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Helmut de Waal „Ratschläge“ für den „zweifelnden Therapeuten“

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<strong>Helmut</strong> <strong>de</strong> <strong>Waal</strong><br />

<strong>„Ratschläge“</strong> <strong>für</strong> <strong>de</strong>n „zweifeln<strong>de</strong>n <strong>Therapeuten“</strong><br />

Ausgang<br />

Je<strong>de</strong>r Therapeut wird <strong>de</strong>n Zweifel als verlässlichen und immer wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>n Gast kennen lernen.<br />

Je länger er bei dieser Arbeit ist, umso öfter. Das mag lästig, oft quälend sein, vor allem wenn man<br />

langsam älter wird, weil man ja Angst hat, vielleicht doch aufs falsche Pferd gesetzt zu haben und es<br />

nicht mehr wechseln zu können, und doch ist es unvermeidlich und nützlich. Denn das, was im Zweifel<br />

angesprochen wird, ist meist etwas, das wir bisher ausgelassen o<strong>de</strong>r vermie<strong>de</strong>n haben. Der Zweifel<br />

veranlasst uns hier nachhaltig zur Auseinan<strong>de</strong>rsetzung, zwingt uns, wollen wir ihm gerecht wer<strong>de</strong>n, zu<br />

neuen Erkenntnissen, die wir ursprünglich lieber vermie<strong>de</strong>n hätten, etwa über unsere Be<strong>de</strong>utsamkeit<br />

o<strong>de</strong>r über unser Vermögen in <strong>de</strong>r Therapie. Das ist nicht nur ein therapeutischer, son<strong>de</strong>rn<br />

unvermeidlich auch ein menschlicher Erkenntnisgewinn, <strong>de</strong>r sich meist auf Terrains erstreckt, die wir<br />

gar nicht beabsichtigt haben. Das haben wir dann mit unseren Klienten gemein, die ihre Krisen<br />

bewältigen.<br />

Oft sind diese Erkenntnisse banal, peinlich, unangenehm, manchmal eine Einladung zur Resignation.<br />

Das ist dann häufig eine große Erleichterung, weil es uns hilft das „Unverän<strong>de</strong>rliche“ wahr- und<br />

anzunehmen. Gera<strong>de</strong> darin besteht oft die Überraschung und <strong>de</strong>r Lohn <strong>de</strong>s Zweifels.<br />

So ist <strong>de</strong>r Zweifel unvermeidlich und auch nützlich - das ist aber nicht im Sinn von gewinnbringend<br />

gemeint, son<strong>de</strong>rn als Erkenntniszuwachs, allerdings nur dann, wenn er überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann -<br />

o<strong>de</strong>r vielleicht besser - bestan<strong>de</strong>n. Denn <strong>de</strong>r Zweifel wird ja nicht in <strong>de</strong>m Sinn überwun<strong>de</strong>n, dass er<br />

verschwin<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn sein Thema besteht weiter und erhält eine neue, oft unbequeme Antwort.<br />

Warum muss <strong>de</strong>nn also etwas, von <strong>de</strong>m ich gera<strong>de</strong> behaupte, dass es - obschon unangenehm - im<br />

Grun<strong>de</strong> nützlich ist, dann überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n? Kann man sich mit <strong>de</strong>r Ungewissheit nicht<br />

grundsätzlich anfreun<strong>de</strong>n? Ein ständiger, nicht nur wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>r Gast, das wäre doch das klare<br />

und konsequente Ergebnis unserer Überzeugung, „dass es keine Wahrheit gibt“. Der Zweifel wäre<br />

dann so etwas wie eine Metho<strong>de</strong>, „dubito, ergo psychotherapeuticus sum“ (<strong>de</strong>r Therapeut als<br />

Skeptiker gegenüber je<strong>de</strong>r Gewissheit).<br />

Weil wir damit im Alltag nicht leben könnten, we<strong>de</strong>r als Therapeuten o<strong>de</strong>r als Klienten, noch jenseits<br />

dieses Kontexts, weil wir uns jeweils im Moment entschei<strong>de</strong>n müssen, <strong>für</strong> dieses o<strong>de</strong>r jenes<br />

entschließen und diesen Entschluss auch verantworten.<br />

Der Zweifel, so behaupte ich jetzt einmal, wird nicht durch Gewissheiten überwun<strong>de</strong>n und auch nicht<br />

durch Metho<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn durch Glauben. Was ist Glauben? Heinz von Foerster hat einmal gesagt,<br />

entschei<strong>de</strong>n kann man sich nur dort, wo etwas prinzipiell Unentscheidbares vorliegt. Er hat damit<br />

gemeint, wenn es ein Prinzip gibt, nach <strong>de</strong>m entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann, eine Formel, ein Verfahren<br />

etc., dann entschei<strong>de</strong>n wir ja nicht mehr, son<strong>de</strong>rn wir verfahren nur mehr nach diesem Prinzip.<br />

Dasselbe gilt <strong>für</strong> Zweifel und Glauben. Solange ich nach etwas Unbezweifelbarem suchen kann,<br />

brauche ich nicht zu glauben. Erst wenn ich dort angelangt bin, wo es keine Sicherheit mehr gibt,<br />

muss ich etwas riskieren.<br />

Das gilt <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Therapeuten wie <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Klienten, Glaube ist nicht Sicherheit son<strong>de</strong>rn Wagnis. Ist jetzt<br />

die Antwort auf <strong>de</strong>n Zweifel nur blind, sozusagen Zufall, gipfelt <strong>de</strong>r Glaube nur im blin<strong>de</strong>n Mut zur<br />

Entscheidung, die uns vor <strong>de</strong>r Verzweiflung bewahrt o<strong>de</strong>r kann ich <strong>für</strong> dieses Tasten Richtpunkte<br />

angeben? Dem soll hier im Einzelnen nachgegangen wer<strong>de</strong>n.<br />

Worin besteht nun <strong>de</strong>r Zweifel <strong>de</strong>s Therapeuten?<br />

Meist im Einzelnen. Der Zweifel <strong>de</strong>s Therapeuten ist meist kein grundsätzlicher, er tritt im<br />

Alltagsgewand lästiger Fragen auf, dann re<strong>de</strong>n wir nicht von <strong>de</strong>m, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>n Zweifeln. Der<br />

Therapeut kann alle möglichen Zweifel haben:


