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Rosskastanienalle auf einem Rheindeich (PDF) - Department für ...

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L. Wessolly · <strong>Rosskastanienalle</strong>e <strong>auf</strong> <strong>einem</strong> <strong>Rheindeich</strong>: Wechselwirkungen und Sicherheiten<br />

<strong>Rosskastanienalle</strong>e <strong>auf</strong> <strong>einem</strong> <strong>Rheindeich</strong>:<br />

Wechselwirkungen und Sicherheiten<br />

Dr. Ing. Lothar Wessolly<br />

öbv Sachverständiger<br />

baumstatik.sag@t-online.de<br />

Nittelwaldstraße 22<br />

70195 Stuttgart<br />

Tel.: +49-711-244052; Fax: +49-711-2360231<br />

Nach dem Jahrtausendhochwasser an Donau, Elbe, Mulde und Moldau<br />

und auch wegen der Überflutung von New Orleans ist die Deichsicherheit<br />

hoch aktuell geworden. Dabei gilt unser Augenmerk besonders der<br />

Wechselwirkung zwischen Bäumen und Deichen.<br />

Durch die statischen Untersuchungsmethoden SIA und SIM konnte zur<br />

Sicherheitsbeurteilung eines baumbestandenen <strong>Rheindeich</strong>es beigetragen<br />

werden. Zu dieser Untersuchung ist die Be<strong>auf</strong>tragung schon vor dem<br />

Jahrhunderthochwasser erfolgt.<br />

1 DIN 19712 Flussdeiche<br />

Die DIN 19712 Flussdeiche von 1997 beginnt mit der Einleitung:<br />

Eine der ältesten Methoden des Hochwasserschutzes<br />

ist der Bau von Deichen. Sie sind über Jahrhunderte<br />

mit der Besiedlung der Talräume durch den Menschen<br />

gewachsen, weil sich Sicherheitsbedürfnisse und Hochwasserabflüsse<br />

erhöht haben. Höhere Hochwasserscheitel<br />

– u. a. bedingt durch eine zunehmende Ausgrenzung<br />

von Überschwemmungsflächen und das verminderte<br />

Rückhaltevermögen in den Einzugsgebieten – erfordern<br />

Deichneubauten und Baumaßnahmen an bestehenden<br />

Deichen.<br />

Außerdem: Die in dieser Norm enthaltenen Grundsätze<br />

sind entsprechend den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten<br />

zu ergänzen.<br />

Deiche sind im Großen und Ganzen Erdwälle, die<br />

sich im L<strong>auf</strong> der Zeit selbst begrünen würden. Deshalb ist<br />

in dieser Norm unter Nr. 12 die Rubrik Bewuchs <strong>auf</strong>geführt.<br />

Hier ist nach der o. g. Norm nur der Rasen willkommen,<br />

da er Ausspülungen behindert.<br />

12.2 Formen des Bewuchses<br />

Über Gehölze steht folgendes: Gehölze setzen sich zusammen<br />

aus Sträuchern und Bäumen. Auf Deichen dürfen<br />

sie nur unter besonderen Bedingungen geduldet werden<br />

(siehe 12.4).<br />

12.4 Gehölze<br />

Gehölzbestände werden entweder durch Pflanzung begründet,<br />

oder sie entwickeln sich über die natürlichen<br />

Sukzessionsstadien. Bei unterlassener Pflege können sie<br />

langfristig zu waldartigen Beständen <strong>auf</strong>wachsen, die <strong>auf</strong><br />

