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«Humor ist eine Sache des gesunden ... - Nachttopf.ch

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SCHWERPUNKT Kultur 6 CURAVIVA 12/2006<br />

Begegnungsclown Marcel Briand bringt Heimbewohnende zum La<strong>ch</strong>en<br />

<strong>«Humor</strong> <strong>ist</strong> <strong>eine</strong> <strong>Sa<strong>ch</strong>e</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>gesunden</strong> Mens<strong>ch</strong>enverstan<strong>des</strong>»<br />

■ Ananda Kunz<br />

La<strong>ch</strong>kultur statt Jammerkultur:<br />

Begegnungsclown Marcel Briand<br />

<strong>ist</strong> überzeugt, dass Humor die<br />

Stimmung und die Kultur <strong>des</strong><br />

Umgangs in Institutionen grundlegend<br />

verändern kann: «Dort, wo<br />

Humor <strong>eine</strong>n bewussten Stellenwert<br />

besitzt, wird von all<strong>eine</strong><br />

mehr gela<strong>ch</strong>t.»<br />

■ Begegnungsclown – <strong>eine</strong> neue<br />

Berufsbezei<strong>ch</strong>nung?<br />

Marcel Briand: Der Versu<strong>ch</strong> <strong>eine</strong>r<br />

Bes<strong>ch</strong>reibung. Spitalclowns für kranke<br />

Kinder kennen viele. Die Begegnungsclowns<br />

für Erwa<strong>ch</strong>sene und Betagte<br />

sind im Bewusstsein der Bevölkerung<br />

hingegen no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verankert.<br />

Da höre i<strong>ch</strong> oft ein verwundertes: «Das<br />

gibt es au<strong>ch</strong> …?»<br />

■ Wie sind Sie zu dieser Tätigkeit<br />

gekommen?<br />

Briand: Einer der Gründe war die 84-<br />

jährige Anna Frey. Trotz s<strong>ch</strong>werem<br />

Leben und körperli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e<br />

habe i<strong>ch</strong> die Frau auf unserer Pflegeabteilung<br />

nie traurig gesehen. Immer<br />

lä<strong>ch</strong>elte Anna Frey uns allen entgegen.<br />

«Wenn i<strong>ch</strong> den Humor ni<strong>ch</strong>t hätte,<br />

wäre i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on lange tot», erklärte sie<br />

mir. Das hat mi<strong>ch</strong> tief berührt.<br />

■ Weitere Gründe?<br />

Briand: Auss<strong>ch</strong>laggebend für m<strong>eine</strong><br />

Tätigkeit <strong>ist</strong> au<strong>ch</strong> die Pflegewissens<strong>ch</strong>aftlerin<br />

und Bu<strong>ch</strong>autorin Iren<br />

Bis<strong>ch</strong>ofsberger. Sie war die Erste, die<br />

<strong>«Humor</strong> in der Pflege» als Pflegekonzept<br />

thematisiert hat. Ihr <strong>ist</strong> es zu<br />

«Dur<strong>ch</strong> das Hervorholen alter Erinnerungen und Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />

berühre i<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en auf <strong>eine</strong>r emotionalen Ebene.»<br />

verdanken, dass dieses Konzept heute<br />

offizielle Anerkennung geniesst. I<strong>ch</strong><br />

sprang sozusagen auf <strong>eine</strong>n anrollenden<br />

Zug auf. Inzwis<strong>ch</strong>en gibt es in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz <strong>eine</strong> Hand voll weiterer<br />

Begegnungsclowns – und ihre Zahl<br />

wä<strong>ch</strong>st stetig.<br />

■ Was genau <strong>ist</strong> ein Begegnungsclown?<br />

Briand: Er hat mit «humorvoller<br />

Interaktion» zu tun. Interaktion daher,<br />

weil i<strong>ch</strong> als Clown m<strong>eine</strong>m Gegenüber<br />

ein Angebot ma<strong>ch</strong>e, anstelle <strong>eine</strong><br />

Programmnummer vorzuspielen.<br />

Nimmt mein Gegenüber das Angebot<br />

ni<strong>ch</strong>t an, ma<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong> ihm ein anderes.<br />

