auf. Bereits 1992 bilden 20'000 Privatschulen schätzungsweise 1,5 Millionen<br />

Schüler auf allen <strong>St</strong>ufen <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a aus <strong>und</strong> weiter. 1995 verdreifacht<br />

sich die Anzahl privater Schulen laut offiziellen Angaben. 6,8 Millionen Schüler<br />

besuchen 1995 e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> r<strong>und</strong> 60'000 Privatschulen. Trotz dieser bee<strong>in</strong>druckenden<br />

Entwicklung privater <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen im Verlauf <strong>der</strong> vergangen zehn Jahre, ma-


92 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

chen Privatschulen im heutigen Ch<strong>in</strong>a nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en, wenn auch wichtigen, Teil<br />

von vier Prozent des ch<strong>in</strong>esischen Schulwesens aus (Chan & Mok, 2001; LaRocque &<br />

Jacobsen, 2000; L<strong>in</strong>, 1999).<br />

1.5.2. Privatschulen heute<br />

Nachdem sich die Anzahl privater Schulen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> den vergangen Jahren enorm<br />

erhöht hat, for<strong>der</strong>t die ch<strong>in</strong>esische Regierung heute entsprechende <strong>St</strong>andards für<br />

diese Schulen. Privatschulen s<strong>in</strong>d beispielsweise verpflichtet, e<strong>in</strong>e regelmässig geprüfte<br />

Rechnungsführung vorzulegen. Private Schulen dürfen ke<strong>in</strong>en Gew<strong>in</strong>n erwirtschaften,<br />

ansonsten muss <strong>der</strong> Schulbetrieb e<strong>in</strong>gestellt werden. Die allgeme<strong>in</strong>e Kontrolle<br />

von Privatschulen wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel von den lokalen Behörden ausgeübt. Diejenigen<br />

Schulen, welche die Vorschriften nicht erfüllen, werden geschlossen. Nicht zuletzt<br />

aufgr<strong>und</strong> dieser Massnahmen ist die Zahl privater <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

zweiten Hälfte <strong>der</strong> 90er Jahre zurückgegangen. Die Gebühren an Privatschulen s<strong>in</strong>d<br />

sehr unterschiedlich. Das Niveau <strong>der</strong> Ausbildung variiert ebenfalls stark. Manche Privatschulen<br />

s<strong>in</strong>d äusserst elitär <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e entsprechen niveaumässig den öffentlichen<br />

Schulen. Obwohl Privatschulen strenge gesetzliche Vorschriften erfüllen müssen <strong>und</strong><br />

unter Kontrolle <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Regierung stehen, s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausgestaltung ihrer<br />

Curricula relativ frei. Das heisst, sie bestimmen Themen <strong>und</strong> Gewichtung <strong>der</strong> unterrichteten<br />

Fächer selbst, was Privatschulen die Möglichkeit gibt, ihr <strong>Bildung</strong>sangebot<br />

nachfrageorientiert <strong>und</strong> damit marktgerecht zu gestalten. Dies ist beson<strong>der</strong>s im Zusammenhang<br />

mit politisch-ideologischer <strong>und</strong> moralischer <strong>Erziehung</strong> von Bedeutung. In<br />

diesem S<strong>in</strong>ne können private <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a, unter Umständen e<strong>in</strong><br />

etwas «freieres Denken» <strong>der</strong> Absolventen dieser Schulen bedeuten (L<strong>in</strong>, 1999; Liu,<br />

Interview, 1999; S. Chen, Interview, 1999; Surowski, 2000).<br />

Nach offiziellen Angaben zählen die Privatschulen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a im Jahr 2001 über 56'000<br />

Institutionen mit ungefähr neun Millionen Schülern <strong>und</strong> <strong>St</strong>udierenden auf allen <strong>Bildung</strong>sstufen.<br />

Die Verteilung sieht wie folgt aus (LaRocque & Jacobsen, 2000; MOE,<br />

2002):<br />

Anzahl Institutionen: Anzahl E<strong>in</strong>geschriebene:<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten 44‘500 3'493‘000<br />

Gr<strong>und</strong>schulen 4‘846 1'181‘400<br />

Mittelschulen 4‘571 2'328‘700<br />

Berufsschulen 1‘040 377‘300<br />

Hochschulen 1‘396 1'443‘040<br />

Tabelle 29: Private Institutionen unterschiedlicher<br />

<strong>Bildung</strong>sstufen im Jahr 2001<br />

Tabelle 29 zeigt, dass an privaten Schulen im Durchschnitt sehr viel weniger Schüler<br />

<strong>und</strong> <strong>St</strong>udierende ausgebildet werden. Die Unterschiede <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Schulen s<strong>in</strong>d<br />

sehr gross. Der nachfolgende Abschnitt gibt Aufschluss über e<strong>in</strong>ige quantitative <strong>und</strong><br />

qualitative Verschiedenheiten von Privatschulen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.


<strong>Bildung</strong>ssystem 93<br />

1.5.2.1. Schultypen<br />

Der Begriff Privatschulen umfasst e<strong>in</strong>e ganze Anzahl verschiedener Schultypen, die<br />

sich aufgr<strong>und</strong> ihrer Verwaltung, Organisation <strong>und</strong> Schulstufe unterscheiden. Die Bezeichnung<br />

e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen Schule <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a, lässt nicht immer darauf schliessen, um<br />

welchen Schultyp es sich genau handelt. Deshalb ist die e<strong>in</strong>deutige Zuordnung von<br />

e<strong>in</strong>zelnen Schulen zu e<strong>in</strong>er bestimmten Art von Schule oftmals nicht ohne zusätzlichen<br />

Informationen möglich. Die nachfolgend aufgeführten Schultypen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Versuch,<br />

die verschiedenen heute <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a vorkommenden privaten Schultypen zu erfassen.<br />

Die Privatschulen 1. bis 6. s<strong>in</strong>d Typen <strong>der</strong> Vorschulerziehung sowie <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong><strong>und</strong><br />

Mittelschulstufe. Unter 7. werden die privaten <strong>Universität</strong>en behandelt (LaRoque &<br />

Jacobsen, 2000; L<strong>in</strong>, 1999):<br />

1. Öffentliche Schulen unter privater Führung<br />

Seit Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre gestattet die ch<strong>in</strong>esische Regierung öffentlichen Schulen,<br />

e<strong>in</strong>en Management-Vertrag auf privater Basis abzuschliessen. Das heisst, die<br />

schulische Infrastruktur bleibt im Besitz <strong>der</strong> Regierung <strong>und</strong> die Schule muss die<br />

vom <strong>St</strong>aat vorgegebenen <strong>St</strong>andards erfüllen. Dies hat zur Folge, dass e<strong>in</strong>ige öffentliche<br />

Schulen unter privater Führung <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht dem Niveau e<strong>in</strong>er privaten<br />

Eliteschule entsprechen. An<strong>der</strong>e dieser privat geführten öffentlichen Schulen<br />

entsprechen e<strong>in</strong>er ganz normalen Privatschule. Das tatsächliche Niveau e<strong>in</strong>er<br />

Schule dieses Typs lässt sich nicht aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Bezeichnung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Entstehung<br />

<strong>der</strong> Schule erkennen (L<strong>in</strong>, 1999).<br />

2. Privatschulen <strong>in</strong> öffentlichen Schwerpunkt-Schulen<br />

Verschiedene öffentliche Schwerpunkt-Schulen machen sich ihren guten Ruf <strong>und</strong><br />

die hohe Qualität ihrer Ausbildung zu Nutze, <strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong>nerhalb ihrer Schule e<strong>in</strong>e<br />

private Schule gründen. Diese geme<strong>in</strong>sam verwalteten <strong>und</strong> organisierten öffentlichen<br />

<strong>und</strong> privaten Schwerpunkt-Schulen folgen dem gleichen Curriculum <strong>und</strong> absolvieren<br />

dieselben Prüfungen. Da sich die ch<strong>in</strong>esische Bevölkerung von <strong>der</strong> Ausbildung<br />

an e<strong>in</strong>er Schwerpunkt-Schule (öffentlich o<strong>der</strong> privat) e<strong>in</strong>e sehr hohe Erfolgschance<br />

verspricht, s<strong>in</strong>d diese Art Privatschulen sehr begehrt. Die stark selektiven<br />

Aufnahmeprüfungen für diese Schulen werden von Tausenden von Kandidaten<br />

versucht zu bestehen. Aber nur ganz wenige schaffen den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

private Schwerpunkt-Schule (L<strong>in</strong>, 1999).<br />

3. Normale Privatschulen <strong>in</strong> städtischen Agglomerationen<br />

Sogenannt normale Privatschulen nehmen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Schüler auf, welche die<br />

Aufnahmeprüfung <strong>in</strong> die allgeme<strong>in</strong>e öffentliche Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe nicht<br />

geschafft haben. Ziel ist, die Aufnahmeprüfung zu e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt erfolgreich<br />

zu absolvieren o<strong>der</strong> vor dem E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong>s Erwerbsleben, e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an<br />

beruflichen Fähigkeiten zu erwerben. Diese Privatschulen bieten nicht das hohe<br />

Ausbildungsniveau e<strong>in</strong>er privaten Eliteschule. Dennoch geniessen sie mehr Freiheit<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Aufnahmekriterien, <strong>der</strong> Curricula, <strong>der</strong> Lehr- <strong>und</strong> Lernmethoden<br />

sowie <strong>der</strong> schul<strong>in</strong>ternen Verwaltung <strong>und</strong> Organisation als dies bei öffentlichen<br />

Schulen <strong>der</strong> Fall ist (LaRocque & Jacobsen, 2000; L<strong>in</strong>, 1999).


94 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

4. Private Eliteschulen auf Gr<strong>und</strong>schulstufe<br />

Diese Schulen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> auch <strong>in</strong>ternational am<br />

bekanntesten. Private Eliteschulen stehen für e<strong>in</strong>e Ausbildung auf höchstem Niveau.<br />

Das heisst, die Lern-, Lehr- <strong>und</strong> Lebensbed<strong>in</strong>gungen an diesen Schulen<br />

s<strong>in</strong>d hervorragend. Das Verhältnis von Anzahl Schülern pro Lehrenden ist sehr ger<strong>in</strong>g.<br />

Es werden nur erfahrene Lehrende beschäftigt. Die Curricula s<strong>in</strong>d meistens<br />

auf die englische Sprache, Computerwissenschaften <strong>und</strong> ausserschulische Aktivitäten<br />

ausgerichtet. Die Schüler kommen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel aus neureichen <strong>und</strong> ausländischen<br />

Familien o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong><strong>der</strong> von Regierungsangestellten <strong>und</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Familien, die im Ausland leben. Die Gebühren für private Eliteschulen s<strong>in</strong>d entsprechend<br />

hoch. Durchschnittsbürger <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a können es sich kaum leisten, auch<br />

nur ihr meistens e<strong>in</strong>ziges K<strong>in</strong>d auf e<strong>in</strong>e solche Schule zu schicken (Chan & Mok,<br />

2001; LaRocque & Jacobsen, 2000; L<strong>in</strong>, 1999).<br />

5. Privatschulen auf dem Land<br />

Der grösste Teil <strong>der</strong> Privatschulen auf dem Land s<strong>in</strong>d Gr<strong>und</strong>schulen. Es gibt auch<br />

e<strong>in</strong>ige wenige private Mittelschulen <strong>in</strong> ländlichen Regionen. Im Gegensatz zu Privatschulen<br />

<strong>in</strong> städtischen Agglomerationen, füllen Privatschulen auf dem Land<br />

oftmals die Lücken, welche öffentliche Schulen h<strong>in</strong>terlassen. Die Privatschulen auf<br />

dem Land s<strong>in</strong>d meistens sehr bescheiden ausgerüstet <strong>und</strong> verfügen über sehr wenige<br />

Mittel. Ziel ist, denjenigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die ke<strong>in</strong>e öffentliche Schule besuchen<br />

o<strong>der</strong> besuchen können, e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an schulischem Wissen zu vermitteln. Die<br />

Gebühren s<strong>in</strong>d dementsprechend niedrig. Privatschulen auf dem Land tragen wesentlich<br />

dazu bei, dass sich die Quote <strong>der</strong> neunjährigen Schulpflicht <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> im<br />

entsprechenden Alter erhöht (Becker, 2000; Chan & Mok, 2001; L<strong>in</strong>, 1999).<br />

6. Berufsbildende Privatschulen<br />

Die berufsbildenden Privatschulen bieten verschiedene Lehrgänge über zwei bis<br />

drei Jahre an. Die Ausbildung ist auf den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong>s Erwerbsleben nach Abschluss<br />

<strong>der</strong> Schule ausgerichtet. Das heisst, die Lern<strong>in</strong>halte s<strong>in</strong>d möglichst praxisnah gestaltet.<br />

Berufsbildende Privatschulen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf die Dienstleistungsbranche<br />

spezialisiert. Meistens stehen diese Schulen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit öffentlichen<br />

Ämtern o<strong>der</strong> Betrieben, welche Interesse an Absolventen dieser Ausbildungswege<br />

haben. Die Gebühren berufsbilden<strong>der</strong> Privatschulen s<strong>in</strong>d aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht so hoch (LaRocque & Jacobsen, 2000; L<strong>in</strong>, 1999).<br />

7. Private <strong>Universität</strong>en<br />

Im Vergleich zur Anzahl staatlicher Hochschul<strong>in</strong>stitutionen, gibt es heute <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

wenig private <strong>Universität</strong>en. Die <strong>St</strong>udienlehrgänge an privaten <strong>Universität</strong>en s<strong>in</strong>d<br />

stärker auf die Bedürfnisse <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Wirtschaft ausgerichtet. Das heisst,<br />

es werden Lehrgänge <strong>in</strong> englischer Sprache <strong>in</strong> Fachgebieten <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> dem F<strong>in</strong>anzwesen angeboten. Es gibt aber auch private <strong>Universität</strong>en,<br />

die mehr auf technische <strong>St</strong>udien ausgerichtet s<strong>in</strong>d. Die Curricula privater <strong>Universität</strong>en<br />

s<strong>in</strong>d gr<strong>und</strong>sätzlich flexibler gestaltet <strong>und</strong> werden fortlaufend den aktuellen<br />

Bedürfnissen angepasst. Es gilt das Pr<strong>in</strong>zip: niedrige Zulassungshürden <strong>und</strong><br />

hohe Abschlussanfor<strong>der</strong>ungen. Das heisst, private <strong>Universität</strong>en verfügen über


<strong>Bildung</strong>ssystem 95<br />

e<strong>in</strong>en relativ grossen Spielraum betreffend ihrer <strong>in</strong>ternen Verwaltung <strong>und</strong> Organisation.<br />

Trotzdem unterstehen sie e<strong>in</strong>er strengen staatlichen Kontrolle. Private <strong>Universität</strong>en<br />

dürfen nur mit e<strong>in</strong>er offiziellen Bewilligung <strong>der</strong> Regierung gegründet<br />

werden. Kandidaten, die sich für e<strong>in</strong> <strong>St</strong>udium bewerben, müssen die nationale<br />

Hochschulaufnahmeprüfung absolvieren. Die erfor<strong>der</strong>liche Punktzahl, um an e<strong>in</strong>er<br />

privaten <strong>Universität</strong> zugelassen zu werden, bestimmen die Schulen wie<strong>der</strong>um<br />

selbst. In <strong>der</strong> Regel braucht es sehr viel weniger Punkte, um die Aufnahmeprüfung<br />

an e<strong>in</strong>er privaten, im Vergleich zu e<strong>in</strong>er staatlichen, <strong>Universität</strong> zu bestehen. Der<br />

Abschluss e<strong>in</strong>er privaten ch<strong>in</strong>esischen <strong>Universität</strong> wird vom M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong><br />

nicht anerkannt. Es besteht jedoch die Möglichkeit, an e<strong>in</strong>er privaten <strong>Universität</strong><br />

zu studieren, die Abschlussprüfung anschliessend an e<strong>in</strong>er öffentlichen <strong>Universität</strong><br />

zu absolvieren. Die Abschlussprüfung wird <strong>in</strong> diesem Fall vom Nationalen<br />

Prüfungskomitee für das Hochschulselbststudium abgenommen (vergleiche<br />

Teil II: 1.4.3.2.) (Chan & Mok; LaRocque & Jacobsen, 2000; Li, 1999; L<strong>in</strong>, 1999;<br />

Surowski, 2000).<br />

1.6. Spezialschulen<br />

Die folgenden drei Abschnitte s<strong>in</strong>d den Parteischulen, den Militärschulen <strong>und</strong> den<br />

religiösen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a gewidmet. Diese Spezialschulen<br />

gehören nicht zum allgeme<strong>in</strong>en ch<strong>in</strong>esischen Schulsystem, auch wenn sie<br />

nicht vollkommen getrennt davon betrachtet werden können.<br />

1.6.1. Parteischulen<br />

Mit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong> Öffnungspolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a Ende <strong>der</strong> 70er<br />

Jahre zeigt sich, dass von den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Kommunistischen Partei (KP) Ch<strong>in</strong>as<br />

zukünftig mehr als nur die re<strong>in</strong>e Loyalität zur Partei gefor<strong>der</strong>t ist. Insbeson<strong>der</strong>e von<br />

den Mitglie<strong>der</strong>n des Parteika<strong>der</strong>s wird e<strong>in</strong> vertieftes Verständnis für die Bemühungen<br />

<strong>in</strong> Richtung Sozialismus nach ch<strong>in</strong>esischer Prägung verlangt. Zum Ka<strong>der</strong> <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as<br />

gehören Mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Führungspositionen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Adm<strong>in</strong>istration <strong>und</strong> weitere professionell<br />

Bedienstete <strong>der</strong> Partei. Schon seit Ende <strong>der</strong> 40er Jahre bildet die KP Ch<strong>in</strong>as<br />

ihre Ka<strong>der</strong>mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong>tern aus <strong>und</strong> weiter. Doch Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre gilt es nicht<br />

mehr nur die Mitglie<strong>der</strong> des Parteika<strong>der</strong>s fortzubilden. Die KP Ch<strong>in</strong>as sieht sich <strong>in</strong><br />

ihren eigenen Reihen mit 15 Millionen Analphabeten konfrontiert. Diesen Parteimitglie<strong>der</strong>n<br />

soll <strong>in</strong> partei<strong>in</strong>ternen Schulen e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an Lesen <strong>und</strong> Schreiben beigebracht<br />

werden. Inzwischen gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a neben <strong>der</strong> Zentralen<br />

Parteischule, Tausende nationale, regionale <strong>und</strong> lokale Parteischulen, die <strong>in</strong>sgesamt<br />

mehr als e<strong>in</strong>e Million <strong>St</strong>udierende pro Jahr aufnehmen, wobei an lokalen Parteischulen<br />

teilweise nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Duzend <strong>St</strong>udierende e<strong>in</strong>geschrieben s<strong>in</strong>d. Die Zentrale Parteischule<br />

<strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g zählt gut 3000 <strong>St</strong>udierende (aus Kreisen <strong>der</strong> höheren Beamtenschaft)<br />

<strong>und</strong> über 600 Professoren <strong>und</strong> Lehrende. Die höchste Parteischule Ch<strong>in</strong>as<br />

för<strong>der</strong>t den <strong>in</strong>ternationalen Austausch. <strong>St</strong>udierende werden für <strong>St</strong>udien <strong>in</strong>s Ausland<br />

geschickt <strong>und</strong> ausländische Gastdozenten werden e<strong>in</strong>geladen. Zudem hat die Zentrale<br />

Parteischule e<strong>in</strong> eigenes <strong>St</strong>udienzentrum für Frauen e<strong>in</strong>gerichtet. Die Parteischulen<br />

s<strong>in</strong>d gr<strong>und</strong>sätzlich ab <strong>der</strong> unteren Mittelschulstufe e<strong>in</strong>zuordnen. Mit Ausnahme <strong>der</strong><br />

Zentralen Parteischule s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Zulassungsprüfungen für die Aufnahme an e<strong>in</strong>er


96 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Parteischule erfor<strong>der</strong>lich. H<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d die politische Ges<strong>in</strong>nung <strong>und</strong> <strong>der</strong> familiäre<br />

H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kandidaten für die Aufnahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Parteischule ausschlaggebend.<br />

Die Parteischulen erfüllen heute die folgenden Funktionen (Becker, 2000; Surowski,<br />

2000):<br />

1. Regelmässige Weiterbildung von Parteika<strong>der</strong> auf allen <strong>St</strong>ufen<br />

2. Weiterbildung von herausragenden Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Parteika<strong>der</strong> jüngeren <strong>und</strong><br />

mittleren Alters<br />

3. Weiterbildung von Parteika<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Führungspositionen <strong>und</strong> <strong>in</strong> Abteilungen mit<br />

ideologischen <strong>und</strong> theoretischen Aufgabenbereichen<br />

4. Prüfen <strong>der</strong> Leistungen <strong>der</strong> <strong>St</strong>udierenden <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit <strong>der</strong><br />

Parteiorganisation <strong>und</strong> <strong>der</strong> Personalabteilung<br />

5. Anleiten wissenschaftlicher Forschung im H<strong>in</strong>blick auf zukünftige<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> im Ausland<br />

6. Lehren von Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus, <strong>der</strong> Mao-Zedong-Ideen, <strong>der</strong> Theorie<br />

des Sozialismus ch<strong>in</strong>esischer Prägung sowie <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>sätze, <strong>der</strong> Politik <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Philosophie <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as<br />

Ziel ist es, den <strong>St</strong>udierenden an Parteischulen neben <strong>der</strong> Deng-Xiaop<strong>in</strong>g-Theorie auch<br />

e<strong>in</strong> gutes Allgeme<strong>in</strong>wissen, die Gr<strong>und</strong>lagen <strong>der</strong> sozialistischen Marktwirtschaft sowie<br />

mo<strong>der</strong>ne Wissenschaft <strong>und</strong> Technik zu vermitteln. Seit Hu J<strong>in</strong>tao (<strong>der</strong>zeitiger <strong>St</strong>aatspräsident<br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a) 1993 das Präsidium <strong>der</strong> Zentralen Parteischule<br />

übernommen hat, wird an dieser Schule dem <strong>St</strong>udium <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Politik <strong>und</strong><br />

Wirtschaft e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>s hohen <strong>St</strong>ellenwert e<strong>in</strong>geräumt. Im Allgeme<strong>in</strong>en werden<br />

von den Parteischulen die folgenden Programme angeboten: Weiterbildungs-, Theorie-<br />

<strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>holungskurse. Die Weiterbildungskurse dauern von drei Monaten bis<br />

zu zwei Jahren <strong>und</strong> dürfen nur bis zum maximalen Alter von 40 Jahren besucht werden.<br />

Weitere Voraussetzungen s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Abschluss m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>es Kurzzeitgr<strong>und</strong>studiums,<br />

fünf Jahre Berufserfahrung <strong>und</strong> gute politische Qualifikationen. Theoriekurse<br />

richten sich an jüngere Parteimitglie<strong>der</strong>, die zu Lehrenden an <strong>der</strong> Parteischule o<strong>der</strong><br />

zu Mitarbeitenden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abteilung <strong>der</strong> Parteipropaganda ausgebildet werden. Die<br />

Kurse dauern zwei bis drei Jahre <strong>und</strong> dürfen bis zum maximalen Alter von 35 Jahren<br />

besucht werden. Wie<strong>der</strong>holungskurse s<strong>in</strong>d Parteimitglie<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Führungspositionen<br />

<strong>und</strong> Regierungsangestellten vorbehalten. Diese Kurse dauern zwischen e<strong>in</strong>em Monat<br />

bis zu e<strong>in</strong>em Jahr. Je nach Absolvieren von Weiterbildungs-, Theorie- o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>holungskursen<br />

kann an Parteischulen e<strong>in</strong> Abschlusszeugnis mit gleichem Wert wie<br />

e<strong>in</strong> Abschluss e<strong>in</strong>es Gr<strong>und</strong>studiums an e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Hochschule erworben werden.<br />

An <strong>der</strong> Zentralen Parteischule besteht zudem die Möglichkeit, den Abschluss<br />

e<strong>in</strong>es Hauptstudiums zu erwerben <strong>und</strong> zu promovieren (Sieren, 2002; Surowski,<br />

2000).


<strong>Bildung</strong>ssystem 97<br />

1.6.2. Militärschulen<br />

Die ch<strong>in</strong>esische Volksbefreiungsarmee verfügt über eigene schulische Institutionen,<br />

um den <strong>Bildung</strong>sgrad ihrer Mitglie<strong>der</strong> zu verbessern <strong>und</strong> die politische Kontrolle <strong>der</strong><br />

KP Ch<strong>in</strong>as sicher zu stellen. Es ist relativ schwierig, genaue Informationen über diese<br />

Institutionen zu erhalten, da die Veröffentlichungen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang rar,<br />

äusserst lückenhaft o<strong>der</strong> nicht wirklich korrekt ersche<strong>in</strong>en. Trotzdem soll mit den nachfolgenden<br />

Ausführungen versucht werden, e<strong>in</strong>en Überblick über die sogenannten<br />

Militärschulen <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu gewähren.<br />

Die Volksbefreiungsarmee Ch<strong>in</strong>as setzt sich aus <strong>der</strong> Armee beziehungsweise <strong>der</strong><br />

Artillerie (ungefähr 2,5 Millionen Soldaten), <strong>der</strong> Luftwaffe (ungefähr 500'000 Soldaten)<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Mar<strong>in</strong>e (ungefähr 300'000 Soldaten) zusammen. Sie ist <strong>in</strong> sieben Regionen<br />

aufgeteilt: Beij<strong>in</strong>g, Chengdu, Guangzhou, J<strong>in</strong>an, Lanzhou, Nanj<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Shenyang.<br />

Unterstellt ist die Volksbefreiungsarmee sowohl <strong>der</strong> Militärkommission <strong>der</strong> Zentralregierung<br />

als auch <strong>der</strong> Militärkommission <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as. Die Militärschulen werden von<br />

<strong>der</strong> Volksbefreiungsarmee <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Militärpolizei geführt. Die Armee,<br />

die Luftwaffe <strong>und</strong> die Mar<strong>in</strong>e verfügen über getrennte Schulen. Während <strong>der</strong><br />

Kulturrevolution (1966 bis 1976) wurden die meisten dieser Militärschulen geschlossen.<br />

Ende <strong>der</strong> 70er Jahre haben viele Wie<strong>der</strong>eröffnungen <strong>und</strong> Neugründungen stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Heute ist es möglich, sämtliche höheren <strong>Bildung</strong>sstufen bis zur Promotion<br />

an e<strong>in</strong>er Militärschule zu absolvieren. Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre setzt sich die Volksbefreiungsarmee<br />

zum Ziel, dass alle Soldaten mit Offiziersgrad, über e<strong>in</strong> abgeschlossenes<br />

Gr<strong>und</strong>studium verfügen. Während die Offiziere das Gr<strong>und</strong>studium teilweise auch an<br />

nicht militärischen Hochschulen besuchen können, muss das Hauptstudium <strong>und</strong> die<br />

Promotion an e<strong>in</strong>er Militärschule absolviert werden (Surowski, 2000).<br />

Es gibt vier Kategorien von Militärschulen: Kommandoschulen, Spezialisierte Technische<br />

Schulen, Akademien <strong>und</strong> Forschungs<strong>in</strong>stitute. Die Kommandoschulen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e untere, e<strong>in</strong>e mittlere <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e obere <strong>St</strong>ufe e<strong>in</strong>geteilt. Die untere <strong>St</strong>ufe entspricht<br />

e<strong>in</strong>em Gr<strong>und</strong>studium <strong>und</strong> dauert zwei bis vier Jahre. Vorausgesetzt wird <strong>der</strong> Abschluss<br />

e<strong>in</strong>er Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe. Die Soldaten werden auf dieser <strong>St</strong>ufe zu<br />

Zugsführern <strong>der</strong> Bodentruppen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mar<strong>in</strong>e, zu Piloten <strong>und</strong> Kompaniequartiermeistern<br />

ausgebildet. Die mittlere <strong>St</strong>ufe entspricht e<strong>in</strong>em Hauptstudium <strong>und</strong> dauert e<strong>in</strong> bis<br />

zwei Jahre. Vorausgesetzt wird <strong>der</strong> Abschluss <strong>der</strong> unteren <strong>St</strong>ufe <strong>der</strong> Kommandoschule.<br />

Auf <strong>der</strong> mittleren <strong>St</strong>ufe werden die Soldaten zu militärischen, politischen <strong>und</strong><br />

logistischen Führungskräften sowie Divisions- <strong>und</strong> Regimentsoffizieren ausgebildet.<br />

Das Curriculum setzt sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie aus Lern<strong>in</strong>halten über Militärtaktik <strong>und</strong> -<br />

organisation zusammen. Kommandoschulen <strong>der</strong> oberen <strong>St</strong>ufe gibt es <strong>in</strong> ganz Ch<strong>in</strong>a<br />

zwei, die sich beide <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g bef<strong>in</strong>den. Die e<strong>in</strong>e ist die «Akademie für Militärwissenschaften»<br />

<strong>und</strong> die an<strong>der</strong>e ist die «Akademie für Nationale Verteidigung». Die Ausbildung<br />

an diesen Schulen dauert e<strong>in</strong> bis zwei Jahre. Das Curriculum ist auf strategische<br />

Lern<strong>in</strong>halte <strong>und</strong> Militärkampagnen ausgerichtet. Die Spezialisierten Technischen<br />

Schulen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> zwei <strong>St</strong>ufen e<strong>in</strong>geteilt. Der E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> die untere beziehungsweise<br />

mittlere <strong>St</strong>ufe setzt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong> vorheriges <strong>St</strong>udium von drei Jahren voraus. Die<br />

Ausbildung dauert zwei Jahre <strong>und</strong> erfolgt entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em technischen Bereich o<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>. Die obere <strong>St</strong>ufe ermöglicht e<strong>in</strong>e höhere Weiterbildung <strong>in</strong> spezialisierten


98 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Bereichen <strong>und</strong> ist meistens mit ke<strong>in</strong>em beson<strong>der</strong>en Abschluss verb<strong>und</strong>en. Akademien<br />

s<strong>in</strong>d entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Armee o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Luftwaffe zuzuordnen. Armeeakademien<br />

bieten <strong>St</strong>udiengänge mit Abschluss für Offizierskandidaten an. Die Lehrgänge dauern<br />

e<strong>in</strong> bis vier Jahre. Luftwaffenakademien gibt es <strong>in</strong>sgesamt 26. Nach e<strong>in</strong>em Basistra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

für neu E<strong>in</strong>tretende absolvieren die <strong>St</strong>udierenden e<strong>in</strong> vierjähriges Programm, das<br />

sie mit e<strong>in</strong>em Abschluss <strong>in</strong> Militärwissenschaften auf <strong>der</strong> <strong>St</strong>ufe e<strong>in</strong>es Gr<strong>und</strong>studiums<br />

beenden. Neben zahlreichen Forschungs<strong>in</strong>stituten <strong>der</strong> Volksbefreiungsarmee, wo<br />

die Soldaten <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie technische Militärtra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs absolvieren, gibt es acht Forschungs<strong>in</strong>stitute<br />

<strong>der</strong> Luftwaffe <strong>und</strong> sechs sogenannte Forschungs<strong>in</strong>stitute für militärische<br />

Intelligenz. Die acht Forschungs<strong>in</strong>stitute <strong>der</strong> Luftwaffe beschäftigen schätzungsweise<br />

je 200 Militärs. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Hauptaufgaben ist die Entwicklung neuer Waffensysteme.<br />

Die sechs Forschungs<strong>in</strong>stitute für militärische Intelligenz beschäftigen sich mit <strong>der</strong><br />

Entwicklung von Spionagetechnologien (Latham, 1991; Surowski, 2000).<br />

Die aufgeführten Militärschulen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Ergänzung <strong>der</strong> übrigen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Da diese Schulen vor allem <strong>in</strong> ländlichen Regionen angesiedelt<br />

s<strong>in</strong>d, bedeuten sie unter an<strong>der</strong>em für die lokale Bevölkerung e<strong>in</strong>e grosse<br />

Chance, e<strong>in</strong>e gute Ausbildung zu absolvieren (Latham, 1991; Surowski, 2000).<br />

1.6.3. Religiöse <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

In <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung s<strong>in</strong>d viele unterschiedliche Glaubensrichtungen vertreten.<br />

Neben den weit verbreiteten buddhistischen <strong>und</strong> daoistischen Anhängern, gibt<br />

es <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a auch Gläubige des Christentums, des Islam <strong>und</strong> e<strong>in</strong>iger sektenähnlichen<br />

Gruppierungen. Mit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a (1949) wird die religiöse<br />

<strong>Erziehung</strong> aus dem öffentlichen Schulsystem ausgeschlossen. Das offizielle ch<strong>in</strong>esische<br />

<strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystem vermittelt seither re<strong>in</strong> weltliche Lern<strong>in</strong>halte.<br />

Religiöse <strong>Bildung</strong>sstätten werden geduldet, während <strong>der</strong> Kulturrevolution (1966 bis<br />

1976) jedoch geschlossen. Missionare wurden vertrieben. Seit den 80er Jahren s<strong>in</strong>d<br />

religiöse <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen, unter strenger Beobachtung <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Regierung,<br />

wie<strong>der</strong> erlaubt. Neben zahlreichen kle<strong>in</strong>eren Religionsschulen <strong>in</strong> ganz Ch<strong>in</strong>a,<br />

bef<strong>in</strong>det sich heute <strong>in</strong> Nanj<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Art Zentrum für fortgeschrittene Religionsstudien.<br />

In Nanj<strong>in</strong>g gibt es e<strong>in</strong>e höhere Schule für Buddhismus, Daoismus, Islam, Christentum<br />

<strong>und</strong> Katholizismus. Diese Schule bietet Lehrgänge über e<strong>in</strong>e Dauer von zwei bis<br />

sechs Jahren an. Die <strong>St</strong>udierenden müssen e<strong>in</strong>en religiösen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> mitbr<strong>in</strong>gen,<br />

um zum <strong>St</strong>udium zugelassen zu werden. Zudem ist m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Abschluss <strong>der</strong><br />

unteren Mittelschule erfor<strong>der</strong>lich. Das Curriculum besteht zu ungefähr 70 Prozent aus<br />

Religionslehre <strong>und</strong> zu 30 Prozent aus Allgeme<strong>in</strong>bildung wie Mathematik, Geschichte<br />

<strong>und</strong> Ch<strong>in</strong>esische Sprache. Der erfolgreiche Abschluss e<strong>in</strong>es Hauptstudiums o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Promotion wird mit e<strong>in</strong>em Abschlusszeugnis <strong>in</strong> Philosophie ausgezeichnet (Surowski,<br />

2000).


Pädagogik 99<br />

2. Pädagogik<br />

Bei <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei diesem Kapitel handelt es sich um<br />

den Versuch, mit europäischer Denkweise <strong>und</strong> mit <strong>in</strong> Europa vertrauten Begriffen<br />

etwas zu formulieren, das e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Denkwelt, <strong>der</strong> «ch<strong>in</strong>esischen Denkwelt»<br />

angehört. Begriffe <strong>und</strong> Formulierungen aus «unserer Welt» entsprechen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />

unserer Logik <strong>und</strong> können nicht nur - aber auch - deshalb Wi<strong>der</strong>sprüche aufzeigen, die<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> «ch<strong>in</strong>esischen Welt» ke<strong>in</strong>eswegs als solche wahrgenommen werden. Die Ideen<br />

von C. G. Jung (Carl Gustav Jung 1875 bis 1961) dürften e<strong>in</strong>em westlich geprägten<br />

Menschen, das Verständnis <strong>der</strong> «ch<strong>in</strong>esischen Welt» erleichtern. In diesem S<strong>in</strong>ne wird<br />

mit den nachfolgenden Ausführungen versucht, <strong>der</strong> für uns manchmal schwierigen<br />

An<strong>der</strong>sartigkeit des «spezifisch Ch<strong>in</strong>esischen» möglichst gerecht zu werden (Immoos,<br />

Gespräch, 1999; Muheim, Gespräche, 2002).<br />

Die Wissenschaft <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a hat sich erst<br />

seit den 80er Jahren richtig entwickeln können. Zuvor (seit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

im Jahr 1949 bis zur E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik 1978) beschränkt<br />

sich die wissenschaftliche Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung auf dem Gebiet <strong>der</strong> Pädagogik<br />

vor allem auf das Umsetzen <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Führung vorgegebenen Richtl<strong>in</strong>ien. Der<br />

<strong>in</strong>ternationale wissenschaftliche Austausch konzentriert sich <strong>in</strong> den ersten drei Jahrzehnten<br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> fast ausschliesslich auf die damalige Sowjetunion (vergleiche<br />

Teil I: 1.3.). Seit den 80er Jahren hat sich diesbezüglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

vieles verän<strong>der</strong>t. Die Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik sowie das enorme wirtschaftliche<br />

Wachstum Ch<strong>in</strong>as haben auch die Entwicklungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pädagogik bee<strong>in</strong>flusst. Doch<br />

die pädagogischen Gr<strong>und</strong>werte s<strong>in</strong>d aller Verän<strong>der</strong>ung zum Trotz, hauptsächlich<br />

aus dem alten Ch<strong>in</strong>a überliefert, wie nachfolgende Ausführungen zeigen. Pädagogische<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> wurden h<strong>in</strong>gegen stark von Verän<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> Anpassungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a geprägt. Der heutige <strong>St</strong>and pädagogischer<br />

Professionalisierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a wird im zweiten Abschnitt dieses Kapitels<br />

erläutert.<br />

2.1. Pädagogische Gr<strong>und</strong>werte<br />

Pädagogische Gr<strong>und</strong>werte bauen auf gr<strong>und</strong>legenden Vorstellungen vom Menschen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft, die je<strong>der</strong> Kultur eigen s<strong>in</strong>d, auf. In den nachfolgenden Ausführungen<br />

werden die Menschen als Teile des Ganzen, <strong>der</strong> Gesellschaft, betrachtet. In<br />

diesem S<strong>in</strong>ne «formt» <strong>der</strong> Typ Mensch die Gesellschaft, zu welcher er gehört, wobei<br />

die Gesellschaft, den ihr angehörenden Typ Mensch wie<strong>der</strong>um bee<strong>in</strong>flusst. Die nachfolgenden<br />

beiden Abschnitte s<strong>in</strong>d deshalb zuerst dem Menschenbild <strong>und</strong> anschliessend<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a im H<strong>in</strong>blick auf das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

gewidmet. Das spezifisch ch<strong>in</strong>esische Menschenbild wird versucht,<br />

durch das Lernen, die Diszipl<strong>in</strong> <strong>und</strong> die Kreativität genauer aufzuschlüsseln. Das<br />

Evaluieren von <strong>in</strong>dividualistischer beziehungsweise kollektivistischer Prägung <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Konformität <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Gesellschaft ist <strong>der</strong> Versuch, wesentliche Merkmale<br />

<strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft mit Blick auf das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>ssystem genauer<br />

zu erfassen.


100 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.1.1. Menschenbild<br />

Jede Kultur hat ihre eigene «Konzeption» des Menschen. So unterscheidet sich auch<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a die traditionelle Vorstellung <strong>der</strong> menschlichen Natur von <strong>der</strong>jenigen <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Kulturen dieser Welt. Der «konfuzianische Mensch» ist das e<strong>in</strong>flussreichste<br />

Menschenbild aller ch<strong>in</strong>esischen Philosophien. Der ch<strong>in</strong>esisch konfuzianische Mensch<br />

ist ke<strong>in</strong> autonomes Wesen, son<strong>der</strong>n verwirklicht sich erst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> zwischenmenschlichen Beziehungen, wie Prof. Norbert Meienberger<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vortrag vom 28. Januar 1999 ausführt. Das Konzept des Individuums existiert<br />

im Konfuzianismus nicht. Der e<strong>in</strong>zelne Mensch ist im <strong>St</strong>aat, <strong>in</strong> öffentlichen Geme<strong>in</strong>schaften<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie organisiert. Der E<strong>in</strong>zelmensch hat <strong>in</strong> diesen Gruppen<br />

ke<strong>in</strong>en eigenen menschlichen Wert <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e persönliche <strong>St</strong>ellung. Der Ich-Bezug als<br />

Ausgangspunkt ist fremd. Das heisst, nach ch<strong>in</strong>esischer Auffassung f<strong>in</strong>det die <strong>in</strong>dividuelle<br />

Existenz ihren S<strong>in</strong>n im sozialen <strong>und</strong> kulturellen Umfeld. So entwickeln ch<strong>in</strong>esische<br />

Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong> von Anfang an durch zahlreiche Erfahrungen im Alltag mit ihren Eltern<br />

e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong> für ihre E<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>enheit <strong>in</strong> bestimmte soziale Lebense<strong>in</strong>heiten<br />

<strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>schaften. Solche Erfahrungen machen sie zum Beispiel am Familientisch,<br />

im geme<strong>in</strong>samen Schlafzimmer, bei Familienspaziergängen, bei von Älteren überwachten<br />

Schularbeiten <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d sie e<strong>in</strong>mal verheiratet, beim täglichen Telefonieren<br />

mit den Eltern. Diese Vorstellung <strong>der</strong> eigentlichen Auflösung des e<strong>in</strong>zelnen Menschen<br />

im Verb<strong>und</strong> mit an<strong>der</strong>en Menschen hat grosse Auswirkungen auf das Lernen, die<br />

Diszipl<strong>in</strong> <strong>und</strong> die Kreativität von Ch<strong>in</strong>es<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Ch<strong>in</strong>esen wie die folgenden Ausführungen<br />

verdeutlichen (Bond, 1991; Hofstede, 1991; Huang, 1996; Meienberger,<br />

Vortrag, 1999; Wagner, 1999).<br />

2.1.1.1. Lernen<br />

«In some respects, all men are the same;<br />

<strong>in</strong> some respects, some men are the same;<br />

<strong>in</strong> some respects, each man is unique»<br />

(Bond, 1991, S.117).<br />

Die klassische Form des Lernens beruht <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a auf dem Auswendiglernen, sturem<br />

Wie<strong>der</strong>holen <strong>und</strong> weiteren E<strong>in</strong>prägungstechniken. Früher war <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a jeweils e<strong>in</strong><br />

ausgewähltes Buch aus <strong>der</strong> Literatur e<strong>in</strong>ziger Gegenstand des Unterrichts. Der Text<br />

wurde vorgelesen, die Schüler wie<strong>der</strong>holten das Gehörte <strong>und</strong> lernten den Text auswendig.<br />

War e<strong>in</strong> Buch zu Ende, ist das nächste auswendig gelernt worden - bis die<br />

Schüler sämtliche klassischen Werke rezitieren konnten. Diese extrem starke Ausrichtung<br />

auf das Auswendiglernen <strong>und</strong> exaktes E<strong>in</strong>prägen gilt <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a auch heute<br />

we<strong>der</strong> als antiquiert noch als unbrauchbar wie dies im Westen teilweise abgetan wird.<br />

Nach ch<strong>in</strong>esischer Auffassung ist diese Art des Lernens e<strong>in</strong>e ausgezeichnete Übung<br />

zur Ausbildung von zusätzlichen Fähigkeiten wie Geduld, Ausdauer <strong>und</strong> Konzentration<br />

auf e<strong>in</strong>e bestimmte Sache. Es gilt <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a als unbestritten, dass Auswendiglernen,<br />

unzählige Wie<strong>der</strong>holungen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>prägen <strong>in</strong> jeglicher Form, e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag<br />

zum Zugang <strong>und</strong> zum Verständnis von zu Lernendem leisten. Und tatsächlich ist<br />

es immer wie<strong>der</strong> überraschend, über welch enorm guten E<strong>in</strong>prägungsfähigkeiten jun-


Pädagogik 101<br />

ge <strong>und</strong> alte Menschen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a verfügen, denn selbst e<strong>in</strong>fache Leute auf dem Land,<br />

schaffen es unter Umständen, die komplexesten ch<strong>in</strong>esischen Schriftzeichen zu<br />

schreiben, zu lesen <strong>und</strong> vielleicht sogar zu erklären. Dass diese klassische Form des<br />

Lernens äusserst zeitaufwendig ist, versteht sich von selbst. Schüler <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a verbr<strong>in</strong>gen<br />

deshalb <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ab <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule (meistens im Alter von sechs Jahren)<br />

sehr viel Zeit mit Lernen. In diesem Alter steigt für K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Erfolgsdruck, während<br />

das Lernen im sogenannten Unschuldsalter (bis sechs Jahre) wenig erfolgsorientiert<br />

ist. Im Unschuldsalter wird dem K<strong>in</strong>d viel Geduld zugewandt <strong>und</strong> Freiheit gewährt,<br />

um diejenigen D<strong>in</strong>ge auszuk<strong>und</strong>schaften <strong>und</strong> zu lernen, die es reizen (vergleiche Teil<br />

II: 1.1.1.). Im Schulalter wird Erfolg erwartet <strong>und</strong> als «logische» Folge von fleissigem<br />

Lernen gesehen. Ungenügende schulische Leistungen werden <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

auf zu wenig Lernen <strong>und</strong> mangelnden Fleiss zurückgeführt. Die ansche<strong>in</strong>ende, natürliche<br />

Begabung spielt e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle. Diese <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a verbreitete E<strong>in</strong>stellung<br />

zu Lernen <strong>und</strong> Lernerfolg ist ebenfalls von Konfuzius (551 bis 479 vor Christus) überliefert.<br />

Nach Konfuzius Ansicht s<strong>in</strong>d die Menschen formbar <strong>und</strong> können sich immer<br />

steigern, wenn sie gewillt s<strong>in</strong>d, ihre Fähigkeiten mit harter Arbeit zu verbessern (Bond,<br />

1991; Cheng, Interview, 1999; Chiligiris, Interview, 1999; <strong>St</strong>evenson & <strong>St</strong>igler, 1992;<br />

Wagner, 1999; Weggel, 1997a; Wohlfahrt, 1992). In diesem S<strong>in</strong>ne heisst es <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a:<br />

2.1.1.2. Diszipl<strong>in</strong><br />

«Die Schwarzhaarigen müssen gezwungen werden<br />

von den Waisen» (Immoos, Gespräch, 1999).<br />

Um das im Alltag <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule auferlegte Pflichtenheft auf «ch<strong>in</strong>esische Art <strong>und</strong><br />

Weise» bewältigen zu können, bedarf es e<strong>in</strong>er ausserordentlichen Diszipl<strong>in</strong>. Trotz<br />

zahlreicher <strong>St</strong>udien <strong>und</strong> Publikationen zu diesem Thema sche<strong>in</strong>t es ke<strong>in</strong>e typisch<br />

ch<strong>in</strong>esische Technik o<strong>der</strong> herausragende Methode zu geben, wie <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a Diszipl<strong>in</strong><br />

ausgeübt wird. Ch<strong>in</strong>esische Eltern diszipl<strong>in</strong>ieren ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> genauso wie an<strong>der</strong>e durch<br />

physisches Bestrafen, Verbieten, Zurechtweisen, Abgrenzen, Schuldzuweisen, Verurteilen,<br />

Schimpfen <strong>und</strong> Liebesentzug beziehungsweise durch materielles Verwöhnen,<br />

Belohnen <strong>und</strong> An<strong>der</strong>es mehr. Im Fall von aggressivem Verhalten gegenüber<br />

Dritten werden K<strong>in</strong><strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s streng zu Recht gewiesen. Für Aussenstehende ersche<strong>in</strong>en<br />

diszipl<strong>in</strong>arische Massnahmen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang oftmals gnadenlos,<br />

doch aggressives Verhalten ist <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a äusserst verpönt. Denn e<strong>in</strong>erseits kann e<strong>in</strong><br />

solches Verhalten die ganze Familie <strong>in</strong> die Gefahr <strong>der</strong> Vergeltung br<strong>in</strong>gen. An<strong>der</strong>seits<br />

ist die hierarchische Rollenzuweisung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft aufgr<strong>und</strong> verschiedener<br />

Attribute wie Geschlecht, Titel o<strong>der</strong> Herkunft genau def<strong>in</strong>iert, so dass es eigentlich<br />

ke<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong> zur Auflehnung gibt. Dieses <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie tra<strong>in</strong>ierte diszipl<strong>in</strong>ierte<br />

Verhalten überträgt sich auf die Geme<strong>in</strong>schaft, die Gruppe <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf die<br />

Schule (vergleiche Teil II: 1.1.1.). Ordentliches <strong>und</strong> gezügeltes Benehmen verlangen<br />

Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht selten stärker untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, als dass die Lehrenden darauf bestehen<br />

müssten. Das streng diszipl<strong>in</strong>ierte Verhalten an ch<strong>in</strong>esischen Schulen wird zudem<br />

durch e<strong>in</strong> möglichst abwechslungsreiches Gestalten des Schulalltags unterstützt. Viele<br />

spielerische Unterbrechungen sche<strong>in</strong>en e<strong>in</strong> schnelles <strong>und</strong> hohes Konzentrationsvermögen<br />

zu begünstigen. Die zahlreichen Wechsel <strong>der</strong> Tätigkeiten <strong>und</strong> Beschäftigungen


102 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

erfor<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e gute Organisation <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e sehr hohe Diszipl<strong>in</strong> aller Beteiligten. Das <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Familie <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule geübte diszipl<strong>in</strong>ierte Verhalten ist «e<strong>in</strong>e Schule fürs<br />

Leben». Denn <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a leben oftmals so viele Menschen auf engstem Raum zusammen,<br />

so dass die Folgen mangeln<strong>der</strong> Diszipl<strong>in</strong> unvorstellbar wären. Bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schule leben die K<strong>in</strong><strong>der</strong> teilweise 24 <strong>St</strong><strong>und</strong>en zusammen <strong>und</strong> fahren nicht jedes<br />

Wochenende nach Hause. Kant<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Schlafsäle s<strong>in</strong>d je nach Schule mittelgross<br />

bis riesig. Die Anzahl unterzubr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> ist ebenso gross. Auf Hochschulstufe<br />

teilen sich mehrere <strong>St</strong>udierende e<strong>in</strong> Zimmer. Die Zuteilung <strong>der</strong> Zimmer wird entwe<strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> alphabetischer Reihenfolge <strong>der</strong> Namen o<strong>der</strong> aufgr<strong>und</strong> erbrachter Leistungen (schulische<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e) o<strong>der</strong> teilweise auch durch Losziehen vorgenommen. Verfügen<br />

<strong>St</strong>udierende über den Luxus, alle<strong>in</strong>e e<strong>in</strong> Doppelstockbett zu bewohnen, so schlafen<br />

sie oben <strong>und</strong> organisieren auf den knapp zwei Quadratmetern darunter ihr Hab <strong>und</strong><br />

Gut sowie ihren <strong>St</strong>udiertisch. In diesem Fall hängt meistens e<strong>in</strong> Vorhang um den unteren<br />

Teil, damit sie ungestört (die ganze Nacht) studieren können. Teilen sich <strong>St</strong>udierende<br />

e<strong>in</strong> Doppelstockbett, so organisieren sie sich auf den wenigen, meist sehr kle<strong>in</strong>en<br />

<strong>St</strong>udiertischen, die im Zimmer stehen. Auch <strong>in</strong> Fabriken, wo die Angestellten nicht<br />

nach Hause gehen, gibt es grosse Ess-, Wasch- <strong>und</strong> Schlafsäle. Der Arbeitsalltag<br />

f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> <strong>der</strong> eng verb<strong>und</strong>enen <strong>und</strong> «hautnahen» Geme<strong>in</strong>schaft statt. E<strong>in</strong> solches Leben<br />

<strong>und</strong> Arbeiten wäre schlicht <strong>und</strong>enkbar, wenn nicht jede <strong>und</strong> je<strong>der</strong> das nötige diszipl<strong>in</strong>ierte<br />

Verhalten aus <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- <strong>und</strong> Schulstube mitbrächte (Bond, 1991; Q. Gao,<br />

Gespräche, 1999-2001; Y. Gao, Besichtigungen, 1999; H. Liu, Besichtigungen, 1999;<br />

S. Liu, Besichtigungen, 1999; <strong>St</strong>evenson & <strong>St</strong>igler, 1992).<br />

2.1.1.3. Kreativität<br />

In westlichen Kulturen bedeutet Kreativität gr<strong>und</strong>sätzlich die Fähigkeit, neue o<strong>der</strong> zur<br />

Lösung von Problemen nützliche Ideen hervorzubr<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong> solches Kreativitätsbewusstse<strong>in</strong><br />

ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Kultur nicht sehr ausgeprägt. Kreativität bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong><br />

möglichst une<strong>in</strong>geschränktes Ermutigen zum Ausprobieren vom Unbekanntem, ungeachtet<br />

von Gel<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> Missl<strong>in</strong>gen. Die ch<strong>in</strong>esische Vorgehensweise wird eher vom<br />

konkreten Gestalten <strong>und</strong> vom Evaluieren von Ideen h<strong>in</strong>sichtlich e<strong>in</strong>es bestimmten<br />

Nutzen geleitet. E<strong>in</strong> solches Vorgehen bed<strong>in</strong>gt kaum Kreativität. Obwohl <strong>der</strong> Nutzen<br />

von Kreativität h<strong>in</strong>sichtlich des Resultats unbestritten ist, werden Kreativitätstechniken<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a wenig e<strong>in</strong>gesetzt beziehungsweise höchstens <strong>in</strong> Ansätzen auf<br />

Hochschulstufe zugelassen. Denn aus ch<strong>in</strong>esischer Sichtweise kann <strong>der</strong> kreative<br />

Prozess ausser Kontrolle geraten <strong>und</strong> somit vielleicht störend wirken, was e<strong>in</strong>e mögliche<br />

Gefahr bedeutet. Zudem braucht kreatives Handeln Zeit, Möglichkeiten zum<br />

Experimentieren <strong>und</strong> bed<strong>in</strong>gt möglichst freies Denken <strong>der</strong> Beteiligten. In diesem S<strong>in</strong>ne<br />

wird Kreativität <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a als etwas Unangenehmes, vielleicht das Chaos Herbeiführende<br />

gesehen <strong>und</strong> deshalb kaum geför<strong>der</strong>t (Bond, 1991; Chiligiris, Interview, 1999;<br />

Huang, 1996; Li, Interview, 1999; <strong>St</strong>evenson & <strong>St</strong>igler, 1992).