Deichen grundsätzlich nicht zulässig sind.<br />

Die Deich-DIN schreibt: Gehölze können die Standsicherheit<br />

von Deichen durch unterschiedliche Auswirkungen<br />

beeinträchtigen:<br />

1. Bei starkem Sturm kann der Deichboden durch Baumwurzeln<br />

gelockert werden: umstürzende Bäume reißen<br />

Löcher in den Deich.<br />

2. Bei starken Strömungen und Wellenschlag ist wasserseitiger<br />

Gehölzbewuchs Ansatzpunkt <strong>für</strong> eine Deichbeschädigung<br />

3. Verrottende Wurzeln alter Gehölzbestände und Wurzelfraß<br />

durch Wühltiere können zu Hohlräumen und<br />

Sickerungen im Deich führen.<br />

4. Die Überwachung von Wühltieren wird unter Gehölzen<br />

erschwert<br />

5. Starke und dauernde Beschattung unterdrückt den<br />

Graswuchs und schädigt die Grasnarbe.<br />

6. Die zur Deichüberwachung erforderlichen Kontrollen,<br />

die Deichverteidigung und die maschinelle Unterhaltung<br />

der Deiche werden erschwert.<br />

Weiter schreibt die DIN: Wenn unter Hinweis <strong>auf</strong> das<br />

Landschaftsbild <strong>auf</strong> eine Bepflanzung von Deichen gedrängt<br />

wird, ist zu beachten:<br />

7. Nicht überdimensionierte Deiche aus Bodenarten, die<br />

eine Durchwurzelung begünstigen, müssen frei von Gehölzen<br />

bleiben.<br />

8. Wasserseitige Böschungen und Bermen, der Bereich der<br />

Deichkrone und alle Überl<strong>auf</strong>strecken sowie überströmbare<br />

Teilschutzdeiche sind von Gehölzen freizuhalten.<br />

9. Gehölzpflanzungen müssen so angelegt sein, dass die<br />

Wurzeln der Gehölze nicht in den erdstatisch erforderlichen<br />

Deichquerschnitt eindringen.<br />

© Ernst & Sohn Verlag <strong>für</strong> Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik und Naturgefahren<br />

1


L. Wessolly · <strong>Rosskastanienalle</strong>e <strong>auf</strong> <strong>einem</strong> <strong>Rheindeich</strong>: Wechselwirkungen und Sicherheiten<br />

Bild 1: Der Deich bei Neuss von der Landseite gesehen: Die Allee betont die Barriere Deich und gibt der Landschaft ein<br />

Gesicht.<br />

10. Das untere Drittel der landseitigen Böschungen muss<br />

<strong>für</strong> Sickerwasserbeobachtungen und <strong>für</strong> die Deichverteidigung<br />

gehölzfrei bleiben.<br />

11. Bepflanzungen sollten in Gruppen vorgenommen werden.<br />

Die Belange der Unterhaltung sind zu beachten.<br />

12. Bäume sollten vom Deichfuß soweit abgesetzt sein,<br />

dass sie <strong>auf</strong> der Wasserseite keine Kolke im Deichbereich<br />

verursachen und mit ihren Wurzeln nicht in den<br />

Deich einwachsen können<br />

13. Normalwüchsige Bäume sollten im Hinterland einen<br />

Mindestabstand von 10 m (Pappel 30 m) vom Deichfuß<br />

<strong>auf</strong>weisen, Sträucher können auch bis zum Deichschutzstreifen<br />