Beispiel: Zeige i<strong>ch</strong> dir <strong>eine</strong>n S<strong>ch</strong>erzartikel,<br />

und du fin<strong>des</strong>t ihn gut, dann<br />

bleiben wir auf der Ebene S<strong>ch</strong>erzartikel.<br />

Kannst du damit ni<strong>ch</strong>ts anfangen,<br />

so hole i<strong>ch</strong> beispielsweise mein<br />

Tri<strong>ch</strong>tergrammophon hervor. Da du<br />

86 Jahre alt b<strong>ist</strong>, weisst du, wie so ein<br />

Gerät funktioniert. Du erzählst mir,<br />

wel<strong>ch</strong>e Musik du früher hörtest. Spiele<br />

i<strong>ch</strong> jetzt Lieder aus d<strong>eine</strong>r Kindheit<br />

darauf ab, so ges<strong>ch</strong>ieht etwas mit dir.<br />

Wir begegnen uns auf <strong>eine</strong>r emotionalen<br />

Ebene, die mi<strong>ch</strong> dir näher bringt.


12/2006 CURAVIVA 7<br />

SCHWERPUNKT Kultur<br />

Das <strong>ist</strong> in m<strong>eine</strong>n Augen der Begegnungsclown.<br />

■ Was <strong>ist</strong> das Besondere bei der Arbeit<br />

mit betagten Mens<strong>ch</strong>en?<br />

Briand: Im Altersberei<strong>ch</strong> geht es darum,<br />

reaktivierend zu arbeiten. Dur<strong>ch</strong> das<br />

Hervorholen alter Erinnerungen und<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten berühre i<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en<br />

auf <strong>eine</strong>r emotionalen Ebene und<br />

führe sie weg von der stets vorhandenen<br />

kognitiven Ebene.<br />

■ Warum <strong>ist</strong> La<strong>ch</strong>en wi<strong>ch</strong>tig?<br />

Briand: Humor <strong>ist</strong> ni<strong>ch</strong>t wi<strong>ch</strong>tiger als<br />

Essen, Trinken, S<strong>ch</strong>lafen und alle<br />

anderen Grundbedürfnisse. La<strong>ch</strong>en <strong>ist</strong><br />

ein Ausdruck mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Wohlbefindens.<br />

Ausgenommen das pathologis<strong>ch</strong>e<br />

La<strong>ch</strong>en während <strong>eine</strong>r Psy<strong>ch</strong>ose<br />

oder das in der Gesells<strong>ch</strong>aft übli<strong>ch</strong>e<br />

Verlegenheitsla<strong>ch</strong>en. E<strong>ch</strong>tes La<strong>ch</strong>en<br />