Verstehe ich meinen Klienten, versteht er mich, mag ich ihn, mag er mich? Mögen/verstehen wir uns<br />

im passen<strong>de</strong>n Ausmaß? Kann ich ihm wirklich helfen, wird er mein Honorar zahlen?<br />

Zweifel können symmetrische (verstehen, mögen) o<strong>de</strong>r komplementäre (helfen/zahlen) Struktur<br />

haben. Helfe ich zuviel (Gefahr <strong>für</strong> seine Autonomie) o<strong>de</strong>r zuwenig (Gefahr, dass <strong>de</strong>r Klient wegbleibt)<br />

etc., etc.<br />

Da steckt <strong>de</strong>r Therapeut dann schon in einem Dilemma: Nehme ich meine Zweifel nicht ernst, scha<strong>de</strong><br />

ich ev. <strong>de</strong>m Klienten, nehme ich sie ernst, scha<strong>de</strong> ich mir selbst, kann nicht mehr arbeiten.<br />

Wesentlich lässt sich alles auf folgen<strong>de</strong> Zweifel reduzieren:<br />

a) Glaubt <strong>de</strong>r Klient an das, was ich tue.<br />

b) Glaube ich selbst an das, was ich tue.<br />

Was ist hier die richtige Reihenfolge? Hängen diese Fragen zusammen?<br />

Ist es leichter, wenn sie zusammenhängen o<strong>de</strong>r wenn nicht?<br />

Es ist leichter, wenn sie nicht zusammenhängen und sie brauchen nicht zusammenhängen.<br />

Für <strong>de</strong>n Klienten ist nicht wichtig, ob <strong>de</strong>r Therapeut glaubt, son<strong>de</strong>rn, dass er selbst glaubt, dass <strong>de</strong>r<br />

Therapeut glaubt, dass er - <strong>de</strong>r Klient - meint, <strong>de</strong>r Therapeut weiß, was er tut.<br />

Für <strong>de</strong>n Therapeuten ist es ebenfalls nicht wichtig, dass <strong>de</strong>r Klient glaubt, son<strong>de</strong>rn, dass er sich so<br />

benimmt als glaube er. Das hängt von <strong>de</strong>r Definition dieses Benehmens ab - üblicherweise eine<br />

Erfolgs<strong>de</strong>finition, also Än<strong>de</strong>rung etc.<br />

In <strong>de</strong>m Sinn können wir sagen: Der Glaube selbst ist Privatsache, Kommunikation ist wichtig. Der<br />

Klient soll sich „erfolgreich“ im Sinn <strong>de</strong>s vereinbarten Arrangements benehmen, also sich än<strong>de</strong>rn. Tut<br />

er es nicht, kann er entwe<strong>de</strong>r dazu veranlasst wer<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r wir müssen „metakommunzieren", z.B.<br />

eine neue Definition von Erfolg fin<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r die Beendigung <strong>de</strong>r therapeutischen Beziehung<br />

diskutieren. So könnten wir salopp formulieren, <strong>de</strong>r Zweifel <strong>de</strong>s Klienten ist sein Bier, gehört entwe<strong>de</strong>r<br />

zu Bedingungen außerhalb <strong>de</strong>r Therapie, wirkt mit, ob sich <strong>de</strong>r Klient überhaupt auf die<br />

Unternehmung einlässt, o<strong>de</strong>r er wird vom Therapeuten benützt, wenn wir paradox intervenieren, o<strong>de</strong>r<br />

er kann in <strong>de</strong>r Therapie metareflexiv erörtert wer<strong>de</strong>n. Der Zweifel <strong>de</strong>s Klienten ist letztlich nicht die<br />

Sache <strong>de</strong>s Therapeuten, er gehört in die Verantwortung <strong>de</strong>s Klienten - und vice versa, <strong>de</strong>r Klient kann<br />

eine durchaus erfolgreiche Therapie erleben, ohne dass <strong>de</strong>r Therapeut nur einen Augenblick an sein<br />

Tun glaubt. Der Klient wird sein Verhalten nur danach richten, ob er glaubt, dass das, was <strong>de</strong>r<br />

Therapeut tut, in irgen<strong>de</strong>iner Form hilfreich ist. So bleibt je<strong>de</strong>r mit seinem Zweifel allein, auf sich selbst<br />

zurück verwiesen. Das macht <strong>de</strong>n Zweifel <strong>de</strong>s Therapeuten weniger be<strong>de</strong>utsam, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Zweifel an<br />

sich kann damit keinen Scha<strong>de</strong>n anrichten, das könnte höchstens ineffektive o<strong>de</strong>r gar<br />

verantwortungslose Therapie.<br />

Trotz<strong>de</strong>m kann es quälend sein, je<strong>de</strong>n Tag zu „schwin<strong>de</strong>ln“, o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st zu glauben, man täte es.<br />

Das kann dazu führen, dass <strong>de</strong>r Therapeut verzweifelt, aufgibt etc. Deswegen macht es Sinn, sich<br />

damit auseinan<strong>de</strong>r zu setzen.<br />

Der Glaube ist die Antwort auf <strong>de</strong>n Zweifel<br />

Der Therapeut kann <strong>de</strong>m Zweifel (nur) seinen Glauben entgegensetzen. Was ist also <strong>de</strong>r Glaube <strong>de</strong>s<br />

Therapeuten? Zum Ersten ist er eine Antwort auf <strong>de</strong>n Zweifel, auf sonst nichts, keine Antwort auf<br />

Nichtwissen, mangeln<strong>de</strong> Routine o<strong>de</strong>r nicht in Anspruch genommene Supervision, darauf gibt’s<br />

an<strong>de</strong>re Antworten: Lesen, Üben, Supervidieren lassen etc. Glaube ist nur die Antwort auf <strong>de</strong>n Zweifel,<br />

in <strong>de</strong>m Sinn wird Glaube heute so oft überschätzt, <strong>de</strong>swegen erleben wir ja so viel Enttäuschung mit<br />

<strong>de</strong>m Glauben. Heimlich hoffen wir immer noch, dass <strong>de</strong>r Glaube eine Antwort auf unsere<br />

Geldprobleme, unsere Desinformation, unser Gefühl, dass uns niemand mag usw., ist.<br />

Welcher Art kann <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Glaube <strong>de</strong>s systemischen Therapeuten sein, <strong>de</strong>r ja eher gelernt hat, nicht<br />

zu glauben? Zumin<strong>de</strong>st könnten wir das bei oberflächlichem Hinschauen meinen, „es gibt keine<br />