hin gepflanzt werden. Dieser Mindestabstand<br />

gilt auch im Vorland <strong>für</strong> Bäume, die den<br />

Deich vor Eisschäden schützen sollen.<br />

14. Gehölze im Vorland dürfen nicht zu einer unzulässigen<br />

Einschränkung des Hochwasserabflusses führen.<br />

Zusammengefasst läßt sich festhalten: Nach den Verfassern<br />

der DIN 19712 sind Bäume <strong>auf</strong> Deichen unerwünscht!<br />

2 Der <strong>Rheindeich</strong> in Neuss<br />

Auf der Deichkrone bei Neuss (Bild 1 und 2) stehen <strong>auf</strong><br />

einer Länge von 2,5 km beidseitig des Dammkronenweges<br />

in quadratischem Abstand von 10 m knapp 500 Rosskastanien<br />

und Linden mit <strong>einem</strong> Alter von etwa 65 Jahren.<br />

Sie sind bis 22 m hoch und im Stamm bis zu 1 m dick.<br />

Als Naturdenkmale ausgewiesen dienen sie zusätzlich der<br />

Erholung der Bevölkerung. Das zeigt sich daran, dass der<br />

Deichweg im Gegensatz zu unbepflanzten Deichen von<br />

Fußgängern häufig <strong>auf</strong>gesucht wird. Die Bäume vermitteln<br />

Schutz und Geborgenheit.<br />

Somit steht der Wert der Deichallee den o. g. Argumenten<br />

der Deich-DIN-Verfasser entgegen. Andererseits<br />

spricht die Norm schon zu Beginn von der Ergänzung der<br />

Grundsätze entsprechend den jeweiligen örtlichen Begebenheiten<br />

– was immer das heißen mag.<br />

Wegen dieser widersprüchlichen Situation (positive<br />

Langzeiterfahrung <strong>auf</strong> der einen Seite – die aktuelle DIN<br />

<strong>auf</strong> der anderen Seite) wurden vom zuständigen Deich-<br />

Bild 2: Die Wohlfahrtswirkung wird hier offensichtlich. Der Deichkronenweg lädt zum Spaziergang ein.<br />

2<br />

Bautechnik und Naturgefahren


L. Wessolly · <strong>Rosskastanienalle</strong>e <strong>auf</strong> <strong>einem</strong> <strong>Rheindeich</strong>: Wechselwirkungen und Sicherheiten<br />

gräfen das Ing.- und Sachverständigenbüro Wessolly und<br />

die Deichexperten der Seidl & Partner, Gesamtplanungs<br />

GmbH, Regensburg mit der Erstellung eines gemeinsamen<br />

Sicherheitsgutachtens be<strong>auf</strong>tragt.<br />

Daten aus den Baumuntersuchungen sollten in die<br />

Rechenansätze der Deichberechnung mit den Finiten Elementen<br />

eingehen. Darüber hinaus sollte die Sicherheit<br />

der Allee erfasst werden, um zu vermeiden, dass Bäume<br />

bei Sturm ausbrechen und ein Loch in den eventuell vom<br />

Hochwasser bedrängten Deich reißen. Auch dieser Fall<br />

wurde als „schlechtester anzunehmender Fall“ im Rechenmodell<br />

simuliert.<br />

In <strong>einem</strong> ersten Durchgang wurden alle 489 Bäume<br />

zur Wieder<strong>auf</strong>findung nummeriert. Mit der Statisch Integrierten<br />

Abschätzung (SIA) wurde ihre Grundsicherheit<br />

bestimmt. Durch Schadsymptome <strong>auf</strong>fällig gewordene<br />

Exemplare wurden genauer in Augenschein genommen.<br />

Bäume mit niedrigen Sicherheiten wurden in einer computerisierten<br />

Lastanalyse analog DIN 1056 präziser durchleuchtet.<br />

Zum Schluss blieben 21 Bäume (4,3 % von allen)<br />

mit zu geringer Ausgangssicherheit übrig. Das heißt sie<br />

könnten bei <strong>einem</strong> Orkan ein Loch in den Deich reißen.<br />

Mit <strong>einem</strong> leichten Rückschnitt war diese Unsicherheit zu<br />

beheben.<br />

Aus der Gesamtmenge wurden dann stellvertretend<br />

35 Bäume <strong>für</strong> einen Zugversuch (SIM: Inclino- und<br />

Elastomethode) ausgewählt und untersucht (Bild 3). Davon<br />

waren 15 Linden und 20 Rosskastanien.<br />

Bild 3: Bei der Messung der Baumsicherheiten mittels Zugversuch<br />

2.1 Das Ergebnis der baumstatischen Untersuchung<br />

Visuelle Auffälligkeiten waren das deutliche Zurückbleiben<br />

des Dickenwachstums der Linden gegenüber den Rosskastanien.<br />

Das lässt sich durch die mittleren Widerstandsmomente,<br />

die die geometrische Tragfähigkeit beschreiben verdeutlichen.<br />

Im Stamm ermittelten sich bei den Linden ein<br />

mittleres Widerstandsmoment von 7900 cm 3 und bei den<br />

Rosskastanien von 35 000 cm 3. Die Ross-kastanien zeigten<br />

häufig eine sehr flache Verwurzelung mit der Bildung von<br />

sog. Würgewurzeln.<br />

In der Auswertung der Zugversuche ergab sich eindeutig,<br />

dass die flache Verwurzelung, Adventiv- oder Würgewurzelbildung<br />

der Rosskastanien keinerlei negativen<br />

Einfluss <strong>auf</strong> die Standsicherheit hatten. Die Linden zeigten<br />

