James Cook und die Entdeckung der Südsee - Spektrum CP
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Das Magazin für Archäologie <strong>und</strong> Geschichte<br />
<strong>James</strong><br />
<strong>Cook</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Entdeckung</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Südsee</strong><br />
Son<strong>der</strong>heft<br />
zur Ausstellung<br />
28. August 2009<br />
bis 28. Februar 2010<br />
in Bonn
PLAN ZU DER AUSSTELLUNG<br />
NORDAMERIKA<br />
HAWAI‘I<br />
WAFFEN MUSIK SCHMUCK KÖRBE WERKZEUG FISCHEREIGERÄT<br />
VANUATU<br />
MARQUESAS<br />
NEUKALEDONIEN<br />
OSTER-<br />
INSEL<br />
RINDENBASTSTOFFE<br />
MUSEUMS-<br />
PÄDAGOGIK<br />
TONGA<br />
TAHITI<br />
1. REISE<br />
NEUSEELAND<br />
2. REISE<br />
3. REISE<br />
<br />
<br />
JAMES COOKS<br />
STUDIERSTUBE<br />
EINGANG<br />
AUSTRALIEN<br />
FEUERLAND<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong><br />
28. August 2009 – 28. Februar 2010 in Bonn<br />
Kulturpartner<br />
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KUNST- UND AUSSTELLUNGSHALLE<br />
DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND<br />
Friedrich-Ebert-Allee 4 · 53113 Bonn · Telefon 0228 9171-200 · www.b<strong>und</strong>eskunsthalle.de
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NATIONAL LIBRARY OF AUSTRALIA, CANBERRA<br />
Joachim Schüring<br />
stellvertreten<strong>der</strong> Chefredakteur<br />
Ein ehrgeiziger Eigenbrötler<br />
Mitte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts war noch ein<br />
Drittel des Globus von weißen Flecken bedeckt:<br />
unbekanntes Land. Fahrten dorthin waren keine<br />
romantischen Abenteuer, keine Segeltörns ins<br />
»Para<strong>die</strong>s auf Erden«. Die mehrjährigen <strong>Entdeckung</strong>sreisen<br />
waren Vorstöße ins Ungewisse,<br />
<strong>die</strong> von den Mannschaften <strong>der</strong> Segelschiffe alles<br />
ab verlangten. Die Lebensbedingungen an Bord<br />
waren – an heutigen Standards gemessen – katastrophal,<br />
Krankheiten, Unwetter <strong>und</strong> Untiefen<br />
eine ständige Bedrohung. Statistisch gesehen<br />
war eine ges<strong>und</strong>e Rückkehr eher unwahrscheinlich.<br />
Solche Herausfor<strong>der</strong>ungen konnten nur außergewöhnliche<br />
Persönlichkeiten meistern – so<br />
wie <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> eine war. Schon für seinen Aufstieg<br />
aus einer armen Landarbeiterfamilie zum<br />
Kapitän in <strong>der</strong> Royal Navy <strong>und</strong> Mitglied <strong>der</strong> Royal<br />
Society hatte er neben <strong>der</strong> großen Begabung<br />
in nautischen Angelegenheiten auch ein gehöriges<br />
Maß an Ehrgeiz <strong>und</strong> Disziplin mitgebracht.<br />
Bei seinen Männern war <strong>der</strong> 1,83 Meter große,<br />
etwas schlaksige Kapitän durchaus angesehen –<br />
er galt aber als unnahbar. <strong>Cook</strong> war ein wortkarger<br />
Eigenbrötler, <strong>der</strong> selten lachte <strong>und</strong> seine<br />
Zeit gerne unter Deck in seiner Kabine verbrachte.<br />
An Durchsetzungskraft fehlte es ihm<br />
freilich nicht – vor allem, wenn er spürte, dass<br />
seine Autorität in Frage gestellt war. Dann konnte<br />
er »übers Heck stampfen <strong>und</strong> brüllen, bis er<br />
heiser war«, wie ein Matrose berichtete.<br />
So wenige Worte er mit an<strong>der</strong>en wechselte, so<br />
wenige machte er auch um sich selbst. Daheim<br />
in London schrieb er lieber seine Berichte, als<br />
sich in <strong>die</strong> feine Gesellschaft zu drängen. Den<br />
Wert seiner <strong>Entdeckung</strong>en schätzte er einmal als<br />
»nicht son<strong>der</strong>lich groß« ein. Auch sah er in den<br />
Inseln <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong> nicht <strong>die</strong> Ressourcen, <strong>die</strong> es für<br />
<strong>die</strong> Krone auszubeuten galt, <strong>und</strong> in ihren Bewoh-<br />
nern nicht <strong>die</strong> »edlen Wilden«, von denen man<br />
damals in Europa schwärmte. Es waren Menschen,<br />
<strong>die</strong> es zu schützen galt. »Wir bringen ihnen<br />
Bedürfnisse <strong>und</strong> womöglich Krankheiten,<br />
<strong>die</strong> sie zuvor nicht gekannt <strong>und</strong> <strong>die</strong> ausschließlich<br />
dazu angetan, <strong>die</strong> glückselige Ruhe zu stören,<br />
<strong>der</strong>en sie <strong>und</strong> ihre Vorväter sich erfreuten«,<br />
schrieb <strong>Cook</strong> im Jahr 1777 mit eindrucksvoller<br />
Weitsicht.<br />
Dies ist einer <strong>der</strong> wenigen Momente, in denen<br />
<strong>Cook</strong> einen kurzen Blick in sein Seelenleben<br />
gewährte. Sein Persönlichstes, <strong>die</strong> Liebe zu seiner<br />
Frau Elizabeth <strong>und</strong> den Kin<strong>der</strong>n, bleibt indes<br />
völlig im Dunkeln. Wenn man weiß, dass <strong>James</strong><br />
<strong>Cook</strong> nur einen Tag, bevor seine Frau zu Hause<br />
das vierte Kind bekam, zu seiner zweiten Reise<br />
aufbrach, dass er nach Jahren auf großer Fahrt<br />
immer erst <strong>der</strong> Admiralität Bericht erstattete,<br />
bevor er zu seiner Familie fuhr, <strong>und</strong> dass er<br />
manches seiner Kin<strong>der</strong> nie sah, weil sie in seiner<br />
Abwesenheit zur Welt kamen <strong>und</strong> auch wie<strong>der</strong><br />
starben, dann ist das Verhältnis <strong>der</strong> beiden <strong>Cook</strong>s<br />
gewiss nicht nur mit dem Rollenverständnis jener<br />
Zeit zu erklären. Dann offenbart sich hier ein<br />
Mann, <strong>der</strong> trotz aller Bescheidenheit vor allem<br />
eigene Interessen verfolgte. Während sich Elizabeth<br />
nach ihrem Mann sehnte, wollte <strong>James</strong><br />
<strong>Cook</strong> das behagliche Leben nicht leben <strong>und</strong> gab –<br />
allzu gern – »den bequemen Ruhestand einer<br />
womöglich gefährlichen Reise zuliebe« auf. Berufen<br />
konnte er sich dabei auf höhere Mächte:<br />
»Mein Schicksal treibt mich von einem Extrem<br />
ins an<strong>der</strong>e.«<br />
Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen<br />
Ihr<br />
Nach seiner ersten Reise:<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> (Mitte) mit den<br />
Botanikern Daniel Solan<strong>der</strong><br />
<strong>und</strong> Joseph Banks (von links).<br />
In blauem Rock steht neben<br />
ihm Romanautor John<br />
Hawkesworth, <strong>der</strong> <strong>Cook</strong>s<br />
Aufzeichnungen veröffentlichte.<br />
Marineminister John<br />
Montagu, 4th Earl of Sandwich<br />
(ganz rechts), gehörte zu<br />
<strong>Cook</strong>s wichtigsten För<strong>der</strong>ern.<br />
FÜR DIE WISSENSCHAFTLICHE<br />
BERATUNG DANKEN WIR<br />
Henriette Pleiger, Projektleiterin,<br />
Kunst- <strong>und</strong> Ausstellungshalle <strong>der</strong><br />
B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland, Bonn<br />
Prof. Dr. Brigitta Hauser-Schäublin,<br />
Leiterin des Instituts für Ethnologie<br />
<strong>der</strong> Universität Göttingen<br />
epoc.de 3
Inhalt<br />
Ein Leben auf See ................... 6<br />
Mit Mut, Ehrgeiz <strong>und</strong> Begabung<br />
schaffte <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>, Sohn eines<br />
Tagelöhners, den Aufstieg zum<br />
Kapitän<br />
Ein Ozean des Wissens .....18<br />
Im 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert wollten <strong>die</strong><br />
Denker <strong>der</strong> Aufklärung den Menschen<br />
verbessern <strong>und</strong> <strong>die</strong> Welt erfassen. In<br />
einer von Theorien geprägten Epoche<br />
waren <strong>die</strong> Entdecker jener Zeit <strong>die</strong><br />
Praktiker<br />
»H<strong>und</strong>erte, ja Tausende<br />
von Maden!« ..........................34<br />
Die Verhältnisse an Bord <strong>der</strong><br />
»Endeavour« waren aus heutiger Sicht<br />
katastrophal<br />
Wussten<br />
Sie, …<br />
… dass wir alle ein<br />
bisschen südseeisch<br />
sprechen?<br />
Im August 1769 schrieb Joseph Banks,<br />
Botaniker an Bord von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>s<br />
»Endeavour«, dass <strong>die</strong> schmerzhafte <strong>und</strong><br />
teils Monate dauernde Prozedur <strong>der</strong> Tätowierung<br />
bei den Bewohnern Tahitis<br />
tatau genannt wird. Das Wort bedeutet<br />
so viel wie »W<strong>und</strong>en schlagen« <strong>und</strong> ist<br />
womöglich eine lautmalerische Ableitung<br />
des Klopfens bei <strong>der</strong> Arbeit mit dem traditionellen<br />
Tätowierkamm (Bild). Im Deutschen<br />
wurde daraus zunächst »Tatauie-<br />
ren« <strong>und</strong> später »Tätowieren«.<br />
Auf <strong>der</strong> Suche<br />
nach dem Para<strong>die</strong>s ............28<br />
Als <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> auf den pazifischen<br />
Inseln landete, traf <strong>der</strong> Entdecker auf<br />
fremde Kulturen. Es folgten Begegnungen<br />
voller Unsicherheiten <strong>und</strong><br />
Missverständnisse<br />
Editorial ..........................................3<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> <strong>und</strong> seine Zeit ... 16<br />
IN BILDERN<br />
<strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong> ....... 22<br />
FÜR KINDER<br />
Zwei kleine Passagiere .......... 38<br />
Die »HMS Endeavour« ............ 40<br />
Preisrätsel ................................... 42<br />
Aloha ist – in <strong>der</strong> hawaiianischen Sprache<br />
– viel mehr als ein einfacher Gruß.<br />
Denn <strong>die</strong> Silben alo <strong>und</strong> ha bedeuten<br />
sinngemäß »vom Geist Gottes erfüllt«.<br />
Titelmotiv: Bildkomposition nach Vorlagen von: National Maritime Museum, Greenwich, London / The Natural History Museum, London /<br />
British Library, London<br />
IMPRESSUM<br />
epoc – Das Magazin für Archäologie <strong>und</strong> Geschichte<br />
Chefredakteur: Dr. phil. Carsten Könneker (v.i.S.d.P.)<br />
Redaktion: Dr. Joachim Schüring (stv. Chefredakteur),<br />
Dr. Klaus-Dieter Linsmeier, Dr. Claudia Mocek, Rabea Rentschler<br />
Schlussredaktion: Christina Meyberg (Ltg.), Sigrid Spies,<br />
Katharina Werle<br />
Bildredaktion: Alice Krüßmann (Ltg.), Anke Lingg,<br />
Gabriela Rabe<br />
Artdirector: Karsten Kramarczik<br />
Layout: Claus Schäfer, Oliver Gabriel<br />
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(6 Ausgaben): € 40,50; Jahresabonnement Ausland: € 43,50;<br />
Jahresabonnement Studenten Inland (gegen Stu<strong>die</strong>nnachweis):<br />
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Stu<strong>die</strong>nnachweis): € 37,50. Zahlung sofort nach Rechnungs erhalt.
Anfang <strong>der</strong> 1920er Jahre gelangte das<br />
Tabu in <strong>die</strong> deutsche Sprache. Auf Tonga<br />
stand tapu ursprünglich für »nicht erlaubt«<br />
(siehe S. 30). Heute bedeutet es dort<br />
auch »heilig«. So heißt <strong>die</strong> Hauptinsel<br />
des Königreichs Tongatapu, was eher »heiliger<br />
Süden« bedeutet als »verbotener<br />
Süden«.<br />
Wenngleich <strong>die</strong> Geschichte vom Känguru<br />
nicht stimmt, wird sie immer wie<strong>der</strong> erzählt:<br />
Als Joseph Banks, Botaniker an Bord<br />
<strong>der</strong> »Endeavour«, im Jahr 1770 »ein Tier so<br />
groß wie ein Windh<strong>und</strong>, von mausgrauer<br />
Farbe <strong>und</strong> sehr flink« sah, soll er <strong>die</strong> Eingeborenen<br />
Australiens gefragt haben:<br />
»Was ist das für ein Tier?« Worauf sie<br />
»Känguru« geantwortet hätten, was angeblich<br />
»Wir verstehen dich nicht!« heißt.<br />
Doch <strong>die</strong>s ist Legende. In Wahrheit leitet<br />
sich das Wort von gangurru ab, dem Namen<br />
<strong>der</strong> Aborigines für das Graue Riesenkänguru.<br />
Für viele europäische Seefahrer <strong>und</strong><br />
Händler waren alle fernen Inselvölker<br />
Kanaken. In Wirklichkeit leben <strong>die</strong> Kanaken<br />
aber nur auf den Inseln Neukaledoniens<br />
östlich von Australien. Seinen Ursprung<br />
hat <strong>der</strong> Name des Volks in Hawaii,<br />
wo kanaka »Mensch« heißt.<br />
Im Sommer 1946, kurz<br />
nachdem <strong>die</strong> Amerikaner<br />
auf dem Bikini-Atoll im Pazifik<br />
Atombomben getestet<br />
hatten, benannte <strong>der</strong><br />
Franzose Louis Réard<br />
einen neuen, zweiteiligen<br />
Badeanzug für Damen<br />
nach <strong>der</strong> Inselgruppe.<br />
Die Provokation gelang,<br />
<strong>die</strong> Aufregung über <strong>die</strong> Tat<br />
Réards war größer als <strong>die</strong> Empörung über<br />
<strong>die</strong> Bombentests. Bei den Bewohnern <strong>der</strong><br />
Inseln bedeutet bikini übrigens Land<br />
<strong>der</strong> vielen Kokosnüsse.<br />
Kennen Sie im Deutschen weitere<br />
Wörter, <strong>die</strong> ihren Ursprung in <strong>der</strong><br />
<strong>Südsee</strong> haben? Schreiben Sie uns!<br />
Unter den Einsen<strong>der</strong>n verlosen wir<br />
zehn Jahresabos von epoc!<br />
epoc<br />
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Von Joachim Schüring<br />
6 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON
Mit Fleiß <strong>und</strong> Ehrgeiz schaffte <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>, Sohn<br />
eines Tagelöhners, den Aufstieg an <strong>die</strong> Spitze <strong>der</strong><br />
britischen Gesellschaft.<br />
Es gibt nur wenige Porträts<br />
von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>. Dieses<br />
Gemälde von Nathaniel<br />
Dance zeigt ihn im Alter<br />
von 48 Jahren, kurz bevor er<br />
zu seiner dritten Reise<br />
aufbrach.<br />
Kurz vor ihrem Tod im Jahr 1835 erfüllte<br />
Eli zabeth <strong>Cook</strong> ihrem verstorbenen Gatten<br />
noch einen letzten Wunsch: Sie vernichtete alle<br />
Briefe, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> beiden geschrieben hatten.<br />
Es dürften viele gewesen sein, schließlich war<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> r<strong>und</strong> 13 seiner 17 Ehejahre viele tausend<br />
Seemeilen von zu Hause entfernt. Während<br />
<strong>die</strong> von ihm penibel geführten Logbücher bis heute<br />
seine Reisen beinahe lückenlos dokumentieren,<br />
ist vom Privatleben <strong>der</strong> <strong>Cook</strong>s daher kaum etwas<br />
bekannt.<br />
Kennen gelernt haben sich <strong>die</strong> beiden wohl in<br />
den 1750er Jahren, in den Docklands von London,<br />
wo Elizabeth’ Vater eine Taverne betrieb – nicht<br />
weit von <strong>der</strong> Stelle, wo regelmäßig Piraten, Meuterer<br />
<strong>und</strong> Schmuggler gehenkt wurden. Damals war<br />
<strong>James</strong> oft in <strong>der</strong> Gegend, denn als Schiffsjunge an<br />
Bord von Kohleschiffen pendelte er ständig zwischen<br />
dem Norden des Landes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hauptstadt<br />
hin <strong>und</strong> her.<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> wurde am 27. Oktober 1728 in Marton,<br />
einem kleinen Dorf im Nordosten Englands,<br />
geboren – ein Jahr nach seinem Bru<strong>der</strong> John. Die<br />
Familie war arm; <strong>der</strong> Vater, <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> sen., musste<br />
sich <strong>und</strong> <strong>die</strong> seinen mit dem kargen Lohn eines<br />
Tagelöhners durchbringen. Obwohl bald zwei weitere<br />
Kin<strong>der</strong> folgten – Christiana (1731) <strong>und</strong> Mary<br />
(1733) – <strong>und</strong> <strong>der</strong> kleine <strong>James</strong> seinem Vater auf einer<br />
Farm zur Hand gehen musste, brachte <strong>die</strong><br />
Frau des Hofbesitzers dem Knaben das Lesen <strong>und</strong><br />
Schreiben bei. Als er acht Jahre alt war, <strong>die</strong> kleine<br />
Schwester Mary war gerade gestorben, zog <strong>die</strong> Familie<br />
in das wenige Kilometer entfernte Great Ayton,<br />
auf den Hof von Lord Thomas Skottowe, wo<br />
noch vier weitere Geschwister zur Welt kommen<br />
sollten: Jane, Mary (Nr. 2), Margaret <strong>und</strong> William.<br />
<strong>James</strong> ging nun in eine richtige Schule, tat sich<br />
aber in den meisten Fächern nicht beson<strong>der</strong>s hervor<br />
– außer in Mathematik.<br />
Im Jahr 1745 begann er bei einem Gemischtwarenhändler<br />
im nahe gelegenen Staithes eine Lehre.<br />
<strong>Cook</strong> mochte den Ort nicht, dessen Einwohner<br />
in sich gekehrt <strong>und</strong> Fremden gegenüber wenig<br />
aufgeschlossen waren. Nur acht Monate hielt er es<br />
dort aus, dann kehrte er dem Dorf den Rücken –<br />
<strong>der</strong> Legende nach, weil er eine Münze <strong>der</strong> englischen<br />
<strong>Südsee</strong>-Kompanie unterschlagen hätte. In<br />
Wahrheit aber war sein Lehrmeister ein verständnisvoller<br />
Mann, <strong>der</strong> sah, wie unglücklich <strong>der</strong> Junge<br />
war. Und so half ihm William San<strong>der</strong>son sogar<br />
beim Umzug in <strong>die</strong> zwölf Kilometer entfernte<br />
Hafenstadt Whitby, wo er <strong>die</strong> Ree<strong>der</strong> John <strong>und</strong><br />
Henry Walker kannte. Schon bald schnupperte<br />
<strong>der</strong> 17-jährige <strong>Cook</strong> erstmals Seeluft.<br />
Umgeschlagen wurde in Whitby vor allem<br />
eines: Kohle. Die Fahrten <strong>die</strong> Küste hinunter von<br />
den Kohlefel<strong>der</strong>n Nordenglands nach London<br />
dauerten meist mehrere Wochen. Während <strong>die</strong><br />
Fracht im Osten <strong>der</strong> Metropole gelöscht wurde,<br />
übernachtete <strong>James</strong> vermutlich immer wie<strong>der</strong> im<br />
»The Bell«, jener Taverne, in <strong>der</strong> Elizabeth ihrem<br />
Vater beim Ausschank half.<br />
Ehrgeizig <strong>und</strong> wissbegierig, wie er war, segelte<br />
<strong>Cook</strong> für <strong>die</strong> Walkers bald auch nach Norwegen,<br />
vielleicht sogar bis St. Petersburg. Damals litt Europa<br />
noch unter einer längeren Kälteperiode – <strong>der</strong><br />
so genannten Kleinen Eiszeit – <strong>und</strong> <strong>die</strong> Nordsee<br />
gehörte zu den gefährlichsten aller Meere. Aufmerksam<br />
beobachtete er, was es brauchte, um ein<br />
Schiff mit unkontrollierbarer Ladung durch ungewisse<br />
Gewässer in unübersichtliche Häfen zu<br />
segeln. Zu Hause habe er nächtelang gelernt, während,<br />
wie Mary Prowd, <strong>die</strong> Haushälterin <strong>der</strong> Walkers,<br />
berichtete, »<strong>die</strong> an<strong>der</strong>en Lehrjungen sich mit<br />
eitlem Geschwätz <strong>und</strong> an<strong>der</strong>em läppischen Zeitvertreib<br />
beschäftigten«. Den Schiffseignern gefiel<br />
das, <strong>und</strong> sicher hätten sie ihm bald das Kommando<br />
über eines ihrer Schiffe anvertraut, wenn <strong>Cook</strong><br />
nicht im Jahr 1755 einen unerwarteten Entschluss<br />
gefasst hätte: Er kündigte <strong>und</strong> ging zur Royal<br />
Navy. Obwohl dem 26-Jährigen sicher bewusst<br />
war, dass das Leben an Bord eines Marineschiffs<br />
viel härter war, trieb ihn <strong>die</strong> Sehnsucht nach<br />
Abenteuern zum Dienst auf hoher See.<br />
Die Zeiten waren unruhig: Gerade hatten<br />
Frankreich <strong>und</strong> England wie<strong>der</strong> einmal um <strong>die</strong><br />
Vormachtstellung in Nordamerika gerungen.<br />
Krieg lag in <strong>der</strong> Luft, <strong>und</strong> tatsächlich eskalierten<br />
1756 <strong>die</strong> Konflikte in <strong>der</strong> Neuen Welt <strong>und</strong> schwappten<br />
nach Europa, wo sich <strong>die</strong> Briten <strong>und</strong> Franzosen<br />
mit ihren Bündnispartnern vielerorts erbitterte<br />
Schlachten lieferten. Der Siebenjährige<br />
Krieg war ausgebrochen.<br />
Jenseits des Atlantiks, wo <strong>die</strong> englische Navy<br />
versuchte, den Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> französischen<br />
Truppen in Kanada zu brechen, lernte <strong>Cook</strong> <strong>die</strong><br />
Kunst des Navigierens <strong>und</strong> Kartografierens. Als es<br />
den Briten im September 1759 endlich gelang, bei<br />
Québec <strong>die</strong> entscheidende Schlacht gegen <strong>die</strong><br />
Franzosen zu gewinnen, waren es seine präzisen<br />
Karten des Sankt-Lorenz-Stroms, <strong>die</strong> maßgeblich<br />
zum Sieg beitrugen – <strong>und</strong> ihn ins Gespräch bei<br />
<strong>der</strong> Admiralität brachten.<br />
epoc.de 7