Wahrheit usw.“<br />

Pascals „Gottesbeweis“ wäre hier von <strong>de</strong>r Struktur her ein gutes Beispiel <strong>für</strong> systemische<br />

Glaubensmöglichkeit. (Vielleicht war es auch nicht Pascal, son<strong>de</strong>rn wer an<strong>de</strong>rs, das tut <strong>de</strong>m<br />

Gedankengang als solchen ja keinen Abbruch. Gedanken sind ja als solche nicht kontextabhängig, sie<br />

müssen in sich plausibel sein und wer<strong>de</strong>n das nicht mehr, wenn sie von jemand Berühmten und nicht<br />

weniger, wenn sie von einem Unbekannten gedacht wer<strong>de</strong>n.) Dieser „Gottesbeweis“ ist eine


Beweisführung, die ganz systemisch ist, weil sie sich von einem ersehnten und verantwortungsvollen<br />

Ergebnis herleitet. Sie ist zielorientiert und kybernetisch, weil sie einen erwünschten Output zum<br />

möglichen Orientierungspunkt gegenwärtigen Forschens und Han<strong>de</strong>lns macht.<br />

Dieser „Gottesbeweis“ und seine „Anwendung“ auf die Zweifel <strong>de</strong>s Therapeuten hat folgen<strong>de</strong><br />

Grundstruktur:<br />

a. Kann man beweisen, dass es Gott gibt/ kann man sagen, dass meine konkrete therapeutische<br />

Arbeit an sich entschei<strong>de</strong>nd nützlich ist? Nein<br />

b. Kann man das Gegenteil beweisen? Nein<br />

c. Wäre es nützlich an Gott/Therapie zu glauben? Ja......( v.a. weil man sich dann nicht dauernd<br />

mit dieser Frage herumschlagen muss und seine Aufmerksamkeit <strong>de</strong>m Klienten und seinen<br />

Anliegen zuwen<strong>de</strong>n kann.)<br />

d. Was kann <strong>für</strong> Glauben (das ist ein spontaner Vorgang) - egal ob „kirchlich“ o<strong>de</strong>r<br />

„therapeutisch“ - hilfreich sein, welche för<strong>de</strong>rlichen Bedingungen können geschaffen wer<strong>de</strong>n?<br />

e. Kirchbesuch etc., die Rituale <strong>de</strong>r Kirche einerseits/ die Rituale <strong>de</strong>r Therapie an<strong>de</strong>rseits.<br />

„Benimm dich als ein Glauben<strong>de</strong>r, das macht <strong>de</strong>n Glauben möglich - benimm dich wie ein<br />

Therapeut und überlass die Beurteilung <strong>de</strong>n An<strong>de</strong>ren“, was das im einzelnen heißt, sollen im<br />

Folgen<strong>de</strong>n die <strong>„Ratschläge“</strong> skizzieren.<br />

Dieses Mo<strong>de</strong>ll schlägt also vor, Glauben entlang seiner Erwünschtheit durch för<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Bedingungen<br />

eine Chance zu geben. Das erinnert an einen alten jüdischen Witz: Ein frommer Ju<strong>de</strong> betet Tag <strong>für</strong><br />

Tag in <strong>de</strong>r Synagoge um einen Lottogewinn, nichts passiert. Im zwanzigsten Jahr endlich eine<br />

ärgerliche Stimme von oben „Moische, gib mir a Chance, kauf dir a Los“.<br />

Wir können nur „Lose kaufen“, als Bedingung <strong>de</strong>r Möglichkeit <strong>de</strong>s Spontanen. Kaufen wir sie nicht,<br />

kann es nicht eintreten. „So tun als ob“ wäre die Bedingung <strong>de</strong>r Möglichkeit <strong>de</strong>s Glaubens.<br />

Glaube bezieht sich also nicht auf die Gewissheit („ich bin sicher“), son<strong>de</strong>rn riskiert die Möglichkeit.<br />

Glaube bezieht sich nicht auf das Ereignis, son<strong>de</strong>rn auf die Bedingungen <strong>de</strong>r Möglichkeit.<br />

Ich kann nicht glauben wollen (spontaner Vorgang), aber ich kann beherzt Bedingungen schaffen, die<br />

die Wahrscheinlichkeit <strong>de</strong>s Glaubens erhöhen.<br />

Insgesamt: Nicht ich bin gewiss, dass <strong>de</strong>r Klient gesün<strong>de</strong>r wird, son<strong>de</strong>rn ich halte die Möglichkeit<br />

seiner Gesundung <strong>für</strong> eine riskierbare und nützliche Annahme.<br />

Daraus können folgen<strong>de</strong> Ratschläge formuliert wer<strong>de</strong>n: Sie sind verstan<strong>de</strong>n als eine Ermutigung<br />

im Sinne <strong>de</strong>r Erweiterung <strong>de</strong>r Wahlmöglichkeiten, also, „kann, muss nicht sein, aber wenn<br />

verwirklicht, wird es leichter“. Es sind Richtpunkte <strong>für</strong> die Fahrt ins Ungewisse, die wir mit <strong>de</strong>m<br />

Klienten gemeinsam unternehmen. Orientierung und Aufrichtung soll hier ermöglicht wer<strong>de</strong>n.<br />

Folgen<strong>de</strong> Bedingungen scheinen mir hiflreich zu sein:<br />

Die Haltung <strong>de</strong>s Therapeuten, generell<br />

Der Therapeut kann nicht immer erwarten, dass er von seiner Tätigkeit überzeugt ist, und er kann auf<br />

diese Überzeugung tatsächlich nicht warten, im eigenen Interesse und im Interesse <strong>de</strong>s Klienten. Er<br />

erlebt das gleiche Dilemma wie <strong>de</strong>r Priester, <strong>de</strong>r die Messe zelebriert - auch <strong>de</strong>r kann nicht auf seinen<br />

Glauben warten, weil sonst inzwischen die Leute heimgehen. Er kann die „Haltung“ <strong>de</strong>s Therapeuten<br />

einnehmen, wie ein Mönch, <strong>de</strong>r seine Rituale verrichtet, etwa seine Stun<strong>de</strong>ngebete spricht. Diese<br />