hier ein Defizit von 15 % gegenüber Normalstandorten.<br />

Auffällig ist, dass neben der niedrigen Grundsicherheit<br />

der Linden – aller Wahrscheinlichkeit nach von dem<br />

stärker verspürten Konkurrenzdruck ausgelöst (Rosskastanien<br />

sind früher belaubt), im Bruchsicherheitsbereich mit<br />

verstärkten Materialsteifigkeiten und Festigkeiten begegnet<br />

wird, während die Verankerung im Boden eindeutig<br />

hinterherhinkt. Die Rosskastanie scheint somit gegenüber<br />

der Linde der geeignetere Baum <strong>für</strong> die Deichbepflanzung.<br />

Dass Rosskastanien wesentlich besser als Linden wurzeln,<br />

hatten auch eigene Untersuchungen und von S. RAU zur<br />

Verankerungsqualität unterschiedlicher Baumarten bei<br />

der Baumschule BRUNS ergeben.<br />

Bis <strong>auf</strong> wenige Ausnahmen waren alle Bäume sicher,<br />

so dass hier der DIN-Beeinträchtigungsfall 1, Löcher im<br />

Deich nicht <strong>auf</strong>treten wird. Beeinträchtigungsfall 3 durch<br />

mögliche Wurzelverrottung entstehende Hohlkanäle sind<br />

aus geometrischen Gründen nicht zutreffend, denn alle<br />

Wurzeln haben wegen des Standes der Bäume <strong>auf</strong> der<br />

Deichkrone eine Richtung, die im Stamm die höchste<br />

Stelle haben und somit keine horizontale Durchströmung<br />

zulassen. Beeinträchtigungsfall 4: Trotz der Bäume ließen<br />

sich Wühltiere sehr gut kontrollieren. Es könnte auch<br />

denkbar sein, dass die Bäume Eulen erst die Möglichkeit<br />

zum Ansitzen bieten, die dann nächtlicherweise die Wühltierpopulation<br />

dezimieren könnten. Darüber hinaus wurden<br />

die Deichkrone und das Vorland tagsüber von vielen<br />

Hundebesitzern als Spazierweg benutzt, was die Entwicklung<br />

einer Kaninchenpopulation verhindert.<br />

Die Beschattung, Punkt 5 der DIN war zwar gegeben,<br />

doch war die Güte der Grasnarbe hierbei stark von der<br />

Himmelsrichtung des Deiches abgängig.<br />

Der große Abstand der Bäume von je 10 m lässt sehr<br />

gut eine Befahrung der Deichkrone zu, so dass die Bäume<br />

keine Behinderung der Deichkontrolle darstellen.<br />

2.2 Das Ergebnis der Berechnungen<br />

In die FE-Berechnungen gingen die Werte der baumstatischen<br />

Untersuchungen als Ausgangsgrößen ein. Darüber<br />

hinaus sind zur Ergründung des Deich<strong>auf</strong>baus Bohrungen<br />

vorgenommen worden.<br />

Beim Deich Neuss war rechnerisch ohne Belang, ob<br />

die Bäume standen, oder im schlimmst anzunehmendem<br />

Fall herausgerissen waren.<br />

Interessant war allerdings ein anderer Aspekt, der in<br />

der Hangstabilisierung im ingenieurbiologischen Bauen<br />

verwirklich wird. Erdreich ist nicht zugbelastbar. Wurzeln<br />

Bautechnik und Naturgefahren 3


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Bild 4: Undurchdringliches Wurzelvlies der Rosskastanie<br />