Im Herbst 1762 kehrte <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> zurück nach<br />
England <strong>und</strong> führte am 21. Dezember seine Verlobte<br />
Elizabeth Batts zum Traualtar. Ob <strong>die</strong> 21-Jährige<br />
da von einem gemeinsamen Leben im trauten<br />
Heim träumte, ist ungewiss. Er, <strong>der</strong> 13 Jahre Ältere,<br />
tat es sicher nicht. Es vergingen nur ein paar Monate,<br />
bis er das Haus im Londoner Vorort Mile End<br />
verließ <strong>und</strong> gen Neuf<strong>und</strong>land segelte. Nach seinen<br />
Ver<strong>die</strong>nsten im Siebenjährigen Krieg kam für<br />
<strong>die</strong> Admiralität schlicht kein an<strong>der</strong>er in Frage, um<br />
<strong>die</strong> Küsten <strong>der</strong> Region zu kartieren. Er erhielt das<br />
Kommando über <strong>die</strong> »Grenville« <strong>und</strong> verbrachte<br />
fünf Jahre <strong>die</strong> Sommer auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite des<br />
Atlantiks, <strong>die</strong> Winter daheim bei Elizabeth. In <strong>die</strong>ser<br />
Zeit brachte sie drei ihrer sechs Kin<strong>der</strong> zur<br />
Welt: <strong>James</strong>, Nathaniel <strong>und</strong> Elizabeth. Einmal kam<br />
er schwer verw<strong>und</strong>et heim, weil, wie es im Logbuch<br />
steht, »ein großes Pulverhorn explo<strong>die</strong>rte<br />
<strong>und</strong> seine Hand zerbarst«. Die Narbe würde eines<br />
Tages noch von Bedeutung sein. Ÿ<br />
MITCHELL LIBRARY, STATE LIBRARY OF NEW SOUTH WALES, SYDNEY<br />
Erste Reise: 1768 – 1771<br />
Vorstoß<br />
ins Ungewisse<br />
Akribisch beschrieb <strong>James</strong><br />
<strong>Cook</strong>, wie sich am 3. Juni<br />
1769 <strong>die</strong> winzige Venus vor<br />
<strong>die</strong> große Sonnenscheibe<br />
schob. Das Ereignis dauerte<br />
gut 1,5 St<strong>und</strong>en.<br />
W<br />
äre<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> im Sommer 1768 nur einen<br />
einzigen Tag länger bei seiner Frau<br />
geblieben, hätte er auch <strong>die</strong> Geburt seines vierten<br />
Kindes noch erlebt. Doch als Elizabeth am 26. August<br />
den kleinen Joseph zur Welt brachte, war ihr<br />
Mann bereits an Bord <strong>der</strong> »Endeavour« <strong>und</strong> in<br />
Richtung <strong>Südsee</strong> aufgebrochen, um, wie er sagte,<br />
»einige neue <strong>Entdeckung</strong>en in <strong>die</strong>sem riesigen,<br />
unbekannten Gebiet zu versuchen«.<br />
Obwohl <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>, schon 39 Jahre alt, noch<br />
nie ein Schiff befehligt hatte, wusste <strong>die</strong> Navy seine<br />
außerordentlichen Fähigkeiten zu schätzen<br />
<strong>und</strong> wählte ihn für eine ganz beson<strong>der</strong>e Mission<br />
aus: <strong>die</strong> Suche nach dem sagenumwobenen Südland,<br />
<strong>der</strong> Terra australis incognita. Die Existenz<br />
des Kontinents hatte schon <strong>der</strong> griechische Gelehrte<br />
Claudius Ptolemäus im 2. Jahrh<strong>und</strong>ert n.<br />
Chr. postuliert, weil er überzeugt davon war, dass<br />
<strong>die</strong> Landmassen auf <strong>der</strong> Nord- <strong>und</strong> Südhalbkugel<br />
gleichmäßig verteilt sein müssten. Auch im 18.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert glaubten viele daran; <strong>der</strong> schottische<br />
Geograf Alexan<strong>der</strong> Dalrymple etwa, <strong>der</strong> sich große<br />
Hoffnungen machte, eine Suche danach anzuführen.<br />
Er war von <strong>der</strong> Royal Society vorgeschlagen<br />
worden, doch <strong>die</strong> Navy zog den erfahrenen<br />
Seemann <strong>Cook</strong> dem Schreibtischgelehrten vor.<br />
An Bord <strong>der</strong> »Endeavour« wusste von <strong>die</strong>sem<br />
Auftrag freilich niemand – er war geheim, schließlich<br />
sollte das neu entdeckte Land sofort für <strong>die</strong><br />
Krone in Besitz genommen werden. Der offizielle<br />
Auftrag war ein an<strong>der</strong>er, von ganz <strong>und</strong> gar unpolitischer<br />
Natur: <strong>Cook</strong> solle »<strong>die</strong> Passage des Planeten<br />
Venus über <strong>die</strong> Sonnenscheibe beobachten«<br />
– ein seltenes Ereignis, das es bei sorgfältiger<br />
Vermessung möglich machen würde, <strong>die</strong> Entfernung<br />
zwischen Erde <strong>und</strong> Sonne zu errechnen <strong>und</strong><br />
somit <strong>die</strong> Dimensionen des Sonnensystems zu<br />
bestimmen.<br />
Die gut 30 Meter lange »Endeavour« war ein<br />
paar Jahre zuvor in Whitby vom Stapel gelaufen –<br />
als eines <strong>der</strong> Kohleschiffe, mit denen <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
ja schon vertraut war. Nach dem Umbau erinnerte<br />
jedoch fast nichts mehr an den alten Segler. Wo<br />
einst das schwarze Gold lagerte, stapelten sich<br />
nun Vorräte für 18 Monate. Hinzu kamen vier<br />
Schweine, drei Katzen, zwei H<strong>und</strong>e, eine Ziege<br />
sowie ein paar dutzend Hühner. Unter Deck<br />
drängten sich 94 Männer, von denen elf in wissenschaftlicher<br />
Mission unterwegs waren. Zu ihnen<br />
gehörten Charles Green, <strong>der</strong> als Astronom<br />
den Venusdurchgang beobachten sollte, <strong>und</strong> Joseph<br />
Banks, 25-jähriger Spross einer wohlhabenden<br />
Familie <strong>und</strong> stu<strong>die</strong>rter Botaniker. Letzterer<br />
hatte immerhin 10 000 Pf<strong>und</strong> gezahlt, um mit einer<br />
Entourage von mehreren Forschern, Zeichnern<br />
<strong>und</strong> Dienern dabei sein zu können.<br />
Wenn man von einem tödlichen Unfall, einem<br />
Selbstmord <strong>und</strong> den beiden im Vollrausch da-<br />
8<br />
epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
EPOC / EMDE-GRAFIK
BRITISH LIBRARY, LONDON (CHARLES PRAVAL, 1771)<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Für <strong>die</strong> Beobachtung des<br />
Venustransits ließ <strong>Cook</strong> auf<br />
Tahiti eigens ein befestigtes<br />
Lager errichten: »Fort Venus«.<br />
Auf seiner ersten Reise stellte<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> unter an<strong>der</strong>em<br />
fest, das Neuseeland aus zwei<br />
Inseln bestand – <strong>und</strong> nicht<br />
Teil des legendären Südkontinents<br />
war.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
hingeschiedenen Lakaien Banks’ absieht, querte<br />
<strong>die</strong> Crew ohne größere Zwischenfälle den Atlantik,<br />
umr<strong>und</strong>ete Kap Hoorn <strong>und</strong> erreichte den<br />
Pazifik. Selbst Skorbut, <strong>die</strong> tödliche Krankheit<br />
infolge einseitiger Ernährung mit Pökelfleisch<br />
<strong>und</strong> Schiffszwieback, war an Bord <strong>der</strong> »Endeavour«<br />
sehr selten, weil <strong>der</strong> Kapitän seine Mannschaft<br />
stets mit Obst <strong>und</strong> Gemüse versorgte (siehe<br />
S. 34).<br />
<br />
<br />
Am 5. April 1769 warf <strong>die</strong> »Endeavour« vor Tahiti<br />
<strong>die</strong> Anker. Bis zum Venustransit am 3. Juni hatten<br />
<strong>die</strong> Männer Zeit – <strong>und</strong> genossen das Leben<br />
auf den Inseln, <strong>die</strong> wie das Para<strong>die</strong>s auf Erden anmuteten.<br />
Die Bewohner schienen friedlich, sorglos<br />
<strong>und</strong> ohne Arbeit in den Tag hineinzuleben.<br />
Für Messingknöpfe <strong>und</strong> Eisennägel gaben sie fast<br />
alles her – <strong>die</strong> Frauen auch ihren Körper. »Die<br />
Liebe ist ihre einzige Beschäftigung«, schrieb<br />
Banks begeistert – <strong>und</strong> bestätigte, was schon im<br />
Jahr zuvor <strong>der</strong> französische Seefahrer Antoine de<br />
Bougainville ille<br />
le notiert hat-<br />
te: »Aller Vorsicht<br />
ungeachtet,<br />
et,<br />
kam ein<br />
jun-<br />
ges Mädchen vor eine <strong>der</strong> Luken über dem Gangspill.<br />
Sie ließ ungeniert ihre Bedeckung fallen<br />
<strong>und</strong> stand vor den Augen aller da, wie Venus sich<br />
dem phrygischen Hirten gezeigt. Sie hatte einen<br />
göttlichen Körper.« <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>, <strong>der</strong> dem Treiben<br />
aus Sorge um Geschlechtskrankheiten Einhalt<br />
gebieten wollte, was ihm aber nicht gelang,<br />
schrieb: »Beide Geschlechter geben im Gespräch<br />
den unsittlichsten Gedanken Ausdruck, ohne<br />
geringste innere Regung. Solche Reden verschaffen<br />
ihnen höchstes Entzücken.« Nüchtern resümierte<br />
<strong>der</strong> Kapitän: »Keuschheit wird geringer<br />
Wert beigemessen.«<br />
Der Tag des Venustransits begann, wie <strong>Cook</strong><br />
es sich nur wünschen konnte: »Es zeigte sich keine<br />
Wolke, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Luft war völlig klar, also dass<br />
wir jeden erdenklichen Vorteil hatten bei <strong>der</strong> Beob-achtung<br />
<strong>der</strong> ganzen Passage des Planeten Venus<br />
über <strong>die</strong> Scheibe <strong>der</strong> Sonne.« Nach ein paar<br />
St<strong>und</strong>en war das Spektakel, das man mit bloßem<br />
Auge gerade so beobachten kann, schon wie<strong>der</strong><br />
vorüber –<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> »offizielle« Teil <strong>der</strong> Reise abgeschlossen.<br />
sen Jetzt galt es, <strong>der</strong> »geheimen Anweisung«<br />
<strong>der</strong> Admiralität zu folgen: »Ihr sollt gen<br />
Süden fahren, um den Kontinent zu entdecken.«<br />
Bevor es Anfang August 1769 weiterging,<br />
überzeugte Joseph Banks den Kommandanten<br />
noch, zwei Einheimische mit an Bord zu neh-<br />
men:<br />
Tupaia, einen Priester von <strong>der</strong> Insel Ra’iatea,<br />
sowie dessen Gefährten Taiata. Während<br />
Banks in sein Tagebuch schrieb: »Ich weiß<br />
nicht, warum ich ihn nicht als Kuriosum<br />
behalten sollte – so wie sich meine Nachbarn<br />
Löwen <strong>und</strong> Tiger halten«, war <strong>Cook</strong><br />
bald von den navigatorischen Fähigkeiten<br />
des Fremden fasziniert – insbeson<strong>der</strong>e<br />
von dessen Karten, auf denen<br />
Tupaia <strong>die</strong> Positionen von mehr als 70<br />
Inseln verzeichnet hatte. »Ich sehe keinen<br />
Gr<strong>und</strong>, an seinen Angaben zu zweifeln«,<br />
schrieb er.<br />
Doch ein großes Land, einen Kontinent,<br />
kannte auch Tupaia nicht. Obwohl<br />
<strong>Cook</strong> auf dem Weg nach Süden mehrfach<br />
östliche <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> westliche Kurse einschlagen<br />
ließ, blieb <strong>der</strong> Horizont leer.<br />
<br />
epoc.de 9
Zwei Monate später erreichten sie jedoch Neuseeland.<br />
Von den Maori wurden sie fre<strong>und</strong>schaftlich<br />
aufgenommen – obschon einer von ihnen<br />
nach einem Diebstahl erschossen wurde. <strong>Cook</strong> segelte<br />
<strong>die</strong> Küste entlang <strong>und</strong> erkannte, dass Neuseeland<br />
nicht, wie <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländische Seefahrer<br />
Abel Tasman zuvor vermutet hatte, Teil jener Terra<br />
australis incognita war, son<strong>der</strong>n aus einer Nord<strong>und</strong><br />
einer Südinsel bestand. <strong>Cook</strong> kamen zunehmend<br />
Zweifel an <strong>der</strong> Existenz des Südkontinents.<br />
Ende März 1770 verließ <strong>die</strong> »Endeavour« Neuseeland<br />
<strong>und</strong> hielt westwärts. Nach bald zwei Jahren<br />
sollte es nun endlich heimgehen. Am 28. April<br />
betrat <strong>Cook</strong> in <strong>der</strong> Botany Bay (heute: Sydney) als<br />
erster Brite den Boden von Neuholland, das erst<br />
mehr als 50 Jahre später offiziell Australien heißen<br />
sollte. Auf dem Weg nach Norden nahm er <strong>die</strong><br />
ganze Ostküste für <strong>die</strong> Krone in Besitz <strong>und</strong> nannte<br />
sie »New South Wales«. Die Einwohner zeigten<br />
kaum Interesse o<strong>der</strong> verhielten sich feindselig.<br />
Kontakte gab es kaum, denn auch Tupaia sprach<br />
ihre Sprache nicht. Banks hielt sie für »elendige<br />
Feiglinge«.<br />
Am 11. Juni 1770 ereignete sich am Great Barrier<br />
Reef beinahe eine Katastrophe. Es war gegen<br />
23 Uhr, <strong>und</strong> <strong>Cook</strong> hatte sich gerade hingelegt, als<br />
ein Schlag durch den Rumpf <strong>der</strong> »Endeavour«<br />
ging: »Das Schiff lief auf ein Hin<strong>der</strong>nis <strong>und</strong> saß<br />
fest«, würde <strong>Cook</strong> später notieren. Noch in Unterwäsche<br />
eilte <strong>der</strong> Kapitän an Deck, um den Schaden<br />
zu begutachten. Sogleich befahl er, alles von<br />
Bord zu werfen, was nicht lebensnotwendig war.<br />
Von außen zerrten <strong>die</strong> Männer mit Winden <strong>und</strong><br />
Seilen am Rumpf, an<strong>der</strong>e standen bis zur Erschöpfung<br />
an den Pumpen. Dann, fast 24 St<strong>und</strong>en später<br />
<strong>und</strong> über 40 Tonnen leichter, kam <strong>die</strong> »Endeavour«<br />
endlich frei. Als es <strong>der</strong> Mannschaft sechs<br />
»Ihr sollt gen Süden fahren,<br />
um den Kontinent zu entdecken«<br />
Tage später gelang, das Schiff in flachem Wasser<br />
auf <strong>die</strong> Seite zu legen, offenbarte sich, welches<br />
Glück sie gehabt hatten: In dem riesigen Loch<br />
steckte das Stück einer Koralle. Es hatte <strong>die</strong> »Endeavour«<br />
vor dem Untergang bewahrt.<br />
Doch es sollte nicht lange dauern, bis sie das<br />
Glück schließlich doch verließ. Waren sie von<br />
Skorbut weit gehend verschont geblieben, kam in<br />
Batavia (dem heutigen Jakarta), wo <strong>die</strong> »Endeavour«<br />
fit für <strong>die</strong> Rückreise gemacht wurde, <strong>die</strong><br />
Ruhr an Bord. Ein Seemann nach dem an<strong>der</strong>en<br />
klagte über <strong>die</strong> »Schmerzen <strong>der</strong> Verdammten«,<br />
wie <strong>der</strong> ebenfalls erkrankte Joseph Banks aus eigener<br />
Erfahrung berichtete. Dem Siechen folgte<br />
das Sterben. Taiata <strong>und</strong> sein Herr Tupaia starben<br />
in Batavia; bis Kapstadt raffte <strong>die</strong> Krankheit noch<br />
einmal zwei Dutzend Mann dahin.<br />
Als <strong>die</strong> »Endeavour« am 13. Juli 1771, einem windigen<br />
Samstag, vor <strong>der</strong> Küste von Kent im heimischen<br />
England ein letztes Mal <strong>die</strong> Anker warf, gingen<br />
von den ursprünglich 94 nur noch 38 Mann<br />
<strong>der</strong> Besatzung von Bord. <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>, <strong>der</strong> verschont<br />
geblieben war, fuhr zunächst nach London,<br />
wo er <strong>der</strong> Admiralität Bericht erstattete, <strong>und</strong><br />
am Sonntagmorgen zu seiner Familie in Mile End.<br />
Erst jetzt konnte ihm seine Frau <strong>die</strong> traurige Nachricht<br />
vom Tod zweier Kin<strong>der</strong> berichten: Joseph<br />
war gleich nach <strong>der</strong> Abfahrt des Vaters gestorben<br />
<strong>und</strong> seine vierjährige Tochter Elizabeth drei Monate<br />
vor seiner Rückkehr. Sie war unter <strong>die</strong> Rä<strong>der</strong><br />
einer Kutsche geraten. Ÿ<br />
Geheime Anweisung <strong>der</strong> britischen Admiralität, 1768<br />
EPOC / EMDE-GRAFIK<br />
<br />
Zweite Reise: 1772 – 1775<br />
Der<br />
sagenhafte<br />
Kontinent<br />
Hätte man nach <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> »Endeavour«<br />
einfache Englän<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Straße<br />
nach <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> gefragt, hätten <strong>die</strong> allermeisten<br />
wohl mit den Achseln gezuckt. Kaum jemand<br />
kannte den Kapitän <strong>und</strong> Weltreisenden. Umjubelt<br />
wurde ein an<strong>der</strong>er: Joseph Banks. Der wohlhabende<br />
Forscher kam ja nicht wie <strong>Cook</strong> aus kleinen<br />
Verhältnissen, son<strong>der</strong>n verkehrte seit jeher in den<br />
besten Kreisen Londons. Nun war er auch Gast<br />
Seiner Majestät Georg III. <strong>und</strong> machte mit abenteuerlichen<br />
Berichten <strong>und</strong> seinem in <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong><br />
tätowierten Arm einigen Eindruck.<br />
Unterdessen mäkelte Alexan<strong>der</strong> Dalrymple,<br />
<strong>der</strong> noch immer vergrätzt war, weil nicht er am<br />
10 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
Von Neuseeland aus unternahm<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> während<br />
seiner zweiten Reise im<br />
Winter 1773 (rot) <strong>und</strong> im<br />
Sommer 1773/74 (rosa)<br />
systematische Suchen nach<br />
<strong>der</strong> Terra australis incognita<br />
– ohne Erfolg.<br />
<br />
Omai, ein Bewohner <strong>der</strong><br />
<strong>Südsee</strong>insel Ulietea bei<br />
Tahiti, kam an Bord <strong>der</strong><br />
»Adventure« nach England.<br />
Dort avancierte er zum<br />
Liebling <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
(unten: seine Visitenkarte).<br />
Ein paar Jahre später (1777)<br />
brachte <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> ihn<br />
wie<strong>der</strong> zurück in seine<br />
Heimat.<br />
<br />
<br />
SAMMLUNG MARK UND CAROLYN BLACKBURN, HONOLULU<br />
<br />
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<br />
<br />
Steuer<br />
er<br />
<strong>der</strong> »Endeavourstanden<br />
hatte,<br />
<strong>Cook</strong><br />
ok hätte te<br />
<strong>die</strong><br />
Existenz<br />
des Südkontinents mitnichten wi-<br />
ge<strong>der</strong>legt.<br />
Doch das wusste auch <strong>Cook</strong> selbst nur allzu<br />
gut – <strong>und</strong> hatte noch auf <strong>der</strong> Rückreise erste<br />
Pläne für eine weitere Reise geschmiedet. Der Admiralität<br />
kamen seine Vorschläge gerade recht,<br />
schließlich sollte auf dem unbekannten Land <strong>die</strong><br />
britische Flagge wehen.<br />
Nach dem Schrecken im Great Barrier Reef<br />
wollte <strong>Cook</strong> <strong>die</strong>smal mit zwei Schiffen segeln. Die<br />
Admiralität willigte ein <strong>und</strong> stellte <strong>die</strong> »Resolution«<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> »Adventure« bereit, <strong>die</strong> ebenfalls<br />
ursprünglich als Kohleschiffe in Whitby vom Stapel<br />
gelaufen waren. Auch Joseph Banks wollte<br />
wie<strong>der</strong> mit von <strong>der</strong> Partie sein, doch <strong>die</strong>smal über-<br />
<br />
<br />
<br />
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<br />
<br />
NATIONAL PORTRAIT GALLERY, LONDON (JOHANN JACOBI, NACH SIR JOSHUA REYNOLDS, LONDON, 1780<br />
schätzte er seine Position. Nachdem <strong>der</strong><br />
stets auf Stil <strong>und</strong> Komfort bedachte Botaniker<br />
gegen den Willen <strong>Cook</strong>s <strong>die</strong> »Resolution«<br />
so hatte umbauen lassen, dass er<br />
<strong>und</strong> sein Gefolge – darunter zwei Blasmusiker<br />
– möglichst kommod reisen konnten,<br />
war das Schiff so kopflastig, dass es<br />
wie<strong>der</strong> in den Originalzustand versetzt<br />
werden musste. Die Besatzung habe sich<br />
dem Schiff anzupassen – <strong>und</strong> nicht umgekehrt,<br />
hieß es von Seiten <strong>der</strong> Admiralität.<br />
Verärgert blieb Banks daheim. An seiner Stel-<br />
le wurde Johann Reinhold Forster verpflichtet,<br />
ein namhafter, wenngleich launischer Naturforscher<br />
aus Preußen. Mit seinem Sohn <strong>und</strong> Assistenten<br />
e Georg würden sie <strong>die</strong> ersten Forscher sein,<br />
<strong>die</strong> nicht nur alle möglichen Pflanzen <strong>und</strong> Tiere<br />
sammelten, son<strong>der</strong>n auch völkerk<strong>und</strong>liche Objekte<br />
e – wobei Georg Forster mit seinen differenzierten<br />
Beschreibungen verschiedener <strong>Südsee</strong>gesellschaften<br />
scha<br />
eben nicht mehr dem Klischee vom<br />
»edlen en Wilden« im »Para<strong>die</strong>s auf Erden« verfallen<br />
würde. Die unzähligen Ethnografica, <strong>die</strong> Vater<br />
<strong>und</strong> Sohn aus <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong> heimbrachten, befinden<br />
sich heute übrigens zum Großteil in <strong>der</strong> Ethnologischen<br />
Sammlung <strong>der</strong> Universität Göttingen.<br />
<br />
<br />
Am 13. Juli 1772, genau ein Jahr nach seiner ersten<br />
Rückkehr aus <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong> – <strong>und</strong> fünf Tage,<br />
nachdem seine Frau das fünfte Kind zur Welt gebracht<br />