Pädagogik 103<br />

2.1.2. Gesellschaft<br />

«If everyone acts as <strong>in</strong>dividualized <strong>in</strong>dividuals,<br />

no society is possible.<br />

If everyone acts <strong>in</strong> complete conformity with others,<br />

there will be no difference between humans be<strong>in</strong>gs and bees.»<br />

(Hsu, 1985, S.27).<br />

Das menschliche Leben bewegt sich offenbar irgendwo zwischen diesen von Francis<br />

L. K. Hsu e<strong>in</strong>führend zitierten Extremen. Der Grad an Individualität <strong>und</strong> das Mass an<br />

Konformität aller Subjekte e<strong>in</strong>er Gesellschaft ist laut Hsu von grosser Bedeutung. In<br />

diesem S<strong>in</strong>ne wird nachfolgend als erstes die <strong>in</strong>dividualistische Prägung vieler Gesellschaften<br />

<strong>der</strong> kollektivistischen Prägung des ch<strong>in</strong>esischen Menschentyps gegenübergestellt.<br />

Anschliessend wird auf die Konformität <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>gegangen. Der Begriff «Gesellschaft» wird <strong>in</strong> Anlehnung an<br />

Franz Muheim als blosses Nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Menschen verstanden. Die Gesellschaft<br />

unterscheidet sich dieser Auffassung nach von <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaft, die das Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

von Menschen bedeutet (Hsu, 1985; Muheim, 1995).<br />

2.1.2.1. Individualistisch - Kollektivistisch<br />

Individualistisch geprägte Gesellschaften stellen das Interesse <strong>der</strong> Gruppe tendenziell<br />

<strong>in</strong> den Schatten <strong>der</strong> Interessen von Individuen. Die B<strong>in</strong>dungen zwischen den<br />

Individuen s<strong>in</strong>d relativ locker. Gr<strong>und</strong>sätzlich wird erwartet, dass das Individuum für<br />

sich selbst <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e unmittelbare Familie sorgt. Untersuchungen haben gezeigt, dass<br />

wohlhabende <strong>und</strong> <strong>in</strong>dustrialisierte Gesellschaften <strong>in</strong> städtischen Agglomerationen<br />

<strong>in</strong>dividualistische <strong>St</strong>rukturen aufweisen. Doch weltweit s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>dividualistisch geprägte<br />

Gesellschaften <strong>in</strong> <strong>der</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>heit. Kollektivistische Gesellschaften s<strong>in</strong>d die Regel.<br />

Kollektivistisch geprägte Gesellschaften stellen das Interesse <strong>der</strong> Gruppe gegenüber<br />

dem Interesse <strong>der</strong> Individuen tendenziell <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Laut Untersuchungen<br />

neigen vor allem ärmere, traditionsreiche Gesellschaften <strong>in</strong> ländlichen Gebieten zu<br />

stark kollektivistischen <strong>St</strong>rukturen. Diese Gesellschaften zeichnen sich durch die feste<br />

Integration ihrer Mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e starke, geschlossene Gruppe aus. Die Zugehörigkeit<br />

zu e<strong>in</strong>er kollektivistischen Gesellschaft bedeutet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel lebenslangen Schutz<br />

für die Mitglie<strong>der</strong> durch die Gruppe <strong>und</strong> bed<strong>in</strong>gungslose Loyalität <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> gegenüber<br />

<strong>der</strong> Gruppe. Viele Nachkommen folgen beruflich ihren Vorfahren. Persönliche<br />

Erfolge dienen vor allem dem Ziel, e<strong>in</strong>en möglichst hohen <strong>St</strong>atus <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gruppe<br />

zu erreichen. Dies gilt <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für den Erwerb von Diplomen, Auszeichnungen,<br />

Zertifikaten <strong>und</strong> <strong>der</strong>gleichen. In kollektivistisch orientierten Gesellschaften herrscht e<strong>in</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>es Harmoniebestreben, das ke<strong>in</strong>e offene Konfliktbewältigung duldet (vergleiche<br />

Teil II: 2.1.1.2.). Die emotionale Kommunikation steht im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, was bedeutet,<br />

zahlreiche Informationen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> physischen Umgebung enthalten o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Person ver<strong>in</strong>nerlicht. Gr<strong>und</strong>sätzlich wird die Zustimmung zum Verhalten <strong>der</strong><br />

Gruppe erwartet. Diese Verhaltensweise hat unter an<strong>der</strong>em auch e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s<br />

starke Auswirkung auf die Schulstube. Die Schüler trauen sich kaum etwas zu sagen.


104 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Ziel <strong>der</strong> Schüler ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie zu lernen, wie man etwas macht (Hofstede, 1993;<br />

<strong>St</strong>evenson & <strong>St</strong>igler, 1992).<br />

Die Hauptunterschiede zwischen kollektivistischen <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividualistischen<br />

Gesellschaften können folgen<strong>der</strong>massen zusammengefasst werden, wobei diese<br />

Aufstellung ke<strong>in</strong>en Anspruch auf Vollständigkeit <strong>und</strong> bewusst reduktionistischen<br />

Charakter hat (Hofstede, 1993):<br />

Kollektivistisch:<br />

• Grossfamilien<br />

• Schutz <strong>und</strong> Loyalität<br />

• Identität durch soziales Netzwerk<br />

• Schamgesellschaft<br />

• Wie macht man etwas<br />

• Beziehung geht Leistung voran<br />

• Management von Gruppen<br />

• Gruppen beherrschen Privatleben<br />

• Kollektive Interessen<br />

• Dom<strong>in</strong>ierende Rolle des <strong>St</strong>aats<br />

• Importierte Wirtschaftstheorien<br />

• Gleichheitsideologien<br />

• Harmonie <strong>und</strong> Konsens<br />

Individualistisch:<br />

• Kernfamilien<br />

• Selbstbehauptung<br />

• Identität durch Individuum<br />

• Schuldgesellschaft<br />

• Wie lernt man etwas<br />

• Leistung geht Beziehung voran<br />

• Management von Individuen<br />

• Recht auf Privatsphäre<br />

• Individuelle Interessen<br />

• E<strong>in</strong>geschränkte Rolle des <strong>St</strong>aats<br />

• E<strong>in</strong>heimische Wirtschaftstheorien<br />

• Ideologie <strong>in</strong>dividueller Freiheit<br />

• Unabhängige Selbstverwirklichung<br />

Die ch<strong>in</strong>esische Gesellschaft ist kollektivistisch orientiert. Die meisten <strong>der</strong> aufgeführten<br />

Merkmale kollektivistischer Gesellschaften treffen auf die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu. So<br />

ist es zum Beispiel typisch, dass Ch<strong>in</strong>esen im Kontakt mit Aussenstehenden sehr auf<br />

das Verhältnis von Geben <strong>und</strong> Nehmen beziehungsweise Investition <strong>und</strong> Gew<strong>in</strong>n<br />

achten. Innerhalb e<strong>in</strong>er Gruppe o<strong>der</strong> Grossfamilie wird eher gegeben, <strong>in</strong>vestiert <strong>und</strong><br />

ausgetauscht, ohne gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> aufzurechnen. Mit an<strong>der</strong>en Worten, Vorhandenes<br />

wird <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gruppe aufgr<strong>und</strong> des Bedarfs <strong>und</strong> ausserhalb aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Gleichberechtigung<br />

aufgeteilt. Das heisst, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft werden die zur<br />

Verfügung stehenden Energien <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> die eigene Gruppe <strong>in</strong>vestiert. H<strong>in</strong>zu<br />

kommt, dass das <strong>St</strong>reben nach zwischenmenschlicher Harmonie <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a beson<strong>der</strong>s<br />

ausgeprägt ist. E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d respektiert se<strong>in</strong>e Eltern im S<strong>in</strong>ne dessen, dass es kaum Wi<strong>der</strong>spruch<br />

ausübt. Die Autorität <strong>der</strong> eigenen Eltern, das heisst <strong>der</strong>en auf Tradition<br />

beruhen<strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss <strong>und</strong> das daraus erwachsende Ansehen wird nicht <strong>in</strong> Frage gestellt.<br />

Diese Verhaltensweise wird <strong>in</strong> die ausserfamiliäre Welt h<strong>in</strong>ausgetragen. In <strong>der</strong><br />

Folge hat die ch<strong>in</strong>esische Gesellschaft sowohl kollektivistischen als auch autoritären<br />

Charakter. Bemerkenswert ist die Feststellung, dass die Priorität <strong>der</strong> Gruppen<strong>in</strong>teressen<br />

vor <strong>der</strong>jenigen des E<strong>in</strong>zelnen wahrsche<strong>in</strong>lich auch e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Traditionellen Ch<strong>in</strong>esischen Mediz<strong>in</strong> (TCM) hat. Denn TCM basiert auf drei<br />

Pfeilern: Ernährung, Kräutermediz<strong>in</strong> <strong>und</strong> äussere Behandlung. Ziel ist vor allem das<br />

Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n von Erkrankungen, da dies e<strong>in</strong>e Belastung nicht nur für den Betroffenen<br />

selbst, son<strong>der</strong>n vor allem auch für se<strong>in</strong>e Umwelt bedeutet. Zum Beispiel wird <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft über psychische Erkrankungen möglichst nicht gesprochen<br />

- gutes Essen <strong>und</strong> «Mediz<strong>in</strong>» werden es schon richten. In diesem S<strong>in</strong>ne hat das geme<strong>in</strong>same<br />

Essen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>e noch viel weitreichen<strong>der</strong>e Bedeutung, als «nur» die<br />

Gelegenheit zu kommunizieren (Bond, 1991; Huang, 1996; Renz, Gespräche, 2001).<br />

«Ch<strong>in</strong>esen leiden, ohne zu jammern»<br />

(Mizdalski, Interview, 1999).


Pädagogik 105<br />

2.1.2.2. Konformität<br />

Mit e<strong>in</strong>er kollektivistischen, autoritären Gesellschaft wie sie <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a vorherrscht, geht<br />

e<strong>in</strong> hohes Mass an Konformität e<strong>in</strong>her. In <strong>der</strong> Familie wird den ch<strong>in</strong>esischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n,<br />

die von <strong>der</strong> Gesellschaft erwartete Verhaltensweise des «umgehenden, korrekten <strong>und</strong><br />

vollständigen Gehorchens» beigebracht. Auch die E<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dpolitik hat kaum etwas an<br />

dieser Idealvorstellung geän<strong>der</strong>t. Die konfuzianische Tradition steht nach wie vor im<br />

Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, denn Konfuzius ist es, <strong>der</strong> von se<strong>in</strong>en Schülern, Untergebenen <strong>und</strong><br />

Dienenden verlangt, nicht freiwillig e<strong>in</strong>e eigene Me<strong>in</strong>ung zu äussern, ke<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle<br />

Initiative zu ergreifen <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich nicht von den standardisierten Vorgehensweisen<br />

abzuweichen. Die gesellschaftlichen Sanktionen im Falle nicht konformem Verhalten,<br />

werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel durch erwartetes Tun vermieden. Die daraus folgende<br />

gesellschaftliche Konformität zeigt sich überall im ch<strong>in</strong>esischen Alltag. So sprechen<br />

Schüler <strong>und</strong> <strong>St</strong>udierende von «unserer» Schule <strong>und</strong> «unserer» <strong>Universität</strong>. Das Tragen<br />

e<strong>in</strong>heitlicher Kleidung <strong>und</strong> das Anstecken von Schul- <strong>und</strong> <strong>Universität</strong>semblemen<br />

s<strong>in</strong>d lediglich <strong>der</strong> äussere Ausdruck <strong>der</strong> tief verwurzelten Wir-Identität. Von den <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

wird erwartet, dass sie neben Fachwissen <strong>und</strong> Fertigkeiten auch<br />

Verhaltensmuster wie Zuverlässigkeit <strong>und</strong> Verantwortungsgefühl vermitteln <strong>und</strong> damit<br />

ihren Beitrag zur harmonischen Integration des E<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong> die «Grosse Ordnung <strong>der</strong><br />

D<strong>in</strong>ge» leisten. Auf diese Weise sollen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen die <strong>St</strong>abilität <strong>der</strong> gesamten<br />

ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft mit tragen (Bond, 1991; Mizdalski, 1999; Wagner,<br />

1999).<br />

2.2. Pädagogische Professionalisierung<br />

Die nachfolgenden Abschnitte s<strong>in</strong>d nach e<strong>in</strong>er geschichtlichen E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> pädagogischen<br />

Professionalisierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a gewidmet.<br />

2.2.1. Geschichte<br />

Pädagogen im alten Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d gewöhnlich pensionierte Beamte o<strong>der</strong> Gelehrte, welche<br />

die Beamtenprüfungen nicht geschafft haben. Die Lehrer, früher ausschliesslich<br />

Männer, werden von den Eltern <strong>der</strong> Schüler ausgewählt, wobei es auch Lehrer gibt,<br />

die selbst e<strong>in</strong>e Schule gründen <strong>und</strong> ihre Dienste auf diese Weise anbieten. In diesem<br />

S<strong>in</strong>ne unterscheidet man im alten Ch<strong>in</strong>a zwischen Hauslehrern, die <strong>in</strong> reichen Familien<br />

engagiert s<strong>in</strong>d, Dorflehrern, Oberen <strong>und</strong> Unteren Lehrern. E<strong>in</strong>e Ausbildung zum<br />

Lehrer gibt es im alten Ch<strong>in</strong>a nicht. Der Lehrerbildung wird ke<strong>in</strong>e grosse Bedeutung<br />

beigemessen. Lehrer wird, wer sich dazu berufen fühlt o<strong>der</strong> wer im Beamtentum ke<strong>in</strong>en<br />

Platz (mehr) f<strong>in</strong>det. Erst Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wird die Notwendigkeit e<strong>in</strong>er<br />

f<strong>und</strong>ierten Ausbildung für Lehrer erkannt. 1897 wird die erste mo<strong>der</strong>ne pädagogische<br />

Schule Ch<strong>in</strong>as <strong>in</strong> Shanghai gegründet. Diese Schule ist Teil <strong>der</strong> Hochschule Nanyang<br />

<strong>und</strong> dient <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>der</strong> Ausbildung <strong>in</strong>terner Lehrkräfte. Der Reformer <strong>und</strong> Gouverneur<br />

Zhang Zhigong (1837 bis 1909) aus <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z Hubei widmet se<strong>in</strong> Wirken<br />

<strong>der</strong> Lehrerbildung <strong>und</strong> gründet mehrere pädagogische Schulen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Prov<strong>in</strong>z. Zu<br />

Beg<strong>in</strong>n des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts wird die Vorschrift für Lehrkräfte e<strong>in</strong>geführt, e<strong>in</strong>en vierbis<br />

fünfjährigen Lehrgang an pädagogischen Schulen zu absolvieren. Diese ersten


106 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

pädagogischen Schulen bieten nach e<strong>in</strong>em Vorbereitungskurs <strong>in</strong> Ethik, Ch<strong>in</strong>esischer<br />

<strong>und</strong> Englischer Sprache, Mathematik, Zeichnen, S<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Sport Lehrgänge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

<strong>der</strong> folgenden Fachgebiete an (Reich & Wei, 1997; Wohlfahrt, 1992):<br />

• Ch<strong>in</strong>esische Sprache<br />

• Englische Sprache<br />

• Geschichte <strong>und</strong> Geographie<br />

• Mathematik <strong>und</strong> Physik<br />

• Physik <strong>und</strong> Chemie o<strong>der</strong><br />

• Naturwissenschaften<br />

Zusätzlich besteht die Möglichkeit, die Ausbildung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Forschungslehrgang fortzusetzen.<br />

Dieser dient dem vertieften <strong>St</strong>udium von zwei o<strong>der</strong> drei Fachgebieten des<br />

allgeme<strong>in</strong>en pädagogischen Lehrgangs. Im Jahr 1913 besucht Mao Zedong (1893 bis<br />

1976) das erste Lehrersem<strong>in</strong>ar <strong>in</strong> Changsha (Prov<strong>in</strong>z Hunan), wo er 1919 Lehrer wird<br />

<strong>und</strong> 1920 zum Rektor aufsteigt. Se<strong>in</strong>e Erfahrungen als Schüler, Lehrer <strong>und</strong> Rektor<br />

sowie se<strong>in</strong>e politische Ges<strong>in</strong>nung lässt er <strong>in</strong> die 1929 von <strong>der</strong> Kommunistischen Partei<br />

verabschiedeten Resolution über die Lehrerbildung mit e<strong>in</strong>fliessen. In dieser Resolution<br />

heisst es unter an<strong>der</strong>em (Wohlfahrt, 1992, S.35/36):<br />

1. Benutze die Methode <strong>der</strong> Erklärung (schaffe Auswendiglernen ab)<br />

2. Schreite vom Nahen zum Fernen voran<br />

3. Schreite von <strong>der</strong> Oberfläche <strong>in</strong> die Tiefe<br />

4. Sprich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>sprache<br />

5. Sei klar <strong>und</strong> deutlich<br />

6. Mache das, was Du sagst, <strong>in</strong>teressant<br />

7. Unterstütze die Sprache mit Gesten<br />

8. Überprüfe die <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten Zeit unterrichteten Konzepte<br />

9. Mache Gebrauch von e<strong>in</strong>er Skizze<br />

10. Mache Gebrauch von Diskussionsgruppen<br />

Die Kommunistische Partei beg<strong>in</strong>nt mit dem Auf- <strong>und</strong> Ausbau e<strong>in</strong>es Schulsystems,<br />

welches letztendlich <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung ihrer Ka<strong>der</strong> <strong>und</strong> dem Durchsetzen ihrer Vorstellungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung dienen soll. Die zahlreichen Schulgründungen<br />

<strong>der</strong> Kommunisten verschärfen den Lehrermangel <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a. Auch Mitte <strong>der</strong> 30er Jahre<br />

haben nur knapp e<strong>in</strong> Drittel aller Lehrkräfte e<strong>in</strong>e pädagogische Ausbildung durchlaufen.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 40er Jahre versuchen die Kommunisten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ersten «Berichtigungskampagne»<br />

die «alten» Intellektuellen, das heisst, die nicht <strong>in</strong> kommunistischen<br />

Schulen ausgebildeten Pädagogen, zu überzeugen, neue Methoden für den Unterricht<br />

<strong>und</strong> die Forschung zu entwickeln <strong>und</strong> sich eng mit dem Volk, sprich den Arbeitern <strong>und</strong><br />

Bauern, zu verb<strong>in</strong>den. Mit <strong>der</strong> Machtübernahme <strong>der</strong> Kommunistischen Partei im Jahr<br />

1949 wird die Schulbildung e<strong>in</strong> wichtiges Instrument <strong>der</strong> neuen Führung, um die Menschen<br />

<strong>und</strong> die Gesellschaft im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Ideologie <strong>der</strong> postulierten Arbeiterklasse zu<br />

erziehen. Die Vermittler dieser Ideologie s<strong>in</strong>d die Lehrenden. Mitte <strong>der</strong> 50er Jahre gibt<br />

es <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a drei Typen von Lehrenden: Vollzeitlehrende, Teilzeitlehrende <strong>und</strong> Lehrende<br />

aus dem Volk. Vollzeitlehrende haben e<strong>in</strong>e pädagogische Ausbildung absolviert<br />

<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d hauptamtlich an e<strong>in</strong>er Schule tätig. Teilzeitlehrende s<strong>in</strong>d neben ihrer pädagogischen<br />

Tätigkeit noch an<strong>der</strong>weitig beschäftigt. Lehrende aus dem Volk s<strong>in</strong>d zum Bei-


Pädagogik 107<br />

spiel Arbeitende, die ihre Kenntnisse über e<strong>in</strong>e Sache weitergeben. Die Qualität e<strong>in</strong>es<br />

Lehrenden def<strong>in</strong>iert sich e<strong>in</strong>erseits durch se<strong>in</strong> Fachwissen. Als fachk<strong>und</strong>ig gilt, wer<br />

mehrere Jahrzehnte als Pädagoge gearbeitet <strong>und</strong> die <strong>Erziehung</strong> zu se<strong>in</strong>er Lebensaufgabe<br />

gemacht hat, wer die Schule entwickeln <strong>und</strong> die Schüler unterrichten kann. An<strong>der</strong>seits<br />

ist das politische Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Lehrenden ausschlaggebend. Mit an<strong>der</strong>en<br />

Worten «Rot <strong>und</strong> Experte» müssen Lehrende se<strong>in</strong>. Die pädagogische Aus- <strong>und</strong><br />

Weiterbildung wird damit <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie zur politischen Umerziehung <strong>der</strong> Lehrkräfte,<br />

die von <strong>der</strong> Kommunistischen Partei <strong>in</strong>strumentalisiert werden. Maos Auffor<strong>der</strong>ung,<br />

«h<strong>und</strong>ert Blumen» <strong>der</strong> Kritik <strong>und</strong> geistigen Initiative «blühen» zu lassen, wird 1956<br />

mit Lobpreisungen des Lehrberufs quittiert (vergleiche Teil I: 2.1.2.2.). Viele Intellektuelle<br />

verhalten sich jedoch passiv, denn sie haben schon zu viele schlechte Erfahrungen<br />

mit <strong>der</strong> kommunistischen Umerziehung gemacht. Während des «grossen<br />

Sprungs nach vorn» Ende <strong>der</strong> 50er Jahre wird die Ausbildung von qualifizierten<br />

Lehrenden angestrebt. Wobei sich «qualifiziert» mehr auf das politische <strong>und</strong> ideologische<br />

Bewusstse<strong>in</strong> <strong>und</strong> weniger auf die pädagogische Qualifikation <strong>und</strong> Erfahrung<br />

bezieht. Die Umerziehung von Intellektuellen <strong>und</strong> Lehrkräften erreicht mit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />

«grossen proletarischen Kulturrevolution» Mitte <strong>der</strong> 60er Jahre ihren Höhepunkt.<br />

Mao beabsichtigt e<strong>in</strong>e «Revolution des <strong>Erziehung</strong>swesens» durchzuführen. Das alte<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem, die alten Unterrichtspr<strong>in</strong>zipien <strong>und</strong> -methoden sollen e<strong>in</strong>em proletarischen<br />

<strong>Bildung</strong>swesen sozialistischen Bewusstse<strong>in</strong>s weichen. Hierzu müssen die Lehrerenden<br />

als Vorbil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Vermittler erneut entsprechend umerzogen <strong>und</strong> umgeschult<br />

werden. Zu diesem Zweck werden Lehrende <strong>und</strong> Intellektuelle während Jahren<br />

immer wie<strong>der</strong> aufs Land verbannt, öffentlich gedemütigt <strong>und</strong> kritisiert. Mit Maos Tod<br />

1976 endet die Kulturrevolution <strong>und</strong> damit än<strong>der</strong>t sich die Situation für Lehrende. Zwar<br />

werden die Lehrenden auch im Rahmen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong><br />

Öffnungspolitik im Jahr 1979 als «Werkzeugmasch<strong>in</strong>en» <strong>der</strong> neuen Parteiideologie<br />

e<strong>in</strong>gesetzt, doch die Qualität e<strong>in</strong>es Lehrenden def<strong>in</strong>iert sich neu. Lehrende sollen über<br />

e<strong>in</strong> prof<strong>und</strong>es Wissen verfügen, die <strong>Erziehung</strong>swissenschaft beherrschen, die <strong>Bildung</strong>sgesetze<br />

verstehen, noble moralische Eigenschaften <strong>und</strong> e<strong>in</strong> gewisses<br />

<strong>in</strong>tellektuelles Niveau ausweisen. Pädagogik, Psychologie <strong>und</strong> Unterrichtsmethodik<br />

wird wie<strong>der</strong> <strong>in</strong>s Zentrum <strong>der</strong> Lehrerbildung gerückt. <strong>Erziehung</strong>swissenschaftliche <strong>St</strong>udien<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Austausch mit dem Ausland sollen geför<strong>der</strong>t werden, wenn gleich Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus<br />

<strong>und</strong> die «Mao-Zedong-Ideen» ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bussen erfahren dürfen.<br />

Um Schüler zu motivieren, e<strong>in</strong> pädagogisches <strong>St</strong>udium aufzunehmen, werden <strong>der</strong><br />

soziale <strong>St</strong>atus von Lehrenden sowie <strong>der</strong>en f<strong>in</strong>anzielle Situation verbessert. Damit<br />

werden, nach e<strong>in</strong>em Jahrzehnt <strong>der</strong> totalen Verunsicherung, die Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong>e für die<br />

pädagogische Professionalisierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu Beg<strong>in</strong>n des 21.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts gelegt (Becker, 2000; Reich & Wei, 1997; Wagner, 1999; Wohlfahrt,<br />

1992).<br />

2.2.2. Ch<strong>in</strong>as Pädagogen heute<br />

Anhand <strong>der</strong> gesellschaftlichen <strong>St</strong>ellung von Lehrkräften, <strong>der</strong> pädagogischen Ausbildungsmöglichkeiten<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Lehrmethoden wird <strong>in</strong> den folgenden Abschnitten versucht,<br />

die aktuelle Situation von Pädagogen <strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu<br />

erfassen.


108 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.2.2.1. Gesellschaftliche <strong>St</strong>ellung<br />

Dieses bekannte ch<strong>in</strong>esische Sprichwort br<strong>in</strong>gt zum Ausdruck, dass Lehrende <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

traditionell höchste Autorität <strong>und</strong> Verehrung geniessen. Lehrende werden nicht<br />

selten als allwissend angesehen <strong>und</strong> gelten als respektierte Vermittler von entscheidendem<br />

Prüfungswissen, dessen starke Dom<strong>in</strong>anz im ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

bis heute unverkennbar ist. Die nicht <strong>in</strong> Frage zu stellende Verehrung e<strong>in</strong>es Lehrenden<br />

ist mit <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> eigenen Eltern, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e des Vaters, vergleichbar.<br />

Schüler <strong>und</strong> <strong>St</strong>udierende reagieren deshalb gegenüber e<strong>in</strong>em Lehrenden ähnlich wie<br />

(strengen) Eltern gegenüber: mit Aufmerksamkeit, Ruhe <strong>und</strong> Furcht. Es wird we<strong>der</strong> die<br />

Autorität noch die Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>es Lehrenden <strong>in</strong> Frage gestellt, solange dessen moralische<br />

Integrität gegeben ist. Das heisst, Pädagogen geniessen gr<strong>und</strong>sätzlich e<strong>in</strong>e hoch<br />

angesehene gesellschaftliche <strong>St</strong>ellung, wenn sie moralisch glaubwürdig s<strong>in</strong>d. Die<br />

fehlende moralische beziehungsweise politische Glaubwürdigkeit von Lehrenden ist<br />

vom Kommunistischen Regime Ch<strong>in</strong>as (vor allem während <strong>der</strong> Kulturrevolution zwischen<br />

1966 <strong>und</strong> 1976) mehrfach als Gr<strong>und</strong> für <strong>der</strong>en Unfähigkeit <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge für<br />

<strong>der</strong>en Absetzung angeführt worden. Die Attraktivität des Lehrberufs hat deshalb <strong>in</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a sehr gelitten. Seit Beg<strong>in</strong>n des wirtschaftlichen Aufschwungs <strong>in</strong> den 80er Jahren<br />

s<strong>in</strong>d zudem die Verdienstmöglichkeiten <strong>der</strong> Lehrenden sehr beschränkt. Das ch<strong>in</strong>esische<br />

Gesetz für Lehrende von 1994 versucht diesem Trend entgegenzuwirken. Der<br />

traditionelle <strong>St</strong>atus des Lehrenden <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft wird <strong>in</strong> neuer<br />

Form kodifiziert. Die Zulassungsbed<strong>in</strong>gungen zum pädagogischen Hochschulstudium<br />

werden gelockert. Diese Massnahmen <strong>und</strong> die zunehmende wirtschaftliche Unsicherheit<br />

haben geholfen, den Lehrberuf wie<strong>der</strong> attraktiver zu machen (Bond, 1991; Yang,<br />

Interview, 1999; Wagner, 1999; <strong>St</strong>evenson & <strong>St</strong>igler, 1992; Surowski, 2000; Wohlfahrt,<br />

1992).<br />

2.2.2.2. Pädagogische Ausbildung<br />

«Wer e<strong>in</strong> Tag nur me<strong>in</strong> Lehrer war,<br />

Respekt br<strong>in</strong>g ich ihm e<strong>in</strong> Leben lang dar»<br />

(Wagner, 1999, S.356)<br />

Die Gr<strong>und</strong>lage für die Lehrerausbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist das Erfüllen <strong>der</strong><br />

neunjährigen Schulpflicht im Rahmen des allgeme<strong>in</strong>en Schulsystems. Nach erfolgreichem<br />

Abschluss <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en unteren Mittelschule besteht die Möglichkeit, e<strong>in</strong>e<br />

Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe für die K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärtner- o<strong>der</strong> für die Gr<strong>und</strong>schullehrerausbildung<br />

zu besuchen. Wird <strong>der</strong> schulische Werdegang <strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en oberen Mittelschule<br />

fortgesetzt, so kann nach erfolgreichem Bestehen <strong>der</strong> nationalen Hochschulaufnahmeprüfung<br />

(Altersgrenze 28 Jahre; vergleiche Teil II: 1.2.5.1.) e<strong>in</strong> pädagogisches<br />

Hochschulstudium absolviert werden. Im abgekürzten Lehrgang (Kurzzeitstudium)<br />

werden die <strong>St</strong>udierenden zu Mittelschullehrenden <strong>der</strong> Unterstufe <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

berufsbildenden Mittelschule auf Oberstufe ausgebildet. Im allgeme<strong>in</strong>en pädagogischen<br />

<strong>St</strong>udiengang, das heisst e<strong>in</strong>em vollen Gr<strong>und</strong>studium <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Hauptstudium<br />

werden Mittelschullehrende <strong>der</strong> Oberstufe ausgebildet (Surowski, 2000; Wohlfahrt,<br />

1992).


Pädagogik 109<br />

III<br />

II<br />

Alter:<br />

29<br />

28<br />

27<br />

26<br />

25<br />

24<br />

23<br />

22<br />

21<br />

20<br />

19<br />

18<br />

17<br />

16<br />

15<br />

14<br />

13<br />

Schuljahre:<br />

23<br />

22<br />

21<br />

20<br />

19<br />

18<br />

17<br />

16<br />

15<br />

14<br />

13<br />

12<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

Pflichtschuljahre<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärtner<br />

Mittelschule Oberstufe<br />

(2-4 Jahre)<br />

Pädagogisches<br />

Kurzzeitstudium<br />

(2-3 Jahre)<br />

Gr<strong>und</strong>schullehrer<br />

Mittelschule Oberstufe<br />

(2-4 Jahre)<br />

Mittelschule Unterstufe<br />

(3-4 Jahre)<br />

Hochschule/ <strong>Universität</strong>:<br />

• Promotion<br />

(2-4 Jahre)<br />

• Pädagogisches<br />

Hauptstudium<br />

(2-3 Jahre)<br />

• Pädagogisches<br />

Gr<strong>und</strong>studium<br />

(4-6 Jahre) Schwerpunktschule<br />

Mittelschule Oberstufe<br />

(3-4 Jahre)<br />

Schwerpunktschule<br />

12<br />

7<br />

Schwerpunktschule<br />

11<br />

6<br />

I<br />

10<br />

9<br />

8<br />

5<br />

4<br />

3<br />

Gr<strong>und</strong>schule<br />

(5-6 Jahre)<br />

7<br />

2<br />

Schwerpunktschule<br />

6<br />

1<br />

5<br />

4<br />

3<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />

(maximal 3 Jahre)<br />

Abbildung 16: Pädagogische Ausbildung<br />

Abbildung 16 zeigt die Möglichkeiten <strong>der</strong> pädagogischen Ausbildungswege <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

heutigen <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die Zulassungs- <strong>und</strong> Abschlussvorschriften sowie das<br />

Prüfungswesen <strong>der</strong> Lehrerbildung entsprechen weitgehend den Bed<strong>in</strong>gungen des<br />

allgeme<strong>in</strong>en Schulsystems (vergleiche Teil II: 1.2.). Die Entwicklung <strong>der</strong> quantitativen<br />

Verhältnisse an pädagogischen Mittelschulen <strong>der</strong> Oberstufe sieht wie folgt aus («Basic<br />

<strong>St</strong>atistics on ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Educational Evolution <strong>in</strong> ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; MOE,<br />

2002):


110 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1985 1990 1995 2000 Tendenz<br />

Anzahl pädagogische Mittelschulen 1'028 1'026 897 683<br />

Anzahl Schüler 558'000 677'000 848'000 770'000<br />

Anzahl neu registrierter Schüler 215'000 227'000 308'000 210'000<br />

Anzahl Absolventen <strong>der</strong> Mittelschulen 167'000 234'000 245'000 311'000<br />

Anzahl Lehrende (Vollzeit) 46'000 59'000 62'000 53'000<br />

Anzahl Schüler pro Mittelschule im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Schüler pro Lehrenden im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

Anzahl Absolventen pro Mittelschule im<br />

Durchschnitt (ger<strong>und</strong>et)<br />

752 881 1289 1435<br />

17 15 19 19<br />

163 228 273 455<br />

Tabelle 30: Pädagogische Mittelschulen von 1985 bis 2001<br />

Die Anzahl pädagogischer Mittelschulen ist seit Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre stark zurückgegangen.<br />

In entgegengesetzter Richtung haben sich bis Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre die Schülerzahlen<br />

entwickelt. In <strong>der</strong> Folge s<strong>in</strong>d Schüler- <strong>und</strong> Absolventenzahlen pro Schule<br />

enorm angestiegen. Seit Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre ist <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> quantitativer<br />

Rückgang an pädagogischen Mittelschulen erkennbar. Diese Tendenz wird sich wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

auch <strong>in</strong> den nächsten Jahren fortsetzen.<br />

Während die Ausbildung zum K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärtner o<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schullehrer auf oberer Mittelschulstufe<br />

ke<strong>in</strong>e weitere Spezialisierung vorsieht, gibt es auf Hochschulstufe verschiedene<br />

Lehrgänge <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Pädagogik. Im Rahmen e<strong>in</strong>es Kurzzeitstudiums kann<br />

die Lehrerausbildung auf folgende Spezialisierungen ausgerichtet se<strong>in</strong>: Biologie,<br />

Chemie, Ch<strong>in</strong>esische o<strong>der</strong> Englische Sprache, Kunst, Mathematik, Musik, Politik,<br />

Physik, Sport o<strong>der</strong> Vorschulerziehung. E<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es pädagogisches Gr<strong>und</strong>studium<br />

bietet zusätzliche Spezialisierungsmöglichkeiten an: Computerwissenschaften,<br />

F<strong>in</strong>anz- <strong>und</strong> Rechnungswesen, Geographie, Geschichte, angewandte Technologien<br />

o<strong>der</strong> Mittelschulerziehung*. Während des Gr<strong>und</strong>studiums sieht das Curriculum <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Pädagogik wie folgt aus (Surowski, 2000):<br />

Pflichtfächer:<br />

• Sozialistischer Wie<strong>der</strong>aufbau Ch<strong>in</strong>as<br />

• Englisch<br />

• Pädagogik<br />

• Marxistische Philosophie<br />

• Morallehre<br />

• Sport<br />

• Computergr<strong>und</strong>lagen<br />

• Psychologie<br />

• Didaktik (für Ch<strong>in</strong>esische Sprache <strong>und</strong><br />

Kalligraphie)<br />

Zusatzfächer<br />

für die <strong>St</strong>udienrichtung Mittelschulerziehung*:<br />

• K<strong>in</strong><strong>der</strong>psychologie<br />

• Schreiben (im S<strong>in</strong>ne von Texte verfassen)<br />

• Klassische Ch<strong>in</strong>esische Sprache<br />

• <strong>Erziehung</strong>spsychologie<br />

• Nationale <strong>und</strong> Internationale <strong>Erziehung</strong>sgeschichte<br />

• Menschliche Anatomie<br />

• Mo<strong>der</strong>ne Ch<strong>in</strong>esische Sprache<br />

• Mo<strong>der</strong>ne Ch<strong>in</strong>esische Literatur<br />

• Methodische <strong>Erziehung</strong>swissenschaft<br />

• Schulverwaltung<br />

• <strong>St</strong>atistik<br />

• Theorie <strong>der</strong> Mittelschulbildung <strong>und</strong> Morallehre<br />

Folgt auf das Gr<strong>und</strong>studium e<strong>in</strong> Hauptstudium so sieht das <strong>St</strong>udienprogramm die<br />

Fächer Klassische Ch<strong>in</strong>esische Literatur, Marxistische Theorie, Mo<strong>der</strong>ne Ch<strong>in</strong>esische<br />

Literatur <strong>und</strong> Mathematik vor. Treten die Absolventen nach erfolgreichem Abschluss


Pädagogik 111<br />

e<strong>in</strong>er pädagogischen Ausbildung <strong>in</strong> den Lehrberuf e<strong>in</strong>, ist ihre praktische Erfahrung<br />

meistens sehr ger<strong>in</strong>g, wenn überhaupt vorhanden. Denn auch die pädagogische Ausbildung<br />

f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a hauptsächlich auf dem schulischen <strong>und</strong> weitgehend theoretischen<br />

Weg statt (Ihde & Alexan<strong>der</strong>, 1998; <strong>St</strong>arr, 2001; Surowski, 2000; Yang, Interview,<br />

1999; Yang, 1998).<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Aspekt <strong>der</strong> Lehrerbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist die pädagogische<br />

Weiterbildung von Lehrenden, die im Beruf stehen. Mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufnahme<br />

des Schul- <strong>und</strong> Lehrbetriebs nach <strong>der</strong> Kulturrevolution (1966 bis 1976) s<strong>in</strong>d Lehrkräfte<br />

e<strong>in</strong>gesetzt worden, die über ke<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> nur ger<strong>in</strong>ge pädagogische Ausbildung verfügen.<br />

Das aktuelle ch<strong>in</strong>esische Gesetz für Lehrende (<strong>in</strong> Kraft seit 1994) schreibt deshalb<br />

vor, dass Lehrkräfte, die über ke<strong>in</strong>e pädagogische Ausbildung verfügen, berufsbegleitend<br />

weitergebildet <strong>und</strong> geprüft werden müssen. Nach bestandener Weiterbildungsprüfung<br />

stellt das M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Zertifikat<br />

aus. Die Bemühungen <strong>in</strong> dieser Richtung s<strong>in</strong>d jedoch nicht sehr erfolgreich. Noch lehrt<br />

e<strong>in</strong>e grosse Zahl «ungebildeter» Lehrkräfte ohne Weiterbildungszertifikat <strong>und</strong> die Qualität<br />

<strong>der</strong> Weiterbildung ist zum Teil zweifelhaft. Weiterbildungsprogramme werden<br />

sowohl schul<strong>in</strong>tern (<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel über e<strong>in</strong> Jahr) als auch extern (Dauer je nach Programm)<br />

angeboten. An offiziellen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen für Erwachsene s<strong>in</strong>d im Jahr<br />

2001 über 300'000 <strong>St</strong>udierende <strong>in</strong> pädagogischen Lehrgängen e<strong>in</strong>geschrieben. Diese<br />

Zahl hat sich im Vergleich zu 1985 erhöht, denn damals waren 247'000 <strong>St</strong>udierende <strong>in</strong><br />

pädagogischen Lehrgängen für Erwachsene e<strong>in</strong>getragen. Im Verlauf des beruflichen<br />

Werdegangs erwerben ch<strong>in</strong>esische Lehrkräfte zudem Titel. Die Titel werden aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Leistung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dienstjahre verliehen. Der höchste Titel ist Senior, beziehungsweise<br />

«Oberlehrer». Der zweit höchste Titel lautet «Lehrer ersten Grades», <strong>der</strong> dritt<br />

höchste Titel «Lehrer zweiten Grades» <strong>und</strong> <strong>der</strong> viert höchste «Lehrer dritten Grades»<br />

(«Enrollment of Adult ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Huang, 1996; Ihde & Alexan<strong>der</strong>, 1998; <strong>St</strong>evenson<br />

& <strong>St</strong>igler, 1992; Surowski, 2000).<br />

2.2.2.3. Lehrmethoden<br />

In ch<strong>in</strong>esischen Schulstuben ist Frontalunterricht nach wie vor üblich. Lehrende sprechen,<br />

lesen o<strong>der</strong> schreiben an die Wandtafel <strong>und</strong> die Schüler hören aufmerksam zu,<br />

sprechen nach o<strong>der</strong> schreiben ab. Von Seiten <strong>der</strong> Schüler werden unaufgefor<strong>der</strong>t<br />

kaum Fragen gestellt. Meistens bevorzugen die Schüler konkret an sie gerichtete, das<br />

heisst gestellte Fragen zu beantworten, vor allem wenn sie sich über die Richtigkeit<br />

ihrer Antwort sicher s<strong>in</strong>d. Fehlerhafte Antworten werden so <strong>in</strong>terpretiert, dass man<br />

noch nicht genug studiert hat. In diesem Fall gilt auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulstube die Regel, so<br />

zu kritisieren, dass das Gegenüber «se<strong>in</strong> Gesicht wahren kann». Nach ch<strong>in</strong>esischer<br />

Ansicht kann Kritik nur dann konstruktiv <strong>und</strong> lehrreich wirken, wenn vorerst die positiven<br />

Seiten betont werden. Gr<strong>und</strong>sätzlich herrscht heute <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>e relativ grosse<br />

Offenheit gegenüber dem E<strong>in</strong>satz neuer Formen von Lehrmethoden. Doch obwohl<br />

sich ch<strong>in</strong>esische Pädagogen an ausländischen Methoden orientieren <strong>und</strong> diese im<br />

Land selbst erproben, deutet kaum etwas auf e<strong>in</strong> länger- o<strong>der</strong> gar kurzfristiges Verän<strong>der</strong>n<br />

bisher verwendeter Vorgehensweisen h<strong>in</strong>. Das Kennen <strong>und</strong> Vorhandense<strong>in</strong> mo<strong>der</strong>ner<br />

Lehr<strong>in</strong>strumente <strong>und</strong> methodischer Hilfsmittel bedeutet noch lange nicht <strong>der</strong>en<br />

effektiven <strong>und</strong> effizienten E<strong>in</strong>satz beziehungsweise das Beherrschen des Umgangs


112 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

mit neuen Methoden. So zeigt das folgende Beispiel des Englischunterrichts im<br />

Sprachlabor wie die traditionelle Unterrichtsmethode (Frontalunterricht) mit mo<strong>der</strong>nsten<br />

Mitteln problemlos weiterzuführen ist (Bond, 1991; Ihde & Alexan<strong>der</strong>, 1998; <strong>St</strong>evenson<br />

& <strong>St</strong>igler, 1992; Sun, 1999; Wagner, 1999).<br />

Exkurs 4: Englischunterricht im Sprachlabor<br />

«Das Sprachlabor ist fast bis auf den letzten Platz besetzt. Die Vorhänge<br />

s<strong>in</strong>d gezogen, denn im Süden Ch<strong>in</strong>as ist es um halb zwei Uhr<br />

nachmittags <strong>in</strong> dieser Jahreszeit draussen heiss <strong>und</strong> schwül. E<strong>in</strong>e sichtlich<br />

nervöse Lehrer<strong>in</strong> begrüsst uns als Gäste im Unterricht. Wir setzen<br />

uns <strong>in</strong> die letzte Reihe. Die Lehrer<strong>in</strong> beg<strong>in</strong>nt mit dem Unterricht. Wir<br />

s<strong>in</strong>d im Sprachlabor <strong>und</strong> Lernen Englisch. Alle Schüler haben e<strong>in</strong> Buch<br />

vor sich, aufgeschlagen auf <strong>der</strong> gleichen Seite. Die Schüler tragen<br />

Kopfhörer <strong>und</strong> schauen <strong>in</strong>s Buch. Auch wir schauen <strong>in</strong>s Buch, legen<br />

den Kopfhörer jedoch wie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>, weil die unsrigen nicht zu funktionieren<br />

sche<strong>in</strong>en. Die Lehrer<strong>in</strong> betätigt e<strong>in</strong>en Knopf. E<strong>in</strong>mal. Es bleibt ruhig.<br />

Zweimal. Die Schüler wie<strong>der</strong>holen alle gleichzeitig e<strong>in</strong>en Satz <strong>in</strong> Englisch.<br />

Die Lehrer<strong>in</strong> betätigt den Knopf erneut zweimal <strong>und</strong> die Schüler<br />

sprechen den nächsten Satz im Chor. Und so geht es e<strong>in</strong>e ganze Weile.<br />

Plötzlich for<strong>der</strong>t die Lehrer<strong>in</strong> die Schüler zum Abnehmen <strong>der</strong> Kopfhörer<br />

auf. Sie stellt Fragen, <strong>der</strong>en Antworten die vorher vom Tonband<br />

nachgesprochen Sätze s<strong>in</strong>d. Die Schüler verhalten sich still. Die Lehrer<strong>in</strong><br />

beantwortet die Frage selbst <strong>und</strong> die Schüler wie<strong>der</strong>holen die Antwort<br />

geme<strong>in</strong>sam. Fünf o<strong>der</strong> sechs Fragen werden auf diese Weise gestellt<br />

<strong>und</strong> beantwortet. Dann setzen die Schüler die Kopfhörer wie<strong>der</strong><br />

auf <strong>und</strong> wie<strong>der</strong>holen Satz für Satz die vom Tonband vorgesprochenen<br />

Sätze im Chor. Es stellt sich die Frage, wieso dieser Unterricht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Sprachlabor stattf<strong>in</strong>det - e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Tonbandgerät könnte wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

die genau gleiche Funktion übernehmen?» (Shanghai I&S<br />

Foreign Languages School, Besichtigung, 1999).