hat viel mit Vertrauen zu tun, das i<strong>ch</strong><br />

m<strong>eine</strong>m Gegenüber entgegenbringe.<br />

Wann und wo immer gela<strong>ch</strong>t wird,<br />

verändert si<strong>ch</strong> etwas grundlegend<br />

Wi<strong>ch</strong>tiges.<br />

■ Was?<br />

Briand: Beispiel: Situation «Aufnahmezimmer».<br />

Erstes Gesprä<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en<br />

Patient und Betreuungsperson. Graue<br />

Wände, steriler Boden, ein Tis<strong>ch</strong>, zwei<br />

Stühle, ges<strong>ch</strong>lossene Fenster und mit<br />

etwas Glück ein gelber Blumentopf.<br />

Der Patient steckt in <strong>eine</strong>r s<strong>ch</strong>weren<br />

Krise, <strong>ist</strong> stark verunsi<strong>ch</strong>ert und<br />

angespannt. D<strong>ist</strong>anziertes Frage-<br />

Antwort-Szenario. Eckdaten werden<br />

aufgenommen. Plötzli<strong>ch</strong> gibt <strong>eine</strong><br />

Situation Anlass zum gemeinsamen<br />

La<strong>ch</strong>en. Auf <strong>eine</strong>n<br />

S<strong>ch</strong>lag verändert<br />

si<strong>ch</strong> die ganze<br />

Atmosphäre im<br />

Raum. Das Eis <strong>ist</strong><br />

gebro<strong>ch</strong>en. Der<br />

Patient entspannt<br />

si<strong>ch</strong>, der Druck lässt<br />

na<strong>ch</strong>. Eine Vertrauensbasis<br />

baut si<strong>ch</strong><br />

langsam auf.<br />

andere sind Tendenzen. Wi<strong>ch</strong>tiger <strong>ist</strong><br />

mir die alltägli<strong>ch</strong>e Erfahrung, dass<br />

humorvolle Interaktionen die Stimmung<br />

in <strong>eine</strong>m<br />

Betrieb positiv<br />

stimulieren. Wenn<br />

Betreuer sagen, «so<br />

habe i<strong>ch</strong> Herrn<br />

Müller no<strong>ch</strong> nie<br />

erlebt», dann <strong>ist</strong><br />

mir das mehr wert,<br />

als wenn das<br />

La<strong>ch</strong>en den<br />

Blutdruck von<br />

Herrn Müller senkt.<br />

■ Wird La<strong>ch</strong>en zur<br />

neuen Therapieform?<br />

Briand: I<strong>ch</strong> wehre<br />

mi<strong>ch</strong> dagegen.<br />

Letzthin las i<strong>ch</strong> auf<br />

<strong>eine</strong>m Veranstaltungsplakat<br />

„La<strong>ch</strong>en <strong>ist</strong> ein Ausdruck<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Wohlbefindens.“<br />

■ Wel<strong>ch</strong>e Rolle<br />

spielt Dr. Hunter,<br />

alias «Pat<strong>ch</strong><br />

Adams», in der<br />

Humor-Medizin?<br />

Briand: Pat<strong>ch</strong> Adams<br />

zu m<strong>eine</strong>r Person:<br />

<strong>«Humor</strong>therapeut». Das ärgert mi<strong>ch</strong>.<br />

Humor <strong>ist</strong> <strong>eine</strong> <strong>Sa<strong>ch</strong>e</strong> <strong>des</strong> <strong>gesunden</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>enverstan<strong>des</strong> und ni<strong>ch</strong>t als<br />

Therapie im eigentli<strong>ch</strong>en Sinne<br />

geda<strong>ch</strong>t. Der Begriff «Therapie» wird<br />

heutzutage sehr strapaziert.<br />

war ein depressiver, suizidgefährdeter<br />

Mens<strong>ch</strong>, der si<strong>ch</strong> 1969 in den USA<br />

selber in <strong>eine</strong> psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>e Klinik<br />

einwies. Dort entdeckte er bei si<strong>ch</strong> die<br />

Fähigkeit, andere Mens<strong>ch</strong>en zum<br />

La<strong>ch</strong>en zu bringen. Das La<strong>ch</strong>en wirkte<br />

si<strong>ch</strong> positiv auf die Befindli<strong>ch</strong>keit der<br />

andern und si<strong>ch</strong> selbst aus. S<strong>eine</strong><br />

■ Sie haben no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts zur physis<strong>ch</strong>en<br />

Wirkung <strong>des</strong> La<strong>ch</strong>ens gesagt.<br />

Briand: Weil i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t viel dazu sagen<br />

mö<strong>ch</strong>te. Es gibt viele Theorien, wie<br />

si<strong>ch</strong> La<strong>ch</strong>en positiv auf den Körper<br />

auswirkt. Wirkli<strong>ch</strong> bewiesen sind nur<br />

wenige. Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> erhärtet <strong>ist</strong>,<br />

dass La<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>merz lindert. Alles<br />

Depression vers<strong>ch</strong>wand vollständig.<br />

Wenn La<strong>ch</strong>en so wirksam Mens<strong>ch</strong>en<br />

heilen kann, dann werde i<strong>ch</strong> Arzt,<br />

sagte er si<strong>ch</strong>. Na<strong>ch</strong> abges<strong>ch</strong>lossenem<br />