Rituale mögen verschie<strong>de</strong>n sein, sie hängen ab von <strong>de</strong>r „Therapieschule“, <strong>de</strong>r man anhängt, von <strong>de</strong>r<br />

Ausbildung, vom eigenen Stil, im Wesentlichen alles Haltungsvorschläge. Wichtig ist, dass sie mit<br />

einer gewissen Demut getan wer<strong>de</strong>n, unabhängig von <strong>de</strong>r momentanen Überzeugtheit. Wie und wann<br />

die Überzeugtheit kommt ist egal. Wichtig ist, dass sie hin und wie<strong>de</strong>r vorbeischaut, sonst verhungern<br />

wir.<br />

Jan Willem van <strong>de</strong> Weeterings schil<strong>de</strong>rt in seinem Buch „Lehrjahre in einem Zen-kloster“, wie er das<br />

erste Mal beim täglichen Gemüseschnei<strong>de</strong>n das Erlebnis spiritueller Unmittelbarkeit erfährt, das Ziel<br />

seines Aufenthaltes in Japan. Als er das begeistert <strong>de</strong>m Abt <strong>de</strong>s Klosters mitteilt, meint <strong>de</strong>r nur: „Fein,<br />

das kommt und geht, aber das Gemüse <strong>für</strong> heute Mittag sollte je<strong>de</strong>nfalls geschnitten wer<strong>de</strong>n“. Das<br />

kennen wir ja als Therapeuten auch: „Mein Gott, war ich heute gut, was ist mir wie<strong>de</strong>r <strong>für</strong> eine tolle<br />

Intervention gelungen........“ - <strong>de</strong>rartige Sensation ist wahrscheinlich gar nicht wichtig <strong>für</strong> seine Arbeit,<br />

aber von Zeit zu Zeit notwendig <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Therapeuten, damit er nicht anerkennungsmäßig verhungert<br />

(s.u.). Aber im Grun<strong>de</strong> können wir uns darauf verlassen, dass wir die Erfahrung <strong>de</strong>r Überzeugtheit<br />

verlässlich von Zeit zu Zeit machen. Wir können hier mit Goethe sagen: „wer immer strebend sich


emüht.........“, o<strong>de</strong>r aber statistische Zufallshäufigkeiten <strong>für</strong> gelegentlichen Erfolg verlässlich<br />

annehmen. Solche „Erfolge“ sollten genossen wer<strong>de</strong>n, aber im Grund sind sie we<strong>de</strong>r wichtig noch<br />

entschei<strong>de</strong>nd, sie tun uns gut.<br />

Hier wird die Demut <strong>de</strong>s Therapeuten als zentrale Haltung gefragt sein. Der Therapeut sollte also<br />

<strong>de</strong>mütig die Haltung <strong>de</strong>s Therapeuten seiner Schule einnehmen, unabhängig ob er im Moment daran<br />

glaubt o<strong>de</strong>r nicht.<br />

Das Interesse <strong>de</strong>s Therapeuten, seine Neugier<br />

Etwas <strong>de</strong>m Zweifel Verwandtes ist das Wun<strong>de</strong>rn. Bei<strong>de</strong>s geschieht, wenn wir <strong>für</strong> die Phänomene, die<br />

uns begegnen, keine Worte (mehr/Zweifel) haben (o<strong>de</strong>r noch keine/Wun<strong>de</strong>rn). Ob wir etwas<br />

zweifelhaft o<strong>de</strong>r wun<strong>de</strong>rbar erleben, hängt vom Kontext ab. Kommt uns Sicherheit abhan<strong>de</strong>n, bedroht<br />

uns gar, dann zweifeln wir, lässt uns das Phänomen Positives erhoffen, wun<strong>de</strong>rn wir uns. Lang<br />

können wir bei<strong>de</strong>s meist nicht aushalten, <strong>de</strong>swegen drängt das, wo<strong>für</strong> wir keine Worte haben, <strong>de</strong>r<br />

Sprache entgegen (Glasersfeld). Neugier ist hier die Hebamme.<br />

Neugier hat keinen Zweck, keine Absicht, auch keine professionelle. Man kann nicht neugierig sein,<br />

damit man eine bessere Therapie macht. Man ist neugierig o<strong>de</strong>r nicht. In <strong>de</strong>m Sinn: Der Therapeut<br />

kann und darf neugierig sein auf die Geschichten seiner Klienten, sonst ist er nicht verwickelt genug.<br />

Das muss er aber sein, sonst bemüht er sich nicht, gemeinsam mit <strong>de</strong>m Klienten spannen<strong>de</strong> und<br />

alternative „Geschichten“ zu entwickeln. Neutralität, hier Konstruktneutralität, muss angesichts dieses<br />

Engagements immer wie<strong>de</strong>r errungen wer<strong>de</strong>n, sonst bräuchten wir sie nicht thematisieren - wäre ja<br />

keine Kunst, wer nicht interessiert ist, kann leicht neutral sein. Ich trete hier <strong>für</strong> eine alltägliche<br />

Neugier<strong>de</strong> ein, nicht nur <strong>für</strong> eine professionelle. Wenn <strong>de</strong>r Therapeut nicht neugierig ist, dann kann er<br />

nicht neugierig sein. Er kann versuchen, so zu tun als ob, das reicht oft bei einiger Übung <strong>für</strong> <strong>de</strong>n<br />

Klienten, <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Therapeuten auf Dauer nicht. Aber manchmal verführt die Haltung <strong>de</strong>r Neugier<strong>de</strong> zu<br />

tatsächlichem Interesse.<br />

Ich trete hier <strong>für</strong> eine Kultur <strong>de</strong>s gemeinsamen Tratsches ein. Wenn Therapeuten und Klienten nicht<br />

auch die Lust an <strong>de</strong>r Neuigkeit, unabhängig ihrer Be<strong>de</strong>utung, entwickeln, wer<strong>de</strong>n sie sich in korrekt<br />

formulierten „Fünfjahresplänen“ bloßer Zielarbeit unvermeidlich erschöpfen.<br />

Die Neugier <strong>de</strong>s Klienten und <strong>de</strong>s Therapeuten muss nicht immer in Andacht und weihevoller Stille<br />

reifen. Wenn <strong>de</strong>r Tratsch, zumin<strong>de</strong>st meistens, <strong>de</strong>r Kompost ist, aus <strong>de</strong>m sich das Neue entwickelt,<br />

dann wird es, das ist bei Lebensvorgängen unvermeidlich, manchmal auch etwas schmutzig zugehen.<br />