hatte –, verließ <strong>Cook</strong> den Hafen von Plymouth<br />
<strong>und</strong> segelte in Richtung Kapstadt. (Kaum<br />
hatte ihr Mann den Äquator überquert, trug Elizabeth<br />
daheim in London den kleinen George schon<br />
wie<strong>der</strong> zu Grabe).<br />
Nachdem <strong>die</strong> Schiffe in Kapstadt Nachschub<br />
geladen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Botaniker An<strong>der</strong>s Sparrman als<br />
weiterer Assistent von Johann Reinhold Forster<br />
dazugestoßen war, drängte es <strong>Cook</strong> nach Süden.<br />
Er hatte Zeit verloren; wollte er den Südkontinent<br />
finden, konnte <strong>die</strong>s nur im Sommer gelingen.<br />
Es würde mit 117 Tagen <strong>die</strong> längste Etappe werden.<br />
117 Tage, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Männer in bedrücken<strong>der</strong><br />
Enge <strong>und</strong> auf schwankenden Planken verbrachten.<br />
Um sie bei Laune zu halten, führte <strong>der</strong> Kapitän<br />
sie mit nachsichtiger Hand. Am Weihnachtstag<br />
1772 etwa notierte er, wie er sein Schiff auf einen<br />
»möglichst geschützten Kurs« brachte, um nicht<br />
»von einem plötzlichen Wind mit einer betrunkenen<br />
Mannschaft überrascht zu werden«. In antarkti-schen<br />
Gewässern schließlich half ein »zusätzli-ches<br />
Glas Brandy jeden Morgen« den Männern,<br />
»<strong>die</strong> Kälte ohne Murren zu ertragen«. Als<br />
<strong>Cook</strong> wegen des mächtigen Eises den Rückzug<br />
befahl, ahnte er nicht, dass nur 75 Meilen voraus<br />
Festland lag – <strong>und</strong> er um Haaresbreite auch als<br />
11
Mit <strong>die</strong>sem vom Londoner<br />
Tischler John Harrison entwickelten<br />
<strong>und</strong> vom Uhrmacher<br />
Larcum Kendall<br />
gebauten Chronometer<br />
konnte <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> eines<br />
<strong>der</strong> größten Probleme seiner<br />
Zeit lösen: Er war so genau,<br />
dass sich mit ihm endlich<br />
<strong>die</strong> geografische Länge<br />
zuverlässig bestimmen ließ.<br />
NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
Ent decker <strong>der</strong> Antarktis in <strong>die</strong> Geschichte eingegangen<br />
wäre!<br />
Auf dem Rückweg verloren sich <strong>die</strong> Schiffe in<br />
dichtem Nebel aus den Augen. Für einen solchen<br />
Fall hatten <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> <strong>und</strong> Tobias Furneaux, Kapitän<br />
<strong>der</strong> »Adventure«, vorab ausgemacht, sich<br />
am Queen Charlotte So<strong>und</strong> in Neuseeland zu treffen.<br />
In <strong>der</strong> Hoffnung, er könne noch auf den Kontinent<br />
stoßen, segelte <strong>Cook</strong> im Zickzackkurs nach<br />
Neuseeland, wo er eine kleine Brauerei aufbauen<br />
ließ – Bier galt als probates Mittel gegen Skorbut –<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Forsters so viel Gefleuch <strong>und</strong> Gekreuch<br />
sammelte, dass sich in ihren Kammern ein »recht<br />
scheußlicher Gestank« verbreitete.<br />
Nachdem im Mai 1773 <strong>die</strong> »Resolution« <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
»Adventure« wie<strong>der</strong> vereint waren, ging es auf<br />
<strong>Entdeckung</strong>sreise durch <strong>die</strong> <strong>Südsee</strong>. Auf <strong>der</strong> Gesellschaftsinsel<br />
Ulietea nahm Furneaux einen<br />
jungen Mann namens Mai an Bord, <strong>der</strong> später in<br />
<strong>der</strong> Obhut von Joseph Banks zum Liebling <strong>der</strong><br />
englischen Gesellschaft avancieren sollte. Omai,<br />
wie man ihn dort nannte, wurde vom König bezahlt,<br />
saß Malern Modell <strong>und</strong> fuhr Schlittschuh.<br />
Im Theater kam 1785 gar das Stück »Omai: O<strong>der</strong><br />
eine Reise um <strong>die</strong> Welt« zur Aufführung.<br />
Auf dem Rückweg nach Neuseeland verloren<br />
sich <strong>die</strong> Schiffe ein zweites Mal. Wie<strong>der</strong> wartete<br />
<strong>Cook</strong> im Queen Charlotte So<strong>und</strong>. Diesmal vergeblich.<br />
Gerade als er aufbrechen wollte, fand <strong>Cook</strong><br />
das »Zwischendeck bevölkert mit Eingeborenen«<br />
<strong>und</strong> wurde Zeuge eines grausigen Geschehens.<br />
Seine Wissenschaftler hatten <strong>die</strong> Überreste eines<br />
Toten entdeckt <strong>und</strong> den Schädel an Bord gebracht<br />
»o<strong>der</strong> das, was von ihm noch übrig war, denn Unterkiefer<br />
<strong>und</strong> Lippen et cetera fehlten«. <strong>Cook</strong> wurde<br />
klar, dass <strong>der</strong> »Junge von vielleicht 14 o<strong>der</strong> 15<br />
Jahren« Opfer eines kannibalischen Brauchs geworden<br />
war. Weil ihm das zu Hause niemand<br />
glauben würde, befahl er »ein Stück des Fleisches<br />
zu braten <strong>und</strong> auf das Zwischendeck zu bringen,<br />
wo einer <strong>die</strong>ser Kannibalen es mit offensichtlich<br />
gutem Appetit verzehrte«. Unterdessen verglich<br />
<strong>der</strong> junge Forster das Erlebte mit dem Wüten <strong>der</strong><br />
spanischen Eroberer in Südamerika: »Was ist <strong>der</strong><br />
Neu-Seelän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> seinen Feind im Kriege umbringt<br />
<strong>und</strong> frisst, gegen den Europäer, <strong>der</strong>, zum<br />
Zeitvertreib, einer Mutter ihren Säugling mit kaltem<br />
Blut, von <strong>der</strong> Brust reißen <strong>und</strong> seinen H<strong>und</strong>en<br />
vorwerfen kann?« Furneaux sollte, einige<br />
Tage nachdem <strong>Cook</strong> den Ort verlassen hatte, an<br />
gleicher Stelle ebenfalls Augenzeuge eines solchen<br />
Mahls werden. Allerdings kannte er <strong>die</strong> Verspeisten:<br />
Es waren einige seiner eigenen Männer.<br />
Nachdem sich <strong>die</strong> Schiffe knapp verpasst hatten,<br />
segelte Furneaux nach Kap Hoorn <strong>und</strong> weiter<br />
Dritte Reise: 1776 – 1780<br />
Scheitern<br />
in <strong>der</strong> Arktis<br />
12
»Nunmehr bin ich fertig mit<br />
dem Pazifischen Ozean«<br />
zum Kap <strong>der</strong> Guten Hoffnung. Als er im Juli 1774 –<br />
ein Jahr vor <strong>Cook</strong> – <strong>die</strong> Heimat erreichte, war er<br />
<strong>der</strong> erste Kapitän, <strong>der</strong> <strong>die</strong> Erde von West nach Ost<br />
umsegelt hatte. Unterdessen ließ <strong>Cook</strong> erneut<br />
nach Süden segeln, bis er am 71. Breitengrad vor<br />
dickem Packeis aufgab.<br />
<strong>Cook</strong> ließ umdrehen <strong>und</strong> ankerte Mitte März<br />
1774 vor <strong>der</strong> Osterinsel. Von dort ging <strong>die</strong> Fahrt zu<br />
den Marquesas, nach Tahiti, Nue, Tonga <strong>und</strong> den<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong>, 17. Dezember 1774<br />
Neuen Hebriden (heute Vanuatu), wo <strong>Cook</strong> zahlreiche<br />
bis dahin unbekannte Inseln kartierte. Auf<br />
<strong>der</strong> Fahrt nach Südwesten entdeckte er Neukaledonien<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Norfolkinseln. Von Terra australia<br />
incognita indes noch immer keine Spur. Im Dezember<br />
schrieb er vor Kap Hoorn: »Nunmehr bin<br />
ich fertig mit dem Pazifischen Ozean. Ich hoffe<br />
nur, dass <strong>die</strong>, welche mich ehrten, <strong>und</strong> auch jene,<br />
welche mich beleidigten, dass also nicht einer von<br />
ihnen denken wird, dass irgendetwas mehr hätte<br />
getan werden können auf einer Reise mit einem<br />
solchen Ziele denn das, was in <strong>die</strong>ser geschah.«<br />
Vor seiner Rückreise löste <strong>Cook</strong> dann noch<br />
eines <strong>der</strong> größten Probleme seiner Zeit – <strong>und</strong> verhalf<br />
einem Londoner Uhrmacher namens John<br />
Harrison endlich zu seinem ver<strong>die</strong>nten Ruhm. 40<br />
Jahre hatte <strong>der</strong> an einem Chronometer gebaut,<br />
mit dessen Hilfe er das so genannte Längenproblem<br />
lösen wollte: Während sich <strong>der</strong> Breitengrad<br />
nämlich leicht mit dem Sonnenstand bestimmen<br />
ließ, musste <strong>die</strong> Länge, <strong>die</strong> Position in Ost-West-<br />
Richtung, auf komplizierte Weise berechnet werden.<br />
Mit einer extrem genauen Uhr könnte man<br />
jedoch <strong>die</strong> zurückgelegte Strecke direkt messen –<br />
<strong>und</strong> daraus leicht <strong>die</strong> geografische Länge ableiten.<br />
<strong>Cook</strong> vertraute <strong>der</strong> Uhr <strong>und</strong> adelte sie, nachdem<br />
er mühelos zur Atlantikinsel Sankt Helena gef<strong>und</strong>en<br />
hatte, als our faithful guide. Damit war das<br />
Längenproblem endgültig Geschichte – <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Traum von John Harrison erfüllte sich endlich<br />
acht Monate vor seinem Tod.<br />
Am 30. Juli 1775 erreichte <strong>die</strong> »Resolution« <strong>die</strong><br />
Heimat. Wie zuvor eilte <strong>Cook</strong> auch <strong>die</strong>smal zunächst<br />
zur Berichterstattung nach London – <strong>und</strong><br />
hörte erst später vom frühen Tod eines seiner Kin<strong>der</strong>.<br />
Am Tisch <strong>der</strong> <strong>Cook</strong>s saßen nur noch <strong>James</strong>,<br />
mit zwölf Jahren bereits bei <strong>der</strong> Marineakademie<br />
in Portsmouth, <strong>und</strong> Nathaniel, <strong>der</strong> ihm bald dorthin<br />
folgen würde. Beiden muss ihr Vater schrecklich<br />
fremd vorgekommen sein. Ÿ<br />
Nach seiner zweiten Reise war <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> ein<br />
berühmter Mann. Die Royal Society berief<br />
ihn in ihre Reihen <strong>und</strong> verlieh ihm für seinen<br />
Kampf gegen den Skorbut <strong>die</strong> renommierte Copley-Medaille.<br />
Er lernte König Georg III. kennen,<br />
war gern gesehener Gast in den feinen Londoner<br />
Zirkeln <strong>und</strong> bekam eine gut dotierte Stellung an<br />
Land. Die Zukunft <strong>der</strong> <strong>Cook</strong>s war also gesichert.<br />
Doch dauerte es nicht lange, bis sich <strong>der</strong> Kapitän<br />
langweilte <strong>und</strong> einem erneuten Angebot <strong>der</strong> Admiralität<br />
nicht zu wi<strong>der</strong>stehen vermochte. Er<br />
sollte <strong>die</strong> Nordwestpassage suchen, <strong>die</strong> im hohen<br />
Norden den Atlantik mit dem Pazifik verbindet<br />
<strong>und</strong> den Briten schnellen Zugang zu den ostasiatischen<br />
Schatztruhen bieten sollte: »Ich habe einen<br />
kommoden Rückzug eingetauscht gegen ein aktives,<br />
vielleicht gar gefährliches Unternehmen.«<br />
Die »Resolution« wurde überholt <strong>und</strong> zusammen<br />
mit <strong>der</strong> »Discovery« – auch sie ein Kohlesegler<br />
aus Whitby – reisefertig gemacht. Wissenschaftler<br />
wollte <strong>Cook</strong> <strong>die</strong>smal nicht an Bord haben,<br />
wohl, weil es in <strong>der</strong> Vergangenheit immer<br />
wie<strong>der</strong> zu Spannungen gekommen war. Zudem<br />
hatte er selbst im Lauf <strong>der</strong> Jahre respektable<br />
Vor Nordamerika gerieten<br />
<strong>Cook</strong>s Schiffe in miserables<br />
Wetter. Im Nootka So<strong>und</strong><br />
vor Vancouver Island mussten<br />
sie eine Pause einlegen.<br />
Indianer halfen, <strong>die</strong> beiden<br />
Segler wie<strong>der</strong> seetüchtig zu<br />
machen.<br />
NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON (JOHN WEBBER, 1778)<br />
epoc.de 13
NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
scheu <strong>und</strong> zurückhaltend gaben. Es war schon<br />
Ende Februar 1777, als <strong>Cook</strong> dort wie<strong>der</strong> <strong>die</strong> Anker<br />
lichten ließ. Bis in <strong>die</strong> Arktis mit ihrem kurzen<br />
Sommer war es nicht mehr zu schaffen. Er musste<br />
<strong>die</strong> Suche nach <strong>der</strong> Nordwestpassage ins nächste<br />
Jahr verschieben. Ziellos kreuzte er durch <strong>die</strong> <strong>Südsee</strong><br />
<strong>und</strong> besuchte bereits bekannte Inseln. Auf<br />
Tonga blieb er fast drei Monate – ohne dass Berichte<br />
über eine »äußerst fruchtbare Insel« namens<br />
Fidgee (Fidschi) <strong>und</strong> Hammoah (Samoa), <strong>die</strong><br />
»größte aller Inseln«, seinen Entdeckergeist zu<br />
wecken vermochten. Stattdessen war er ständig<br />
Gast bei Festen. <strong>Cook</strong>s Einstellung zu den Dingen<br />
verän<strong>der</strong>te sich. Immer wie<strong>der</strong> zeigten sich bei<br />
ihm Antriebslosigkeit <strong>und</strong> Gleichgültigkeit. Zudem<br />
litt er unter rheumatischen Schmerzen, beklagte<br />
sich heftig über den maroden Zustand <strong>der</strong><br />
Schiffe <strong>und</strong> über seine Matrosen, <strong>die</strong> nur Alkohol<br />
<strong>und</strong> Sex im Kopf hatten.<br />
Völlig unerwartet kam<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> am 14. Februar<br />
1779 in einer Bucht von<br />
Hawaii in einem Hand -<br />
gemenge zu Tode. Das Gemälde<br />
von Johann Zoffany<br />
entstand um 1795.<br />
Kenntnisse erworben <strong>und</strong> war davon überzeugt,<br />
zusammen mit dem Schiffsarzt <strong>und</strong> mehreren<br />
Malern <strong>die</strong> Aufgabe erfüllen zu können. Des Weiteren<br />
sind erwähnenswert: <strong>der</strong> Navigator William<br />
Bligh, <strong>der</strong> 13 Jahre später als Kapitän <strong>der</strong> »Bounty«<br />
bei den Tongainseln Opfer <strong>der</strong> berühmtesten<br />
Meuterei <strong>der</strong> Seefahrtsgeschichte werden sollte,<br />
<strong>und</strong> Omai, jener exotische Besucher von <strong>der</strong><br />
Gesellschafts insel Ulietea, <strong>der</strong>, nachdem in England<br />
das Interesse an ihm versiegt war, zurück<br />
nach Hause wollte – samt Ritterrüstung, Drehorgel,<br />
Zinnsoldaten <strong>und</strong> mehreren Tieren.<br />
Am 12. Juli 1776 verließ <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> – gerade<br />
war sein Sohn Hugh geboren – den Hafen von Plymouth<br />
<strong>und</strong> segelte nach Kapstadt, wo er einige<br />
Zeit auf <strong>die</strong> »Discovery« warten musste. Der<br />
Gr<strong>und</strong>: Kapitän Charles Clerke war kurz vor Reiseantritt<br />
ins Gefängnis geworfen worden, weil er <strong>die</strong><br />
Schulden seines Bru<strong>der</strong>s nicht bezahlen konnte.<br />
Von Südafrika ging es quer durch den Indischen<br />
Ozean über Tasmanien – das zu erk<strong>und</strong>en er seltsamerweise<br />
unterließ – nach Neuseeland, wo sich<br />
<strong>die</strong> Maori, <strong>die</strong> auf <strong>der</strong> zweiten Reise einige von<br />
Furneaux’ Männern getötet <strong>und</strong> verspeist hatten,<br />
»Nach einem so hoch geehrten<br />
<strong>und</strong> erfolgreichen Leben kann sein<br />
Tod nicht ermessen werden«<br />
<strong>James</strong> King, Leutnant an Bord <strong>der</strong> »Resolution« in seinem Bericht von 1779<br />
Mitte Juli 1777 verließen <strong>die</strong> Schiffe Tonga <strong>und</strong><br />
segelten nordwärts – nach Tahiti, wo <strong>die</strong> Englän<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Opferung eines »Mannes mittleren Alters«<br />
beiwohnten. Er »hatte einen blutigen Kopf,<br />
welchen Umstand wir zurückführten auf <strong>die</strong> Art,<br />
da sie ihn töteten, indem sie ihm mit einem Stein<br />
auf den Kopf schlugen«. Vielleicht brachte ja<br />
<strong>die</strong>ses schreckliche Ereignis das Fass zum Überlaufen.<br />
Denn als <strong>die</strong> Bewohner einer Insel zwei<br />
Ziegen stahlen, gab er Befehl, <strong>der</strong>en Häuser <strong>und</strong><br />
Kanus in Brand zu setzen. Dem Dieb eines Sextanten<br />
ließ er gar <strong>die</strong> Ohren abschneiden – ein<br />
Schock auch für <strong>die</strong> eigenen Offiziere.<br />
Ende November verabschiedeten sich <strong>die</strong> Englän<strong>der</strong><br />
von Omai, dem sie ein schönes Haus gebaut<br />
hatten. Das bezog er mit zwei Maori, <strong>die</strong> ihm<br />
seit Neuseeland Gesellschaft geleistet hatten.<br />
Seine letzte große <strong>Entdeckung</strong> machte <strong>Cook</strong><br />
am 18. Januar 1778, als er auf Hawaii stieß. Er nannte<br />
sie – nach seinem Fre<strong>und</strong> Lord Sandwich –<br />
Sandwichinseln. Als er an <strong>der</strong> Sprache erkannte,<br />
»dass sie <strong>der</strong>selben Nation angehörten wie <strong>die</strong><br />
Leute von Otaheite (Tahiti, <strong>die</strong> Red.) <strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en<br />
Eilanden«, staunte <strong>Cook</strong> über den Wagemut<br />
<strong>und</strong> das seefahrerische Können <strong>der</strong> Vorfahren<br />
<strong>die</strong>ser Leute. »Wir finden sie von Neuseeland im<br />
Süden bis hinauf zu <strong>die</strong>sen Eilanden im Norden<br />
<strong>und</strong> von <strong>der</strong> Osterinsel zu den Neuen Hebriden.«<br />
Das erste Stückchen Amerika zeigte sich<br />
windumtost <strong>und</strong> in dicken, grauen Wolken: Cape<br />
Foulweather nannte <strong>Cook</strong> den Felsvorsprung im<br />
heutigen Oregon, <strong>der</strong> wie ein Zeichen von den<br />
kommenden Monaten kündete. Das Wetter blieb<br />
h<strong>und</strong>smiserabel. Nur mit Mühe kamen <strong>die</strong> lä<strong>die</strong>rten<br />
Schiffe entlang <strong>der</strong> Küste voran nach Norden.<br />
Im Nootka So<strong>und</strong> vor Vancouver Island mussten<br />
sie halten, um <strong>die</strong> Schiffe wie<strong>der</strong> seetüchtig<br />
zu machen. Indianer halfen ihnen bei <strong>der</strong> Arbeit<br />
<strong>und</strong> gaben »Holz <strong>und</strong> Wasser aus Fre<strong>und</strong>schaft«.<br />
Ende April 1778 ging es mühsam <strong>und</strong> in zermürbendem<br />
Zickzack weiter. Schließlich durchfuhren<br />
<strong>die</strong> Schiffe <strong>die</strong> Aleuten <strong>und</strong> stießen bis in<br />
<strong>die</strong> Beringstraße vor, wo das Packeis jedes Weiterkommen<br />
unmöglich machte. Qualvolle Wochen<br />
<br />
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14 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
EPOC / EMDE-GRAFIK<br />
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Die dritte Reise führte<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> in den hohen<br />
Norden, wo er nach <strong>der</strong><br />
Nordwestpassage suchte.<br />
Unterwegs entdeckte er<br />
Hawaii (gepunktete Linie:<br />
Rückfahrt <strong>der</strong> Schiffe nach<br />
<strong>Cook</strong>s Tod).<br />
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suchten <strong>Cook</strong> <strong>und</strong> Clerke einen Weg nach Norden.<br />
Bis nach Sibirien segelten sie – ohne Erfolg. Einmal<br />
lief <strong>Cook</strong> fast auf Gr<strong>und</strong>. Dann starb einer<br />
seiner engen Fre<strong>und</strong>e an Bord: <strong>der</strong> Arzt William<br />
An<strong>der</strong>son. Allgemeine Verzweiflung machte sich<br />
breit. <strong>Cook</strong> hatte heftige Wutsausbrüche <strong>und</strong><br />
machte Fehler. Einmal lief er ein <strong>und</strong> <strong>die</strong>selbe<br />
elbe<br />
Insel dreimal an <strong>und</strong><br />
gab<br />
ihr drei verschiedene<br />
ed<br />
ene<br />
Namen: Immer<br />
dachte er,<br />
sie<br />
neu entdeckt<br />
zu<br />
haben.<br />
Ein<br />
ande-<br />
res Mal ließ<br />
er<br />
Walrösser ser schießen<br />
en<br />
<strong>und</strong> das »Rindfleisch isch<br />
<strong>der</strong><br />
Meere« seinen Männern vorsetzen.<br />
<br />
<br />
Doch <strong>die</strong> kotzten <strong>und</strong> verweigerten den Fraß. Nur<br />
knapp entging er da <strong>der</strong> Meuterei.<br />
Ende Oktober gab <strong>Cook</strong> auf. Im folgenden Jahr<br />
wolle er es noch einmal probieren, »doch ich muss<br />
gestehen, ich habe wenig Hoffnung«.<br />
<strong>Cook</strong> wandte sich nach Süden – zurück zu den<br />
Inseln von Hawaii, das er aus unerfindlichen<br />
Gründen <strong>und</strong> zum Unmut seiner Besatzung zunächst<br />
wochenlang umkreiste. Als <strong>die</strong> Schiffe<br />
Mitte Januar 1779 schließlich landeten, kamen<br />
ihnen über 1000 Kanus entgegen. Nach überschwänglicher<br />
Begrüßung tauschte <strong>Cook</strong> mit dem<br />
König nach alter Sitte <strong>die</strong> Namen. Riesige Mengen<br />
von Proviant wurden an Bord gebracht – sowie<br />
<br />
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kostbare Kult- <strong>und</strong> Zeremonialgeräte. Manche<br />