TEIL III: Interdependenzen


114 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> vielschichtiges, komplexes<br />

Gefüge verschiedenster wechselseitiger Abhängigkeiten. Das Erkennen solcher<br />

Interdependenzen setzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten Schritt e<strong>in</strong>e möglichst getrennte, sachliche<br />

Darstellung <strong>der</strong> politischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> pädagogischen Gegebenheiten<br />

voraus. In e<strong>in</strong>em zweiten Schritt geht es darum, e<strong>in</strong>zelne Elemente <strong>der</strong> komplizierten<br />

Verflochtenheit von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik herauszukristallisieren, um die<br />

entsprechenden Interdependenzen erkennen zu können.<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem<br />

(Teil II)<br />

Politik<br />

(Teil I: 2.3.)<br />

Wirtschaft<br />

(Teil I: 2.4.)<br />

Geschichte<br />

(Teil I: 2.1.)<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

zu <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

(Teil I: 2.2.)<br />

Abbildung 17: Teil I <strong>und</strong> II <strong>der</strong> Dissertation<br />

Abbildung 17 stellt die bisher sachlich getrennt behandelten Themenbereiche <strong>der</strong><br />

vorliegenden Dissertation dar. Im nachfolgenden Teil III <strong>der</strong> Arbeit steht das Zusammenwirken<br />

von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik, e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> die bisher behandelten<br />

historischen <strong>und</strong> für <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> bedeutenden Rahmenbed<strong>in</strong>gungen,<br />

im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Das erste Kapitel des dritten Teils befasst sich mit drei Säulen e<strong>in</strong>es<br />

guten <strong>Bildung</strong>ssystems, aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong>en mögliche system- <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen im Allgeme<strong>in</strong>en, das<br />

heisst aus theoretischer Sicht aufgezeigt werden. Die Bedeutung <strong>der</strong> theoretischen<br />

Erkenntnisse <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Konsequenzen für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d Gegenstand<br />

des zweiten Kapitels dieses Teils <strong>der</strong> Arbeit.<br />

1. 1st<br />

Theoretische Erkenntnisse<br />

«All agree that the s<strong>in</strong>gle most important key to development ... is education.<br />

This must start with universal primary education for girls and<br />

boys equally, as well as an open and competitive system of secondary<br />

and tertiary education. Construction of schools, mo<strong>der</strong>n curricula<br />

geared to the new technological age, and the real needs of the emerg<strong>in</strong>g<br />

local market, and effective teacher tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g and supervision all contribute<br />

to successful educational programs. Adult education, literacy<br />

and lifelong learn<strong>in</strong>g ...


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 115<br />

... is central to the process of development. A government must also be<br />

careful to learn lessons of practice and history from <strong>in</strong>digenous peoples<br />

and communities, so that education is not imposed from afar but benefits<br />

from relevant local, communal experience. F<strong>in</strong>ally, preschool education<br />

must be given its full weight <strong>in</strong> programs. This can be a key to<br />

the development of a child, the level of education reached, and thus<br />

the eventual achievement» (World Bank, 1999a, S. iii).<br />

Diese Aussage von James D. Wolfensohn, Präsident <strong>der</strong> Weltbank, im Januar 1999<br />

beschreibt sehr gut, erstens wie gr<strong>und</strong>legend wichtig das <strong>Bildung</strong>sniveau e<strong>in</strong>er Bevölkerung<br />

für die Entwicklung e<strong>in</strong>zelner Menschen, e<strong>in</strong>es Landes <strong>und</strong> <strong>der</strong> ganzen Welt<br />

ist. Zweitens veranschaulicht das Zitat die f<strong>und</strong>amentale Bedeutung des Zusammenwirkens<br />

von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>. Die Tatsache, dass zwei Drittel <strong>der</strong> Weltbevölkerung<br />

mit elementaren <strong>Bildung</strong>sproblemen kämpfen, verdeutlicht entsprechenden<br />

Handlungsbedarf. Elementare <strong>Bildung</strong>sprobleme s<strong>in</strong>d beispielsweise ke<strong>in</strong> o<strong>der</strong><br />

fehlerhaftes Unterrichtsmaterial, Lehrende ohne o<strong>der</strong> mit mangelhafter Ausbildung,<br />

Klassengrössen von über h<strong>und</strong>ert Schülern, ke<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> dürftige Schulstuben <strong>und</strong><br />

Menschen, die zwar über e<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong>schulabschluss verfügen, aber trotzdem Analphabeten<br />

s<strong>in</strong>d, um nur e<strong>in</strong>ige bildungsrelevante Missstände zu nennen. In diesem<br />

S<strong>in</strong>ne wird im Folgenden als erstes die qualitative Frage aufgeworfen, was e<strong>in</strong> gutes<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem ist beziehungsweise «<strong>Bildung</strong> ja, unbed<strong>in</strong>gt, aber wie?». Es ist zu<br />

vermuten, dass diese Frage nicht losgelöst von den politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Gegebenheiten beantwortet werden kann (OECD, 2002a; World Bank, 1999a).<br />

1.1. Drei Säulen e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

Was ist e<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem? Diese Frage hat e<strong>in</strong> Team <strong>der</strong> Weltbank analysiert<br />

<strong>und</strong> ist zu folgendem Ergebnis gekommen: E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem basiert, unabhängig<br />

von Geschichte, Kultur, Entwicklungsstand <strong>und</strong> weiteren Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

e<strong>in</strong>es Landes, auf drei gr<strong>und</strong>legenden Säulen: dem Bereitstellen von, dem Zugang<br />

zu <strong>und</strong> <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> (World Bank, 1999a).<br />

E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Bereitstellen<br />

von<br />

<strong>Bildung</strong><br />

Zugang<br />

zu<br />

<strong>Bildung</strong><br />

Qualität<br />

<strong>der</strong><br />

<strong>Bildung</strong><br />

Abbildung 18: Drei Säulen e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems


116 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1.1.1. Bereitstellen von <strong>Bildung</strong><br />

Das Bereitstellen von <strong>Bildung</strong> bed<strong>in</strong>gt laut Weltbank e<strong>in</strong> entsprechendes Management,<br />

die erfor<strong>der</strong>lichen Mittel <strong>und</strong> <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>satz sowie e<strong>in</strong> adäquates Evaluationssystem<br />

(World Bank, 1999a).<br />

E<strong>in</strong> entsprechendes Management heisst:<br />

• E<strong>in</strong>deutig zuständige Verantwortlichkeiten, die auch wahrgenommen werden<br />

• Ablaufanalysen <strong>und</strong> Planungskapazitäten<br />

• Angemessenes Dezentralisieren von Entscheidungskompetenzen<br />

Mit erfor<strong>der</strong>lichen Mitteln sowie <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>satz ist geme<strong>in</strong>t:<br />

• Organisieren geeigneter privater Beiträge<br />

• Bestimmte Höhe <strong>und</strong> Zuteilung öffentlicher Mittel<br />

• Effizienter <strong>und</strong> effektiver Mittele<strong>in</strong>satz<br />

E<strong>in</strong> adäquates Evaluationssystem bedeutet:<br />

• Ausreichendes (nicht übertriebenes) Informationssystem<br />

• Beobachten <strong>und</strong> rückmelden, um Pläne anzupassen<br />

1.1.2. Zugang zu <strong>Bildung</strong><br />

Der Zugang zu <strong>Bildung</strong> wird gemäss Weltbank durch die Lernbereitschaft von Auszubildenden,<br />

e<strong>in</strong> geeignetes Lernumfeld <strong>und</strong> dem ausnahmslosen Zugang zu <strong>Bildung</strong><br />

gewährt (World Bank, 1999a).<br />

Die Lernbereitschaft von Auszubildenden def<strong>in</strong>iert sich durch:<br />

• Unterkunft, Ernährung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

• Elterliche Unterstützung <strong>und</strong> e<strong>in</strong> zu Hause<br />

• Unterstützende Lernumgebung<br />

E<strong>in</strong> geeignetes Lernumfeld bedeutet:<br />

• <strong>Bildung</strong>sorientierte Führung<br />

• Klare <strong>Bildung</strong>sziele <strong>und</strong> -erwartungen<br />

• Ungeh<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Zugang zu <strong>Bildung</strong><br />

Ausnahmsloser Zugang zu <strong>Bildung</strong> heisst:<br />

• Gleichberechtigter Zugang zu allen <strong>Bildung</strong>sstufen<br />

• Akzeptable <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten <strong>in</strong>nerhalb physischer Erreichbarkeit<br />

• Ausreichendes Angebot <strong>und</strong> Material


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 117<br />

1.1.3. Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Die Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> misst sich laut Weltbank an den Kriterien e<strong>in</strong>es s<strong>in</strong>nvollen<br />

Curriculums, motivierten Mitarbeitenden sowie Lehr- <strong>und</strong> Lernprozessen (World<br />

Bank, 1999a).<br />

Unter e<strong>in</strong>em s<strong>in</strong>nvollen Curriculum s<strong>in</strong>d Lern<strong>in</strong>halte zu verstehen, die:<br />

• Kompetenzen vermitteln, die zur Entwicklung <strong>der</strong> globalen Wirtschaft beitragen<br />

• Beiträge zur sozialen Entwicklung <strong>und</strong> Wohlstandsför<strong>der</strong>ung be<strong>in</strong>halten<br />

• Flexibilität <strong>und</strong> Anpassungsfähigkeiten bei Verän<strong>der</strong>ungen för<strong>der</strong>n<br />

Die Motivation <strong>der</strong> Mitarbeitenden beruht auf:<br />

• Soli<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>ausbildung <strong>und</strong> regelmässiger Weiterbildung<br />

• Angemessener Honorierung (we<strong>der</strong> zu ger<strong>in</strong>g noch zu übertrieben)<br />

• Beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten<br />

Lehr- <strong>und</strong> Lernprozesse s<strong>in</strong>d zu messen an:<br />

• Guter Übere<strong>in</strong>stimmung mit dem Anfor<strong>der</strong>ungsprofil<br />

• Resultat- <strong>und</strong> Leistungsorientierung<br />

• Überwachen mit starker Qualitätsausrichtung<br />

1.1.4. Folgerungen<br />

Wie vermutet, zeigen die Inhalte dieser drei Säulen e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

Verb<strong>in</strong>dungen zu politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Gegebenheiten auf. So verlangen<br />

die erfor<strong>der</strong>lichen Mittel im Rahmen des Bereitstellens von <strong>Bildung</strong> e<strong>in</strong>erseits öffentliche<br />

Mittel von Seiten des <strong>St</strong>aats <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits private Beiträge auch von Seiten <strong>der</strong><br />

Wirtschaft. Der Zugang zu <strong>Bildung</strong> stellt hohe Anfor<strong>der</strong>ungen an Infrastruktur, Entwicklung<br />

von <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten <strong>und</strong> gleichberechtigte Chancen für <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>teressierte.<br />

Dies liegt primär im Zuständigkeitsbereich <strong>der</strong> öffentlichen Hand <strong>und</strong> ist damit<br />

auch Aufgabe <strong>der</strong> Politik. Das Entwickeln s<strong>in</strong>nvoller Curricula im Rahmen <strong>der</strong> dritten<br />

Säule, <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>, setzt unter an<strong>der</strong>em Kenntnisse sowohl nationaler als<br />

auch <strong>in</strong>ternationaler wirtschaftlicher <strong>und</strong> sozialer Entwicklungen voraus. Zudem bedarf<br />

es <strong>der</strong> nötigen Offenheit gegenüber Verän<strong>der</strong>ungen, was eng mit den politischen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land verb<strong>und</strong>en ist.<br />

Die hier vorgestellten, von <strong>der</strong> Weltbank def<strong>in</strong>ierten drei Säulen e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

dienen im Folgenden dem Aufzeigen möglicher system- <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gter<br />

Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen. Denn e<strong>in</strong><br />

gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist unter an<strong>der</strong>em Voraussetzung, um die positive Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>es Landes zu gewährleisten. Wobei e<strong>in</strong>e positive Entwicklung auch politisch <strong>und</strong><br />

wirtschaftlich günstige Rahmenbed<strong>in</strong>gungen braucht, die wie<strong>der</strong>um, wenigstens teilweise,<br />

vom <strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> Bevölkerung abhängig s<strong>in</strong>d (World Bank, 1999a).


118 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1.2. Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Systembed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 1.2.<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Politik<br />

Wirtschaft<br />

Abbildung 19: Teil III: 1.2. <strong>der</strong> Dissertation: Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Mögliche wechselseitige Abhängigkeiten zwischen dem politischen System, dem Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> dem <strong>Bildung</strong>ssystem e<strong>in</strong>es Landes s<strong>in</strong>d Gegenstand <strong>der</strong> nachfolgenden<br />

Abschnitte. Es handelt sich hierbei um e<strong>in</strong>e Auswahl bestimmter systembed<strong>in</strong>gter<br />

Interdependenzen. Diese s<strong>in</strong>d:<br />

• <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

• F<strong>in</strong>anzierung von <strong>Bildung</strong>ssystemen<br />

1.2.1. <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Im Verlauf des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts hat <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss von <strong>St</strong>aaten auf <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

ihrer Bevölkerung deutlich zugenommen. Seither entwickelte sich die öffentliche<br />

<strong>und</strong> damit die formelle <strong>Bildung</strong> weltweit <strong>in</strong> bee<strong>in</strong>drucken<strong>der</strong> Weise. Die erzielten Fortschritte,<br />

im Beson<strong>der</strong>en h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> Alphabetisierung, s<strong>in</strong>d mit Sicherheit e<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

wichtigsten staatlichen Beiträge zur Verbesserung des allgeme<strong>in</strong>en Lebensstandards<br />

weltweit (World Bank, 1999a).<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts ist <strong>der</strong> <strong>St</strong>aat <strong>in</strong> den meisten Län<strong>der</strong>n wichtigster Akteur<br />

betreffend Bereitstellen von <strong>Bildung</strong>. Wobei man zwischen dem <strong>St</strong>aat als <strong>St</strong>euerungs-<br />

<strong>und</strong> Kontroll<strong>in</strong>stanz <strong>und</strong> dem <strong>St</strong>aat als Überwachungs<strong>in</strong>stanz unterscheidet.<br />

Ersteres bedeutet genaues Kontrollieren <strong>und</strong> E<strong>in</strong>fluss nehmen; Letzteres besteht<br />

mehr aus Beobachten <strong>und</strong>, wenn nötig, regulierendem E<strong>in</strong>greifen durch den <strong>St</strong>aat. Je<br />

nach <strong>Bildung</strong>sstufe def<strong>in</strong>iert sich die Rolle des <strong>St</strong>aats mehr <strong>in</strong> die e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Richtung (World Bank, 1997; World Bank, 1999a).<br />

Das mögliche staatliche Engagement <strong>in</strong> den Bereichen <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> ist<br />

relativ breit <strong>und</strong> erfährt je nach Land e<strong>in</strong>e unterschiedliche Gewichtung. In fast allen<br />

Län<strong>der</strong>n decken öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen über die Hälfte <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Mittel. Doch <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anzielle Beitrag ist nur e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> staatlichen Beteiligung<br />

am <strong>Bildung</strong>ssystem. In <strong>der</strong> Regel def<strong>in</strong>iert die zuständige <strong>St</strong>aatsbehörde die Curricula<br />

<strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>gültige <strong>St</strong>andards, entscheidet über die Zulassung von <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stituti-


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 119<br />

onen <strong>und</strong> überwacht <strong>der</strong>en Leistungserbr<strong>in</strong>gung. Zudem betreibt <strong>der</strong> <strong>St</strong>aat auch eigene<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> subventioniert nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>se<strong>in</strong>richtungen.<br />

Öffentliche (staatliche) <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen haben e<strong>in</strong>e wichtige Funktion h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>der</strong> Chancengleichheit für die gesamte Bevölkerung, denn sie bieten normalerweise<br />

gleichberechtigten Zugang zu <strong>Bildung</strong> für alle, was vor allem dem Lebensstandard <strong>der</strong><br />

ärmeren Bevölkerung zugute kommt. Dies betrifft <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Gr<strong>und</strong>schulstufe.<br />

Je höher die <strong>Bildung</strong>sstufe, desto eher profitiert <strong>der</strong> ohneh<strong>in</strong> besser situierte Teil <strong>der</strong><br />

Bevölkerung von staatlichen <strong>Bildung</strong>se<strong>in</strong>richtungen. Das heisst, Chancengleichheit für<br />

die gesamte Bevölkerung auf allen <strong>Bildung</strong>sstufen zu gewährleisten, ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

grössten Herausfor<strong>der</strong>ungen für <strong>St</strong>aaten im Bereich des öffentlichen <strong>Bildung</strong>sangebots.<br />

Die Schlüsselfrage lautet deshalb nicht, ob <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss von <strong>St</strong>aaten auf <strong>Bildung</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> weiter zunimmt o<strong>der</strong> nicht, son<strong>der</strong>n wo die öffentliche Hand ihre Prioritäten<br />

setzt. Diese gilt es weltweit, vor allem im effizienten Bereitstellen von <strong>Bildung</strong>,<br />

das heisst e<strong>in</strong>em s<strong>in</strong>nvollen <strong>und</strong> effektiven <strong>Bildung</strong>sangebot, von staatlicher Seite zu<br />

setzen (vergleiche e<strong>in</strong>leitend zu Teil III erwähnte Missstände). Denn es gehört zu den<br />

zentralen bildungspolitischen Aufgaben des <strong>St</strong>aats, die gr<strong>und</strong>sätzlichen <strong>St</strong>rategien zu<br />

entwickeln, um diese Ziele zu erreichen (Berryman, 2000; World Bank, 1999a; World<br />

Bank, 1999b).<br />

Das staatliche Interesse an <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichen Weiterentwicklung <strong>und</strong> Verbesserung<br />

des <strong>Bildung</strong>ssystems ist fast gezwungenermassen gross, denn das <strong>Bildung</strong>sniveau<br />

e<strong>in</strong>er Bevölkerung ist nicht nur, aber vor allem, ausschlaggebend für die weltwirtschaftliche<br />

Wettbewerbsfähigkeit, das erfolgreiche Bekämpfen von Armut <strong>und</strong> Chancenungleichheit<br />

sowie <strong>der</strong> politischen <strong>und</strong> sozialen <strong>St</strong>abilität <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land wie die<br />

nachfolgenden Ausführungen zeigen (Berryman, 2000; World Bank, 1999a; World<br />

Bank, 1999b).<br />

1.2.2. F<strong>in</strong>anzierung von <strong>Bildung</strong>ssystemen<br />

Die F<strong>in</strong>anzierung von <strong>Bildung</strong>ssystemen ist <strong>in</strong> allen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Welt e<strong>in</strong> Schlüsselthema.<br />

Abbildung 20 veranschaulicht die gr<strong>und</strong>sätzlich mögliche Herkunft sowie<br />

den E<strong>in</strong>satz f<strong>in</strong>anzieller Mittel <strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen (OECD, 2002b):<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen:<br />

öffentliche / staatliche<br />

Nationale<br />

öffentliche<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

abhängige nichtstaatliche<br />

unabhängige nichtstaatliche<br />

Nationale<br />

nichtstaatliche<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

Internationale<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

Internationale<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

Abbildung 20: Herkunft <strong>und</strong> E<strong>in</strong>satz f<strong>in</strong>anzieller Mittel <strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen


120 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Im Allgeme<strong>in</strong>en gilt es, zwischen öffentlichen (staatlichen) <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

<strong>und</strong> nichtstaatlichen <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen zu unterscheiden. Diese beiden nationalen<br />

F<strong>in</strong>anzquellen können zusätzlich von ausserhalb des Landes, das heisst <strong>in</strong>ternational,<br />

gespiesen werden. Öffentliche Mittel können zudem nichtstaatlichen Mitteln<br />

zufliessen <strong>und</strong> umgekehrt. E<strong>in</strong>gesetzt werden die Mittel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> öffentlichen,<br />

vom <strong>St</strong>aat abhängigen, nichtstaatlichen o<strong>der</strong> vom <strong>St</strong>aat unabhängigen nichtstaatlichen<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen.<br />

In den meisten Län<strong>der</strong>n f<strong>in</strong>anziert hauptsächlich <strong>der</strong> <strong>St</strong>aat das <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>und</strong><br />

betreibt zugleich e<strong>in</strong>e grosse Anzahl <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen. Auf Gr<strong>und</strong>schulstufe sprechen<br />

viele verschiedene Gründe für e<strong>in</strong>e staatliche F<strong>in</strong>anzierung <strong>und</strong> Betreibung von<br />

<strong>Bildung</strong>sstätten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob sämtliche <strong>Bildung</strong>sstufen vollumfänglich<br />

vom <strong>St</strong>aat getragen werden sollen. In manchen Län<strong>der</strong>n gibt es heutzutage<br />

hoch entwickelte, nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>se<strong>in</strong>richtungen, die e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag<br />

zum Angebot <strong>der</strong> zunehmenden <strong>Bildung</strong>snachfrage leisten. Dies ist vor allem<br />

deshalb von grosser Bedeutung, weil <strong>in</strong> vielen Län<strong>der</strong>n enorme Probleme im Zusammenhang<br />

mit dem E<strong>in</strong>satz öffentlicher Mittel für <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> bestehen<br />

(World Bank, 1999a).<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne behandeln die nachfolgenden beiden Abschnitte erstens öffentliche<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>und</strong> zweitens nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen.<br />

1.2.2.1. Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

Der <strong>St</strong>aat, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel Hauptakteur im <strong>Bildung</strong>ssystem,<br />

engagiert sich <strong>in</strong> verschiedenster H<strong>in</strong>sicht den Bereichen<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> se<strong>in</strong>er Bevölkerung. E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wichtigsten,<br />

messbarsten <strong>und</strong> damit vergleichbarsten Engagements<br />

ist das F<strong>in</strong>anzielle. In den meisten Län<strong>der</strong>n machen<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen von Seiten <strong>der</strong> öffentlichen Hand den<br />

grössten Anteil <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt erfor<strong>der</strong>lichen Mittel aus.<br />

<strong>Bildung</strong>sausgaben können zwischen zehn bis dreissig Prozent<br />

des <strong>St</strong>aatsbudgets (sehr unterschiedlich im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich) beziehungsweise ungefähr drei bis sieben<br />

Prozent des Bruttosozial- o<strong>der</strong> Brutto<strong>in</strong>landprodukts (weniger<br />

unterschiedlich im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich) ausmachen.<br />

Tabelle 31 zeigt e<strong>in</strong>e Auswahl von Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> <strong>der</strong>en<br />

öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich. Die Höhe o<strong>der</strong> zunehmende <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

för<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel die Entwicklung von Humankapital,<br />

wirtschaftlichem Wachstum <strong>und</strong> damit <strong>in</strong>ternationaler Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Nicht zuletzt deshalb erhoffen sich viele<br />

<strong>St</strong>aaten durch hohe öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen auch<br />

e<strong>in</strong>e verstärkte Attraktivität für nichtstaatliche Investoren<br />

(Berryman, 2000; Eisemon & Holm-Nielsen, 1995; OECD,<br />

2002a; World Bank, 1999a; World Bank 1999b).<br />

OECD-Län<strong>der</strong> (Auswahl)<br />

Australien 4,5<br />

Deutschland 4,3<br />

F<strong>in</strong>nland 5,7<br />

Frankreich 5,8<br />

Japan 3,5<br />

Kanada 5,3<br />

Mexiko 4,4<br />

Schweiz 5,4<br />

Türkei 3,9<br />

USA 4,9<br />

Weitere Län<strong>der</strong> (Auswahl)<br />

Argent<strong>in</strong>ien 4,5<br />

Chile 4,1<br />

Indien 3,2<br />

Indonesien 0,8<br />

Israel 7,0<br />

Jordanien 5,0<br />

Paraguay 4,8<br />

Peru 3,3<br />

Philipp<strong>in</strong>en 4,2<br />

Thailand 4,5<br />

Tabelle 31: Öffentliche<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen im<br />

Jahr 1999 im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich (<strong>in</strong><br />

Prozenten des BIP)


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 121<br />

In vielen Län<strong>der</strong>n gibt es grosse Probleme im Zusammenhang mit dem E<strong>in</strong>satz öffentlicher<br />

Mittel für <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>. E<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Hauptprobleme besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verteilung<br />

<strong>der</strong> f<strong>in</strong>anziellen Mittel. Je grösser <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Hand, das heisst je ger<strong>in</strong>ger <strong>der</strong> Anteil nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen,<br />

ist, desto weniger zielgerichtet werden öffentliche Mittel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Vor allem <strong>in</strong> weniger entwickelten Län<strong>der</strong>n kommt es häufig vor, dass lokal verwaltete<br />

öffentliche <strong>Bildung</strong>sbudgets nicht für den nationalen Ausgleich von ärmeren Gegenden<br />

zur Verfügung stehen. Im Zusammenhang mit öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen gibt<br />

es zudem Probleme betreffend <strong>der</strong> Bezahlung von Lehrenden <strong>und</strong> ungenügenden<br />

o<strong>der</strong> veralteten Unterrichtse<strong>in</strong>richtungen, was meistens negative Auswirkungen auf die<br />

Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> zur Folge hat (Berryman, 2000; World Bank, 1999b).<br />

1.2.2.2. Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

Bevor im Verlauf des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>der</strong> E<strong>in</strong>fluss des<br />

<strong>St</strong>aats auf das <strong>Bildung</strong>swesen überhand genommen<br />

hat, waren <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> primär private Angelegenheiten.<br />

Zurückblickend auf zwei Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

staatlicher Dom<strong>in</strong>anz <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entwicklung von <strong>Bildung</strong>ssystemen,<br />

rücken zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>itiativen weltweit wie<strong>der</strong> zunehmend<br />

<strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Das f<strong>in</strong>anzielle nichtstaatliche<br />

Engagement bedeutet heute e<strong>in</strong>erseits konkrete<br />

zusätzliche Mittel für <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>,<br />

an<strong>der</strong>seits werden <strong>und</strong> können nichtstaatliche Beiträge<br />

zielgerichteter <strong>und</strong> zweckgeb<strong>und</strong>ener e<strong>in</strong>gesetzt werden<br />

als dies bei öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen oft<br />

<strong>der</strong> Fall ist. Tabelle 32 zeigt e<strong>in</strong>e Auswahl von Län<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en nichtstaatlichen <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen im<br />

<strong>in</strong>ternationalen Vergleich. F<strong>in</strong>anzielle Beiträge s<strong>in</strong>d<br />

jedoch nur e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> nichtstaatlichen <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen.<br />

Denn Arbeitgeber bilden beispielsweise ihre<br />

Mitarbeitenden auch betriebs<strong>in</strong>tern gezielt aus <strong>und</strong><br />

weiter. Zudem bieten private Organisationen e<strong>in</strong> breites<br />

Spektrum an Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungsprogrammen an,<br />

die sie entwe<strong>der</strong> selbst <strong>und</strong> mit Unterstützung <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Hand f<strong>in</strong>anzieren. Das Zusammenarbeiten<br />

mit öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen f<strong>in</strong>det immer mehr<br />

auch auf beraten<strong>der</strong> Basis statt, weil sich nichtstaatliche<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel unabhängiger <strong>und</strong><br />

schneller entwickeln <strong>und</strong> dadurch an<strong>der</strong>e Erfahrungswerte<br />

vermitteln können. In vielen Län<strong>der</strong>n ist festzustellen,<br />

dass sich das nichtstaatliche Engagement auf<br />

die frühk<strong>in</strong>dliche, höhere <strong>und</strong> berufsspezifische Aus<strong>und</strong><br />

Weiterbildung konzentriert (OECD, 2002a; World<br />

Bank, 1999a).<br />

OECD-Län<strong>der</strong> (Auswahl)<br />

Australien 1,4<br />

Deutschland 1,2<br />

F<strong>in</strong>nland 0,1<br />

Frankreich 0,4<br />

Japan 1,1<br />

Kanada 1,3<br />

Mexiko 0,8<br />

Schweiz 0,5<br />

Türkei 0,0<br />

USA 1,6<br />

Weitere Län<strong>der</strong> (Auswahl)<br />

Argent<strong>in</strong>ien 1,3<br />

Chile 3,1<br />

Indien 0,1<br />

Indonesien 0,4<br />

Israel 1,4<br />

Jordanien 1,0<br />

Paraguay 3,7<br />

Peru 1,3<br />

Philipp<strong>in</strong>en 1,7<br />

Thailand 0,3<br />

Tabelle 32: Nichtstaatliche<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

im Jahr 1999<br />

im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich (<strong>in</strong> Prozenten<br />

des BIP)


122 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Zu den nichtstaatlichen <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen zählen <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch die f<strong>in</strong>anziellen<br />

Aufwendungen von Privatpersonen beziehungsweise von Familien <strong>der</strong> Auszubildenden.<br />

Es gibt Anzeichen dafür, dass <strong>in</strong> gewissen Regionen <strong>der</strong> Welt die zunehmenden<br />

f<strong>in</strong>anziellen Belastungen für <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> die Schere zwischen<br />

wohlhaben<strong>der</strong>en <strong>und</strong> ärmeren Familienverbänden ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> klaffen lässt. Diese<br />

Tendenz ist jedoch nicht weltweit e<strong>in</strong>deutig, denn die diesbezügliche Entwicklung ist<br />

unter an<strong>der</strong>em abhängig vom Angebot an kompensatorischen Möglichkeiten für f<strong>in</strong>anziell<br />

schlechter Gestellte (Berryman, 2000).<br />

1.2.3. Folgerungen<br />

Aus den behandelten systembed<strong>in</strong>gten Interdependenzen folgt, dass <strong>der</strong> <strong>St</strong>aat <strong>und</strong><br />

damit die Politik e<strong>in</strong>e dom<strong>in</strong>ierende <strong>St</strong>ellung <strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen e<strong>in</strong>nehmen. Gründe<br />

hierfür liegen unter an<strong>der</strong>em im weltweit hohen Anteil öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen,<br />

<strong>in</strong> den vom <strong>St</strong>aat def<strong>in</strong>ierten Curricula <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong> gültigen <strong>Bildung</strong>sstandards<br />

sowie <strong>der</strong> staatlichen Entscheidungsgewalt über die Zulassung von <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen.<br />

Doch entscheidend, <strong>und</strong> unterschiedlich von Land zu Land, ist letztendlich, welche<br />

Rolle <strong>der</strong> <strong>St</strong>aat ausübt (<strong>St</strong>euerungs- <strong>und</strong> Kontroll<strong>in</strong>stanz o<strong>der</strong> Überwachungsfunktion)<br />

<strong>und</strong> wo die Prioritäten gesetzt werden. Unabhängig von se<strong>in</strong>er Rolle kann<br />

<strong>der</strong> <strong>St</strong>aat nicht für das gesamte <strong>Bildung</strong>ssystem zuständig se<strong>in</strong>. Zu den wichtigsten<br />

staatlichen <strong>Bildung</strong>saufgaben zählen die F<strong>in</strong>anzierung, das Setzen von <strong>St</strong>andards,<br />

gleichberechtigter Zugang zu <strong>Bildung</strong> für alle <strong>und</strong> sowohl das Betreiben als auch das<br />

Überwachen von <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen. In diesem S<strong>in</strong>ne hat <strong>der</strong> <strong>St</strong>aat e<strong>in</strong>e zentrale<br />

Funktion betreffend dem Bereitstellen von, dem Zugang zu <strong>und</strong> <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong><br />

<strong>Bildung</strong>. Denn e<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem, basierend auf diesen drei Säulen, ist unter<br />

an<strong>der</strong>em Voraussetzung für die allgeme<strong>in</strong> positive Entwicklung e<strong>in</strong>es Landes (vergleiche<br />

Teil III: 1.1.). Auf entsprechende Zusammenhänge mit <strong>der</strong> Wirtschaft wird <strong>in</strong> den<br />

nachfolgenden Abschnitten zu verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gten Interdependenzen e<strong>in</strong>gegangen<br />

(vergleiche Teil III: 1.3.).<br />

H<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung von <strong>Bildung</strong>ssystemen nehmen <strong>St</strong>aaten e<strong>in</strong>e dom<strong>in</strong>ierende<br />

<strong>St</strong>ellung e<strong>in</strong>. Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen gehören weltweit zum Hauptanteil<br />

<strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung von <strong>Bildung</strong>ssystemen wie Tabelle 33 verdeutlicht (OECD, 2002a):


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 123<br />

OECD-Län<strong>der</strong> (Auswahl)<br />

Land<br />

% des<br />

BIP<br />

% des<br />

Total*<br />

Öffentliche<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

Nichtstaatliche<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

% des<br />

BIP<br />

% des<br />

Total*<br />

Total*<br />

% des<br />

BIP<br />

Weitere Län<strong>der</strong> (Auswahl)<br />

Land<br />

% des<br />

BIP<br />

% des<br />

Total*<br />

Öffentliche<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

Nichtstaatliche<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

% des<br />

BIP<br />

% des<br />

Total*<br />

Australien 4,5 76,3 1,4 23,7 5,9 Argent<strong>in</strong>ien 4,5 77,6 1,3 22,4 5,8<br />

Deutschland 4,3 78,2 1,2 21,8 5,5 Chile 4,1 57,0 3,1 43,0 7,2<br />

F<strong>in</strong>nland 5,7 98,3 0,1 1,7 5,8 Indien 3,2 97,0 0,1 3,0 3,3<br />

Frankreich 5,8 93,5 0,4 6,5 6,2 Indonesien 0,8 66,7 0,4 33,3 1,2<br />

Japan 3,5 76,1 1,1 23,9 4,6 Israel 7,0 83,3 1,4 16,7 8,4<br />

Kanada 5,3 80,3 1,3 19,7 6,6 Jordanien 5,0 83,7 1,0 16,7 6,0<br />

Mexiko 4,4 84,6 0,8 15,4 5,2 Paraguay 4,8 56,5 3,7 43,5 8,5<br />

Schweiz 5,4 91,5 0,5 8,5 5,9 Peru 3,3 71,7 1,3 28,3 4,6<br />

Türkei 3,9 100,0 0,0 0,0 3,9 Philipp<strong>in</strong>en 4,2 71,2 1,7 28,8 5,9<br />

USA 4,9 75,4 1,6 24,6 6,5 Thailand 4,5 93,7 0,3 6,3 4,8<br />

Durchschnitt 4,8 85,7 0,8 14,3 5,6 Durchschnitt 4,1 74,5 1,4 25,5 5,5<br />

Tabelle 33: Vergleich öffentlicher <strong>und</strong> nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

im Jahr 1999 (Län<strong>der</strong>auswahl)<br />

Während sich bei <strong>der</strong> getroffenen Län<strong>der</strong>auswahl <strong>der</strong> gesamte Anteil <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>sf<strong>in</strong>anzierung<br />

(Spalten Total), mit Ausnahme von Indonesien, zwischen 3,3 <strong>und</strong> 8,4 Prozenten<br />

des Brutto<strong>in</strong>landprodukts (BIP) bewegt, s<strong>in</strong>d die Unterschiede zwischen den<br />

Anteilen öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>und</strong> nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

erheblich grösser. Wird das <strong>Bildung</strong>ssystem beispielsweise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Türkei zu h<strong>und</strong>ert<br />

Prozent vom <strong>St</strong>aat f<strong>in</strong>anziert, so beträgt <strong>der</strong> staatliche Anteil <strong>in</strong> Chile o<strong>der</strong> Paraguay<br />

nur gerade 57 beziehungsweise 56,5 Prozent <strong>der</strong> gesamten <strong>Bildung</strong>sf<strong>in</strong>anzierung. Vor<br />

allem im Zusammenhang mit den aufgezeigten Herausfor<strong>der</strong>ungen betreffend öffentlicher<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen s<strong>in</strong>d diese Unterschiede von Bedeutung (vergleiche Teil<br />

III: 1.2.2.1.). Denn <strong>der</strong> qualitative Aspekt nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen spielt,<br />

trotz dem quantitativ mehrheitlich deutlich ger<strong>in</strong>geren Ausfallen im Vergleich zu den<br />

öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen, e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Dass f<strong>in</strong>anzielle <strong>Bildung</strong>sbeiträge<br />

nicht vom qualitativen E<strong>in</strong>flussnehmen auf die <strong>Bildung</strong>sleistung getrennt werden<br />

können, liegt auf <strong>der</strong> Hand. Mögliche Spannungen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang werden<br />

<strong>in</strong> den nachfolgenden Ausführungen aufgezeigt (vergleiche Teil III: 1.3.4.1.; 2.1.2.2.;<br />

2.1.4.; 2.2.2.2.; 2.2.3.3.1.).<br />

Total*<br />

% des<br />

BIP


124 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1.3. Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Systembed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 1.2.<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 1.3.<br />

Politik<br />

Wirtschaft<br />

Abbildung 21: Teil III: 1.3. <strong>der</strong> Dissertation: Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Mögliche gegenseitige Auswirkungen von Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> Politik, Wirtschaft <strong>und</strong><br />

<strong>Bildung</strong>ssystem e<strong>in</strong>es Landes s<strong>in</strong>d Gegenstand <strong>der</strong> nachfolgenden Abschnitte. Es<br />

handelt sich hierbei um e<strong>in</strong>e Auswahl bestimmter verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gter Interdependenzen.<br />

Diese s<strong>in</strong>d:<br />

• Übergangsgesellschaften <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

• Dezentralisierung <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

• Arbeitsmarkt <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

• Wachstum <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

1.3.1. Übergangsgesellschaften <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

Gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen s<strong>in</strong>d auf verschiedenste Ursachen zurückzuführen.<br />

So entstehen zum Beispiel <strong>in</strong> Wachstumsmärkten neue wirtschaftliche Herausfor<strong>der</strong>ungen,<br />

die e<strong>in</strong>e Anpassung <strong>der</strong> Anfor<strong>der</strong>ungsprofile ihrer Wirtschaftsakteure verlangen.<br />

Bisheriges Wissen, bewährte Vorgehensweisen <strong>und</strong> Fertigkeiten müssen aktualisiert<br />

werden. Dies gilt im Beson<strong>der</strong>en für Wirtschaftssysteme, die ganz o<strong>der</strong> teilweise<br />

von planwirtschaftlichen zu marktwirtschaftlichen Systemen übergehen. E<strong>in</strong> solcher<br />

Systemwandel bedeutet e<strong>in</strong> Umdenken von elitären <strong>und</strong> zentralistischen <strong>in</strong> mo<strong>der</strong>neren<br />

<strong>und</strong> offeneren <strong>St</strong>rukturen. Die betroffenen Menschen solcher Übergangsgesellschaften<br />

stehen vor grossen Herausfor<strong>der</strong>ungen im Umgang mit Wissen <strong>und</strong> Informationen,<br />

Meistern von Problemlösungsprozessen <strong>und</strong> Aufbr<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Bereitschaft, Neues zu lernen <strong>und</strong> umzusetzen; bürokratische Institutionen müssen<br />

von Transparenz, Verantwortlichkeit <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit geprägt se<strong>in</strong>. Um den Verän<strong>der</strong>ungsprozessen<br />

<strong>in</strong> Übergangsgesellschaften gewachsen zu se<strong>in</strong>, gilt es <strong>in</strong> Anlehnung<br />

an e<strong>in</strong>e <strong>St</strong>udie zu Wissensgesellschaften von Dahlman & Aubert folgende Kriterien<br />

zu beachten (Berryman, 2000; Dahlman & Aubert, 2001, World Bank, 1999a):


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 125<br />

• Nationale Defizite erkennen:<br />

Betreffend Arbeitsmarkt; wirtschaftlichem Wachstum; <strong>in</strong>ternationaler<br />

Wettbewerbsfähigkeit; regionaler Ungleichgewichte; Umweltsituation<br />

• Internationale Entwicklungen verfolgen:<br />

Betreffend globalem Wissenstransfer; nachhaltiger Entwicklung<br />

• Anreize für Verän<strong>der</strong>ungen wecken:<br />

Betreffend Mo<strong>der</strong>nisierung verschiedenster Prozesse; Effizienz- <strong>und</strong><br />

Qualitätssteigerung<br />

• Infrastruktur für Informationsfluss schaffen:<br />

Betreffend neuer Technologien; zunehmend schnellerem Wertverlust<br />

von Wissen<br />

• Forschung <strong>und</strong> Entwicklung för<strong>der</strong>n:<br />

Betreffend allgeme<strong>in</strong>em, <strong>in</strong>ternationalem Austausch; globalem Wissen<br />

• Angemessene Planung <strong>und</strong> Prioritäten setzen:<br />

Betreffend nationaler <strong>St</strong>rukturen, <strong>St</strong>ärken <strong>und</strong> Schwächen<br />

• Entwicklungsstrategien anpassen:<br />

Betreffend Ressourcenmanagement; globaler Integration; nachhaltiger<br />

Entwicklung<br />

Es handelt sich hierbei nicht um e<strong>in</strong>en abschliessenden Kriterienkatalog von Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>in</strong> Übergangsgesellschaften. Vielmehr zeigen die aufgeführten Kriterien,<br />

dass e<strong>in</strong>e gesellschaftliche Transformation nicht ohne e<strong>in</strong>en entsprechenden Wandel<br />

des <strong>Bildung</strong>ssystems e<strong>in</strong>her gehen kann. Denn <strong>der</strong> Keim e<strong>in</strong>es Übergangs von Bisherigem<br />

zu Neuem gründet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung sowohl <strong>der</strong> Verantwortlichen beziehungsweise<br />

Gestalter als auch <strong>der</strong> Ausführenden beziehungsweise Betroffenen <strong>und</strong><br />

letztendlich Mitgestalter e<strong>in</strong>er Transformation. In diesem S<strong>in</strong>ne führt <strong>in</strong> Übergangsgesellschaften<br />

ke<strong>in</strong> Weg an entsprechenden Verän<strong>der</strong>ungen des <strong>Bildung</strong>ssystems vorbei.<br />

So müssen beispielsweise Lehrende mit den neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen vertraut<br />

gemacht werden, Lehrmethoden <strong>und</strong> vor allem Curricula gilt es anzupassen <strong>und</strong> zu<br />

mo<strong>der</strong>nisieren. Bewertungs- <strong>und</strong> Prüfungsstandards müssen messbar strukturiert<br />

se<strong>in</strong>, um auch im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich zu bestehen. Verantwortliche Behörden<br />

<strong>und</strong> Management von <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen bedürfen e<strong>in</strong>er Anpassung vor allem h<strong>in</strong>sichtlich<br />

ihrer Fähigkeiten zur Umsetzung <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Verän<strong>der</strong>ungen (Berryman,<br />

2000; Dahlman & Aubert, 2001; World Bank 1999b).<br />

Ohne <strong>Bildung</strong>ssystemwandel ist e<strong>in</strong> erfolgreicher Transformationsprozess kaum denkbar.<br />

In verschiedenen Übergangsgesellschaften wird dies jedoch unterschiedlich<br />

wahrgenommen, angestrebt <strong>und</strong> umgesetzt. Aus theoretischer Perspektive erfor<strong>der</strong>t<br />

e<strong>in</strong>e Transformation <strong>in</strong> jedem Fall e<strong>in</strong>en gr<strong>und</strong>legenden o<strong>der</strong> m<strong>in</strong>destens teilweisen<br />

<strong>Bildung</strong>ssystemwandel, welcher die nötigen Voraussetzungen für Verän<strong>der</strong>ungsprozesse<br />

<strong>in</strong> Übergangsgesellschaften schafft.<br />

In Anlehnung an verschiedene <strong>St</strong>udien <strong>der</strong> OECD zu wesentlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Bildung</strong>ssystemwandels <strong>in</strong> Übergangsgesellschaften seien an dieser <strong>St</strong>elle<br />

folgende potentielle Schwierigkeiten aufgeführt (World Bank, 1999b):


126 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• E<strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel <strong>in</strong> Übergangsgesellschaften ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel unter<br />

schwierigen wirtschaftlichen Bed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> hoch dynamischen politischen<br />

Umständen zu vollziehen<br />

• Drei Hauptgründe s<strong>in</strong>d Ursache für potentielle Schwierigkeiten e<strong>in</strong>es <strong>Bildung</strong>ssystemwandels<br />

<strong>in</strong> Übergangsgesellschaften: Anpassung von Curricula; Verän<strong>der</strong>ung<br />

von <strong>Bildung</strong>sstandards <strong>und</strong> Prüfungswesen; neue Def<strong>in</strong>ition <strong>der</strong><br />

bisherigen Rolle des <strong>St</strong>aats<br />

• In praktisch allen Übergangsgesellschaften blockieren Lehrende e<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

sowohl aufgr<strong>und</strong> ihrer gesellschaftlichen <strong>St</strong>ellung als auch mangels<br />

fehlen<strong>der</strong> Überzeugung am persönlichen Vorteil durch Verän<strong>der</strong>ungen<br />

• E<strong>in</strong>e mögliche plötzliche Untauglichkeit komplexer <strong>und</strong> unflexibler Berufsbildungsprogramme<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> Übergangsgesellschaften hat e<strong>in</strong>en<br />

enormen Druck auf das allgeme<strong>in</strong>e <strong>Bildung</strong>ssystem zur Folge<br />

• Der Mangel an adäquaten <strong>Bildung</strong>smaterialien ist e<strong>in</strong> permanentes Problem <strong>in</strong><br />

Übergangsgesellschaften<br />

• Zwei Themenbereiche werden vor allem im Rahmen e<strong>in</strong>es <strong>Bildung</strong>ssystemwandels<br />

<strong>der</strong> meisten betroffenen Län<strong>der</strong> zurückgestellt: <strong>St</strong>aats- <strong>und</strong> Umweltbildung<br />

Die aufgeführten <strong>und</strong> möglichen weiteren Schwierigkeiten e<strong>in</strong>es <strong>Bildung</strong>ssystemwandels<br />

<strong>in</strong> Übergangsgesellschaften weisen auf e<strong>in</strong> vorhandenes Risikopotential h<strong>in</strong>, das<br />

es <strong>in</strong> allen betroffenen Län<strong>der</strong>n zu berücksichtigen gilt.<br />