Medizinstudium gründete er die erste<br />

Klinikclown-Gruppe in New York.<br />

Deshalb wird er heute als Vater der<br />

Klinikclowns bezei<strong>ch</strong>net.<br />

Gelotologie<br />

Gelotologie (von grie<strong>ch</strong>. Gelos; das La<strong>ch</strong>en) <strong>ist</strong> die Wissens<strong>ch</strong>aft der Auswirkungen <strong>des</strong> La<strong>ch</strong>ens.<br />

Gelotologen fors<strong>ch</strong>en in unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Disziplinen und bemühen<br />

si<strong>ch</strong> um die Erfors<strong>ch</strong>ung der körperli<strong>ch</strong>en und psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Auswirkungen <strong>des</strong> La<strong>ch</strong>ens auf den<br />

Mens<strong>ch</strong>en. Die Gelotologie hat ihre Wurzeln in der 1953 in Palo Alto gegründeten Gruppe um<br />

Gregory Bateson. Ihre Fors<strong>ch</strong>ungsergebnisse wirkten revolutionär im Berei<strong>ch</strong> der Psy<strong>ch</strong>o- und<br />

Hypnotherapie. Heute arbeiten weltweit über 200 Psy<strong>ch</strong>ologen, Immunologen, Neurologen und<br />

Stressfors<strong>ch</strong>er auf diesem Gebiet. Dur<strong>ch</strong> die beständige Fors<strong>ch</strong>ung im Berei<strong>ch</strong> der Gelotologie<br />

bekommen La<strong>ch</strong>en und Humor im Sozial- und Gesundheitswesen <strong>eine</strong>n immer grösseren Stellenwert.<br />

(ak)<br />

■ Was wurde aus ihm?<br />

Briand: Heute <strong>ist</strong> er ein weltweit<br />

gefragter Referent und Seminarleiter.<br />

Mein Eindruck <strong>ist</strong> zwiespältig. Auf<br />

<strong>eine</strong>m neueren Video ers<strong>ch</strong>eint er als<br />

getriebener, etwas d<strong>ist</strong>anzloser Clown.<br />

Sein Status als Symbolfigur der<br />

Klinikclown-Bewegung <strong>ist</strong> für die<br />

praktis<strong>ch</strong>e Umsetzung im pflegeris<strong>ch</strong>en<br />

Alltag ni<strong>ch</strong>t hilfrei<strong>ch</strong>. I<strong>ch</strong> fragte<br />

ihn persönli<strong>ch</strong> an <strong>eine</strong>m Wo<strong>ch</strong>enende:<br />

«Was ma<strong>ch</strong>en wir mit den alten und<br />

kranken Mens<strong>ch</strong>en in unseren Institu-


SCHWERPUNKT Kultur 8 CURAVIVA 12/2006<br />

tionen?» Er antwortete: «Alte und<br />

kranke Mens<strong>ch</strong>en gehören na<strong>ch</strong> Hause<br />

zu ihren Kindern. M<strong>eine</strong> Mutter <strong>ist</strong> in<br />

m<strong>eine</strong>n Armen gestorben.» Grundsätzli<strong>ch</strong><br />

hat er ja re<strong>ch</strong>t. Glei<strong>ch</strong>zeitig <strong>ist</strong><br />

s<strong>eine</strong> Aussage aber totalitär und<br />

realitätsfremd.<br />

■ La<strong>ch</strong>en als Therapieform wird au<strong>ch</strong><br />

mit dem Namen Madan Kataria<br />

verbunden. Wer war er?<br />

Briand: Der indis<strong>ch</strong>e Arzt Madan<br />

Kataria war überzeugt, dass si<strong>ch</strong><br />

La<strong>ch</strong>en positiv auf die Gesundheit<br />

auswirkt. Er besu<strong>ch</strong>te tägli<strong>ch</strong> Parkanlagen<br />