Forscher vermuten, dass <strong>die</strong> Hawaiianer in <strong>Cook</strong><br />
den Gott Lono sahen, <strong>der</strong>, so <strong>die</strong> Vorstellung, stets<br />
just um <strong>die</strong>se Jahreszeit mit seinen Schiffen zu ihnen<br />
kam (siehe S. 28).<br />
Am 4. Februar 1779 verließen <strong>die</strong> »Resolution«<br />
<strong>und</strong><br />
<strong>die</strong> »Discovery« <strong>die</strong> Bucht – <strong>und</strong> segelten geradewegs<br />
in einen Sturm. Als auf <strong>Cook</strong>s Schiff <strong>der</strong><br />
Fockmast brach, musste er umkehren, zurück in<br />
<strong>die</strong> Kealakekua Bay. Der Empfang war nun deut-<br />
lich<br />
zurückhalten<strong>der</strong> – vielleicht, wie jene Forscher<br />
glauben, weil einem göttlichen Wesen nie-<br />
mals<br />
ein Mast bräche <strong>und</strong> <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> somit seine<br />
wahre, menschliche Natur offenbart habe.<br />
Wie auch immer: In den kommenden Tagen<br />
kamen ständig irgendwelche Dinge abhanden,<br />
<strong>und</strong><br />
beim Handel verlangten <strong>die</strong> Hawaiianer<br />
plötzlich exorbitante Preise. Als dann ein Beiboot<br />
verschwand, verlor <strong>Cook</strong> <strong>die</strong> Beherrschung.<br />
Wutentbrannt stürmte er an Land, um den<br />
König als Geisel zu nehmen. Nachdem im<br />
Durcheinan<strong>der</strong> ein Priester von den Englän<strong>der</strong>n<br />
erschossen worden war, sammelte sich<br />
ein Heer von Kriegern. Einer von ihnen bedrohte<br />
<strong>Cook</strong> mit einem Stein. Der schoss mit<br />
<strong>der</strong> Schrotflinte auf ihn. Die Situation eskalierte.<br />
Die hawaii anischen Krieger griffen an,<br />
während <strong>die</strong> Schiffsbesatzung über ihre Köpfe<br />
hinweg feuerte. Als <strong>die</strong> Seeleute auf ihre Schiffe<br />
fliehen wollten, musste ein Offizier sie mit vorgehaltener<br />
Waffe zurückhalten.<br />
<strong>Cook</strong> wurde jedoch vor ihren Augen nie<strong>der</strong>gestochen<br />
<strong>und</strong> zu Tode geprügelt. Es war <strong>der</strong> 14. Februar<br />
1779. Ÿ<br />
PS: Wenig später übergaben <strong>die</strong> Hawaiianer Charles<br />
Clerke, jetzt Ka pitän <strong>der</strong> »Resolution«, ein Bündel<br />
mit<br />
Leichenteilen, darunter auch eine Hand mit<br />
einer »außergewöhnlichen Narbe«: <strong>Cook</strong>s Hand!<br />
Er hatte sie sich vor vielen Jahren bei <strong>der</strong> Explosion<br />
eines Pulverhorns verletzt.<br />
PPS: Im Juni 1779 gab Clerke in Kamtschatka einen<br />
Brief nach England auf. Ein halbes Jahr später erhielt<br />
Elizabeth <strong>die</strong> Nachricht vom Tod ihres Mannes.<br />
Sie überlebte ihren Mann um 56 Jahre <strong>und</strong> starb<br />
am 13. Mai 1835 im Alter von 94 Jahren.<br />
PPPS: Nachdem bereits drei Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Cook</strong>s früh<br />
verstorben waren, ging Nathaniel, Fähnrich zur<br />
See, Ende 1780 vor Westin<strong>die</strong>n über Bord – im Alter<br />
von 16 Jahren. Im Dezember 1793 erkrankte sein<br />
jüngerer Bru<strong>der</strong> Hugh an Scharlach. Auch er wurde<br />
nur 16 Jahre alt. Lediglich einen Monat später starb<br />
auch das letzte <strong>der</strong> sechs Kin<strong>der</strong>: Der erstgeborene<br />
<strong>James</strong> war 31, als er vor <strong>der</strong> Isle of Wight ertrank.<br />
epoc.de 15
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> …<br />
… <strong>und</strong> seine Zeit<br />
Politik <strong>und</strong> Gesellschaft<br />
1715<br />
Am 1. September stirbt in Versailles<br />
Frankreichs »Sonnenkönig« Ludwig XIV.<br />
1728<br />
Am 27. Oktober kommt <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
in Marton, Yorkshire, als zweites<br />
von sieben Kin<strong>der</strong>n des Tagelöhners<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> sen. <strong>und</strong> dessen Frau<br />
Grace zur Welt 1746<br />
1736 Umzug nach Whitby:<br />
Umzug nach Great<br />
<strong>Cook</strong> fährt erstmals<br />
Ayton, wo <strong>James</strong> zur zur See – an Bord von<br />
Schule geht Kohleschiffen auf <strong>der</strong><br />
Nord- <strong>und</strong> Ostsee<br />
1721<br />
In Sankt Petersburg lässt sich Zar Peter <strong>der</strong> Große<br />
zum Kaiser des Russischen Reichs ausrufen<br />
1745<br />
In Staithes beginnt <strong>Cook</strong> eine Lehre bei dem<br />
Gemischtwarenhändler William San<strong>der</strong>son.<br />
Nur acht Monate später verlässt er den Ort<br />
1707<br />
Am 1. Mai vereinen<br />
sich <strong>die</strong> Königreiche<br />
England <strong>und</strong> Schottland<br />
zum Königreich<br />
Großbritannien<br />
1718<br />
Edward Teach alias<br />
Captain Blackbeard<br />
wird im Gefecht gegen<br />
<strong>die</strong> Royal Navy getötet<br />
1735<br />
Die britischen Premier -<br />
mi nister resi<strong>die</strong>ren fortan<br />
in 10 Downing Street<br />
1740 1748<br />
Österreichischer<br />
Erbfolgekrieg<br />
Kunst <strong>und</strong> Kultur<br />
1703<br />
Bau des Buckingham Palace<br />
1710<br />
Bei Neapel wird das<br />
verschüttete Herculaneum<br />
entdeckt<br />
1723<br />
Johann Sebastian<br />
Bach wird Thomaskantor<br />
in Leipzig<br />
1726<br />
Jonathan Swift<br />
veröffentlicht seinen<br />
Roman »Gulliver’s<br />
Travels«<br />
1737<br />
Am 18. Dezember stirbt in Cremona<br />
<strong>der</strong> Geigenbauer Antonio Stradivari<br />
Philosophie <strong>und</strong> Religion<br />
1701<br />
Christian Thomasius’ Werk gegen <strong>die</strong><br />
Hexenverfolgung »Dissertatio de crimine<br />
magiae« erscheint<br />
1706<br />
Am 12. Mai kommt es in Deutschland<br />
zur letzten totalen Sonnenfinsternis<br />
vor 1999<br />
1726<br />
Gr<strong>und</strong>steinlegung<br />
<strong>der</strong> Frauenkirche<br />
in Dresden<br />
1738<br />
Papst Clemens XII. spricht<br />
ein Verbot gegen <strong>die</strong> Freimaurerei<br />
aus<br />
1749<br />
Gründung des Berliner Montagsclubs.<br />
Er entwickelt sich<br />
zum geistigen Mittelpunkt<br />
<strong>der</strong> Berliner Aufklärung<br />
Naturwissenschaft <strong>und</strong> Technik<br />
1705<br />
Edm<strong>und</strong> Halley weist <strong>die</strong> Periodizität des später nach<br />
ihm benannten Kometen nach<br />
1703<br />
Guillaume Amontons erkennt den Einfluss <strong>der</strong><br />
Temperatur auf den Gasdruck <strong>und</strong> das Volumen<br />
1708<br />
In Dresden gelingt es Johann Friedrich Böttger <strong>und</strong> Ehrenfried<br />
Walther von Tschirnhaus als Ersten in Europa, Porzellan zu erzeugen<br />
1735<br />
Carl von Linné führt <strong>die</strong><br />
Taxonomie (Systematik<br />
in <strong>der</strong> Biologie) ein<br />
1741<br />
Der Däne Vitus Bering findet <strong>die</strong><br />
nach ihm benannte Meeresstraße<br />
zwischen Sibirien <strong>und</strong> Alaska<br />
1747<br />
Andreas Sigism<strong>und</strong> Marggraf<br />
entdeckt den beson<strong>der</strong>s<br />
hohen Zuckergehalt <strong>der</strong><br />
Runkelrübe<br />
16 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
1755<br />
Eintritt in <strong>die</strong> Royal Navy<br />
1756 1763<br />
Am Siebenjährigen Krieg sind alle europäischen<br />
Großmächte beteiligt. Für Großbritannien<br />
<strong>und</strong> Frankreich geht es um <strong>die</strong><br />
Herrschaft in Nordamerika <strong>und</strong> In<strong>die</strong>n<br />
1763<br />
Mit dem Frieden von Hubertusburg<br />
endet <strong>der</strong> Siebenjährige Krieg<br />
1758<br />
<strong>Cook</strong>s Karten verhalfen den britischen<br />
Truppen während des Siebenjährigen<br />
Kriegs zum entscheidenden Sieg über<br />
<strong>die</strong> Franzosen bei Québec<br />
1762<br />
Heirat mit Elizabeth Batts<br />
1768 – 1771<br />
Erste Pazifikreise<br />
1772 – 1775<br />
Zweite<br />
Pazifikreise<br />
1779<br />
Am 14. Februar wird <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
in <strong>der</strong> Kealakekua Bay auf Hawaii<br />
bei einer Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit den Eingeborenen getötet<br />
1776 – 1780<br />
Dritte Pazifikreise<br />
1787<br />
Südwestlich <strong>der</strong> Tongainseln kommt es<br />
an Bord <strong>der</strong> »Bounty« zur Meuterei. Der<br />
Kapitänleutnant William Bligh hatte als<br />
Steuermann unter <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> ge<strong>die</strong>nt<br />
1776<br />
Amerikanische Unabhängigkeitserklärung<br />
1789<br />
Ausbruch <strong>der</strong> Französischen<br />
Revolution<br />
George Washington<br />
wird erster Präsident<br />
<strong>der</strong> Vereinigten<br />
Staaten von Amerika<br />
BRIDGEMAN BERLIN BEIDE: NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
1749<br />
In London wird<br />
Georg Friedrich<br />
Händels »Feuerwerksmusik«<br />
uraufgeführt<br />
1762<br />
Der Legende nach ließ sich<br />
<strong>der</strong> britische Staatsmann John<br />
Montagu, 4th Earl of Sandwich,<br />
beim st<strong>und</strong>enlangen Kartenspiel<br />
belegte Brote bringen. Das<br />
»Sandwich« war geboren.<br />
1756<br />
Am 27. Januar wird Wolfgang Amadeus<br />
Mozart in Salzburg geboren<br />
1774<br />
Johann Wolfgang Goethe schreibt »Die<br />
Leiden des jungen Werthers«<br />
1770<br />
Am 17. Dezember kommt in Bonn<br />
Ludwig van Beethoven zur Welt<br />
1782<br />
Friedrich Schillers Drama »Die Räuber«<br />
wird in Mannheim uraufgeführt<br />
ISTOCKPHOTO / HULTON ARCHIVE / GETTY IMAGES; ISTOCKPHOTO / OLGA LIS<br />
1762<br />
Jean-Jacques Rousseaus<br />
»Contrat social« wird<br />
nach seinem Erscheinen<br />
verboten<br />
1752<br />
Benjamin Franklin<br />
erfindet den Blitzableiter<br />
1778<br />
Am 30. Mai stirbt <strong>der</strong> französische<br />
Schriftsteller <strong>und</strong> Philosoph Voltaire<br />
1773<br />
Der Jesuitenorden wird von Papst<br />
Clemens XIV. aufgehoben<br />
1775<br />
<strong>James</strong> Watt verbessert<br />
<strong>die</strong> Dampfmaschine,<br />
so dass sie<br />
rentabel eingesetzt<br />
werden kann<br />
1781<br />
Immanuel Kant veröffentlicht<br />
seine »Kritik<br />
<strong>der</strong> reinen Vernunft«<br />
1794<br />
Maximilien de Robespierre eröffnet in<br />
Paris <strong>die</strong> Veranstaltungen zum Fest<br />
des höchsten Wesens. Der Kult soll <strong>die</strong><br />
christliche Religion ersetzen<br />
1791<br />
Preußens König Friedrich<br />
Wilhelm II. weiht in<br />
Berlin das Brandenburger<br />
Tor ein<br />
1799<br />
Alexan<strong>der</strong> von<br />
Humboldt bricht<br />
zu seiner Amerikaexpedition<br />
auf<br />
PUBLIC DOMAIN<br />
CORBIS / PHILADELPHIA MUSEUM OF ART; AKG BERLIN<br />
epoc.de 17
Die Denker <strong>der</strong> Aufklärung wollten<br />
den Menschen verbessern <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
Welt erfassen. In einer von Theorien<br />
geprägten Epoche waren Entdecker<br />
wie <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> <strong>die</strong> Praktiker.<br />
Von Hakan Baykal<br />
ALLES WISSEN<br />
Ein Ozean<br />
des Wissens<br />
Im Zuge <strong>der</strong> Aufklärung<br />
arbeiteten zahlreiche<br />
Gelehrte in ganz Europa<br />
daran, das gesamte Wissen<br />
<strong>der</strong> Menscheit in Buchform<br />
zusammenzufassen.<br />
Die französische »Encyclopé<strong>die</strong>«<br />
ist bis heute<br />
eines <strong>der</strong> bedeutendsten<br />
<strong>und</strong> bekanntesten Werke<br />
<strong>die</strong>ser Strömung. Sie<br />
erschien zwischen 1751 <strong>und</strong><br />
1772 in 18 Bänden unter <strong>der</strong><br />
Fe<strong>der</strong>führung von Denis<br />
Di<strong>der</strong>ot <strong>und</strong> Jean Baptiste<br />
le Rond d’Alembert. Einige<br />
Jahre zuvor, nämlich von<br />
1732 bis 1754, hatte<br />
allerdings <strong>der</strong> Deutsche<br />
Johann Heinrich Zedler <strong>die</strong><br />
mit fast 70 000 Seiten<br />
umfangreichste Enzyklopä<strong>die</strong><br />
des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
publiziert: sein »Grosses<br />
vollständiges Universal-<br />
Lexicon Aller Wissenschafften<br />
<strong>und</strong> Künste«.<br />
»I<br />
n einem gleichen Zeitraum hat niemand je<br />
<strong>die</strong> Grenzen unseres Wissens in gleichem<br />
Maße erweitert«, schwärmte <strong>der</strong> deutsche Naturforscher<br />
<strong>und</strong> Revolutionär Georg Forster über<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong>, den er auf dessen zweiter Weltumsegelung<br />
begleitet hatte. Heute, mehr als zwei<br />
Jahrh<strong>und</strong>erte später, fragt sich <strong>die</strong> amerikanische<br />
Ethnologin Adrienne L. Kaeppler, »ob <strong>die</strong> Aufklärung<br />
ohne seine Reisen <strong>die</strong>selbe gewesen wäre«.<br />
Solch hohes Lob für einen braven Seemann mag<br />
verw<strong>und</strong>ern, zumal <strong>Cook</strong> in eine Zeit geboren<br />
wurde, <strong>die</strong> längst von den Ideen <strong>und</strong> Idealen <strong>der</strong><br />
Aufklärung beseelt war; von dem Vertrauen darauf,<br />
dass sich <strong>der</strong> Mensch durch den Gebrauch<br />
seines Verstands <strong>und</strong> seiner Vernunft vervollkommnen<br />
kann.<br />
Bereits im Jahrh<strong>und</strong>ert vor <strong>Cook</strong>s Geburt hatten<br />
Philosophen wie Baruch Spinoza in Holland,<br />
René Descartes in Frankreich o<strong>der</strong> John Locke in<br />
England je<strong>der</strong> Art von Vorurteilen <strong>und</strong> Aberglauben<br />
den Kampf angesagt. Isaac Newton, wiewohl<br />
gläubiger Christ, legte ebenfalls bereits im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
den Gr<strong>und</strong>stein einer zutiefst rationalen,<br />
naturwissenschaftlichen Weltsicht. Damals begannen<br />
vor allem französische <strong>und</strong> britische Gelehrte,<br />
das traditionelle Denken in Frage zu stellen.<br />
Im Dreißigjährigen Krieg, <strong>der</strong> 1648 mit dem<br />
Westfälischen Frieden sein ersehntes Ende fand,<br />
hatten <strong>die</strong> konfessionellen Konflikte <strong>der</strong> vorangegangenen<br />
Jahrzehnte in Europa ihren Höhepunkt<br />
erreicht. Das gesellschaftliche Leben des Kontinents<br />
wurde von religiösem Dogmatismus auf<br />
<strong>der</strong> einen sowie absolutistisch herrschenden Monarchen<br />
auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite dominiert. Just in<br />
<strong>die</strong>ser Epoche reiften <strong>die</strong> Ideale persönlicher <strong>und</strong><br />
gesellschaftlicher Emanzipation. Der Weg war<br />
klar: Jenseits von Religion, Vorurteil, Schwärmerei<br />
<strong>und</strong> Aberglaube sollte <strong>der</strong> Mensch nach Selbstbestimmung<br />
streben. Voraussetzung dafür war,<br />
so <strong>die</strong> feste Überzeugung <strong>der</strong> Aufklärer, <strong>der</strong> Einsatz<br />
des Verstands <strong>und</strong> <strong>der</strong> Ratio eines jeden.<br />
»Möge <strong>der</strong> Mensch seine Vernunft anwenden,<br />
möge purem Glauben o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Annahme übernatürlicher<br />
Kräfte Wissen folgen« – so umschreibt<br />
<strong>der</strong> Evolutionsbiologe Rainer Willmann von <strong>der</strong><br />
Universität Göttingen das Ziel <strong>der</strong> Aufklärung.<br />
Anfangs war <strong>die</strong>ses Streben nach Erkenntnis<br />
zumeist ein eher kontemplatives, philosophisches.<br />
Die frühen Aufklärer machten sich im<br />
buchstäblichen Sinn ihre Gedanken: Sie dachten<br />
über gesellschaftliche, politische <strong>und</strong> kulturelle<br />
Phänomene ihrer Umwelt nach, versuchten <strong>die</strong>se<br />
zu erfassen – <strong>und</strong> nötigenfalls Vorschläge zu ihrer<br />
Verän<strong>der</strong>ung beizusteuern. Die neue Sicht blieb<br />
aber nicht auf <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>rstuben <strong>der</strong> Gelehrten<br />
beschränkt.<br />
Durch <strong>die</strong> Fahrten eines Kolumbus o<strong>der</strong> Magellan<br />
war <strong>die</strong> Welt bereits überschaubarer geworden.<br />
Mit <strong>der</strong> Erk<strong>und</strong>ung des Globus ging eine<br />
Vermehrung des Wissens Hand in Hand. Je mehr<br />
exotische Tier- <strong>und</strong> Pflanzenarten <strong>die</strong> Weltreisenden<br />
entdeckten <strong>und</strong> dokumentierten, desto ernsthafter<br />
wurden theologische Dogmen in Frage<br />
gestellt. Als <strong>der</strong> Franzose Isaac de La Peyrère 1655<br />
es wagte, angesichts <strong>der</strong> Artenvielfalt auf Erden<br />
Zweifel am biblischen Bericht von <strong>der</strong> Sintflut<br />
anzumelden, wurde er im Kerker zum Wi<strong>der</strong>ruf<br />
seiner Aussagen gezwungen. Keine 100 Jahre danach,<br />
1735, erschien erstmals ein Werk zur Klassifizierung<br />
von Mineralien, Pflanzen <strong>und</strong> Tieren:<br />
»Systema naturae« von Carl von Linné. Der Schwede<br />
katalogisierte darin über 5000 Tierarten –<br />
mehr als jemals auf Noahs Arche Platz gehabt hätten.<br />
So fremd es uns heutzutage erscheinen mag:<br />
Auch in solch schlichten wissenschaftlichen Feststellungen<br />
keimte <strong>der</strong> Zweifel an den Inhalten <strong>der</strong><br />
Bibel <strong>und</strong> damit am Glauben an sich. Schritt für<br />
Schritt betrat <strong>die</strong> Wissenschaft <strong>die</strong> Welt, manchmal<br />
durch <strong>die</strong> Hintertür. »In das Bestreben, <strong>die</strong><br />
18 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
Georg Forsters »Karte <strong>der</strong><br />
südlichen Halbkugel«<br />
erschien 1777 in dem<br />
Buch »Voyage Ro<strong>und</strong> the<br />
World«. Wenig später<br />
kam <strong>die</strong> »Reise um <strong>die</strong> Welt«<br />
auch in Deutschland auf<br />
den Markt.<br />
Dinge <strong>und</strong> Phänomene darzustellen <strong>und</strong> zu erklären,<br />
wie sie sind, waren von Anbeginn Naturk<strong>und</strong>ige<br />
einbezogen«, erläutert Willmann.<br />
Der Wissensdurst <strong>der</strong> Intellektuellen zu Beginn<br />
des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts war schier unstillbar.<br />
Isaac Newton (1643 – 1727), <strong>der</strong> als Erster in seiner<br />
Zeit den Versuch einer Erklärung des Universums<br />
unternahm, notierte: »Ich weiß nicht, wie ich <strong>der</strong><br />
Welt erscheinen mag. Mir selbst komme ich wie<br />
ein Junge vor, <strong>der</strong> am Strand spielt <strong>und</strong> sich damit<br />
vergnügt, ein noch glatteres Kieselsteinchen o<strong>der</strong><br />
eine noch schönere Muschel als gewöhnlich zu<br />
finden, während das große Meer <strong>der</strong> Wahrheit<br />
gänzlich unerforscht vor mir liegt.« Der englische<br />
Mathematiker, Physiker <strong>und</strong> Astronom stand tatsächlich<br />
nur am Rand eines Ozeans des Wissens.<br />
Manche Zeitgenossen <strong>und</strong> vor allem <strong>die</strong> Nachgeborenen<br />
wagten sich immer weiter in <strong>die</strong> Wellen<br />
vor. Keine 20 Jahre nach Newtons Tod segelte sein<br />
Landsmann <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> in reale noch unbekannte<br />
Meere. Und auch er stellte sich in den Dienst<br />
<strong>der</strong> Wahrheit <strong>und</strong> Wissenserweiterung – wenngleich<br />
in ganz an<strong>der</strong>er Funktion als <strong>der</strong> Jahrh<strong>und</strong>ertphysiker.<br />
<strong>Cook</strong> war ein Praktiker <strong>der</strong> Aufklä-<br />
epoc.de 19
ung; während an<strong>der</strong>e spekulierten, überlegten,<br />
theoretisierten, handelte er, umsegelte mehrfach<br />
<strong>die</strong> Welt – <strong>und</strong> brachte sensationelle Neuigkeiten<br />
von seinen Fahrten mit.<br />
Die Erkenntnisse aus <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong> verbreiteten<br />
sich rasch in ganz Europa. Ein reges Netzwerk von<br />
Philosophen, Wissenschaftlern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Intellektuellen<br />
garantierte den Austausch von Ideen<br />
aus aller Herren Län<strong>der</strong>. Denn auch <strong>die</strong> so genannte<br />
Gelehrtenrepublik war eine Errungenschaft<br />
des Zeitalters <strong>der</strong> Aufklärung: Naturforscher<br />
korrespon<strong>die</strong>rten in Briefen, Büchern <strong>und</strong><br />
Journalen mit Literaten, Physiker mit Theologen,<br />