1.3.2. Dezentralisierung <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

Der weltweite Trend <strong>in</strong> Richtung Dezentralisierung hat auch konkrete Auswirkungen<br />

auf <strong>Bildung</strong>ssysteme. In welcher Form <strong>und</strong> <strong>in</strong> welchem Ausmass die Dezentralisierung<br />

voran getrieben wird, ist von Land zu Land unterschiedlich, wenn gleich das Ziel dasselbe<br />

ist: Planen, Durchführen <strong>und</strong> Evaluieren von Entscheidungen auf lokaler Ebene.<br />

Der Grad <strong>der</strong> Dezentralisierung kann verschieden abgestuft se<strong>in</strong>. Zuständigkeit <strong>und</strong><br />

Verantwortung können an lokale Vertreter <strong>der</strong> Zentralbehörde (schwächste Form des<br />

Dezentralisierens), an lokale Behörden o<strong>der</strong> - im Falle des <strong>Bildung</strong>ssystems - direkt an<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen (stärkste Form des Dezentralisierens) delegiert werden (Asian<br />

Development Bank, 2002; World Bank 1999a, World Bank, 1999b).<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Bemühungen um Dezentralisierung von <strong>Bildung</strong>ssystemen s<strong>in</strong>d unter<br />

an<strong>der</strong>em verschiedene Schwächen zum Vorsche<strong>in</strong> gekommen. So zeigt sich, dass<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen oftmals kaum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage s<strong>in</strong>d, aktuelle Probleme <strong>und</strong> zukünftige<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen selbständig zu meistern. Zudem offenbaren sich Schwachstellen<br />

sowohl bei zentral als auch bei lokal zuständigen <strong>Bildung</strong>sbehörden. Es werden diesbezüglich<br />

allgeme<strong>in</strong>e Fragen aufgeworfen wie zum Beispiel diejenige <strong>der</strong> Aufteilung<br />

von Zuständigkeiten <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten zwischen zentralen <strong>und</strong> lokalen Behörden.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wichtigsten Fragen <strong>in</strong> diesem Zusammenhang ist die Frage des Mittele<strong>in</strong>satzes,<br />

denn dezentralisierte Systeme bedeuten oftmals vermehrten Mittele<strong>in</strong>satz<br />

auf lokaler Ebene <strong>und</strong> stellen höhere Anfor<strong>der</strong>ungen an die lokal verantwortlichen<br />

Personen. Daraus kann sich e<strong>in</strong> regionales Ungleichgewicht ergeben, was e<strong>in</strong>erseits<br />

im Fall des <strong>Bildung</strong>ssystems negative Auswirkungen auf die Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong>


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 127<br />

die Chancengleichheit für Auszubildende zur Folge haben kann. An<strong>der</strong>seits zeigen<br />

sich <strong>in</strong> verschiedenen Län<strong>der</strong>n durchaus positive Effekte aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es zunehmend<br />

dezentralisierten <strong>Bildung</strong>ssystems. Positive Auswirkungen zeichnen sich zum Beispiel<br />

auf höheren <strong>Bildung</strong>sstufen ab, wo es um das För<strong>der</strong>n von Forschung, Entwicklung<br />

<strong>und</strong> Innovation geht. Wie sich bereits <strong>in</strong> vorangehenden Ausführungen feststellen<br />

liess, bestehen je nach <strong>Bildung</strong>sstufe auch im Zusammenhang mit Dezentralisierungsbestrebungen<br />

von <strong>Bildung</strong>ssystemen wesentliche Unterschiede im Ausmass <strong>der</strong><br />

möglichen Auswirkungen (vergleiche Teil III 1.2.1.). Das heisst, es kommt sowohl auf<br />

den Grad <strong>der</strong> Dezentralisierung als auch auf die betroffenen <strong>Bildung</strong>sstufen an (World<br />

Bank, 1997; World Bank 1999a; World Bank, 1999b).<br />

In Anlehnung an verschiedene <strong>St</strong>udien <strong>der</strong> OECD zu wesentlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

von Dezentralisierungsmassnahmen <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel seien an dieser <strong>St</strong>elle<br />

folgende potentielle Schwierigkeiten erwähnt (World Bank, 1999b):<br />

• Trotz <strong>in</strong> Kraft treten von Gesetzen zu Dezentralisierung <strong>und</strong> unabhängigeren<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen gibt es <strong>in</strong> vielen Län<strong>der</strong>n gr<strong>und</strong>legende Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen<br />

betreffend <strong>der</strong> Zuteilung von bildungsrelevanten Verantwortlichkeiten auf<br />

nationaler <strong>und</strong> regionaler Ebene<br />

• Das konkrete Umsetzen von Dezentralisierungsmassnahmen im Rahmen e<strong>in</strong>es<br />

<strong>Bildung</strong>ssystemwandels deckt sich oftmals nicht mit den gehegten Erwartungen,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Zusammenhang mit den Zuständigkeiten für die Anpassungen<br />

<strong>der</strong> Curricula <strong>und</strong> wissenschaftlicher Tätigkeiten<br />

Die aufgeführten <strong>und</strong> mögliche weitere Schwierigkeiten e<strong>in</strong>es <strong>Bildung</strong>ssystemwandels<br />

aufgr<strong>und</strong> von Dezentralisierungsbestrebungen weisen auf e<strong>in</strong> vorhandenes Risikopotential<br />

h<strong>in</strong>, das es <strong>in</strong> allen Län<strong>der</strong>n, die um Dezentralisierung bemüht s<strong>in</strong>d, zu beachten<br />

gilt.<br />

1.3.3. Arbeitsmarkt <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

Um den allgeme<strong>in</strong>en wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Zielsetzungen e<strong>in</strong>er Volkswirtschaft<br />

gerecht zu werden, müssen sich <strong>der</strong>en <strong>Bildung</strong>ssysteme unter an<strong>der</strong>em am Markt,<br />

das heisst <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie am Arbeitskräftemarkt orientieren. Voraussetzung ist, dass es<br />

e<strong>in</strong>en Arbeitskräfte- beziehungsweise Arbeitsmarkt gibt. Fähige, flexible <strong>und</strong> anpassungsfähige<br />

Arbeitskräfte auszubilden ohne Arbeitsmarkt, wie dies nach wie vor <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>igen Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Fall ist, führt lediglich zu Enttäuschungen <strong>und</strong> Frustrationen sowohl<br />

bei Auszubildenden <strong>und</strong> Absolventen als auch bei Ausbildenden. <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

<strong>und</strong> Lehrende müssen deshalb <strong>in</strong>formiert se<strong>in</strong> über die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts,<br />

das heisst sie müssen die wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Anfor<strong>der</strong>ungsprofile<br />

<strong>der</strong> nachgefragten Arbeitskräfte kennen <strong>und</strong> entsprechend umsetzen können. In<br />

<strong>der</strong> Folge sollten <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>und</strong> Lehrende über e<strong>in</strong>e ausreichende Unabhängigkeit<br />

verfügen, sich je<strong>der</strong>zeit wesentlichen Verän<strong>der</strong>ungen auf dem Arbeitsmarkt<br />

möglichst umgehend anpassen zu können. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite muss es genügend<br />

Anreize auf dem Arbeitsmarkt geben, damit Auszubildende auch bereit s<strong>in</strong>d, sich<br />

allfälligen Verän<strong>der</strong>ungen anzupassen. Dies bedeutet zum Beispiel aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es<br />

höheren Qualifikationsniveaus, Aussichten auf e<strong>in</strong>e bessere Honorierung zu haben,<br />

was


128 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

weltweit, unabhängig vom wirtschaftlichen Entwicklungsstand e<strong>in</strong>es Landes, erwiesenermassen<br />

<strong>der</strong> Fall ist. Zudem ermöglicht e<strong>in</strong> hohes Qualifikationsniveau, dass sich<br />

Arbeitskräfte relativ ungeh<strong>in</strong><strong>der</strong>t e<strong>in</strong>er neuen beruflichen Herausfor<strong>der</strong>ung stellen<br />

können. Mit an<strong>der</strong>en Worten, e<strong>in</strong> gut funktionieren<strong>der</strong> Arbeitsmarkt setzt folgendes<br />

voraus (Eisemon & Holm-Nielsen, 1995; Gill, Fluitman & Dar, 2000; OECD, 2002a;<br />

World Bank 1999b):<br />

• Arbeitskräfte können sich möglichst frei auf dem Arbeitsmarkt bewegen<br />

• Arbeitgeber können Arbeitskräfte je nach Bedarf engagieren o<strong>der</strong> frei stellen<br />

• Die Honorierung von Arbeitskräften wird von Angebot <strong>und</strong> Nachfrage auf dem<br />

Markt bestimmt<br />

Ob die Chance, an e<strong>in</strong>em gut funktionierenden Arbeitsmarkt teilzunehmen <strong>und</strong> teilnehmen<br />

zu können, auch tatsächlich wahrgenommen wird, steht <strong>in</strong> engem Zusammenhang<br />

mit dem <strong>Bildung</strong>sniveau e<strong>in</strong>er Bevölkerung. Das aktive Teilnehmen am<br />

Arbeitsmarkt ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel um so grösser je höher das Qualifikationsniveau e<strong>in</strong>er<br />

Arbeitskraft. Dies gilt sowohl für weibliche als auch für männliche Arbeitskräfte, wenn<br />

auch erstere auf allen <strong>St</strong>ufen <strong>in</strong> den meisten Län<strong>der</strong>n anzahlmässig h<strong>in</strong>ter letzteren<br />

zurückstehen. Mit an<strong>der</strong>en Worten, Arbeitskräfte mit ger<strong>in</strong>gerem Qualifikationsniveau<br />

s<strong>in</strong>d generell weniger aktiv auf dem Arbeitsmarkt, das heisst sie wechseln ihre Beschäftigung<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel weniger häufig <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d im Allgeme<strong>in</strong>en schneller <strong>und</strong> eher<br />

arbeitslos als besser Qualifizierte. In diesem S<strong>in</strong>ne bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> gut funktionieren<strong>der</strong><br />

Arbeitsmarkt e<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>und</strong> umgekehrt (Asian Development Bank,<br />

2002; OECD, 2002a).<br />

1.3.4. Wachstum <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

Das allgeme<strong>in</strong>e Wachstum e<strong>in</strong>es Landes wird <strong>in</strong> den folgenden Abschnitten als erstes<br />

h<strong>in</strong>sichtlich des wirtschaftlichen Wachstums <strong>und</strong> dessen Auswirkungen auf beziehungsweise<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an e<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong>ssystemwandel erläutert. Die Chancengleichheit<br />

betreffend dem Zugang zu <strong>Bildung</strong>, e<strong>in</strong>erseits im Zusammenhang mit wirtschaftlichem<br />

Wachstum <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits mit <strong>der</strong> weltweiten Bevölkerungszunahme,<br />

wird im zweiten Abschnitt thematisiert. Da Wachstum sowohl re<strong>in</strong> quantitative als auch<br />

qualitative Aspekte aufweist, behandelt <strong>der</strong> dritte Abschnitt die Qualitätssteigerung<br />

im Rahmen e<strong>in</strong>es <strong>Bildung</strong>ssystemwandels, <strong>der</strong> im Zusammenhang mit quantitativem<br />

<strong>und</strong> qualitativem Wachstum steht.<br />

1.3.4.1. Wirtschaftswachstum<br />

Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, hat <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>sgrad <strong>der</strong> Bevölkerung e<strong>in</strong>es<br />

Landes e<strong>in</strong>deutige Auswirkungen auf das Qualifikationsniveau <strong>der</strong> Arbeitskräfte (vergleiche<br />

Teil III: 1.3.3.). Das Qualifikationsniveau <strong>der</strong> Arbeitskräfte hat wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>en<br />

grossen E<strong>in</strong>fluss auf das wirtschaftliche Wachstum e<strong>in</strong>es Landes. Diese Zusammenhänge<br />

gew<strong>in</strong>nen zentrale Bedeutung erstens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zunehmend vernetzten<br />

beziehungsweise globalisierten Weltwirtschaft, zweitens mit Blick auf immer anspruchsvollere<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen zum Bestehen im <strong>in</strong>ternationalen Wettbewerb <strong>und</strong> drittens<br />

bezüglich e<strong>in</strong>er fortlaufend verstärkten Abhängigkeit vom Zugang zu Wissen <strong>und</strong>


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 129<br />

Information. Die wirtschaftliche <strong>St</strong>ärke <strong>und</strong> das langfristige Wachstum e<strong>in</strong>er Volkswirtschaft<br />

s<strong>in</strong>d je länger desto mehr auf die Entwicklungsfähigkeit, die wirtschaftliche Produktivität<br />

<strong>und</strong> damit auf das Qualifikationsniveau <strong>der</strong> Arbeitskräfte als Wettbewerbsfaktor<br />

angewiesen. Um wirtschaftliches Wachstum zu generieren beziehungsweise zu<br />

halten, bedarf es möglichst umgehend e<strong>in</strong>er Anpassung des <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>und</strong><br />

damit erhöhter <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen. Verschiedene <strong>St</strong>udien belegen, dass sowohl<br />

öffentliche als auch nichtstaatliche, nationale wie <strong>in</strong>ternationale <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

kurzfristig <strong>in</strong>dividuelle Vorteile br<strong>in</strong>gen, mittelfristig jede Volkswirtschaft davon profitiert<br />

<strong>und</strong> sich langfristig positiv auf die globale Wirtschaft auswirken. Die Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />

das <strong>Bildung</strong>ssystem h<strong>in</strong>sichtlich wirtschaftlichen Wachstums betreffen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

bestmögliche Chancengleichheit für alle Auszubildenden sowie effiziente <strong>und</strong> qualitativ<br />

hochstehende <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten. Zudem gilt es, die drei Wirtschaftssektoren<br />

unterschiedlich zu gewichten. E<strong>in</strong>e Produktivitätssteigerung im primären Sektor<br />

(Agrarwirtschaft) ist weit weniger wachstumswirksam als e<strong>in</strong>e Erhöhung <strong>der</strong> Produktivität<br />

des sek<strong>und</strong>ären (Industrie) <strong>und</strong> tertiären (Dienstleistung) Wirtschaftssektors.<br />

Auch <strong>in</strong> vielen Entwicklungslän<strong>der</strong>n, wo <strong>der</strong> primäre Sektor quantitativ am grössten ist,<br />

wirkt sich e<strong>in</strong>e Produktivitätssteigerung im primären Sektor langfristig nur mässig auf<br />

das wirtschaftliche Wachstum aus (Berryman, 2000; Dahlman & Aubert; OECD,<br />

2002b; World Bank, 1999a; World Bank, 1999b).<br />

1.3.4.2. Chancengleichheit<br />

Gleichberechtigter Zugang zu <strong>Bildung</strong> kann sich auf den Ausgleich verschiedenster<br />

ungleicher Ausgangsfaktoren beziehen. Diese s<strong>in</strong>d zum Beispiel:<br />

• Geschlecht: Weiblich o<strong>der</strong> männlich<br />

• Abstammung: Mehrheits- o<strong>der</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>heitsbevölkerungsgruppe<br />

• Herkunft: Entwickelte o<strong>der</strong> weniger entwickelte Region<br />

• Ges<strong>und</strong>heit: Ges<strong>und</strong> o<strong>der</strong> nicht ges<strong>und</strong><br />

• F<strong>in</strong>anzielle Mittel: Ger<strong>in</strong>g o<strong>der</strong> ausgiebig<br />

• Familiäre Unterstützung: Gegeben o<strong>der</strong> nicht gegeben<br />

• Lernumfeld: Günstig o<strong>der</strong> ungünstig<br />

• <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten: Unbeschränkt o<strong>der</strong> beschränkt<br />

• Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>und</strong> -material: Gut o<strong>der</strong> mangelhaft<br />

• Physische Erreichbarkeit von <strong>Bildung</strong>sstätten: Gut o<strong>der</strong> schlecht<br />

Weltweite Untersuchungen zeigen, dass grosse Unterschiede im Zugang zu <strong>Bildung</strong><br />

(aufgr<strong>und</strong> sämtlicher aufgeführter Ausgangsfaktoren) bestehen. Beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>s Gewicht<br />

fallen die Faktoren Geschlecht, Abstammung, Herkunft, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> f<strong>in</strong>anzielle<br />

Mittel. Die Unterschiede aufgr<strong>und</strong> des Geschlechts s<strong>in</strong>d deshalb von Bedeutung,<br />

weil das <strong>Bildung</strong>sniveau von Frauen grosse Auswirkungen auf Geburtenrate, Mütter<strong>und</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>sterblichkeit sowie <strong>in</strong>nerfamiliäre <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> hat. Es gibt grosse<br />

regionale Unterschiede betreffend <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>geren E<strong>in</strong>schulungsquoten <strong>der</strong><br />

weiblichen im Vergleich zur männlichen Bevölkerung. In den meisten Entwicklungslän<strong>der</strong>n<br />

ist die E<strong>in</strong>schulungsrate von Mädchen deutlich ger<strong>in</strong>ger als diejenige von<br />

Jungen. Diese Tatsache kann verschiedene Ursachen haben: traditionelle, religiöse


130 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Gründe; gesellschaftliche Rolle <strong>der</strong> Frau; Sicherheitsaspekte; Mangel an geschlechterspezifischem<br />

Unterricht o<strong>der</strong> Geschlecht des Lehrenden; f<strong>in</strong>anzielle E<strong>in</strong>schränkungen;<br />

Opportunitätskosten; Zweifel am Nutzen <strong>der</strong> Ausbildung von Frauen o<strong>der</strong> ungenügende<br />

Qualität des <strong>Bildung</strong>sangebots. Trotz all dieser Gründe, welche Ursache sie<br />

auch immer haben, kann es sich eigentlich ke<strong>in</strong> Land dieser Welt leisten, nicht e<strong>in</strong>e<br />

möglichst hohe Chancengleichheit im Zugang zu <strong>Bildung</strong> anzustreben. Denn nur wenn<br />

<strong>der</strong> Zugang zu <strong>Bildung</strong> für die gesamte Bevölkerung gewährleistet ist, kann sich das<br />

<strong>Bildung</strong>sniveau <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Landes ausgleichen beziehungsweise langfristig erhöhen.<br />

Die Bedeutung e<strong>in</strong>es möglichst hohen <strong>Bildung</strong>sniveaus <strong>der</strong> Bevölkerung für e<strong>in</strong>e<br />

Volkswirtschaft, vor allem im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em funktionierenden Arbeitsmarkt<br />

<strong>und</strong> dem aktuellen sowie zukünftigen nationalen <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalen Wirtschaftswachstum,<br />

wurde <strong>in</strong> den vorangehenden Abschnitten erläutert (vergleiche Teil III<br />

1.3.3.; 1.3.4.1.) (Asian Development Bank, 2002; OECD, 2002a; World Bank, 1999a;<br />

World Bank 1999b).<br />

1.3.4.3. Qualitätssteigerung<br />

«Access is only the beg<strong>in</strong>n<strong>in</strong>g, quality is the key.»<br />

(World Bank, 1999a, S.7).<br />

Internationale Zielsetzungen h<strong>in</strong>sichtlich dem <strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> Weltbevölkerung<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie auf e<strong>in</strong>en möglichst ausnahmslosen Zugang zu <strong>Bildung</strong> für alle<br />

Menschen (Chancengleichheit) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Erhöhung <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Leistungsstandards<br />

ausgerichtet. Entsprechende Bemühungen betreffen vor allem den Zugang zu<br />

<strong>Bildung</strong>. Dies ist zweifellos e<strong>in</strong> wichtiger erster Schritt, wie aus den vorangehenden<br />

Ausführungen hervor geht. Um die heutigen nationalen <strong>und</strong> globalen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

erfolgreich zu meistern, genügt <strong>der</strong> alle<strong>in</strong>ige Zugang zu <strong>Bildung</strong> jedoch nicht<br />

mehr. Es gibt e<strong>in</strong>ige Län<strong>der</strong> von unterschiedlichem Entwicklungsstand, die zwar praktisch<br />

h<strong>und</strong>ertprozentige E<strong>in</strong>schulungsquoten vorweisen <strong>und</strong> trotzdem erstaunlich hohe<br />

Analphabetenraten aufzeigen. Demzufolge ist nicht die Tatsache, dass e<strong>in</strong>e Ausbildung<br />

absolviert wurde, son<strong>der</strong>n die Qualität dieser Ausbildung ausschlaggebend. Von<br />

zentraler Bedeutung ist zudem die frühk<strong>in</strong>dliche Bereitschaft zu lebenslangem Lernen,<br />

<strong>der</strong>en Entwicklung <strong>in</strong> engem Zusammenhang mit <strong>in</strong>nerfamiliärer <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

steht. Sowohl die Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> als auch die Lernbereitschaft <strong>der</strong> Auszubildenden<br />

ist <strong>in</strong> vielen Län<strong>der</strong>n nach wie vor unzureichend. In diesem S<strong>in</strong>ne gilt es,<br />

e<strong>in</strong>e Qualitätssteigerung des <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>und</strong> <strong>der</strong> Lernumgebung zu erwirken.<br />

Qualitativer Schlüsselfaktor <strong>der</strong> Lernumgebung ist <strong>der</strong> Ges<strong>und</strong>heitszustand von Auszubildenden.<br />

E<strong>in</strong>e Qualitätssteigerung <strong>in</strong>nerhalb des <strong>Bildung</strong>ssystems umfasst verschiedene<br />

Bereiche: Erstens die Qualität von Lehr- <strong>und</strong> Lernprozessen, zweitens das<br />

Vermitteln von bestimmten Gr<strong>und</strong>fähigkeiten wie Lesen, Algebra, e<strong>in</strong> gewisses Urteilsvermögen,<br />

soziale Kompetenzen <strong>und</strong> Problemlösungsfähigkeiten, drittens das<br />

Aneignen höherer Fertigkeiten auf oberen <strong>Bildung</strong>sstufen <strong>und</strong> viertens e<strong>in</strong> mo<strong>der</strong>nes<br />

<strong>Bildung</strong>smanagement. Zudem bedarf es e<strong>in</strong>er effizienten <strong>und</strong> effektiven Qualitätskontrolle<br />

sowie e<strong>in</strong>es ebensolchen Managements, um das Ziel e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en Qualitätssteigerung<br />

zu erreichen (Gill, Fluitman & Dar, 2000; World Bank, 1999a).


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 131<br />

1.3.5. Folgerungen<br />

Die behandelten verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gten Interdependenzen zeigen e<strong>in</strong>ige gr<strong>und</strong>legende<br />

Wechselwirkungen von Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen.<br />

So ist e<strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel Voraussetzung für e<strong>in</strong>en erfolgreichen<br />

Transformationsprozess <strong>in</strong> Übergangsgesellschaften, wenn gleich dieser Wandel<br />

meistens unter vielen potentiell schwierigen Umständen sowohl politischer als auch<br />

wirtschaftlicher Natur stattzuf<strong>in</strong>den hat. E<strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel im Rahmen von<br />

Dezentralisierungsbestrebungen e<strong>in</strong>es Landes ist h<strong>in</strong>gegen eher e<strong>in</strong>e Folge dieser<br />

Verän<strong>der</strong>ungsprozesse, wobei auch die Anpassung von <strong>Bildung</strong>ssystemen im Zusammenhang<br />

mit Dezentralisierungsmassnahmen mit potentiellen Schwierigkeiten<br />

verb<strong>und</strong>en ist. Arbeitsmarkt <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel wie<strong>der</strong>um bed<strong>in</strong>gen sich gewissermassen<br />

gegenseitig. Ohne Arbeitsmarkt besteht kaum Anlass für e<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

<strong>und</strong> ohne diesen Wandel kann sich e<strong>in</strong> gut funktionieren<strong>der</strong> Arbeitsmarkt<br />

kaum entwickeln. E<strong>in</strong> gut funktionieren<strong>der</strong> Arbeitsmarkt ist wie<strong>der</strong>um Voraussetzung<br />

für langfristig wirtschaftliches Wachstum. Das bedeutet, e<strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

ist letztendlich auch Voraussetzung für anhaltendes Wirtschaftswachstum.<br />

Die weltweit angestrebte Chancengleichheit ist ebenso wie Qualitätssteigerung Voraussetzung<br />

für Anpassungen von <strong>Bildung</strong>ssystemen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> aufgezeigten verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gten Interdependenzen lassen sich die<br />

nachfolgenden Schlussfolgerungen sowohl system- als auch verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gter<br />

Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen ableiten.<br />

1.4. Schlussfolgerungen<br />

Ist das Ziel e<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem basierend auf den drei Säulen: Bereitstellen von,<br />

Zugang zu <strong>und</strong> Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>, so ergeben sich folgende mögliche Zusammenhänge<br />

zwischen Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem:<br />

Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Übergangsgesellschaft<br />

Teil III: 1.3.1.<br />

<strong>St</strong>aat / Politik<br />

Teil III: 1.2.1.; 1.2.2.1.<br />

V W<br />

V S<br />

F W<br />

F S<br />

Wirtschaft im weiteren S<strong>in</strong>ne<br />

Teil III: 1.2.2.2.<br />

V Ü<br />

E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Teil III: 1.1.<br />

V Q<br />

F D<br />

V C<br />

Qualitätssteigerung<br />

Teil III: 1.3.4.3.<br />

V BA<br />

V AB<br />

V WW<br />

Dezentralisierung<br />

Teil III: 1.3.2.<br />

Chancengleichheit<br />

Teil III: 1.3.4.2.<br />

Arbeitsmarkt<br />

Teil III: 1.3.3.<br />

Wirtschaftswachstum<br />

Teil III: 1.3.4.1.<br />

Abbildung 22: Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem


132 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Abbildung 22 stellt die im ersten Kapitel dieses dritten Teils erarbeiteten Interdependenzen<br />

von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen dar. Diese Hypothesen s<strong>in</strong>d das<br />

Resultat <strong>der</strong> im Rahmen <strong>der</strong> vorliegenden Dissertation behandelten Themenbereiche<br />

<strong>und</strong> werden <strong>in</strong> den folgenden Abschnitten erläutert <strong>und</strong> begründet.<br />

E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem steht im Zentrum von Abbildung 22. Die Zusammenhänge<br />

e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems mit Politik <strong>und</strong> Wirtschaft werden durch Pfeile hervorgehoben.<br />

Das Zusammenwirken von Politik <strong>und</strong> Wirtschaft beziehungsweise <strong>der</strong> aufgeführten<br />

Themenbereiche untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> wird <strong>in</strong> dieser Abbildung ausgeklammert. Die<br />

dargestellten Zusammenhänge e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems mit den e<strong>in</strong>zelnen Themenbereichen<br />

erklären sich anhand folgen<strong>der</strong> Hypothesen (die Hypothesen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong>selben Reihenfolge aufgeführt wie die Abschnitte <strong>in</strong> diesem Kapitel):<br />

V S<br />

: Von <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> Politik gesetzte Rahmenbed<strong>in</strong>gungen (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e öffentliche<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen) s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für die Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

Begründung: Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen decken weltweit über die<br />

Hälfte <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt erfor<strong>der</strong>lichen Mittel für <strong>Bildung</strong>ssysteme. Ohne die<br />

Investitionen <strong>der</strong> öffentlichen Hand ist die Entwicklung e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

nicht realisierbar. Zudem setzen <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> Politik gesetzliche <strong>und</strong><br />

allgeme<strong>in</strong> gültige <strong>Bildung</strong>sstandards fest (vergleiche Teil III: 1.2.1.; 1.2.2.1.).<br />

F S : Politische <strong>und</strong> soziale <strong>St</strong>abilität s<strong>in</strong>d langfristig e<strong>in</strong>e mögliche Folge<br />

e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems, die vor allem für <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> Politik von<br />

grossem Interesse s<strong>in</strong>d<br />

Begründung: Das <strong>Bildung</strong>sniveau e<strong>in</strong>er Bevölkerung ist abhängig<br />

vom zur Verfügung stehenden <strong>Bildung</strong>sangebot als Teil des <strong>Bildung</strong>ssystems.<br />

Politische <strong>und</strong> soziale <strong>St</strong>abilität werden massgeblich vom<br />

<strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> Bevölkerung bee<strong>in</strong>flusst (vergleiche Teil III: 1.2.1.).<br />

V W<br />

: Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen (unter an<strong>der</strong>em von Seiten <strong>der</strong><br />

Wirtschaft) s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für die Entwicklung e<strong>in</strong>es<br />

guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

Begründung: Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e wichtige <strong>und</strong><br />

notwendige Ergänzung zu öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen vor allem weil<br />

sowohl f<strong>in</strong>anzielle als auch materielle nichtstaatliche Beteiligungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel zielgerichteter <strong>und</strong> zweckgeb<strong>und</strong>ener e<strong>in</strong>gesetzt werden (vergleiche<br />

Teil III: 1.2.2.2.)<br />

F W : Qualifizierte potentielle Arbeitskräfte als e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Folgen e<strong>in</strong>es guten<br />

<strong>Bildung</strong>ssystems s<strong>in</strong>d für die Wirtschaft im weiteren S<strong>in</strong>ne von grosser<br />

Bedeutung<br />

Begründung: E<strong>in</strong> hohes Qualifikationsniveau von Arbeitskräften<br />

begünstigt e<strong>in</strong>en gut funktionierenden Arbeitsmarkt <strong>und</strong> damit die<br />

wirtschaftliche Entwicklung e<strong>in</strong>er Volkswirtschaft (vergleiche Teil III:<br />

1.3.3.; 1.3.4.).


Interdependenzen: Theoretische Erkenntnisse 133<br />

V Ü<br />

: E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>e Voraussetzung für e<strong>in</strong>en<br />

erfolgreichen Transformationsprozess <strong>in</strong> Übergangsgesellschaften<br />

Begründung: Um den Verän<strong>der</strong>ungsprozessen <strong>in</strong> Übergangsgesellschaften<br />

gewachsen zu se<strong>in</strong>, bedarf es entsprechen<strong>der</strong> Anpassungen des <strong>Bildung</strong>ssystems,<br />

um e<strong>in</strong> möglichst hohes <strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> betroffenen Menschen<br />

zu erreichen (vergleiche Teil III:1.3.1.).<br />

F D : E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> möglichen Folgen von<br />

Dezentralisierungsmassnahmen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land<br />

Begründung: Dezentralisierungsmassnahmen haben zur Folge, dass<br />

höhere Anfor<strong>der</strong>ungen an <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>und</strong> lokale <strong>Bildung</strong>sbehörden<br />

gestellt werden. Können diese Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllt werden,<br />

hat das positive Auswirkungen auf das <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong>sgesamt (vergleiche<br />

Teil III: 1.3.2.).<br />

V AB<br />

: E<strong>in</strong> vorhandener Arbeitsmarkt ist unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>e Voraussetzung für die<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

Begründung: Ohne Arbeitsmarkt besteht wenig Anreiz für Arbeitskräfte, e<strong>in</strong><br />

höheres Qualifikationsniveau anzustreben beziehungsweise überhaupt zu<br />

erkennen, welcher Bedarf an Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung besteht (vergleiche<br />

Teil III: 1.3.3.).<br />

V BA : E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Voraussetzungen für e<strong>in</strong>en<br />

gut funktionierenden Arbeitsmarkt<br />

Begründung: E<strong>in</strong> gut funktionieren<strong>der</strong> Arbeitsmarkt beruht unter an<strong>der</strong>em auf<br />

<strong>der</strong> aktiven Teilnahme möglichst vieler <strong>und</strong> nachfrageorientierter Arbeitskräfte<br />

(vergleiche Teil III: 1.3.3.).<br />

V WW : E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Voraussetzungen für wirtschaftliches<br />

Wachstum<br />

Begründung: Das wirtschaftliche Wachstumspotential e<strong>in</strong>er Volkswirtschaft<br />

ist vor allem von <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Wettbewerbsfähigkeit, den wirtschaftlichen<br />

Entwicklungsmöglichkeiten, <strong>der</strong> Produktivität <strong>und</strong> damit vom Qualifikationsniveau<br />

<strong>der</strong> Arbeitskräfte abhängig (vergleiche Teil III: 1.3.4.1.).<br />

V C<br />

: Chancengleichheit ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Voraussetzungen für die Entwicklung e<strong>in</strong>es<br />

guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

Begründung: E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem beruht auf Bereitstellen von, Zugang<br />

zu <strong>und</strong> Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> (vergleiche Teil III: 1.1.). Um Chancengleichheit zu<br />

gewähren, hat <strong>der</strong> Zugang zu <strong>Bildung</strong> unabhängig von Geschlecht, Abstammung,<br />

Herkunft, ges<strong>und</strong>heitlicher Verfassung o<strong>der</strong> f<strong>in</strong>anzieller Mittel für alle<br />

gleich zu se<strong>in</strong> (vergleiche Teil III: 1.3.4.2.).


134 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

V Q<br />

: Qualitätssteigerung ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Voraussetzungen für die Entwicklung e<strong>in</strong>es<br />

guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

Begründung: Der alle<strong>in</strong>ige Zugang zu <strong>Bildung</strong> reicht nicht aus, um e<strong>in</strong> gutes<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem zu entwickeln. Die Qualität e<strong>in</strong>er Aus- o<strong>der</strong> Weiterbildung ist<br />

letztendlich entscheidend für das tatsächliche Qualifikationsniveau e<strong>in</strong>es<br />

Absolventen (vergleiche Teil III: 1.3.4.3.).<br />

Basierend auf den bisherigen Ausführungen <strong>in</strong> Teil III <strong>der</strong> vorliegenden Dissertation,<br />

lassen sich diese allgeme<strong>in</strong>en Hypothesen zu den Wechselwirkungen zwischen Politik,<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen aufstellen. Abbildung 22 zeigt e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Voraussetzungen<br />

(V S , V W , V AB , V C , V Q ) bezüglich <strong>der</strong> Entwicklung e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems.<br />

E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem wie<strong>der</strong>um kann sowohl Voraussetzung (V Ü , V BA ,<br />

V WW ) als auch Folge (F S , F W , F D ) wichtiger wirtschaftlicher <strong>und</strong> politischer Entwicklungen<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Die konkrete Bedeutung <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem ersten Kapitel gewonnenen theoretischen Erkenntnisse<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> aufgestellten Hypothesen betreffend möglicher Interdependenzen<br />

von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemen ist Gegenstand des nachfolgenden zweiten<br />

Kapitels zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 135<br />

2. <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Das zweite Kapitel des dritten Teils dieser Dissertation befasst sich mit Interdependenzen<br />

von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Das Erkennen<br />

<strong>und</strong> Analysieren solcher Interdependenzen basiert sowohl auf bisher behandelten<br />

Themen zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a (vergleiche Teil I: 2.; Teil II) als auch wissenschaftlichen,<br />

theoretischen <strong>und</strong> methodischen Gr<strong>und</strong>lagen (vergleiche Teil I: 1.; Teil III: 1.).<br />

Im ersten Abschnitt dieses Kapitels werden als erstes gr<strong>und</strong>legende bildungspolitische<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> anschliessend system- <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

von Politik <strong>und</strong> Pädagogik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a aufgezeigt. Der<br />

zweite Abschnitt behandelt zuerst gr<strong>und</strong>legende wirtschaftliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>und</strong> anschliessend system- <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen von Wirtschaft<br />

<strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.<br />

2.1. Interdependenzen von Politik <strong>und</strong> Pädagogik<br />

Interdependenzen von Politik <strong>und</strong> Pädagogik basieren unter an<strong>der</strong>em auf folgenden<br />

bildungspolitischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen: Zielsetzungen, Verwaltung <strong>und</strong> gesetzlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen sowie die Rolle <strong>der</strong> Kommunistischen Partei Ch<strong>in</strong>as. Aufgr<strong>und</strong><br />

dieser Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>und</strong> den zuvor behandelten Themenbereichen über die<br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a lassen sich anhand <strong>der</strong> im vorangehenden Kapitel gewonnen<br />

theoretischen Erkenntnisse verschiedene system- <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

von Politik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a erkennen.<br />

Aus diesen Erkenntnissen wie<strong>der</strong>um können entsprechende bildungspolitisch relevante<br />

Entwicklungstendenzen abgeleitet werden.<br />

2.1.1. <strong>Bildung</strong>spolitische Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

2.1.1.1. Zielsetzungen<br />

Mit E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Politik <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong> Öffnung nach aussen (vergleiche Teil I:<br />

2.1.2.4.; 2.4.3.2.; 2.4.3.3.) setzt Deng Xiaop<strong>in</strong>g (1904 bis 1997) Ende <strong>der</strong> 70er Jahre<br />

se<strong>in</strong>e Überzeugungen auch im Rahmen <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik durch. Deng sieht den<br />

Schlüssel für die vier Mo<strong>der</strong>nisierungen (Landwirtschaft, Industrie, Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Technologie sowie Armee) <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> Technologie<br />

(vergleiche Teil I: 2.4.1.2.). Laut Deng Xiaop<strong>in</strong>g werden sowohl körperlich als<br />

auch geistig Arbeitende <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialistischen Gesellschaft <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a als<br />

Werktätige anerkannt. Die aktive Beschäftigung mit wissenschaftlichen Problemen<br />

wird gutgeheissen <strong>und</strong> geför<strong>der</strong>t. Als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wichtigsten Faktoren für den Fortschritt<br />

des Landes gilt e<strong>in</strong>e gute Allgeme<strong>in</strong>bildung des gesamten ch<strong>in</strong>esischen Volkes. Alle<br />

s<strong>in</strong>d aufgefor<strong>der</strong>t, die Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>swesens zu unterstützen<br />

(Seitz, 2000; Wohlfahrt, 1992).<br />

Resultat <strong>der</strong> Ende <strong>der</strong> 70er Jahre e<strong>in</strong>geleiteten Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik ist das erklärte<br />

staatspolitische Ziel <strong>der</strong> heutigen <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a: E<strong>in</strong>e sozialistische Demokratie<br />

ch<strong>in</strong>esischer Prägung zu schaffen. In diesem S<strong>in</strong>ne lautet auch die Formulie-


136 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

rung <strong>der</strong> bildungspolitischen Zielsetzung für Ch<strong>in</strong>a: Die Entwicklung e<strong>in</strong>es sozialistischen<br />

<strong>Bildung</strong>ssystems ch<strong>in</strong>esischen Charakters. Dies bedeutet zu Beg<strong>in</strong>n des<br />

21. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie (MOE, 2002; Peng, 2000; «White pages of ...» [Onl<strong>in</strong>e<br />

a], 2002):<br />

• F<strong>und</strong>ierte Verbesserung <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schulbildung,<br />

• Entwicklung <strong>und</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Berufs- <strong>und</strong> Erwachsenenbildung,<br />

• Entwicklung qualitativ hochstehen<strong>der</strong> oberer Mittelschulen <strong>und</strong><br />

• <strong>in</strong>tensive Weiterentwicklung von Hochschul<strong>in</strong>stitutionen.<br />

Um diese Ziele zu erreichen, s<strong>in</strong>d von Seiten des ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>aats entsprechende<br />

<strong>in</strong>stitutionelle <strong>und</strong> rechtliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen geschaffen worden. Das zentrale<br />

bildungspolitische Verwaltungsorgan <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist heute das nationale<br />

M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g, e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> 29 Organe des <strong>St</strong>aatsrats <strong>der</strong><br />

Zentralregierung (vergleiche Teil I: 2.3.1.3.). Die politische Oberaufsicht über die<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik hat <strong>der</strong> <strong>St</strong>ändige Ausschuss des Politbüros im Zentralkomitee <strong>der</strong> KP<br />

Ch<strong>in</strong>as <strong>in</strong>ne <strong>und</strong> ist damit auf höchster Ebene <strong>der</strong> Partei verankert (vergleiche Teil I:<br />

2.3.2.2.) (MOE, 2002; Seitz, 2000).<br />

2.1.1.2. Verwaltung <strong>und</strong> gesetzliche Gr<strong>und</strong>lagen<br />

Die Verwaltung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems ist auf folgenden vier Ebenen<br />

organisiert (MOE, 2002):<br />

M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

An<strong>der</strong>e M<strong>in</strong>isterien<br />

im <strong>St</strong>aatsrat<br />

Nationale<br />

Ebene<br />

<strong>Bildung</strong>skommissionen<br />

<strong>der</strong> <strong>St</strong>adtprov<strong>in</strong>zen<br />

<strong>Bildung</strong>skommissionen<br />

<strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>zen <strong>und</strong><br />

autonomen Regionen<br />

<strong>Bildung</strong>sbehörden<br />

dieser M<strong>in</strong>isterien<br />

Prov<strong>in</strong>z<br />

Ebene<br />

<strong>Bildung</strong>sbehörden<br />

bestimmter Kreise<br />

<strong>Bildung</strong>sbehörden<br />

bestimmter Gebiete<br />

<strong>Bildung</strong>sbehörden<br />

<strong>der</strong> <strong>St</strong>ädte<br />

<strong>Bildung</strong>sbehörden<br />

<strong>der</strong> <strong>St</strong>ädte<br />

<strong>St</strong>adt (Kreis)<br />

Ebene<br />

<strong>Bildung</strong>sbehörden<br />

<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>den<br />

<strong>Bildung</strong>sbehörden<br />

<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>den<br />

Geme<strong>in</strong>de<br />

Ebene<br />

Abbildung 23: Verwaltungsstruktur des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 137<br />

Die Aufgaben des nationalen M<strong>in</strong>isteriums für <strong>Bildung</strong> konzentrieren sich heute auf<br />

die Planung <strong>und</strong> Koord<strong>in</strong>ation von bildungspolitischen Belangen, welche die ganze<br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a betreffen. Der Verantwortungsbereich des M<strong>in</strong>isteriums für <strong>Bildung</strong><br />

(vor 1998 die <strong>St</strong>aatliche <strong>Bildung</strong>skommission) geht im Vergleich zu früher weniger<br />

<strong>in</strong>s Detail <strong>und</strong> überlässt den lokalen Regierungen <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>sbehörden mehr<br />

Autonomie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Führung <strong>und</strong> Kontrolle <strong>der</strong> örtlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen. Es gilt<br />

jedoch zu differenzieren: Für die Hochschulpolitik ist das nationale M<strong>in</strong>isterium für<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g nach wie vor hauptverantwortlich. Das Prüfungswesen <strong>und</strong> das<br />

Ausstellen von Zertifikaten, Abschlusszeugnissen sowie -bestätigungen wird von Beij<strong>in</strong>g<br />

aus koord<strong>in</strong>iert <strong>und</strong> kontrolliert. Auch das gr<strong>und</strong>legende Schulmaterial ist immer<br />

noch <strong>in</strong> fast ganz Ch<strong>in</strong>a identisch <strong>und</strong> wird vom nationalen M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> zur<br />

Verfügung gestellt. Gewisse Aufgaben auf Hochschulstufe können von den <strong>Bildung</strong>skommissionen<br />

auf Prov<strong>in</strong>zebene übernommen werden. Für die Verwaltung <strong>und</strong><br />

Organisation von K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschulen s<strong>in</strong>d die lokalen Behörden<br />

<strong>in</strong> den <strong>St</strong>ädten (Kreisen) <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>den zuständig. Zwar müssen die lokalen Behörden<br />

den allgeme<strong>in</strong>en Richtl<strong>in</strong>ien des nationalen M<strong>in</strong>isteriums für <strong>Bildung</strong> folgen, ansonsten<br />

s<strong>in</strong>d sie jedoch relativ frei <strong>in</strong> ihrem Handeln. Vor allem <strong>in</strong> Shanghai hat die<br />

lokale Regierung von dieser «Freiheit» Gebrauch gemacht <strong>und</strong> viele Verän<strong>der</strong>ungen<br />

im <strong>Bildung</strong>swesen <strong>der</strong> <strong>St</strong>adtprov<strong>in</strong>z bewirkt. Das heisst konkret, die <strong>Bildung</strong>skommission<br />

<strong>der</strong> <strong>St</strong>adtprov<strong>in</strong>z Shanghai ist zwar direkt dem M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g<br />

unterstellt <strong>und</strong> erstattet sowohl demselben als auch <strong>der</strong> lokalen Regierung von<br />

Shanghai Bericht. Die Mitarbeitenden <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>skommission von Shanghai werden<br />

von Beij<strong>in</strong>g aus, das <strong>Bildung</strong>sbudget h<strong>in</strong>gegen von <strong>der</strong> lokalen Regierung bestimmt.<br />

S<strong>in</strong>d sich das M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g <strong>und</strong> die lokale Regierung <strong>in</strong> Shanghai<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bildungsrelevanten Angelegenheit nicht e<strong>in</strong>ig, folgt die <strong>Bildung</strong>skommission <strong>in</strong><br />

Shanghai heute <strong>der</strong> Regierung <strong>in</strong> Shanghai, was vom <strong>Bildung</strong>sm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g<br />

geduldet wird. Die <strong>Bildung</strong>sbehörden an<strong>der</strong>er M<strong>in</strong>isterien s<strong>in</strong>d für die <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

ihrer M<strong>in</strong>isterien zuständig, unterstehen letztendlich aber auch dem M<strong>in</strong>isterium<br />

für <strong>Bildung</strong>. In <strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>sbehörden an<strong>der</strong>er M<strong>in</strong>isterien stehen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel berufsbildende Institutionen <strong>und</strong> m<strong>in</strong>isterien<strong>in</strong>terne <strong>Universität</strong>en<br />

(Chiligiris, Interview, 1999; Du, Song & Wang, Besichtigungen, 1999; Ma, Gespräche,<br />

1999; MOE, 2002; Peng, 2000; Su, 1991; <strong>St</strong>arr, 2001).<br />

Das konstitutionelle Recht auf <strong>Bildung</strong> wird <strong>in</strong> den folgenden vom Nationalen<br />

Volkskongress <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a formell genehmigten gesetzlichen Erlassen<br />

konkretisiert (MOE, 2002):<br />

• <strong>Bildung</strong>sgesetz <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Gesetz über die Schulpflicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Hochschulbildungsgesetz <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Berufsbildungsgesetz <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Lehrerbildungsgesetz <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Verordnung über akademische Abschlussexamen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Gesetz zum Schutz von Jugendlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Gesetz zur Prävention krim<strong>in</strong>eller Verstösse Jugendlicher <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a


138 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Diese gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen be<strong>in</strong>halten das gr<strong>und</strong>sätzliche Recht auf <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong><br />

die Freiheit, wissenschaftlich zu forschen, literarische <strong>und</strong> künstlerische Kreativität zu<br />

verwirklichen sowie weitere kulturelle Interessen zu verfolgen. In Ergänzung zum Nationalen<br />

Volkskongress hat auch <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatsrat verschiedene Regulierungen im Bereich<br />

<strong>Bildung</strong> formuliert. Dazu gehören die Regulierungen über (MOE, 2002):<br />

• Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenbildung<br />

• Belohnung hervorragen<strong>der</strong> Leistungen von Lehrkräften<br />

• Qualifikation von Lehrkräften<br />

• Führung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten<br />

• Nichtstaatliche <strong>und</strong> private <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

Neben diesen für ganz Ch<strong>in</strong>a geltenden gesetzlichen Bestimmungen steht es den für<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> zuständigen lokalen Behörden <strong>in</strong> den Prov<strong>in</strong>zen zu, zusätzliche,<br />

den örtlichen Bed<strong>in</strong>gungen entsprechende Regulierungen aufzustellen. Doch<br />

das Verabschieden gesetzlicher Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Regulierungen ist das E<strong>in</strong>e, <strong>der</strong><br />

Vollzug <strong>und</strong> das Überwachen des korrekten Vollzugs das An<strong>der</strong>e. Die zentrale Regierung<br />

Ch<strong>in</strong>as bemüht sich zwar, nach Verabschieden gesetzlicher Erlasse <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g,<br />

diese <strong>in</strong> den Prov<strong>in</strong>zen bekannt zu machen, damit sie gelesen, verstanden <strong>und</strong> umgesetzt<br />

werden. Doch die Realität sieht oftmals an<strong>der</strong>s aus (MOE, 2002).<br />

2.1.1.3. Rolle <strong>der</strong> Partei<br />

Die Kommunistische Partei Ch<strong>in</strong>as (KP Ch<strong>in</strong>as) ist im <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>swesen<br />

so allgegenwärtig wie im normalen Alltagsleben <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. In gewisser<br />

H<strong>in</strong>sicht ist die E<strong>in</strong>flussnahme <strong>der</strong> Partei offensichtlich <strong>und</strong> erkennbar. In manchen<br />

Bereichen lässt sich das Unterwan<strong>der</strong>n von Seiten <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as nur <strong>in</strong> Ansätzen vermuten<br />

o<strong>der</strong> erahnen. Aus den <strong>in</strong> Teil II exemplarisch aufgeführten Curricula verschiedenster<br />

Schulstufen des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems (vergleiche Teil II: 1.2.; 1.3.;<br />

Tabellen 12, 14, 16, 22, 23, 24, 26) ist ersichtlich, dass <strong>in</strong> je<strong>der</strong> Schule, <strong>in</strong> jedem Lehrgang<br />

<strong>und</strong> Ausbildungsweg e<strong>in</strong> Fach im Zusammenhang mit «Ideologie» gelehrt wird.<br />

Dieses Fach kann «Ideologische Morallehre», «Ideologische Politiklehre», «Ideologie<br />

<strong>und</strong> Politik», «Politik», «Berufsethik <strong>und</strong> -moral» o<strong>der</strong> ähnliche Bezeichnungen haben.<br />

Es handelt sich jedoch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel um die gleichen Inhalte. Die Themenbereiche <strong>und</strong><br />

Gewichtung dieses Unterrichtfachs werden von <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as entworfen <strong>und</strong> das<br />

Schulmaterial von <strong>der</strong>selben zur Verfügung gestellt. Ziel dieses Fachs, nennen wir es<br />

allgeme<strong>in</strong> «Ideologielehre», ist das Vermitteln <strong>der</strong> ideologischen <strong>und</strong> politischen Werte<br />

<strong>der</strong> Zentralregierung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a, sprich <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as (vergleiche Teil<br />

I: 2.3.2.1.). Diese Werte haben sich im Verlauf <strong>der</strong> Zeit verän<strong>der</strong>t. Während früher fast<br />

ausschliesslich Marxismus-Len<strong>in</strong>ismus, Mao-Zedong-Ideen <strong>und</strong> Deng-Xiaop<strong>in</strong>g-<br />

Theorie gelehrt wurde, ist das Spektrum <strong>der</strong> heute vermittelten Werte weitreichen<strong>der</strong>.<br />

Schulmaterialien <strong>und</strong> Dokumente zeigen, dass <strong>in</strong> «Ideologielehre» zu Beg<strong>in</strong>n des 21.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts e<strong>in</strong> etwas freieres Denken erlaubt ist. Die Bedeutung von Ges<strong>und</strong>heit,<br />

psychisch <strong>und</strong> physisch, <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> eigenen Persönlichkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen werden thematisiert <strong>und</strong> ansatzweise diskutiert.