unmittelbar unter der Grasnarbe stabilisiert den<br />

Deich wie ein Jutesack den Sand, selbst wenn der<br />

Sand nass ist.<br />

Bild 6: Das unter dem Vlies liegende zugbelastbare Wurzelgeflecht<br />

das Erd-Sand-Gemisch des Deiches zusammen, stabilisiert<br />

die Statik im Fall einer Durchnässung und verhindert<br />

Ausspülungen (Bild 5).<br />

2.4 Der Kippversuch<br />

Der Kippversuch selbst hat ein erstaunliches Ergebnis an<br />

dieser ausgewählten Rosskastanie ergeben. Ihre Standsicherheit<br />

war wesentlich besser entwickelt als vergleichbare<br />

Bäume an Normalstandorten. Wenn sich das auch nicht<br />

verallgemeinern lässt, deutet das doch dar<strong>auf</strong> hin, dass die<br />

gute Durchlüftung eines Deiches das Wurzelwachstum<br />

dergestalt fördert, dass auch ein Herausreißen eines Baumes<br />

bei Starkwindereignissen und damit eine Beschädigung<br />

des Deiches nicht gegeben ist. Denn im Normalfall<br />

ist schon der Baum an <strong>einem</strong> normalen Standort kippsicher<br />

gegen Windstärke 12.<br />

Bild 5: Unter dem Vlies die Feinwurzeln (hier zur Verdeutlichung<br />

angesprüht)<br />

dagegen sind ein zugbelastbares Bauteil. Und Bauteile,<br />

die Zug und Druck aushalten sind statisch leistungsfähiger,<br />

als die, die nur eine Belastungsart aushalten. Deshalb<br />

wurde rechnerisch ein Wurzelvlies angenommen, das die<br />

Eigenschaften eines Geotextils <strong>auf</strong>wies.<br />

Die Rechnung hat dabei erstaunliches erbracht: Es<br />

ergab sich eine signifikante Erhöhung des Standsicherheitsfaktors<br />

von 1,0411 <strong>auf</strong> 1,3390 durch das Vlies der<br />

Wurzeln. Hier müssten nun noch weitere Untersuchungen<br />

der Durchwurzelung folgen, um das Ergebnis abzusichern.<br />

Dann könnte es eines Tages heißen: Bäume <strong>auf</strong> die Deiche<br />

und nicht, was jetzt in der DIN festgehalten ist.<br />

2.3 Kippversuch und Freispülungen<br />

Zur Absicherung der Berechnungen wurden an <strong>einem</strong><br />

Baum, der bei <strong>einem</strong> früheren Umsturz einer Pappel einen<br />

Teil seiner Krone verloren hatte Kipp und Spulversuche<br />

unternommen. Bild 4 zeigt das dichte Feinwurzelvlies der<br />

Roßkastanie, durch das nicht einmal das Hochdruckspülgerät<br />

durchdringen konnte. Wie ein Sack hält dieses Vlies<br />

2.5 Freispülung<br />

Die Freispülung der Wurzel erfolgte <strong>auf</strong> 5 m × 5 m = 25 m 2<br />

