Vaterunser-Broschüre [PDF; 2 MB] - Evangelischer Kirchenbezirk ...
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Das<br />
<strong>Vaterunser</strong><br />
• als Gebet des Juden Jesus<br />
• in der Politik<br />
• in der Kunst<br />
• im interreligiösen Dialog<br />
Vier Vorträge<br />
aus der<br />
musikalischtheologischen<br />
Woche zum <strong>Vaterunser</strong>,<br />
herausgegeben<br />
von der<br />
Evangelischen Stiftskirchengemeinde<br />
Tübingen<br />
1
i m H i m<br />
m e l ,<br />
g e<br />
h<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> • als Gebet des Juden Jesus • in der Politik<br />
• in der Kunst • im interreligiösen Dialog<br />
mit Beiträgen von<br />
Kim Apel, Karl Theodor Kleinknecht, Marie-Luise Kling-de Lazzer,<br />
Michael Seibt<br />
herausgegeben von der<br />
Evangelischen Stiftskirchengemeinde Tübingen<br />
Neckarhalde 27<br />
72070 Tübingen<br />
Redaktion, Titelgrafik, Layout und Satz: Pressepfarrer Peter Steinle<br />
Fotos Seiten 1, 35, 38 und 52: Lothar Boehme<br />
© Evangelische Stiftskirchengemeinde Tübingen 2011<br />
2
e i l i<br />
g t w e r d e<br />
d e i n N a m e ,<br />
Inhalt<br />
Vorwort ............................................................................................................................................. 5<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> als Gebet des Juden Jesus<br />
von Dr. Karl Theodor Kleinknecht ............................................................................................ 6<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> und die Politik - ein spannungsreiches Verhältnis<br />
von Dr. Marie-Luise Kling-de Lazzer .................................................................................... 22<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> in der Kunst<br />
von Dr. Kim Apel ......................................................................................................................... 32<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> im interreligiösen Dialog<br />
von Michael Seibt ...................................................................................................................... 40<br />
Literaturverzeichnis .................................................................................................................... 51<br />
3
Dein Reich komme. Dein Wille<br />
4
geschehe, wie im Himmel,<br />
Vorwort<br />
Mit der „Musikalisch–theologischen<br />
Woche zum <strong>Vaterunser</strong>“ betrat die Tübinger<br />
Stiftskirchengemeinde Neuland:<br />
Einer der grundlegenden christlichen<br />
Texte, das <strong>Vaterunser</strong>, wurde zehn Tage<br />
lang auf verschiedenste Weise zum Klingen<br />
gebracht, erläutert, mit Gott und der<br />
Welt, mit Musik und Lyrik in Beziehung<br />
gesetzt. Bemerkenswert ist, dass es gelungen<br />
ist, hunderte von Menschen zum<br />
Nachdenken über das <strong>Vaterunser</strong> anzuregen,<br />
und dabei ein Konzept zu entwickeln,<br />
das neben den bewährten Formen<br />
Kantatengottesdienst und Motette auch<br />
Gesprächskonzert, Vortrag und „Kantate<br />
zum Mitsingen“ eingebunden hat und<br />
so auf verschiedenste Weise Menschen<br />
anzusprechen in der Lage war. Idee und<br />
Gesamtkonzept der musikalisch-theologischen<br />
Woche zum <strong>Vaterunser</strong> sind<br />
dem Kantor der Stiftskirche, KMD Ingo<br />
Bredenbach zu verdanken.<br />
Von Montag bis Donnerstag der <strong>Vaterunser</strong>–Woche<br />
begegneten sich jeden<br />
Abend Theologie und Musik, jeweils in<br />
Form eines kompakten Vortrags und<br />
mehrerer Chorwerke. Man reiste durch<br />
die Zeit – von Johann Eccard bis Wolfgang<br />
Stockmeier, durch fünf Jahrhunderte,<br />
man streifte die verschiedensten<br />
Themen: Wortauslegung traf sich mit<br />
musikalischer Deutung, schloss die bildende<br />
Kunst und Literatur ein und ließ<br />
die Politik nicht aus.<br />
Auf vielfachen Wunsch hat sich der<br />
Stiftskirchengemeinderat entschlossen,<br />
die Vortragstexte in einer kleinen <strong>Broschüre</strong><br />
zu veröffentlichen. Die Vorträge<br />
selber lebten von der Korrespondenz<br />
von Chormusik, Gemeindegesang und<br />
Wortbeitrag; dieses Gesamtkunstwerk<br />
lässt sich hier nicht reproduzieren. Die<br />
gedruckten Vorträge erfüllen keinen<br />
wissenschaftlichen Anspruch. Wichtige<br />
Literatur, auf die sich die Vortragenden<br />
beziehen, ist am Schluss aufgeführt. In<br />
der Dokumentation wurde der Vortragscharakter<br />
beibehalten.<br />
Wir wünschen allen Leserinnen und<br />
Lesern eine anregende und erkenntnisreiche<br />
Lektüre.<br />
Tübingen, im Herbst 2011<br />
Der Stiftskirchengemeinderat<br />
5
s o a u f E r d e n . U n s e r t ä g<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> als Gebet des Juden Jesus<br />
Eine Orientierung<br />
von Karl Theodor Kleinknecht<br />
Das <strong>Vaterunser</strong>: Wie es wurde und worauf es aufbaut<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> ist das die ganze Christenheit<br />
verbindende Gebet. Alle Christen<br />
aller Konfessionen und Kontinente<br />
haben es gemeinsam, können es auswendig<br />
und beten es nicht nur in ihren<br />
Gottesdiensten, sondern viele täglich.<br />
Und da es viele Christen gibt weltweit,<br />
gibt es wahrscheinlich keinen Moment<br />
mehr bei Tag und Nacht, an dem nicht<br />
irgendwo gerade ein <strong>Vaterunser</strong> zu Gott<br />
unterwegs ist, und das schon seit Jahrhunderten.<br />
Denn zugleich teilen wir es ja auch<br />
mit der Christenheit aller Zeiten. Schon<br />
die älteste uns erhaltene christliche Gemeindeordnung,<br />
die Didaché aus Syrien,<br />
noch aus dem ersten Jahrhundert, kaum<br />
jünger als die Evangelien, zitiert den Text<br />
6<br />
- und ordnet an: „Dreimal am Tag betet<br />
so!“ Schon eine beeindruckende Vorstellung:<br />
wie sich dieses Gebet verbreitet<br />
hat und von Generation zu Generation<br />
weitergegeben worden ist, ununterbrochen<br />
bis heute, und eigentlich ist ja auch<br />
davon auszugehen, dass das nicht endet,<br />
so lange es Menschen auf der Erde gibt.<br />
Aber wann und wie ist es entstanden?<br />
Wir alle wissen: Es ist das Gebet Jesu,<br />
das in der Bibel überliefert ist. Und zwar<br />
zweimal, das eine Mal in Matthäus 6, das<br />
andere Mal in Lukas 11. Beidesmal steht<br />
es an prominenter Stelle im jeweiligen<br />
Evangelium, was für seine Wichtigkeit<br />
spricht.<br />
Bei Lukas steht es ziemlich genau in<br />
der Mitte des Evangeliums und, wie ei-
l i c h e s B r o t g i b u n s h e u t e .<br />
ner ermittelt hat, noch genauer in der<br />
Mitte zwischen Jesu Taufe und der Einsetzung<br />
des Abendmahls. Da erzählt der<br />
Evangelist, dass Jesus seine Jünger auf<br />
deren Bitte hin („Herr, lehre uns beten...“)<br />
dieses Gebet gelehrt habe, und zwar in<br />
dem Wortlaut wie in der Lukas-Spalte in<br />
Anhang A (Seite 18). Außerdem erfahren<br />
wir, dass auch Johannes der Täufer seinen<br />
Jüngern/Schülern in ähnlicher Weise<br />
ein Gebet gegeben hatte, das freilich<br />
leider nicht erhalten ist.<br />
Matthäus dagegen überliefert das <strong>Vaterunser</strong><br />
als einen Abschnitt der Bergpredigt,<br />
die ja die gewichtigste Rede<br />
seines Evangeliums darstellt. In ihr hat<br />
der Evangelist Jesu Lehre umfassend in<br />
einer kunstreichen Ordnung zusammengestellt.<br />
Die genaue Mitte, der innerste<br />
Kern des Zentrums der Bergpredigt aber<br />
ist das <strong>Vaterunser</strong> (siehe Anhang B, Seite<br />
19).<br />
Dessen Wortlaut finden Sie ebenfalls<br />
im Anhang A (Matthäus-Spalte), und sehen:<br />
Das ist „unser“ <strong>Vaterunser</strong>, nur den<br />
Abschluss, der dort in eckigen Klammern<br />
steht, den müssen Sie sich tatsächlich<br />
wegdenken: der stand ursprünglich bei<br />
Matthäus noch nicht, erstmals in besagter<br />
Didaché, in späteren Handschriften<br />
des Matthäusevangeliums finden wir ihn<br />
dann oft (in den Gemeinden gehörte er<br />
im Gottesdienst ja schon früh dazu).<br />
Die Frage: „Welche Fassung ist die<br />
ältere?“ lässt sich leicht beantworten:<br />
Vom Umfang her gewiss die bei Lukas<br />
(bei Matthäus ergänzt). Im Blick auf die<br />
wenigen Unterschiede im Wortlaut hat<br />
manchmal Lukas, manchmal aber vielleicht<br />
auch Matthäus die ältere Version<br />
bewahrt.<br />
Beide Evangelisten überliefern das <strong>Vaterunser</strong><br />
als Gebet Jesu, das dieser seinen<br />
Jüngern - in der Bergpredigt den Jüngern<br />
und dem Volk - als Gebet („so sollt<br />
ihr beten!“) übergibt. Dass es tatsächlich<br />
so war, wir hier also wirklich ein Stück<br />
Urgestein der Jesusüberlieferung vor uns<br />
haben, ist nicht nur möglich, sondern<br />
so wahrscheinlich, dass es heute auch<br />
kaum mehr bestritten wird. (Das „naive“<br />
Argument des Matthias Claudius, das<br />
<strong>Vaterunser</strong> sei „ein für allemal das beste<br />
Gebet, denn du weißt, wer’s gemacht<br />
hat“, erfährt so von der Forschung heutzutage<br />
durchaus Rückendeckung).<br />
Eine Beobachtung, die den jesuanischen<br />
Ursprung unterstreicht, ist, dass<br />
das <strong>Vaterunser</strong> gut aus dem Griechischen<br />
ins Aramäische zurückzuübersetzen<br />
ist, das ja die Sprache Jesu war.<br />
Wenn man das tut, kann man sogar poetische<br />
Strukturen darin entdecken, sich<br />
reimende Endungen und Rhythmen, wie<br />
man sie bei Texten gut brauchen kann,<br />
die zum mündlichen Weiterüberliefern,<br />
also zum Auswendiglernen bestimmt<br />
sind. Das <strong>Vaterunser</strong> ist also zugleich ein<br />
Gedicht.<br />
Man kann auch zeigen, dass das <strong>Vaterunser</strong><br />
ursprünglich sicher nicht auf Hebräisch<br />
verfasst war, das ja die Sprache<br />
7
U n d v e r g i b u n s u n s e r e S c h u<br />
der Schriftgelehrten und auch der Synagogengebete<br />
war. Aramäisch dagegen<br />
war die Umgangssprache, die zum Beten<br />
eher von den einfachen Menschen und<br />
beim privaten Gebet benutzt wurde.<br />
Das meines Erachtens stärkste Argument<br />
dafür, dass das <strong>Vaterunser</strong> von Jesus<br />
selbst stammt, ist die Tatsache, dass<br />
es ein ganz jüdisches (und im Grund kein<br />
„christliches“) Gebet ist. Das klingt im<br />
ersten Moment etwas seltsam. Aber tatsächlich<br />
war Jesus ja Jude, und keineswegs<br />
Christ, auch nicht der erste Christ.<br />
Und tatsächlich enthält das <strong>Vaterunser</strong>,<br />
anders als die vielen, zum Teil ja auch<br />
sehr alten gottesdienstlichen Texte, die<br />
wir im Neuen Testament finden können,<br />
keine Aussagen oder Formeln, die sich<br />
auf Jesus Christus beziehen (wie beispielsweise<br />
„Durch Jesus Christus unseren<br />
Herrn“) und ist insofern tatsächlich<br />
„vorchristlich“. Wäre es erst in der Gemeinde<br />
nach Jesu Tod und nach Ostern<br />
verfasst, es hätte ganz gewiss solche<br />
Aussagen. Und wäre es in den Gemeinden<br />
nicht als das Gebet Jesu bekannt und<br />
dadurch mit höchstem Respekt versehen<br />
gewesen, man hätte solche es deutlich<br />
als christliches Gebet ausweisende Formeln<br />
gewiss nachgetragen. Aber das hat<br />
niemand versucht.<br />
So verweist uns das <strong>Vaterunser</strong> auf Jesus,<br />
und zwar auf den Juden Jesus. Denn<br />
Jesus - um es mit der schönen Formulierung<br />
des Altmeisters der <strong>Vaterunser</strong>forschung,<br />
Joachim Jeremias, zu sagen,<br />
8<br />
„Jesus kommt aus einem Volk, das zu<br />
beten verstand“.<br />
Tatsächlich finden wir ja schon im<br />
Alten Testament allenthalben Gebete.<br />
Nicht nur die Psalmen, sondern auch immer<br />
wieder in den erzählenden Büchern<br />
Szenen, in denen Menschen beten, und<br />
in denen das Gebet dann mitgeteilt wird.<br />
Sehr konkrete, situationsbezogene, auch<br />
ganz persönliche Gebete sind dabei.<br />
Andererseits wissen wir um die Gebetspflichten,<br />
mehrmals täglich bestimmte<br />
Bibelabschnitte als Gebet zu sprechen<br />
oder auch fest formulierte Gebete, die<br />
nicht selten auf bestimmte Autoritäten<br />
(Rabbis) zurückgeführt werden.<br />
Dass Jesus von seinen Jüngern gebeten<br />
wurde, ihnen ein solches festes<br />
Gebet zu formulieren (so wie Johannes<br />
es für seine Schüler auch getan<br />
hatte), ist von daher ganz verständlich.<br />
Er tut es auf aramäisch, in der<br />
Volkssprache. Und was er da formuliert,<br />
ist zunächst einmal ganz im<br />
Rahmen jüdischer Gebetssprache und<br />
Gebetsanliegen. Für alles, was im <strong>Vaterunser</strong><br />
vorkommt, finden sich im<br />
alttestamentlich-jüdischen Textfeld<br />
reichlich Parallelen.<br />
Natürlich hat die Forschung das <strong>Vaterunser</strong><br />
wieder und wieder mit den<br />
überlieferten alttestamentlichen und<br />
jüdischen Gebetstexten verglichen. Es<br />
sind drei Texte, bei denen ein solcher<br />
Vergleich besonders lohnt und ergiebig<br />
erscheint.