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 139<br />

Zudem wird Rechtslehre unterrichtet, was nicht nur für die Entwicklung <strong>der</strong> Marktwirtschaft<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a bedeutend ist (Bray & Lee, 2001; Kunga, Gespräche, 2001; Lee,<br />

2001).<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne sei an dieser <strong>St</strong>elle das von Kunga Rimpoche gezeichnete Bild von<br />

Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschülern im tibetischen Hochland, die sowohl <strong>in</strong> ihrer eigenen als<br />

auch <strong>in</strong> ch<strong>in</strong>esischer Sprache, Kultur, Geschichte <strong>und</strong> Politik unterrichtet werden,<br />

wie<strong>der</strong>gegeben (14. April 2001):<br />

«We try to make the birds fly ...».<br />

Doch die Rolle <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as im Zusammenhang mit <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> erschöpft<br />

sich nicht im Fach «Ideologielehre». Wie aus Teil II ersichtlich wird, gibt es im<br />

ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystem verschiedene Hürden <strong>in</strong> Form von stark selektiven Prüfungen<br />

zu überw<strong>in</strong>den. Werden die gestellten Anfor<strong>der</strong>ungen nicht erfüllt o<strong>der</strong> die<br />

Prüfungen nicht bestanden, gibt es <strong>in</strong> den meisten Fällen an<strong>der</strong>e Möglichkeiten, trotzdem<br />

ans Ziel zu gelangen, wie zum Beispiel, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bestimmte Schule aufgenommen<br />

zu werden. Es ist zu vermuten, dass <strong>in</strong> vielen Situationen des E<strong>in</strong>tritts o<strong>der</strong> Übertritts<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schule die Mitgliedschaft <strong>und</strong> die <strong>St</strong>ellung (<strong>der</strong> Eltern, Verwandten o<strong>der</strong> Bekannten)<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Partei von ausschlaggeben<strong>der</strong> Bedeutung s<strong>in</strong>d. Korruption <strong>und</strong> Vetternwirtschaft<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> KP Ch<strong>in</strong>as betreffen nicht zuletzt auch <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a (Bauer, 1995; Henze, 1982; Hua, Gespräch, 1999;<br />

Wang, Gespräche, 1995-2001).<br />

2.1.2. Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Systembed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 2.1.2.<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Politik<br />

Wirtschaft<br />

Abbildung 24: Teil III: 2.1.2. <strong>der</strong> Dissertation: Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen von<br />

Politik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Mögliche wechselseitige Abhängigkeiten zwischen dem politischen System <strong>und</strong> dem<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d Gegenstand <strong>der</strong> nachfolgenden Abschnitte.<br />

Es handelt sich hierbei um e<strong>in</strong>e Auswahl bestimmter systembed<strong>in</strong>gter Interdependenzen.<br />

Diese s<strong>in</strong>d:<br />

• <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

• Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen


140 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.1.2.1. <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Seit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a im Jahr 1949 ist das <strong>Bildung</strong>ssystem für<br />

den ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>aat immer von zentraler Bedeutung gewesen. <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

spielte früher, spielt heute <strong>und</strong> wird auch <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong>e Schlüsselrolle <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Politik <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Zentralregierung, das heisst <strong>der</strong> Kommunistischen Partei<br />

Ch<strong>in</strong>as (KP Ch<strong>in</strong>as) spielen. In den 50er <strong>und</strong> zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 60er Jahre versuchte die<br />

neue ch<strong>in</strong>esische Führung, <strong>in</strong> Anlehnung an die damalige Sowjetunion, e<strong>in</strong> kommunistisches<br />

<strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystem zu schaffen. Mitte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

bestand das Hauptziel dar<strong>in</strong>, das Analphabetentum zu verr<strong>in</strong>gern. Während <strong>der</strong> Kulturrevolution<br />

(1966 bis 1976) wurde «alles» zerstört, um neu anzufangen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e spezifisch<br />

ch<strong>in</strong>esisch sozialistische Lösung auch im Zusammenhang mit <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

zu f<strong>in</strong>den. Mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik Ende <strong>der</strong> 70er<br />

Jahre hat schliesslich <strong>der</strong> Aufbau e<strong>in</strong>es sozialistischen <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystems<br />

ch<strong>in</strong>esischer Prägung begonnen. Die Hypothek aus <strong>der</strong> Vergangenheit ist<br />

jedoch gross <strong>und</strong> <strong>der</strong> Weg, dieses Ziel zu erreichen, ist lang.<br />

Wie <strong>in</strong> den meisten Län<strong>der</strong>n dieser Welt bee<strong>in</strong>flusst <strong>der</strong> <strong>St</strong>aat das <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a nach wie vor massgeblich. Die erzielten Fortschritte<br />

betreffend <strong>der</strong> landesweiten Alphabetisierung <strong>der</strong> Bevölkerung gehören wie <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong>n zu den wichtigsten Beiträgen des ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>aats zur Verbesserung des<br />

allgeme<strong>in</strong>en Lebensstandards (vergleiche Teil II: 1.). In <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a übernimmt<br />

<strong>der</strong> <strong>St</strong>aat gr<strong>und</strong>sätzlich die Rolle e<strong>in</strong>er <strong>St</strong>euerungs- <strong>und</strong> Kontroll<strong>in</strong>stanz im<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem. E<strong>in</strong>e Entwicklung <strong>in</strong> Richtung Überwachungs<strong>in</strong>stanz zeichnet sich<br />

höchstens auf tertiärer <strong>Bildung</strong>sstufe ab. Denn die bildungspolitischen Zielsetzungen<br />

beziehen sich im Allgeme<strong>in</strong>en mehr auf quantitative <strong>und</strong> qualitative, das heisst <strong>in</strong>haltliche<br />

Aspekte, als auf e<strong>in</strong>e allfällige Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Rolle des <strong>St</strong>aats <strong>und</strong> damit <strong>der</strong><br />

KP Ch<strong>in</strong>as im <strong>Bildung</strong>ssystem. Obwohl <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Partei e<strong>in</strong> gewisser Richtungswandel<br />

erkennbar ist. So versucht die Partei beispielsweise das <strong>Bildung</strong>sniveau<br />

ihrer oberen Ka<strong>der</strong> zu erhöhen <strong>und</strong> vermehrt gebildete Nachwuchspolitiker zu rekrutieren.<br />

Das heisst, es wird versucht, die allgeme<strong>in</strong>e Anerkennung von Intellektuellen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a graduell zu verbessern. Diese parteipolitischen Bemühungen<br />

könnten langfristig durchaus Auswirkungen auf e<strong>in</strong>e mögliche Entwicklung <strong>der</strong> heutigen<br />

Hauptrolle des ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>aats als <strong>St</strong>euerungs- <strong>und</strong> Kontroll<strong>in</strong>stanz <strong>in</strong> Richtung<br />

vermehrter Überwachungsfunktion haben. Die Schlüsselfrage lautet letztendlich<br />

jedoch auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a, wo die öffentliche Hand ihre Prioritäten setzt.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich gehört es zu den zentralen Aufgaben des <strong>St</strong>aats, <strong>St</strong>rategien zu entwikkeln,<br />

um e<strong>in</strong> s<strong>in</strong>nvolles <strong>und</strong> effektives <strong>Bildung</strong>sangebot sicherzustellen. Doch die Zuständigkeit<br />

hierfür liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a bei verschiedenen staatlichen Behörden,<br />

so dass ke<strong>in</strong> M<strong>in</strong>isterium, auch nicht das M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong>, e<strong>in</strong>e wirkliche<br />

Führungsrolle übernimmt, was e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> zentralen Schwierigkeiten für die zukünftige<br />

Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems ist (Asian Development Bank,<br />

2002; MOE, 2002; SEC, 1996; CPC, 1994; SEC, 1993; Tsang, 2000)


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 141<br />

2.1.2.2. Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

Das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>sgesetz hält fest, dass <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a sowohl vom <strong>St</strong>aat als auch aus weiteren Kapitalquellen zu f<strong>in</strong>anzieren<br />

seien, wobei die staatliche F<strong>in</strong>anzierung den Hauptanteil übernimmt. Die staatliche<br />

F<strong>in</strong>anzierung wird <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>erseits von <strong>der</strong> Zentralregierung <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits<br />

von den lokalen Regierungen <strong>in</strong> den 31 übrigen Verwaltungse<strong>in</strong>heiten getragen.<br />

Die <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>der</strong> Zentralregierung kommen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie den Verantwortungsbereichen<br />

<strong>der</strong>selben zugute, das heisst, sie fliessen vor allem <strong>in</strong> den Bereich <strong>der</strong><br />

Hochschulstufe. Vorschulerziehung, Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschulen sowie diejenigen Bereiche<br />

<strong>der</strong> Hochschulstufe, für welche die Zentralregierung nicht zuständig ist, werden<br />

von öffentlichen Mitteln <strong>der</strong> lokalen Regierungen getragen. Der Bedarf an <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

auf Prov<strong>in</strong>zebene wird neben den staatlichen Beiträgen <strong>der</strong> Zentralregierung<br />

durch zusätzliche <strong>St</strong>euern, Schulgel<strong>der</strong> <strong>und</strong> Gebühren sowie freiwillige Abgaben<br />

<strong>und</strong> Spenden gedeckt. Seit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik s<strong>in</strong>d die<br />

öffentlichen Ausgaben für <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a kont<strong>in</strong>uierlich<br />

angestiegen. Obwohl die totalen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen im Jahr 2000 das Fünffache<br />

im Vergleich zum Jahr 1991 betragen, ist <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong>selben am öffentlichen<br />

Haushalt <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a immer noch sehr ger<strong>in</strong>g, wie die folgende Aufstellung zeigt («Ch<strong>in</strong>ese<br />

Education Development» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Gross Domestic Product» [Onl<strong>in</strong>e], 2002;<br />

MOE, 2002; «Source of Educational ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; World Bank, 1999b):<br />

(*<strong>in</strong> Milliarden Yuan)<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Tendenz<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen Total*: 73,25 86,71 105,99 148,88 187,80 226,23 253,17 292,91 334,90 384,91<br />

Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen*: 61,78 72,88 86,78 117,47 141,15 167,17 186,25 203,25 228,72 256,26<br />

Anteil öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

<strong>in</strong> Prozenten am Total<br />

Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>in</strong><br />

Prozenten des BIP<br />

84,46 84,05 81,88 78,90 75,16 73,89 73,57 69,39 68,30 66,58<br />

2,86 2,74 2,51 2,51 2,41 2,46 2,50 2,59 2,79 2,87<br />

Tabelle 34: Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

von 1991 bis 2000<br />

Die Zahlen <strong>in</strong> Tabelle 34 zeigen e<strong>in</strong>e stetige Zunahme <strong>der</strong> gesamten <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

(1. Zeile) seit 1991. Auch <strong>der</strong> Anteil öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen (2. Zeile)<br />

hat seit 1991 stetig zugenommen. Betrachtet man das Verhältnis <strong>der</strong> öffentlichen<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen zu den totalen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen (3. Zeile), so zeigt sich e<strong>in</strong><br />

Rückgang des staatlichen Anteils. Das Verhältnis des Anteils öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

zum Brutto<strong>in</strong>landprodukt (BIP) (4. Zeile) bewegt sich seit den 90er Jahren<br />

zwischen zwei <strong>und</strong> drei Prozent. Die ch<strong>in</strong>esische Zentralregierung setzte sich 1992<br />

das Ziel, bis im Jahr 2000 vier Prozent des BIP <strong>in</strong>s <strong>Bildung</strong>swesen zu <strong>in</strong>vestieren.<br />

Nachdem dieses Ziel im Jahr 2000 nicht erreicht worden ist, gilt die Vier-Prozentmarke<br />

immer noch als langfristig zu erreichendes Ziel. Im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich ist <strong>der</strong><br />

Anteil öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen am BIP <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a sehr ger<strong>in</strong>g<br />

(vergleiche Teil III: 1.2.3.). Die bescheidenen öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen des<br />

ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>aats s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> grossen Schwachstellen des <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. E<strong>in</strong>e Erhöhung <strong>der</strong> öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen ist von<br />

enormer Wichtigkeit für die zukünftige Entwicklung des Landes. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> langjäh-


142 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

rig bescheidenen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen gilt es, verschiedenste Defizite zu decken. Vor<br />

allem aufgr<strong>und</strong> zukünftiger wirtschaftlicher Herausfor<strong>der</strong>ungen, wie beispielsweise<br />

anhaltendes nationales Wachstum <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale Wettbewerbsfähigkeit, s<strong>in</strong>d höhere<br />

staatliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen unerlässlich. Zusätzlicher Druck entsteht von<br />

Seiten <strong>der</strong> lokalen ch<strong>in</strong>esischen Regierungen. Diese werben um mehr öffentliche<br />

Mittel für <strong>Bildung</strong> von <strong>der</strong> Zentralregierung, weil sie für den grössten Teil <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

selbst verantwortlich s<strong>in</strong>d. Ungefähr 50 Prozent <strong>der</strong> gesamten<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen werden für die Umsetzung <strong>der</strong> neunjährigen Schulpflicht, für<br />

welche die lokalen Behörden zuständig s<strong>in</strong>d, verwendet. Doch <strong>in</strong> vielen Regionen<br />

kann <strong>der</strong> f<strong>in</strong>anzielle Bedarf für <strong>Bildung</strong> nicht mit öffentlichen Mitteln gedeckt werden.<br />

Deshalb s<strong>in</strong>d nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a von<br />

zunehmen<strong>der</strong> Bedeutung (vergleiche Teil III: 2.2.2.2.) (Bauer, 1995; L. Chen, Interview,<br />

1999; J. Li, Interview, 1999; MOE, 2002; Peng, 2000; SEC, 1996; CPC, 1994;<br />

SEC, 1993; World Bank 1999b).<br />

2.1.3. Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Systembed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 2.1.2.<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 2.1.3.<br />

Politik<br />

Wirtschaft<br />

Abbildung 25: Teil III: 2.1.3. <strong>der</strong> Dissertation: Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

von Politik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Mögliche gegenseitige Auswirkungen von Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

s<strong>in</strong>d Gegenstand <strong>der</strong> nachfolgenden Ausführungen. Die verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gten<br />

Interdependenzen von Politik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem beschränken sich auf Dezentralisierung,<br />

Öffnungspolitik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.<br />

Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen von Übergangsgesellschaften, Arbeitsmarkt,<br />

Wirtschaftswachstum, Chancengleichheit, Qualitätssteigerung <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

gilt es sowohl aus politischer als auch aus wirtschaftlicher Perspektive zu betrachten<br />

(vergleiche Teil III: 1.3.1., 1.3.3., 1.3.4.). In diesem S<strong>in</strong>ne behandelt <strong>der</strong> Abschnitt<br />

verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen von Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik<br />

diese Themenbereiche (vergleiche Teil III: 2.2.3.).<br />

2.1.3.1. Dezentralisierung <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik hat die ch<strong>in</strong>esische Zentralregierung<br />

seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 80er Jahre Dezentralisierungsmassnahmen <strong>in</strong> gewissen<br />

Bereichen des <strong>Bildung</strong>ssystems getroffen. Auf tertiärer <strong>Bildung</strong>sstufe können höhere<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen heute ihre strategischen Zielsetzungen m<strong>in</strong>destens teilweise


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 143<br />

relativ unabhängig entwickeln, als s<strong>in</strong>nvoll erachtete akademische Schwerpunkte<br />

selbst def<strong>in</strong>ieren <strong>und</strong> mehr Verantwortung für ihr F<strong>in</strong>anzmanagement übernehmen.<br />

Die Zentralregierung verfügt h<strong>in</strong>gegen nach wie vor über die Zuteilung öffentlicher<br />

Mittel, die Zulassungsbestimmungen für <strong>St</strong>udierende, das E<strong>in</strong>stellen von Lehrenden<br />

<strong>und</strong> Mitarbeitenden <strong>und</strong> entscheidet h<strong>in</strong>sichtlich neuer akademischer Programme.<br />

Diese Aufteilung <strong>der</strong> Zuständigkeiten zwischen Zentralregierung <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

br<strong>in</strong>gt verschiedene Probleme mit sich. So entscheiden die zentralen <strong>Bildung</strong>sbehörden<br />

bei je<strong>der</strong> höheren <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitution e<strong>in</strong>zeln, welche <strong>der</strong> genannten Kompetenzen<br />

eigenständig wahrgenommen werden können. Diese Entscheidungen <strong>der</strong><br />

Zentralregierung resultieren nicht selten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ungleichen Behandlung e<strong>in</strong>erseits im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Beurteilung, ob <strong>und</strong> welche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitution wie viel Eigenverantwortung<br />

übernehmen kann <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits <strong>in</strong> <strong>der</strong> sehr unterschiedlichen Dauer bis zum<br />

Entscheid <strong>der</strong> Zentralregierung. Geht es bei den Dezentralisierungsmassnahmen auf<br />

tertiärer <strong>Bildung</strong>sstufe <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um die Zuteilung von Verantwortlichkeiten, so<br />

bestehen auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schulstufe wesentliche Unterschiede im Zusammenhang mit<br />

den zur Verfügung stehenden f<strong>in</strong>anziellen Mitteln. Da <strong>der</strong> grösste Anteil lokaler öffentlicher<br />

Mittel für <strong>Bildung</strong> auf Gr<strong>und</strong>schulstufe e<strong>in</strong>gesetzt wird, bestehen hier grosse<br />

regionale Unterschiede (vergleiche Teil III: 2.1.2.2.). Es stellt sich deshalb die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Frage, welche Dezentralisierungsmassnahmen für welche <strong>Bildung</strong>sstufen<br />

s<strong>in</strong>nvoll s<strong>in</strong>d. Das Ziel, die neunjährige Schulpflicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

sowohl quantitativ (gemessen an den E<strong>in</strong>schulungs- <strong>und</strong> Absolventenquoten) als auch<br />

qualitativ (gemessen am Qualifikationsniveau <strong>der</strong> Absolventen) umzusetzen, kann<br />

schwerlich erreicht werden, wenn bereits h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong> zur Verfügung stehenden<br />

f<strong>in</strong>anziellen Mittel sehr grosse regionale Unterschiede bestehen (vergleiche Teil II:<br />

1.2.1.) (Asian Development Bank, 2002; Tsang, 2000; World Bank, 1997; World Bank,<br />

1999b).<br />

Die im Rahmen verschiedener <strong>St</strong>udien <strong>der</strong> OECD festgestellten potentiellen Schwierigkeiten<br />

im Zusammenhang mit Dezentralisierungsmassnahmen <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

treffen auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a teilweise zu (World Bank,<br />

1999b):<br />

• Vor allem auf tertiärer <strong>Bildung</strong>sstufe gibt es gr<strong>und</strong>legende Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen<br />

betreffend <strong>der</strong> Zuteilung bildungsrelevanter Verantwortlichkeiten auf nationaler <strong>und</strong><br />

regionaler Ebene<br />

• Das konkrete Umsetzen von Dezentralisierungsmassnahmen im ch<strong>in</strong>esischen<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem deckt sich <strong>in</strong>sofern nicht mit den Zielsetzungen <strong>und</strong> gehegten<br />

Erwartungen als sich regionale Unterschiede vor allem betreffend <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung<br />

von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> auf Gr<strong>und</strong>schulstufe verschärfen<br />

Diese Risikopotentiale gilt es bei <strong>der</strong> zukünftigen Entwicklung des <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu beachten.


144 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.1.3.2. Öffnungspolitik <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

Kapitel VIII des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>sgesetzes ist die gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage für den<br />

Internationalen Austausch <strong>und</strong> die Zusammenarbeit im Bereich <strong>Bildung</strong>. Im ersten<br />

Artikel dieses Kapitels heisst es («Educational Law of ...», 1995, p.28):<br />

Article 67 «The <strong>St</strong>ate encourages <strong>in</strong>ternational exchange<br />

and co-operation <strong>in</strong> education».<br />

Für viele ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>udierende ist es <strong>der</strong> grösste Wunsch, <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten<br />

<strong>St</strong>aaten von Amerika ihr <strong>St</strong>udium zu absolvieren o<strong>der</strong> fortzusetzen. Dies ist unter<br />

an<strong>der</strong>em auf den hohen <strong>St</strong>ellenwert amerikanischer <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>der</strong> tertiären<br />

<strong>St</strong>ufe, auf die zahlreichen Möglichkeiten <strong>in</strong> Amerika <strong>und</strong> auf die englische Sprache (die<br />

Sprache <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Wirtschaft) zurückzuführen. Die mit dem grossen Wunsch<br />

ch<strong>in</strong>esischer <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> <strong>in</strong>s Ausland zu gelangen verb<strong>und</strong>ene Folgeproblematik wird<br />

im nachfolgenden Abschnitt Teil III: 2.1.4. behandelt (Gao, Gespräche, 1999-2001;<br />

<strong>St</strong>rassmair, Interview, 1999; Wang, Gespräche, 1995-2001).<br />

An den amerikanischen Bus<strong>in</strong>ess Schools <strong>der</strong> folgenden <strong>Universität</strong>en studiert <strong>der</strong><br />

grösste Teil ch<strong>in</strong>esischer Auslandstudieren<strong>der</strong> («Wall <strong>St</strong>reet Recruiters ...», 1997):<br />

Bus<strong>in</strong>ess School<br />

<strong>St</strong>udienjahr Anteil asiatischer <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong><br />

Case Western Reserve University 1. Jahr 18 %<br />

2. Jahr 18 %<br />

Yale School of Management<br />

1. Jahr 18 %<br />

(IVY League School) 2. Jahr 14 %<br />

<strong>St</strong>anford University Graduate 1. Jahr 12,7 %<br />

School of Bus<strong>in</strong>ess 2. Jahr 13,1 %<br />

MIT Sloan School of Management 1. Jahr 7,4 %<br />

(Graduate School) 2. Jahr 9,1 %<br />

Rochester Simon Graduate School 1. Jahr 8 %<br />

of Bus<strong>in</strong>ess Adm<strong>in</strong>istration 2. Jahr 9 %<br />

Tabelle 35: Asiatische <strong>St</strong>udierende an amerikanischen Bus<strong>in</strong>ess Schools<br />

Die sieben IVY League Bus<strong>in</strong>ess Schools (Columbia, Cornell, Dartmouth, Harvard,<br />

Pr<strong>in</strong>ceton, Wharton <strong>und</strong> Yale) verzeichnen nicht die höchsten Anteile an ch<strong>in</strong>esischen<br />

Auslandstudierenden. Es s<strong>in</strong>d vor allem kle<strong>in</strong>e, weniger bekannte Bus<strong>in</strong>ess Schools,<br />

die für <strong>St</strong>udierende aus <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a attraktiv s<strong>in</strong>d. Dies hat e<strong>in</strong>erseits mit<br />

<strong>der</strong> Kont<strong>in</strong>gentierung <strong>der</strong> Zulassung e<strong>in</strong>zelner Nationalitäten <strong>und</strong> <strong>der</strong> restriktiven Zusprache<br />

von <strong>St</strong>ipendien an den IVY League Bus<strong>in</strong>ess Schools zu tun <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits<br />

mit den ger<strong>in</strong>geren f<strong>in</strong>anziellen Aufwendungen für das <strong>St</strong>udium an weniger<br />

renommierten Bus<strong>in</strong>ess Schools. An amerikanischen <strong>Universität</strong>en (nicht Bus<strong>in</strong>ess<br />

Schools) studieren sowohl im ersten als auch im zweiten <strong>St</strong>udienjahr durchschnittlich<br />

7,5 Prozent Asiaten. Ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>aatsangehörige an amerikanischen <strong>Universität</strong>en<br />

gehören zur fünftgrössten Gruppe <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> aus dem Ausland. Machten ch<strong>in</strong>esische<br />

<strong>St</strong>aatsangehörige vor wenigen Jahren noch e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> grössten Gruppen ausländischer<br />

<strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> aus, so belegen sie heute e<strong>in</strong>deutig Platz e<strong>in</strong>s an amerikanischen<br />

<strong>Universität</strong>en (<strong>St</strong>arr, 2001; «Wall <strong>St</strong>reet Recruiters ...», 1997).


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 145<br />

2.1.4. Entwicklungstendenzen<br />

Das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystem hat seit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a im Jahr 1949 verschiedene Entwicklungsphasen durchlaufen. Es stellt<br />

sich die Frage, wie die Ausgangslage für die zukünftige Entwicklung von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts aussieht, <strong>und</strong><br />

welche Entwicklungstendenzen sich betreffend Interdependenzen von Politik <strong>und</strong><br />

<strong>Bildung</strong>ssystem erkennen lassen.<br />

Die E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik hat die jüngste Entwicklung des <strong>Bildung</strong>s-<br />

<strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>swesens <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> verschiedenster H<strong>in</strong>sicht<br />

bee<strong>in</strong>flusst. Das Inkraftsetzen des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>sgesetzes im Jahr 1996 ist nur<br />

e<strong>in</strong>e, aber e<strong>in</strong>e wichtige Folge dieser Politik. Die 84 Artikel des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>sgesetzes<br />

legen den Rahmen für die Entwicklung des <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a fest. Zahlreiche weitere Gesetze <strong>und</strong> Regulierungen ergänzen<br />

das gr<strong>und</strong>legende <strong>Bildung</strong>sgesetz. Doch mit dem Verabschieden gesetzlicher Gr<strong>und</strong>lagen<br />

<strong>und</strong> Regulierungen ist es nicht getan; das Überwachen des korrekten Vollzugs<br />

ist die grössere Herausfor<strong>der</strong>ung. Die zentrale Regierung <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g ist darum bemüht,<br />

nach Verabschieden gesetzlicher Erlasse, diese <strong>in</strong> den Prov<strong>in</strong>zen bekannt zu machen,<br />

doch es fehlt trotzdem vielen lokalen Behörden <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen an ausreichenden<br />

Kenntnissen <strong>und</strong> Verständnis <strong>der</strong> gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen. Das heisst, <strong>der</strong><br />

Vollzug gesetzlicher Erlasse ist heute <strong>in</strong> vielen Bereichen <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a noch unzureichend. Dies mag e<strong>in</strong>erseits mit den teilweise kaum vorhandenen<br />

Mitteln zur Umsetzung des Vorgeschriebenen zu tun haben. An<strong>der</strong>seits ist die<br />

zentrale Regierung, <strong>und</strong> damit auch das M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g, für viele<br />

lokale Behörden <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen viel zu weit weg, als dass e<strong>in</strong>e wirkliche<br />

Kontrolle o<strong>der</strong> Unterstützung realistisch ersche<strong>in</strong>t (Kunga, Besichtigungen, 2001).<br />

Im heute geltenden ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>sgesetz heisst es («Educational Law of ...»,<br />

1995, p.3-4):<br />

Article 1 «... develop<strong>in</strong>g educational <strong>und</strong>ertak<strong>in</strong>gs,<br />

enhanc<strong>in</strong>g the quality of the whole nation ...<br />

build<strong>in</strong>g of an advanced socialist culture and ideology».<br />

Article 3 «... develop<strong>in</strong>g socialist educational <strong>und</strong>ertak<strong>in</strong>gs,<br />

... with Ch<strong>in</strong>ese characteristics as its guidel<strong>in</strong>es ...».<br />

Das <strong>in</strong> diesem Gesetz formulierte Ziel <strong>der</strong> Schaffung e<strong>in</strong>es sozialistischen <strong>Bildung</strong>s<strong>und</strong><br />

<strong>Erziehung</strong>ssystems ch<strong>in</strong>esischer Prägung ist heute teilweise erreicht. Es bestehen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich ke<strong>in</strong>e Zweifel daran, dass die ganze ch<strong>in</strong>esische Nation von den<br />

bisherigen bildungspolitischen Errungenschaften profitiert hat, wenn auch nicht die<br />

ganze Nation <strong>in</strong> gleichem Ausmass vom Erreichten betroffen ist.<br />

Im heute geltenden ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>sgesetz heisst es zudem («Educational Law<br />

of ...», 1995, p.23):<br />

Article 54 «The <strong>St</strong>ate shall gradually raise the proportion of<br />

educational expenditure <strong>in</strong> gross national product (GNP)<br />

as the national economy develops ... ».


146 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

E<strong>in</strong> Vergleich <strong>der</strong> öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>in</strong> Prozenten des Bruttosozialprodukts<br />

(BSP) mit dem realen Wachstum des BSP ab 1991, zeigt das Folgende (vergleiche<br />

Teil III: 2.1.2.2.; Tabelle 34) («Ch<strong>in</strong>ese Education Development» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002; «Gross Domestic Product» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; MOE, 2002; «PRC Ma<strong>in</strong> Economic<br />

...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Seiz, 2000; «Source of Educational ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002):<br />

Abbildung 26 zeigt<br />

deutlich, dass sich <strong>der</strong><br />

prozentuale Anteil <strong>der</strong><br />

öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

am BSP<br />

nicht proportional zur<br />

realen Wachstumsrate<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft verhält.<br />

Die Vorgabe von Artikel<br />

54 des ch<strong>in</strong>esischen<br />

<strong>Bildung</strong>sgesetzes<br />

wird demnach<br />

nicht erfüllt. Mit e<strong>in</strong>er<br />

Än<strong>der</strong>ung dieser Entwicklung<br />

ist nur bed<strong>in</strong>gt<br />

zu rechnen (vergleiche<br />

Teil III:<br />

2.1.2.2., 2.2.2.2.).<br />

16%<br />

14%<br />

12%<br />

10%<br />

8%<br />

6%<br />

4%<br />

2%<br />

0%<br />

reales Wachstum des BSP<br />

Öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>in</strong> Prozenten des BSP<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000<br />

Abbildung 26: Vergleich Verän<strong>der</strong>ung öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

<strong>und</strong> BSP von 1991 bis 2000<br />

Die seit den 80er Jahren getroffenen Dezentralisierungsmassnahmen im ch<strong>in</strong>esischen<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem zeigen unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedenen <strong>Bildung</strong>sstufen.<br />

Es stellt sich gr<strong>und</strong>sätzlich die Frage, ob die Dezentralisierungsmassnahmen<br />

bildungsstufengerecht s<strong>in</strong>d. Aufgezeigte Schwierigkeiten, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die<br />

unklare <strong>und</strong> ungleiche Kompetenzaufteilung zwischen Zentralregierung <strong>und</strong> höheren<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen sowie die regional grossen Unterschiede betreffend <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung<br />

von <strong>Bildung</strong> auf Gr<strong>und</strong>schulstufe, müssten durch entsprechende Korrekturmassnahmen<br />

beseitigt werden können. Dabei bestehen verschiedene Möglichkeiten: Entwe<strong>der</strong><br />

wird versucht, diese Schwierigkeiten zu beheben o<strong>der</strong> <strong>in</strong> gewissen Bereichen<br />

wie<strong>der</strong> zentralisiert.<br />

Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> «Internationalität» hat das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>swesen<br />

seit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> (1949) starke E<strong>in</strong>bussen erfahren, obwohl die<br />

ersten ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>udierenden bereits vor über 150 Jahren im Ausland studierten.<br />

Erst die zunehmende Öffnung Ch<strong>in</strong>as seit Ende <strong>der</strong> 70er Jahre hat den <strong>in</strong>ternationalen<br />

Austausch sowohl von <strong>St</strong>udierenden als auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschung wie<strong>der</strong> belebt. Der<br />

<strong>St</strong>udienaufenthalt im Ausland bedeutet heute für ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>udierende weit mehr<br />

als nur das <strong>St</strong>udium an <strong>und</strong> für sich. Viele erleben vorerst e<strong>in</strong>en «Kulturschock», was<br />

nicht selten zu e<strong>in</strong>er gewissen Apathie führen kann. S<strong>in</strong>d Sprechängste <strong>und</strong> Hemmungen,<br />

Fragen zu stellen e<strong>in</strong>mal überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Kontakte zu lokalen <strong>St</strong>udierenden<br />

geknüpft, so kehren viele ch<strong>in</strong>esische Auslandstudierende nicht mehr nach Ch<strong>in</strong>a<br />

zurück. Ungefähr zwei Drittel <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>udierenden im Ausland bleiben nach


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 147<br />

Abschluss des <strong>St</strong>udiums o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Promotion im Ausland. Zurückkehrende akademisch<br />

ausgebildete Landsleute s<strong>in</strong>d für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a von grosser Bedeutung.<br />

Deshalb versucht die ch<strong>in</strong>esische Regierung, die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für Rückkehrende<br />

so attraktiv wie möglich zu gestalten. Die Motivation für Auslandstudierende<br />

nach Ch<strong>in</strong>a zurückzukehren wird jedoch weniger von den politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

als von den wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten, welche sich die<br />

Rückkehrer versprechen, bee<strong>in</strong>flusst. Deshalb ist die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung<br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a von ausschlaggeben<strong>der</strong> Bedeutung für die hochqualifizierte<br />

<strong>und</strong> gut ausgebildete Elite Ch<strong>in</strong>as. Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Forschung ist <strong>der</strong> Mangel an<br />

wissenschaftlichem Nachwuchs e<strong>in</strong> grosses Problem. Ausländische Wissenschafter<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a gr<strong>und</strong>sätzlich nicht willkommen <strong>und</strong> potentielle ch<strong>in</strong>esische Wissenschafter<br />

bevorzugen oftmals, ihre Forschungstätigkeit im Ausland zu betreiben beziehungsweise<br />

fortzusetzen. Diese Situation des «bra<strong>in</strong> dra<strong>in</strong>» ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> grössten Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

für die zukünftige ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>spolitik auf <strong>in</strong>ternationaler Ebene<br />

(Bauer, 1995; Becker, 2000; Günther, 1988; <strong>St</strong>arr, 2001; Tang & Xue, 1999; Wang,<br />

1998; Ye, 2000).<br />

2.2. Interdependenzen von Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik<br />

Der zweite Abschnitt dieses Kapitels befasst sich vorab mit den wirtschaftlichen<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, das heisst <strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik, <strong>der</strong> Bevölkerungsstruktur<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Entwicklung von Plan- <strong>in</strong> Richtung Marktwirtschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a. Im zweiten <strong>und</strong> dritten Abschnitt werden mögliche system- <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen von Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik aufgezeigt.<br />

Daraus lassen sich entsprechende Entwicklungstendenzen für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

ableiten, die Gegenstand des vierten Abschnitts dieses Kapitels s<strong>in</strong>d.<br />

2.2.1. Wirtschaftliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

2.2.1.1. Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik<br />

Das oberste Ziel <strong>der</strong> von Deng Xiaop<strong>in</strong>g (1904 bis 1997) Ende <strong>der</strong> 70er Jahre e<strong>in</strong>geführten<br />

Politik <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong> Öffnung nach aussen ist die wirtschaftliche Entwicklung<br />

Ch<strong>in</strong>as (vergleiche Teil I: 2.1.2.4.; 2.4.3.2.; 2.4.3.3.). Der Schlüssel <strong>der</strong> vier Mo<strong>der</strong>nisierungen<br />

nach Deng, die Mo<strong>der</strong>nisierung von Wissenschaft <strong>und</strong> Technologie, ist Mittel<br />

zum Zweck. Ziel ist, das geplante Wirtschaftswachstum zu erreichen. Die bildungspolitischen<br />

Massnahmen dienen <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> übergeordneten Zielsetzung<br />

wirtschaftlicher Natur (vergleiche Teil III: 2.1.). Das Heft <strong>der</strong> ausschliesslich<br />

staatlichen Kontrolle über <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> zum<strong>in</strong>dest teilweise aus <strong>der</strong> Hand zu<br />

geben <strong>und</strong> Privatschulen wie<strong>der</strong> zu erlauben, ermöglicht es seit den 80er Jahren auch<br />

wirtschaftlichen Akteuren, Initiative im <strong>Bildung</strong>swesen zu ergreifen. Nichtstaatliche<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligungen s<strong>in</strong>d deshalb heute schon, <strong>und</strong> werden ebenso <strong>in</strong> Zukunft, e<strong>in</strong><br />

wichtiger Bestandteil von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a se<strong>in</strong>, wie<br />

die nachfolgenden Ausführungen zeigen.


148 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.2.1.2. Bevölkerungsstruktur<br />

Zu den wirtschaftlichen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen gehört unter an<strong>der</strong>em auch die äusserst<br />

vielfältige Bevölkerungsstruktur <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die Kontraste <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung s<strong>in</strong>d enorm gross <strong>und</strong> vielschichtig. E<strong>in</strong>e Schichtung<br />

<strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung kann aufgr<strong>und</strong> verschiedener Kriterien vorgenommen<br />

werden, wie zum Beispiel nach:<br />

• Bevölkerungsgruppen (<strong>in</strong>sgesamt 56 ethnische Gruppen (vergleiche Teil I:<br />

2.2.1.2.))<br />

• Geschlecht (vergleiche Teil I: 2.2.1.2.)<br />

• Son<strong>der</strong>zonen <strong>der</strong> Wirtschaft (vergleiche Teil I: 2.4.2.6.)<br />

• Siedlungsgebieten (<strong>St</strong>adt <strong>und</strong> Land (vergleiche Teil III: 2.2.4.)<br />

• Altersgruppen (vergleiche Teil I: 2.2.1.2.)<br />

• Verwaltungse<strong>in</strong>heiten (<strong>in</strong>sgesamt 32 (vergleiche Teil I: 2.2.1.3.))<br />

Das ch<strong>in</strong>esische Volk setzt sich heute aus knapp 92 Prozent Han-Ch<strong>in</strong>esen <strong>und</strong> acht<br />

Prozent verschiedener an<strong>der</strong>er Bevölkerungsgruppen zusammen. Diese acht Prozent<br />

sogenannt ethnische M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a gehören 55 unterschiedlichen<br />

Völkern an. In je<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt 32 ch<strong>in</strong>esischen Prov<strong>in</strong>zen, <strong>St</strong>adtprov<strong>in</strong>zen<br />

<strong>und</strong> autonomen Regionen leben Menschen, die ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten angehören.<br />

Der grösste Teil <strong>der</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>heitenbevölkerung lebt sowohl im Süd- <strong>und</strong> Nordwesten<br />

als auch <strong>in</strong> den Grenzgebieten (nicht Küstengebieten) <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a (vergleiche<br />

Teil I: 2.2.1.1.; 2.2.1.2.). Die Ansiedlung ethnischer M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten <strong>in</strong> diesen<br />

Regionen ist nicht jüngeren Datums, son<strong>der</strong>n geht weit <strong>in</strong> die geschichtliche Entwicklung<br />

Ch<strong>in</strong>as <strong>und</strong> dieser Völker zurück. Die meisten von M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten bewohnten Regionen<br />

s<strong>in</strong>d reich an natürlichen Ressourcen. Und trotzdem herrscht <strong>in</strong> vielen dieser<br />

Gebiete auch heute noch grosse Armut, denn es fehlt an sozialer <strong>und</strong> wirtschaftlicher<br />

Entwicklung. Die zentrale ch<strong>in</strong>esische Regierung hat deshalb verschiedene Massnahmen<br />

zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> von ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten besiedelten Regionen <strong>in</strong> die<br />

Wege geleitet. In e<strong>in</strong>em ersten Schritt g<strong>in</strong>g es darum, Daten zur M<strong>in</strong><strong>der</strong>heitenbevölkerung<br />

aufzuarbeiten. So glaubte man noch <strong>in</strong> den 50er Jahren, dass <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a gesamthaft<br />

38 ethnische M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten leben. Erst seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 80er Jahre ist bekannt,<br />

dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong>sgesamt 55 verschiedene ethnische M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten<br />

leben. Alle 56 Ethnien (e<strong>in</strong>schliesslich Han) leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> relativ homogenen<br />

Gruppierungen zusammen. 18 dieser Völkergruppen zählen heute mehr als e<strong>in</strong>e Million<br />

Menschen. Die grösste Gruppe s<strong>in</strong>d die Zhuangs mit über 15 Millionen <strong>und</strong> die<br />

kle<strong>in</strong>ste Gruppe s<strong>in</strong>d die Lhobas mit gut 2'000 Angehörigen. Um die Kle<strong>in</strong>sten <strong>der</strong><br />

ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten vor dem Aussterben zu bewahren, s<strong>in</strong>d sie von <strong>der</strong> nationalen<br />

Geburtenkontrolle nicht betroffen. Die ch<strong>in</strong>esische Bevölkerung besteht zu knapp<br />

50 Prozent aus Frauen (vergleiche Teil I: 2.2.1.2.). Vor <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

(1949) ist das ch<strong>in</strong>esische Volk e<strong>in</strong>e von Männern dom<strong>in</strong>ierte Gesellschaft.<br />

Diese Dom<strong>in</strong>anz des männlichen Teils <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen Bevölkerung ist <strong>in</strong> enger Verb<strong>in</strong>dung<br />

mit dem im kaiserlichen Ch<strong>in</strong>a ausschliesslich Männern vorbehaltenen Zugang<br />

zu <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> zu sehen. Heute ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verfassung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a die Gleichstellung von Mann <strong>und</strong> Frau <strong>in</strong> allen Lebensbereichen aus-


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 149<br />

drücklich festgehalten. Die <strong>St</strong>ellung <strong>der</strong> Frau <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Gesellschaft wird<br />

zudem im 1992 vom Nationalen Volkskongress erlassenen Gesetz zum Schutz <strong>der</strong><br />

Rechte <strong>und</strong> Interessen von Frauen spezifiziert. Damit haben sich wenigstens die gesetzlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen für e<strong>in</strong>e gleichberechtigte gesellschaftliche <strong>St</strong>ellung <strong>der</strong> Frau <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a wesentlich verbessert. Die bevölkerungsspezifische <strong>Bildung</strong>spolitik<br />

<strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Zentralregierung bezieht sich vor allem auf die Kriterien <strong>der</strong><br />

Bevölkerungsgruppen, das heisst <strong>in</strong> diesem Fall <strong>der</strong> ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten <strong>und</strong> des<br />

Geschlechts (Asian Development Bank, 2002; MOE, 2002; Tan & Peng, 2000; «White<br />

Papers of ...» [Onl<strong>in</strong>e e], 2002).<br />

2.2.1.3. Vom Plan zum Markt<br />

Das Ende <strong>der</strong> Planwirtschaft <strong>und</strong> die Proklamierung <strong>der</strong> sozialistischen Marktwirtschaft<br />

(vergleiche Teil I: 2.4.2.1.) bedeutet vor allem für ch<strong>in</strong>esische Arbeitskräfte<br />

f<strong>und</strong>amentale Verän<strong>der</strong>ungen. E<strong>in</strong>e Planwirtschaft garantiert Vollbeschäftigung.<br />

Schulischer <strong>und</strong> beruflicher Werdegang s<strong>in</strong>d planwirtschaftlich vorbestimmt. Es gibt<br />

ke<strong>in</strong>en Markt für Arbeitskräfte, denn aufgr<strong>und</strong> des Plans bestehen we<strong>der</strong> Nachfrage<br />

noch Angebot. Zudem erfor<strong>der</strong>t die meistens tiefe planwirtschaftliche Produktivität<br />

viele Beschäftigte. In <strong>der</strong> Folge werden statistisch ke<strong>in</strong>e Arbeitslosen ausgewiesen,<br />

obwohl e<strong>in</strong>e grosse verdeckte Arbeitslosigkeit vorhanden ist. Der Übergang vom Plan<br />

zum Markt bedeutet das Ersetzen e<strong>in</strong>es vorbestimmten Werdegangs <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Beschäftigungsgarantie für alle durch die «Freiheit» jedes E<strong>in</strong>zelnen, sich um e<strong>in</strong>en<br />

zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz <strong>der</strong> persönlichen Wahl zu bemühen. In e<strong>in</strong>er<br />

Planwirtschaft werden Unterbeschäftigte, nichtarbeitende Arbeitsfähige,<br />

Arbeitsunfähige <strong>und</strong> Pensionierte direkt o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt von Unternehmen, das heisst <strong>der</strong><br />

Wirtschaft o<strong>der</strong> vom <strong>St</strong>aat, getragen. Welchen Anteil Unter- <strong>und</strong> Nicht-Beschäftigte <strong>der</strong><br />

gesamten Bevölkerung ausmachen, ist unter diesen Umständen kaum erkennbar.<br />

Deshalb hat <strong>der</strong> Übergang von Plan- zur Marktwirtschaft nicht nur für Arbeitnehmer<br />

<strong>und</strong> Arbeitgeber, son<strong>der</strong>n für e<strong>in</strong>e ganze Volkswirtschaft gr<strong>und</strong>legende Folgen. E<strong>in</strong><br />

solch e<strong>in</strong>schneiden<strong>der</strong> Wechsel vom Plan zum Markt kann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land mit über<br />

e<strong>in</strong>er Milliarde Menschen nicht von heute auf morgen stattf<strong>in</strong>den (Gransow, 1999;<br />

Opper, 1999; <strong>St</strong>arr, 2001; Zuo; 2000).<br />

2.2.2. Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Systembed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 2.2.2.<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Politik<br />

Wirtschaft<br />

Abbildung 27: Teil III: 2.2.2. <strong>der</strong> Dissertation: Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen von<br />

Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a


150 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Mögliche wechselseitige Abhängigkeiten zwischen dem politischen System, dem Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> dem <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d Gegenstand <strong>der</strong><br />

nachfolgenden Abschnitte. Es handelt sich hierbei um e<strong>in</strong>e Auswahl bestimmter systembed<strong>in</strong>gter<br />

Interdependenzen. Diese s<strong>in</strong>d:<br />

• Wirtschaftsstrukturen <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

• Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

2.2.2.1. Wirtschaftsstrukturen <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 80er Jahre werden gut 30 Prozent des ch<strong>in</strong>esischen Brutto<strong>in</strong>landprodukts<br />

(BIP) im Agrarsektor beziehungsweise knapp 50 Prozent im Industriesektor <strong>und</strong><br />

gut 20 Prozent im Dienstleistungssektor erwirtschaftet. Zwei Jahrzehnte später erarbeitet<br />

<strong>der</strong> Agrarsektor noch 15 Prozent, <strong>der</strong> Industriesektor gut 50 Prozent <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Dienstleistungssektor gut 30 Prozent des BIPs <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. H<strong>in</strong>gegen<br />

s<strong>in</strong>d immer noch 50 Prozent <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Arbeitskräfte im Agrarsektor beziehungsweise<br />

gut 20 Prozent im Industriesektor <strong>und</strong> knapp 30 Prozent im Dienstleistungssektor<br />

beschäftigt (vergleiche Teil I: 2.4.2.4.). Setzt sich diese Entwicklung fort,<br />

wird <strong>der</strong> Bedarf an Arbeitskräften im Industrie- <strong>und</strong> Dienstleistungssektor <strong>in</strong> Zukunft<br />

weiter zunehmen. Dabei ist <strong>der</strong> grösste Anteil Beschäftigter, wenn auch abnehmend,<br />

heute immer noch im Agrarsektor tätig. Das Brutto<strong>in</strong>landprodukt hat sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a von 1985 bis 2000 um das Zehnfache erhöht (vergleiche Abbildung<br />

12), was e<strong>in</strong>em durchschnittlichen jährlichen Wachstum von nom<strong>in</strong>al 16,57 Prozent <strong>in</strong><br />

diesen 15 Jahren entspricht. E<strong>in</strong> solches Wachstum ist nur möglich, wenn bisher<br />

brachliegende Ressourcen e<strong>in</strong>gesetzt werden beziehungsweise e<strong>in</strong> enormer <strong>St</strong>rukturwandel<br />

stattf<strong>in</strong>det. Das heisst konkret, <strong>der</strong> Industriesektor trägt sowohl zu Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> 80er Jahre als auch heute ungefähr 50 Prozent zum ch<strong>in</strong>esischen BIP bei. 50<br />

Prozent des BIP bedeuten zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>in</strong> absoluten Zahlen zehnmal<br />

mehr als vor zwanzig Jahren. S<strong>in</strong>d die quantitativ brachliegenden Ressourcen<br />

e<strong>in</strong>mal ausgeschöpft, gilt es, die potentiellen qualitativen Ressourcen zu mobilisieren.<br />

In Bezug auf die Arbeitskräfte bedeutet dies, das allgeme<strong>in</strong>e <strong>Bildung</strong>sniveau <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong>en berufliche Qualifikation müssen sich verbessern. In diesem S<strong>in</strong>ne hängt das<br />

zukünftige wirtschaftliche Wachstum <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu e<strong>in</strong>em wesentlichen<br />

Teil von <strong>der</strong> Qualifikation <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Arbeitskräfte ab. Der betriebliche<br />

<strong>St</strong>rukturwandel hat nicht m<strong>in</strong><strong>der</strong>e Auswirkungen auf die Beschäftigten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a. Das Aufweichen des <strong>St</strong>aatssektors seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 80er Jahre liess<br />

neben den bisher dom<strong>in</strong>ierenden staatlichen <strong>und</strong> kollektiven Betrieben private Unternehmen<br />

entstehen (vergleiche Teil I: 2.4.2.5.), welche verän<strong>der</strong>te Ansprüche an ihre<br />

Arbeitskräfte stellen. Die riesige Zahl potentiell Arbeitsloser aus dem ch<strong>in</strong>esischen<br />

<strong>St</strong>aatssektor ist auch heute erst annähernd abschätzbar <strong>und</strong> stellt grösste Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

an die ch<strong>in</strong>esische Zentralregierung («Brutto<strong>in</strong>landprodukt» [Onl<strong>in</strong>e], 2002;<br />

«Employment» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Schucher, 1999).