Neugier<strong>de</strong> ist nie rein und antiseptisch, we<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m, worauf sie sich bezieht - man braucht hier nur<br />

an die Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nken - noch in <strong>de</strong>n Beweggrün<strong>de</strong>n, die sie antreibt. Hier hat die Psychotherapie viel<br />

mit <strong>de</strong>m Doktorspielen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r gemeinsam. Und auch das Neue, das dann hervorgebracht wird, ist<br />

zuerst immer etwas unpassend und peinlich. Das Neue ist ja meist <strong>de</strong>swegen unent<strong>de</strong>ckt geblieben,<br />

weil es nicht nur unbekannt, son<strong>de</strong>rn zu<strong>de</strong>m unpassend war. Therapeuten sollten hier nicht verschämt<br />

sein, wenn sie ihre Klienten hilfreich begleiten wollen. Also, ohne ein bisserl Neigung zur<br />

unanständigen und aufmüpfigen Fantasie sollte man eher nicht Psychotherapeut wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Therapeut darf und soll neugierig sein, aus <strong>de</strong>r Gier aufs Neue, nicht weil er helfen will.<br />

Die Liebe <strong>de</strong>s Therapeuten<br />

Es ist in Ordnung und sowieso unvermeidlich, wenn <strong>de</strong>r Therapeut seine Klienten mag. Zuerst stehen<br />

sich, vor allen Regeln <strong>de</strong>r Kunst, Therapeut und Klient, als Menschen gegenüber, als Mitmenschen<br />

mit Zuneigung und Vorsicht, gelegentlich auch als Mann und Frau, mit mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />

anziehen<strong>de</strong>r Ten<strong>de</strong>nz, kalauerhaft könnten wir postulieren, das ist völlig o.k., solange sich die<br />

anziehen<strong>de</strong> Ten<strong>de</strong>nz nicht in eine „ausziehen<strong>de</strong>“ verwan<strong>de</strong>lt.<br />

Auch hier gilt: Wer nicht an Menschen und ihren Existenzmöglichkeiten interessiert ist, sollte Therapie<br />

sein lassen, das ist, als wäre ein Gärtner <strong>de</strong>m Geruch <strong>de</strong>r Rosen gegenüber gleichgültig, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m<br />

Geschmack <strong>de</strong>r Äpfel. Für Neutralität gilt dasselbe wie oben. Soziale Neutralität ist nur vor <strong>de</strong>m<br />

Hintergrund von möglicher und wahrscheinlicher Parteilichkeit und Interesse überhaupt eine sinnvolle<br />

Formulierung und For<strong>de</strong>rung. Ich trete hier <strong>für</strong> die Liebe und Zuneigung zu <strong>de</strong>n Menschen ein, nicht<br />

nur <strong>für</strong> die Liebe zu ihren Geschichten - sie treten mir ja nicht nur in ihren Geschichten gegenüber,<br />

son<strong>de</strong>rn sie überbringen diese sozusagen persönlich, in leiblicher Gestalt. Natürlich muss Therapie,<br />

wenn sie eine solche sein soll, innerhalb <strong>de</strong>s regulierten Regelrahmens bleiben. Aber nur wenn wir<br />

überhaupt menschliche Begegnung als solche <strong>für</strong> möglich halten, das heißt, Menschen so ernst


nehmen, dass wir sie im Gesamtem wahrnehmen, wer<strong>de</strong>n diese Regeln relevant, sonst hätten wir<br />

keinen Anlass zu regulieren.<br />

Der Therapeut darf und soll seine Klienten mögen, wenn er sie mag.<br />

Die Abneigung <strong>de</strong>s Therapeuten<br />

Wenn sich Menschen gegenüber sind, lassen sich Emotionen nicht vermei<strong>de</strong>n. Wir haben das lange<br />

etwas zurückgestellt. Diese Emotionen folgen grundlegen<strong>de</strong>n Ten<strong>de</strong>nzen, Zuneigung und Abneigung<br />

sind solche. Das sind genuin spontane Phänomene, die sich nicht direkt beeinflussen lassen und wir<br />

sollten ihnen gelassen, neutral und neugierig gegenüberstehen, solange sie nicht die Grenzen <strong>de</strong>r<br />

Therapie sprengen, die gesetzlichen wie die vereinbarten, möglicherweise auch die <strong>de</strong>s üblichen<br />

Umgangs miteinan<strong>de</strong>r. Wir re<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n anziehen<strong>de</strong>n Ten<strong>de</strong>nzen schon nicht gern, von <strong>de</strong>n<br />

abstoßen<strong>de</strong>n noch weniger. Wenn sich <strong>de</strong>r Klient aber so benimmt, dass ihn alle Welt nicht mag, wie<br />

soll <strong>de</strong>r Therapeut ihn mögen?<br />

Vor aller Regulierung wird <strong>de</strong>r Therapeut Zuneigung und Abneigung körperlich registrieren, ob er will<br />

o<strong>de</strong>r nicht. Seine stammesgeschichtlich alten Anteile wer<strong>de</strong>n schneller sein als je<strong>de</strong>r Vorsatz und<br />

je<strong>de</strong>s Neutralitätsgebot (Zwischenhirn vor Neokortex o<strong>de</strong>r so). Missachtet er das, wird er lei<strong>de</strong>n,<br />

zumin<strong>de</strong>st an Verspannungen. Auch hier: „Neutralität“ ist nur vor <strong>de</strong>m Hintergrund ihrer Nichtexistenz,<br />

<strong>de</strong>r Schwierigkeit ihrer Herstellung, eine sinnvolle For<strong>de</strong>rung. Warum sollte <strong>de</strong>r Therapeut nicht<br />

Abneigung gegen <strong>de</strong>n Klienten verspüren, solange er das systemisch tut, das heißt: Wenn er die<br />

Antipathie nicht <strong>für</strong> eine wahre, gewisse und absolute Nachricht über <strong>de</strong>n Klienten hält son<strong>de</strong>rn bloß<br />

<strong>für</strong> eine konkrete Information über die momentane eigene Befindlichkeit, ist das eine wichtige<br />

Information (die <strong>de</strong>r Beobachter registriert) und ein wesentliches Element therapeutischer Begegnung.<br />