l d ,<br />
w i e a u c h w i r v e r g e b e n<br />
Schon in der Bibel gibt es in Jesaja<br />
63,15 bis 64,11 ein langes Klagegebet,<br />
in dem die im zerstörten Jerusalem zurückgebliebenen<br />
Judäer Gottes mächtige<br />
Hilfe erbitten. Man hat es das Dubist-unser-Vater-Gebet<br />
genannt, weil es<br />
diese Anrede mehrmals ausspricht; und<br />
auch eine ganze Reihe der da gebrauchten<br />
Motive: der Himmel, Gottes heiliger<br />
Name, die Sehnsucht nach dem Eingreifen,<br />
Herbeikommen Gottes, aber auch<br />
Sünde, Vergebung, Erlösung machen<br />
dieses Gebet zu einem frühen Vorläufer<br />
des Gebetes Jesu.<br />
Der zweite, am häufigsten herangezogene<br />
Vergleichstext ist das 18-Bitten-<br />
Gebet, (siehe Anhang E, Seite 20) das bis<br />
heute weltweit zu den dreimal täglich<br />
zu sprechenden Pflichtgebeten des Judentums<br />
gehört (auch insofern also ein<br />
Pendant zum <strong>Vaterunser</strong>, das ja auch<br />
dreimal tägliches Pflichtgebet der Christenheit<br />
war (und ist). Zur Zeit Jesu kann<br />
es dieses Gebet durchaus schon gegeben<br />
haben, Jesus hätte es dann gekannt und<br />
gebetet, allerdings hatte es damals gewiss<br />
noch nicht exakt den heutigen Umfang<br />
und Text. Wenn Sie es anschauen,<br />
sehen Sie die Verschiedenheit: schon die<br />
Länge und die (fett gesetzten) Benediktionen<br />
sind ganz anders; aber es sind<br />
Bitten, und wenn man sie durchsieht,<br />
finden wir die Heiligung des Namens<br />
ebenso wie das Königsein Gottes, die<br />
Bitte um Sättigung, Vergebung und Erlösung.<br />
Schließlich noch das dritte, das Kaddischgebet<br />
(siehe Anhang D, Seite 19),<br />
das einzige aramäischsprachige Gebet<br />
der Synagoge, ebenfalls alt, ob schon<br />
zur Zeit Jesu, ist allerdings fraglich. Doch<br />
einerlei: die Nähe zu den beiden ersten<br />
<strong>Vaterunser</strong>bitten ist zu sehen, trotz allen<br />
Wortreichtums drumherum, freilich nur<br />
zu diesen beiden.<br />
Wenn wir nachher noch auf die einzelnen<br />
Bitten des <strong>Vaterunser</strong>s zu sprechen<br />
kommen, werden wir hin und wieder<br />
noch einmal auf diesen ihm zugrundeliegenden<br />
Nährboden des jüdischen Glaubens,<br />
Denkens und Betens zurückkommen.<br />
Jetzt geht es fürs erste nur darum,<br />
ihn wahrzunehmen: Jesus ist Jude, er lebt,<br />
glaubt und betet in diesem von der Geschichte<br />
mit Gott in so besonderer Weise<br />
geprägten Volk, redet seine Sprache. So<br />
ist das <strong>Vaterunser</strong> ein Text, den man ohne<br />
seinen jüdischen Hintergrund nur unzureichend<br />
verstehen kann. Umgekehrt<br />
bemerken jüdische Theologen und Laien<br />
immer wieder mehr oder weniger erstaunt,<br />
dass sie das <strong>Vaterunser</strong> ohne Probleme<br />
verstehen und ohne innere Reserve<br />
mitsprechen können. Inzwischen gibt es<br />
hier und da auch immer wieder gemeinsame<br />
jüdisch-christliche Gottesdienste,<br />
in denen das geschieht. „Das <strong>Vaterunser</strong><br />
ist das große Brückengebet zwischen der<br />
jüdischen und der christlichen Gemeinde.<br />
Im <strong>Vaterunser</strong> leben die jüdischen Kategorien<br />
weiter, bis auf den heutigen Tag“<br />
(Mußner/Lapide, bei Grimm).<br />
9
u n s e r n S c h u l d i g e r n . U n d f ü h<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> als Mitte der Botschaft Jesu<br />
„Das <strong>Vaterunser</strong> als Gebet des Juden<br />
Jesus“ ist unser Thema heute Abend. Haben<br />
wir das <strong>Vaterunser</strong> bisher als jüdisches<br />
Gebet bedacht, so geht es jetzt um<br />
das jesuanische Gebet, das eben auch<br />
Jesu eigene theologische Handschrift<br />
trägt. Das muss uns ja nicht wundern,<br />
schließlich wollten die Jünger das Gebet<br />
als Gebet ihres Rabbi, ihres Lehrers<br />
und Herrn. Natürlich hat man diesen Aspekt<br />
des <strong>Vaterunser</strong> schon früh bemerkt.<br />
Schon die Kirchenväter Tertullian und<br />
Cyprian haben es als „Kurzfassung des<br />
ganzen Evangeliums“ oder „Kompendium<br />
der himmlischen Lehre“ bezeichnet.<br />
Und in der Folge hat man dann bisweilen<br />
schier die ganze christliche Theologie<br />
hineinzuinterpretieren versucht, und<br />
dieses „christliche“ <strong>Vaterunser</strong> dem jüdischen<br />
„Ungeist“ entgegengehalten.<br />
Wir wollen es heute nicht übertreiben,<br />
mir genügt es, wenn wir sehen, wie<br />
das <strong>Vaterunser</strong> im Ganzen und in den<br />
Aspekten seiner Bitten tatsächlich dem<br />
entspricht, was wir von Jesus sonst zu<br />
hören bekommen, mit den Pointen und<br />
Akzenten seiner Botschaft in Beziehung<br />
steht.<br />
Schon die äußere Form des Gebets<br />
entspricht genau dem, was Jesus selbst<br />
zu beachten fordert: „Wenn ihr aber<br />
betet, dann sollt ihr nicht plappern wie<br />
die Heiden, nicht viele Worte machen“:<br />
10<br />
Gerade mal 38 griechische Wörter zählen<br />
die 5 Bitten bei Lukas, Matthäus hat<br />
schon 57 draus gemacht, und immer<br />
noch ist das <strong>Vaterunser</strong> in seiner Kürze<br />
und Präzision kaum zu überbieten. Ein<br />
Blick aufs Achtzehnbittengebet und den<br />
Wortschwall des Kaddisch, aber auch auf<br />
so manches christliche gottesdienstliche<br />
Gebet unserer Tage gibt uns da doch zu<br />
denken.<br />
Doch nicht nur die Kürze als solche<br />
lässt sich bei der Frage nach „Jesu Handschrift“<br />
anführen, sondern auch deren<br />
Begleiterscheinung: dass eben vieles<br />
auch nicht gesagt wird in diesem Gebet,<br />
was anderswo vieler Worte für wert gehalten<br />
wird.<br />
Da sind zum einen die fehlenden<br />
„Schnörkel“: Eine klare Anrede, keine Titelei,<br />
keine Lobhudelei, nur: „Geheiliget<br />
werde dein Name“.<br />
Da ist zum anderen das Thema Israel:<br />
„Israel“, das Wort, das sonst wohl in keinem<br />
jüdischen Gebet fehlt, kommt nicht<br />
vor. Der Messias Israels lässt die Seinen<br />
um das Kommen der Königsherrschaft<br />
Gottes bitten, doch nicht als Befreiung<br />
Israels von der „frechen Regierung“<br />
Roms (wie im 18-Bitten-Gebet), sondern<br />
als das Jetzt-schon der (grenzenlosen)<br />
Barmherzigkeit Gottes.<br />
Oder wenn wir den Aufbau betrachten:<br />
Die Anrede und dann die klare Zwei-
e u n s n i c h t i n V e r s u c h u n g ,<br />
teilung in die zwei (bei Mt: drei) „Dein-<br />
Bitten“ (Dein Name, Dein Reich, Dein<br />
Wille) und drei „Unser-Bitten“ (unser<br />
Brot, unsere Schuld, unsere Versuchung<br />
und Erlösung vom Bösen). Sie macht<br />
das <strong>Vaterunser</strong> nicht nur schön, sondern<br />
markiert auch eine klare Reihenfolge:<br />
zuerst die Bitte um die auf Gott bezogenen<br />
Belange, dann die Dinge hier auf<br />
Erden. Mag sein, dass die Gesetzestafeln<br />
des Mose da Modell standen, aber noch<br />
näher liegt es, an Jesu eigenes Wort zu<br />
denken (Mt 6,33): „Trachtet zuerst nach<br />
dem Reich Gottes und nach Gottes Gerechtigkeit,<br />
dann wird euch alles andere<br />
zufallen“. Darum zuerst die Du-Bitten,<br />
dann die Unser-Bitten, weil sie genau in<br />
diesem Verhältnis stehen.<br />
Ein Blick aufs 18-Bitten-Gebet zeigt,<br />
dass es dort gerade anders herum ist,<br />
im Mittelteil (Ber 4-9 / 10-16) beginnt<br />
es bei den alltäglichen Themen und<br />
schließt mit den eschatologischen (als<br />
Zukunft gedachten). Bei Jesus ist beides<br />
Gegenwart.<br />
Womit wir nun beim entscheidenden<br />
Punkt angekommen sind, der wohl tatsächlich<br />
der Schlüssel zum <strong>Vaterunser</strong><br />
ist: nämlich das erste und ursprünglich<br />
einzige Wort, die Anrede: „Vater“, „patér“,<br />
aramäisch stand da: Abba.<br />
Das ist Ihnen sicher nicht neu, und natürlich<br />
haben die Theologen aller Zeiten<br />
darüber viel gesagt und geschrieben.<br />
Versuchen wir’s kurz zu machen.<br />
„Abba“ und „Imma“ sind in der Tat die<br />
aus dem Kinderlallen herkommenden,<br />
bis heute gebräuchlichen zärtlichen Elternbezeichnungen,<br />
wie im Deutschen<br />
„Papa“ und „Mama“. Aber der einfache<br />
Schluss: Aha, Christen dürfen zu Gott<br />
„Papa“ sagen... ist denn doch etwas zu<br />
einfach. Abba ist nämlich nicht auf diesen<br />
Sprachgebrauch beschränkt, sondern<br />
auch die erwachsene Anredeform<br />
für Vater, mein Vater – unter Menschen.<br />
Dass Gott als Vater bezeichnet wird, allerdings<br />
selten allein, sondern meist zusammen<br />
mit anderen Bildern (König),<br />
ist schon im Alten Testament häufig,<br />
die Anrede als Vater dagegen selten, als<br />
„Abba“ im Targum nur ein Mal (Ps 89,27<br />
von David). Dass Jesus diese Anrede im<br />
<strong>Vaterunser</strong> zur einzigen macht und seinen<br />
Jüngern erlaubt, ja gebietet, Gott so<br />
anzureden, ist darum schon bemerkenswert.<br />