in Bombay, um dort die Mens<strong>ch</strong>en<br />

mithilfe von Witzen zum La<strong>ch</strong>en zu<br />

bringen. Als ihm die Witze ausgingen,<br />

erfand er das La<strong>ch</strong>joga, damit s<strong>eine</strong><br />

stets wa<strong>ch</strong>sende Zuhörers<strong>ch</strong>aft weiterhin<br />

zu la<strong>ch</strong>en hatte. La<strong>ch</strong>joga, das die<br />

Mens<strong>ch</strong>en grundlos zum La<strong>ch</strong>en<br />

bringt, <strong>ist</strong> heute ein Boom. Fast in jeder<br />

grösseren Stadt besteht <strong>eine</strong> auf<br />

Madran Kataria basierende La<strong>ch</strong>gruppe.<br />

In der Institution mit alten und demenzkranken<br />

Mens<strong>ch</strong>en funktioniert<br />

dies na<strong>ch</strong> m<strong>eine</strong>n Erfahrungen ni<strong>ch</strong>t.<br />

■ Wird ein Mens<strong>ch</strong>, der viel la<strong>ch</strong>t, no<strong>ch</strong><br />

ernst genommen?<br />

Briand: Das Bild, la<strong>ch</strong>en wirke unseriös,<br />

war lange in unserer Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

verankert. Zum Teil bis heute.<br />

Kürzli<strong>ch</strong> erzählte mir <strong>eine</strong> Kursteilnehmerin<br />

und Pflegefa<strong>ch</strong>frau, ihr sei in<br />

<strong>eine</strong>m Qualifikationsgesprä<strong>ch</strong> gesagt<br />

worden, ihr La<strong>ch</strong>en sei unseriös. Wir<br />

testeten das in unserer Gruppe. Das<br />

Ergebnis: Alle empfanden ihr La<strong>ch</strong>en<br />

als kompetent. Dur<strong>ch</strong> das wa<strong>ch</strong>sende<br />

Gewi<strong>ch</strong>t <strong>des</strong> Themas <strong>«Humor</strong> in der<br />

Pflege» und au<strong>ch</strong> dank wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Arbeiten zum Thema kann heute<br />

k<strong>eine</strong>r mehr ernsthaft behaupten,<br />

La<strong>ch</strong>en sei als etwas Unseriöses aus<br />

Pflege- und Betreuungsinstitutionen zu<br />

verbannen.<br />

■ Warum la<strong>ch</strong>en wir in unseren<br />

Institutionen also ni<strong>ch</strong>t öfter?<br />

Briand: In den Gesundheitsinstitutionen<br />

gelten dieselben Gesetze wie in unserer<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft. Wir lesen Zeitungen,<br />

s<strong>ch</strong>auen Fern, hören Radio. Wir haben<br />

das Jammern als gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Doktrin akzeptiert. Die Angehörigen<br />

jammern über die Pflege, die Pflegenden<br />

über Zeitnot, der Heimleiter<br />

jammert über unerfüllte Qualitätsnormen,<br />

und der Bewohner jammert, weil<br />

ihm alles weh tut. Denno<strong>ch</strong> wird in<br />

den Institutionen zum Glück ni<strong>ch</strong>t<br />

wenig gela<strong>ch</strong>t. Laufend ges<strong>ch</strong>ieht viel<br />

Amüsantes, Humorvolles. Ansonsten<br />

könnten Betreuer und Pflegende in<br />

ihrem Beruf gar ni<strong>ch</strong>t bestehen.<br />

Me<strong>ist</strong>ens wird in der Situationskomik<br />

gela<strong>ch</strong>t, dort, wo etwas danebengeht.