Philosophen mit Biologen. Wissenschaftliche<br />
Akademien traten in Kontakt mit Universitäten,<br />
astronomische Observatorien standen im Diskurs<br />
mit herzoglichen Bibliotheken, <strong>die</strong> Betreiber von<br />
Naturalienkabinetten tauschten sich mit den<br />
führenden Köpfen <strong>der</strong> zahlreichen geografischen<br />
Gesellschaften aus. Sie alle hatten ein Ziel vor Augen:<br />
Das Wissen über sich selbst <strong>und</strong> <strong>die</strong> Welt zu<br />
mehren. Nicht von ungefähr trug eine <strong>der</strong> größten<br />
<strong>und</strong> nachhaltigsten Unternehmungen <strong>der</strong><br />
fran zösischen Aufklärer Denis Di<strong>der</strong>ot <strong>und</strong> Jean<br />
le Rond d’Alembert den Titel »Encyclopé<strong>die</strong> ou<br />
Dic tionnaire raisonné des sciences, des arts et des<br />
metiers«, also: »Enzyklopä<strong>die</strong> o<strong>der</strong> systematisches<br />
Wörterbuch <strong>der</strong> Wissenschaften, Künste <strong>und</strong> Gewerbe«.<br />
Und <strong>die</strong>ses ehrgeizige Werk war nicht das<br />
einzige seiner Art.<br />
Das 18. Jahrh<strong>und</strong>ert erlebte eine Me<strong>die</strong>nrevolution:<br />
Der Buchmarkt expan<strong>die</strong>rte in ungeahnte<br />
<strong>Cook</strong>s erste Schritte auf australischem<br />
Festland waren so bedeutsam wie Neil<br />
Armstrongs Gehversuche auf dem Mond<br />
Dimensionen. Zugleich erschienen zumindest in<br />
den großen Städten fast allwöchentlich neue Tages-<br />
<strong>und</strong> Wochenzeitungen sowie gelehrte Zeitschriften.<br />
Bürger bildeten Lese- <strong>und</strong> Gesprächskreise,<br />
in denen <strong>die</strong> Freiheit <strong>der</strong> Gedanken <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Rede erstmals nach zwei unsäglichen Jahrh<strong>und</strong>erten<br />
<strong>der</strong> Religionskriege aufleben konnte.<br />
In Salons, Klubs, Universitäten <strong>und</strong> Akademien<br />
wurden <strong>die</strong> neuesten Errungenschaften <strong>der</strong> Philosophie<br />
<strong>und</strong> Wissenschaften ergründet. Aufgeklärte<br />
Fürsten öffneten ihre Anwesen <strong>und</strong> Sammlungen<br />
als Museen, Bibliotheken, Botanische Gärten<br />
<strong>und</strong> Zoos für wissbegierige Untertanen. Die<br />
Verfechter <strong>der</strong> Vernunft strebten danach, <strong>die</strong><br />
Natur gründlich zu erfassen <strong>und</strong> zu katalogisieren.<br />
Forschungs- <strong>und</strong> <strong>Entdeckung</strong>sreisen wie<br />
jene des <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> ergänzten <strong>die</strong> allzu oft eher<br />
theoretische Weltbetrachtung <strong>der</strong> in Europa Verbliebenen<br />
durch sensationelle Mitbringsel: Objekte,<br />
Pflanzen <strong>und</strong> Tiere aus fernen, »wilden« Regionen.<br />
Das schier grenzenlose »Universum des<br />
Erforschbaren« (epoc 1/2009, S. 50) wurde so peu<br />
à peu erfahrbar, nachvollziehbar.<br />
Dadurch, dass aufgeklärte Denker althergebrachte<br />
kirchliche <strong>und</strong> weltliche Autoritäten immer<br />
wie<strong>der</strong> in Frage stellten, trugen sie zu einer<br />
Entwicklung bei, <strong>die</strong> sie in ihrem Ausmaß wohl<br />
William Hodges begleitete<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> auf seiner<br />
zweiten Reise. Er neigte zu<br />
idealisierenden Darstellungen.<br />
So fehlen Hinweise<br />
auf <strong>die</strong> europäischen<br />
Besucher. Hier: <strong>die</strong> Oaitepeha-Bucht<br />
auf Tahiti<br />
NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON (WILLIAM HODGES, TAHITI REVISTED, 1776)<br />
20 epoc<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
ok
selbst nicht erwartet hätten. Aus <strong>der</strong> philosophischen<br />
Strömung wurde eine soziale Reformbewegung,<br />
<strong>die</strong> in <strong>der</strong> amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung<br />
(1775 – 1783) <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Französischen<br />
Revolution von 1789 gipfelte. Ein glühen<strong>der</strong><br />
Anhänger <strong>der</strong> Letzteren war auch <strong>der</strong> Deutsche<br />
Georg Forster.<br />
Gemeinsam mit seinem Vater Johann Reinhold<br />
widmete er sich während <strong>Cook</strong>s zweiter Reise<br />
<strong>der</strong> Aufgabe, unzählige Pflanzen <strong>und</strong> Tiere sowie<br />
ethnologische Objekte zu sammeln, zu zeichnen<br />
<strong>und</strong> enzyklopädisch zu erfassen. Er lernte<br />
verschiedene polynesische Sprachen, um so <strong>die</strong><br />
Sitten <strong>und</strong> Gebräuche <strong>der</strong> Inselvölker des Südpazifiks<br />
besser zu verstehen. Bei seiner Rückkehr<br />
nach Europa veröffentlichte er einen Bericht seiner<br />
»Reise um <strong>die</strong> Welt«, dessen größter Teil »vom<br />
Menschen« handelt – nach Ansicht <strong>der</strong> Göttinger<br />
Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin »ein Meisterstück<br />
<strong>der</strong> Aufklärung«. Frei von christlichen<br />
Vorurteilen begegnete <strong>der</strong> Deutsche den Pazifikbewohnern<br />
meist weltoffen <strong>und</strong> achtungsvoll. Zugleich<br />
hütete er sich aber vor <strong>der</strong> romantischen<br />
Verlockung, <strong>die</strong> fremden Menschen zu »edlen<br />
Wilden« zu stilisieren, <strong>die</strong> von Natur aus gut seien.<br />
Eine weit verbreitete Auffassung im Europa des<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>erts, wie sie etwa <strong>der</strong> Philosoph Jean-<br />
Jacques Rousseau vertrat.<br />
Wenige Jahre später, 1793, begegnen wir Forster<br />
als Jakobiner <strong>und</strong> Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> revolutionären<br />
Mainzer Republik. Der akribische Naturwissenschaftler<br />
<strong>und</strong> Völkerk<strong>und</strong>ler hatte sich zum<br />
radikalen Aufklärer entwickelt – wie<strong>der</strong> im Dienst<br />
des Volks. Denn, so schrieb er: »Schön ist es zu sehen,<br />
was <strong>die</strong> Philosophie in den Köpfen gereift<br />
<strong>und</strong> dann im Staate zu Stande gebracht hat.«<br />
Doch auf ihre Weise waren alle Aufklärer zugleich<br />
auch Radikale, selbst wenn sie an keiner politischen<br />
Revolution teilnahmen. Denn das Entdecken,<br />
Forschen <strong>und</strong> Philosophieren in <strong>der</strong> Aufklärung<br />
wirkt aus zeitlicher Distanz leichter, als<br />
es zu seiner Zeit tatsächlich war. <strong>Cook</strong> betrat als<br />
erster Europäer den Westen Australiens, entdeckte<br />
zahlreiche Inseln im Pazifik <strong>und</strong> drang weiter<br />
in den Süden vor als je ein Mensch vor ihm – das<br />
sind Pfeiler seiner Legende <strong>und</strong> zunächst doch<br />
bloß Gemeinplätze. Um <strong>die</strong> Dimension <strong>der</strong> Leistungen<br />
von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> zu verstehen, muss man<br />
sich klarmachen, dass <strong>die</strong> Meere den Menschen<br />
damals teilweise so unbekannt waren wie uns<br />
heute <strong>die</strong> unendlichen Weiten des Universums.<br />
Seine Fahrten – etwa ins südliche Eismeer, fast<br />
schon an <strong>die</strong> Gestade <strong>der</strong> Antarktis – waren entbehrungsreiche,<br />
wagemutige Reisen ins Ungewisse,<br />
vergleichbar nur mit den Flügen ins Weltall<br />
ab <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Nicht<br />
von ungefähr benannte <strong>die</strong> NASA 1992 einen ihrer<br />
Spaceshuttles nach einem <strong>der</strong> Schiffe des Entdeckers<br />
»Endeavour«. <strong>Cook</strong>s erste Schritte auf australischem<br />
Festland waren so bedeutsam wie Neil<br />
Armstrongs Gehversuche auf dem Mond. »one<br />
small step for a man, one giant leap for mankind«.<br />
Jener »Schritt« war tatsächlich gigantisch:<br />
Während seiner ersten beiden Fahrten war es ihm<br />
gelungen, mehr Erkenntnisse über den Pazifik zu<br />
gewinnen, als es allen Entdeckern auf allen Expeditionen<br />
zuvor gemeinsam vergönnt war. Unmengen<br />
an ethnografischen Objekten wan<strong>der</strong>ten nach<br />
Europa in verstreute Sammlungen <strong>und</strong> Naturalienkabinette<br />
– vieles davon kann man noch heute<br />
bestaunen, etwa in <strong>der</strong> Ethnologischen Sammlung<br />
<strong>der</strong> Universität Göttingen. <strong>Cook</strong> hatte zahlreiche<br />
Inseln <strong>und</strong> Inselgruppen entdeckt <strong>und</strong> kartiert,<br />
Land für <strong>die</strong> Krone in Besitz genommen <strong>und</strong><br />
natürlich immer wie<strong>der</strong> naturwissenschaftliche<br />
Stu<strong>die</strong>n betrieben <strong>und</strong> unterstützt. Die Menge <strong>der</strong><br />
gesammelten geografischen <strong>und</strong> astronomischen<br />
Daten war enorm, <strong>Cook</strong>s exzellente Karten von<br />
unschätzbarem Wert für <strong>die</strong> Marine Englands. Sie<br />
wurden umgehend veröffentlicht <strong>und</strong> standen<br />
schon bald auch den an<strong>der</strong>en Seemächten zur<br />
Verfügung, selbst Feinden Britanniens. Als <strong>Cook</strong><br />
sich 1776 auf <strong>die</strong> Suche nach <strong>der</strong> Nordwestpassage<br />
machte, wiesen <strong>die</strong> Regierungen Frankreichs, Spaniens<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> noch jungen Vereinigten Staaten<br />
ihre Marineoffiziere an, ihn stets respektvoll zu<br />
behandeln <strong>und</strong> auch im Kriegsfall ungehin<strong>der</strong>t<br />
fahren zu lassen. Schließlich würden alle von dem<br />
Mann profitieren, <strong>der</strong> so wagemutig <strong>die</strong> Grenzen<br />
des Wissens überschritt. Ÿ<br />
Hakan Baykal ist ständiger Mitarbeiter von<br />
epoc <strong>und</strong> lebt in Berlin.<br />
Auch Johann Reinhold<br />
Forster (links) <strong>und</strong> sein Sohn<br />
Georg (rechts) befuhren<br />
zusammen mit <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
den Pazifik.<br />
VERNUNFT ÜBER ALLES?<br />
Als sich <strong>die</strong> Französische<br />
Revolution zunehmend<br />
radikalisierte, gewannen<br />
antiklerikale Kräfte an<br />
Bedeutung. Ein Höhepunkt<br />
<strong>die</strong>ser Entwicklung war <strong>die</strong><br />
Propagierung eines so<br />
genannten Kults <strong>der</strong> Vernunft<br />
durch den Ultrarevolutionär<br />
Jacques-René<br />
Hébert <strong>und</strong> seine Anhänger,<br />
<strong>die</strong> Hébertisten, 1793.<br />
Im Zuge <strong>der</strong> Entchristianisierung<br />
wurde selbst<br />
Nôtre-Dame zu einem<br />
»Tempel <strong>der</strong> Vernunft <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Freiheit« umfunktioniert.<br />
Die etwas abstruse<br />
Ersatzreligion traf auf<br />
heftigen Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong><br />
Bürger <strong>und</strong> fand bereits im<br />
März 1794 ihr Ende – gemeinsam<br />
mit ihren Verkün<strong>der</strong>n,<br />
<strong>die</strong> hingerichtet<br />
wurden.<br />
LINKS: COOK-FORSTER SAMMLUNG, UNIVERSITÄT GÖTTINGEN; RECHTS: MUSEUM FÜR WELTKULTUREN, FRANKFURT<br />
epoc.de 21
<strong>Entdeckung</strong> <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong><br />
Au s dem Nachlass<br />
des Kapitäns<br />
Erst im Januar 1780, elf Monate nach dem Tod von <strong>James</strong><br />
<strong>Cook</strong> am 14. Februar 1779, erreichte <strong>die</strong> traurige Nachricht<br />
England. Charles Clerke – <strong>Cook</strong>s Nachfolger als Kapitän <strong>der</strong><br />
»Resolution« – berichtete, er habe »<strong>die</strong> sterblichen Überreste<br />
Kaptän <strong>Cook</strong>s mit allen Ehren <strong>und</strong> Würden, welche wir in<br />
<strong>die</strong>sem Teil <strong>der</strong> Welt irgend erweisen konnten, <strong>der</strong> Tiefe überantwortet«.<br />
Clerke hatte <strong>die</strong> Suche nach <strong>der</strong> Nordwestpassage<br />
noch fortgeführt, war aber ein paar Monate später selbst<br />
verstorben. Am Ende stand <strong>die</strong> »Resolution« unter dem Kommando<br />
von John Gore, <strong>der</strong> sie am 6. Oktober 1780 nach England<br />
zurückbrachte.<br />
Der wegen seiner Seltenheit<br />
<strong>und</strong> Schönheit geschätzte<br />
Grünstein <strong>die</strong>nte den Maori als<br />
Material für wertvolle<br />
Schmuckstücke wie <strong>die</strong> heitiki.<br />
Die Amulette stellen<br />
gebärende Frauen dar <strong>und</strong><br />
wurden über Generationen in<br />
den Familien weitergegeben.<br />
Dieses Stück schenkte <strong>Cook</strong><br />
nach seiner Rückkehr aus<br />
Neuseeland König Georg III. Es<br />
befindet sich heute im Besitz<br />
von Königin Elizabeth II.<br />
Da <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> niemals einen Geistlichen an Bord<br />
hatte, benutzte er bei Gottes<strong>die</strong>nsten stets seine<br />
eigene Bibel. Sie hat ihn auf allen drei Reisen begleitet.<br />
Nach seinem Tod wurde sie von <strong>Cook</strong>s Ehefrau<br />
Elizabeth aufbewahrt.<br />
MITCHELL LIBRARY, STATE LIBRARY OF NEW SOUTH WALES, SYDNEY<br />
22 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
THE ROYAL COLLECTION, HER MAJESTY QUEEN ELIZABETH II<br />
Gut möglich, dass <strong>die</strong>ses Porträt von<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> im Jahr 1777, auf dem<br />
Rückweg von seiner zweiten Reise, an<br />
Bord <strong>der</strong> »Resolution« entstand.<br />
Der Maler William Hodges hatte sich<br />
mit seinen Landschaftsansichten einen<br />
Namen gemacht <strong>und</strong> war deshalb<br />
für <strong>die</strong> Expedition in den Pazifik<br />
aus gewählt worden. Dort fertigte er<br />
zahlreiche Skizzen, <strong>die</strong> er daheim in<br />
England zu prächtigen Gemälden<br />
ausarbeitete.<br />
OBEN: NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
UNTEN: MITCHELL LIBRARY, STATE LIBRARY OF NEW SOUTH WALES, SYDNEY<br />
Wie alle Offiziere seiner Zeit trug<br />
auch <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> zu gegebenem<br />
Anlass einen so genannten Galanteriedegen<br />
– <strong>der</strong> allerdings eher modisches<br />
Beiwerk war als echte Waffe. Die geätzte Stahlklinge, <strong>der</strong><br />
dekorative Griff aus Horn <strong>und</strong> das silberne Stichblatt in<br />
Form einer Jakobsmuschel sind beson<strong>der</strong>s aufwändig<br />
gearbeitet. Dieser Degen wurde um 1750 hergestellt <strong>und</strong><br />
gehörte seither dem Kapitän.<br />
epoc.de 23
Pioniere<br />
<strong>der</strong> Biologie<br />
Zusammen mit seinem Vater Johann Reinhold Forster<br />
entdeckte, zeichnete <strong>und</strong> beschrieb Georg Forster auf<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong>s zweiter Reise unzählige Tier- <strong>und</strong> Pflanzenarten.<br />
Damit leisteten <strong>die</strong> beiden Deutschen einen unschätzbaren<br />
Beitrag zu <strong>der</strong> damals noch jungen Taxonomie,<br />
<strong>der</strong> von Carl von Linné begründeten Systematik<br />
<strong>der</strong> Biologie.<br />
Als Georg Forster im August 1773 im<br />
O-Parre-Tal von Tahiti das erste Mal<br />
eine Barringtonia sah, beschrieb<br />
er sie als einen <strong>der</strong> schönsten Bäume<br />
<strong>der</strong> Welt. Die Insulaner erklärten<br />
Forster, »dass <strong>die</strong> nussartige Frucht,<br />
wenn sie zerstoßen <strong>und</strong> mit dem<br />
Fleisch von Muscheln vermischt ins<br />
Meer geworfen wird, <strong>die</strong> Fische auf<br />
einige Zeit betäubt, so dass sie an <strong>die</strong><br />
Oberfläche kommen <strong>und</strong> sich mit<br />
den Händen fangen lassen«.<br />
ALLE BILDER DIESER DOPPELSEITE: NATURAL HISTORY MUSEUM, LONDON<br />
Anfang Dezember 1772 schil<strong>der</strong>te<br />
Forster, wie er im Südpolarmeer<br />
zum ersten Mal Pinguine zu Gesicht<br />
bekam. Im Lauf <strong>der</strong> Reise malte <strong>der</strong><br />
junge Naturforscher sechs verschiedene<br />
Arten (im Bild: <strong>der</strong> Zügelpinguin).<br />
Beschrieben wurden sie von<br />
seinem Vater Johann Reinhold<br />
Forster im Jahr 1781.<br />
24<br />
epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
Ende Juni 1774 ankerte <strong>die</strong> »Resolution«<br />
vor <strong>der</strong> Tongainsel<br />
Nomuka – für Forster »einer <strong>der</strong><br />
fruchtbarsten Orte <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong>«.<br />
Unter an<strong>der</strong>em beobachtete er<br />
Pazifische Karettschildkröten, <strong>die</strong><br />
dort damals noch in großer<br />
Zahl anzutreffen waren. Heute<br />
stehen <strong>die</strong> Tiere auf <strong>der</strong> Roten Liste<br />
<strong>der</strong> Weltnaturschutzunion. Vor<br />
allem in Folge von Überfischung<br />
<strong>und</strong> verschwindenden Eiablageplätzen<br />
sind sie vielerorts vom<br />
Aussterben bedroht.<br />
epoc.de e<br />
25
Mit<br />
unverstelltem<br />
Blick<br />
HISTORISCHES MUSEUM BERN<br />
Während seiner Reisen sammelten <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Wissenschaftler an Bord seiner Schiffe<br />
unzählige Objekte, <strong>die</strong> von den unterschiedlichsten<br />
Kulturen im Pazifik zeugen. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
Georg Forster war stets bemüht,<br />
sich einen objektiven <strong>und</strong> vom Zeitgeist<br />
des »edlen Wilden« freien Eindruck von<br />
den Inselvölkern zu machen (siehe<br />
S. 18). Damit war er den meisten<br />
Forschern seiner Zeit weit voraus.<br />
Auf Hawaii trugen nur Häuptlinge solche Fe<strong>der</strong>mäntel.<br />
Für <strong>die</strong> roten Fe<strong>der</strong>n wurden <strong>die</strong> kleinen<br />
Klei<strong>der</strong>vögel gefangen <strong>und</strong> getötet. Die gelben<br />
Fe<strong>der</strong>n stammten von größeren Vögeln, <strong>die</strong>, nachdem<br />
sie einige Fe<strong>der</strong>n gelassen hatten, wie<strong>der</strong> in<br />
<strong>die</strong> Freiheit durften.<br />
In Neuseeland symbolisierten Keulen aus Holz<br />
den gespannten Körper eines kampfbereiten<br />
Mannes. Erfahrene Krieger konnten mit<br />
Hilfe <strong>der</strong> Einbuchtungen am Rand <strong>die</strong><br />
Hiebe gegnerischer Langkeulen abwehren.<br />
en.<br />
26 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE, WIEN
MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE, WIEN<br />
MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE, WIEN<br />
Von Vancouver Island<br />
(<strong>Cook</strong>s dritte Reise) stammt<br />
<strong>die</strong>ser kurze Dolch aus Basalt. Der Griff<br />
ist auf <strong>der</strong> einen Seite durch eine Scheibe<br />
von <strong>der</strong> Klinge getrennt, am Ende mit<br />
einem Tierkopf <strong>und</strong> einer le<strong>der</strong>nen<br />
Tragschlaufe versehen. Über den Zweck<br />
<strong>der</strong> Dolche finden sich in den Reiseaufzeichnungen<br />
keine Angaben.<br />
Womöglich <strong>die</strong>nten sie zur Tötung von<br />
Kriegsgefangenen.<br />
ETHNOLOGISCHE SAMMLUNG DER UNIVERSITÄT GÖTTINGEN<br />
Auf Hawaii sammelte melt<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
ok<br />
auch etwa 20 Angelhaken. n.<br />
Mit<br />
<strong>die</strong>sem ungefähr fünf Zentimeter<br />
langen Exemplar aus Bein wurden<br />
wohl Haifische gefangen.<br />
THE BRITISH MUSEUM, LONDON<br />
Fe<strong>der</strong>figuren wie <strong>die</strong>se wurden<br />
auf Hawaii auf Stäbe gesteckt t <strong>und</strong><br />
bei religiösen Prozessionen en <strong>und</strong> bei<br />
Kriegszügen mitgeführt. Über einem<br />
em<br />
Innenskelett aus geflochtenen Luftwurzeln<br />
brachte man ein feines, es<br />
mit Fe<strong>der</strong>n besetztes etzt<br />
Gewebe ebe aus<br />
Pflanzenfasern auf. Diese e Plastik mit dem typisch verzerrten<br />
errt<br />
rten<br />
<strong>und</strong> mit H<strong>und</strong>ezähnen nen besetzten ten M<strong>und</strong> stellte vermutlich den<br />
Kriegsgott Kukailimoku imok<br />
dar.<br />
Für <strong>die</strong> Zubereitung un<br />
von kava<br />
(siehe S. 30)<br />
verwendeten<br />
eten<br />
en<br />
<strong>die</strong> Häuptlinge auf<br />
Hawaii ai<br />
i hölzernen n Schalen. Durch<br />
<strong>die</strong> menschlichen chen<br />
Figuren führen Kanäle zum<br />
Inneren<br />
en<br />
des Gefäßes. Wahrscheinlich ich konnte so zunächst ein<br />
Schluck zu Ehren <strong>der</strong><br />
Götter ter ausgegossen sen werden, en, bevor<br />