Wir können jetzt natürlich lange hin<br />
und her erwägen, was „Vater“ für uns<br />
Heutige alles bedeutet und assoziiert<br />
– da steckt ja wirklich ein Problem. Im<br />
Blick auf Jesu Botschaft freilich ist zunächst<br />
wichtig, was er damit meinte:<br />
Und da ist klar: Schon vom Alten Testament<br />
her ist „der Abba der liebende,<br />
fürsorgende und barmherzige Vater, der<br />
das Herz seines Kindes, seine Nöte und<br />
seine Bedürfnisse kennt.“ (Grimm 28).<br />
Also Ausdruck der Nähe Gottes, intimer<br />
Nähe, einer nicht erst gewordenen, sondern<br />
im eigenen Ursprung gegründeten<br />
Vertrauensbeziehung, von Ur-Vertrauen.<br />
11
s o n d e r n e r l ö s e u n s v o n d<br />
Abba, Vater, Unser Vater – am Anfang<br />
steht als erstes Wort, als An-Rede, als<br />
das, was den Kontakt herstellt, also die<br />
vertraute Nähe. Wenn Matthäus: „im<br />
Himmel“ ergänzt, bringt er sogleich<br />
noch die Spannung zur Sprache, die darin<br />
liegt, dass es der an sich unverfügbare<br />
Gott ist, der sich so anreden läßt.<br />
Und noch etwas läßt sich an der<br />
Abba-Anrede entdecken: Jesus redet ja<br />
oft von Gott als Vater, als seinem Vater:<br />
„mein Vater“, aber auch als „euer<br />
himmlischer Vater“. Wenn wir dafür<br />
nach Beispielen suchen, so fällt den<br />
meisten von uns wahrscheinlich die<br />
Geschichte vom verlorenen Sohn ein.<br />
In der die Rollen von Vater und Sohn<br />
in der Tat das Thema sind, und die Rolle<br />
des Vaters im Grunde ja eine recht eigenartige.<br />
Als er den verloren geglaubten<br />
Sohn heimkehren sieht, eilt er ihm<br />
entgegen, und noch bevor dieser seine<br />
Reue zeigen und ihn um Erbarmen bitten<br />
kann, ist er schon bei ihm als sein<br />
ihn liebender Vater. Nimmt ihn an, wie<br />
man einen Menschen nur annehmen<br />
kann, ist er da als der Abba, und schafft<br />
dem schuld- und notbeladenen Sohn<br />
den Raum zum Abladen, zum Reden,<br />
zum Eingestehen seiner Schuld.<br />
Werner Grimm hat das sehr schön<br />
gezeigt, und ich glaube, es ist nicht<br />
übertrieben, wenn man diese Pointe des<br />
Vater-Verständnisses Jesu auch im <strong>Vaterunser</strong><br />
wiederfindet: Das „Abba“ steht<br />
am Anfang, bevor wir bitten, bereuen,<br />
bekennen. Am Anfang steht das verlässliche<br />
Vertrauensverhältnis, die Gotteskindschaft,<br />
womit im Grunde schon<br />
alles entschieden ist.<br />
Sehr schön sehen wir hier wieder die<br />
durchweg tiefjüdischen Voraussetzungen<br />
des <strong>Vaterunser</strong>s und die jesuanische<br />
Pointe: Gott in dieser Zuspitzung auf<br />
sein „Vater-Sein“ zu behaften, das ist<br />
noch nicht dagewesen, ist das überraschend<br />
Neue, das Jesus behauptet und<br />
eröffnet.<br />
Die „Dein“-Bitten<br />
Wie gesagt: Die Dein-Bitten (klingt<br />
nicht schön, aber es ist praktisch) stehen<br />
voran, bei Lukas zwei, bei Matthäus<br />
drei. Sprachlich sind sie ja in der Schwebe<br />
zwischen einer Bitte (das „Du“ ist ja<br />
12<br />
da im „Dein“!) und einem Wunsch („es<br />
möge geschehen“).<br />
Wenn man sie langsam und mit Bedacht<br />
spricht, bekommt man den Eindruck,<br />
daß man, indem man sie aus-
e m B ö s e n . D e n n d e i n i s t<br />
spricht, selbst mit dran beteiligt ist, dass<br />
sie sich erfüllen: (also „performatives“<br />
Sprechen)<br />
„Dein Name werde geheiligt“: indem<br />
man das sagt, gibt man Gott die Ehre.<br />
Aber natürlich ist den Namen zu heiligen<br />
viel mehr als nur, das zu sagen.<br />
Es ist eine Haltung, Ehrfurcht vor Gott,<br />
die sich auswirkt im Denken und Tun:<br />
Beispiele reichen vom Ungehorsam der<br />
Hebammen in der Mosegeschichte gegenüber<br />
dem Befehl des Pharao, die Babys<br />
zu töten (aus Gottesfurcht, 2.Mose<br />
1,17.22) bis hin zum Martyrium eines<br />
Menschen, der sich weigert, Gottes Namen<br />
zu entheiligen.<br />
Wie sehr die Heiligkeit Gottes Jesus<br />
am Herzen lag, erweist sich am stärksten<br />
in der Geschichte von der Tempelreinigung:<br />
Gottes Namen heiligen heißt<br />
hier, dem Missbrauch des Heiligen Orts<br />
zur Bereicherung der führenden Priesterfamilien<br />
zu wehren (4,2 % Wechselgebühr!,<br />
Grimm S. 41).<br />
Im <strong>Vaterunser</strong> ist freilich die Heiligung<br />
des Namens gar nicht auf irgendwelche<br />
besondere Bereiche beschränkt, sondern<br />
ganz allgemein auf Gottes Anspruch als<br />
Gott und Schöpfer:<br />
Die Bitte ist eine Geste der Ehrfurcht<br />
und zugleich äußert sie Sehnsucht<br />
nach, ja Leidenschaft für die Ehre Gottes<br />
in der Welt. Und da sind wir in der<br />
Tat schnell auch bei uns, denken Sie nur<br />
an den Zustand der Welt und die Hybris<br />
des Menschen, an Biotechnik, Ökologie<br />
und Menschenwürde. Was wäre, wenn<br />
die Menschen tatsächlich Gottes Namen<br />
heiligten, indem sie Gott zur Ehre lebten,<br />
arbeiteten, forschten, musizierten...?<br />
„Dein Reich komme“ – da sind wir natürlich<br />
ganz am Eigensten des Judentums<br />
mit seiner Messiaserwartung und<br />
der Erwartung der zukünftigen Welt,<br />
und am Eigensten Jesu: „Kehrt um, denn<br />
die Königsherrschaft Gottes ist nahe<br />
herbeigekommen!“ war ja auch der Ausgangspunkt<br />
seines Wirkens. Und wieder<br />
wäre nun viel zu sagen dazu, sowohl was<br />
die jüdischen Erwartungen als auch was<br />
Jesus betrifft. Das müssen wir lassen.<br />
Festgehalten sei aber, daß wir als<br />
Betende, so wie wir mit dem Abba am<br />
Anfang in einen Vertrauensraum eingetreten<br />
sind und mit der ersten Bitte in<br />
einen heiligen Raum, nun in den Raum<br />
der Hoffnung eintreten: Hoffnung auf<br />
die Überwindung der Entfremdung von<br />
Gott, für die die Not, Krankheit, Todverfallenheit<br />
und die Mächtigkeit des Bösen<br />
in unserer Welt Symptome sind. Jesus<br />
hat die Königsherrschaft Gottes nah und<br />
auf dieser Erde erwartet, und in seinem<br />
eigenen heilenden und verkündigenden<br />
Wirken schon seine punktuelle Gegenwart<br />
gesehen. Indem wir „Dein Reich<br />
komme“ beten, geben wir diese Hoffnung<br />
nicht auf.<br />
„Dein Wille geschehe“: Dies ist die<br />
dritte, von Matthäus nachgetragene Bitte<br />
(sicher nicht nur, damit es drei werden,<br />
sondern auch weil das Verhältnis<br />
13
d a s R e i c h u n d d i e K r a f<br />
des Menschen zum Willen Gottes in seiner<br />
Gemeinde und für ihn von besonderem<br />
Gewicht war). Wieder bedeutet das<br />
Sprechen dieser Bitte ja ein Einstimmen<br />
und Geschehen-Lassen. Ein Unterordnen<br />
des eigenen Willens unter den Gottes,<br />
zugleich aber deutlich durch das „Wie im<br />
Himmel so auf Erden“ mit einer starken<br />
positiven Erwartung verbunden: So wie<br />
Gottes Wille im Himmel geschieht, in<br />
dieser Vollkommenheit, soll er auch auf<br />
Erden Platz greifen. Insofern ist die Bitte<br />
sehr nah an der zweiten: denn wenn die<br />
Wirklichkeit der Erde so von Gottes Willen<br />
bestimmt wäre wie der Himmel, so<br />
wäre die Königsherrschaft da.<br />
Die „Unser“-Bitten<br />
Auch auf die drei Unser-Bitten können<br />
wir jetzt nur noch ganz kurz und<br />
anmerkungsweise zu sprechen kommen<br />
(die letzte „Sondern erlöse uns<br />
von dem Bösen“, die Luther als eigenständige<br />
siebente Bitte zählte, ist<br />
besser als „6b“ zu zählen, ist sie doch<br />
eine höchst passende Ergänzung der<br />
sechsten „und führe uns nicht in Versuchung“).<br />
In dem Raum des Vertrauens, der Heiligkeit<br />
und der Hoffnung, in den das<br />
<strong>Vaterunser</strong> den Betenden bisher geführt<br />
hat (das kommt mir beim Beten oft<br />
wirklich so vor, als ob ich da erst mal ein<br />
großes Zelt über mir aufspanne, in dem<br />
das große Verlangen nach einer ja ganz<br />
anderen Welt als der unseren Platz hat),<br />
kommen nun die drei ganz irdischen Bitten<br />
zu stehen: Die um das tägliche Brot,<br />
um die Vergebung der Schuld und die<br />
14<br />
Bewahrung vor und Erlösung von dem<br />
Bösen.<br />
Man kann die gute Ordnung dieser<br />
drei Bitten unter verschieden Gesichtspunkten<br />
zu beschreiben versuchen (vgl.<br />
Neugebauer, S. 43f.):<br />
Die Bitte ums tägliche Brot bezieht<br />
sich auf meine Gegenwart, die um Vergebung<br />
auf meine Vergangenheit, die<br />
um Bewahrung vor der Versuchung auf<br />
meine Zukunft.<br />
Aber auch die drei Grundnöte des<br />
Menschen: Sorge – Schuld – Angst sind<br />
plausibel, oder „Der Mensch als das „bedürftige<br />
Wesen“, das „Beziehungswesen“<br />
und das „bedrohte Wesen“.<br />
In jedem Fall wird deutlich: Jesus will,<br />
dass wir uns mit diesen Bedürfnissen,<br />
Mängeln und Nöten an den Vater wenden,<br />
der weiß, wessen wir bedürfen und<br />
gibt und schenkt.