12/2006 CURAVIVA 9<br />

SCHWERPUNKT Kultur<br />

S<strong>ch</strong>ade einfa<strong>ch</strong>, wenn ein so wi<strong>ch</strong>tiges<br />

Element wie der Humor dem Zufall<br />

überlassen bleibt. Wenn wir in sol<strong>ch</strong>en<br />

Momenten gezielt diesem La<strong>ch</strong>en <strong>eine</strong><br />

Bedeutung geben und dieses so au<strong>ch</strong><br />

fördern, würde si<strong>ch</strong> vieles in der<br />

Betriebskultur verändern.<br />

■ Das ruft na<strong>ch</strong> <strong>eine</strong>r Art <strong>«Humor</strong>konzept»<br />

für Institutionen.<br />

Briand: I<strong>ch</strong> vereinfa<strong>ch</strong>e es. Es geht darum,<br />

dass der Sinn für Unsinn bei denen, die<br />

in den Institutionen arbeiten, gefördert<br />

wird. Ni<strong>ch</strong>t: «Alles muss genau so<br />

laufen, wie es immer läuft.» Das «Andersdenken»<br />

soll Raum bekommen und<br />

ein Teil der Institution werden. I<strong>ch</strong><br />

erlebe die Mens<strong>ch</strong>en in den Institutionen<br />

Neuem gegenüber sehr offen.<br />

■ Dabei <strong>ist</strong> Humor in der Pflege ja<br />

k<strong>eine</strong>swegs ein neues Thema.<br />

Briand: Die erste Arbeit zum Thema<br />

<strong>«Humor</strong> und La<strong>ch</strong>en in der Pflege»<br />

wurde m<strong>eine</strong>s Wissens bereits Ende der<br />

60er Jahre von Rosi Gross in Bern<br />

ges<strong>ch</strong>rieben. Leider waren damals die<br />

herrs<strong>ch</strong>enden Paradigmen der Betriebe<br />

oftmals sehr starr.<br />

■ Wie verändert Humor das Leben in<br />

Institutionen?<br />

Briand: Humor stimuliert die Institutionskultur.<br />

La<strong>ch</strong>en löst das Gegenteil<br />

<strong>des</strong>sen aus, wofür weisse Berufskleidung<br />

steht. Weiss steht weniger für Hygiene<br />

denn als Zei<strong>ch</strong>en der Abgrenzung.<br />

La<strong>ch</strong>en hingegen ma<strong>ch</strong>t nahbarer, denn<br />

La<strong>ch</strong>en <strong>ist</strong> immer etwas Persönli<strong>ch</strong>es,<br />

das weitergegeben wird. Die Grundstimmung<br />

in der Institution verändert<br />

si<strong>ch</strong>. Die Institutionskultur wird<br />

persönli<strong>ch</strong>er. Das steigert zum <strong>eine</strong>n die<br />

Qualität, andererseits aber au<strong>ch</strong> die<br />

Verletzli<strong>ch</strong>keit. Denn Humor bedeutet<br />

immer: «I<strong>ch</strong> kann es ni<strong>ch</strong>t so verbissen<br />

nehmen.» Man <strong>ist</strong> näher am Leben dran.<br />

■ Wo <strong>ist</strong> mit Humor Vorsi<strong>ch</strong>t geboten?<br />

Briand: Dort, wo m<strong>eine</strong> Haltung ni<strong>ch</strong>t<br />

<strong>eine</strong> wohlwollende <strong>ist</strong>. Demenzkranke<br />

Mens<strong>ch</strong>en haben oftmals das Gefühl, sie<br />

würden ausgela<strong>ch</strong>t. Au<strong>ch</strong> da <strong>ist</strong> Vorsi<strong>ch</strong>t<br />

angebra<strong>ch</strong>t. Gelingt es uns aber, im Fall<br />

<strong>eine</strong>s Missverständnisses zu erklären,<br />

<strong>«Humor</strong> <strong>ist</strong> <strong>eine</strong> <strong>Sa<strong>ch</strong>e</strong> <strong>des</strong> <strong>gesunden</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>enverstan<strong>des</strong> und ni<strong>ch</strong>t als Therapie<br />

im eigentli<strong>ch</strong>en Sinne geda<strong>ch</strong>t.»<br />

Fotos: aku<br />

warum wir la<strong>ch</strong>en, dann können<br />

Demente oft loslassen vom Bild, man<br />

la<strong>ch</strong>e sie aus. Und sie la<strong>ch</strong>en mit. La<strong>ch</strong>en<br />