<strong>die</strong> Häuptlinge selbst tranken.<br />
n.<br />
epoc.de 27
Auf <strong>der</strong><br />
Suche nach<br />
dem Para<strong>die</strong>s<br />
Sie kommen als Entdecker<br />
<strong>und</strong> bringen Musketen<br />
<strong>und</strong> Syphilis mit. <strong>James</strong><br />
<strong>Cook</strong>s Landung auf den<br />
pazifischen Inseln steht<br />
am<br />
Anfang einer Reise<br />
voller Unsicherheiten <strong>und</strong><br />
Missverständnisse, <strong>die</strong> den<br />
Untergang ganzer Kulturen<br />
einleiten wird.<br />
Von Claudia Mocek<br />
28 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
W<br />
ie ein riesiger weißer Vogel nähert sich<br />
<strong>der</strong> Segler dem Strand. Er ist größer als<br />
jedes Kanu, das Te Horeta je gesehen hat. Der staunende<br />
Junge <strong>und</strong> sein Maori-Klan sammeln Herzmuscheln<br />
auf <strong>der</strong> Nordinsel Neuseelands, als <strong>die</strong><br />
»Endeavour« im Herbst 1769 den Anker setzt. Seit<br />
mehr als sechs Jahrh<strong>und</strong>erten hat hier niemand<br />
mehr ein Schiff gesehen, das sich vom offenen<br />
Ozean <strong>der</strong> Insel nähert. Die Ältesten überlegen, ob<br />
das Ungetüm aus <strong>der</strong> Geisterwelt kommt. Als<br />
bleichhäutige Männer aus seinem Bauch klettern<br />
<strong>und</strong> in einem kleinen Boot mit dem Rücken zum<br />
Land auf <strong>die</strong> Küste zuru<strong>der</strong>n, nicken <strong>die</strong> Weisen:<br />
»Ja, es ist so: Diese Kreaturen sind Kobolde, sie haben<br />
<strong>die</strong> Augen im Hinterkopf.«<br />
Zunächst geben sich <strong>die</strong> Kobolde harmlos. Sie<br />
suchen Austern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Nahrung, sammeln<br />
Muscheln <strong>und</strong> Blumen, klopfen auf Steine <strong>und</strong><br />
lassen sie in Beutel verschwinden. »Wir strichen<br />
über ihre Klei<strong>der</strong> <strong>und</strong> erfreuten uns am Weiß ihrer<br />
Haut <strong>und</strong> an den blauen Augen, <strong>die</strong> manche<br />
hatten«, wird Te Horeta später den Kolonialherren<br />
erzählen, <strong>die</strong> seinen Bericht aufzeichnen.<br />
Plötzlich zeigt einer <strong>der</strong> Kobolde mit seinem<br />
Gehstock in <strong>die</strong> Luft. »Ein Donner ertönte, <strong>und</strong><br />
ein Blitz war zu sehen.« Dann stürzt ein Vogel zu<br />
Boden. Doch was hat ihn getötet? Das erfahren<br />
<strong>die</strong> Maori erst, als einer ihrer Krieger den Fremden<br />
einen Handel anbietet. Doch statt dem Kobold<br />
den Umhang aus H<strong>und</strong>efell zu übergeben,<br />
reißt er ihm <strong>die</strong> zum Tausch gebotenen Klei<strong>der</strong><br />
aus den Händen <strong>und</strong> ru<strong>der</strong>t davon. Der Gehstock<br />
blitzt erneut auf, <strong>der</strong> Krieger fälltn – mit einem<br />
Loch im Rücken. Der Klan bestattet ihn in den<br />
Klei<strong>der</strong>n des Kobolds; da er seinen Tod selbst verschuldet<br />
hat, gibt es keine utu, keine Rache.<br />
Eines Tages fährt <strong>der</strong> Klan in Kanus los, um <strong>die</strong><br />
Wohnstätte <strong>der</strong> Kobolde zu besuchen. Die Kin<strong>der</strong><br />
weigern sich, das Schiff zu betreten. »Wir hatten<br />
Angst, sie könnten uns verhexen«, berichtet Te<br />
Horeta. Doch sie lassen es zu, dass <strong>die</strong> Fremden<br />
ihnen das Haar zerzausen. »Sie machten schnatternde<br />
Geräusche beim Sprechen. Wir lachten, da<br />
wir sie nicht verstehen konnten, <strong>und</strong> sie lachten<br />
mit uns.«<br />
Vor ihrer Abfahrt schenkt ihm <strong>der</strong> Anführer<br />
<strong>der</strong> Fremden ein kleines, scharfes Stück Metall. Er<br />
soll ein großer Kapitän sein, <strong>der</strong> Kuku heißt. Te<br />
Horeta ist beeindruckt von dessen ruhiger Ausstrahlung.<br />
Dafür gibt es in seiner Sprache ein<br />
Sprichwort: »E koro te tino tangata e ngaro i roto i<br />
te tokomaha« – »Ein Edler ist auch unter H<strong>und</strong>erten<br />
nicht zu übersehen«.<br />
Te Horeta verliert seinen Gott<br />
Te Horeta trägt das metallene Geschenk als heitiki,<br />
Talisman, um den Hals. Er steckt es auf <strong>die</strong><br />
Spitze seines Speers, graviert damit Holzschachteln<br />
<strong>und</strong> repariert <strong>die</strong> Kanus seines Klans: »Ich<br />
hütete den Nagel, bis ich eines Tages in einem<br />
Kanu fuhr <strong>und</strong> es auf dem Meer kenterte. Ich bin<br />
danach getaucht, aber ich habe ihn nicht mehr gef<strong>und</strong>en.<br />
Ich hatte meinen Gott verloren.«<br />
Te Horetas Schil<strong>der</strong>ungen gehören zu den wenigen<br />
Quellen <strong>der</strong> <strong>Entdeckung</strong>sfahrten, aus denen<br />
sich ablesen lässt, wie <strong>die</strong> Ureinwohner <strong>die</strong><br />
Ankunft <strong>der</strong> Europäer erlebt haben. Die Tagebücher<br />
von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> <strong>und</strong> seinen Männern bestätigen,<br />
dass <strong>der</strong> Klan <strong>die</strong> Fremden fre<strong>und</strong>schaftlich<br />
aufgenommen hat.<br />
Doch <strong>Cook</strong>s erste Schritte auf Neuseeland im<br />
Jahr 1769 hätten auch seine letzten sein können –<br />
»Sie machten<br />
schnatternde<br />
Geräusche beim<br />
Sprechen. Wir<br />
lachten, da wir<br />
sie nicht verstehen<br />
konnten,<br />
<strong>und</strong> sie lachten<br />
mit uns«<br />
Te Horeta<br />
Auf <strong>der</strong> ersten <strong>Entdeckung</strong>sfahrt<br />
von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> ist <strong>der</strong><br />
britische Maler Sydney<br />
Parkinson mit an Bord. Er<br />
zeichnet einen tätowierten<br />
Maori (links). Den Blick in<br />
<strong>die</strong> Maitavie-Bucht (unten)<br />
<strong>der</strong> Insel Tahiti malt William<br />
Hodges 1776 in England.<br />
BILDKOMPOSITION: BRITISH LIBRARY, LONDON (MAORI-KOPF); NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
epoc.de 29
POLYNESIEN:<br />
VIELFÄLTIGE KULTUREN<br />
Die meisten Inseln, <strong>die</strong><br />
<strong>Cook</strong> besucht hat, gehören<br />
zu Polynesien. Jede besitzt<br />
eine eigene Religion <strong>und</strong><br />
Sprache. Die unterschiedlichen<br />
Kulturen gehen auf<br />
ähnliche Vorstellungen<br />
zurück, <strong>die</strong> auf den Begriffen<br />
mana <strong>und</strong> tapu beruhen.<br />
Mana bezeichnet<br />
<strong>die</strong> übernatürliche Macht,<br />
<strong>die</strong> mit <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Stellung verb<strong>und</strong>en<br />
ist. Sie wird geschützt<br />
durch Verbote (tapu, von<br />
dem das deutsche Wort<br />
Tabu abstammt).<br />
Häuptlinge, <strong>die</strong> ihren<br />
Rang vererben, nautische<br />
Experten, Kunsthandwerker<br />
<strong>und</strong> Krieger bilden<br />
zu <strong>Cook</strong>s Zeit <strong>die</strong> wichtigsten<br />
gesellschaftlichen<br />
Stände <strong>der</strong> Inseln. Die<br />
soziale Struktur gleicht<br />
einer Pyramide mit wenigen<br />
einflussreichen Vertretern<br />
an <strong>der</strong> Spitze. Die<br />
Stämme auf den Tongainseln<br />
sind am stärksten<br />
hierarchisch geglie<strong>der</strong>t. Im<br />
Unterschied zu an<strong>der</strong>en<br />
polynesischen Gesellschaften<br />
gibt es bei den<br />
Maori keine zentra lisierte<br />
Macht. Die Gesellschaft<br />
ist nach aristokratischen<br />
Prinzipien organisiert.<br />
Heilige Orte <strong>und</strong> <strong>der</strong> gemeinsame<br />
rituelle Genuss<br />
von kava, dem Aufguss<br />
eines tropischen Pfeffers,<br />
sind für Polynesien charakteristisch.<br />
Die Entdecker<br />
haben keine Vorstellung<br />
von den Traditionen<br />
<strong>der</strong> Ureinwohner, <strong>die</strong> sich<br />
mit <strong>der</strong> Erschaffung des<br />
Universums beschäftigen,<br />
von den Ritualen <strong>und</strong> ihrer<br />
Bedeutung im täglichen<br />
Leben.<br />
»Alles, was sie zu begehren<br />
schienen, war, dass wir<br />
wie<strong>der</strong> verschwanden«<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
wäre Tupaia nicht gewesen. Der hochrangige Priester<br />
aus Tahiti begleitet <strong>die</strong> Englän<strong>der</strong> seit einigen<br />
Wochen. Er hilft ihnen nicht nur, sich in <strong>der</strong> Inselwelt<br />
Polynesiens zu orientieren, er schlägt auch<br />
eine Brücke zwischen <strong>der</strong> Mannschaft <strong>und</strong> den<br />
Maori. »Es war eine freudige Überraschung für<br />
uns, dass sie ihn ohne Schwierigkeiten verstanden«,<br />
notiert <strong>Cook</strong> anschließend. Obwohl <strong>die</strong><br />
Maori H<strong>und</strong>erte von Jahren in völliger Isolation<br />
gelebt haben, gleicht ihre Sprache am Ende des<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>erts noch immer <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> Inseln,<br />
von denen ihre Ahnen vor über 3000 Jahren<br />
kamen.<br />
Die Maori respektieren Tupaia sofort – <strong>und</strong> damit<br />
auch <strong>Cook</strong> <strong>und</strong> seine Mannschaft. Sie betrachten<br />
den Priester als Anführer <strong>der</strong> seltsam aussehenden<br />
weißen Männer. Die Nachricht seiner Ankunft<br />
verbreitet sich schnell unter den Stämmen<br />
<strong>der</strong> Nordinsel. Tupaia <strong>und</strong> sein Gefolge werden<br />
auf Dorfplätzen empfangen, wo sie Geschenke<br />
austauschen, über <strong>die</strong> Abstammung <strong>der</strong> Familien<br />
diskutieren <strong>und</strong> gemeinsam feiern.<br />
Die Begeisterung <strong>der</strong> Maori über <strong>die</strong> Ankunft<br />
<strong>der</strong> Fremden wie<strong>der</strong>holt sich bei den späteren Besuchen<br />
<strong>Cook</strong>s auf <strong>der</strong> Insel nicht. Tupaia ist inzwischen<br />
gestorben. Zwar stößt auf <strong>der</strong> zweiten Pazifikreise<br />
wie<strong>der</strong> ein Einheimischer zu den Fremden<br />
– Omai –, doch ihm fehlt das Format Tupaias.<br />
Neben friedlichen Kontakten kommt es nun auch<br />
immer wie<strong>der</strong> zu blutigen Konflikten.<br />
Für <strong>die</strong> Ureinwohner <strong>der</strong> pazifischen Inselwelt<br />
markieren <strong>die</strong> <strong>Entdeckung</strong>sreisen von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
den Beginn eines katastrophalen sozialen, politischen<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlichen Umbruchs. Trotzdem<br />
sehen <strong>die</strong> Maori bis heute – zumindest in Tupaia –<br />
einen Helden: Noch immer tragen Orte <strong>und</strong> Menschen<br />
seinen Namen.<br />
Auch <strong>die</strong> Bewohner Tahitis haben Kapitän<br />
<strong>Cook</strong> auf seiner ersten <strong>Entdeckung</strong>sfahrt 1769 als<br />
taio, Fre<strong>und</strong>, begrüßt. Obwohl Tupaia <strong>die</strong> Europäer<br />
erst von <strong>die</strong>ser Station an begleiten wird, überreichen<br />
<strong>die</strong> Tahitianer den Fremden bei ihrer Ankunft<br />
duftende Tücher <strong>und</strong> Bananenzweige als<br />
Friedenssymbole. Sie bewirten <strong>die</strong> Mannschaft<br />
mit Fisch <strong>und</strong> Kokosmilch. Die Frauen deuten auf<br />
Matten <strong>und</strong> »nötigten uns bisweilen mit Gewalt,<br />
uns darauf zu setzen«, hält <strong>der</strong> englische Botaniker<br />
Joseph Banks fest.<br />
Doch <strong>die</strong> Begegnungen auf <strong>der</strong> para<strong>die</strong>sisch<br />
anmutenden Insel verlaufen nicht ohne Konflikte.<br />
Als ein Tahitianer eine Muskete stiehlt, erschießt<br />
ihn ein Matrose. <strong>Cook</strong> versichert den Ureinwohnern,<br />
»dass wir noch immer ihre Fre<strong>und</strong>e<br />
waren«, schreibt er kurz darauf in sein Tagebuch.<br />
Wie <strong>die</strong> Inselbewohner <strong>die</strong>sen Vorfall erlebten, ist<br />
nicht überliefert. Ihre Gedanken aus den englischen<br />
Tagebüchern zu erraten, ist so, als würde<br />
man einen Film ohne Ton anschauen: »Kein Zeichen<br />
<strong>der</strong> Vergebung war in ihren Mienen zu lesen;<br />
sie blickten verdrossen <strong>und</strong> beleidigt drein«,<br />
wird Banks über einen späteren Konflikt notieren.<br />
Trotz einiger Auseinan<strong>der</strong>setzungen sind <strong>die</strong><br />
Europäer von den »edlen Wilden« begeistert – <strong>und</strong><br />
von ihren Frauen hingerissen: »Sie versichern<br />
sich unserer Fre<strong>und</strong>schaft auf eine Art <strong>und</strong> Weise,<br />
<strong>die</strong> alles an<strong>der</strong>e als platonisch ist«, hält Segelmeister<br />
Robert Molyneux fest.<br />
Die drei Reisen von <strong>Cook</strong> scheinen untrennbar<br />
verb<strong>und</strong>en mit erotischen Abenteuern, mit<br />
schönen, sinnlichen <strong>und</strong> scheinbar lie<strong>der</strong>lichen<br />
Frauen. Doch <strong>die</strong> sexuellen Berichte <strong>der</strong> Entdecker<br />
beschränken sich vor allem auf <strong>die</strong> Erlebnisse<br />
auf Tahiti <strong>und</strong> Hawaii. Auf den Neuen Hebriden<br />
(Vanuatu) <strong>und</strong> in Neukaledonien gibt es solche<br />
Begegnungen nicht. Die Bil<strong>der</strong> <strong>und</strong> Berichte, <strong>die</strong><br />
auf den <strong>Entdeckung</strong>sfahrten entstehen, bestätigen<br />
<strong>die</strong>s: Während <strong>die</strong> Frauen <strong>der</strong> westlichen<br />
Pazifikinseln bei den europäischen Seeleuten als<br />
»hässlich«, »abstoßend« <strong>und</strong> »verunstaltet« gelten,<br />
stellen sie <strong>die</strong> Frauen <strong>der</strong> östlichen Inseln als<br />
schöne, klassisch proportionierte Frauenkörper<br />
in einer glückseligen Landschaft dar.<br />
Europäische Wissenschaftler werden lange<br />
glauben, <strong>die</strong> Polynesierinnen zu <strong>Cook</strong>s Zeit seien<br />
Nymphomaninnen, <strong>die</strong> es auf erotische Abenteuer<br />
mit Auslän<strong>der</strong>n anlegen. Heute weiß man,<br />
dass <strong>der</strong> Sex mit Fremden für <strong>die</strong> Frauen eine<br />
Möglichkeit zum Handel bedeutete: Stoff, Perlen,<br />
rote Fe<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Beile tauschten sie gegen sexuelle<br />
Be ziehungen ein. Außerdem sahen <strong>die</strong> hawaiianischen<br />
Frauen in den mächtigen Auslän<strong>der</strong>n<br />
eine Chance, einflussreiche Kin<strong>der</strong> zu zeugen <strong>und</strong><br />
sich so innerhalb ihres Stamms Macht zu sichern.<br />
Erzählungen zufolge stopften <strong>die</strong> Frauen <strong>die</strong> Nabelschnüre<br />
ihrer Neugeborenen in <strong>die</strong> Risse von<br />
<strong>Cook</strong>s Schiff: »Welche Frau hätte nicht <strong>die</strong> piko<br />
(Nabelschnur) ihres Babys dort haben wollen?«<br />
Aus Sicht <strong>der</strong> indigenen Bevölkerung haben<br />
<strong>die</strong> sexuellen Kontakte mit den Europäern vor<br />
allem einen gewalttätigen Aspekt: Viele junge<br />
Mädchen werden von ihren Verwandten gezwungen,<br />
<strong>die</strong>se »heiligen Ehen« einzugehen, <strong>die</strong> in <strong>der</strong><br />
Regel <strong>die</strong> Entjungferung bedeuten. Treibende<br />
Kraft ist laut Wissenschaftlern <strong>der</strong> kollektive<br />
30 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
Der tahitianische Priester<br />
Tupaia, <strong>der</strong> mit <strong>Cook</strong> reist,<br />
zeichnet <strong>die</strong>ses Bild, das<br />
vermutlich den Botaniker<br />
Joseph Banks zeigt, dem ein<br />
Maori einen Hummer<br />
schenkt.<br />
1777 fertigt John Webber<br />
<strong>die</strong>ses Gemälde von <strong>der</strong><br />
19-jährigen Prinzessin<br />
Poedua an, <strong>der</strong> Tochter<br />
des Königs Orio von<br />
Ulietea.<br />
BRITISH LIBRARY, LONDON<br />
Wunsch nach Babys mit <strong>der</strong> heiligen Aura <strong>der</strong><br />
erstgeborenen Kin<strong>der</strong> junger Mädchen. Als Folge<br />
<strong>der</strong> sexuellen Beziehungen breiten sich tödliche<br />
Geschlechtskrankheiten aus. <strong>Cook</strong> versucht <strong>die</strong><br />
Kontakte gelegentlich zu unterbinden. Wenn er<br />
fürchtet, dass sich <strong>die</strong> Matrosenpest »mit <strong>der</strong> Zeit<br />
über alle Eilande <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong> ausbreiten könnte,<br />
zur ewigen Schande <strong>der</strong>er, <strong>die</strong> sie zuerst hierhergebracht«,<br />
will er aber auch seinen Ruf retten.<br />
Als <strong>die</strong> polynesischen Inseln in den Jahrzehnten<br />
nach <strong>Cook</strong>s Besuch zu beliebten Anlaufhäfen<br />
werden, grassieren neben Geschlechtskrankheiten<br />
auch Grippe, Tuberkulose, Pocken, Masern<br />
<strong>und</strong> Keuchhusten. Der Alkoholismus breitet sich<br />
aus, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Inselbewohner bekämpfen sich untereinan<strong>der</strong><br />
mit westlichen Waffen. Die Folgen<br />
sind katastrophal: 1774 schätzt <strong>Cook</strong> <strong>die</strong> Bevölkerung<br />
Tahitis noch auf 204 000 Menschen. Knapp<br />
100 Jahre später erfasst eine französische Volkszählung<br />
nur noch 7169 Insulaner.<br />
Die Europäer bedroht auf ihrer Expedition in<br />
Neuseeland <strong>der</strong> Hunger: »Wir sahen uns im Stande,<br />
jede Art von Fe<strong>der</strong>vieh zu verzehren«, hält<br />
Banks fest: »Hunger ist gewiss eine exzellente<br />
Soße.« Die Mannschaft entdeckt aber auch, dass<br />
sich <strong>der</strong> Speiseplan <strong>der</strong> Eingeborenen nicht auf<br />
NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
Vögel, Fisch <strong>und</strong> Gemüse beschränkt – son<strong>der</strong>n<br />
auch Menschen einschließt. Das bringt den Maori<br />
bei den Menschen in Europa den Stempel <strong>der</strong><br />
»rohen Barbaren« ein.<br />
<strong>Cook</strong> betrachtet den Kannibalismus jedoch<br />
sachlich: »Sie essen ihre Feinde, <strong>die</strong> sie im Kampf<br />
getötet ... Dies scheint mir aus <strong>der</strong> Tradition zu erwachsen<br />
<strong>und</strong> mitnichten aus einer Veranlagung<br />
zur Grausamkeit.« <strong>Cook</strong> hat Recht: Zu seiner Zeit<br />
verspeisen <strong>die</strong> Maori nur ihre Feinde – um sie zu<br />
entehren <strong>und</strong> ihren Geist <strong>und</strong> ihre Kraft in sich<br />
aufzunehmen. Der Kannibalismus ist im Schöpfungsmythos<br />
<strong>der</strong> Maori rituell verankert.<br />
»Warra! Warra! Wai« – Geht fort!<br />
Der deutsche Georg Forster wird den Kannibalismus<br />
mit einem Hinweis auf <strong>die</strong> spanischen Eroberer<br />
in Südamerika relativieren: »Was ist <strong>der</strong><br />
Neu-Seelän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> seinen Feind im Kriege umbringt<br />
<strong>und</strong> frisst, gegen den Europäer, <strong>der</strong>, zum<br />
Zeitvertreib, einer Mutter ihren Säugling mit kaltem<br />
Blut, von <strong>der</strong> Brust reißen <strong>und</strong> seinen H<strong>und</strong>en<br />
vorwerfen kann?«<br />
Als <strong>die</strong> »Endeavour« 1770 Australien erreicht,<br />
ist den Englän<strong>der</strong>n sofort klar, dass <strong>die</strong> Küstenbewohner<br />
an<strong>der</strong>s sind als alle, <strong>die</strong> sie bisher getroffen<br />
haben. Joseph Banks berichtet, dass eine<br />
Gruppe von Fischern am Strand »kaum <strong>die</strong> Augen<br />
von ihrem Tun wandten« <strong>und</strong> eine alte Frau »zum<br />
Schiff hinübersah, aber we<strong>der</strong> Überraschung<br />
noch Besorgnis erkennen ließ«.<br />
Als sich <strong>die</strong> Ru<strong>der</strong>boote dem Land nähern, fliehen<br />
<strong>die</strong> Eingeborenen. Nur zwei Krieger harren<br />
aus: »Warra! Warra! Wai!«, rufen sie. »Geht fort!«<br />
<strong>Cook</strong> wirft Nägel <strong>und</strong> Tand als Geschenke an Land.<br />
Die Aborigines schleu<strong>der</strong>n ihm Steine <strong>und</strong> Speere<br />
entgegen. <strong>Cook</strong> feuert mit kleiner Munition <strong>und</strong><br />
trifft einen <strong>der</strong> Männer. Schließlich ziehen sich<br />
<strong>die</strong> Eingeborenen zurück.<br />
»Alles, was sie zu begehren scheinen, war, dass<br />
wir wie<strong>der</strong> verschwinden«, berichtet <strong>Cook</strong> in seinem<br />
Tagebuch: »Von dem, was ich über <strong>die</strong> Eingeborenen<br />
gesagt habe, könnten sie einigen als <strong>die</strong><br />