t u n d d i e H e r r l i c h k e i t<br />
Deutlich ist auch, dass alle drei Bitten<br />
jeweils einen alttestamentlichen Hintergrund<br />
haben, der ihre Bedeutung mitbestimmt:<br />
Die Mannageschichte (2. Mose<br />
16), die den Aspekt des täglichen Brotes<br />
so eindrücklich verdeutlicht; die Vergebungsgeschichte<br />
am Ende von Joseph<br />
und seinen Brüdern (1. Mose 50) und die<br />
Versuchungen Evas, Kains und Hiobs.<br />
Und jedes Mal gibt es auch wieder einen<br />
besonderen „Jesus-Akzent“. Die Bitte<br />
ums Brot ist nicht einfach nur die um<br />
Güter zum Sattwerden, Haben und Besitzen<br />
– sondern bewusst geht es um das<br />
tägliche Brot für heute, und damit um<br />
eine Grenze des Sorgens und des Reichtums.<br />
Wir wissen, wie wichtig Jesus dieses<br />
Thema war.<br />
Auch bei der Bitte um Vergebung liegt<br />
der Akzent Jesu auf der Hand: Vergib uns<br />
unsere Schulden, wie auch wir vergeben<br />
unseren Schuldigern. Das so einleuchtende<br />
Gleichnis vom „Schalksknecht“<br />
(Matthäus 28,21ff.), der Millionen erlassen<br />
bekam und dann seinem Mitknecht<br />
dessen kleine Schuldensumme zu stunden<br />
sich weigerte, kennen wir alle. Auch<br />
in jüdischen Texten ist dieser Gedanke<br />
ganz geläufig. Aber unter den vielen Gebeten,<br />
in denen um Vergebung gebetet<br />
wird, ist keines, das auch ans Weiter-<br />
Vergeben denkt. Jesus aber hat darauf<br />
bestanden, dass Vergebung nur in dieser<br />
„reziproken“ Weise Gott entspräche<br />
und von ihm so gemeint sei, und die von<br />
Matthäus gleich hinter das <strong>Vaterunser</strong><br />
gestellten Verse Matthäus 6, 14 und 15<br />
unterstreichen: anders ist Vergebung<br />
nicht zu haben. Das „Wie im Himmel, so<br />
auf Erden“ der dritten Bitte gerät hier<br />
sogleich auf den Prüfstand. Ein schwieriges<br />
Wort, doch überlegen Sie: Wenn<br />
es Schule machte, das Versprechen der<br />
fünften Bitte ernst zu nehmen, wie anders<br />
sähe die Welt aus, unsere kleine und<br />
die große: Es wäre Frieden!<br />
Schließlich die Versuchung und das<br />
„Erlöse uns von dem Bösen“: Auch hier<br />
könnte man natürlich wieder eine biblische<br />
Gesamtgeschichte schreiben vom<br />
Sündenfall bis zur Versuchung Jesu, die<br />
bei Matthäus der Bergpredigt und damit<br />
dem <strong>Vaterunser</strong> unmittelbar voraus geht.<br />
Hinter der Lebenswirklichkeit des Bösen<br />
(und das gilt auch, wenn wir nicht an<br />
einen leibhaftigen Teufel glauben) steht<br />
theologisch ja in der Tat ein bleibendes,<br />
im Grunde unlösbares Rätsel. Das <strong>Vaterunser</strong><br />
aber ist da ganz realistisch: Es gibt<br />
sie, diese Lebenswirklichkeit, alles Leben<br />
spielt sich ab im Kräftefeld der widerstreitenden<br />
Kräfte. Das Böse ist wirksam,<br />
als Versuchung, die den Menschen<br />
wegzieht von Gott, herauslockt aus dem<br />
Raum des Vertrauens, des Heiligen und<br />
der Hoffnung. Es umklammert und hält<br />
den fest, den es in seinen Machtbereich<br />
ziehen konnte. Und wir sind nicht die<br />
Helden, die da keine Hilfe nötig hätten.<br />
Darum die Bitte: Lass uns nicht in Versuchung<br />
geraten, sondern entreiße uns<br />
dem Bösen...<br />
15
i n E w i g k e i t .<br />
Ausblick<br />
Am Ende seines <strong>Vaterunser</strong>buches hat<br />
Werner Grimm eine „zusammenfassende<br />
Wertung“ versucht unter der Überschrift:<br />
„Zehn Vorzüge des <strong>Vaterunser</strong>s“<br />
(Grimm, S. 121-123).<br />
Ich weiß nichts Besseres, als Ihnen<br />
daraus noch einige dieser Vorzüge zu<br />
nennen (und - meist abgekürzt – zu zitieren):<br />
• Das <strong>Vaterunser</strong> ist, Satz für Satz,<br />
wirkliches Gebet. Es unterscheidet sich<br />
hierin trefflich von so mancher Litanei,<br />
in welcher der Vorbeter Gott über Tatbestände<br />
und Sachverhalte zu informieren<br />
scheint und den Mitbetenden seine<br />
eigenen theologischen Gedanken und<br />
moralischen Wertungen unterjubelt, das<br />
Gebet für eine klammheimliche Predigt<br />
missbraucht.<br />
• Das <strong>Vaterunser</strong> ist kurz und bündig.<br />
Es wird dem Anspruch von Mt 6,7<br />
gerecht, so gewiss es die wesentlichen<br />
Sehnsüchte und Nöte des Lebens „vorkommen“<br />
lässt.<br />
• Anders als die meisten Gebete, die<br />
den Gebetswunsch festlegen und diejenigen,<br />
die ihn nicht direkt teilen, mehr<br />
oder weniger ausschließen, öffnet das<br />
<strong>Vaterunser</strong> das Beten eines Menschen<br />
überhaupt erst. Die weise Beschränkung<br />
Jesu auf Symbole ermöglicht, je eigene<br />
Konkretionen und Assoziationen einzubringen,<br />
ohne die Mitbetenden darauf<br />
16<br />
festzunageln. Es ist ein wunderbar diskretes<br />
Gebet und umspannt gerade so<br />
über die Zeiten die meisten Menschen<br />
und die unterschiedlichsten Lebenslagen.<br />
Jeder Gottesdienstbesucher wird<br />
im <strong>Vaterunser</strong> unbeschadet der völligen<br />
Übereinstimmung der Worte mit denen<br />
des Nachbarn, doch sein ureigenes Gebet<br />
beten – in seinen Gedanken, Gefühlen,<br />
Vorstellungen und Wünschen,<br />
die mitschwingen. Dazu muss es freilich<br />
langsam gesprochen werden...<br />
• Weil das <strong>Vaterunser</strong> keine Glaubens-Vorleistungen<br />
verlangt, vielmehr<br />
Glauben sich im <strong>Vaterunser</strong>-Beten erst<br />
eigentlich konstituiert, kann es auch<br />
für solche Menschen Hilfe zum Glauben<br />
sein, für die manche biblische oder<br />
kirchliche Überlieferung eine allzu große<br />
Zumutung darstellt.<br />
• Das <strong>Vaterunser</strong> wahrt eine notwendige<br />
Spannung in der Gottesbeziehung<br />
des Menschen: Es verbindet die tröstende<br />
Nähe des Vaters mit der Ehrfurcht<br />
vor dem Heiligen - schon in der dialektischen<br />
Anrede „Vater / im Himmel“, wie<br />
auch im doxologischen Schluss („denn<br />
dein ist das Reich und die Kraft und die<br />
Herrlichkeit in Ewigkeit“). Es vermeidet<br />
so die plumpe Vertraulichkeit mancher<br />
Gebete (wie beispielsweise das bekannte<br />
Andachtsbuch: „Ich habe eben noch mit<br />
ihm gesprochen“).