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 151<br />

2.2.2.2. Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a, wie <strong>in</strong> den meisten<br />

Län<strong>der</strong>n, von zunehmen<strong>der</strong> Bedeutung. Die f<strong>in</strong>anziellen Mittel nichtstaatlicher<br />

Herkunft s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> wesentlicher Bestandteil davon. In Ergänzung zu den öffentlichen<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen (vergleiche Teil III: 2.1.2.2.) sieht die Entwicklung des f<strong>in</strong>anziellen<br />

Anteils nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen an den gesamten <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a wie folgt aus («Ch<strong>in</strong>ese Education Development»<br />

[Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Gross Domestic Product» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; MOE, 2002;<br />

«Source of Educational ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; World Bank, 1999b):<br />

(*<strong>in</strong> Milliarden Yuan)<br />

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Tendenz<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen Total*: 73,25 86,71 105,99 148,88 187,80 226,23 253,17 292,91 334,90 384,91<br />

Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen*: 11,47 13,83 19,21 31,41 46,65 59,06 66,92 89,66 106,18 128,65<br />

Anteil nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

<strong>in</strong> Prozenten am Total<br />

Anteil öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>in</strong><br />

Prozenten am Total<br />

15,54 15,95 18,12 21,10 24,84 26,11 26,43 30,61 31,70 33,42<br />

84,46 84,05 81,88 78,90 75,16 73,89 73,57 69,39 68,30 66,58<br />

Tabelle 36: Nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

von 1991 bis 2000<br />

Die Zahlen <strong>in</strong> Tabelle 36 zeigen e<strong>in</strong>e stetige Zunahme <strong>der</strong> gesamten <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

(1. Zeile) seit 1991. Auch <strong>der</strong> Anteil nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

(2. Zeile) hat seit 1991 immer zugenommen. Betrachtet man das Verhältnis <strong>der</strong> nichtstaatlichen<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligungen zu den totalen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen (3. Zeile), so<br />

zeigt sich ebenfalls e<strong>in</strong>e Zunahme des nichtstaatlichen Anteils <strong>in</strong> Ergänzung zum<br />

abnehmenden Anteil öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen (4. Zeile).<br />

Der Vergleich <strong>der</strong> öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>und</strong> nichtstaatlichen <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a mit an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n zeigt das Folgende (vergleiche<br />

Teil III: 1.2.3.; Tabelle 33) («Ch<strong>in</strong>ese Education Development» [Onl<strong>in</strong>e], 2002;<br />

«Gross Domestic Product» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; MOE, 2002; OECD, 2002a; «Source of<br />

Educational ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; World Bank, 1999b):<br />

Tabelle 37 zeigt, dass <strong>der</strong> Anteil<br />

öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a weit unter<br />

diesem Anteil <strong>in</strong> den ausgewählten<br />

Vergleichslän<strong>der</strong>n liegt. Der Anteil<br />

nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

liegt im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich h<strong>in</strong>gegen<br />

eher im oberen Bereich. In diesem<br />

S<strong>in</strong>ne besteht e<strong>in</strong>deutiger Handlungsbedarf<br />

betreffend öffentlicher<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a (vergleiche Teil III:<br />

2.1.2.2.).<br />

% des<br />

BIP<br />

% des<br />

Total*<br />

Öffentliche<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen<br />

Nichtstaatliche<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

Total*<br />

% des<br />

BIP<br />

% des<br />

Total*<br />

% des<br />

BIP<br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 2,7 67,5 1,3 32,5 4,0<br />

Durchschnitt OECD-<br />

Län<strong>der</strong> (Auswahl)<br />

Durchschnitt weitere<br />

Län<strong>der</strong> (Auswahl)<br />

4,8 85,7 0,8 14,3 5,6<br />

4,1 74,5 1,4 25,5 5,5<br />

Tabelle 37: Internationaler Vergleich<br />

öffentlicher <strong>und</strong> nichtstaatlicher<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen im Jahr 1999


152 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Die unterdurchschnittlichen öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen des ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>aats<br />

haben das Entstehen verschiedener Formen nichtstaatlicher Beteiligungen an <strong>Bildung</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a notwendig gemacht (vergleiche Teil III:<br />

2.1.2.2.; 2.1.4.). Die E<strong>in</strong>führung von Schulgel<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Gebühren hat unter an<strong>der</strong>em<br />

vor allem auf dem Land zur Folge, dass f<strong>in</strong>anziell schlecht gestellte Eltern ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

we<strong>der</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten, noch <strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>schulen geschweige denn <strong>in</strong> Mittelschulen o<strong>der</strong><br />

sonstige Ausbildungen schicken. Um e<strong>in</strong>en Beitrag zur Verbesserung <strong>der</strong> Situation auf<br />

dem Land zu leisten ist bereits 1989 das «Projekt Hoffnung» von <strong>der</strong> <strong>St</strong>iftung für die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Jugend gestartet worden. Das «Projekt Hoffnung» wird<br />

durch freiwillige f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung <strong>und</strong> Spenden von Privatpersonen <strong>und</strong> sozialen<br />

Organisationen f<strong>in</strong>anziert. Ziel ist, K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>der</strong> ländlichen<br />

Bevölkerung das Absolvieren <strong>der</strong> neun Pflichtschuljahre zu ermöglichen. Das «Projekt<br />

Hoffnung» hat sowohl <strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzieller H<strong>in</strong>sicht als auch im Zusammenhang mit dem<br />

bisher ger<strong>in</strong>gen Bewusstse<strong>in</strong> betreffend <strong>der</strong> diesbezüglichen Probleme auf dem Land<br />

bemerkenswerte Erfolge erzielt. Aber nicht nur das «Projekt Hoffnung», son<strong>der</strong>n auch<br />

die Unterstützung verschiedener nichtstaatlicher Organisationen, wie zum Beispiel die<br />

<strong>St</strong>iftung für Frauen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a, leisten e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des<br />

<strong>Bildung</strong>sniveaus <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auf dem Land (Peng,<br />

2000; Surowski, 2000; World Bank, 1997).<br />

Die Hochschulbildung war zu Zeiten <strong>der</strong> Planwirtschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

kostenlos. Der <strong>St</strong>aat ist für alle Auslagen, auch die persönlichen, während des Hochschulstudiums<br />

aufgekommen. Im Gegenzug dazu s<strong>in</strong>d den Absolventen Arbeitsplätze<br />

zugewiesen worden. Die <strong>St</strong>udienrichtung konnte nicht frei gewählt werden, denn aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> späteren Arbeitszuteilung war vorbestimmt, welches <strong>St</strong>udium es zu absolvieren<br />

galt. Diese planwirtschaftliche Zuweisung von <strong>St</strong>udien- <strong>und</strong> Arbeitsplätzen für<br />

Akademiker hatte e<strong>in</strong>e jahrzehntelange Talentverschwendung zur Folge, die sich bis<br />

heute auswirkt (vergleiche Teil III: 2.1.4.). 1994 haben die ersten Hochschulen begonnen,<br />

<strong>St</strong>udiengel<strong>der</strong> <strong>und</strong> Gebühren zu erheben. Heute s<strong>in</strong>d die meisten tertiären <strong>Bildung</strong>swege<br />

gebührenpflichtig. In <strong>der</strong> Folge haben sich e<strong>in</strong>ige <strong>St</strong>ipendienprogramme<br />

<strong>und</strong> Angebote an <strong>St</strong>udiendarlehen entwickelt. Zudem s<strong>in</strong>d Hochschulabsolventen<br />

heute frei <strong>in</strong> ihrer Arbeitsplatzwahl (Peng, 2000; Surowski, 2000).<br />

Viele ch<strong>in</strong>esische Unternehmen verfügen über betriebseigene Schul- <strong>und</strong> Ausbildungszentren.<br />

Je nach Betriebsgrösse ist es unter Umständen möglich, vom K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />

bis zum <strong>Universität</strong>sabschluss sämtliche Schulstufen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em betriebs<strong>in</strong>ternen<br />

<strong>Bildung</strong>szentrum zu absolvieren. Für Beschäftigte <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Angehörige dieser Betriebe<br />

wurden früher ke<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> nur m<strong>in</strong>imale Schulgebühren erhoben. Auch Externe<br />

konnten sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> diesen Schul- <strong>und</strong> Ausbildungszentren aus- <strong>und</strong> weiterbilden,<br />

jedoch nur, wenn sie entsprechende Gebühren bezahlten. Aufgr<strong>und</strong> des<br />

<strong>St</strong>rukturwandels <strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>swesen <strong>und</strong> Wirtschaft wird heute von allen Schülern <strong>und</strong><br />

<strong>St</strong>udierenden e<strong>in</strong> Schulgeld verlangt. Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung ch<strong>in</strong>esischer Berufstätiger<br />

f<strong>in</strong>det oftmals auch <strong>in</strong> den Betrieben statt <strong>und</strong> wird betriebs<strong>in</strong>tern f<strong>in</strong>anziert. Der<br />

ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>aat schreibt vor, dass je<strong>der</strong> Betrieb 1,5 Prozent <strong>der</strong> gesamten Lohnsumme<br />

für die Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung se<strong>in</strong>er Beschäftigten e<strong>in</strong>zusetzen hat. Da es<br />

ke<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>en Vorgaben zur konkreten Verwendung dieser Mittel gibt, wird dieses<br />

Geld <strong>in</strong> vielen Fällen zweckentfremdet. Unternehmen, die <strong>in</strong> f<strong>in</strong>anziellen Schwierigkei-


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 153<br />

ten stecken, wie dies seit e<strong>in</strong>igen Jahren vor allem bei den grossen <strong>St</strong>aatsbetrieben<br />

<strong>der</strong> Fall ist, streichen ihre Beiträge für Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung. Unternehmen mit<br />

ausländischer Beteiligung h<strong>in</strong>gegen legen grossen Wert auf die Fortbildung ihrer<br />

Mitarbeitenden. Zahlreiche ausländische Betriebe <strong>und</strong> Jo<strong>in</strong>t Ventures verfügen deshalb<br />

über betriebseigene Fortbildungs<strong>in</strong>stitutionen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a o<strong>der</strong> bilden ihre ch<strong>in</strong>esischen<br />

Angestellten im Ausland weiter: So wie zum Beispiel <strong>in</strong>ternational tätige Unternehmen<br />

wie Sch<strong>in</strong>dler, Dätwyler o<strong>der</strong> Georg Fischer, die ihre Hauptsitze <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Schweiz haben. Internationale Konzerne wie Ericsson, Microsoft, Motorola, Nokia o<strong>der</strong><br />

Volkswagen (VW) bauen ihre eigenen Forschungs- <strong>und</strong> Schulungszentren <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a.<br />

Diese Firmen bieten teilweise sogar Master-of-Bus<strong>in</strong>ess-Adm<strong>in</strong>istration-Programme<br />

(MBA) an ihren <strong>in</strong>ternen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen an (Becker, 2000; Dätwyler, Interview,<br />

1999; Dubs, Besichtigung, 1999; Fallon & Hunt<strong>in</strong>g, 2000; Haldemann, Interview, 1999;<br />

Schüller, 1999; Weller & Li 2000).<br />

2.2.3. Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Systembed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 2.2.2.<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 2.2.3.<br />

Politik<br />

Wirtschaft<br />

Abbildung 28: Teil III: 2.2.3. <strong>der</strong> Dissertation: Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Mögliche gegenseitige Auswirkungen von Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> Politik, Wirtschaft <strong>und</strong><br />

<strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d Gegenstand <strong>der</strong> nachfolgenden Abschnitte.<br />

Es handelt sich hierbei um e<strong>in</strong>e Auswahl bestimmter verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gter<br />

Interdependenzen. Diese s<strong>in</strong>d:<br />

• Übergangsgesellschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

• Arbeitsmarkt <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

• Wachstum <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

2.2.3.1. Übergangsgesellschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

Die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> verschiedener H<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Übergangsphase<br />

von Bisherigem zu Neuem. Das Ziel <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Zentralregierung, die<br />

<strong>Volksrepublik</strong> von e<strong>in</strong>er Planwirtschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sozialistische Marktwirtschaft zu führen,<br />

bedeutet sowohl e<strong>in</strong>e enorme wirtschaftliche als auch politische Transformation<br />

für das Land <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Bevölkerung. Es handelt sich hierbei um e<strong>in</strong>en mehrdimensionalen<br />

Transformationsprozess, welcher e<strong>in</strong>er längeren Übergangszeit bedarf. H<strong>in</strong>zu<br />

kommt, dass die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wichtigsten wirtschaftlichen Wachs-


154 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

tumsmärkte <strong>der</strong> Welt ist. Wachstum bedeutet Verän<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> erfor<strong>der</strong>t damit e<strong>in</strong>e<br />

Anpassung <strong>der</strong> entsprechenden Rahmenbed<strong>in</strong>gungen. Um die nötigen Voraussetzungen<br />

für möglichst erfolgreiche Verän<strong>der</strong>ungsprozesse zu schaffen, gilt es, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a folgende Massnahmen zu treffen (Dahlman & Aubert, 2001):<br />

• Aufwerten des <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

• Anpassen wirtschaftlicher <strong>und</strong> <strong>in</strong>stitutioneller <strong>St</strong>rukturen<br />

• Aufbauen e<strong>in</strong>er Informations<strong>in</strong>frastruktur<br />

• Kommunizieren neuer Technologien<br />

• För<strong>der</strong>n von Forschung <strong>und</strong> Entwicklung<br />

• Erkennen <strong>und</strong> Integrieren <strong>in</strong>ternationaler Entwicklungen<br />

Mittel- <strong>und</strong> langfristig ist das Schaffen e<strong>in</strong>es guten, Dahlman & Aubert nennen es<br />

«aufgewerteten» o<strong>der</strong> «verbesserten», ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

die grösste Herausfor<strong>der</strong>ung, welche e<strong>in</strong>en Erfolg <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungsprozesse voraussetzt.<br />

Die riesige, wachsende Masse <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung ist das «Rohmaterial»<br />

sowohl <strong>der</strong> wirtschaftlichen als auch <strong>der</strong> politischen Transformation. Dieses<br />

«Rohmaterial» ist e<strong>in</strong>erseits geprägt von Jahrh<strong>und</strong>erten konfuzianischer <strong>Bildung</strong>stradition,<br />

das heisst vor allem von diszipl<strong>in</strong>iertem Auswendiglernen. An<strong>der</strong>seits jahrzehntelangem<br />

planwirtschaftlichem Zentralismus, was <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie mit passivem E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>n<br />

<strong>in</strong> Gegebenes verb<strong>und</strong>en ist. Doch das Anfor<strong>der</strong>ungsprofil heutiger Arbeitskräfte<br />

verlangt aktives, lebenslanges Lernen, kreatives Entwickeln von Neuem sowie Offenheit<br />

<strong>und</strong> Fähigkeit, mit Verän<strong>der</strong>ungen umzugehen. Dies bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong>ssystemwandel,<br />

<strong>der</strong> unter an<strong>der</strong>em s<strong>in</strong>nvolle Curricula, effizienten Mittele<strong>in</strong>satz, qualitativ<br />

hochstehende, sich ergänzende <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen, Chancengleichheit für alle,<br />

adäquate Berufsbildung <strong>und</strong> mo<strong>der</strong>nste Lehr- <strong>und</strong> Lernmethoden för<strong>der</strong>t. Gleichzeitig<br />

gilt es zu berücksichtigen, dass e<strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel <strong>in</strong> Übergangsgesellschaften<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich, <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ganz beson<strong>der</strong>s, mit e<strong>in</strong>igen potentiellen<br />

Schwierigkeiten konfrontiert wird (vergleiche Teil III: 1.3.1.). Und trotzdem ist<br />

<strong>der</strong> Wandel zu e<strong>in</strong>em guten <strong>Bildung</strong>ssystem basierend auf den drei Säulen Bereitstellen<br />

von, Zugang zu <strong>und</strong> Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> e<strong>in</strong>e unabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung für<br />

e<strong>in</strong>e erfolgreiche Transformation sowohl <strong>in</strong> wirtschaftlicher als auch politischer H<strong>in</strong>sicht<br />

(Berryman, 2000; Dahlman & Aubert, 2001; Thøgersen, 2001; World Bank, 1997;<br />

World Bank, 1999a).<br />

2.2.3.2. Arbeitsmarkt <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

Die graduelle E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Arbeitsmarkts <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist zu Beg<strong>in</strong>n<br />

des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>in</strong> vollem Gange. Ch<strong>in</strong>a wird heute unter an<strong>der</strong>em von e<strong>in</strong>er<br />

relativ unkontrollierten nationalen Arbeitskräfte-Migration von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz,<br />

von Ort zu Ort <strong>und</strong> von Wirtschaftssektor zu Wirtschaftssektor heimgesucht.<br />

Doch das Hauptproblem ist nicht <strong>der</strong> «riesige L<strong>in</strong>dwurm, <strong>der</strong> sich wie e<strong>in</strong> Heer von<br />

H<strong>und</strong>erten Millionen Wan<strong>der</strong>arbeitern durch das Land zieht» (Lorenz, 1999, S.194) an<br />

<strong>und</strong> für sich. Die grösste Herausfor<strong>der</strong>ung liegt vielmehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Qualifikation dieser<br />

Arbeitskräfte. Von zentraler Bedeutung bei <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Arbeitsmarkts <strong>in</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a ist die, nach wie vor, staatliche Arbeitsverwaltung. Denn die Qualifikation von<br />

Arbeitskräften <strong>und</strong> das noch «junge» Phänomen <strong>der</strong> zahlreichen ch<strong>in</strong>esischen Arbeit-


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 155<br />

suchenden wird vor allem von <strong>der</strong> staatlichen Arbeitsverwaltung kontrolliert. Das<br />

heisst, die Voraussetzungen für e<strong>in</strong>en gut funktionierenden Arbeitsmarkt s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a noch nicht gegeben, denn (vergleiche Teil III: 1.3.3.) (Eisemon &<br />

Holm-Nielsen, 1995; Fallon & Hunt<strong>in</strong>g, 2000; Gransow, 1999; Opper, 1999; <strong>St</strong>arr,<br />

2001; World Bank 1999b; Zuo; 2000):<br />

• Arbeitnehmer können sich zwar zunehmend, aber noch nicht wirklich frei auf dem<br />

sich entwickelnden Arbeitsmarkt bewegen<br />

• Arbeitgeber können Arbeitskräfte noch nicht wirklich nach Bedarf engagieren o<strong>der</strong><br />

frei stellen<br />

• Die Honorierung von Arbeitnehmern wird erst <strong>in</strong> Ansätzen von Angebot <strong>und</strong><br />

Nachfrage auf dem sich entwickelnden Arbeitsmarkt bestimmt<br />

Die graduelle E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Markts für Arbeitskräfte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

erlaubt es noch nicht, von e<strong>in</strong>em gut funktionierenden Arbeitsmarkt zu sprechen. Denn<br />

mit <strong>der</strong> schrittweisen Abkehr vom planwirtschaftlichen Beschäftigungssystem <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Entstehung e<strong>in</strong>es ch<strong>in</strong>esischen Arbeitsmarkts gilt es, vorerst e<strong>in</strong>e geeignete <strong>in</strong>stitutionelle<br />

Infrastruktur <strong>der</strong> «Arbeitsverwaltung» zu schaffen. Um den Anfor<strong>der</strong>ungen e<strong>in</strong>es<br />

marktwirtschaftlich koord<strong>in</strong>ierten Beschäftigungssystems gerecht zu werden, wurde <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em ersten Schritt die Organisation <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Arbeitsverwaltung angepasst<br />

(vergleiche Abbildung 29). Das M<strong>in</strong>isterium für Arbeit <strong>und</strong> soziale Sicherheit ist<br />

e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> 29 Organe des <strong>St</strong>aatsrats <strong>der</strong> Zentralregierung (vergleiche Teil I: 2.3.1.3.).<br />

Als oberstes Verwaltungsorgan <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung legt dieses M<strong>in</strong>isterium e<strong>in</strong>erseits<br />

die nationalen Entwicklungspläne, dann die Tätigkeitsbereiche <strong>der</strong> Arbeitsbüros<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Arbeitsdienstleistungsgesellschaften (ADG) fest <strong>und</strong> übt Kontrollfunktion aus.<br />

Die ADGs übernehmen vier zentrale Funktionen: Arbeitsvermittlung <strong>und</strong> -beratung;<br />

Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung sowie Qualifizierungsmassnahmen; Arbeitslosenversicherung<br />

<strong>und</strong> Arbeitsbeschaffung. Diese Funktionen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Aufgaben für<br />

die Mitarbeitenden hat es <strong>in</strong> dieser Form bisher nicht gegeben. Die erfolgreiche Arbeitsvermittlung<br />

<strong>und</strong> Berufsberatung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zunehmend marktwirtschaftlichen Umfeld<br />

stellt hohe Anfor<strong>der</strong>ungen an die Angestellten <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung. Um im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Funktionen <strong>der</strong> ADGs «das Richtige» zu tun, müssen die Mitarbeitenden<br />

erstens über genügende fachliche Kenntnisse <strong>und</strong> zweitens über e<strong>in</strong>ige Erfahrung<br />

verfügen - e<strong>in</strong> Prozess, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a erst begonnen hat (Opper,<br />

1999).


156 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

M<strong>in</strong>isterium für Arbeit<br />

<strong>und</strong> soziale Sicherheit<br />

Arbeitsbüro<br />

(Prov<strong>in</strong>zebene)<br />

Abteilung für Arbeits- <strong>und</strong><br />

Beschäftigungsverwaltung<br />

Arbeitsbüro<br />

(<strong>St</strong>adt)<br />

Arbeitsbüro<br />

(Kreis)<br />

Arbeitsdienstleistungsgesellschaft<br />

Arbeitsdienstleistungsgesellschaft<br />

Arbeitsdienstleistungsgesellschaft<br />

Arbeitsvermittlung<br />

<strong>und</strong> -beratung<br />

Aus- <strong>und</strong><br />

Weiterbildung<br />

Arbeitslosenversicherung<br />

Arbeitsdienstleistungsstellen<br />

(Geme<strong>in</strong>deebene)<br />

Arbeitsbeschaffung<br />

Abbildung 29: Organisation <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts zeigt <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>e <strong>Bildung</strong>sgrad <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Bevölkerung das folgende Bild (vergleiche Tabelle 10) («Basic Conditions of ...» [Onl<strong>in</strong>e],<br />

2002; Hebel, 1997; «Population and Its ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002):<br />

<strong>Bildung</strong>sgrad Anteil Tendenz<br />

Höhere Ausbildung: 4.1 %<br />

Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe: 11.5 %<br />

Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe: 34.4 %<br />

Gr<strong>und</strong>schule: 33.8 %<br />

Tabelle 38: <strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung<br />

im Jahr 2001<br />

Nachdem <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>aat je länger je mehr se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss aus <strong>der</strong> Gestaltung<br />

des konkreten Werdegangs von Arbeitskräften zurückzieht, gew<strong>in</strong>nt das <strong>in</strong>dividuelle<br />

<strong>Bildung</strong>sniveau <strong>und</strong> damit die Qualifikation ch<strong>in</strong>esischer Arbeitskräfte zunehmend an<br />

Bedeutung. Tabelle 38 zeigt e<strong>in</strong>e positive Tendenz <strong>in</strong> Richtung allgeme<strong>in</strong> höherem<br />

<strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung. In <strong>der</strong> Folge ist <strong>der</strong>jenige Teil <strong>der</strong> Bevölkerung,<br />

<strong>der</strong> nur das Gr<strong>und</strong>schulniveau erreicht, tendenziell abnehmend. Doch wie<br />

verhält es sich mit <strong>der</strong> beruflichen Qualifikation ch<strong>in</strong>esischer Arbeitskräfte? Verschiedene<br />

Untersuchungen zeigen, dass das allgeme<strong>in</strong>e Qualifikationsniveau von Arbeitenden<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a sehr niedrig ist, obwohl sich das allgeme<strong>in</strong>e <strong>Bildung</strong>sniveau<br />

tendenziell verbessert. Diese Tatsache wird offiziell anerkannt <strong>und</strong> be-


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 157<br />

stätigt. Das schlechte Qualifikationsniveau ist vor allem aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Zunahme von<br />

freigesetzten Arbeitskräften <strong>und</strong> Arbeitsuchenden <strong>in</strong> den vergangenen Jahren offensichtlich<br />

geworden. Schlecht qualifizierte Arbeitskräfte f<strong>in</strong>den nur schwer e<strong>in</strong>e neue<br />

Anstellung. Interessant ist die Feststellung, dass die zahlreichen Wan<strong>der</strong>arbeiter ansche<strong>in</strong>end<br />

über e<strong>in</strong> besseres Qualifikationsniveau verfügen als die ch<strong>in</strong>esische Bevölkerung<br />

auf dem Land. Die Arbeit <strong>in</strong> verschiedenen <strong>St</strong>ädten <strong>und</strong> Unternehmen, <strong>in</strong> gewisser<br />

Weise das Teilnehmen an e<strong>in</strong>em beschränkten Arbeitsmarkt, kreiert offenbar<br />

e<strong>in</strong> Bedürfnis nach <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> e<strong>in</strong> <strong>St</strong>reben nach anspruchsvolleren Tätigkeiten. Daraus<br />

folgt, dass sich viele ch<strong>in</strong>esische Arbeitskräfte eher durch ihre berufliche Erfahrung<br />

«on-the-job» als durch e<strong>in</strong> gutes schulisches <strong>Bildung</strong>sniveau höher qualifizieren.<br />

Die im ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystem nach wie vor weit verbreitete Theorielastigkeit<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> gleichzeitig unzureichende Praxisbezug zeigt hier se<strong>in</strong>e Auswirkungen. Obwohl<br />

sich das allgeme<strong>in</strong>e <strong>Bildung</strong>sniveau seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik<br />

Ende <strong>der</strong> 70er Jahre deutlich erhöht hat, ist die generell niedrige Qualifikation <strong>der</strong><br />

Arbeitskräfte sowohl betreffend beruflicher Qualifikation als auch qualitativ guter <strong>Bildung</strong><br />

e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> grössten arbeitsmarkt- <strong>und</strong> damit bildungspolitischen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Folgende arbeitsmarktpolitische Probleme, die für<br />

e<strong>in</strong>e langfristige positive Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems von Bedeutung<br />

s<strong>in</strong>d, lassen sich <strong>der</strong>zeit erkennen (vergleiche Teil III: 1.3.3.) (Fallon & Hunt<strong>in</strong>g,<br />

2000; Hebel, 1997; Hebel & Schucher, 1992; Schucher, 1999; Wang, 1998; World<br />

Bank 1999b):<br />

• Da die Honorierung von Arbeitnehmern nach wie vor kaum durch<br />

marktwirtschaftliche Mechanismen bestimmt wird, fehlt es an diesbezüglichen<br />

Anreizen, e<strong>in</strong> höheres Qualifikationsniveau zu erlangen<br />

• Die sogenannten Fr<strong>in</strong>ge-Benefits, das heisst mit <strong>der</strong> Arbeitsstelle direkt<br />

verb<strong>und</strong>ene Lohnbestandteile wie beispielsweise Wohnsituation, Angebot an<br />

Sozialversicherungen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Vorteilen für Angehörige (vergleiche Teil III:<br />

2.2.2.2.), s<strong>in</strong>d nach wie vor zu weitreichend, als dass sich die Arbeitnehmer frei<br />

auf dem Arbeitsmarkt bewegen würden<br />

«Auf Arbeit Wartende» hiess e<strong>in</strong>e Kategorie <strong>in</strong> den offiziellen Veröffentlichungen des<br />

ch<strong>in</strong>esischen statistischen Amts, bis 1994 erstmals «Arbeitslose» ausdrücklich aufgeführt<br />

werden. Arbeitslosigkeit ist <strong>in</strong> Wirklichkeit auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

nichts Neues. Doch das planwirtschaftliche <strong>und</strong> politische Ziel <strong>der</strong> Vollbeschäftigung<br />

erlaubte bisher ke<strong>in</strong>e Nennung von Arbeitslosenzahlen. Basierend auf offiziellen statistischen<br />

Angaben zählt die Quote <strong>der</strong> «auf Arbeit Wartenden» beziehungsweise <strong>der</strong><br />

Arbeitslosen <strong>der</strong> städtischen Bevölkerung Ch<strong>in</strong>as nach wie vor nur sehr wenige Prozente<br />

(Bauer, 1995; Hebel, 1997; «Indicators on Proportions ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Population<br />

and Its ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Wong, 1999):<br />

Arbeitslosenquote <strong>in</strong> <strong>St</strong>ädten<br />

(<strong>in</strong> Prozenten <strong>der</strong> gesamten Bevölkerung)<br />

Arbeitslose <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>adtbevölkerung<br />

<strong>in</strong> absoluten Zahlen (<strong>in</strong> Millionen)<br />

1978 1980 1985 1990 1995 1999 2000<br />

5.3 4.9 1.8 2.5 2.9 3.1 3.1<br />

9.1 9.4 4.5 7.6 10.2 12.1 14.2<br />

Tabelle 39: Arbeitslose <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>adtbevölkerung von 1985 bis 2000


158 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Offizielle Angaben zur Arbeitslosigkeit <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung auf dem Land<br />

gibt es nicht. Untersuchungen zur <strong>St</strong>ruktur <strong>der</strong> Arbeitslosen <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a zeigen, dass e<strong>in</strong><br />

grosser Teil <strong>der</strong> Arbeitsuchenden jünger als 45 Jahre ist. Zwei Drittel junger Arbeitsloser<br />

verfügen höchstens über e<strong>in</strong>en Mittelschulabschluss <strong>der</strong> Unterstufe. Unter diesen<br />

Voraussetzungen haben Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen, e<strong>in</strong>e<br />

neue Anstellung zu f<strong>in</strong>den. Die Allgeme<strong>in</strong>e Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung sowie die berufliche<br />

Fortbildung <strong>und</strong> Umschulung für Arbeitsuchende gew<strong>in</strong>nt damit e<strong>in</strong>e noch nie<br />

da gewesene Bedeutung für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die Chancen von Arbeitslosen,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Berufswelt wie<strong>der</strong> Fuss zu fassen, s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a nach Absolvieren e<strong>in</strong>er<br />

Weiterbildung deutlich besser (vergleiche Teil III: 1.3.3.). Arbeitsuchende gelten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich als das grosse zukünftige Risiko <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die offiziellen<br />

Angaben über ansche<strong>in</strong>end ger<strong>in</strong>ge Arbeitslosenquoten können <strong>der</strong> Realität<br />

nicht entgegenwirken. Wie die ch<strong>in</strong>esische Zentralregierung mit dem Problem <strong>der</strong> steigenden,<br />

offenen <strong>und</strong> verdeckten, Arbeitslosenrate (vor allem auf dem Land!) umgeht,<br />

ist für die zukünftige Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung<br />

(Opper, 1999; Schüller, 1999; <strong>St</strong>arr, 2001; Wong, 1999; Zuo, 2000).<br />

2.2.3.3. Wachstum <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

Das allgeme<strong>in</strong>e Wachstum <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a wird <strong>in</strong> den folgenden drei Abschnitten<br />

erstens aufgr<strong>und</strong> des wirtschaftlichen Wachstums <strong>und</strong> dessen Auswirkungen<br />

beziehungsweise Anfor<strong>der</strong>ungen an e<strong>in</strong>en Wandel des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

erläutert. Die Chancengleichheit bezüglich Zugang zu <strong>Bildung</strong>, e<strong>in</strong>erseits im<br />

Zusammenhang mit wirtschaftlichem Wachstum <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits mit <strong>der</strong> Bevölkerungszunahme<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a, ist Gegenstand des zweiten Abschnitts. Der<br />

dritte Abschnitt behandelt die Qualitätssteigerung im Rahmen des <strong>Bildung</strong>ssystemwandels<br />

sowohl betreffend quantitativem als auch qualitativem Wachstum.<br />

2.2.3.3.1. Wirtschaftswachstum<br />

Das Primat <strong>der</strong> Wirtschaft hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a während den vergangenen<br />

25 Jahren zu atemberaubenden wirtschaftlichen Wachstumszahlen geführt (vergleiche<br />

Teil I: 2.4.2.1.; Teil III: 2.2.1.). Beruht das Wirtschaftswachstum <strong>in</strong> den 80er Jahren <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie auf <strong>der</strong> Öffnung <strong>der</strong> Grenzen, so steht <strong>der</strong> wirtschaftliche Erfolgskurs <strong>in</strong><br />

den 90er Jahren im Zeichen <strong>der</strong> Reorganisation des ch<strong>in</strong>esischen <strong>St</strong>aats- <strong>und</strong> Verwaltungsapparats<br />

sowie <strong>der</strong> <strong>in</strong>tensiveren weltwirtschaftlichen Integration Ch<strong>in</strong>as. Das<br />

Brutto<strong>in</strong>landprodukt hat sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a von 1985 bis 2000 um das<br />

Zehnfache erhöht (vergleiche Abbildung 12). Dies entspricht e<strong>in</strong>em durchschnittlichen<br />

Wachstum pro Jahr von nom<strong>in</strong>al 16,57 Prozent während 15 Jahren. E<strong>in</strong> solches<br />

Wachstum ist nur möglich, wenn zusätzliche Ressourcen e<strong>in</strong>gesetzt werden können.<br />

Dieser zusätzliche Ressourcene<strong>in</strong>satz kann, falls vorhanden, quantitativer o<strong>der</strong> aber<br />

qualitativer Natur se<strong>in</strong>. Im Bezug auf Arbeitskräfte bedeutet dies, entwe<strong>der</strong> zusätzliche<br />

Arbeitskräfte e<strong>in</strong>zusetzen o<strong>der</strong> Qualität <strong>und</strong> Effizienz vorhandener Arbeitskräfte<br />

zu erhöhen. Letzteres ruft nach Verbessern des allgeme<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong>sniveaus<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> beruflichen Qualifikation von Arbeitenden. In diesem S<strong>in</strong>ne hängt das zukünfti-


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 159<br />

ge wirtschaftliche Wachstum <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu e<strong>in</strong>em wesentlichen Teil<br />

vom <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> damit Qualifikationsniveau <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Arbeitskräfte ab<br />

(«Brutto<strong>in</strong>landprodukt» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; «Employment» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Schucher,<br />

1999).<br />

Das allgeme<strong>in</strong> bescheidene Qualifikationsniveau <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung beschränkt<br />

sich nicht auf e<strong>in</strong>fache Arbeitende. Auch <strong>in</strong> den Führungsetagen von Betrieben<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Verwaltung sitzen viele Mitarbeitende mit tiefem Qualifikationsniveau. Der<br />

Mangel an qualifizierten Arbeitskräften <strong>und</strong> gut ausgebildetem Führungspersonal ist<br />

e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> grossen langfristigen Probleme, mit denen die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zu kämpfen<br />

hat. Schlecht qualifiziertes Management, sei es <strong>in</strong> den Führungsetagen öffentlicher<br />

o<strong>der</strong> nichtstaatlichen Institutionen <strong>und</strong> Betriebe, ist <strong>in</strong> verschiedener H<strong>in</strong>sicht<br />

h<strong>in</strong><strong>der</strong>lich. In diesem S<strong>in</strong>ne hat e<strong>in</strong> höheres <strong>Bildung</strong>sniveau auf Managementstufe<br />

langfristig positive Auswirkungen sowohl auf das angestrebte nationale Wirtschaftswachstum<br />

als auch <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Wettbewerbsfähigkeit bezüglich <strong>der</strong> <strong>in</strong>tensivieren<br />

weltwirtschaftlichen Integration <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a sowie <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> verstärkten<br />

globalen Abhängigkeit vom Zugang zu Wissen <strong>und</strong> Information (Berryman,<br />

2000; Hebel, 1997; Hebel & Schucher, 1992; Schucher, 1999; Wang, 1998; World<br />

Bank, 1997).<br />

Die Anfor<strong>der</strong>ungen an e<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong>ssystemwandel h<strong>in</strong>sichtlich wirtschaftlichem<br />

Wachstum betreffen gr<strong>und</strong>sätzlich bestmögliche Chancengleichheit für alle Auszubildenden<br />

sowie effiziente <strong>und</strong> qualitativ hochstehende <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten wie <strong>in</strong><br />

den nachfolgenden Abschnitten erläutert wird. Wirtschaftliches Wachstum bedarf zudem<br />

e<strong>in</strong>er angemessenen Gewichtung <strong>der</strong> drei Wirtschaftssektoren. E<strong>in</strong>e Produktivitätssteigerung<br />

im primären Sektor (Agrarwirtschaft) ist weit weniger wachstumswirksam<br />

als e<strong>in</strong>e Erhöhung <strong>der</strong> Produktivität des sek<strong>und</strong>ären (Industrie) <strong>und</strong> tertiären<br />

(Dienstleistung) Wirtschaftssektors. Zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts werden 15 Prozent<br />

des ch<strong>in</strong>esischen Brutto<strong>in</strong>landprodukts (BIP) im Agrar-, gut 50 Prozent im Industrie-<br />

<strong>und</strong> gut 30 Prozent im Dienstleistungssektor erwirtschaftet. R<strong>und</strong> 50 Prozent <strong>der</strong><br />

ch<strong>in</strong>esischen Arbeitskräfte erarbeiten die 15 Prozent BIP im primären, r<strong>und</strong> 20 Prozent<br />

die gut 50 Prozent BIP im sek<strong>und</strong>ären <strong>und</strong> knapp 30 Prozent aller Arbeitenden die gut<br />

30 Prozent im tertiären Wirtschaftssektor. In <strong>der</strong> Folge hat die Produktivitätssteigerung<br />

e<strong>in</strong>er Arbeitskraft im Industriesektor mittelfristig kaum, im Dienstleistungssektor<br />

langfristig h<strong>in</strong>gegen stärkere positive Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum.<br />

Und gerade weil e<strong>in</strong>e Produktivitätssteigerung wirtschaftliches Wachstum bewirkt,<br />

werden die dadurch frei gesetzten Arbeitskräfte wie<strong>der</strong> benötigt. Arbeitslosigkeit entsteht<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge nur vorübergehend. Das Funktionieren dieser Mechanismen ist für<br />

die ch<strong>in</strong>esische Regierung e<strong>in</strong>e grosse Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>und</strong> bed<strong>in</strong>gt das Entwickeln<br />

kluger <strong>und</strong> langfristig durchdachter <strong>St</strong>rategien. E<strong>in</strong>e Produktivitätssteigerung im Zusammenhang<br />

mit Arbeitskräften ist <strong>in</strong> jedem Fall abhängig von <strong>der</strong>en <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong><br />

Qualifikationsniveau <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>e Frage e<strong>in</strong>es <strong>Bildung</strong>ssystemwandels mit den<br />

richtigen Schwerpunkten wie vorangehende Ausführungen bereits gezeigt haben (Berryman,<br />

2000; «Brutto<strong>in</strong>landprodukt» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; Dahlman & Aubert, 2001;<br />

«Employment» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; OECD, 2002b; Schucher, 1999; World Bank, 1999a;<br />

World Bank, 1999b).