erbärmlichsten Menschen <strong>der</strong> Erde erscheinen:<br />
Aber in Wirklichkeit sind sie viel glücklicher als<br />
wir Europäer; indem ihnen <strong>die</strong> überflüssigen, in<br />
Europa aber so notwendigen Bequemlichkeiten<br />
völlig fremd sind, sind sie glücklich, nichts von ihnen<br />
zu wissen.«<br />
Bevor <strong>die</strong> Fremden Australien verlassen, nehmen<br />
sie <strong>die</strong> Ostküste formell für <strong>die</strong> britische Krone<br />
in Besitz. Die Briten richten 1788 im heutigen<br />
Sydney eine Strafkolonie ein. Für <strong>die</strong> Australier<br />
unserer Zeit ist <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> <strong>der</strong> Urahn <strong>der</strong> britischen<br />
Landnahme; für <strong>die</strong> Aborigines begann<br />
mit ihm ihre Enteignung.<br />
epoc.de 31
BRITISH LIBRARY, LONDON<br />
Auf Vanuatu (Neue Hebriden) empfangen <strong>die</strong><br />
ansässigen Völker <strong>die</strong> Fremden auf <strong>der</strong>en dritter<br />
Reise zunächst fre<strong>und</strong>schaftlich <strong>und</strong> neugierig.<br />
Doch einige Stämme bedrohen <strong>Cook</strong> <strong>und</strong> seine<br />
Mannschaft auch. Bei ihrer Ankunft auf Malekula<br />
1774 erscheinen nur wenige Inselbewohner,<br />
am nächsten Morgen sind es 400 Männer, <strong>die</strong><br />
sich dem Schiff nähern. Sie schenken <strong>Cook</strong> ein<br />
Schwein als Symbol ihres Wohlwollens. Im Gegenzug<br />
erhalten sie nur Stoff, was für <strong>die</strong> Bewohner<br />
kein gleichwertiges Geschenk darstellt. Von<br />
<strong>die</strong>sem Moment an interessieren sich <strong>die</strong> Malekulaner<br />
nicht mehr für ihre Besucher.<br />
Die Bewohner Erramangas laden <strong>die</strong> Fremden<br />
durch heftiges Gestikulieren ein, an Land zu kommen.<br />
Doch <strong>die</strong> Europäer fliehen kurze Zeit später,<br />
weil sie befürchten, dass <strong>die</strong> Inselbewohner ihre<br />
Boote stehlen <strong>und</strong> sie töten wollen.<br />
Auf <strong>der</strong> Insel Tanna laufen viele Menschen zusammen,<br />
als sich das Schiff <strong>der</strong> Europäer nähert.<br />
Schwimmer <strong>und</strong> Kanus kommen den Fremden<br />
entgegen. Bald schon versuchen »waghalsige <strong>und</strong><br />
freche junge Männer«, alles zu stehlen, dessen sie<br />
habhaft werden können. Erst als schwere Kugeln<br />
knapp über ihre Köpfe fliegen, lassen sie von ihrem<br />
Treiben ab. Die Menschenmenge an Land ist<br />
belustigt.<br />
Tausende haben sich versammelt, als <strong>die</strong> Beiboote<br />
zur Küste aufbrechen. Vorsichtshalber lässt<br />
<strong>Cook</strong> eine Salve über <strong>die</strong> Köpfe <strong>der</strong> Menge abfeuern.<br />
Daraufhin zeigen <strong>die</strong> jungen Männer ihre<br />
Waffen. Einer von ihnen dreht sich um, beugt sich<br />
vor <strong>und</strong> schlägt sich mit den Händen auf das Gesäß<br />
– eine verbreitete Spottgeste im pazifischen<br />
Raum. Den Bewohnern von Tanna bietet <strong>die</strong> Ankunft<br />
des Schiffs eine unerwartete Unterhaltung<br />
<strong>und</strong> für ihre jungen Männer eine willkommene<br />
Gelegenheit für Angebereien.<br />
Von den Ureinwohnern Hawaiis wird man<br />
noch bis in <strong>die</strong> 1970er Jahre glauben, dass sie<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> bew<strong>und</strong>ert hätten. Doch seit <strong>die</strong> Riten<br />
<strong>der</strong> indigenen Bevölkerung wissenschaftlich untersucht<br />
werden, zeichnet sich eine an<strong>der</strong>e Deutung<br />
ab. Verschiedene Forscher sind davon überzeugt,<br />
dass das Leben auf Hawaii zur Zeit von<br />
<strong>Cook</strong>s dritter <strong>Entdeckung</strong>sreise stark durch zwei<br />
kalendarische Rituale geprägt wird, <strong>die</strong> Jahr für<br />
Jahr Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Wohlstand des Volks gewährleisten<br />
sollen: Ho’oilo umfasst <strong>die</strong> vier dem<br />
Schutzpatron Lono-nuiākea geweihten Regenmonate.<br />
Kau Wela bezeichnet <strong>die</strong> acht Sommermonate<br />
unter dem Patronat von Kūnuiākea.<br />
AUSTRALIEN: GEMEINSCHAFT OHNE HERRSCHAFT<br />
Sidney Parkinson begleitet<br />
<strong>Cook</strong> zunächst als<br />
naturhistorischer Illustrator.<br />
Nach dem Tod des<br />
Landschaftsmalers Alexan<strong>der</strong><br />
Buchan zeichnet er<br />
unter an<strong>der</strong>em <strong>die</strong>ses Kanu<br />
mit neuseeländischen<br />
Kriegern.<br />
In Australien leben in den 1780er Jahren r<strong>und</strong> 750 000 Aborigines, <strong>die</strong> insgesamt<br />
500 bis 600 Sprachen <strong>und</strong> Dialekte sprechen. Jede Gemeinschaft ist eine Gesellschaft<br />
für sich; <strong>die</strong> Familie bildet darin <strong>die</strong> kleinste Einheit, wobei ein Mann Beziehungen<br />
zu mehreren Frauen haben kann. An<strong>der</strong>e Gruppen organisieren sich nach<br />
ihrer Abstammung, ihrer Verbindung zum Land <strong>und</strong> zu beson<strong>der</strong>en Stätten.<br />
Jedes Mitglied einer Gruppe erfüllt soziale <strong>und</strong> rituelle Funktionen:<br />
Männer fischen <strong>und</strong> jagen Kängurus, Emus <strong>und</strong> Beuteltiere. Frauen <strong>und</strong><br />
Kin<strong>der</strong> sammeln Gemüse, Früchte, Eier <strong>und</strong> Honig. In allen Gruppen teilen<br />
<strong>die</strong> Menschen <strong>die</strong> Nahrung miteinan<strong>der</strong>. Die Aborigines arbeiten täglich ein<br />
paar St<strong>und</strong>en, um <strong>die</strong> Nahrung für einen Tag zusammenzutragen. Ein<br />
solches Leben bedeutet für jeden Sicherheit.<br />
Für <strong>die</strong> Entdecker hingegen ist harte Arbeit <strong>die</strong> wesentliche Voraussetzung<br />
für eine gottgefällige Lebensweise. Die sozialen Regeln <strong>der</strong> Ureinwohner,<br />
ihr nomadenhaftes Leben ohne individuellen Besitz, machen es überflüssig,<br />
dass einzelne Personen <strong>die</strong> Herrschaft über den Rest <strong>der</strong> Gruppe ausüben.<br />
32 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
BRITISH LIBRARY, LONDON<br />
Als <strong>Cook</strong> auf Hawaii eintrifft, ist <strong>der</strong> Schutzpatron<br />
des Sommers schon verabschiedet worden,<br />
sein Tempel bereits abgedeckt, seine Priesterschaft<br />
freigestellt. Die Ureinwohner begrüßten<br />
gerade Lononuiākea, <strong>der</strong> sich durch astronomische<br />
Konstellationen <strong>und</strong> einen Wetterumbruch<br />
angekündigt hat.<br />
Als <strong>Cook</strong> Gott Lono verkörpert<br />
Die Europäer landen im Dezember 1778 auf <strong>der</strong> Insel.<br />
<strong>Cook</strong>s Schiff hat Segel, <strong>die</strong> an Lonos Wolken<br />
erinnern. Bei den Prozessionen an Land werden<br />
<strong>die</strong>se Wolken durch einen drei Meter hohen<br />
Kreuzstab symbolisiert, über den graues Rindenbastgewebe<br />
drapiert ist. Als <strong>Cook</strong> Kanonen abfeuern<br />
lässt, erkennen <strong>die</strong> Bewohner in <strong>die</strong>sem<br />
Geräusch, das an <strong>die</strong> donnernde Stimme Lonos<br />
er innert, eine Demonstration göttlicher Macht.<br />
Durch Zufall entspricht <strong>die</strong>ses Schauspiel dem<br />
Ablauf des Rituals. Für <strong>die</strong> indigene Bevölkerung<br />
könnte <strong>Cook</strong> während des religiösen Umzugs deshalb<br />
Gott Lono verkörpert haben.<br />
<strong>Cook</strong> verlässt <strong>die</strong> Insel am 4. Februar 1779. Damit<br />
folgt er unwissentlich <strong>der</strong> Tradition: Er reist<br />
so ab, wie Lono es jedes Jahr tut. Als er wenig später<br />
zurückkehren muss, um sein Schiff zu reparieren,<br />
stellt <strong>der</strong> Kapitän als Verkörperung von<br />
Lono den Vorrang von Kūnuiākea in Frage. Dem<br />
rituellen Ablauf, <strong>der</strong> für Tausende von Jahren gegolten<br />
hat, droht <strong>der</strong> Umsturz, was ein ganzes<br />
Volk in Gefahr bringen würde.<br />
Von <strong>die</strong>sem Moment an kommt es zu gegenseitigen<br />
Anfeindungen. Als <strong>der</strong> Kapitän nicht mehr<br />
Lono verkörpert, verliert er auch seinen rituell begründeten<br />
Schutz. Seine Unkenntnis des Ritualzyklus<br />
wird ihm zum Verhängnis. Am 14. Februar<br />
1779 töten <strong>die</strong> Hawaiianer <strong>Cook</strong>, <strong>die</strong> Europäer ermorden<br />
zahlreiche Eingeborene.<br />
<strong>Cook</strong>s Besuch markiert den dramatischen<br />
Wandel <strong>der</strong> hawaiianischen Kultur. Im folgenden<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert strömen Schiffe nach Hawaii <strong>und</strong><br />
bringen Musketen, schwenkbare Kanonen, Grog<br />
<strong>und</strong> Krankheiten mit. 1820 segeln Missionare aus<br />
Neuengland zur Insel, um <strong>die</strong> »nackten Wilden«,<br />
wie sie <strong>die</strong> Hawaiianer nennen, von <strong>der</strong> Verworfenheit<br />
des Hula-Tanzes <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er Traditionen<br />
zu überzeugen. 1837 wird das Verschwinden <strong>der</strong><br />
Eingeborenen <strong>und</strong> ihrer Kultur schließlich so augenfällig,<br />
dass ein Institut gegründet wird, um<br />
das Wenige zu dokumentieren, was von hawaiianischen<br />
Werkzeugen, <strong>der</strong> Musik <strong>und</strong> dem Brauchtum<br />
noch übrig geblieben ist.<br />
Der entstandene Nationalismus hat bei den Bewohnern<br />
von Hawaii zu einem regelrechten Hass<br />
auf <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> geführt. Deshalb ist Haunani-Kay<br />
Trask, Aktivistin für ein souveränes Hawaii, stolz<br />
darauf, dass <strong>die</strong> Hawaiianer – im Gegensatz zu<br />
an<strong>der</strong>en pazifischen Völkern – dafür gesorgt hätten,<br />
dass <strong>der</strong> Kapitän ihre Ufer nicht lebend verließ.<br />
Das sieht Blossom Sapp, Aufseherin <strong>der</strong><br />
heiligen Stätte Pu’uhonua o Honaunau, an<strong>der</strong>s:<br />
»Früher o<strong>der</strong> später wären <strong>die</strong> Inseln sowieso gef<strong>und</strong>en<br />
worden. <strong>Cook</strong> hat unser Land nicht gestohlen<br />
o<strong>der</strong> <strong>die</strong> Kultur zerstört; aber erst nach<br />
ihm konnten <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en kommen, <strong>die</strong> das getan<br />
haben. Deswegen sehen viele in ihm den ersten<br />
Bösewicht, ein Symbol für das Schlechte, das nach<br />
ihm kam.« Ÿ<br />
Claudia Mocek ist Redakteurin bei epoc.<br />
Auf <strong>der</strong> dritten Pazifikexpedition<br />
wohnen <strong>die</strong> Europäer<br />
auf <strong>der</strong> Insel Tahiti einem<br />
Menschenopfer bei. Das<br />
Bild stammt von dem englischen<br />
Maler John Webber.<br />
»Wir hatten<br />
Angst, sie<br />
könnten uns<br />
verhexen«<br />
Te Horeta<br />
epoc.de 33
» H<strong>und</strong> erte,<br />
ja Tausende<br />
von Maden!«<br />
Skorbut, Schnaps <strong>und</strong> Langeweile: Im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
war das Leben auf hoher See kein Zuckerschlecken –<br />
für <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>s Matrosen aber durchaus erträglich.<br />
Von Joachim Schüring<br />
Auch wenn <strong>der</strong> Schiffszwieback<br />
aus Weizen- <strong>und</strong><br />
Erbsenmehl knochentrocken<br />
war, zog er Ungeziefer<br />
an. Mancher an Bord aß<br />
ihn lieber er nachts, wenn<br />
man <strong>die</strong> Maden<br />
nicht sah.<br />
NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
Heute scheint uns das Vergehen lässlich –<br />
doch für William Greenslade endete es mit<br />
dem Tod: Der gerade erst 20 Jahre alte Marinesoldat<br />
an Bord <strong>der</strong> »Endeavour« hatte ein Stück Robbenfell<br />
geklaut, um sich daraus einen Tabaksbeutel<br />
zu nähen – <strong>und</strong> war erwischt worden. Von den<br />
eigenen Kameraden. Obschon selbst <strong>der</strong> Bestohlene<br />
keine große Sache daraus machen wollte, beklagten<br />
<strong>die</strong> Kameraden das Vergehen »in den<br />
schwärzesten Farben«, so <strong>der</strong> Botaniker an Bord<br />
<strong>der</strong> »Endeavour«, Joseph Banks, in seinem Tagebuch.<br />
Sie warfen Greenslade ein »unverzeihliches<br />
Verbrechen vor« <strong>und</strong> drohten, wenn <strong>der</strong> Geschädigte<br />
<strong>die</strong> Sache nicht anzeige, würden sie es tun.<br />
Tatsächlich zählte<br />
Diebstahl in<br />
jener<br />
Zeit zu den Verbrechen an Bord eines Schiffs, <strong>die</strong><br />
mit dem Tod bestraft werden konnten. Allerdings<br />
wurden Hinrichtungen auf See meist nur bei<br />
Mord, Brandstiftung o<strong>der</strong> Meuterei vollzogen.<br />
Und das aus gutem Gr<strong>und</strong>, schließlich konnte<br />
man für den fehlenden Mann kaum Ersatz finden.<br />
Deshalb machte, wer fluchte, bei <strong>der</strong> Wache einschlief,<br />
eine Schlägerei anfing, einen Befehl verweigerte,<br />
<strong>der</strong> »schändlichen Sünde mit Mann<br />
o<strong>der</strong> Tier« o<strong>der</strong> ähnlicher Vergehen überführt<br />
wurde, meist »nur« Bekanntschaft mit <strong>der</strong> neunschwänzigen<br />
Katze, einer Peitsche mit neun geflochtenen<br />
Tauenden, <strong>die</strong> zur steten Mahnung an<br />
exponierter Stelle in einem Beutel aufgehängt<br />
war. Als auf <strong>der</strong> »Endeavour« nach drei Wochen<br />
zum ersten Mal »<strong>die</strong> Katze aus dem Sack gelas-<br />
sen«<br />
wurde, galt sie zwei Matrosen, <strong>die</strong> sich gewei-<br />
gert<br />
hatten, te ihre Ration Frischfleisch zu essen.<br />
Tod o<strong>der</strong> Peitsche<br />
Das 36 Artikel umfassende Strafregister <strong>der</strong> Admiralität<br />
wurde jeden Sonntag feierlich verle-<br />
sen.<br />
Und darin stand auch, dass Diebstahl<br />
mit dem Tod zu ahnden o<strong>der</strong> »den Umständen<br />
entsprechend« mit einer an<strong>der</strong>en<br />
Strafe zu belegen sei. Auf <strong>die</strong>sen<br />
Zusatz hätte Greenslade ruhig vertrauen<br />
können, denn <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> urteilte<br />
im Allgemeinen maßvoll. »Zwölf Peitschenhiebe«<br />
hätte es vielleicht geheißen.<br />
Eine Lektion.<br />
Doch <strong>die</strong> Schil<strong>der</strong>ungen seiner<br />
Kameraden versetzten den unerfahrenen<br />
Seemann so sehr in Panik, dass er<br />
34<br />
epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
DIE LÄNGSTE REISE<br />
Während <strong>Cook</strong>s zweiter<br />
Pazifikreise war <strong>die</strong> »Resolution«<br />
genau 1111 Tage unterwegs.<br />
Von Kapstadt nach<br />
Süden sahen <strong>die</strong> Männer<br />
ganze 117 Tage am Stück kein<br />
Land. Nach drei Jahren <strong>und</strong> 16<br />
Tagen hatten sie über 60 000<br />
Meilen – gut 110 000 Kilometer<br />
– zurückgelegt.<br />
Während im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert Matrosen oft<br />
zwangsrekrutiert wurden, kamen <strong>James</strong><br />
<strong>Cook</strong>s Männer freiwillig an Bord. Sie wurden<br />
sorgfältig ausgewählt. Mehr als ihre Hängematte<br />
<strong>und</strong> ein paar persönliche Dinge<br />
konnten sie indes nicht mitbringen. Uniformen<br />
gab es keine.<br />
dem Urteil zuvorkam <strong>und</strong> über Bord in den Tod<br />
sprang – nur eine halbe St<strong>und</strong>e, nachdem er erwischt<br />
worden war.<br />
Auch wenn <strong>Cook</strong> nie <strong>die</strong> Todesstrafe vollzog,<br />
scheute er <strong>die</strong> Ahndung von Vergehen nicht. Beson<strong>der</strong>s<br />
streng war er, wenn es um <strong>die</strong> Sauberkeit<br />
ging. Schon <strong>die</strong> kleinste Nachlässigkeit in hygienischen<br />
Belangen konnte den Ausbruch tödlicher<br />
Krankheiten bedeuten – gerade unter den beengten<br />
Verhältnissen auf See. Denn ursprünglich für<br />
eine Besatzung von 16 Mann vorgesehen, mussten<br />
in dem gerade einmal 32 Meter langen ehemaligen<br />
Kohleschiff nun immerhin 94 Seeleute leben<br />
<strong>und</strong> arbeiten!<br />
Viele Matrosen machten sich nicht einmal <strong>die</strong><br />
Mühe, an <strong>die</strong> Reling zu gehen, <strong>und</strong> pinkelten, wo<br />
sie gerade standen, auf <strong>die</strong> Planken – <strong>und</strong> somit<br />
auch in <strong>die</strong> darunter liegenden La<strong>der</strong>äume. Einmal<br />
ließ <strong>Cook</strong> einen Matrosen auspeitschen, weil<br />
er sein großes Geschäft unter Deck verrichtet hatte.<br />
Zu dem von jedwe<strong>der</strong> Privatsphäre freien <strong>und</strong><br />
bei schwerer See lebensgefährlichen Donnerbalken<br />
vor dem Bug des Schiffs ging man eben nur,<br />
wenn es nicht an<strong>der</strong>s ging.<br />
Heute ist nur schwer vorstellbar, wie beklemmend<br />
<strong>die</strong> Enge an Bord <strong>der</strong> »Endeavour« war. Die<br />
Decks waren kaum 1,50 Meter hoch; einzig in <strong>der</strong><br />
Offiziersmesse konnte man gerade so aufrecht<br />
stehen. Während es für <strong>die</strong> Offiziere <strong>und</strong> Wissenschaftler<br />
im Heck ein Dutzend winziger Kabinen<br />
gab, aßen <strong>und</strong> schliefen <strong>die</strong> Matrosen weiter vorn,<br />
in <strong>der</strong> Mannschaftsmesse. Ihre Hängematten<br />
hingen so eng, dass sie schon bei leichtem Seegang<br />
aneinan<strong>der</strong>schlugen. Nicht selten erwachte<br />
epoc.de 35
ein Matrose, weil er von Ratten angenagt wurde.<br />
Die Luft war zum Schneiden, obwohl <strong>Cook</strong> eigens<br />
Segel spannen ließ, um frischen Wind nach unten<br />
zu leiten. Der Raum zwischen den Offizieren <strong>und</strong><br />
den einfachen Matrosen war für <strong>die</strong> Soldaten reserviert<br />
– als Puffer für den Fall einer Meuterei.<br />
An<strong>der</strong>s als bei <strong>der</strong> Royal Navy, <strong>die</strong> zu jener Zeit<br />
einen großen Teil ihrer Männer zwangsrekrutierte,<br />
waren <strong>die</strong> Seeleute an Bord <strong>der</strong> »Endeavour«<br />
sorgfältig ausgewählt worden; <strong>die</strong> meisten von ihnen<br />
keine 30 Jahre alt. Nur dem einhändigen Koch<br />
traute <strong>Cook</strong> sein Handwerk zunächst nicht zu. Am<br />
Ende durfte er aber doch mit.<br />
Schnaps <strong>und</strong> Langeweile<br />
Wie alle Schiffe <strong>Cook</strong>s war auch <strong>die</strong> »Endeavour«<br />
schmucklos – ohne Galionsfigur am Bug <strong>und</strong><br />
ohne Namen am Heck. Und sie war langsam: Bei<br />
optimalen Winden schaffte sie gerade einmal<br />
acht Knoten – so viel wie ein gemächlicher Radfahrer.<br />
Doch dafür war sie robust <strong>und</strong> wegen ihres<br />
geringen Tiefgangs für das Kreuzen durch <strong>die</strong> Inselwelt<br />
Polynesiens bestens geeignet. Trotzdem<br />
überstand <strong>der</strong> Küstensegler aus Whitby <strong>die</strong> 65 000<br />
Kilometer lange Reise keineswegs unbeschadet.<br />
Als <strong>die</strong> »Endeavour« vor ihrer Rückreise in Batavia,<br />
dem heutigen Jakarta, Halt machte, war <strong>der</strong><br />
Rumpf von Würmern zerfressen <strong>und</strong> laut <strong>Cook</strong><br />
»eine große Anzahl <strong>der</strong> Planken entzwei«, sodass<br />
jedem, »<strong>der</strong> den Boden sah, <strong>der</strong> Umstand höchst<br />
erstaunlich schien, dass wir das Schiff über Wasser<br />
hatten halten können«.<br />
Der Alltag auf See war vor allem von einem geprägt:<br />
Langeweile. Je<strong>der</strong> Tag war von drei Wachen<br />
bestimmt <strong>und</strong> einer immer gleichen Routine aus<br />
Segelsetzen <strong>und</strong> -einholen, Deckschrubben, Polieren<br />
<strong>der</strong> Messingteile, Putzen <strong>der</strong> Kanonen, Essen<br />
<strong>und</strong> Schlafen. Dienstags hatte zudem je<strong>der</strong><br />
seine Hängematte zu lüften, am Donnerstag war<br />
Waschtag, an dem <strong>die</strong> Montur in Ermangelung<br />
von Frischwasser meist an einer Leine ins Fahrwasser<br />
gehängt wurde. Auch <strong>die</strong> Männer selbst<br />
wuschen sich nur einmal pro Woche.<br />
Unterbrochen wurde <strong>die</strong> Eintönigkeit nur selten,<br />
zum beispiel wenn <strong>die</strong> Äquatortaufe anstand,<br />
ein bizarres Ritual, dem sich seit jeher – auch heute<br />
noch – alle Seeleute unterziehen müssen, <strong>die</strong><br />
zum ersten Mal im Leben »<strong>die</strong> Linie« überqueren.<br />
Auf <strong>der</strong> »Endeavour« wurden <strong>die</strong> Täuflinge von<br />