A m e n .<br />
• Ins <strong>Vaterunser</strong> kann man fürbittend<br />
alle einbeziehen, die man in sein „Wir“<br />
und „Unser“ aufnehmen will – ohne<br />
jede einengende Vorschrift! Der Gedanke<br />
kann im langsamen Aussprechen der<br />
Bitten still zu den Menschen hinüberwandern,<br />
an die wir denken.<br />
• Im <strong>Vaterunser</strong> degradiert sich der<br />
Beter keineswegs in eine passive Rolle.<br />
Er erinnert sich vielmehr an seine Mitverantwortung<br />
für das eigene Leben<br />
und für den Frieden in der Gemeinschaft<br />
(beispielsweise in der vierten Bitte: Begrenzung<br />
des Planens und Vorsorgens,<br />
stattdessen den gegenwärtigen Tag ganz<br />
ernst nehmen; in der fünften Bitte: der<br />
„vertikalen“ Versöhnung entspricht meine<br />
„horizontale“; die sechste Bitte lässt<br />
die Grenzen des Geschöpfs erkennen<br />
und hilft, Hochmut und falsches Heldentum<br />
fahren zu lassen). Das <strong>Vaterunser</strong><br />
aktiviert die Psyche des Beters, wandelt<br />
Bewusstsein, bereitet christliches<br />
Handeln vor.<br />
• Das <strong>Vaterunser</strong> verbindet. (Brücke<br />
zum Judentum, eventuell auch zum Islam,<br />
siehe Vortrag von Michael Seibt).<br />
• „Das <strong>Vaterunser</strong> bildet eine Brücke<br />
zum Herzen Jesu“. Unsere Gedanken und<br />
Wünsche werden gleichsam durch das<br />
Filter seiner Herzensintention zu Gott<br />
hin gesammelt, geordnet, geklärt. Jesus<br />
nimmt uns in seine heile Gottesbeziehung<br />
mit hinein. Wir werden im bewussten<br />
Mitbeten wie auch in dem, was sich<br />
dabei unbewusst abspielt, neu in eine<br />
christliche Glaubens- und Lebenshaltung<br />
eingewiesen.<br />
• Das <strong>Vaterunser</strong> ist umfassend. Das<br />
ganze Leben des Menschen kommt vor.<br />
Alle Bezirke des Menschseins werden<br />
erreicht, alle Bedürfnisse angesprochen.<br />
Werner Jetter: „Die Bitten des <strong>Vaterunser</strong>s<br />
verbinden das äußere mit dem inneren,<br />
das einsame mit dem gemeinsamen,<br />
das tägliche mit dem ewigen Leben.<br />
(...) Sie spiegeln das ganze menschliche<br />
Leben mit seinen Erfahrungen und Bedrängnissen<br />
wider und bestimmen durch<br />
ihre eigene Ordnung auch deren Gewicht<br />
und den ihnen gebührenden Rang; sie<br />
sagen dem Beter, was zuerst kommt, was<br />
dann und was später“ (W. Jetter, Wir rufen<br />
dich an, ²1988, S. 146f.).<br />
Dr. Karl Theodor Kleinknecht wurde 1949 im niedersächsischen<br />
Nienburg an der Weser geboren. Er ist seit 1992 Pfarrer an der<br />
Tübinger Stiftskirche.<br />
17
Anhang A: Das <strong>Vaterunser</strong> im Neuen Testament<br />
Matthäus 6,5-15<br />
Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein<br />
wie die Heuchler, die gern in den Synagogen<br />
und an den Straßenecken stehen<br />
und beten, damit sie von den Leuten gesehen<br />
werden. Wahrlich, ich sage euch:<br />
Sie haben ihren Lohn schon gehabt.<br />
Wenn du aber betest, so geh in dein<br />
Kämmerlein und schließ die Tür zu und<br />
bete zu deinem Vater, der im Verborgenen<br />
ist; und dein Vater, der in das Verborgene<br />
sieht, wird dir‘s vergelten. Und<br />
wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern<br />
wie die Heiden; denn sie meinen,<br />
sie werden erhört, wenn sie viele Worte<br />
machen. Darum sollt ihr ihnen nicht<br />
gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr<br />
bedürft, bevor ihr ihn bittet. Darum sollt<br />
ihr so beten:<br />
Unser Vater im Himmel!<br />
Dein Name werde geheiligt<br />
Dein Reich komme.<br />
Dein Wille geschehe<br />
wie im Himmel so auf Erden.<br />
Unser tägliches Brot gib uns heute.<br />
Und vergib uns unsere Schuld,<br />
wie auch wir vergeben unsern<br />
Schuldigern<br />
Und führe uns nicht in Versuchung,<br />
sondern erlöse uns von dem Bösen.<br />
[Denn dein ist das Reich und die Kraft<br />
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]<br />
Denn wenn ihr den Menschen ihre<br />
Verfehlungen vergebt, so wird euch euer<br />
himmlischer Vater auch vergeben.<br />
Wenn ihr aber den Menschen nicht<br />
vergebt, so wird euch euer Vater eure<br />
Verfehlungen auch nicht vergeben.<br />
18<br />
Lukas 11,1-4<br />
Und es begab sich, dass er an einem<br />
Ort war und betete. Als er aufgehört<br />
hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm:<br />
Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes<br />
seine Jünger lehrte. Er aber sprach zu ihnen:<br />
Wenn ihr betet, so sprecht:<br />
Anrede<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
4.<br />
5.<br />
Vater!<br />
Dein Name werde geheiligt.<br />
Dein Reich komme.<br />
Unser tägliches Brot gib uns Tag für Tag<br />
und vergib uns unsre Sünden;<br />
denn auch wir vergeben allen,<br />
die an uns schuldig werden.<br />
Und führe uns nicht in Versuchung.<br />
6.<br />
6b. oder 7.<br />
Nachtrag
Anhang B: Der Aufbau der Bergpredigt (Matthäus 5 bis 7):<br />
Anhang C: Das Du-bist-unser-Vater-Gebet<br />
siehe Jesaja 63,15-64,11<br />
Anhang D: Das Kaddischgebet („Heiligungsgebet“)<br />
Erhoben und geheiligt werde sein großer<br />
Name auf der Welt, die nach seinem<br />
Willen von Ihm erschaffen wurde - sein<br />
Reich soll in eurem Leben in den eurigen<br />
Tagen und im Leben des ganzen Hauses<br />
Israel schnell und in nächster Zeit erstehen.<br />
Und wir sprechen : Amein!<br />
Sein großer Name sei gepriesen in<br />
Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.<br />
Gepriesen sei und gerühmt, verherrlicht,<br />
erhoben, erhöht, gefeiert, hocherhoben<br />
und gepriesen sei der Name des<br />
Heiligen, gelobt sei er, hoch über jedem<br />
Lob u. Gesang, Verherrlichung u. Trostverheißung,<br />
die je in der Welt gesprochen<br />
wurde, sprechet Amein!<br />
Fülle des Friedens und Leben möge<br />
vom Himmel herab uns und ganz Israel<br />
zuteil werden, sprechet Amein!<br />
Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen,<br />
stifte Frieden unter uns und ganz<br />
Israel, sprechet Amein!<br />
19
Anhang E: Das Achzehngebet („Schemone Esre“, „Amida“)<br />
Palästinische Rezension<br />
1. Benediktion, Aboth:<br />
Gepriesen seist du, Jahve [un-ser Gott<br />
und Gott unsrer Väter], Gott Abrahams,<br />
Gott Isaaks und Gott Jakobs [großer,<br />
mächtiger und furchtbarer Gott], höchster<br />
Gott, Schöpfer Himmels und der<br />
Erde, unser Schild und Schild unsrer Väter<br />
[unser Vertrauen in allen Geschlechtern]!<br />
Gepriesen seist du, Jahve, Schild<br />
Abrahams!<br />
2. Benediktion, G e buroth:<br />
Du bist ein Held [der Hohe erniedrigt],<br />
der Starke [und der die Gewalttätigen<br />
richtet], der ewig lebende, der die Toten<br />
auferstehn läßt [der den Wind wehen<br />
läßt und den Tau herniederfallen],<br />
der die Lebenden versorgt und die Toten<br />
lebendig macht [in einem Augenblick<br />
möge uns Hilfe sprossen]. Gepriesen<br />
seist du, Jahve, der die Toten lebendig<br />
macht!<br />
3. Benediktion, Q e duschschah:<br />
Heilig bist du und furchtbar dein Name,<br />
und kein Gott ist außer dir. Gepriesen<br />
seist du Jahve, heiliger Gott!<br />
4. Benediktion, Chonen ha-da‘ath:<br />
Verleihe uns, unser Vater, Erkenntnis von<br />
dir her und Einsicht und Verstand aus<br />
deiner Tora. Gepriesen seist du Jahve,<br />
der Erkenntnis verleiht!<br />
5. Benediktion, T e schubah:<br />
Bringe uns zurück, Jahve, zu dir, daß wir<br />
20<br />
umkehren (in Buße); erneuere unsere<br />
Tage wie vordem. Gepriesen seist du,<br />
Jahve, der Wohlgefallen an Buße hat!<br />
6. Benediktion, S e lichah:<br />
Vergib uns, unser Vater, denn wir haben<br />
gesündigt gegen dich; tilge [und entferne]<br />
unsre Verfehlungen vor deinen Augen<br />
weg [denn groß ist deine Barmherzigkeit].<br />
Gepriesen seist du, Jahve, der<br />
viel vergibt!<br />
7. Benediktion, G e ‘ullah:<br />
Sieh an unser Elend und führe unsre Sache<br />
und erlöse uns um deines Namens<br />
willen. Gepriesen seist du, Jahve, Erlöser<br />
Israels!<br />
8. Benediktion, R e phu‘ah:<br />
Heile uns, Jahve, unser Gott, von dem<br />
Schmerz unsres Herzens [und Seufzen<br />
und Stöhnen entferne von uns] und<br />
bringe Hei-lung unsren Wunden (Schlägen).<br />
Gepriesen seist du, der die Kranken<br />
seines Volkes Israel heilt!<br />
9. Benediktion, Birkath ha-schanim:<br />
Segne an uns, Jahve unser Gott, [dieses]<br />
Jahr [zum Guten bei allen Arten seiner<br />
Gewächse und bringe eilends herbei das<br />
Jahr des Termins unsrer Erlösung und gib<br />
Tau und Regen auf den Erdboden] und<br />
sättige die Welt aus den Schätzen deines<br />
Guten (deiner Güter) [und gib Segen auf<br />
das Werk unsrer Hände]. Gepriesen seist<br />
du, Jahve, der die Jahre segnet.