Wir können ja unserer spontanen körpernahen Reaktion unsere Reflexion und Einschätzung<br />

hinzufügen. Ja Reflexion und Einschätzung haben eigentlich nur einen erkenntnishaften Sinn im<br />

Zusammenhang mit einem spontanen wi<strong>de</strong>rständigen Eindruck.<br />

Davon abgesehen ist eine gewisse Antipathie gegen <strong>de</strong>n Klienten <strong>de</strong>r Therapie sowieso an sich nicht<br />

abträglich. Im Gegenteil, sie kann <strong>de</strong>m Fortschritt <strong>de</strong>r Therapie dienen, weil <strong>de</strong>r Therapeut sich<br />

bemühen wird, diesen Menschen bald nicht mehr sehen zu müssen. Ich trete hier da<strong>für</strong> ein, „dass<br />

einem <strong>de</strong>r Klient auf <strong>de</strong>n Wecker fallen darf“. Das ist ja nichts Neues, nur gehen wir meistens<br />

verschämt damit um. Ich kann mich - zumin<strong>de</strong>st spontan - an keinen Fall in <strong>de</strong>r systemischen Literatur<br />

erinnern, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Abneigung <strong>de</strong>s Therapeuten gegen seinen Klienten heraus entwickelt wur<strong>de</strong>,<br />

aber die Milton Erikson Fans können bestimmt ein <strong>de</strong>rartiges Beispiel nennen.<br />

Die Wurstigkeit als Form <strong>de</strong>r Beschei<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>s Therapeuten<br />

Sie ist eine wesentliche Voraussetzung <strong>de</strong>r Neugier<strong>de</strong> - wer nur eine und nur eine bestimmte Lösung<br />

im Sinn hat, kann nicht neugierig sein. „Wurstigkeit“ ist nicht nur eine <strong>de</strong>ftigere Formulierung <strong>de</strong>r<br />

vornehmeren und blasseren Neutralität (Lösungsneutralität), sie ist zumin<strong>de</strong>st ihr emotionales<br />

Unterfutter, aber vielleicht auch ihr emotionaler Ursprung. Der Therapeut sollte <strong>de</strong>n Sorgen seiner<br />

Klienten auch ein kräftiges „Rutsch mir <strong>de</strong>n Buckel runter“ entgegensetzen können, wenn ich das<br />

einmal so sagen darf, damit er <strong>de</strong>m notwendigen Engagement am En<strong>de</strong> seiner Arbeit wie<strong>de</strong>r<br />

entkommt. Die Wurstigkeit <strong>de</strong>s Therapeuten ist eine primitive Formulierung seiner Beschei<strong>de</strong>nheit, er<br />

weiß um die Grenzen seines Einflusses und seine ewige Unbestimmtheit, darauf hat Kurt Lu<strong>de</strong>wig<br />

hingewiesen. Wir könnten sagen, die Neugier<strong>de</strong> und damit die Möglichkeit <strong>de</strong>s Neuen entsteht aus<br />

<strong>de</strong>r Vermählung zwischen Interesse und Wurstigkeit. Wer nur Interesse hat, hat meist ein bestimmtes<br />

eigenes Ziel im Auge, er ist auf seine Intention festgelegt und damit meist auf eine - und eine<br />

bestimmte – Lösung. Wer nur wurstig ist, <strong>für</strong> <strong>de</strong>n sind alle Lösungen möglich, aber er wird sich nicht<br />

bemühen, dass tatsächlich irgen<strong>de</strong>ine zum Vorschein kommt. Es ist bei<strong>de</strong>s nötig, Engagement und<br />

Distanz. Das ist es, was <strong>de</strong>r viel elaborierte Sigmund Freud und noch besser Theodor Reik als<br />

gleichschweben<strong>de</strong> Aufmerksamkeit beschrieben haben.<br />

Der Spaß <strong>de</strong>s Therapeuten<br />

Spaß hat man dann, wenn sich überraschend neue Ansichten auftun. Das ist ja auch das wesentliche<br />

Moment therapeutischen Angebots. Das Witzige hat zwei Momente, wir kennen sie schon, es lässt<br />

sich als Phänomen nicht absichtsvoll erzeugen (das Lachen lässt sich nicht zwingen), trotz<strong>de</strong>m hat es<br />

Struktur, ist von seiner Wirkung her eine Bedingung <strong>de</strong>r Möglichkeit, etwas Neues wahrzunehmen.<br />

Das Witzige hat 3 Konstruktionselemente<br />

• formal - eine Rahmenverschiebung <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit,


• inhaltlich - das Überraschen<strong>de</strong>, Peinliche, Neue, Riskante, Unanständige,<br />

• kommunikativ - durch die Auslassung wird <strong>de</strong>r Zuhörer zum Konstrukteur, ob er will o<strong>de</strong>r nicht<br />

- alles Elemente, die alle Postulate systemischer Vorgangsweise darstellen.<br />

Und: Ein Witz ist nicht ernst gemeint, er ist keine Behauptung <strong>de</strong>r Gewissheit, son<strong>de</strong>rn eine<br />

An<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Möglichkeit.<br />

Diese drei Konstruktionselemente lassen sich am Beispiel einer Anekdote über Friedrich <strong>de</strong>n Großen<br />

zeigen: Der König inspiziert - in <strong>de</strong>r tiefsten preußischen Provinz - ein Regiment und sieht sich dabei<br />

plötzlich einem Gefreiten gegenüber, <strong>de</strong>r ihm selbst, <strong>de</strong>m Souverän, wie aus <strong>de</strong>m Gesicht geschnitten<br />

ist. Majestät stutzt und fin<strong>de</strong>t die Erklärung: „Seine Mutter hat wohl in <strong>de</strong>r Resi<strong>de</strong>nz gedient“. Die<br />

Antwort: „Mein Vater, Majestät“. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich von <strong>de</strong>r Frage: ‚Warum sieht <strong>de</strong>r<br />

Soldat <strong>de</strong>m König so ähnlich?’ zur Frage: ‚Warum sieht <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>m Soldaten so ähnlich?’ und<br />

fin<strong>de</strong>t ihren Kulminationspunkt in <strong>de</strong>m neuen und ungeheuren Gedanken, dass nicht <strong>de</strong>r Vater <strong>de</strong>s<br />