160 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.2.3.3.2. Chancengleichheit<br />

E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem bed<strong>in</strong>gt unter an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>en möglichst gleichberechtigten<br />

Zugang zu <strong>Bildung</strong> für die gesamte Bevölkerung (vergleiche Teil III: 1.1.). Dies ist e<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong> Voraussetzungen für e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong> höheres <strong>Bildung</strong>sniveau. Wie <strong>in</strong> allen Län<strong>der</strong>n<br />

dieser Welt s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a Geschlecht, Abstammung, Herkunft,<br />

Ges<strong>und</strong>heit, f<strong>in</strong>anzielle Mittel, familiäre Unterstützung, Lernumfeld, <strong>Bildung</strong>möglichkeiten<br />

sowie Qualität <strong>und</strong> physische Erreichbarkeit von <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen ausschlaggebend<br />

für die Chancengleichheit, um e<strong>in</strong> höheres <strong>Bildung</strong>sniveau für jeden<br />

E<strong>in</strong>zelnen <strong>und</strong> die gesamte Bevölkerung zu erreichen (vergleiche Teil III: 1.3.4.2.).<br />

Die weibliche Bevölkerung wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a gr<strong>und</strong>sätzlich geför<strong>der</strong>t.<br />

In <strong>der</strong> Folge macht das Analphabetentum unter Frauen, welches im alten Ch<strong>in</strong>a über<br />

90 Prozent betrug, im Jahr 1982 nur noch 50 Prozent aus. In den 80er <strong>und</strong> 90er Jahren<br />

geht das Analphabetentum ch<strong>in</strong>esischer Frauen weiter zurück. Der Anteil Analphabeten<br />

<strong>der</strong> gesamten ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung beträgt heute weniger als zehn<br />

Prozent (vergleiche Teil II: 1.). Davon s<strong>in</strong>d zwei Drittel Frauen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Drittel Männer.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> zunehmenden Alphabetisierung <strong>der</strong> weiblichen Bevölkerung Ch<strong>in</strong>as s<strong>in</strong>d<br />

die Anteile von Mädchen <strong>und</strong> Frauen <strong>in</strong> allen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen gestiegen. Der<br />

Anteil jüngerer berufstätiger Frauen ist <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a im Verlauf <strong>der</strong> vergangenen zwei<br />

Jahrzehnte unter an<strong>der</strong>em deshalb gesunken, weil diese sich, im Gegensatz zu früher,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausbildung bef<strong>in</strong>den. E<strong>in</strong> höherer <strong>Bildung</strong>sgrad führt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel zu besseren<br />

Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt (vergleiche Teil III: 1.3.3.). Der Anteil (älterer)<br />

berufstätiger Frauen hat sich demzufolge <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a erhöht. Doch die<br />

Unterschiede <strong>der</strong> beruflichen Tätigkeiten von Frauen <strong>und</strong> Männern s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a nach<br />

wie vor gross. Nicht zuletzt deshalb, weil Frauen, wie <strong>in</strong> allen Län<strong>der</strong>n dieser Welt,<br />

e<strong>in</strong>en grossen Teil ihres Arbeitse<strong>in</strong>satzes <strong>in</strong> Haushalt <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en unentgeltlichen<br />

Tätigkeitsbereichen leisten. Doch Frauen haben auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a nicht<br />

durchwegs dieselben Möglichkeiten wie Männer, obwohl ch<strong>in</strong>esische Frauen im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich sehr gut da stehen. Das heisst, die geschlechterspezifische<br />

Chancengleichheit ist sowohl im Zugang zu <strong>Bildung</strong> als auch zu Arbeitsmöglichkeiten<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a besser als <strong>in</strong> vielen an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n. Wenn auch die<br />

Situation für Ch<strong>in</strong>es<strong>in</strong>nen auf dem Land nicht die gleiche ist wie für diejenigen <strong>in</strong><br />

städtischen Agglomerationen (Asian Development Bank, 2002; MOE, 2002; Tan &<br />

Peng, 2000; «White Papers of ...» [Onl<strong>in</strong>e e], 2002).<br />

Betreffend <strong>der</strong> ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten (vergleiche Teil III: 2.2.1.2.) ist die ch<strong>in</strong>esische<br />

Zentralregierung ebenfalls um Chancengleichheit bemüht. Um Kultur <strong>und</strong> Sprache<br />

ethnischer M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten zu erhalten, wird e<strong>in</strong>e gewisse staatliche Unterstützung<br />

gewährt. Das M<strong>in</strong>isterium für <strong>Bildung</strong> <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g stellt beispielsweise jedes Jahr e<strong>in</strong>e<br />

bestimmte Anzahl Schulbücher für die Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschulstufe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache<br />

ethnischer M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten zur Verfügung. Wobei neben <strong>der</strong> «eigenen» Sprache auch<br />

Mandar<strong>in</strong> (die offizielle ch<strong>in</strong>esische Hochsprache) Pflichtsprache <strong>in</strong> allen Schulen ist.<br />

Trotzdem variiert das Analphabetentum von Bevölkerungsgruppe zu Bevölkerungsgruppe<br />

sehr stark. So beträgt die Rate <strong>der</strong> Analphabeten unter <strong>der</strong> tibetischen Bevölkerung<br />

gut 60 Prozent. In Ch<strong>in</strong>a lebende Koreaner zeichnen sich h<strong>in</strong>gegen durch e<strong>in</strong>


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 161<br />

sehr hohes <strong>Bildung</strong>sniveau aus. Es gibt nur ungefähr sieben Prozent Analphabeten<br />

unter den Koreanern <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a, was <strong>in</strong> etwa dem nationalen Durchschnitt aller Ch<strong>in</strong>esen<br />

im Jahr 2001 entspricht (vergleiche Teil II: 1.) Bei <strong>der</strong> Nationalen Hochschulprüfung<br />

geniessen Bewerber von ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e <strong>St</strong>ellung <strong>und</strong><br />

werden bevorzugt zum Hochschulstudium zugelassen, sofern sie Mandar<strong>in</strong> beherrschen<br />

(vergleiche Teil II: 1.2.5.1.). Um nach dem Gr<strong>und</strong>studium mit e<strong>in</strong>em Hauptstudium<br />

weiterzufahren, haben Kandidaten <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>zen Gansu, Guizhou, Q<strong>in</strong>ghai <strong>und</strong><br />

Yunnan sowie <strong>der</strong> autonomen Regionen Guangxi, Innere Mongolei, N<strong>in</strong>gxia <strong>und</strong> Xizang<br />

erleichterten Zugang (vergleiche Tabelle 4). Dies hat zur Folge, dass heute jede<br />

<strong>der</strong> 55 ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a über e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Anteil <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> verfügt<br />

(Du, 2000; Kunga, Besichtigung, 2001; MOE, 2002; «White papers of ...» [Onl<strong>in</strong>e<br />

b], [Onl<strong>in</strong>e c], [Onl<strong>in</strong>e d], 2002).<br />

Auch die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong> weiblichen Bevölkerung ethnischer M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten<br />

hat Resultate gezeigt. Heute haben ungefähr 50 Prozent aller Frauen ethnischer<br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten zum<strong>in</strong>dest wenige Jahre e<strong>in</strong>e Schule besucht. In <strong>der</strong> Folge ist <strong>der</strong><br />

allgeme<strong>in</strong>e Anteil berufstätiger Frauen ethnischer M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten stark angestiegen.<br />

Über 70 Prozent <strong>der</strong> weiblichen Bevölkerung <strong>der</strong> 55 ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten im Alter<br />

von m<strong>in</strong>destens 15 Jahren ist heute berufstätig. Dies entspricht ungefähr dem Anteil<br />

berufstätiger Frauen <strong>in</strong> ganz Ch<strong>in</strong>a, das heisst e<strong>in</strong>schliesslich <strong>der</strong> Han-Ch<strong>in</strong>es<strong>in</strong>nen.<br />

Der hohe Anteil berufstätiger Frauen ethnischer M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten hat <strong>der</strong>en gesellschaftlichen<br />

<strong>St</strong>atus <strong>und</strong> Lebensstandard wesentlich erhöht (Halskov Hansen, 2001; MOE,<br />

2002; «White papers of ...» [Onl<strong>in</strong>e c], [Onl<strong>in</strong>e e], 2002).<br />

E<strong>in</strong> steigen<strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>sgrad <strong>der</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>heitenbevölkerung ist für die <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a von grosser Bedeutung. Obwohl <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten an <strong>der</strong><br />

Gesamtbevölkerung Ch<strong>in</strong>as mit acht Prozent sehr ger<strong>in</strong>g ist, bewohnen diese Bevölkerungsgruppen<br />

r<strong>und</strong> zwei Drittel des ch<strong>in</strong>esischen Territoriums. Die klimatischen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen, die Infrastruktur <strong>und</strong> die wirtschaftlichen wie sozialen Entwicklungsmöglichkeiten<br />

<strong>in</strong> diesen Regionen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> weiten Gebieten sehr schwierig <strong>und</strong> äusserst<br />

bescheiden. Von e<strong>in</strong>er möglichst guten, wenn auch m<strong>in</strong>imalen <strong>Bildung</strong> e<strong>in</strong>es Grossteils<br />

<strong>der</strong> Bewohner dieser Regionen verspricht sich die zentrale Regierung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>iges. So kann die zunehmende wirtschaftliche <strong>und</strong> soziale<br />

Entwicklung sowie e<strong>in</strong> höheres <strong>Bildung</strong>sniveau <strong>der</strong> lokalen Bevölkerung den Zugang<br />

zum natürlichen Reichtum <strong>der</strong> von ethnischen M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten bewohnten Gebiete erleichtern.<br />

E<strong>in</strong> gehobenerer Lebensstandard wirkt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel auch positiv auf die<br />

soziale <strong>St</strong>abilität aus <strong>und</strong> trägt im Fall Ch<strong>in</strong>a wohl nicht zuletzt zur Sicherung <strong>der</strong> Landesgrenzen<br />

bei (Johnson, 2000; Kunga, Gespräche, 2001; World Bank, 1999b).<br />

2.2.3.3.3. Qualitätssteigerung<br />

1986 wird die neunjährige Schulpflicht für die ganze <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>geführt.<br />

Die offiziell bekannt gegebenen Quoten <strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschulten K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen im<br />

schulpflichtigen Alter <strong>und</strong> <strong>der</strong>jenigen, welche die Schule abschliessen o<strong>der</strong> fortsetzen,<br />

s<strong>in</strong>d bee<strong>in</strong>druckend (vergleiche Tabellen 13, 15, 17) (Hebel, 1997; «Indicators on<br />

Proportions ...» [Onl<strong>in</strong>e], 2002; <strong>St</strong>arr, 2001):


162 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1990 1995 1999 2000<br />

E<strong>in</strong>schulungsquote im schulpflichtigen Alter 97,8 98,5 99,1 99,1<br />

Übertrittsquote <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule<br />

<strong>in</strong> die Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe<br />

74,6 90,8 94,4 94,9<br />

Übertrittsquote <strong>der</strong> Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe<br />

<strong>in</strong> die Mittelschule <strong>der</strong> Oberstufe<br />

40,6 48,3 50,0 51,1<br />

Angaben <strong>in</strong> Prozent<br />

Tabelle 40: E<strong>in</strong>schulungs- <strong>und</strong> Übertrittsquoten von 1990 bis 2000<br />

Das Analphabetentum geht von 18,1 Prozent im Jahr 1990 auf 6,7 Prozent im Jahr<br />

2000 zurück (vergleiche Tabelle 10). Basierend auf diesen offiziellen statistischen<br />

Angaben müsste e<strong>in</strong> wesentlicher Gr<strong>und</strong> für das Zurückgehen des Analphabetentums<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> den fast h<strong>und</strong>ertprozentigen E<strong>in</strong>schulungsquoten schulpflichtiger K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Jugendlicher liegen. Trotzdem handelt es sich hierbei um re<strong>in</strong> quantitative Angaben,<br />

die wenig aussagekräftig <strong>in</strong> Bezug auf die Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> s<strong>in</strong>d. In Komb<strong>in</strong>ation<br />

mit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> quantitativen Verhältnisse an ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen<br />

kann jedoch versucht werden, mögliche Schlussfolgerungen betreffend <strong>der</strong><br />

Qualität <strong>der</strong>selben zu ziehen (vergleiche Tabellen 11, 13, 15, 17, 20, 25):<br />

<strong>St</strong>ufe:<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />

Gr<strong>und</strong>schule<br />

Mittelschule<br />

Hochschule<br />

Berufsmittelschule<br />

Fachmittelschule<br />

Pädagogische<br />

Mittelschulen<br />

Anzahl<br />

Institutionen<br />

Anzahl<br />

<strong>St</strong>udierende<br />

Anzahl<br />

Lehrende<br />

<strong>St</strong>udierende<br />

pro Institution<br />

<strong>St</strong>udierende<br />

pro Lehrenden<br />

Tabelle 41: Entwicklungstendenzen ch<strong>in</strong>esischer <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen zu Beg<strong>in</strong>n<br />

des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

Die Anzahl <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen stagniert o<strong>der</strong> verr<strong>in</strong>gert sich auf allen <strong>Bildung</strong>sstufen<br />

<strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a, obwohl die Anzahl <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> ab <strong>der</strong> Mittelschulstufe zunehmend ist. Es<br />

ist möglich, dass <strong>der</strong> Rückgang von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>und</strong> Schülern pro Institution <strong>und</strong> Lehrenden<br />

<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>schulen <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit den offiziell fast h<strong>und</strong>ertprozentigen<br />

E<strong>in</strong>schulungsquoten mit e<strong>in</strong>er besseren Qualität e<strong>in</strong>her geht, womit e<strong>in</strong><br />

Beitrag zur f<strong>und</strong>ierten Verbesserung <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schulbildung geleistet wäre (vergleiche<br />

Teil III: 2.1.1.1.). Die Zunahme von <strong>St</strong>udierenden pro Institution <strong>und</strong> Lehrenden ab<br />

Mittelschulstufe ist h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong> möglicher H<strong>in</strong>weis auf mangelnde Qualität aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> quantitativen Verhältnisse auf diesen Schulstufen. Die Entwicklung qualitativ<br />

hochstehen<strong>der</strong> oberer Mittelschulen <strong>und</strong> Hochschulen dürfte damit e<strong>in</strong>e wichtige langfristige<br />

Zielsetzung se<strong>in</strong>. Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> kaum vorhandenen praktischen<br />

Erfahrung junger ch<strong>in</strong>esischer Pädagogen ist die hohe Anzahl <strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

grossen Herausfor<strong>der</strong>ungen für Lehrende <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Doch nicht nur<br />

die jungen, unerfahrenen Pädagogen, son<strong>der</strong>n auch die vielen älteren Lehrenden, die<br />

zwar seit Jahren unterrichten, aber über ke<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> unzureichende pädagogische<br />

Ausbildung verfügen, s<strong>in</strong>d dieser Situation kaum gewachsen.


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 163<br />

Abgesehen von möglichen qualitativen Konsequenzen aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> quantitativen<br />

Verhältnisse an ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen, lassen sich verschiedene qualitative<br />

Defizite im <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a erkennen. In ganz Ch<strong>in</strong>a<br />

konzentrieren sich <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>halte nach wie vor sehr stark auf Theorien, Informationsquellen<br />

wie Bücher, die zum Teil sehr veraltet s<strong>in</strong>d, <strong>und</strong> bisher Gelehrtes, anstatt dass<br />

problemlösungsorientierte <strong>und</strong> praktische Fähigkeiten <strong>in</strong> die Curricula <strong>in</strong>tegriert würden.<br />

Das Vermitteln zukunftsorientierter Lern<strong>in</strong>halte, stellt neue Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />

Lehrende <strong>und</strong> Pädagogen. Das heisst, die Ausbildung <strong>der</strong>selben muss entsprechend<br />

angepasst werden (vergleiche Teil II: 2.). Zudem müssen Lehrende über e<strong>in</strong>en angemessenen<br />

Spielraum <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gestaltung des Unterricht verfügen, damit die Lern<strong>in</strong>halte<br />

auch kurzfristig s<strong>in</strong>nvoll aktualisiert werden können. Die allgeme<strong>in</strong>e Beurteilung <strong>der</strong><br />

Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a vor allem aufgr<strong>und</strong> quantitativer<br />

Resultate statt. Das heisst beispielsweise aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schulungs- o<strong>der</strong> Absolventenquoten.<br />

Lehrmethoden <strong>und</strong> Lernprozesse werden weniger analysiert. Um e<strong>in</strong>e<br />

Qualitätssteigerung zu erreichen, s<strong>in</strong>d Methoden- <strong>und</strong> Prozessanalysen jedoch e<strong>in</strong>e<br />

unbed<strong>in</strong>gte Ergänzung zu re<strong>in</strong> qualitativen Massstäben (Besichtigungen Beij<strong>in</strong>g,<br />

Jiangxi, Shaanxi, Shanghai, 1999; World Bank, 1997; World Bank, 1999b).<br />

2.2.4. Entwicklungstendenzen<br />

Seit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a im Jahr 1949 haben sowohl die ch<strong>in</strong>esische<br />

Wirtschaft als auch das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>ssystem verschiedenste Entwicklungsphasen<br />

durchlaufen. Es stellt sich die Frage, wie die Ausgangslage für die zukünftige<br />

Entwicklung zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts aussieht. Mit an<strong>der</strong>en Worten:<br />

Welche Tendenzen lassen sich bezüglich <strong>der</strong> wirtschaftlichen <strong>und</strong> bildungspolitischen<br />

Entwicklung erkennen.<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> werden im kommunistischen Ch<strong>in</strong>a nicht unbed<strong>in</strong>gt um <strong>der</strong><br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> willen geför<strong>der</strong>t. Das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>swesen ist seit Mitte<br />

des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts vor allem Mittel zum Zweck. In den 50er <strong>und</strong> zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong><br />

60er Jahre wurde die berufliche <strong>Bildung</strong> stark ausgebaut. Während <strong>der</strong> Kulturrevolution<br />

(1966 bis 1976) steht «nur» noch die handwerkliche Arbeit im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, wobei<br />

die wirtschaftliche Entwicklung des Landes dadurch e<strong>in</strong>seitig, wenn überhaupt,<br />

vorangetrieben, wurde. Mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Reform <strong>und</strong> Öffnungspolitik Ende <strong>der</strong><br />

70er Jahre werden die wirtschaftlichen Zielsetzungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a neu<br />

def<strong>in</strong>iert. Auch das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>swesen rückt damit wie<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> neues Licht.<br />

Der bisherige Aufbau <strong>und</strong> die Bemühungen um e<strong>in</strong>e erfolgreiche Entwicklung des<br />

ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystems seit Ende <strong>der</strong> 70er Jahre s<strong>in</strong>d bemerkenswert.<br />

Im Vergleich zum wirtschaftlichen Wachstum <strong>und</strong> dem enormen Wandel<br />

<strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Wirtschaftsstrukturen wurde auf dem Gebiet <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

h<strong>in</strong>gegen nur wenig erreicht. Das Primat <strong>der</strong> Wirtschaft war, ist <strong>und</strong> bleibt erste<br />

Priorität <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Regierung. Auch <strong>in</strong> den kommenden Jahren steht die Absicht,<br />

e<strong>in</strong> mehrprozentiges Wirtschaftswachstum zu erreichen an oberster <strong>St</strong>elle. Ist<br />

e<strong>in</strong> solches Wachstum ohne e<strong>in</strong>en entsprechenden <strong>Bildung</strong>ssystemwandel erreich-


164 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

bar? Die Reform <strong>und</strong> Öffnungspolitik seit Ende <strong>der</strong> 70er Jahre <strong>und</strong> <strong>der</strong> enorme <strong>St</strong>rukturwandel<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Wirtschaft während den vergangenen Jahre s<strong>in</strong>d die<br />

Hauptursachen für das bisherige Wachstum <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Volkswirtschaft. Die<br />

zahlreichen Reformen, die Öffnung nach aussen <strong>und</strong> die strukturellen wirtschaftlichen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen stellen gleichzeitig neue Herausfor<strong>der</strong>ungen an die ch<strong>in</strong>esische Zentralregierung.<br />

Um diese neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen zu meistern, braucht es e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />

qualitativ f<strong>und</strong>ierten <strong>Bildung</strong>ssystemwandel (Wong, 1999).<br />

Der graduelle Übergang vom Plan zum Markt ist bei weitem noch nicht abgeschlossen.<br />

Die allgeme<strong>in</strong> mangelhafte Qualifikation ch<strong>in</strong>esischer Arbeitskräfte wurde aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> bisher e<strong>in</strong>geführten marktwirtschaftlichen Elemente zum offiziell anerkannten<br />

Problem. Um dieses Problem <strong>in</strong> den Griff zu bekommen, gilt es e<strong>in</strong>erseits den<br />

allgeme<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong>sgrad <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung zu verbessern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits<br />

das berufliche Qualifikationsniveau ch<strong>in</strong>esischer Arbeitskräfte zu erhöhen.<br />

Denn zwischen Wirtschaftswachstum <strong>und</strong> dem <strong>Bildung</strong>sgrad beziehungsweise Qualifikationsniveau<br />

e<strong>in</strong>er Bevölkerung besteht e<strong>in</strong> enger Zusammenhang. E<strong>in</strong> weit weniger<br />

fassbares Problem ist dasjenige <strong>der</strong> Arbeitsuchenden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.<br />

E<strong>in</strong>e Infrastruktur, um Arbeitslose zu «verwalten» ist zwar geschaffen worden, doch<br />

wie steht es mit <strong>der</strong> Betreuung von Arbeitsuchenden? Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> zu erwartenden<br />

Zunahme <strong>der</strong> Arbeitslosenzahlen, offiziell o<strong>der</strong> verdeckt, stellen sich wesentliche Fragen<br />

(Mizdalski, Gespräch, 1999; Opper, 1999; Schucher, 1999; Schüller, 1999).<br />

Die bisherige wirtschaftliche Entwicklung zeigt verstärkte Unterschiede zwischen <strong>der</strong><br />

ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung <strong>in</strong> städtischen Agglomerationen <strong>und</strong> auf dem Land.<br />

Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass offiziell ke<strong>in</strong>e Zahlen über die Arbeitslosigkeit <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

auf dem Land bekannt s<strong>in</strong>d, kann angenommen werden, dass die Verhältnisse<br />

auf dem Land nicht besser s<strong>in</strong>d als <strong>in</strong> den <strong>St</strong>ädten. Die grosse Zahl <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>arbeiter,<br />

die hauptsächlich aus ländlichen Regionen stammen, ist e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis darauf, dass<br />

Arbeit <strong>und</strong> damit Verdienstmöglichkeiten <strong>in</strong> den wirtschaftlich besser entwickelten<br />

<strong>St</strong>ädten zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> nicht auf dem Land. Die grossen <strong>und</strong> immer grösseren<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Unterschiede zwischen <strong>St</strong>adt <strong>und</strong> Land wirken sich auch<br />

auf das <strong>Bildung</strong>ssystem aus. Das heisst umgekehrt, e<strong>in</strong> entsprechen<strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>ssystemwandel<br />

könnte dieser Entwicklung entgegen wirken, denn <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>sgrad <strong>der</strong><br />

ländlichen Bevölkerung ist im Allgeme<strong>in</strong>en bescheidener als <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

<strong>St</strong>adtbevölkerung. Mit <strong>der</strong> Annäherung an marktwirtschaftliche Verhältnisse<br />

klafft die Schere zwischen dem <strong>Bildung</strong>sgrad <strong>der</strong> städtischen <strong>und</strong> <strong>der</strong> ländlichen Bevölkerung<br />

noch weiter ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Das «Projekt Hoffnung» br<strong>in</strong>gt sicherlich Hoffnung,<br />

ist aber letztendlich nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Beitrag zur Entschärfung e<strong>in</strong>er tiefgreifenden<br />

regionalen Problematik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die nichtstaatlichen <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht für die zukünftige Entwicklung Ch<strong>in</strong>as von<br />

grosser Bedeutung. Denn die nichtstaatlichen <strong>Bildung</strong>sbeiträge kompensieren bis zu<br />

e<strong>in</strong>em gewissen Grad die ger<strong>in</strong>gen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen des öffentlichen ch<strong>in</strong>esischen<br />

Haushalts <strong>und</strong> könnten deshalb e<strong>in</strong>en Beitrag zu besserem Ausgleich <strong>der</strong> grossen<br />

regionalen Unterschiede des <strong>Bildung</strong>sniveaus <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung<br />

leisten (Becker, 2000; Peng, 2000; Tsang, 2000; Xue, Interview, 1999).


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 165<br />

Die Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystems gew<strong>in</strong>nt aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>tensivierten weltwirtschaftlichen Integration <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a an nicht<br />

zu unterschätzen<strong>der</strong> Bedeutung. Um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu se<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> zu bleiben, werden hohe Anfor<strong>der</strong>ungen an das Qualifikationsniveau <strong>der</strong> Arbeitskräfte<br />

im eigenen Land gestellt. Das gilt vor allem für ch<strong>in</strong>esische Führungskräfte <strong>der</strong><br />

Wirtschaft sowie im <strong>St</strong>aats- <strong>und</strong> Parteiapparat. Die quantitativen Vorteile, welche die<br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich durchaus wettbewerbsfähig machen,<br />

genügen langfristig nicht, um auf dem Weltmarkt zu bestehen. Der Produktionsfaktor<br />

Arbeit ist auf <strong>in</strong>ternationaler Ebene e<strong>in</strong>em wesentlich schärferen Wettbewerb ausgesetzt<br />

als dies auf nationaler Ebene <strong>der</strong> Fall ist. Die Produktivität ch<strong>in</strong>esischer Arbeitskräfte<br />

beruht unter an<strong>der</strong>em auf <strong>der</strong>en Qualifikationsniveau. In <strong>der</strong> Folge ist e<strong>in</strong> qualitativ<br />

hochstehendes <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystem e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wichtigsten Faktoren,<br />

um anhaltendes wirtschaftliches Wachstum zu begünstigen <strong>und</strong> beste Ausgangslage<br />

für die <strong>in</strong>ternationale Wettbewerbsfähigkeit <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Volkswirtschaft zu schaffen<br />

(Schüller, 1999; Fischer, 2000).<br />

Der Ende 2001 vollzogene Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) ist <strong>der</strong> wichtigste<br />

bisherige Schritt <strong>in</strong> Richtung zunehmen<strong>der</strong> E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung Ch<strong>in</strong>as <strong>in</strong> die Weltwirtschaft.<br />

Der Beitritt zur WTO ist für Ch<strong>in</strong>a mit weitreichenden Auflagen verb<strong>und</strong>en. Die<br />

WTO Mitgliedschaft bedeutet für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a langfristig, unter <strong>in</strong>ternationaler<br />

Beobachtung weitere erhebliche Verän<strong>der</strong>ungen im Inland <strong>in</strong> die Wege zu leiten,<br />

<strong>der</strong>en Auswirkungen schwierig abzuschätzen s<strong>in</strong>d. Der durch den Übergang vom Plan<br />

zum Markt noch «junge» ch<strong>in</strong>esische Arbeitsmarkt wird durch die WTO Mitgliedschaft<br />

zusätzlichem Druck ausgesetzt. Das Problem <strong>der</strong> mangelhaft qualifizierten Arbeitskräfte<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> regionalen Unterschiede wird dadurch zusätzlich verschärft. Aufgr<strong>und</strong><br />

des WTO Beitritts wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a zudem mit e<strong>in</strong>er deutlich zunehmenden<br />

Arbeitslosenquote zu rechnen se<strong>in</strong>. Die Erhöhung des qualitativen <strong>Bildung</strong>s<strong>und</strong><br />

Qualifikationsniveaus <strong>der</strong> gesamten ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung wird damit noch<br />

dr<strong>in</strong>glicher (Fischer, 2000).<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Unternehmen mit ausländischer Beteiligung gew<strong>in</strong>nt im H<strong>in</strong>blick auf<br />

e<strong>in</strong> erfolgreiches Bestehen Ch<strong>in</strong>as im <strong>in</strong>ternationalen Wettbewerb zunehmend an<br />

Bedeutung. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> formalen Gleichstellung ch<strong>in</strong>esischer <strong>und</strong> ausländischer<br />

Unternehmen, als Folge des WTO Beitritts, verbessert sich die <strong>St</strong>ellung <strong>der</strong> Unternehmen<br />

aus dem Ausland <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Da die meisten ausländischen<br />

Unternehmen ihre ch<strong>in</strong>esischen Mitarbeitenden betriebs<strong>in</strong>tern aus- <strong>und</strong> weiterbilden,<br />

leisten sie e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag zur besseren Qualifizierung ihrer Arbeitskräfte <strong>in</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a. Diese wichtige Unterstützung e<strong>in</strong>es verbesserten <strong>Bildung</strong>sgrads <strong>und</strong> Qualifikationsniveaus<br />

ch<strong>in</strong>esischer Arbeitskräfte ist zwar e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Beitrag zum landesweit<br />

enorm grossen Bedarf, bedeutet jedoch für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>en gewissen<br />

«bra<strong>in</strong> ga<strong>in</strong>» <strong>und</strong> ist damit e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong>imale Kompensation für den momentan anhaltenden<br />

«bra<strong>in</strong> dra<strong>in</strong>» (vergleiche Teil III: 2.1.4.) (Becker, 2000; Fischer, 2000; Seitz,<br />

2000).


166 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

2.3. Schlussfolgerungen<br />

Die im ersten Kapitel dieses dritten Teils <strong>der</strong> Dissertation erarbeiteten Schlussfolgerungen<br />

zu Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem haben für die<br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a folgende konkrete Bedeutung (vergleiche Teil III: 1.4.):<br />

Systembed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen<br />

<strong>St</strong>aat / Politik<br />

Teil III: 1.2.1.; 1.2.2.1.;<br />

2.1.3.2.<br />

V W<br />

V S<br />

F W<br />

F S<br />

Wirtschaft im weiteren S<strong>in</strong>ne<br />

Teil III: 2.2.2.1.<br />

Übergangsgesellschaft<br />

Teil III: 2.2.3.1.<br />

V Ü<br />

E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Teil III: 1.1.<br />

V Q<br />

F D<br />

V C<br />

Qualitätssteigerung<br />

Teil III: 2.2.3.3.3.<br />

V BA<br />

V AB<br />

V WW<br />

Dezentralisierung<br />

Teil III: 2.1.3.1.<br />

Chancengleichheit<br />

Teil III: 2.2.3.2.2.<br />

Arbeitsmarkt<br />

Teil III: 2.2.3.2.<br />

Wirtschaftswachstum<br />

Teil III: 2.2.3.3.1.<br />

Abbildung 30: Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Theoretische Erkenntnisse<br />

V S von <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> Politik gesetzte<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen (<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

öffentliche <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen) s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Voraussetzung für die Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

F S politische <strong>und</strong> soziale <strong>St</strong>abilität ist langfristig<br />

e<strong>in</strong>e mögliche Folge e<strong>in</strong>es guten<br />

<strong>Bildung</strong>ssystems, was vor allem für <strong>St</strong>aat <strong>und</strong><br />

Politik von grossem Interesse ist<br />

V W nichtstaatliche <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen (unter<br />

an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Wirtschaft) s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Voraussetzung für die Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

Bedeutung für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• unklare Zuständig- <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten<br />

zentraler <strong>und</strong> regionaler Behörden<br />

• sehr ger<strong>in</strong>ge öffentliche<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen (im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich)<br />

• Bedarf an <strong>in</strong>tensiverem <strong>in</strong>ternationalem<br />

<strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> Forschungsaustausch<br />

• ausgeglichenes <strong>Bildung</strong>sniveau bezüglich<br />

Geschlecht sowie <strong>der</strong> 55 ethnischen<br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten<br />

• verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te regionale Unterschiede<br />

• angemessene, nichtstaatliche f<strong>in</strong>anzielle<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligungen (im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich)<br />

• vere<strong>in</strong>zelte Projekte auf privater Basis<br />

• wenige, aber zielgerichtete betriebs<strong>in</strong>terne<br />

Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

sowohl <strong>in</strong> <strong>in</strong>- als auch ausländischen<br />

Unternehmen


Interdependenzen: <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a 167<br />

Theoretische Erkenntnisse<br />

F W qualifizierte potentielle Arbeitskräfte als e<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong> Folgen e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems s<strong>in</strong>d<br />

für die Wirtschaft im weiteren S<strong>in</strong>ne von<br />

grosser Bedeutung<br />

V Ü e<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist unter an<strong>der</strong>em<br />

e<strong>in</strong>e Voraussetzung für e<strong>in</strong>en erfolgreichen<br />

Transformationsprozess <strong>in</strong><br />

Übergangsgesellschaften<br />

F D e<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

möglichen Folgen von<br />

Dezentralisierungsmassnahmen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land<br />

V AB e<strong>in</strong> vorhandener Arbeitsmarkt ist unter<br />

an<strong>der</strong>em e<strong>in</strong>e Voraussetzung für die<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>es guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

V BA e<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong> Voraussetzungen für e<strong>in</strong>en gut<br />

funktionierenden Arbeitsmarkt<br />

V W<br />

W<br />

e<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

Voraussetzungen für wirtschaftliches<br />

Wachstum<br />

V C Chancengleichheit ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

Voraussetzungen für die Entwicklung e<strong>in</strong>es<br />

guten <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

V Q Qualitätssteigerung ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Voraussetzung<br />

für die Entwicklung e<strong>in</strong>es guten<br />

<strong>Bildung</strong>ssystems<br />

Bedeutung für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• anhaltendes nationales<br />

Wirtschaftswachstum<br />

• <strong>in</strong>ternationale Wettbewerbsfähigkeit<br />

• Zugang zu <strong>und</strong> Umgang mit globalem<br />

Wissen <strong>und</strong> Information<br />

• Übergang von zentralistischer Planwirtschaft<br />

zu sozialistischer Marktwirtschaft<br />

• sowohl wirtschaftlicher als auch politischer<br />

<strong>und</strong> sozialer Transformationsprozess<br />

• unklare Zuständig- <strong>und</strong> Verantwortlichkeiten<br />

zentraler <strong>und</strong> regionaler Behörden<br />

• bildungsstufengerechte Dezentralisierung<br />

o<strong>der</strong> allfällige Rezentralisierung<br />

• graduelle E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Arbeitsmarkts<br />

• gut funktionieren<strong>der</strong> Arbeitsmarkt noch nicht<br />

vorhanden<br />

• allgeme<strong>in</strong>es <strong>Bildung</strong>ssystem genügt <strong>der</strong>zeit<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen e<strong>in</strong>es gut funktionierenden<br />

Arbeitsmarkts nicht<br />

• betriebliche Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung<br />

kompensiert teilweise Entwicklungsbedarf<br />

des <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

• Bedarf an qualitativem Ressourcene<strong>in</strong>satz<br />

beziehungsweise qualifizierten<br />

Arbeitskräften<br />

• sektorgerechte arbeitskraftbed<strong>in</strong>gte<br />

Produktionssteigerung ausschlaggebend<br />

• gute bisherige Ergebnisse betreffend<br />

Zugang zu <strong>Bildung</strong> für Frauen <strong>und</strong> ethnische<br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>heiten<br />

• regional grosse Unterschiede (<strong>St</strong>adt-Land-<br />

Gefälle)<br />

• quantitative <strong>St</strong>eigerung (E<strong>in</strong>schulungs- /<br />

Absolventenquoten) bewirkt nur bed<strong>in</strong>gt<br />

qualitative <strong>St</strong>eigerung<br />

• Defizite bezüglich Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong><br />

Tabelle 42: E<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a:<br />

Voraussetzungen <strong>und</strong> Folgen


TEIL IV: Erkenntnisse


«Give people a handout or a tool, and they will live a little better.<br />

Give them an education, and they will change the world.»<br />

(World Bank, 1999a, S. iii).


Erkenntnisse: Kernaussagen 173<br />

1. Kernaussagen<br />

Die Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystems ist von entscheiden<strong>der</strong><br />

Bedeutung für die politische, wirtschaftliche <strong>und</strong> soziale Zukunft <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a.<br />

Konfuzius:<br />

Menzius:<br />

Mandar<strong>in</strong>at<br />

Mao Zedong:<br />

Kulturrevolution<br />

Deng Xiaop<strong>in</strong>g:<br />

Reform- <strong>und</strong> Öffnungspolitik<br />

Sozialistische Marktwirtschaft<br />

Wirtschaftswachstum<br />

BILDUNG<br />

UND<br />

ERZIEHUNG<br />

IN DER<br />

VOLKS-<br />

REPUBLIK<br />

CHINA<br />

politische Zukunft<br />

wirtschaftliche Zukunft<br />

soziale Zukunft<br />

Globale Integration<br />

Abbildung 31: E<strong>in</strong>fluss auf <strong>und</strong> Zukunft von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

e<strong>in</strong>erseits geprägt von den Ideen von Konfuzius (551 bis 479 vor Christus), Menzius<br />

(372 bis 289 vor Christus), Mao Zedong (1893 bis 1976) <strong>und</strong> Deng Xiaop<strong>in</strong>g (104<br />

bis 1997), um nur die wichtigsten Persönlichkeiten zu nennen. An<strong>der</strong>seits haben die<br />

aus diesen Ideen <strong>und</strong> den jeweiligen Umständen folgenden Entwicklungen, wie das<br />

Mandar<strong>in</strong>at, die Kulturrevolution, die Reform- <strong>und</strong> Öffentlichkeitspolitik, das Ziel e<strong>in</strong>er<br />

sozialistischen Marktwirtschaft, das enorme Wirtschaftswachstum <strong>und</strong> die zunehmende<br />

globalen Integration Ch<strong>in</strong>as, e<strong>in</strong>en wesentlichen E<strong>in</strong>fluss auf <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Ausführungen zu <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> Teil I <strong>und</strong> II sowie den aufgezeigten<br />

Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> Teil III dieser Arbeit<br />

lassen sich verschiedene mögliche Entwicklungstendenzen von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Erziehung</strong> im Spannungsfeld von Politik <strong>und</strong> Wirtschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

herauskristallisieren. Diese Entwicklungstendenzen s<strong>in</strong>d Gegenstand des ersten<br />

Abschnitts des Kapitels «Erkenntnisse». Potentielle Chancen <strong>und</strong> Risiken, die sich<br />

aufgr<strong>und</strong> dieser Entwicklungstendenzen abzeichnen, s<strong>in</strong>d Thema im zweiten Abschnitt<br />

dieses Kapitels. Entsprechende Schlussfolgerungen zu <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a, Interdependenzen von Wirtschaft, Politik <strong>und</strong> Pädagogik, werden<br />

abschliessend <strong>in</strong> kurzer Form festgehalten.


174 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1.1. Entwicklungstendenzen<br />

Entwicklungstendenzen<br />

Teil IV: 1.1.<br />

Systembed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 1.1.<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Teil II<br />

Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 1.2.<br />

Politik<br />

Teil I: 2.3.<br />

Wirtschaft<br />

Teil I: 2.4.<br />

Geschichte<br />

Teil I: 2.1.<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

Teil I: 2.2.<br />

Abbildung 32: Teil IV: 1.1. <strong>der</strong> Dissertation: Entwicklungstendenzen<br />

Teil III <strong>der</strong> vorliegenden Dissertation behandelt theoretisch mögliche <strong>und</strong> für die <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a bedeutende system- <strong>und</strong> verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte Interdependenzen von<br />

Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem, e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> die zuvor behandelten historischen<br />

<strong>und</strong> für <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> bedeutenden Rahmenbed<strong>in</strong>gungen. Sich daraus<br />

ergebende mögliche Entwicklungstendenzen, wie <strong>in</strong> Abbildung 32 dargestellt, s<strong>in</strong>d<br />

Gegenstand <strong>der</strong> nachfolgenden Ausführungen.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts ist das ch<strong>in</strong>esische <strong>Bildung</strong>ssystem e<strong>in</strong> relativ gut<br />

strukturiertes System, das verschiedene Möglichkeiten <strong>der</strong> Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung auf<br />

unterschiedlichsten <strong>St</strong>ufen anbietet. Es handelt sich um e<strong>in</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem, das stark<br />

auf theoretische <strong>und</strong> prüfungsorientierte <strong>Bildung</strong> ausgerichtet ist. Diese Theorie<strong>und</strong><br />

Prüfungslastigkeit stehen anwendungs- <strong>und</strong> handlungsorientierten <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Erziehung</strong> <strong>der</strong> Menschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a im Weg.<br />

Bereits im K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e bildungsbezogene Schichtung <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Bevölkerung statt. F<strong>in</strong>anziell o<strong>der</strong> politisch gut etablierte Familien können<br />

ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten mit qualifizierter Betreuung <strong>und</strong> guter Ausstattung schikken.<br />

Die bildungsbezogene Schichtung <strong>der</strong> Bevölkerung setzt sich auf allen <strong>St</strong>ufen<br />

des <strong>Bildung</strong>ssystems fort. Im schulpflichtigen Alter (6 bis 14 Jahre) besuchen K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> Jugendliche <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel die Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschule <strong>der</strong> Unterstufe. Der Rückgang<br />

<strong>der</strong> Schülerzahlen auf diesen Schulstufen ist hauptsächlich Folge <strong>der</strong> E<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dpolitik<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die offiziell hohen E<strong>in</strong>schulungsquoten im Pflichtschulalter<br />

s<strong>in</strong>d mit Vorsicht zu geniessen, da viele <strong>der</strong> e<strong>in</strong>geschulten K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> Ju-


Erkenntnisse: Entwicklungstendenzen 175<br />

Jugendlichen die Schule nicht abschliessen. Dies ist vor allem <strong>in</strong> ländlichen Gebieten<br />

Ch<strong>in</strong>as e<strong>in</strong> Problem.<br />

Das allgeme<strong>in</strong>e Schulsystem ist am besten ausgebaut <strong>und</strong> betrifft <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die<br />

akademische <strong>Bildung</strong>. Ab oberer Mittelschul- <strong>und</strong> auf Hochschulstufe steht vor allem<br />

die prüfungsorientierte Leistungsbewertung im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Die vielfach behauptete<br />

«beschränkte Entwicklungs- <strong>und</strong> Innovationsfähigkeit ch<strong>in</strong>esischer Akademiker <strong>und</strong><br />

Wissenschafter» ist unter an<strong>der</strong>em darauf zurückzuführen. Für die zukünftige Entwicklung<br />

von Wissenschaft <strong>und</strong> Technologie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist dieses «Defizit»<br />

<strong>in</strong>sofern von Bedeutung, als die im Ausland ausgebildeten ch<strong>in</strong>esischen Akademiker<br />

<strong>und</strong> Wissenschafter, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel ausgeprägtere Entwicklungs- <strong>und</strong> Innovationsfähigkeiten<br />

aneignen können, auch mehrheitlich im Ausland bleiben (Wang,<br />

1998).<br />

Das System <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Schwerpunkt-Schulen ist gr<strong>und</strong>sätzlich umstritten. Es<br />

handelt sich bei diesen Schulen um e<strong>in</strong>e Art Eliteausbildung, die nur e<strong>in</strong>em sehr kle<strong>in</strong>en<br />

Teil <strong>der</strong> Bevölkerung zugute kommt. Die Kriterien zur Aufnahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schwerpunkt-schule<br />

s<strong>in</strong>d oftmals <strong>und</strong>urchsichtig. In Shanghai, <strong>in</strong> verschiedener H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong> fortschrittlichsten <strong>St</strong>ädte beziehungsweise <strong>St</strong>adtprov<strong>in</strong>zen Ch<strong>in</strong>as, setzt die <strong>Bildung</strong>sbehörde<br />

laut eigenen Aussagen (Besichtigungen, 1999) auf e<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong><br />

höheren <strong>St</strong>andard <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>und</strong> schafft deshalb Schwerpunkt-Schulen<br />

teilweise ab. Auf <strong>Universität</strong>sstufe h<strong>in</strong>gegen ist es erklärtes Ziel <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Zentralregierung,<br />

Schwerpunkt-<strong>Universität</strong>en langfristig zu <strong>in</strong>ternational führenden Hochschulen<br />

im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> amerikanischen IVY League <strong>Universität</strong>en zu entwickeln (Becker,<br />

2000).<br />

Doch <strong>der</strong> Schlüssel zur erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung <strong>und</strong> langfristigen<br />

sozialen <strong>St</strong>abilität <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a liegt nur bed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausbildung e<strong>in</strong>er<br />

hochqualifizierten Elite. E<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong> besseres <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> Qualifikationsniveau <strong>der</strong><br />

gesamten ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung <strong>in</strong> den städtischen Agglomerationen <strong>und</strong> vor<br />

allem auf dem Land ist von ausschlaggeben<strong>der</strong> Bedeutung.<br />

Die Berufsbildung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a f<strong>in</strong>det nach wie vor fast ausschliesslich<br />

auf dem schulischen Weg statt. Trotz wissenschaftlicher Forschung <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationalem<br />

Austausch auf dem Gebiet <strong>der</strong> dualen Berufsbildung, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e mit Experten<br />

aus Deutschland <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schweiz, ist <strong>der</strong> praktische Anteil <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Berufsbildung<br />

sehr ger<strong>in</strong>g. Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungsprogramme <strong>in</strong>nerhalb von ch<strong>in</strong>esischen<br />

Betrieben umzusetzen, gilt als sehr schwierig. Es mangelt diesbezüglich sowohl<br />

an Überzeugung <strong>der</strong> Beteiligten als auch an notwendigen Voraussetzungen für die<br />

Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung <strong>in</strong> Betrieben.<br />

Die E<strong>in</strong>weg-Durchlässigkeit vom allgeme<strong>in</strong>en <strong>in</strong>s berufsbildende Schulsystem (das<br />

heisst e<strong>in</strong> Wechsel aus dem Berufsbildungs- zurück <strong>in</strong>s allgeme<strong>in</strong>e Schulsystem ist<br />

nicht möglich) macht die berufliche Ausbildung nicht sehr attraktiv. Die Lehrerausbildung<br />

ist davon ebenso betroffen. Denn auch pädagogische <strong>Bildung</strong>swege s<strong>in</strong>d sehr<br />

theoretisch <strong>und</strong> meistens re<strong>in</strong> schulisch aufgebaut. Das allgeme<strong>in</strong> mässige Qualifikationsniveau<br />

von Pädagogen schlägt sich im ganzen <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystem<br />

nie<strong>der</strong>. H<strong>in</strong>zu kommen die relativ ger<strong>in</strong>gen Verdienstmöglichkeiten im Lehrberuf <strong>und</strong>


176 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

die heute nicht mehr sehr angesehene gesellschaftliche <strong>St</strong>ellung von Lehrenden, was<br />

<strong>der</strong> Attraktivität <strong>der</strong> Lehrerausbildung zusätzlich abträglich ist.<br />

E<strong>in</strong> Angebot an Erwachsenenbildung ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a heute auf allen<br />

<strong>St</strong>ufen vorhanden. Der Bedarf an Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschulbildung für Erwachsene wird<br />

sich <strong>in</strong> Zukunft voraussichtlich stabilisieren. Die Generation, welche <strong>in</strong> ihrer Ausbildung<br />

durch die Kulturrevolution (1966 bis 1979) bee<strong>in</strong>trächtigt wurde, wird das Angebot je<br />

länger je weniger <strong>in</strong> Anspruch nehmen. Diese Aussage trifft nicht zu auf die pädagogischen<br />

Ausbildungswege, welche auch Erwachsenen zugänglich s<strong>in</strong>d. Auf Hochschulstufe<br />

<strong>und</strong> an den beson<strong>der</strong>en Institutionen <strong>der</strong> Abend- <strong>und</strong> Fernstudienprogramme<br />

sowie den Arbeiter, Bauern <strong>und</strong> Freizeit <strong>Universität</strong>en ist h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong> zunehmendes<br />

Interesse von Erwachsenen zu erwarten.<br />

Das Analphabetentum konnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>in</strong> den vergangen 20 Jahren<br />

von knapp 30 Prozent auf unter 10 Prozent <strong>der</strong> gesamten Bevölkerung gesenkt<br />

werden. Die verbesserten E<strong>in</strong>schulungsquoten schulpflichtiger K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>und</strong> die Erwachsenenbildung<br />

haben wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen. Es ist nicht<br />

zu erwarten, dass das Analphabetentum auf e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum s<strong>in</strong>kt. E<strong>in</strong>e solche Entwicklung<br />

ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen. Erstens lässt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen<br />

Bevölkerung teilweise e<strong>in</strong> Spätanalphabetentums (ursprünglich Lesende <strong>und</strong><br />

Schreibende verlernen diese Fähigkeiten wie<strong>der</strong>) feststellen. Zweitens gehen aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> weniger streng kontrollierten E<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dpolitik <strong>der</strong> ländlichen Bevölkerung Zweit- <strong>und</strong><br />

Drittk<strong>in</strong><strong>der</strong> auf dem Land eher dem Geld verdienen nach als <strong>in</strong> die Schule. Diese Situation<br />

wird noch verschärft, wenn die Schulen gebührenpflichtig s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e grosse<br />

Nachfrage nach Arbeitskräften unter an<strong>der</strong>em aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> wirtschaftlichen Entwicklung<br />

besteht (Hebel, 1997).<br />

Private <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen gibt es heute <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>ige. Diese<br />

<strong>Bildung</strong>sstätten def<strong>in</strong>ieren sich hauptsächlich dadurch, dass sie nicht öffentlich s<strong>in</strong>d.<br />

Es gibt auf allen Schulstufen e<strong>in</strong>e Vielzahl unterschiedlicher privater Schultypen. Die<br />

e<strong>in</strong>en bieten allgeme<strong>in</strong>- o<strong>der</strong> berufsbildende <strong>und</strong> die an<strong>der</strong>en elitäre Ausbildungen an.<br />

E<strong>in</strong>ige s<strong>in</strong>d f<strong>in</strong>anziell sehr günstig. an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um können ausgesprochen teuer<br />

se<strong>in</strong>. Die Qualität <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong> an privaten Schulen ist sehr unterschiedlich. Privatschulen<br />

machen bis <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Mittelschulstufe e<strong>in</strong>en Bruchteil <strong>der</strong> Anzahl öffentlicher<br />

Schulen aus. Auf Hochschulstufe existieren heute ungefähr gleich viele private<br />

<strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen wie öffentliche. Etwa e<strong>in</strong> Siebtel aller <strong>St</strong>udierenden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a ist an privaten <strong>Universität</strong>en immatrikuliert - e<strong>in</strong>e Entwicklung, die sich<br />

auch <strong>in</strong> Zukunft fortsetzen dürfte.<br />

E<strong>in</strong>e klassische Schnittstelle von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>ssystem ist die F<strong>in</strong>anzierung<br />

von <strong>Bildung</strong>ssystemen. Der relative Anteil öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen,<br />

gemessen am Bruttosozialprodukt (BIP), liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a unter<br />

drei Prozent. Auch wenn <strong>der</strong> absolute Anteil staatlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen im Jahr<br />

2000 über 30 Milliarden US$ beträgt, ist die im ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>sgesetz formulierte<br />

Zielsetzung (Anteil öffentlicher <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen hat dem BIP Wachstum zu<br />

entsprechen) bisher nicht erreicht worden. Mit knapp drei Prozent liegt die <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a nicht nur im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich weit h<strong>in</strong>ter den durchschnittlichen


Erkenntnisse: Entwicklungstendenzen 177<br />

öffentlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen zurück, son<strong>der</strong>n verfehlt auch das im Jahr 1992<br />

formulierte Ziel, bis Ende 2000 vier Prozent des BIP <strong>in</strong>s <strong>Bildung</strong>ssystem zu <strong>in</strong>vestieren.<br />

Ob diese Zielsetzung <strong>in</strong> naher Zukunft erreicht wird, hängt von verschiedenen<br />

Faktoren ab, nicht zuletzt von <strong>der</strong> Entwicklung nichtstaatlicher <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen.<br />

Im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich erreichen die nichtstaatlichen <strong>Bildung</strong>sbeteiligungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>en durchschnittlichen Anteil. Um zukünftigen Ansprüchen<br />

gerecht zu werden, bedarf es jedoch sowohl e<strong>in</strong>er Erhöhung <strong>der</strong> öffentlichen als<br />

auch <strong>der</strong> nichtstaatlichen <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>vestitionen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.<br />

In engem Zusammenhang mit den f<strong>in</strong>anziellen Investitionen <strong>in</strong>s <strong>Bildung</strong>ssystem steht<br />

das wirtschaftliche Wachstum. Denn ohne e<strong>in</strong> gutes <strong>Bildung</strong>ssystem ist e<strong>in</strong> langfristig<br />

anhaltendes Wirtschaftswachstum schwierig zu realisieren. Wirtschaftliches<br />

Wachstum ist wie<strong>der</strong>um Voraussetzung zur Bewältigung <strong>der</strong> zu erwartenden wachsenden<br />

Zahl <strong>der</strong> Arbeitsuchenden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a - e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> grössten politischen,<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Herausfor<strong>der</strong>ungen für Ch<strong>in</strong>a. Die politische<br />

Handhabung <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit von seiten <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Regierung ist von<br />

ausschlaggeben<strong>der</strong> Bedeutung. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass e<strong>in</strong> jährliches<br />

Wirtschaftswachstum von fünf bis acht Prozent ungefähr e<strong>in</strong> Prozent zusätzliche<br />

Arbeitsplätze <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a schaffen würde. Um das Problem <strong>der</strong><br />

Arbeitslosigkeit möglichst zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, müsste e<strong>in</strong> zweistelliges prozentuales Wirtschaftswachstum<br />

erreicht werden können - e<strong>in</strong> aus heutiger Sicht eher unrealistisches<br />

Szenario. Es gibt kaum e<strong>in</strong>e Möglichkeit, dem Problem <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ganz auszuweichen, aber es gibt durchaus Wege, diesem Problem<br />

entgegenzuwirken. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> zentralen Massnahmen ist die Verbesserung des<br />

allgeme<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong>sniveaus <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung <strong>und</strong> vor allem das Erhöhen<br />

des Qualifikationsniveaus ch<strong>in</strong>esischer Arbeitskräfte.<br />

Die zunehmende weltwirtschaftliche Integration ist mit weiteren zukünftigen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a verb<strong>und</strong>en. Um im <strong>in</strong>ternationalen Wettbewerb<br />

zu bestehen, spielt <strong>der</strong> Produktionsfaktor Arbeit <strong>und</strong> damit <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>sgrad<br />

<strong>und</strong> das Qualifikationsniveau ch<strong>in</strong>esischer Arbeitskräfte e<strong>in</strong>e zentrale Rolle. In <strong>der</strong><br />

Folge ist e<strong>in</strong> qualitativ hochstehendes ch<strong>in</strong>esisches <strong>Bildung</strong>ssystem e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Voraussetzungen für die <strong>in</strong>ternationale Wettbewerbsfähigkeit. Mit dem wichtigen<br />

Schritt <strong>in</strong> Richtung <strong>in</strong>tensiverer weltwirtschaftlicher Integration, dem WTO-Beitritt Ende<br />

2001, wird <strong>der</strong> Druck, entsprechende Verän<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

<strong>in</strong> die Wege zu leiten, auch <strong>in</strong> Zukunft weiter steigen.