10. Benediktion, Qibbuç galijjoth:<br />
Stoße in die große Posaune zu unsrer<br />
Freiheit und erhebe ein Panier zur<br />
Sammlung unsrer Verbannten. Gepriesen<br />
seist du Jahve, der die Vertriebenen<br />
seines Volkes Israel sammelt!<br />
11. Benediktion, Haschibah schop e tenu:<br />
Bringe wieder unsre Richter wie vordem<br />
und unsre Ratsherren wie zu Anfang, und<br />
sei König über uns, du allein. Gepriesen<br />
seist du, Jahve, der das Recht liebhat!<br />
12. Benediktion, Birkath ha-minim:<br />
Den Abtrünnigen sei keine Hoffnung und<br />
die freche Regierung (= Rom) mögest du<br />
eilends ausrotten [in unsren Tagen, und<br />
die Nazarener (nozrim = Christen) und<br />
die Mi-nim (= Häretiker) mögen umkommen<br />
in einem Au-genblick], [ausgelöscht<br />
werden aus dem Buch des Lebens<br />
(der Lebendigen) und mit den Gerechten<br />
nicht aufgeschrieben werden]. Gepriesen<br />
seist du, Jahve, der Freche beugt!<br />
13. Benediktion, Birkath çaddiqim:<br />
Über die Prosely-ten der Gerechtigkeit<br />
(= Ganzproselyten) möge sich dein Erbarmen<br />
regen, und gib uns guten Lohn<br />
mit denen, die deinen Willen tun. Gepriesen<br />
seist du, Jahve, Zuversicht der<br />
Gerechten!<br />
14. Benediktion, Boneh J e ruschalajim:<br />
Erbarme dich, Jahve unser Gott, [in deiner<br />
großen Barmherzigkeit über Israel,<br />
dein Volk, und] über Jerusalem, deine<br />
Stadt, und über Çion, die Wohnung deiner<br />
Herrlichkeit, [und über deinen Tempel<br />
und über deine Wohnung] und über das<br />
Königtum des Hauses David, des Messias<br />
deiner Gerechtigkeit (= deines ge-rechten<br />
Messias). Gepriesen seist du, Jahve,<br />
Gott Davids, der Jerusalem erbaut!<br />
15. Benediktion, Schomea‘ t e phillah:<br />
Höre, Jahve unser Gott, auf die Stimme<br />
unsres Gebetes [und erbarme dich über<br />
uns]; denn ein gnädiger und barmherziger<br />
Gott bist du. Gepriesen seist du,<br />
Jahve, der Gebete erhört!<br />
16. Benediktion, ‚Abodah:<br />
Es gefalle Jahve unserem Gott wohl zu<br />
wohnen in Çion, daß deine Knechte dir<br />
dienen in Jerusalem. Gepriesen seist du,<br />
Jahve, dass wir dir dienen werden in<br />
Furcht!<br />
17. Benediktion, Hoda‘ah:<br />
Wir danken dir, [du bist] Jahve unser<br />
Gott [und Gott unsrer Väter], für alles<br />
Gute, die Liebe [und die Barmherzigkeit,<br />
die du uns erwiesen und] die du an uns<br />
getan hast [und an unsren Vätern vor<br />
uns; und wenn wir sagten, unser Fuß<br />
wanke, hat deine Liebe, Jahve, uns gestützt].<br />
Gepriesen seist du, Jahve, Allgütiger,<br />
dir muss man danken!<br />
18. Benediktion, Sim schalom:<br />
Lege deinen Frieden auf dein Volk Israel<br />
[und auf deine Stadt und auf dein Eigentum]<br />
und segne uns alle allzumal.<br />
Gepriesen seist du Jahve, der den Frieden<br />
schafft!<br />
Quelle: (Strack, H. L. /) Billerbeck, P.: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch.<br />
Bd. 4,1. München 1926, 210-214<br />
21
V a t e r u n s e r i m H i m m e l , g e<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> und die Politik –<br />
ein spannungsreiches Verhältnis<br />
von Marie-Luise Kling-de Lazzer<br />
Der erste Vortrag gab eine grundsätzliche<br />
Einführung in das <strong>Vaterunser</strong><br />
als Gebet Jesu. Er erläuterte seinen<br />
Aufbau, sein Verständnis als Gebet des<br />
Juden Jesus und wie es zentrales Gebet<br />
der christlichen Gemeinde geworden ist.<br />
Das Thema heute lautet: Das <strong>Vaterunser</strong><br />
und die Politik. In drei Schritten werde<br />
ich Sie durch das Thema führen. In der<br />
Einführung geht es um die Spannung<br />
zwischen Beten und Handeln. In einem<br />
zweiten Teil werde ich einige grundsätzliche<br />
theologische Überlegungen zu den<br />
politischen Dimensionen des <strong>Vaterunser</strong>s<br />
entfalten. Im dritten Teil zeige ich ihnen<br />
an einzelnen Beispielen den Gebrauch<br />
des <strong>Vaterunser</strong>s in politischen Kontexten.<br />
Einführung: Beten und Handeln<br />
22<br />
Die Hände flehentlich zu Gott erheben,<br />
oder besser tatkräftig handeln? In<br />
seinem Theaterstück „Mutter Courage<br />
und ihre Kinder“ hat Bertolt Brecht<br />
hierzu eine eindrückliche Szene gestaltet<br />
(Aufzug Nr. 11). Es war im Januar<br />
1636, schon 18 Jahre dauert der große<br />
Glaubenskrieg. Über die Hälfte seiner<br />
Bewohner hat Deutschland eingebüßt,<br />
gewaltige Seuchen töten, was die Metzeleien<br />
übrig gelassen haben. In den<br />
ehemals blühenden Landstrichen wütet<br />
der Hunger. Die kaiserlichen Truppen nähern<br />
sich nachts auf Schleichwegen der<br />
evangelischen Stadt Halle. Wenige Kilometer<br />
vor der Stadt überfallen ein paar<br />
Soldaten einen Bauernhof. Sie zwingen<br />
den jungen Bauern, ihnen das letzte<br />
Stück Weg in die Stadt zu zeigen. Der<br />
alte Bauer und seine Frau und die stum-
h e i l i g t w e r d e d e i n N a m e ,<br />
me Kattrin, die zufällig anwesend ist,<br />
bleiben zurück. Was ist zu tun? Die Bauersleute,<br />
resigniert vor der Übermacht<br />
der kaiserlichen Soldaten, drängen<br />
Kattrin: „Bet Kind, wenn du sonst schon<br />
nichts tun kannst, beten kannst du, auch<br />
wenn niemand dich hört, aber Gott wird<br />
dich hören.“ Dann knien alle nieder und<br />
beten: „Vater unser, der du bist im Himmel,<br />
…..,“ inbrünstig flehen sie um Hilfe<br />
für die Stadt, für ihren Schwager und<br />
dessen Kinder und enden: „Und vergib<br />
uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben<br />
unsern Schuldigern. Amen.“<br />
Da hören sie Trommelschläge vom<br />
Dach. Die stumme Kattrin sitzt dort und<br />
schlägt die Trommel, sie trommelt und<br />
trommelt, und lässt sich auch von den<br />
herbeigeeilten Soldaten durch Drohen<br />
nicht abbringen. Bis sie, tödlich getroffen,<br />
umsinkt. Aber die Stadt ist erwacht,<br />
von ferne hört man Sturmglocken und<br />
Kanonendonner. Zeichen der Verteidigung,<br />
Zeichen der Rettung.<br />
Die Szene regt zu Fragen an. Formuliert<br />
Brecht in ihr seine Kritik einer<br />
Frömmigkeit, die sich ins Private zurückzieht<br />
und den Alltag der Welt mit seinen<br />
Problemen anderen überlässt? Oder will<br />
er sagen, das rechte Gebet der stummen<br />
Kattrin war dieses Handeln? War das<br />
ihr Gebet in dieser Lage? Oder hätte sie<br />
nicht auch stumm beten können? Tat sie<br />
vielleicht beides: Beten und Handeln?<br />
Nicht zufällig beginnen die Bauersleute<br />
mit den Worten des <strong>Vaterunser</strong>s zu<br />
beten. Sie rufen Gott an mit den Worten,<br />
die Jesus uns gelehrt hat und die Christen<br />
vertraut sind: Vater unser, der du<br />
bist im Himmel. Es sind Worte des Vertrauens;<br />
wie Kinder bergen sie sich bei<br />
dem Vater, auf der Suche nach Schutz<br />
und Hilfe. Eh sie dann ihre persönliche<br />
Not und ihre persönlichen Bitten aussprechen.<br />
Um am Ende in der vorletzten<br />
Bitte des <strong>Vaterunser</strong>, der Bitte um Vergebung<br />
der Schuld, Halt zu finden.<br />
Was ist ihre Schuld, möchte man als<br />
politischer Mensch fragen, was ist ihr Teil<br />
an dem mörderischen Krieg, der ihr Land<br />
überzieht? Dass sie sich von den Soldaten<br />
erpressen lassen und ihren Sohn ausliefern?<br />
Oder ist es das allgemeine Verhängnis,<br />
in das sie, im Handeln wie im Ertragen,<br />
einbezogen sind? Oder überhaupt<br />
die Bitte um Vergebung der Schuld in Todesangst?<br />
Bertolt Brecht lässt das offen.<br />
Die Szene aus dem Theaterstück zeigt:<br />
Das Beten ist nicht einfach Privatsache.<br />
Es geschieht im politischen Kontext.<br />
Weil sich das eigene Leben je und je im<br />
politischen Kontext vollzieht.<br />
Die Gewaltsamkeit und Zerstörungskraft<br />
des 30-jährigen Kriegs, der die<br />
Menschen äußerlich, aber eben auch bis<br />
ins Innerste bedroht, ist in dem Lied von<br />
Paul Gerhardt spürbar, das wir gesungen<br />
haben. Auch da begegnet uns, was wir<br />
bei Bertolt Brecht entdeckten: Das Beten<br />
konzentriert sich wie im Brennglas<br />
im Vaterruf: Abba, Vater, wie Jesus gebetet<br />
hat.<br />
23
Dein Reich komme. Dein Wille<br />
Grundsätzliche theologische Überlegungen<br />
1.<br />
Das Einfallstor für eine politische Deutung<br />
des <strong>Vaterunser</strong>s ist die Bitte um<br />
das Kommen des Reiches. Ich möchte sie<br />
zunächst aus dem Kontext der Botschaft<br />
und Sendung Jesu her deuten. Jesus hat<br />
die Nähe des Gottesreichs verkündigt.<br />
In seinem Wirken ist etwas von Gottes<br />
Reich zu sehen und zu hören: „Blinde<br />
sehen und Lahme gehen, Aussätzige<br />
werden rein, … und den Armen wird das<br />
Evangelium gepredigt“, lesen wir Matthäus<br />
11,5. In den Gleichnissen hat Jesus<br />
entfaltet, wie es sich mit der Gottesherrschaft<br />
verhält. Jesu Wirken drängt auf<br />
Gerechtigkeit, Frieden und umfassendes<br />
Heil. Aber er wehrt eine einfache politische<br />
Deutung des nahen Gottesreichs<br />
und seines Königtums als Missverständnis<br />
ab.<br />
Gottes Reich und Gottes Herrschaft<br />
ist von weltlicher Herrschaft zu unterscheiden,<br />
aber sie stehen nicht im ausschließenden<br />
Gegensatz zueinander. Im<br />
Vorletzten hat weltliche Obrigkeit ihre<br />
Bedeutung und ihre Berechtigung. Daher<br />
sagt Jesus bei der Frage nach den<br />
Steuern: „Gebt dem Kaiser, was des<br />
Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“<br />
(Matthäus 22, 21).<br />
Der Evangelist Johannes drückt das in<br />
seiner Weise aus, wenn Jesus im Verhör<br />
24<br />
durch Pilatus sagt: „Mein Reich ist nicht<br />
von dieser Welt.“ (Johannes 18, 36) Gottes<br />
Reich ist nicht zu verwechseln mit<br />
weltlicher Herrschaft, die sich gegebenenfalls<br />
mit Gewalt, mit Soldaten und<br />
Heeren durchsetzt.<br />
Die Bitte um das Kommen des Reiches<br />
überschreitet das Geschehen in Raum<br />
und Zeit - wie übrigens auch die Bitten<br />
„dein Name werde geheiligt“ und „dein<br />
Wille geschehe“. Damit fordert sie heraus,<br />
das Reich Gottes und alle weltliche Herrschaft<br />
ins rechte Verhältnis zueinander<br />
zu setzen. Denn mit dem Kommen des<br />
Gottesreiches wird nicht nur ein gottwidriges<br />
Reich besiegt, sondern die Welt<br />
überwunden. Nur in diesem Sinn drängen<br />
die auf den Vater im Himmel zielenden<br />
Dein-Bitten wiederum zur Erde. Das<br />