Königs ein charmanter Verführer, son<strong>de</strong>rn die Mutter <strong>de</strong>s Königs eine leichtfertige Person gewesen<br />

sein könnte. Insofern hat <strong>de</strong>r Witz durchaus feministischen Gehalt, weil er eine kritische Anmerkung<br />

zur Markierung unserer Entrüstung macht: Was beim König erlaubt ist, ist bei <strong>de</strong>r Königin ganz<br />

unmöglich. Hier geht es um Sex und gera<strong>de</strong>zu un<strong>de</strong>nkbare Variationen davon. Aber <strong>de</strong>r Erzähler sagt<br />

davon kein Wort, alles entsteht im Zuhörer, und zwar spontan, ob er will o<strong>de</strong>r nicht, beim Versuch <strong>de</strong>n<br />

Gedankengang zu verstehen; o<strong>de</strong>r es entsteht auch nicht, wenn <strong>de</strong>r Gedankengang zu fremd, zu<br />

ungeheuerlich - <strong>de</strong>r Unterschied zu groß ist. Strukturell passiert Ähnliches, wenn <strong>de</strong>r Therapeut zu<br />

einem klagen<strong>de</strong>n Klienten sagt: „Oh ich verstehe, Sie wollen sagen, das Leben ist selber schuld, wenn<br />

es an mir vorbeigeht.“ Hier liegt unwillkürlich <strong>de</strong>r Gedanke nahe, dass <strong>de</strong>r Klient sein Leben ein Stück<br />

mehr selbst verantworten könnte, weil plötzlich von Täterschaft die Re<strong>de</strong> ist, nicht vom Opfersein,<br />

aber gesagt wird das nicht. Im Gegenteil die Verwechslung ist Absicht: Nicht Sie sind schuld, nein das<br />

Leben selbst etc.<br />

O<strong>de</strong>r wenn <strong>de</strong>r Therapeut zu <strong>de</strong>r Klientin, die sich mit einer Kleinmädchenstimme über ihren Partner<br />

alteriert, sagt: „Ich wür<strong>de</strong> es <strong>für</strong> meinen Geschmack passend fin<strong>de</strong>n, wenn Sie jetzt ein kleines<br />

bisschen mit <strong>de</strong>m rechten Fuß aufstampfen“. Frank Farrelly u.a. ermutigen uns ausreichend.<br />

Ich trete <strong>für</strong> das Witzige und Humorvolle in <strong>de</strong>r Therapie ein, das ich <strong>für</strong> keine aka<strong>de</strong>mische<br />

Annäherung halte, son<strong>de</strong>rn <strong>für</strong> eine grundsätzliche. Nur was <strong>de</strong>n Therapeuten selbst verblüfft, ist<br />

wirklich witzig. Theodor Reik hat das schon vor vielen Jahrzehnten beschrieben. Bereits Reik schreibt<br />

aber auch, dass es dazu Mut braucht (<strong>de</strong>m Klienten gegenüber, aber auch gegenüber uns selbst<br />

angesichts möglicher Verunsicherung gewohnter Überzeugungen). Wenn wir Überraschung riskieren,<br />

können wir auch im Unverständlichen und Irritieren<strong>de</strong>n lan<strong>de</strong>n, heutig gesagt, „no risk, no fun“.<br />

Das Eigenlob <strong>de</strong>s Therapeuten<br />

Es ist unwichtig <strong>für</strong> die Therapie an sich, aber ganz wichtig <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Therapeuten selbst. Zuerst einmal:<br />

Gelingt Therapie, sieht <strong>de</strong>r Klient keinen Anlass zum Lob. Es war sein Einfallsreichtum, <strong>de</strong>r die neue<br />

I<strong>de</strong>e aufgegriffen hat, es ist sein Mut, <strong>de</strong>r jetzt durch eine neue Situation gefor<strong>de</strong>rt wird; <strong>de</strong>r Beitrag<br />

<strong>de</strong>s Therapeuten tritt hier zurück und das ist gut so, seine Leistung wird ja abgegolten, <strong>de</strong>r Klient soll<br />

nicht dankbar sein müssen.<br />

Der Therapeut kriegt seine Bestätigung nur in <strong>de</strong>r Eigenerzeugung und Präsentation, oft in <strong>de</strong>r<br />

anonymisierten Fallbesprechung, in <strong>de</strong>r Erfolge präsentiert wer<strong>de</strong>n können, manchmal sogar in Form<br />

<strong>de</strong>r Veröffentlichung, die eine Art legitimierte und nützliche Angeberei darstellt. Anzüglich gesagt: Er<br />

stellt die Ergebnisse einer unvermeidlichen und nützlichen Selbstbefriedigung einer größeren<br />

Öffentlichkeit zur Verfügung, erweitert diese, wenn man will, um das wohltuen<strong>de</strong> Moment <strong>de</strong>s<br />

Exhibitionismus. Das ist in Ordnung, solange es innerhalb <strong>de</strong>r Grenzen <strong>de</strong>s guten Geschmacks bleibt,<br />

aber darüber befin<strong>de</strong>t dann ohnedies <strong>de</strong>r Leser, das ist - Risiko <strong>de</strong>s Autors - immer<br />

beobachterabhängig. Ich re<strong>de</strong> hier einem maßvollen Eigenlob das Wort. Es ist <strong>für</strong> die Lust <strong>de</strong>s<br />

Therapeuten an seinem Job durchaus unentbehrlich.<br />

Das Scheitern <strong>de</strong>s Therapeuten<br />

Das Scheitern <strong>de</strong>s Therapeuten ist aus drei Grün<strong>de</strong>n unvermeidlich.<br />

Zum Ersten macht sich <strong>de</strong>r Therapeut immer eine Vorstellung von <strong>de</strong>r Lösung, ob er will o<strong>de</strong>r nicht.<br />

Lösungsneutralität verhin<strong>de</strong>rt diese Vorstellung nicht, sie stellt sie bloß richtig, insofern sie nur <strong>für</strong> <strong>de</strong>n<br />