hat immer au<strong>ch</strong> mit Loslassen zu tun.<br />

■ Soll au<strong>ch</strong> Galgenhumor im Klinikund<br />

Heimalltag Platz haben?<br />

Briand: Einen sehr wi<strong>ch</strong>tigen Platz.<br />

Galgenhumor dient Betreuenden und<br />

Pflegenden oft zum Verarbeiten von<br />

Situationen, die nur s<strong>ch</strong>wer zu verarbeiten<br />

sind.<br />

■ Wie bringen wir mehr Humor in<br />

unseren Arbeitsalltag hinein?<br />

Briand: Ein humorvoller Tag steht und<br />

fällt oft mit s<strong>eine</strong>m Anfang. In den<br />

me<strong>ist</strong>en Institutionen wird der<br />

Mitarbeitergarderobe<br />

zu wenig<br />

Aufmerksamkeit<br />

ges<strong>ch</strong>enkt. Persönli<strong>ch</strong>e,<br />

kreative<br />

Gestaltung s<strong>ch</strong>afft<br />

in diesem Berei<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>on mit einfa<strong>ch</strong>sten<br />

Mitteln <strong>eine</strong>n<br />

heiteren Tagesanbru<strong>ch</strong><br />

und führt die<br />

Ankömmlinge aus<br />

dem Alltagstrott.<br />

Weitere Mögli<strong>ch</strong>keiten<br />

zur Kreativität<br />

bieten der<br />

Znüniraum oder<br />

das Stationszimmer.<br />

I<strong>ch</strong> kenne <strong>eine</strong><br />

Institution, wo die<br />

Na<strong>ch</strong>twa<strong>ch</strong>e jeden<br />

Morgen <strong>eine</strong>n Witz erzählen muss, am<br />

besten passend zur aktuellen Arbeitssituation.<br />

Und warum werden oftmals<br />

nur S<strong>ch</strong>wierigkeiten s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong><br />

festgehalten? Es ma<strong>ch</strong>t do<strong>ch</strong> Sinn,<br />

humorgefüllte Alltagssituationen,<br />

mögen Sie no<strong>ch</strong> so skurril sein, au<strong>ch</strong><br />

für andere niederzus<strong>ch</strong>reiben. Dort, wo<br />

Humor <strong>eine</strong>n bewussten Stellenwert<br />

besitzt, dort wird von all<strong>eine</strong> mehr<br />

gela<strong>ch</strong>t. I<strong>ch</strong> habe mit m<strong>eine</strong>r Arbeit<br />

ni<strong>ch</strong>ts Neues erfunden. I<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>e<br />

nur den Humor und die Kreativität zu<br />

mobilisieren, die in uns allen vorhanden<br />

sind.<br />

■<br />

Marcel Briand<br />

Na<strong>ch</strong> abges<strong>ch</strong>lossener Lehre als Psy<strong>ch</strong>iatriepfleger absolvierte Marcel Briand (*1967) die Höhere<br />

Fa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für Pflege. Bevor er sein Humor-Projekt in Angriff nahm, arbeitete er fünf Jahre<br />

als Stationsleiter im Reusspark (Aargau). Heute arbeitet er in drei Berei<strong>ch</strong>en: als Begegnungsclown,<br />

indem er gezielte humorvolle Interaktionen bei Bewohnern und Mitarbeitern dur<strong>ch</strong>führt;<br />

als Unterhalter, indem er Personalanlässe, Tagungen und Kongresse mit s<strong>eine</strong>n humorvollen<br />

kabarett<strong>ist</strong>is<strong>ch</strong>en Karikaturen aus der Pflegewelt begleitet. Den wi<strong>ch</strong>tigsten Berei<strong>ch</strong> bilden<br />

zurzeit die Humorberatung von Institutionen und S<strong>ch</strong>ulungen im Berei<strong>ch</strong> der humorvollen<br />

Pflege. Weitere Infos: www.na<strong>ch</strong>ttopf.<strong>ch</strong><br />

(ak)

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