<strong>Vaterunser</strong> nährt nicht den Traum der<br />
messianischen Weltherrschaft. Es betet<br />
nicht gegen „die freche Herrschaft“ der<br />
Römer. Noch die christliche Gemeinde<br />
hat sich von der messianisch-zelotischen<br />
Bewegung ferngehalten, die zum Aufstand<br />
gegen die Römer und zum Krieg<br />
in den Jahren 66 bis 70 führte, an dessen<br />
Ende die Zerstörung des Tempels in Jerusalem<br />
durch die Römer stand.<br />
Fritz Neugebauer schreibt in seiner<br />
Auslegung zum <strong>Vaterunser</strong>: „Indem die<br />
Dein-Bitten nicht in ein Konkurrenzverhältnis<br />
zu Welt und Weltmacht treten,
geschehe, wie im Himmel,<br />
werden diese nicht per se widergöttlich<br />
aufgeladen, sondern befinden sich in der<br />
Hand des Höchsten. Darin enthalten ist<br />
ihre Relativierung. Die Dein-Bitten machen<br />
alles, was diese Welt ausmacht,<br />
zum Vorletzten, auch wenn dieses sich<br />
gerne als letztgültig aufspielt und Absolutheit<br />
beanspruchen möchte.“<br />
Heißt das: In der Bitte um das Kommen<br />
des Reiches geht es um das Letzte,<br />
um Gottes endgültige Herrschaft, die<br />
noch aussteht, während alle weltliche<br />
Herrschaft, wie sie dem Menschen zur<br />
Ordnung und Gestaltung anvertraut ist,<br />
davon unberührt bleibt? Sicher nicht.<br />
Schon im Wirken und in der Predigt<br />
Jesu wird es als Spannungsverhältnis<br />
gezeichnet: Das Reich Gottes ist schon<br />
nah, in Jesus selber bereits gegenwärtig.<br />
Wenn er Aussätzige heilt, Tischgemeinschaft<br />
mit Menschen hat, die moralisch<br />
disqualifiziert und gesellschaftlich diskriminiert<br />
sind, reicht das Reich Gottes<br />
mitten in diese Welt hinein. Schon jetzt.<br />
Aber seine umfassende Wirklichkeit,<br />
Gottes endgültige Herrschaft steht noch<br />
aus, ist noch nicht vollendet.<br />
„Schon“ und „noch nicht“, das ist die<br />
Spannung, die auch in der Bitte um das<br />
Kommen des Reiches Gottes liegt. Wie<br />
sollten wir sonst um sein Kommen bitten?<br />
Lassen sie mich noch eine andere<br />
theologische Denkfigur nutzen:<br />
Als Christenmensch sind wir Bürger<br />
beider Reiche. Wir sind Bürger des Reiches<br />
Gottes, durch den Glauben. Haben<br />
Teil an den himmlischen Gütern. Und wir<br />
sind Bürger des Reichs der Welt, in dem<br />
es Regierungen geben muss und weltliche<br />
Macht, die für den äußeren Frieden<br />
und die Gerechtigkeit arbeitet. Gesellschaft<br />
muss gestaltet werden. Politisches<br />
Engagement ist gefragt, Christen<br />
mischen sich ein, übernehmen Ämter in<br />
der Politik, in der Wissenschaft, in der<br />
Wirtschaft.<br />
Sind das dann zwei Welten, die nichts<br />
miteinander zu tun haben? Hier Gottes<br />
Reich, in dem die Ohnmacht der Liebe<br />
die Welt überwindet, und dort das Reich<br />
der Welt, in dem zur Sicherung des Friedens<br />
auch Gewalt angewandt wird?<br />
Unterscheiden heißt nicht trennen,<br />
sondern beides richtig aufeinander zu<br />
beziehen. Dann stärkt die Bitte um das<br />
Kommen des Reiches immer auch die<br />
Hoffnung, dass in weltlicher Herrschaft<br />
bereits Spuren der Gottesherrschaft erkennbar<br />
werden, und Frieden und Gerechtigkeit<br />
auf Erden Gestalt gewinnen,<br />
um Gottes Willen.<br />
2.<br />
Während sich die ersten drei Bitten auf<br />
Gott beziehen, zielen die weiteren hinein<br />
in die Nöte des Menschseins. Dazu<br />
gehört auch die politische Existenz. Darum<br />
sind sie das praktische Einfallstor für<br />
das Politische im <strong>Vaterunser</strong>.<br />
Am klarsten tritt das in der Brot-Bitte<br />
hervor. Was erbittet sie? Generationen<br />
25
s o a u f E r d e n . U n s e r t ä g<br />
von Exegeten haben gerätselt, was das<br />
griechische Wort „epiousion“ meint. Wir<br />
sagen: Gib uns unser täglich Brot. Ulrich<br />
Luz in seinem Matthäuskommentar<br />
übersetzt: „Gib uns heute das Brot für<br />
morgen.“<br />
Wir sehen hier eine Gesellschaft, in<br />
der die Menschen von der Hand in den<br />
Mund leben. Man kann etwa an die Situation<br />
eines Taglöhners denken, der noch<br />
nicht weiß, ob er am folgenden Tag wieder<br />
eine Arbeit findet und seine Familien<br />
ernähren kann. Das „heute“ weist auf die<br />
Dringlichkeit der Bitte hin.<br />
Die Brotbitte bringt in Erinnerung,<br />
dass die Versorgung mit dem Lebensnotwendigen<br />
nicht selbstverständlich ist,<br />
und wir umfassend auf Gottes Schöpfergüte<br />
angewiesen sind. Aber sie bringt<br />
auch Verhältnisse in Erinnerung, in denen<br />
Menschen heute nicht wissen, wie<br />
sie morgen satt werden sollen. Darum<br />
lenkt die Brotbitte unseren Blick auch<br />
auf die Armen in der Welt.<br />
Dazu einen Rückgriff auf den Anfang<br />
des <strong>Vaterunser</strong>s. Wenn wir gemeinsam<br />
Gott als unseren Vater anreden, heißt<br />
das, dass wir untereinander Geschwister<br />
sind, Brüder und Schwestern. Dann aber<br />
sind wir aufeinander gewiesen, können<br />
nicht tatenlos den Bruder, die Schwester<br />
neben uns hungern lassen, wenn wir um<br />
das tägliche Brot beten. Nirgends sonst<br />
wird wie hier deutlich: Beten und Handeln<br />
gehören zusammen - kommt doch<br />
in dieser Bitte unsere Gegenwart mit<br />
ihrem Mangel und ihrem Überfluss zur<br />
Sprache.<br />
Zum Gebrauch des <strong>Vaterunser</strong> - Beispiele politischen Betens<br />
1.<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> will gebetet sein. Es ist<br />
geformte Sprache des Gebets, universal,<br />
wie das Evangelium von Jesus Christus in<br />
die ganze Welt gegangen ist. Überall auf<br />
der Welt wird das <strong>Vaterunser</strong> gebetet.<br />
Wo immer Christen leben. Der christliche<br />
Gottesdienst zeichnet sich durch das<br />
Gebet des Herrn aus. Es überschreitet die<br />
Grenzen der Konfessionen. Seit mehr als<br />
26<br />
40 Jahren können in Deutschland Evangelische<br />
und Katholiken in gemeinsamem<br />
Wortlaut das <strong>Vaterunser</strong> gemeinsam<br />
beten.<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> wird auch öffentlich<br />
gebetet. Als die Trennung von Kirche<br />
und Staat noch nicht vollzogen war,<br />
hatte das <strong>Vaterunser</strong> seinen Platz auch<br />
im öffentlichen Raum, im Rathaus, in<br />
der Schule, in den Parlamenten. Es gehörte<br />
zu öffentlichen Feiern des Staates.
l i c h e s B r o t g i b u n s h e u t e .<br />
Und wer das Gebet Jesu recht verstanden<br />
hat, konnte es nicht missbrauchen.<br />
Denn es dient weder der eigenen Größe<br />
noch der Bestätigung des eigenen politischen<br />
Tuns oder gar des menschlichen<br />
Wollens. „Dein Name werde geheiligt,<br />
dein Reich komme, dein Wille geschehe“,<br />
beten wir. Wer das <strong>Vaterunser</strong> im öffentlichen,<br />
politischen Raum betete, öffnete<br />
den Horizont für die Zeit und Raum umfassende<br />
Wirklichkeit Gottes und wies<br />
dem politischen Handeln den Raum des<br />
Vorletzten zu.<br />
Aber es gab – und gibt gewiss immer<br />
noch - den Missbrauch des öffentlichen<br />
Betens. Der Nationalsozialismus war<br />
hierin besonders perfide: Gottes Reich<br />
und das Reich, das die Nationalsozialisten<br />
heraufführten, war nicht mehr zu<br />
unterschieden. Die Anbetung galt nicht<br />
Gott, sondern dem eigenen Volk.<br />
Am 10. Februar 1933, wenige Tage<br />
nach der Machtergreifung, hielt Adolf<br />
Hitler seine berühmte Rede im Sportpalast<br />
in Berlin. Er scheute sich nicht, sie<br />
mit einer nationalsozialistischen Variante<br />
des <strong>Vaterunser</strong>s zu schließen:<br />
„Denn ich kann mich nicht lösen von<br />
dem Glauben an mein Volk, kann mich<br />
nicht lossagen von der Überzeugung,<br />
dass diese Nation wieder einst auferstehen<br />
wird, kann mich nicht entfernen<br />
von der Liebe zu diesem meinem<br />
Volk und hege felsenfest die Überzeugung,<br />
dass eben doch einmal die Stunde<br />
kommt, in der die Millionen, die uns<br />
heute hassen, hinter uns stehen und mit<br />
uns dann begrüßen werden das gemeinsam<br />
geschaffene, mühsam erkämpfte,<br />
bitter erworbene neue deutsche Reich<br />
der Größe und der Ehre und der Kraft<br />
und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit.<br />
Amen.“<br />
Aber auch im Privaten kam es im Dritten<br />
Reich zu fatalen Verzerrungen des<br />
Betens, wie das Beispiel der Frau eines<br />
ehemaligen Kommunisten aus Oberbayern<br />
zeigt, die 1935 trotz aller Verfolgungsmaßnahmen<br />
des Regimes gegen<br />
die Kommunisten bezeugt: „Alle Tage<br />
muss mein Dirndel für den Führer ein<br />
<strong>Vaterunser</strong> beten, weil er uns das tägliche<br />
Brot wiedergegeben hat.“<br />
2.<br />
Das Beten des <strong>Vaterunser</strong>s im öffentlichen,<br />
säkularen Raum ist heute eine<br />
Gratwanderung zwischen Freiheit und<br />
Vereinnahmung.<br />
Ein Beispiel: Bei der Einweihung des<br />
Neubaus der Kreissparkasse in Tübingen<br />
im Jahr 2006 gab es auf ausdrücklichen<br />
Wunsch des damaligen Direktors eine<br />
kleine ökumenische gottesdienstliche<br />
Feier, bei der wir miteinander das <strong>Vaterunser</strong>s<br />
beteten.<br />
Am Ausgang wurde ich persönlich angesprochen:<br />
Wie könnte ich mich für so<br />
etwas hergeben, gar das <strong>Vaterunser</strong> gemeinsam<br />
sprechen lassen, wo dies doch<br />
eine säkulare Feier sei und sicher auch<br />
27
U n d v e r g i b u n s u n s e r e S c h u<br />
Muslime bei der Einweihungsfeier dabei<br />
gewesen seien. Im Tagblatt lese ich hernach:<br />
„Kirche segnet Geld“.<br />
War das Beten des <strong>Vaterunser</strong>s dort ein<br />
Missbrauch des Betens, oder nicht doch<br />
Ausdruck dessen, dass auch Banker den<br />
Namen Gottes heiligen und wissen, dass<br />
ihr Wohl und Wehe in der Hand Gottes<br />
liegt, und sie sich und ihr Tun von dem<br />
leiten lassen, den sie um das Kommen<br />
seines Reiches und das Geschehen seines<br />
Willens bitten? Urteilen Sie selber!<br />
Beim Beten des <strong>Vaterunser</strong>s im öffentlichen<br />
Raum sind für mich zwei Gesichtspunkte<br />
wichtig: Es gibt eine Einladung<br />
zum Gebet, aber man muss nicht<br />
mitbeten. Man darf Distanz nehmen.<br />
Aber man darf sich die Worte des <strong>Vaterunser</strong>s<br />
auch leihen, versuchen, mit<br />
ihnen zu beten. Und es Gott überlassen,<br />
dass er einem das Herz öffnet und die<br />
Erkenntnis der Liebe weckt.<br />