Therapeuten etwas be<strong>de</strong>utet, nicht <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Klienten. Die Lösung, die <strong>de</strong>r Klient <strong>für</strong> sich als freies und<br />

autonomes Subjekt wählt, wird immer eine an<strong>de</strong>re sein. Insofern wird <strong>de</strong>r Therapeut scheitern, das ist<br />

unvermeidlich.<br />

Zum Zweiten sind wir als Therapeuten immer mehr mit <strong>de</strong>m Unverän<strong>de</strong>rlichen als Gegenstand<br />

unserer Verän<strong>de</strong>rungsbemühungen befasst: Nicht mehr dieses o<strong>de</strong>r jenes Verhalten, das tatsächlich


verschwin<strong>de</strong>n könnte wie Zwang, Angst, Streit etc. son<strong>de</strong>rn Krankheit, Alter, Behin<strong>de</strong>rung etc. sind<br />

uns zunehmend auch Thema.<br />

Zum Dritten scheitern wir letztlich immer bezüglich <strong>de</strong>r Hoffnung unserer Klienten, dass wir Mühe,<br />

Plage, Absurdität aus <strong>de</strong>r Welt schaffen könnten. Genau wie <strong>de</strong>r Geistliche sind wir mit <strong>de</strong>r Hoffnung<br />

konfrontiert, das Böse und Absur<strong>de</strong> - bis hin zum Tod - aus <strong>de</strong>r Welt zu schaffen, zumin<strong>de</strong>st aus <strong>de</strong>r<br />

kleinen persönlichen <strong>de</strong>s jeweiligen Klienten. Wir können es nicht, sosehr wir es angesichts von<br />

Krankheit, Unglück und Gemeinheit oft wollen.<br />

Mit diesem Scheitern versöhnt zu sein ist wahrscheinlich nicht möglich, wäre vielleicht gar nicht gut,<br />

aber es als unvermeidlich zumin<strong>de</strong>st gelegentlich zu <strong>de</strong>nken und nicht als persönliche Aufgabe und<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung, halte ich <strong>für</strong> die wesentliche Glaubensmöglichkeit <strong>de</strong>s Psychotherapeuten.<br />

Insgesamt ist das also eine Rehabilitierung <strong>de</strong>r Spontaneität und <strong>de</strong>r Alltäglichkeit, sie sollen <strong>de</strong>m<br />

Therapeutsein entgegen o<strong>de</strong>r besser gegenüber <strong>de</strong>m Zweifel hinzugefügt wer<strong>de</strong>n. Hingegen möchte<br />

ich die Annahme, dass wir nicht zweifeln dürften o<strong>de</strong>r gar, dass wir immer gewiss und sicher sein<br />

müssten, als unrealistisch und unnütz zurückweisen.<br />

Zusammenfassung<br />

Der Zweifel ist immer von Gefühlen begleitet, die uns meist überraschen. Er changiert zwischen<br />

Wun<strong>de</strong>rn und Peinlichkeit. Das macht unser Leben unsicherer und reicher, auch wenn wir die damit<br />

verbun<strong>de</strong>nen Einsichten und Erfahrungen ursprünglich lieber vermie<strong>de</strong>n hätten.<br />

Der Zweifel ist eminent wichtig, v.a. wegen seiner Wirkung, nicht (nur) <strong>de</strong>r therapeutischen.<br />

Der Zweifel macht beschei<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>swegen gewappnet gegen die einzige Todsün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Therapeuten, die I<strong>de</strong>e er bewirke etwas, er brächte das Wun<strong>de</strong>r hervor - das ist guruhaft, auch ok.,<br />

aber das ist dann etwas An<strong>de</strong>res, eher etwas <strong>für</strong> Religionsgrün<strong>de</strong>r als <strong>für</strong> die Psychotherapie.<br />

Zweifel erspart uns so viel Mühe, v.a. die <strong>de</strong>r Arroganz.<br />

Der Zweifel sollte keinesfalls utilisiert wer<strong>de</strong>n, das hat er nicht verdient, auch nicht von einer<br />

Therapieform, die in <strong>de</strong>r Nutzung <strong>de</strong>s Hin<strong>de</strong>rlichen eine ihrer Stärken sieht. Das hieße <strong>de</strong>n Bock zum<br />

Gärtner machen und – abgesehen davon, dass <strong>de</strong>r Bock vielleicht kein guter Gärtner ist, er fehlt dann<br />

auch <strong>de</strong>r Her<strong>de</strong>, ohne ihn wird sie nicht ge<strong>de</strong>ihen. An<strong>de</strong>rs gesagt: Der Zweifel ist zu fruchtbar um<br />

gleich genutzt zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Zweifel steht <strong>de</strong>m Glauben gegenüber, nicht entgegen. Glaube und Zweifel sind Positionen, die<br />

nicht auf Dauer aufrecht erhalten wer<strong>de</strong>n können. Wer nur zweifelt, <strong>de</strong>r verzweifelt, wer nur glaubt<br />

sieht alle Erfahrung im ewig gleichen Licht.<br />

Was wäre <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>s Zweifels <strong>für</strong> die Therapie? „Technisch“ gesprochen keiner, er mahnt uns aber<br />

ständig an die Vorläufigkeit unseres beruflichen Han<strong>de</strong>lns und die Abhängigkeit dieses Han<strong>de</strong>lns von<br />

außertherapeutischen Wirkungen und Kontexten.<br />

Der Therapeut ist immer ungewiss und <strong>de</strong>swegen neugierig und immer wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>r<br />

neuen maßgeschnei<strong>de</strong>rten Lösung.<br />

Der Therapeut weiß nichts und kann nichts, wenn er sich hinsetzt und zu arbeiten beginnt. Er fängt<br />

immer wie<strong>de</strong>r von vorne an, je<strong>de</strong>n Tag. Das ist das Schöne und Schöpferische an seiner Arbeit. Der<br />

Zweifel ist <strong>de</strong>r notwendige Preis da<strong>für</strong>. Der Glaube ist die Münze, in <strong>de</strong>r wir diesen Preis zahlen<br />

können ohne zu verzweifeln.<br />

Literatur:<br />

Reik T. (1935) Der überraschte Psychologe. Sijthoffs Uitgeversmaatschappij N.N., Lei<strong>de</strong>n<br />

Wetering J. (1978) Lehrjahre in einem Zenkloster. Rowohlt, Reinbek<br />

Dieser Artikel ist die Essenz und das Ergebnis eines Vortrags im Rahmen <strong>de</strong>s „Systemischen<br />

Kaffeehauses“ im Juni 02<br />

DR. HELMUT DE WAAL ist klinischer Psychologe, Psychotherapeut in freier Praxis (Steyr), Supervisor,<br />

Lehrtherapeut <strong>für</strong> systemische Familientherapie und Autor mehrfacher Veröffentlichungen in<br />

systemischer Therapie.

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