178 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

1.2. Chancen <strong>und</strong> Risiken<br />

Chancen <strong>und</strong> Risiken<br />

Teil IV: 1.2.<br />

Entwicklungstendenzen<br />

Teil IV: 1.1.<br />

Systembed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 1.1.<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem<br />

Teil II<br />

Verän<strong>der</strong>ungsbed<strong>in</strong>gte<br />

Interdependenzen<br />

Teil III: 1.2.<br />

Politik<br />

Teil I: 2.3.<br />

Wirtschaft<br />

Teil I: 2.4.<br />

Geschichte<br />

Teil I: 2.1.<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

Teil I: 2.2.<br />

Abbildung 33: Teil IV: 1.2. <strong>der</strong> Dissertation: Chancen <strong>und</strong> Risiken<br />

Wie <strong>in</strong> Abbildung 33 dargestellt, zeichnen sich aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> aufgezeigten Entwicklungstendenzen<br />

verschiedene potentielle Chancen <strong>und</strong> Risiken ab. Die nachfolgenden<br />

Ausführungen weisen auf e<strong>in</strong>ige dieser Chancen <strong>und</strong> Risiken im Zusammenhang mit<br />

den <strong>in</strong> Teil III dieser Arbeit aufgezeigten Interdependenzen von Politik, Wirtschaft <strong>und</strong><br />

<strong>Bildung</strong>ssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a h<strong>in</strong>. Es handelt sich hierbei um Erkenntnisse,<br />

die sich im Rahmen des Erarbeiteten <strong>in</strong> dieser Dissertation ergeben. Es gilt zu<br />

berücksichtigen, dass sich die D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a enorm schnell verän<strong>der</strong>n<br />

<strong>und</strong> dies aus hiesiger Sicht oftmals <strong>in</strong> kaum fassbaren Dimensionen. In diesem<br />

S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d mögliche Chancen <strong>und</strong> Risiken <strong>der</strong> zukünftigen Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen<br />

<strong>Bildung</strong>ssystems im Spannungsfeld von Politik <strong>und</strong> Wirtschaft die Folgenden:<br />

Die im ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystem gr<strong>und</strong>sätzlich vorhandenen <strong>St</strong>rukturen <strong>und</strong> die<br />

hierfür geschaffenen gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Verwaltungsprozesse können als<br />

gute Ausgangslage <strong>und</strong> damit als Chance für die zukünftige Entwicklung von <strong>Bildung</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a bewertet werden.<br />

Die bildungsmässige Schichtung <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung aufgr<strong>und</strong> des bestehenden<br />

<strong>Bildung</strong>ssystems kann <strong>in</strong>sofern als Chance bewertet werden, als dass Ch<strong>in</strong>a<br />

e<strong>in</strong>e hochqualifizierte Elite braucht. Dies nicht zuletzt, um die Rückkehr für im Ausland<br />

studierende Ch<strong>in</strong>esen attraktiver zu machen. In diesem S<strong>in</strong>ne ist das Beibehalten


Erkenntnisse: Chancen <strong>und</strong> Risiken 179<br />

von Schwerpunkt-Schulen positiv zu beurteilen. E<strong>in</strong> gewisses Risiko könnte <strong>in</strong> <strong>der</strong> zu<br />

starken Fokussierung auf die Elitebildung bestehen, denn ohne gleichzeitig gut qualifizierte<br />

Fachkräfte <strong>in</strong> ganz Ch<strong>in</strong>a auszubilden, ist das angestrebte wirtschaftliche<br />

Wachstum kaum zu erreichen.<br />

Die starke Ausrichtung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems auf theoretisches Wissen<br />

<strong>und</strong> Prüfungsleistungen stellt e<strong>in</strong> Risiko dar, falls ke<strong>in</strong>e ergänzenden Kriterien e<strong>in</strong>geführt<br />

werden. Praktische, anwendungs- <strong>und</strong> handlungsorientierte <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong><br />

werden <strong>in</strong> Zukunft sowohl für die akademische als auch berufliche <strong>Bildung</strong> e<strong>in</strong>e<br />

immer wichtigere Rolle spielen. In diesem S<strong>in</strong>ne kommt <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Lehrerbildung<br />

e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu. Denn die heutigen <strong>und</strong> zukünftigen Pädagogen<br />

müssen selbst vermehrt praktisch, anwendungs- <strong>und</strong> handlungsorientiert aus- <strong>und</strong><br />

weitergebildet werden, damit sie dieses Wissen <strong>und</strong> ihre Erfahrungen weitergeben<br />

können.<br />

Das Entstehen unterschiedlicher privater <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen auf allen <strong>Bildung</strong>sstufen<br />

ist als wichtige Ergänzung zum öffentlichen <strong>Bildung</strong>sangebot zu begrüssen <strong>und</strong> damit<br />

e<strong>in</strong>e Chance für die zukünftige Entwicklung von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a. Privatschulen s<strong>in</strong>d vor allem auch für die Landbevölkerung e<strong>in</strong>e Chance.<br />

Denn aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung von Schulgel<strong>der</strong>n im öffentlichen Schulwesen, versuchen<br />

private <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>itiativen unter an<strong>der</strong>em auch beitragsfreie <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten<br />

auf dem Land anzubieten.<br />

Das relativ breite Angebot an Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungsmöglichkeiten für Erwachsene<br />

ist als Chance für die Zukunft Ch<strong>in</strong>as zu sehen. Erwachsenenbildung wird immer<br />

wichtig bleiben, denn trotz dem Schw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kulturrevolution benachteiligten<br />

Generation, wird auch <strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong> Bedarf an Fortbildung <strong>und</strong> Umschulung<br />

für Erwachsene bestehen. Vor allem im H<strong>in</strong>blick auf steigende Arbeitslosenzahlen,<br />

aber auch aufgr<strong>und</strong> des heute allgeme<strong>in</strong> schnelleren Wissenszerfalls, spielt Erwachsenenbildung<br />

e<strong>in</strong>e sehr wichtige Rolle.<br />

E<strong>in</strong>e höhere Arbeitslosenquote br<strong>in</strong>gt verschiedene Risiken mit sich. Mögliche Folgen<br />

von grosser Arbeitslosigkeit s<strong>in</strong>d erstens soziale Unruhen vor allem <strong>in</strong> dicht besiedelten<br />

Gebieten. Zweitens könnte das Spannungsverhältnis e<strong>in</strong>erseits zwischen <strong>St</strong>adt<br />

<strong>und</strong> Land sowie an<strong>der</strong>seits zwischen Arbeitenden <strong>und</strong> Arbeitsuchenden <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong>selben Gesellschaftsschicht verstärkt werden. Drittens besteht das Risiko <strong>der</strong> Auflehnung<br />

sowohl gegen die politische als auch gegen die wirtschaftliche Führung des<br />

Landes.<br />

Das enorme wirtschaftliche Wachstum <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a br<strong>in</strong>gt sowohl Chancen<br />

als auch Risiken mit sich. Aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> positiven wirtschaftlichen Entwicklung besteht<br />

die Möglichkeit, dass im Ausland studierende ch<strong>in</strong>esische Landsleute wie<strong>der</strong> vermehrt<br />

<strong>in</strong> ihre alte Heimat zurückkehren. Dies bedeutet e<strong>in</strong>e grosse Chance für die zukünftige<br />

Forschung <strong>und</strong> Entwicklung sowie für die Elite <strong>in</strong> Politik <strong>und</strong> Wirtschaft. Wirtschaftliches<br />

Wachstum kann jedoch auch e<strong>in</strong> zunehmendes Gefälle zwischen <strong>St</strong>adt <strong>und</strong><br />

Land <strong>und</strong> damit e<strong>in</strong>e verstärkte Regionalisierung zur Folge haben. Da immer noch <strong>der</strong><br />

grössere Teil <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Bevölkerung auf dem Land lebt, trotz Millionen von


180 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Wan<strong>der</strong>arbeitern, bedeutet e<strong>in</strong>e allfällig zunehmende Regionalisierung e<strong>in</strong> erhebliches<br />

Risiko.<br />

Die zunehmende Integration <strong>in</strong> die Weltwirtschaft kann e<strong>in</strong>e grosse Chance für die<br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a se<strong>in</strong>, wenn die dadurch ausgelösten Verän<strong>der</strong>ungen erfolgreich<br />

gemeistert werden. Es ist zu erwarten, dass sich unter an<strong>der</strong>em das Problem <strong>der</strong><br />

Arbeitslosigkeit <strong>in</strong> den kommenden Jahren zunehmend verschärft. Wird die ch<strong>in</strong>esische<br />

Regierung dieser Herausfor<strong>der</strong>ung gerecht, bedeutet die weltwirtschaftliche<br />

Integration für die <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>e grosse Chance.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> grössten <strong>und</strong> wichtigsten Chancen für e<strong>in</strong>e erfolgreiche zukünftige Entwicklung<br />

des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystem besteht wohl im gradualistischen Ansatz Verän<strong>der</strong>ungsprozesse<br />

zu bewältigen, mit dem langfristigen Ziel, e<strong>in</strong>e spezifisch ch<strong>in</strong>esische<br />

Lösung zu f<strong>in</strong>den (Pepper, 1996):<br />

«Ch<strong>in</strong>a's own history and culture as well as its current rate and direction<br />

of economic and social development argue for Ch<strong>in</strong>a follow<strong>in</strong>g its<br />

own path <strong>in</strong> education reform. Ch<strong>in</strong>a's overall reform strategy of gradualst,<br />

step-by-step pilot<strong>in</strong>g of new ideas and direction seems to us to<br />

be the wisest direction. This gradualist approach allows for experimentation<br />

and modification of ideas and policies without risk<strong>in</strong>g the collaps<br />

of efforts to ensure <strong>in</strong>creased quality and cont<strong>in</strong>u<strong>in</strong>g equity <strong>in</strong> the education<br />

system» (World Bank, 1997, S. 12).


Schlussfolgerungen 181<br />

2. Schlussfolgerungen<br />

Die Entwicklung des ch<strong>in</strong>esischen <strong>Bildung</strong>ssystems steht zu Beg<strong>in</strong>n des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

vor e<strong>in</strong>igen grossen Herausfor<strong>der</strong>ungen, die me<strong>in</strong>es Erachtens nicht losgelöst<br />

von den politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Entwicklungen zu bewältigen s<strong>in</strong>d. So wie das<br />

«spezifisch Ch<strong>in</strong>esische» für die Politik <strong>und</strong> die Wirtschaft gef<strong>und</strong>en werden muss, gilt<br />

es, auch für die weitere Entwicklung von <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> den spezifisch ch<strong>in</strong>esischen<br />

Weg <strong>in</strong> die Zukunft zu f<strong>in</strong>den. Viele Chancen können wahrgenommen werden.<br />

Aber es gibt auch e<strong>in</strong>ige Risikopotentiale, welche es zu erkennen <strong>und</strong> denen es mit<br />

entsprechenden Massnahmen zu begegnen gilt.<br />

Dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a die Entwicklung h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>ssystem<br />

spezifisch ch<strong>in</strong>esischer Prägung voran schreiten wird, b<strong>in</strong> ich überzeugt.<br />

Wie <strong>und</strong> wann das Ziel e<strong>in</strong>es sozialistischen <strong>Bildung</strong>ssystems ch<strong>in</strong>esischen Charakters<br />

erreicht se<strong>in</strong> wird, steht me<strong>in</strong>er Beurteilung zum heutigen Zeitpunkt nicht zu.<br />

Denn:<br />

«Die Sicht aller Schauenden wird durch ihren <strong>St</strong>andort bestimmt.<br />

Nicht nur <strong>der</strong> <strong>St</strong>andort, son<strong>der</strong>n auch die verschiedenen Erkenntnismethoden<br />

schränken unsere Sicht e<strong>in</strong>. Wir können immer nur<br />

e<strong>in</strong>en Teil o<strong>der</strong> verschiedene Teile von Phänomenen erkennen,<br />

die Gesamtheit aller Aspekte bleibt uns unzugänglich» (Erw<strong>in</strong><br />

Schurtenberger, 1993, S. 61).<br />

Die Aussagekraft dieses Zitats hat e<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>e Bedeutung nicht nur für die<br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a, son<strong>der</strong>n für den gesamten ch<strong>in</strong>esischen Kulturraum.<br />

Die vorliegende Dissertation ist mit <strong>der</strong> Absicht, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>leitung gestellten Fragen<br />

zu beantworten, entstanden. Ich glaube, diese Fragen zu e<strong>in</strong>em grossen Teil beantwortet<br />

zu haben.


Anhang


184 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Anhang A<br />

A. Forschungsdokumentation<br />

A.1.<br />

Literaturrecherche<br />

Die Literaturrecherche g<strong>in</strong>g ursprünglich von den folgenden Perspektiven aus:<br />

• Theoretische Gr<strong>und</strong>lagen<br />

• <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Pädagogik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Die Quellen über die relevanten theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen s<strong>in</strong>d nicht sehr zahlreich.<br />

Dasselbe gilt für Pädagogik <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.<br />

Die Literaturrecherche <strong>in</strong> den Bereichen <strong>Bildung</strong>, <strong>Erziehung</strong>, Politik <strong>und</strong> Wirtschaft <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a war relativ ergiebig.<br />

Das weiterführende Forschen nach Quellen richtete sich e<strong>in</strong>erseits nach den erhaltenen<br />

H<strong>in</strong>weisen <strong>und</strong> Dokumenten während <strong>der</strong> Forschungsaufenthalte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a, an<strong>der</strong>seits nach den im Verlauf <strong>der</strong> Arbeit vollzogenen Erkenntnisfortschritten.<br />

A.2.<br />

<strong>St</strong>atistische Angaben<br />

Die Auswahl statistischer Angaben für diese Arbeit beruht auf den folgenden Auswahlkriterien:<br />

• Verfügbarkeit<br />

• Aktualität<br />

• Validität<br />

• Relevanz für das zu behandelnde Thema<br />

• Möglichkeit aufschlussreicher Folgerungen<br />

Die Verfügbarkeit statistischer Angaben zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist sehr unterschiedlich.<br />

Diejenigen Angaben, die zur Verfügung stehen, s<strong>in</strong>d oftmals veraltet. Aktuelle<br />

statistische Angaben s<strong>in</strong>d nicht selten lückenhaft o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprüchlich. Wobei die<br />

Unzulänglichkeit <strong>und</strong> Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit statischen Materials zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

nicht alle<strong>in</strong> auf den unzureichenden statistischen Apparat zurückzuführen, son<strong>der</strong>n<br />

auch e<strong>in</strong> Ergebnis bewusster Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungspolitik ist. <strong>St</strong>ehen aktuelle statistische<br />

Angaben zur Verfügung, gilt es <strong>der</strong>en Validität, so weit dies möglich ist, zu überprüfen.<br />

Ch<strong>in</strong>esische <strong>St</strong>atistiken werden lei<strong>der</strong> nur bed<strong>in</strong>gt dazu erstellt, die Verhältnisse <strong>in</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a durchschaubar zu machen. Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorliegenden Dissertation verwendeten<br />

statistischen Angaben zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a s<strong>in</strong>d deshalb, sofern sie für das zu<br />

behandelnde Thema relevant waren, aufgr<strong>und</strong> ihrer Verfügbarkeit, Aktualität <strong>und</strong> Validität<br />

(so weit überprüfbar) ausgewählt worden. «Relevant» für das zu behandelnde<br />

Thema bedeutet e<strong>in</strong>erseits die Möglichkeit, anhand <strong>der</strong> statistischen Angaben,<br />

bestimmte Verhältnis-


Anhang A / Forschungsdokumentation 185<br />

mässigkeiten darzustellen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>seits, entsprechende Schlussfolgerungen ziehen<br />

zu können.<br />

A.3.<br />

Forschungsaufenthalte <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Von April bis Juli 1999 hielt ich mich zwecks Forschungsarbeiten für me<strong>in</strong>e Dissertation<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a auf. Die meiste Zeit verbrachte ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>St</strong>adtprov<strong>in</strong>z<br />

Beij<strong>in</strong>g <strong>und</strong> bereiste weitere Orte <strong>der</strong> <strong>in</strong>sgesamt 32 Verwaltungse<strong>in</strong>heiten <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong><br />

Ch<strong>in</strong>a. Gewohnt habe ich hauptsächlich <strong>in</strong> <strong>St</strong>udentenheimen <strong>der</strong> <strong>Universität</strong>en,<br />

zum Teil wurden mir auch private Unterkünfte zur Verfügung gestellt o<strong>der</strong> ich logierte<br />

<strong>in</strong> Hotels. Im Jahr 2000 habe ich me<strong>in</strong>en Lebensmittelpunkt nach Ch<strong>in</strong>a verlegt. Ich<br />

wohnte <strong>und</strong> arbeitete bis Ende 2001 <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g.<br />

Das Betreiben von Forschungsarbeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a ist gemäss me<strong>in</strong>en<br />

bisherigen Erfahrungen nicht mit den Forschungsmöglichkeiten im Westen beziehungsweise<br />

an <strong>Universität</strong>en <strong>in</strong> entwickelten Län<strong>der</strong>n zu vergleichen. Das folgende<br />

Zitat von J<strong>in</strong>g L<strong>in</strong> (1993) bestätigt me<strong>in</strong>e Aussage:<br />

«Ord<strong>in</strong>arily, educational research <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a does not<br />

mean research <strong>in</strong> the Western sense» (S. 103).<br />

Um dies zu verdeutlichen, führe ich nachfolgend die me<strong>in</strong>es Erachtens zentralen<br />

Punkte betreffend Forschungsarbeiten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a auf:<br />

• Vorbereitungsarbeiten s<strong>in</strong>d allgeme<strong>in</strong> sehr Zeit <strong>in</strong>tensiv<br />

• Auf Vere<strong>in</strong>barungen ist erst dann Verlass, wenn sie stattgef<strong>und</strong>en haben<br />

• Infrastruktur, Organisation <strong>und</strong> Dokumentation variieren sehr stark <strong>in</strong> ihrem<br />

Entwicklungsstand<br />

• Als Nicht-Ch<strong>in</strong>ese/<strong>in</strong> hat man immer <strong>und</strong> überall e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en <strong>St</strong>atus<br />

• E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> ausgeprägtesten Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> ch<strong>in</strong>esischen Kultur besteht dar<strong>in</strong>,<br />

dass Lesen zwischen den Zeilen <strong>und</strong> richtiges Interpretieren von Gesagtem (denn<br />

oftmals wird das Gegenteil von dem gesagt, was geme<strong>in</strong>t ist) entscheidend s<strong>in</strong>d für<br />

das Erreichen o<strong>der</strong> Nicht-Erreichen von angestrebten Zielen<br />

Die aufgeführten Punkte mögen auf den ersten Blick banal ersche<strong>in</strong>en. Ich b<strong>in</strong> jedoch<br />

überzeugt, das alle Personen, die je <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>a gelebt, gearbeitet o<strong>der</strong> geforscht haben,<br />

o<strong>der</strong> es zum<strong>in</strong>dest versuchten, bestätigen können, wie h<strong>in</strong><strong>der</strong>lich sich diese Vorkommnisse<br />

auf das Fortschreiten etwelcher Arbeit auswirken können.<br />

A.3.1.<br />

Besichtigung von <strong>Bildung</strong>s<strong>in</strong>stitutionen <strong>und</strong> Unternehmen<br />

Die besuchten Institutionen <strong>und</strong> Unternehmen bef<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> verschiedenen Prov<strong>in</strong>zen<br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a. Die Auswahl <strong>der</strong> besuchten Institutionen <strong>und</strong> Unternehmen<br />

erfolgte aufgr<strong>und</strong> folgen<strong>der</strong> Kriterien:<br />

• Besuchserlaubnis<br />

• Diversivität <strong>und</strong><br />

• Erreichbarkeit.


186 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Die meisten Besichtigungen kamen dank <strong>der</strong> Vermittlung durch Drittpersonen, e<strong>in</strong>ige<br />

durch persönliche, schriftliche o<strong>der</strong> telefonische Anfragen, zustande.<br />

Die Dauer <strong>der</strong> Besichtigungen war sehr unterschiedlich. E<strong>in</strong> Kurzbesuch dauerte m<strong>in</strong>destens<br />

e<strong>in</strong>e <strong>St</strong><strong>und</strong>e <strong>und</strong> e<strong>in</strong> längerer Aufenthalt zwischen mehreren Tagen <strong>und</strong> Wochen.<br />

Sofern erlaubt, wurden von den besichtigten Institutionen <strong>und</strong> Unternehmen<br />

Videoaufnahmen <strong>und</strong> Fotografien gemacht.<br />

• Prov<strong>in</strong>z Beij<strong>in</strong>g<br />

Beij<strong>in</strong>g Agriculture University<br />

Begleitpersonen: Gao Y<strong>in</strong>g (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>), Ji Wei Hua (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>),<br />

Han Song (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>)<br />

26. April 1999, Beij<strong>in</strong>g: 14.00 bis 16.30 Uhr<br />

Beij<strong>in</strong>g Chao Yang Qu Cultural Palace<br />

Begleitperson: Han Song (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>)<br />

8. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 14.00 bis 17.30 Uhr<br />

Beij<strong>in</strong>g Huacheng Private School<br />

Begleitpersonen: Liu Shan (Headmaster), Wang Shao Lan (Professor<strong>in</strong> CIER)<br />

14. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 10.00 bis 14.00 Uhr<br />

Beij<strong>in</strong>g Language and Culture University<br />

Begleitpersonen: Huang Xiao Dong (Ch<strong>in</strong>esischlehrer),<br />

Shi Jia Wei (Ch<strong>in</strong>esischlehrer<strong>in</strong>), You Haojie (Ch<strong>in</strong>esischlehrer<strong>in</strong>)<br />

April bis Juni 1999, Beij<strong>in</strong>g<br />

Beij<strong>in</strong>g University of Foreign <strong>St</strong>udies<br />

Begleitpersonen: Gao Y<strong>in</strong>g (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>), Ji Wei Hua (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>), Sun Li Li (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>)<br />

26. April 1999, Beij<strong>in</strong>g: 10.30 bis 12.30 Uhr<br />

Ch<strong>in</strong>a National Institute for Educational Research (CIER)<br />

Begleitpersonen: Chen Lixia (wissenschaftliche Mitarbeiter<strong>in</strong>),<br />

Cheng Fangp<strong>in</strong>g (Professor, Pädagoge), Wang Shao Lan (Professor<strong>in</strong>),<br />

Li Jianzhong (wissenschaftlicher Mitarbeiter)<br />

April bis Juli 1999, Beij<strong>in</strong>g<br />

Shougang Group (Iron and <strong>St</strong>eel Industry)<br />

Begleitpersonen: Dubs Annemarie (Swiss Embassy Beij<strong>in</strong>g),<br />

Schmid Anne-Marie (Swissair Beij<strong>in</strong>g), Wang Freda (Consulate General of<br />

Switzerland Shanghai)<br />

13. Juli 1999, Beij<strong>in</strong>g: 09.15 bis 11.30 Uhr<br />

• Prov<strong>in</strong>z Hubei<br />

Holiday Inn Riverside Wuhan<br />

Begleitperson: Egloff Thomas (Director of Sales & Market<strong>in</strong>g)<br />

3. bis 5. Juli 1999, Wuhan


Anhang A / Forschungsdokumentation 187<br />

• Prov<strong>in</strong>z Jiangsu<br />

Suzhou Sch<strong>in</strong>dler Elevator Co., Ltd.<br />

Begleitperson: Walter Haldemann (President)<br />

24. Juni 1999, Suzhou: 14.00 bis 17.00 Uhr<br />

• Prov<strong>in</strong>z Jiangxi<br />

Jiangxi University of F<strong>in</strong>ance and Economics<br />

Begleitpersonen: Gao Qian Y<strong>in</strong>g (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>), Randell Jennifer (Englischlehrer<strong>in</strong>),<br />

<strong>St</strong>rassmair Elisabeth (S<strong>in</strong>ologiestudent<strong>in</strong>), Wong Donna (Englischlehrer<strong>in</strong>)<br />

29. Juni bis 2. Juli 1999, Nanchang<br />

• Prov<strong>in</strong>z Q<strong>in</strong>ghai<br />

Xiabrang School (Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Mittelschule)<br />

Begleitperson: Kunga Rimpoche (Abt)<br />

14. April 2001, Tongren County: Morgen<br />

Quma School (Gr<strong>und</strong>schule)<br />

Begleitperson: Kunga Rimpoche (Abt)<br />

14. April 2001, Tongren County: Nachmittag<br />

• Prov<strong>in</strong>z Shaanxi<br />

Foreign Language University<br />

Begleitpersonen: Chen Tao (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>), J<strong>in</strong>g Juanjuan (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>),<br />

Zhu Zhen (<strong>St</strong>udent)<br />

5. bis 7. Juli 1999, Xi’an<br />

Jiaotong University<br />

Begleitpersonen: Han Liqiao (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong>), Zhu Zhen (<strong>St</strong>udent),<br />

Tao Zhi Feng (<strong>St</strong>udent)<br />

6. Juli 1999, Xi’an: 11.30 bis 20.45 Uhr<br />

• Prov<strong>in</strong>z Shanghai<br />

East Ch<strong>in</strong>a Normal University<br />

Begleitperson: Liu Hong Yun (<strong>St</strong>udent<strong>in</strong> <strong>und</strong> Assistent<strong>in</strong> Prof. Ma)<br />

13. bis 21. Juni 1999, Shanghai<br />

Shanghai I&S Foreign Languages School (Modellberufsschule)<br />

Begleitpersonen: Teng Wei (Lehrer<strong>in</strong>), Xu Jie (Lehrer), Yang J<strong>in</strong>g (Lehrer<strong>in</strong>)<br />

21. Juni 1999, Shanghai: 09.30 bis 15.30 Uhr<br />

Xu Hui District Education Bureau Office, Shanghai<br />

Begleitpersonen: Du Jian (Deputy Director), Ma Q<strong>in</strong>gfa (Professor),<br />

Song Hao Jie (Director), Wang Mao Gong (Vice President)<br />

15. Juni 1999, Shanghai: 11.45 bis 13.45 Uhr


188 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Zhongtian Dätwyler Co., Ltd.<br />

Begleitperson: Hans Ulrich Dätwyler (CEO)<br />

22. Juni 1999, Shanghai: 11.00 bis 17.30 Uhr<br />

A.4.<br />

A.4.1.<br />

Expertengespräche <strong>und</strong> Interviews<br />

Auswahl <strong>der</strong> Gesprächspartner<br />

Die Gesprächspartner stammen aus den Bereichen Wissenschaft <strong>und</strong> Lehre, <strong>St</strong>udierende,<br />

<strong>St</strong>aats- <strong>und</strong> Privatwirtschaft sowie Diplomatie.<br />

Das Kriterium zur Auswahl <strong>der</strong> Vertreter <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> Lehre war <strong>der</strong> Bezug<br />

zum Thema aus eigener Forschungserfahrung <strong>und</strong> Lehrtätigkeit. Für die Auswahl<br />

<strong>St</strong>udieren<strong>der</strong> war <strong>der</strong>en eigene Erfahrung mit dem <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong>swesen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a massgebend. Für die Vertreter aus <strong>der</strong> Wirtschaft war das<br />

Kriterium zur Auswahl <strong>der</strong> Bezug zur <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a im Rahmen ihrer wirtschaftlichen<br />

Tätigkeit. Das Kriterium zur Auswahl <strong>der</strong> Vertreter aus <strong>der</strong> Diplomatie war <strong>der</strong><br />

Bezug zum Thema aus eigener Forschungserfahrung beziehungsweise längeren<br />

Aufenthalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a.<br />

Alle Gespräche kamen durch persönliche, schriftliche <strong>und</strong> telefonische Anfragen o<strong>der</strong>,<br />

vor allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a, dank <strong>der</strong> Vermittlung durch Drittpersonen zustande.<br />

Insgesamt wurden Gespräche <strong>und</strong> Interviews mit über vierzig Personen geführt. Die<br />

Gespräche fanden <strong>in</strong> Deutsch, Englisch, Französisch <strong>und</strong> teilweise Mandar<strong>in</strong> (ch<strong>in</strong>esische<br />

Hochsprache) statt. Je nach Bedarf wurde e<strong>in</strong>e Person zum Übersetzen beigezogen.<br />

Von allen Gesprächen wurden Mitschriften, teilweise zusätzliche fotografische<br />

Dokumentationen <strong>und</strong> Videoaufnahmen angefertigt.<br />

• Wissenschaft <strong>und</strong> Lehre<br />

Chen Guo Qiang<br />

Schulleiter<br />

Private Gr<strong>und</strong>schule <strong>der</strong> East Ch<strong>in</strong>a Normal University<br />

15. Juni 1999, Shanghai: 09.00 bis 09.45 Uhr<br />

Chen Long, Prof.<br />

Institute of Psychology, The Ch<strong>in</strong>ese Academy of Science<br />

9. Juli 1999, Beij<strong>in</strong>g: 09.00 bis 11.00 Uhr<br />

Chen Shengq<strong>in</strong>g<br />

Associate Headmaster NO. 2 Secondary School<br />

East Ch<strong>in</strong>a Normal University<br />

15. Juni 1999, Shanghai: 15.15 bis 16.15 Uhr<br />

Cheng Fangp<strong>in</strong>g, Prof.<br />

Comparative Education<br />

Ch<strong>in</strong>a National Institute for Educational Research (CIER), Beij<strong>in</strong>g<br />

25. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 14.00 bis 16.00 Uhr


Anhang A / Forschungsdokumentation 189<br />

Chiligiris Peter J.<br />

Master of Education<br />

CASSELC English Language Center of The Cass<br />

11. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 14.00 bis 16.00 Uhr<br />

Elrod Zheng<br />

Doktorand<strong>in</strong><br />

<strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. Gallen, HSG<br />

3. April 1996, Zürich: 11.00 bis 13.00 Uhr<br />

Hua Lei<br />

Lehrer <strong>und</strong> <strong>St</strong>udent<br />

Beij<strong>in</strong>g Language and Culture University<br />

16. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 14.00 bis 16.00 Uhr<br />

Immoos Thomas, PhD<br />

Professor Emeritus für Theologie, S<strong>in</strong>ologe <strong>und</strong> Japanologie<br />

Bethlehem Fathers<br />

19. November 1999, Tokyo: 18.00 bis 22.00 Uhr<br />

Kunga Rimpoche<br />

Abt<br />

Tongren County, Q<strong>in</strong>ghai Prov<strong>in</strong>ce<br />

2001, Q<strong>in</strong>ghai <strong>und</strong> Beij<strong>in</strong>g: diverse Gespräche<br />

Li Jiayong<br />

Associate Professor, BA MA PhD Candidate<br />

International & Comparative Education Research Institute Beij<strong>in</strong>g Normal University,<br />

Beij<strong>in</strong>g<br />

6. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 10.00 bis 11.30 Uhr<br />

Li Renzhu<br />

Deputy Director, Associate Professor, Comparative Education Division<br />

National Center for Education Development Research, M<strong>in</strong>istry of Education<br />

16. Juli 1999, Beij<strong>in</strong>g: 08.45 bis 10.15 Uhr<br />

L<strong>in</strong> Chun Guang<br />

President<br />

Beij<strong>in</strong>g Chao Yang Qu Cultural Palace<br />

8. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 15.00 bis 16.00 Uhr<br />

Liu Shan<br />

Headmaster<br />

Beij<strong>in</strong>g Huacheng Private School<br />

14. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 11.30 bis 12.00 Uhr<br />

Ma Q<strong>in</strong>gfa, Prof.<br />

Institute of Int. and Comparative Education<br />

East Ch<strong>in</strong>a Normal University<br />

Februar bis März 1999, Zürich: diverse Gespräche<br />

Juni 1999, Shanghai: diverse Gespräche


190 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Mizdalski Re<strong>in</strong>er, Dr.<br />

Dipl.-Ing. Nachrichtentechnik, Berufspädagoge M.A.<br />

Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH<br />

11. Juni 1999, Beij<strong>in</strong>g: 13.30 bis 15.00 Uhr<br />

Qiao Q<strong>in</strong>g Huai<br />

Englischlehrer<strong>in</strong> Primarschule<br />

East Ch<strong>in</strong>a Normal University<br />

16. Juni 1999, Shanghai: 10.00 bis 11.30 Uhr<br />

17. Juni 1999, Shanghai: 15.30 bis 16.00 Uhr<br />

Senger von Harro, Prof. Dr.<br />

Professor für S<strong>in</strong>ologie<br />

<strong>Universität</strong> Freiburg i.Br.<br />

2001, Beij<strong>in</strong>g: diverse Gespräche<br />

Wang Shao Lan, Prof.<br />

Comparative Education<br />

Ch<strong>in</strong>a National Institute for Educational Research (CIER), Beij<strong>in</strong>g<br />

1995-2001, Beij<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Zürich: diverse Gespräche<br />

Xue Huanyu, Prof.<br />

Director of Educational <strong>St</strong>rategy, Plann<strong>in</strong>g and Policy Division<br />

Ch<strong>in</strong>a National Institute for Educational Research, Beij<strong>in</strong>g<br />

30. April 1999, Beij<strong>in</strong>g: 10.00 bis 11.30 Uhr<br />

Yang Feng<br />

Ticket<strong>in</strong>g & Reservation Supervisor Swissair Ch<strong>in</strong>a (ehemalige Mittelschullehrer<strong>in</strong>)<br />

6. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 17.30 bis 18.30 Uhr<br />

Zhang Peng Peng, Prof.<br />

Beij<strong>in</strong>g Language and Culture University<br />

4. Juni 1999, Beij<strong>in</strong>g: 16.00 bis 18.00 Uhr<br />

Februar bis März 2000, Zürich: diverse Gespräche<br />

• <strong>St</strong>udierende<br />

Gao Qian Y<strong>in</strong>g<br />

<strong>St</strong>udent<strong>in</strong><br />

Jiangxi University of F<strong>in</strong>ance and Economics<br />

1999-2001, Beij<strong>in</strong>g, Nanchang <strong>und</strong> Tianj<strong>in</strong>: diverse Gespräche<br />

Renz Godi<br />

<strong>St</strong>udium <strong>und</strong> Assistenz <strong>in</strong> Traditioneller Ch<strong>in</strong>esischer Mediz<strong>in</strong><br />

Beij<strong>in</strong>g University of Ch<strong>in</strong>ese Medic<strong>in</strong>e and Pharmacology,<br />

Dong Zhi Men TCM-Hospital<br />

2001, Beij<strong>in</strong>g, diverse Gespräche<br />

<strong>St</strong>rassmair Elisabeth<br />

S<strong>in</strong>ologiestudent<strong>in</strong><br />

<strong>Universität</strong> Wien, Jiangxi University of F<strong>in</strong>ance and Economics<br />

Juli 1999, Nanchang: diverse Gespräche


Anhang A / Forschungsdokumentation 191<br />

• Wirtschaft<br />

Carter Yang<br />

Assistant to BOD President<br />

Zhongtian Dätwyler Co., Ltd.<br />

22. Juni 1999, Shanghai: 16.00 bis 17.00 Uhr<br />

Chen Zhoup<strong>in</strong>g<br />

Eng<strong>in</strong>eer, MBA<br />

Shougang Corporation, Human Resources Department<br />

13. Juli 1999, Beij<strong>in</strong>g: 09.15 bis 10.30 Uhr<br />

Dätwyler Hans Ulrich<br />

Chairman of BOD CEO<br />

Zhongtian Dätwyler Co., Ltd.<br />

22. Juni 1999, Shanghai: 11.45 bis 14.00 Uhr<br />

Fisher Yu<br />

Assistant to F<strong>in</strong>ance Controller, MBA Candidate<br />

Zhongtian Dätwyler Co., Ltd.<br />

22. Juni 1999, Shanghai: 15.00 bis 16.00 Uhr<br />

Gautschi <strong>St</strong>efan<br />

General Manager<br />

Georg Fischer Pip<strong>in</strong> Systems Ltd. Shanghai<br />

2000-2001, Beij<strong>in</strong>g, Shanghai: diverse Gespräche<br />

Haldemann Walter<br />

President<br />

Suzhou Sch<strong>in</strong>dler Elevator Co., Ltd.<br />

24. Juni 1999, Suzhou: 15.00 bis 16.00 Uhr<br />

Jiang Nan<br />

Eng<strong>in</strong>eer, MBA Candidate<br />

Shougang Corporation, Foreign Affairs Office<br />

13. Juli 1999, Beij<strong>in</strong>g: 09.15 bis 10.30 Uhr<br />

Muheim Franz<br />

Altstän<strong>der</strong>at<br />

2002, Zürich, Frankfurt am Ma<strong>in</strong>: diverse Gespräche<br />

Russ Rao<br />

Market<strong>in</strong>g/Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g Manager<br />

Zhongtian Dätwyler Co., Ltd.<br />

22. Juni 1999, Shanghai: 14.00 bis 15.00 Uhr<br />

Thaler Paul, Dr.<br />

Rechtsanwalt<br />

Wenger & Vieli<br />

30. März 1999, Zürich: 12.00 bis 14.00 Uhr<br />

Wenb<strong>in</strong> Wei<br />

PRC-Attorney-at-Law<br />

30. März 1999, Zürich: 12.00 bis 14.00 Uhr


192 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Yan Chao<br />

Mitarbeiter<br />

Sch<strong>in</strong>dler Management Ltd.<br />

7. März 1996, Ebikon: 11.00 bis 12.00 Uhr<br />

Zhu Jiang Yu<br />

Attorney at law<br />

Haiwen & Partners<br />

14. Juli 1999, Beij<strong>in</strong>g, 18.00 bis 20.00 Uhr<br />

Zhu Xiao Hui<br />

Attorney at Law<br />

Beij<strong>in</strong>g Tianyuan Law Firm<br />

4. Juni 1999, Beij<strong>in</strong>g: 14.00 bis 15.00 Uhr<br />

• Diplomatie<br />

Dreyer Dom<strong>in</strong>ique<br />

Ambassador<br />

Embassy of Switzerland <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g<br />

14. Juli 1999, Beij<strong>in</strong>g: 09.00 bis 10.00 Uhr<br />

Lauber Jürg<br />

Counsellor, Head of the Economic and Commercial Section<br />

Embassy of Switzerland <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g<br />

2000-2002, Beij<strong>in</strong>g: diverse Gespräche<br />

Mattli Arthur<br />

Counsellor, Head of the Economic and Commercial Section<br />

Embassy of Switzerland <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g<br />

21. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 11.15 bis 11.45 Uhr<br />

Roth Hans Jakob, Dr.<br />

Consul General<br />

Consulate General of Switzerland <strong>in</strong> Shanghai<br />

1996-2001, Beij<strong>in</strong>g, Bern, Shanghai, <strong>St</strong>. Gallen <strong>und</strong> Zürich: diverse Gespräche<br />

T<strong>in</strong>guely Mattli Florence E.<br />

Second Secretary (Culture, Education and Press)<br />

Embassy of Switzerland <strong>in</strong> Beij<strong>in</strong>g<br />

21. Mai 1999, Beij<strong>in</strong>g: 11.45 bis 12.15 Uhr<br />

15. Juli 1999, Beij<strong>in</strong>g: 12.00 bis 14.30 Uhr


Anhang A / Forschungsdokumentation 193<br />

A.4.2.<br />

Gesprächsleitfaden<br />

Der Gesprächsleitfaden diente <strong>der</strong> Gesprächsführung. Je nach H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> des Gesprächspartners<br />

handelte es sich um e<strong>in</strong> auf die jeweilige Person fokussiertes Interview<br />

o<strong>der</strong> um e<strong>in</strong> themenorientiertes Gespräch. In jedem Fall wurde e<strong>in</strong> möglichst<br />

offenes Interview <strong>in</strong> narrativem S<strong>in</strong>ne geführt. Der Aufbau des Leitfadens wurde so<br />

konzipiert, dass er mit grosser Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit zu e<strong>in</strong>er zweckmässigen Gesprächsathmosphäre<br />

<strong>und</strong> dem Erhalt von möglichst <strong>in</strong>formativen Auskünften <strong>in</strong> qualitativer<br />

H<strong>in</strong>sicht beitragen konnte. Der Gesprächsleitfaden setzte sich aus den folgenden<br />

Bereichen, <strong>der</strong>en Reihenfolge <strong>und</strong> Gewichtung den jeweiligen Umständen angepasst<br />

wurde, zusammen:<br />

• Vorstellen <strong>der</strong> Gesprächspartner<br />

• Erklären <strong>der</strong> Gesprächsmotivation<br />

• Ziel des Gesprächs<br />

• Fragen zur Person<br />

• Fragen zu persönlichen Erfahrungen mit <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Fragen zu Zahlen <strong>und</strong> Fakten betreffend <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Fragen zu bisherigen Entwicklungen des <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Fragen zu zukünftigen Perspektiven des <strong>Bildung</strong>ssystems <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

• Abklären von möglichem Erhalten von Unterlagen, Dokumentationen,<br />

Literatur- <strong>und</strong> Rechercheh<strong>in</strong>weisen<br />

• Abklären von möglichen weiteren Kontaktvermittlungen<br />

• Schlussbemerkungen <strong>und</strong> Dank<br />

A.4.3.<br />

Datenanalyse<br />

Der Zweck <strong>der</strong> Gespräche war die Überprüfung <strong>und</strong> Ergänzung <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> bisherigen<br />

Forschung gewonnen Erkenntnisse, <strong>der</strong> E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die erzieherische Realität <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a <strong>und</strong> das Gew<strong>in</strong>nen von Anregungen durch die erhaltenen Informationen.<br />

In <strong>der</strong> Analyse wurden zuerst die e<strong>in</strong>zelnen Interviews unabhängig vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> nach<br />

Tätigkeitsbereich <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>sstand <strong>der</strong> Gesprächspartner, Aussagen zu Zahlen <strong>und</strong><br />

Fakten, Entwicklungen <strong>und</strong> Perspektiven ausgewertet. In <strong>der</strong> nachfolgenden Auswertung<br />

wurden die entdeckten <strong>in</strong>haltlichen Geme<strong>in</strong>samkeiten <strong>und</strong> Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeiten<br />

festgehalten <strong>und</strong> analysiert.


194 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Erziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a<br />

Anhang B<br />

B. Quellenverzeichnis<br />

B.1.<br />

Literaturverzeichnis<br />

A<br />

Anteil <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> drei wichtigen Sektoren <strong>in</strong> (%). [Onl<strong>in</strong>e].<br />

http://www.ch<strong>in</strong>a.org.cn/de-<strong>in</strong>ternet/jj/htm/tb6b.htm (14.11.2002)<br />

Asian Development Bank. (2002).<br />

The 2020 Project: Policy Support <strong>in</strong> the People's Republic of Ch<strong>in</strong>a.<br />

Manila: Asian Development Bank.<br />

B<br />

Baratta, M. (Hrsg.). (1996).<br />

Der Fischer Weltalmanach. Frankfurt am Ma<strong>in</strong>: Fischer.<br />

Basic Conditions of Population. [Onl<strong>in</strong>e].<br />

http://www.ch<strong>in</strong>a.org.cn/english/shuzi-en/en-shuzi/gq/htm/biao/p36.htm<br />

(24.11.2002)<br />

Basic <strong>St</strong>atistics on Education. [Onl<strong>in</strong>e].<br />

http://www.ch<strong>in</strong>a.org.cn/english/shuzi-en/en-shuzi/kj/htm/biao/20-1.htm<br />

(21.11.2002)<br />

Bauer, E. (1997).<br />

Die unberechenbare Weltmacht: Ch<strong>in</strong>a nach Deng Xiaop<strong>in</strong>g (2. Aufl.).<br />

Berl<strong>in</strong>: Ullste<strong>in</strong>.<br />

Becker, J. (2000).<br />

The Ch<strong>in</strong>ese. London: Murray.<br />

Berryman, S. E. (2000).<br />

Hidden Challenges to Education Systems <strong>in</strong> Transition Economies.<br />

Wash<strong>in</strong>gton, D.C.: The World Bank.<br />

Böl<strong>in</strong>ger, M. (2001).<br />

Ch<strong>in</strong>a von 1911 bis heute. du (721). 100-101.<br />

Bond, M. H. (1991).<br />

Beyond the Ch<strong>in</strong>ese Face: Insights from Psychology.<br />

Hong Kong: Oxford.<br />

Bray, M. & Lee, W. O. (2001).<br />

Education and Political Transitions <strong>in</strong> East Asia: Diversity and Commonality.<br />

In M. Bray & W. O. Lee (Eds.), Education and Political Transition: Themes and<br />

Experiences <strong>in</strong> East Asia (2nd ed.) (p. 1-18). Hong Kong: Comparative<br />

Education Research Centre.<br />

Brockhaus-Enzyklopädie<br />

(19. Aufl., Bd. 1-24) (1994). Mannheim: Brockhaus.


Anhang B / Quellen 195<br />

Brutto<strong>in</strong>landprodukt. [Onl<strong>in</strong>e].<br />

http://www.ch<strong>in</strong>a.org.cn/de-<strong>in</strong>ternet/jj/htm/3-1.htm (14.11.2002)<br />

C<br />

Cabestan, J.-P. & Choukroune L. (2002).<br />

Ch<strong>in</strong>a’s Accession to the WTO: A Historic Turn<strong>in</strong>g Po<strong>in</strong>t? Ch<strong>in</strong>a Perspectives<br />

(40), 4-6.<br />

Chan, D. K. K. & Mok, K.-H. (2001).<br />

The Resurgence of Private Education <strong>in</strong> Post-Mao Ch<strong>in</strong>a: Problems and Prospects.<br />

In G. Peterson; R. Hayhoe & Y. Lu (Eds.), Education, Culture & Identity<br />

<strong>in</strong> Twentieth-Century Ch<strong>in</strong>a (p. 297-313). Michigan: Michigan Press.<br />

Chen, H. (1998).<br />

KulturSchock Ch<strong>in</strong>a (2. Aufl.). Bielefeld: Peter Rump.<br />

Cheng, C.-P. (1967).<br />

The Ch<strong>in</strong>ese <strong>in</strong> the United <strong>St</strong>ates. Ch<strong>in</strong>ese Culture, Vol. VIII (1), 164-170.<br />

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Curriculum Vitae<br />

Personalien<br />

Name<br />

Regula Nowak-Speich<br />

Geboren am 24. Mai 1966 <strong>in</strong> Zürich<br />

Heimatorte<br />

<strong>Bildung</strong><br />

Glarus <strong>und</strong> Luchs<strong>in</strong>gen (Glarus), Trüllikon (Zürich)<br />

2006 Promotion <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. Gallen<br />

1999 / 2005 Doktorandenprüfungen <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. Gallen<br />

1999 Sprachstudium Beij<strong>in</strong>g Language and Culture University<br />

Pek<strong>in</strong>g (<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a)<br />

1998 Doktorandenstudium <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. Gallen<br />

1994 Sprachstudium Universidad Complutense, Madrid (Spanien)<br />

1992 - 1996 <strong>St</strong>udium <strong>der</strong> <strong>St</strong>aatswissenschaften <strong>Universität</strong> <strong>St</strong>. Gallen<br />

Vertiefung Internationale Beziehungen<br />

1987 - 1988 Diplom Kaufmännische Angestellte <strong>St</strong>eigerschule Zürich<br />

1986 - 1987 Turn- <strong>und</strong> Sportlehrerstudium ETH Zürich<br />

1973 - 1986 Primar-, Sek<strong>und</strong>ar- <strong>und</strong> Mittelschule Küsnacht (Zürich)<br />

Berufliche Tätigkeiten<br />

seit 2003<br />

Freiberufliche Tätigkeit im Bereich Kommunikation<br />

2002 Assistent<strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschäftsleitung<br />

Deutsch-Asiatischer Wirtschaftskreis e.V. Frankfurt a. M. (Deutschland)<br />

2001 Manager Special Project (Swiss Innovation Week)<br />

Swiss Ch<strong>in</strong>ese Chamber of Commerce Pek<strong>in</strong>g (<strong>Volksrepublik</strong> Ch<strong>in</strong>a)<br />

1998 - 2000 Assistent<strong>in</strong> Corporate Communications SAirGroup Zürich<br />

1997 - 1998 PR Assistent<strong>in</strong> Farner PR Zürich<br />

1994 Tra<strong>in</strong>er<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulungsabteilung Citibank Schweiz<br />

1992 Leiter<strong>in</strong> Besucherbetreuung Schweizer Pavillon<br />

World Expo Sevilla (Spanien)<br />

1989 - 1991 Passenger Sales Executive S<strong>in</strong>gapore Airl<strong>in</strong>es Schweiz<br />

1988 Besucherbetreuung Schweizer Pavillon<br />

World Expo Brisbane (Australien)<br />

1986 Besucherbetreuung Schweizer Pavillon<br />

World Expo Vancouver (Kanada)

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