bis in eine Tiefe von 1 m = 25 m 3 . Dabei wurde das Deicherdreich<br />

durch einen 30 cm Durchmesser starken Saugrüssel<br />

abgesaugt. Nachgeholfen wurde mit einer Pressluftlanze.<br />

Das unter dem Vlies liegende zugbelastbare Wurzelgeflecht<br />

verleiht dem an sich nur druckbelastbaren Deichkörper<br />

zusätzliche Stabilität (Bild 6). Die stabilisierenden<br />

Eigenschaften des Vlieses konnten nur konstatiert werden.<br />

Dagegen wurden die Grob und Starkwurzeln vermessen,<br />

deren Werkstoffeigenschaften untersucht und in der Berechnung<br />

mit einbezogen. Schon das hat eine signifikante<br />

Verbesserung der Deichstabilität ergeben.<br />

3 Fazit<br />

Die DIN 19712 Flussdeiche ist so formuliert, dass die Bepflanzung<br />

mit Bäumen nahezu unmöglich ist. Mit dem<br />

seit 65 Jahren mit Bäumen bestandenen <strong>Rheindeich</strong> stand<br />

ein real existierendes Untersuchungsfeld zur Verfügung.<br />

Damit konnte ein lange bestehender Zustand einer widersprechenden<br />

jüngeren DIN Norm gegenübergestellt<br />

werden. Das Tiefbauamt der Stadt Neuss erteilte in Abstimmung<br />

mit den anderen zuständigen Behörden hierzu<br />

4<br />

Bautechnik und Naturgefahren


L. Wessolly · <strong>Rosskastanienalle</strong>e <strong>auf</strong> <strong>einem</strong> <strong>Rheindeich</strong>: Wechselwirkungen und Sicherheiten<br />

den Auftrag. Es erwies sich, dass von den 500 Linden und<br />

Rosskastanien keinerlei Gefährdung des Deiches ausgeht.<br />

Im Gegenteil, die Berechnung durch ein Spezialbüro <strong>für</strong><br />

Deiche (Seidl & Partner, Regensburg) hat erbracht, dass<br />

die Durchwurzelung mit Baumwurzeln eine signifikante<br />

Erhöhung der Deichstabilität erbringen kann. Das ist zwar<br />

ein Einzelergebnis eines bestimmten Deiches mit zwei Baumarten.<br />

Aber sie lassen zumindest den Schluss zu, dass die<br />

Unvereinbarkeit von Bäumen und Deichen nicht zwangsläufig<br />

gegeben ist. Möglicherweise könnte dann eines Tages<br />

durchaus die Pflanzung von Bäumen zumindest <strong>auf</strong> Binnendeichen<br />

im Sinne der Sicherheit sogar gewünscht sein.<br />

Somit könnte eine beträchtliche Anzahl zusätzlicher Baumstandorte<br />

mit erheblicher Wohlfahrtswirkung <strong>für</strong> die Bevölkerung<br />

hinzugewonnen werden. Die häufige Frequenz des<br />

Deiches z. B. Spaziergängern mit Hunden hätte zudem den<br />

Vorteil, Deichbeschädigungen durch höhlenbauende Tiere<br />

weitgehend zu verhindern, da kein Wildtier in so einer gestörten<br />

Umgebung seine Jungen <strong>auf</strong>ziehen könnte. Zudem<br />

bieten die Bäume Ansitzmöglichkeiten <strong>für</strong> wühltierjagende<br />

Vögel, wie Habichte oder Eulen.<br />

Literatur<br />

Bader, Cl.: Untersuchungen über den statisch wirksamen Wurzelraum,<br />

Diplomarbeit an der FH Nürtingen 2000<br />

Brehm, J.: Gutachten zum Oderdeich, Königs-Wusterhausen<br />

unv. 1999<br />

Pflug, W.; Hacker, E. (Hrsg.): Ingenieurbiologie, Flussdeiche<br />

und Flussdämme, Bewuchs und Standsicherheit, Jahrbuch 4<br />

der Gesellschaft <strong>für</strong> Ingenieurbiologie e. V. Aachen 1999<br />

Rau, S.; Wessolly, L.: Training <strong>für</strong> frisch gepflanzte Bäume,<br />

NEUE LANDSCHAFT 2003, S. 36<br />

Wessolly, L.: Stand- und Bruchsicherheit von Bäumen, DAS<br />

GARTENAMT 8/93 S. 486<br />

Wessolly, L.: Wurzelschäden und Standsicherheit von Bäumen,<br />

NEUE LANDSCHAFT, 11/94, S. 853<br />

Wessolly, L.: Standsicherheit von Bäumen, das Kippverhalten<br />

ist geklärt, STADT und GRÜN 4/96, S. 268<br />

Wessolly, L.; Erb, M.: Handbuch der Baumstatik und Baumkontrolle<br />

Wessolly, L.: Baumstatisches Gutachten zum <strong>Rheindeich</strong> Neuss,<br />

2002/2003; Neuss 2003<br />

Bautechnik und Naturgefahren 5

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