den erfahrenen Seeleuten auf einen Stuhl geb<strong>und</strong>en,<br />
den Großmast hinaufgezogen <strong>und</strong> dreimal<br />
in <strong>die</strong> Fluten getaucht. »Zum nicht geringen Vergnügen<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en wurde <strong>die</strong>se Zeremonie an<br />
20 bis 30 Mann vollzogen«, schrieb <strong>Cook</strong>. Mancher<br />
»wäre um ein Haar ertrunken«, notierte<br />
Joseph Banks. Die beiden hatten sich gedrückt<br />
<strong>und</strong> mit vier Tagesrationen Schnaps freigekauft –<br />
Banks löste gleich auch seine Diener <strong>und</strong> seine<br />
H<strong>und</strong>e aus.<br />
Vier Tagesrationen Schnaps: Das war mehr als<br />
zwei Liter pro Mann! Wenn es auf <strong>der</strong> »Endeavour«<br />
etwas in Übermaßen gab, dann war es Alkohol.<br />
In den Fässern unter Deck lagerten 5400<br />
Liter Bier <strong>und</strong> noch einmal <strong>die</strong> gleiche Menge<br />
Arrak, Rum <strong>und</strong> Weinbrand. Neben dem guten<br />
halben Liter Schnaps standen jedem an Bord 4,5<br />
Liter Bier zu. Jeden Tag! Letzteres begann zwar oft<br />
schon nach wenigen Wochen Fäden zu ziehen,<br />
wurde dann aber mit Mehl, Zucker o<strong>der</strong> Salz wie<strong>der</strong><br />
»genießbar« gemacht. Manche seiner Leute<br />
seien »Tag für Tag mehr o<strong>der</strong> weniger betrunken«<br />
gewesen, schrieb <strong>Cook</strong>.<br />
Um ein bisschen Ordnung in das<br />
Gewusel el <strong>der</strong><br />
einfachen Seeleute zu bringen, n, mussten st<br />
sich immer<br />
vier bis sechs von ihnen in einer Gruppe pe<br />
sammenfinden. Einmal im Monat durfte je<strong>der</strong><br />
er<br />
zu-<br />
das »Team« wechseln. Wenn <strong>die</strong> Matrosen <strong>die</strong>s<br />
häufig taten, war das ein Anzeichen für aufkeimende<br />
Unzufriedenheit eit – <strong>die</strong> es<br />
frühzeitig zu<br />
kontrollieren galt. Meist war <strong>die</strong> Bindung <strong>der</strong> Kameraden<br />
aber sehr eng. Starb einer er von<br />
ihnen,<br />
nähten <strong>die</strong> an<strong>der</strong>en ihn fürs nasse Grab<br />
in ein<br />
Segel. Der, <strong>der</strong> den letzten ten Stich machte, bekam<br />
ein paar Pennys dafür. Denn er stach <strong>die</strong><br />
Nadel durch <strong>die</strong> Nase des<br />
Kameraden aden<br />
– zum<br />
einen, um sicher zu stellen, len,<br />
dass s <strong>die</strong>ser<br />
er<br />
wirklich tot war, zum an<strong>der</strong>en, n,<br />
damit er<br />
beim Überbordgehen nicht aus<br />
dem<br />
gel rutschte.<br />
Sen<br />
<strong>und</strong> Banks’<br />
beiden Windh<strong>und</strong>en tummelten<br />
sich auf <strong>der</strong> »Endeavour«<br />
auch 17 Schafe,<br />
Neben den 94 Mann<br />
24 Hühner sowie vier<br />
Je<strong>der</strong> fünfte an Bord <strong>der</strong><br />
»Endeavour« machte im<br />
Lauf seiner Reise mindestens<br />
einmal Bekanntschaft<br />
mit <strong>der</strong> neunschwänzigen<br />
Katze. Bei den meisten<br />
Vergehen setzte es zwölf<br />
Hiebe auf den nackten<br />
Rücken (das Bild zeigt eine<br />
Szene auf einem Schiff <strong>der</strong><br />
Royal Navy von 1825).<br />
UNTEN: BRIDGEMAN BERLIN; LINKS:NATIONAL MARITIME MUSEUM, GREENWICH, LONDON<br />
36 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
Schweine. Und eine Ziege, <strong>die</strong> schon vor <strong>Cook</strong> <strong>die</strong><br />
Welt umsegelt hatte <strong>und</strong> einzig dazu da war, Milch<br />
für den Kaffee <strong>der</strong> Offiziere zu liefern. Das Essen<br />
war streng rationiert. Von den zehn Tonnen<br />
Schiffszwieback an Bord bekam je<strong>der</strong> Seemann<br />
täglich 450 Gramm. Manche mochten ihn nur<br />
nachts verspeisen, wenn es dunkel war. Wegen<br />
des Ungeziefers. »Ich habe oft gesehen, wie jemand<br />
H<strong>und</strong>erte, ja Tausende von Maden aus<br />
einem einzigen Zwieback schüttelte«, erinnerte<br />
sich Banks. Pro Woche gab es zudem zwei Kilogramm<br />
Pökelfleisch – das selbst für Maden zu<br />
hart war, sich aber für Schnitzereien eignete –, einen<br />
Liter Erbsenbrei, zwei Pf<strong>und</strong> Haferflocken,<br />
170 Gramm Butter <strong>und</strong> 340 Gramm Käse. Wer<br />
dann noch hungrig war, dem wurde wind pudding<br />
empfohlen: ein paar tiefe Luftzüge an Deck.<br />
Die Offiziere <strong>und</strong> Wissenschaftler waren auch kulinarisch<br />
bessergestellt. Sie durften ihren eigenen<br />
Proviant mitnehmen.<br />
Beson<strong>der</strong>s unbeliebt waren <strong>die</strong> Unmengen von<br />
Sauerkraut an Bord. 3500 Kilogramm hatte <strong>Cook</strong><br />
laden lassen in <strong>der</strong> Hoffnung, damit endlich den<br />
Kampf gegen Skorbut zu gewinnen. Diese Geißel<br />
<strong>der</strong> Seefahrt – eine tödliche Erkrankung infolge<br />
Vitamin-C-Mangels – raffte regelmäßig ganze Besatzungen<br />
dahin. Als Ferdinand Magellan im Jahr<br />
1520 den Pazifik querte <strong>und</strong> es außer Ratten nur<br />
noch gekochtes Le<strong>der</strong> <strong>und</strong> Sägespäne zu essen<br />
gab, verlor er mehr als 80 Prozent seiner Leute!<br />
Noch Anfang des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts starben in <strong>der</strong><br />
englischen Navy mehr Männer an Skorbut als<br />
durch <strong>die</strong> Kugeln feindlicher Schiffe. Und niemand<br />
wusste, warum. Erst 1754 erkannte <strong>der</strong> britische<br />
Schiffsarzt <strong>James</strong> Lind, dass man dem Leiden<br />
mit Zitrusfrüchten beikommen konnte.<br />
Mit List gegen Skorbut<br />
Anfangs äußert sich <strong>die</strong> Krankheit in Müdigkeit<br />
<strong>und</strong> Schwäche. Dann brechen im M<strong>und</strong> eitrige<br />
Geschwüre auf, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zähne fallen aus – daher<br />
<strong>der</strong> Name <strong>der</strong> Krankheit: skorbutus, lateinisch für<br />
M<strong>und</strong>fäule. Wenn sich schließlich <strong>die</strong> Knochen<br />
entzünden <strong>und</strong> auf <strong>der</strong> Haut schwarze Flecken erscheinen,<br />
ist das Ende nah. Es kommt zu inneren<br />
Blutungen <strong>und</strong> schließlich zu Herzversagen.<br />
Um <strong>die</strong> Männer, <strong>die</strong> sich mit Alkohol, nicht<br />
aber mit Sauerkraut bei Laune halten ließen, vom<br />
Verzehr <strong>der</strong> Vitamin-C-reichen Kost zu überzeugen,<br />
griff <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> zu einer List: Er befahl seinen<br />
Offizieren, große Mengen davon zu essen –<br />
<strong>und</strong> sie sollten <strong>die</strong>s mit offenk<strong>und</strong>igem Genuss<br />
tun. »Denn <strong>die</strong>ses ist <strong>die</strong> Wesensart <strong>der</strong> Seeleute<br />
im Allgemeinen: Es missfällt ihnen alles, mag es<br />
auch noch so sehr ihrem Besten <strong>die</strong>nen«, schrieb<br />
<strong>Cook</strong> ins Tagebuch. »Doch in dem Augenblick, da<br />
Chemisch handelt es sich bei<br />
Vitamin C um Ascorbinsäure – von<br />
a scorbutus: gegen <strong>die</strong> M<strong>und</strong>fäule.<br />
Zur Vorsorge reichen zehn Milligramm<br />
Vitamin C am Tag – das enthält<br />
etwa eine halbe Zitrone<br />
sie sehen, dass ihre Vorgesetzten Wert darauf legen,<br />
wird es das Köstlichste auf Erden.«<br />
Ob das so lange in den Fässern gelagerte Sauerkraut<br />
überhaupt noch einen nennenswerten Vitamin-C-Gehalt<br />
hatte <strong>und</strong> am Ende etwas nutzte, ist<br />
allerdings fraglich. Dass es an Bord von <strong>Cook</strong>s<br />
Schiffen tatsächlich nur ganz wenige Skorbutfälle<br />
gab, hatte wohl an<strong>der</strong>e Gründe. So lobte <strong>der</strong> Kapitän<br />
<strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> bei jedem Landgang »so gut<br />
wie jede Wurzel <strong>und</strong> jede Sorte Obst essen«, so<br />
sehr, dass <strong>die</strong>s, wie ein Matrose schrieb, bald »Sitte<br />
unter den Kameraden« wurde. Zudem verbot<br />
<strong>Cook</strong> seinen Leuten, mit dem Schiffszwieback<br />
durch <strong>die</strong> fettigen Pfannen zu fahren. Zwar<br />
glaubte er, auf <strong>die</strong>se Weise nur etwas gegen <strong>die</strong><br />
»stinkende Luft« in ihren Leibern zu tun, tatsächlich<br />
aber beseitigte er eine Ursache für <strong>die</strong> Krankheit.<br />
Das salzige <strong>und</strong> kupferhaltige Kochfett vermin<strong>der</strong>te<br />
nämlich schlicht <strong>die</strong> Vitaminaufnahme<br />
im Körper.<br />
Machtlos indes war <strong>Cook</strong> gegen <strong>die</strong> grassierenden<br />
Geschlechtskrankheiten. Wenn <strong>die</strong> Männer<br />
Wochen o<strong>der</strong> gar Monate allein auf See gewesen<br />
waren, erschienen ihnen <strong>die</strong> Eilande <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong><br />
wie Para<strong>die</strong>se. In den Logbüchern ist von<br />
unzähligen erotischen Abenteuern <strong>die</strong> Rede.<br />
Joseph Banks war den Frauen <strong>der</strong> <strong>Südsee</strong> beson<strong>der</strong>s<br />
zugetan. Am Abend des 3. Juni 1769 etwa, als<br />
sich alle mit <strong>der</strong> Venus am Himmel beschäftigten,<br />
berichtet <strong>der</strong> flotte Botaniker von »drei ansehnlichen<br />
Mädchen« in einem Kanu: »Sie plau<strong>der</strong>ten<br />
mit großer Offenheit <strong>und</strong> ließen sich ohne lange<br />
Überredung darauf ein, ihr Gefährt wegzuschicken<br />
<strong>und</strong> im Zelt zu übernachten.«<br />
Wie Banks hielten es fast alle an Bord. Obwohl<br />
<strong>die</strong> Folgen ihres Tuns katastrophal waren. Nicht<br />
einmal 100 Jahre nach <strong>der</strong> Ankunft <strong>der</strong> Europäer<br />
war <strong>die</strong> Bevölkerung Tahitis infolge eingeschleppter<br />
Krankheiten von r<strong>und</strong> 200 000 auf knapp<br />
7200 Menschen dezimiert worden! Der Einzige,<br />
<strong>der</strong> sich darum sorgte, war <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>. Vergebens:<br />
»Alles, was ich tun konnte, war von geringem<br />
Nutzen«, klagte er, »weil nicht ein Mann auf<br />
dem Schiff mir darin zur Hilfe kam.« Ÿ<br />
DAS SCHICKSAL<br />
DER »ENDEAVOUR«<br />
<strong>Cook</strong>s erstes Schiff wurde<br />
nach seiner Rückkehr wie<strong>der</strong><br />
zu einem Frachter umgebaut<br />
<strong>und</strong> pendelte mehrmals<br />
zwischen England <strong>und</strong><br />
den Falklandinseln hin <strong>und</strong><br />
her. Später segelte es unter<br />
dem Namen »Lord Sandwich«<br />
nach Russland <strong>und</strong><br />
<strong>die</strong>nte schließlich vor <strong>der</strong><br />
amerikanischen Küste als<br />
Truppentransporter <strong>und</strong><br />
Gefängnisschiff. Im August<br />
1778 wurde <strong>die</strong> ehemalige<br />
»Endeavour« zusammen<br />
mit mehreren an<strong>der</strong>en<br />
Schiffen von den eigenen<br />
Leuten versenkt, um den<br />
Franzosen den Zugang zur<br />
Bucht von Narrangasett<br />
auf Rhode Island zu verwehren.<br />
Dort liegt <strong>Cook</strong>s<br />
Schiff bis heute auf dem<br />
Gr<strong>und</strong> des Atlantiks – konnte<br />
aber bisher nicht eindeutig<br />
identifiziert werden.<br />
epoc.de 37
Für Kin<strong>der</strong><br />
Z wei kleine Passagiere …<br />
unterwegs mit<br />
Hallo,<br />
ihr Grünschnäbel! Vor<br />
acht Jahren stach ich zum ersten<br />
Mal mit Kapitän <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> in See!<br />
Nun ist es wie<strong>der</strong> so weit, wir brechen<br />
auf, um einen Seeweg zwischen<br />
Pazifik <strong>und</strong> Atlantik zu finden.<br />
Seid ihr dabei?<br />
IM HAFEN VON PLYMOTH AM 12. JULI 1776<br />
Na<br />
klar! Ich hab<br />
keine Angst vor den<br />
Eisbergen!<br />
J ames<br />
<strong>Cook</strong><br />
Atlantik<br />
GROS<br />
S-<br />
BRIT<br />
ANNI<br />
N<br />
EN<br />
AFR<br />
IKA<br />
Rückreise nach <strong>Cook</strong>s Tod<br />
Route <strong>der</strong> dritten Seereise<br />
Ich<br />
hoffe nur, ich werde<br />
nicht seekrank – ich war<br />
noch nie auf einem<br />
Segelschiff.<br />
AUST<br />
RAL<br />
I EN<br />
Indischer Ozean<br />
ALLE ILLUSTRATIONEN DIESER DOPPELSEITE: EPOC / CONSTANZE SCHEIDEMANN, WIESBADEN<br />
EINIGE WOCHEN SPÄTER AUF HOHER SEE …<br />
Augen<br />
zu <strong>und</strong> durch – ist<br />
doch alles nur zu<br />
eurem Besten.<br />
Arrg,<br />
mir ist so<br />
schlecht!<br />
Der<br />
Seegang ist gar<br />
nicht so schlimm,<br />
aber von <strong>die</strong>sem Fraß<br />
kann einem wirklich übel<br />
werden. Jeden Tag nur<br />
Sauerkraut mit<br />
Zitronensaft!<br />
Skorbut<br />
Zu <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>s Zeiten starben <strong>die</strong><br />
meisten Seeleute an einer Krankheit<br />
namens Skorbut. Der Mangel an<br />
Vitamin C machte <strong>die</strong> Männer<br />
schlapp <strong>und</strong> traurig. Nach einiger<br />
Zeit fielen den Matrosen <strong>die</strong> Zähne<br />
aus, <strong>und</strong> am Ende starben sie<br />
qualvoll. Vom Marinearzt <strong>James</strong> Lind<br />
wusste <strong>Cook</strong>, dass Zitrusfrüchte <strong>und</strong><br />
Gemüse gegen <strong>die</strong> Krankheit helfen<br />
könnten. Also ließ <strong>der</strong> Kapitän<br />
tonnenweise Zitronen <strong>und</strong> unver<strong>der</strong>bliches<br />
Sauerkraut bunkern. Mit<br />
dem Erfolg, dass tatsächlich keiner<br />
seiner Männer an Skorbut starb!<br />
38 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
Ooh!<br />
Ah!<br />
Oh<br />
nein!<br />
Am 14. Februar 1779 nahm das Leben des großen Entdeckers<br />
<strong>James</strong> <strong>Cook</strong> ein jähes Ende. Weil <strong>der</strong> Schiffsmast<br />
repariert werden musste, ließ <strong>Cook</strong> vor Hawaii ankern.<br />
Fasziniert vom Besitz <strong>der</strong> Fremden klauten <strong>die</strong> Ureinwohner<br />
alles, was nicht niet- <strong>und</strong> nagelfest war. Zornig setzte <strong>Cook</strong><br />
mit ein paar Soldaten auf <strong>die</strong> Insel über. Es kam zum Kampf, in<br />
dem <strong>der</strong> Kapitän starb. <strong>Cook</strong>s Leute waren schockiert, gaben<br />
aber nicht auf: Sie versuchten ein zweites Mal <strong>die</strong> Nordwestpassage<br />
zu finden – wie<strong>der</strong> vergeblich. Die Meeresstraße<br />
wurde erst 1906 von Roald Am<strong>und</strong>sen entdeckt.<br />
Trotzdem war <strong>Cook</strong>s letzte Reise kein Misserfolg. Er <strong>und</strong><br />
seine Mannschaft hatten nicht nur neue Län<strong>der</strong>, Kulturen,<br />
Tiere <strong>und</strong> Pflanzen kennen gelernt, son<strong>der</strong>n auch gezeigt, was<br />
nötig ist, um seinen persönlichen Horizont zu erweitern: Mut,<br />
Geduld <strong>und</strong> Disziplin – vor allem aber <strong>der</strong> Wille, niemals<br />
aufzugeben!<br />
ZWISCHEN EISSCHOLLEN IM AUGUST 1778<br />
Ich<br />
hoffe, wir kehren<br />
bald um <strong>und</strong> überwintern<br />
auf einer<br />
warmen Insel.<br />
Putzen,<br />
schrubben,<br />
scheuern – jeden Tag<br />
dasselbe! Und das schon<br />
seit Monaten. So eintönig<br />
hab ich mir das Seefahrerleben<br />
nicht vorgestellt.<br />
NORD-<br />
AME<br />
RIK<br />
A<br />
HAWAIIA Brrr!<br />
Dass es so schwierig<br />
ist, durchs Eis zu<br />
segeln, hätte ich nie<br />
geglaubt.<br />
Pazifik<br />
1777, MITTEN AUF DEM PAZIFIK<br />
SÜD -<br />
AME<br />
RIK<br />
IKA<br />
Nordwestpassage<br />
<strong>Cook</strong> unternahm insgesamt drei Reisen. Die letzte führte<br />
ihn <strong>und</strong> seine Leute in eisige Regionen. Sie suchten<br />
<strong>die</strong> Nordwestpassage, eine Meeresstraße, <strong>die</strong> im hohen<br />
Norden den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Die<br />
Briten wollten einen schnellen Zugang zu den Reichtümern<br />
Ostasiens finden. Doch das Unternehmen scheiterte:<br />
Den ganzen Sommer kämpften sie sich durch <strong>die</strong><br />
arktische See, doch das Eis versperrte ihnen den Weg.<br />
Die Kälte, Todesfälle <strong>und</strong> Schäden am Schiff trieben <strong>die</strong><br />
Besatzung an den Rand <strong>der</strong> Verzweiflung. Im Oktober<br />
1778 gab <strong>Cook</strong> auf. Im nächsten Sommer wollte er es<br />
wie<strong>der</strong> versuchen – doch dazu kam es nicht mehr …<br />
Ach, ich<br />
hätte so gerne mal<br />
ein echtes Känguru<br />
gesehen!<br />
Terra australis incognita<br />
Auf seiner ersten Reise hatte <strong>James</strong> <strong>Cook</strong> einen geheimen<br />
Auftrag erhalten: »Ihr sollt gen Süden fahren,<br />
um den Kontinent zu entdecken.« Die britische Admiralität<br />
wollte <strong>die</strong> Terra australis incognita finden –<br />
den legendären Südkontinent, an dessen Existenz<br />
schon <strong>die</strong> alten Griechen geglaubt hatten. Doch wo<br />
<strong>Cook</strong> <strong>und</strong> seine Männer auch suchten, von riesigen<br />
Landmassen war keine Spur zu sehen. Stattdessen<br />
entdeckten sie <strong>die</strong> Ostküste Australiens, <strong>die</strong> neuseeländischen<br />
Inseln, Hawaii <strong>und</strong> viele an<strong>der</strong>e <strong>Südsee</strong>inseln<br />
– sowie zahllose unbekannte Pflanzen <strong>und</strong><br />
Tiere wie das Känguru. Die Terra australis incognita<br />
aber entpuppte sich als fixe Idee, als Mythos ohne<br />
wahren Kern.<br />
epoc.de 39
Die HMS<br />
Endeavour<br />
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Bugspriet<br />
Fockmast<br />
Kranbalken<br />
Anker<br />
Vor<strong>der</strong>deck<br />
Glocke<br />
Ankerwinde<br />
Galgen<br />
Hauptdeck<br />
Hauptluke<br />
Hauptmast<br />
Achterdeck<br />
Winde<br />
Deckskanone<br />
Steuerrad<br />
Kreuzmast<br />
Lüfterhorn<br />
Pinne<br />
Drehbasse<br />
Offiziersmesse<br />
Kabine von Joseph Banks<br />
Kabine von <strong>James</strong> <strong>Cook</strong><br />
Lobby<br />
Kabine von Charles Green (Astronom)<br />
Kabine eines <strong>der</strong> Zeichner<br />
Kabine eines <strong>der</strong> Künstler<br />
Kombüse<br />
Mannschaftsmesse<br />
Segelraum<br />
Kabine des Bootsmanns<br />
Lagerraum des Bootsmanns<br />
Magazin<br />
Proviant<br />
Vorräte des Stewards<br />
Kabine des Kanoniers<br />
Kabine des Schiffsarztes<br />
Kabine des 1. Offiziers<br />
Kabine des 2. Offiziers<br />
Kabine des Navigators<br />
Ru<strong>der</strong><br />
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Schiffsdaten<br />
Typ: ...................................... Bark o<strong>der</strong> »Whitby Cat«:<br />
Kohlefrachter<br />
Werft: .................................. Thomas Fishburn, Whitby<br />
Stapellauf: ........................ 1764 als » Earl of Pembroke«<br />
Umbau: ............................. 1768: »HMS Endeavour«<br />
Kaufpreis (1768): ............ 2800 Pf<strong>und</strong><br />
Besatzung: ........................ 73 Mann, 12 Marinesoldaten<br />
9 Wissenschaftler<br />
Gesamtlänge: ................. 39,7 Meter<br />
Breite: ................................. 8,9 Meter<br />
Tiefgang: ........................... 3,4 Meter<br />
Gewicht: ............................ 900 Tonnen<br />
Segelfläche: ...................... 2777 Quadratmeter<br />
Geschwindigkeit: ........... 7 – 8 Knoten (13 – 15 Kilometer pro St<strong>und</strong>e)<br />
Zuladung: ......................... 600 Tonnen<br />
Bewaffnung: ................... 10 Deckskanonen <strong>und</strong> 12 Drehbassen<br />
40 epoc <strong>James</strong> <strong>Cook</strong>
SCHIFF: MIT FRDL. GEN. DES ZEICHNERS DAVID HOBBS UND DES AUSTALIAN NATIONL MARITIME MUSEUM (BESITZER DES NACHBAUS DER HM BARK ENDEAVOUR); FIGUREN: EPOC / CONSTANZE SCHEIDEMANN, WIESBADEN<br />
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Preisrätsel | Gewinnen Sie einen Besuch <strong>der</strong> Ausstellung<br />
byzanz<br />
pracht <strong>und</strong> alltag<br />
26. Februar bis 20. Juni 2010<br />
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O<strong>der</strong> als E-Mail an: raetsel@epoc.de<br />
Einsendeschluss: 28. Februar 2010<br />
Frage: Die täglichen Rationen an<br />
Bord <strong>der</strong> »Endeavour« waren nicht<br />
üppig. Welche »Speise« wurde hungrigen<br />
Matrosen empfohlen?<br />
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inklusive Frühstück sowie <strong>der</strong> Eintritt in <strong>die</strong><br />
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42 epoc.de
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