Hans-Gert POETTERING - Group of the European People's Party ...
Die Europäische Union: Werte - Politik - Wirtschaft
Rede im Königlichen Universitätszentrum Maria Cristina, El Escorial,
4. Mai 2006
Unsere Fraktion hat sich stets für einen Gottesbezug in der Europäischen Verfassung
eingesetzt sowie für eine ausdrückliche Bezugnahme auf das christlich-jüdische Erbe,
das die Geschichte Europas maßgeblich geprägt hat. Dieses Anliegen wurde leider nicht
von allen Vertretern im Konvent und nicht von der Mehrheit der Abgeordneten im
Parlament mitgetragen. Indirekt nimmt die Verfassung jedoch auf das christliche Erbe
Europas Bezug, da sie in der Präambel ausdrücklich auf die religiösen Überlieferungen
Europas verweist. Darüber hinaus wird im ersten Teil der Verfassung explizit der Status
der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften anerkannt. Auch mit der Aufnahme
einer Solidaritätsklausel in der Verfassung wird Gedankengut der christlichen Soziallehre
übernommen.
Für die europäische Politik hat das Gebot der Demokratie und der Christlichkeit weit
reichende Konsequenzen, insbesondere für die Menschenrechtspolitik. Im Vertrag
über die Europäische Union und im Verfassungstext wird ausdrücklich festgestellt,
dass die Menschenrechte zu den Grundsätzen gehören, die allen Mitgliedstaaten der
Union gemeinsam sind und auf denen die Union beruht. Eine konsequente europäische
Außenpolitik muss daher die Menschenrechte der bedrängten Christen im Sudan oder der
moslemischen Zivilbevölkerung in Tschetschenien ebenso verteidigen wie die durch den
Terrorismus herausgeforderte westliche Gesellschaft, sei es auf dem amerikanischen oder
auf dem europäischen Kontinent. Wir setzten uns weltweit für die Menschenrechte ein
– auch in China oder in Osteuropa. Die Würde eines Palästinensers ist die gleiche wie die
eines Israelis. Um dieses Engagement zu unterstreichen, verleiht das Europäische Parlament
seit 1988 den Sacharow-Preis für geistige Freiheit, der in den letzten Jahren unter anderem
an eine nigerianische Rechtsanwältin, an eine Frauenorganisation in Weißrussland und
an die internationale Organisation «Reporter ohne Grenzen» ging. Zur Würdigung ihres
Engagements gegen das Regime des kubanischen Diktators Fidel Castro hat auch schon die
Bürgerrechtsorganisation „Frauen in Weiß“ diese Auszeichnung erhalten.
Wir setzen uns dafür ein, dass Europa eine abgestimmte gemeinsame Außenpolitik unter
Leitung eines europäischen Außenministers erhält. Es ist wichtig, dass Europa endlich mit
einer Stimme sprechen kann, um künftig imageschädigende Vielstimmigkeit wie z.B. in der
Irak-Frage zu unterbinden und in einem von Konsens geprägten Klima zu kooperieren. Nur
gemeinsam sind wir Europäer stark, um auch im transatlantischem Verhältnis zu unseren
amerikanischen Freunden selbstbewusst auf gleicher Augenhöhe als «Global-Player»
verhandeln zu können und uns nicht wieder mittels einer «divide et impera»- Strategie in
ein neues und altes Europa spalten zu lassen.
Mit Sorge erfüllt uns die Entwicklung in Russland und in einigen der ehemaligen
Sowjetrepubliken. Wir müssen verhindern, dass Diktaturen wie in Weißrussland unter
Alexander Lukashenko Unterstützung von außen erfahren. Die USA sind für die Europäische
Union sowohl Partner als auch Freund. Dennoch gibt es Meinungsunterschiede - z.B. bei
der Behandlung von CIA-Gefangenen oder in Bezug auf das Lager Guantánamo Bay - die
wir offen ansprechen.
Politik
Es waren mutige, visionäre Christdemokraten, die den Grundstein für unser europäisches
Haus gelegt haben. Seit Beginn der europäischen Einigung waren sie die prägende
politische Kraft in Europa. Männer wie Konrad Adenauer, Robert Schuman oder Alcide de
Gasperi haben auf dem durch Krieg zerstörten und durch die Nachkriegsordnung geteilten
Kontinent Wege beschritten, die bis dahin niemand gegangen war. Mit einer Vision
von dauerhaftem Frieden und gemeinsamer Entwicklung, Stabilität und Wohlstand für
alle Bürger auf unserem Kontinent haben sie begonnen, Politiken über die Grenzen der
Nationalstaaten hinweg gemeinsam zu definieren und gemeinsam umzusetzen.
Die Vision der Gründerväter hat sich erfüllt. Noch viel mehr, sie hat sich in der
Auseinandersetzung der Systeme zwischen Freiheit und Demokratie auf der einen und
kommunistischer Diktatur auf der anderen Seite als stärker und erfolgreicher erwiesen.
Mit der Verwirklichung dieser Vision wurde die künstliche Teilung Europas durch die
Aufnahme Polens, Ungarns, der Tschechischen Republik, Sloweniens, der Slowakei und
der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen in die Europäische Union
überwunden. Ohne den Freiheitswillen der Menschen in diesen Ländern wäre auch die
Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990 nicht möglich gewesen. Ich möchte auch
daran erinnern, dass ohne die große geistige Kraft des polnischen Papstes Johannes Paul
II, der seinen Landsleuten in den 80er Jahren zugerufen hat: “Habt keine Angst”, diese
Entwicklung sicher nicht möglich gewesen wäre.
Die Einbindung dieser Staaten, die das Europäische Parlament seit jeher befürwortet hat,
war ein historisch-moralisches Gebot. Diese Länder haben in einer bewundernswerten
friedlichen Revolution den Kommunismus besiegt und sich mit großem Erfolg für
Demokratie und Selbstbestimmung eingesetzt. Die neuen Mitgliedstaaten sind immer
nach Westen ausgerichtete Länder geblieben, die ein halbes Jahrhundert lang Opfer der
48 Ausgewählte Reden Ausgewählte Reden 49