3.<br />
Christen nehmen Bezug auf das <strong>Vaterunser</strong><br />
– auch in politischen Zusammenhängen.<br />
Etwa auf die Bitte um Vergebung<br />
der Schuld.<br />
Auf die siebte Bitte des <strong>Vaterunser</strong>s<br />
bezieht sich die frühere Bundesministerin,<br />
Heidemarie Wieczorek-Zeul. Bei<br />
den Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag<br />
der Niederschlagung des Aufstands des<br />
Herero-Volks in Namibia, dem damaligen<br />
Deutsch-Südwest-Afrika, im Jahr<br />
28<br />
2004 bat sie unter Berufung auf das Gebet<br />
Jesu um Vergebung der deutschen<br />
Schuld.<br />
Und als der traditionelle Führer des<br />
Königshauses der Tjamuaha/Maharero<br />
im November 2004 in die Synode der<br />
EKD eingeladen war, erinnerte die Präses<br />
Barbara Rinke an das Wort der Ministerin.<br />
„Dieser Bitte“, sagt sie, „können<br />
wir uns nur im gemeinsamen Gebet anschließen.“<br />
4.<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> ist geprägte Sprache. Es<br />
kann gemeinsam gebetet werden: Jahrhunderte<br />
lang wurde es auf lateinisch<br />
gebetet. Im Messgottesdienst, in der<br />
Beicht- und Bußpraxis. Es war das Gebet<br />
schlechthin. Aber es konnte auch erstarren.<br />
Damit das <strong>Vaterunser</strong> lebendig bleibt,<br />
hat es immer wieder neue Auslegungen<br />
erfahren. Es musste in den jeweiligen Lebenskontext<br />
hinein interpretiert werden.<br />
Ich möchte Ihnen das heute beispielhaft<br />
an der Befreiungstheologie Lateinamerikas<br />
zeigen.<br />
Die biblischen Texte wurden neu gelesen.<br />
Relectura (spanisch: „wiederlesen“),<br />
wurde das dort genannt. „Hier kommt<br />
eine neue Art Theologie zu treiben zum<br />
Ausdruck“, sagt Ulrich Schoenborn in<br />
seinem Aufsatz „<strong>Vaterunser</strong> der Armen“:<br />
„Reflexion der Glaubenspraxis im Horizont<br />
von Unterdrückung und Unge-
l d ,<br />
w i e a u c h w i r v e r g e b e n<br />
rechtigkeit; Entdeckung des parteilichen<br />
Gottes, der die Kehrseite der Geschichte<br />
als Offenbarungsort erwählt hat.“<br />
Das bekannteste Beispiel einer solchen<br />
„relectura“ ist „Das Evangelium<br />
der Bauern von Solentiname“ in Nicaragua.<br />
In dieser kleinen christlichen<br />
Gemeinde wurden in den 70er Jahren<br />
des letzten Jahrhunderts biblische Texte<br />
besprochen. Ernesto Cardenal hat die<br />
Gespräche aufgeschrieben.<br />
Dort wurde auch Matthäus 6, 7-15<br />
bedacht, beispielsweise zur Bitte „Dein<br />
Reich komme“. Sprechend bringen die<br />
Menschen die traditionelle Vorstellung<br />
von der Trennung von Diesseits<br />
und Jenseits in Bewegung. „Wenn wir<br />
darum bitten, dass es kommen soll,<br />
dann ist es also noch nicht gekommen.<br />
Und wenn wir bitten, dass es kommen<br />
soll, dann muss es auch kommen. Und<br />
wenn es kommen muss, dann ist es<br />
nicht im Himmel oder in einem anderen<br />
Leben. Sonst bäten wir ja nicht,<br />
dass es kommen solle, sondern dass<br />
wir dorthin kämen. Das Reich Gottes<br />
ist also etwas, was auf die Erde kommen<br />
muss und noch nicht gekommen<br />
ist.“<br />
Dass das Reich Gottes eine Wirklichkeit<br />
ist, daran haben sie keinen Zweifel.<br />
Was sie in Frage stellen, das sind die<br />
Lebensbedingungen, die das Gegenteil<br />
dessen bewirken, was sie zu fördern behaupten.<br />
Das Reich Gottes widerspricht<br />
dem Verwirrspiel.<br />
„Im Himmel herrscht Liebe, dort gibt es<br />
keinen Egoismus. Und es gibt auch keine<br />
Ungerechtigkeit und keine Unterdrückung.<br />
Hier auf der Erde leben wir vollkommen<br />
anders. In diesem Gebet bitten<br />
wir darum, dass wir hier genauso leben<br />
möchten wie dort. Es fehlt uns noch viel,<br />
bis wir dieses Reich hier verwirklicht<br />
sehen. Hier verhungern die einen, und<br />
die anderen vergeuden das Essen. Die<br />
einen sind krank, ohne irgendeine Medizin,<br />
und die anderen haben mehr ärztliche<br />
Pflege, als sie brauchen... Das heißt<br />
also, dass noch viel Arbeit getan werden<br />
muss, bis man dieses Reich endlich sieht.“<br />
Und Laureano hält fest: „Das Reich Gottes<br />
kommt von Gott, aber es wird nicht<br />
ohne uns gebaut.“<br />
Ähnliches können wir bei der Auslegung<br />
der Brotbitte oder bei der Auslegung<br />
der Bitte um Vergebung beobachten:<br />
Beidesmal kommen die eigenen<br />
Erfahrungen mit dem biblischen Wort<br />
ins Gespräch, die Erfahrung des Mangels<br />
am Lebensnotwendigen ebenso wie die<br />
Erfahrung von Geldmangel und erdrückenden<br />
Schulden. Ein spiritualisierendes<br />
Verständnis der Bitten wird abgewiesen.<br />
Am Schluss wird zusammengefasst:<br />
„Wir bitten Gott, dass sein Name geheiligt<br />
werde, und es ist unsere Aufgabe,<br />
ihn zu heiligen. Wir bitten, dass sein<br />
Reich komme, und es ist unsere Aufgabe,<br />
es aufzubauen. Wir bitten, dass sein Wille<br />
auf Erden geschehe, und es ist unsere<br />
29
u n s e r n S c h u l d i g e r n . U n d f ü h<br />
Aufgabe, ihn zu erfüllen. Wir bitten um<br />
Brot, und es ist unsere Aufgabe, es zu<br />
schaffen und zu verteilen. Wir bitten ihn<br />
um Vergebung, die wir den anderen geben<br />
müssen. Wir bitten ihn, uns nicht in<br />
Versuchung zu führen, und es ist unsere<br />
Aufgabe, sie zu fliehen... Das <strong>Vaterunser</strong><br />
ist ein Gebet, das wir beten und auch<br />
tun müssen“.<br />
So weit aus der Auslegung des <strong>Vaterunser</strong>s<br />
im „Evangelium der Bauern aus<br />
Solentiname“.<br />
Mich beeindruckt an diesen Texten<br />
immer noch die theologische Kraft, mit<br />
der die Armen, die Anderen, für sich die<br />
Wahrheit der biblischen Botschaft entdecken.<br />
Auch bei der Vollversammlung des Lutherischen<br />
Weltbundes, die 2010 unter<br />
dem Titel „Unser tägliches Brot gib uns<br />
heute“ in Stuttgart getagt hat, war der<br />
Atem der Befreiungstheologie spürbar.<br />
Nicht abstrakt würden die Delegierten<br />
aus den Mitgliedskirchen über die Brot-<br />
Bitte sprechen, sagte der Präsident des<br />
Weltbundes, Bischof Mark S. Hanson aus<br />
den USA, vielmehr brächten sie ihre Erfahrungen<br />
mit. „Viele Menschen leiden<br />
an Hunger oder sind als HIV-Infizierte<br />
marginalisiert.“ Ihnen müsse die besondere<br />
Aufmerksamkeit der Christinnen<br />
und Christen gelten. Es ging nicht darum,<br />
Almosen für die Bedürftigen zu erbitten,<br />
sondern dass sie zu einer Kirche<br />
gehörten und miteinander teilen müssten.<br />
Die Vollversammlung machte deutlich:<br />
Die Bitte um das tägliche Brot ist<br />
mit der Hoffnung auf Gerechtigkeit und<br />
dem Tun der Gerechtigkeit zusammen<br />
zu denken. Nicht nur für die Christinnen<br />
und Christen im Süden, sondern auch<br />
für die im Norden. Das Thema Überfluss<br />
und Mangel steht hier wie dort auf der<br />
Tagesordnung.<br />
Schlusswort<br />
Sind Beten und Handeln ein Gegensatz?<br />
Oder gehört beides zusammen?<br />
Mit der Szene von Bertolt Brechts „Mutter<br />
Courage“ mitten in den Gräueln und<br />
Verwüstungen des dreißigjährigen Kriegs<br />
haben wir begonnen.<br />
Ulrich Luz schreibt dazu in seinem<br />
Kommentar: „Für Matthäus ist das Gebet<br />
30<br />
keine Flucht aus der Praxis, sondern ihre<br />
Innenseite. Das Gebet ermöglicht es den<br />
Jesusjüngern, die Forderungen Jesu als<br />
Willen des Vaters erfahren und daraus<br />
Kraft zu schöpfen. Gebet wird durch das<br />
Handeln nicht überflüssig, sondern das<br />
Handeln bleibt auf das Gebet dauernd<br />
angewiesen.“
e u n s n i c h t i n V e r s u c h u n g ,<br />
Nur ein paar exemplarische Einblicke<br />
in ein politisches Verständnis und einen<br />
politischen Gebrauch des <strong>Vaterunser</strong>s<br />
konnte ich geben. Und einige wenige<br />
theologische Gedanken, wie aus dem<br />
Zusammenhang der Verkündigung und<br />
des Wirkens Jesu ein sachgemäßer Gebrauch<br />
des <strong>Vaterunser</strong>s im politischen<br />
Kontext denkbar ist. In jedem Fall greift<br />
das <strong>Vaterunser</strong> immer über die konkrete<br />
politische Lebenswirklichkeit hinaus.<br />
In der Vateranrede weist es auf die<br />
Nähe und Liebe Gottes hin. Im Zentrum<br />
steht das Gottesreich, nicht die Heilsgeschichte.<br />
Mit seinen offenen Formulierungen<br />
schreibt es dem Beter nicht vor,<br />
diese oder jene Wünsche, Hoffnungen<br />
oder Ansichten zu haben, auch nicht<br />
bestimmte politische Hoffnungen oder<br />
Ansichten. Aber es lässt Raum, dass sich<br />
viele Menschen mit ihren existentiellen<br />
und politischen Fragen dieser Welt in es<br />
einfügen können.<br />
Ulrich Luz regt die Kirche an, das Herrengebet<br />
„als einen Grundtext“ zu gebrauchen,<br />
„der über ihre eigenen Grenzen<br />
hinaus Menschen beim Beten und beim<br />
Entdecken der Liebe Gottes helfen kann.“<br />
Dr. Marie-Luise Kling-de Lazzer wurde 1947 in Leutkirch (Kreis<br />
Ravensburg) geboren. Sie ist seit 1995 Dekanin im Evangelischen<br />
<strong>Kirchenbezirk</strong> Tübingen und Pfarrerin an der Tübinger<br />
Stiftskirche.<br />
31
s o n d e r n e r l ö s e u n s v o n d<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> in der Kunst<br />
von Kim Apel<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> in der Kunst erleben<br />
32<br />
Mit einem Gebet wie dem <strong>Vaterunser</strong><br />
kann man sich auf sehr verschiedene<br />
Weise auseinandersetzen. Zuerst natürlich<br />
können wir es uns zu eigen machen,<br />
indem wir es beten. Eine andere Möglichkeit<br />
ist es, sich streng wissenschaftlich<br />
mit dem <strong>Vaterunser</strong> zu beschäftigen,<br />
es nach allen Regeln der historischen<br />
Wissenschaft zu analysieren und zu deuten,<br />
wie das der erste Vortrag vorgeführt<br />
hat, oder man kann seine Wirkungsgeschichte<br />
nachzeichnen, wie das im zweiten<br />
Vortrag für den politischen Bereich<br />
versucht wurde. Neben diesen Formen<br />
gibt es nun noch mindestens eine weitere<br />
Weise, sich mit dem <strong>Vaterunser</strong> zu<br />
beschäftigen, nämlich die künstlerische.<br />
Um diese soll es in diesem Vortrag gehen.<br />
Was zeichnet die künstlerische Beschäftigung<br />
mit einem Gebet, ja überhaupt<br />
mit der Wirklichkeit, die uns<br />
umgibt, aus? Im Gegenüber zur Wissenschaft<br />
wird das schnell deutlich:<br />
Die wissenschaftliche Darstellung eines<br />
Themas versucht, die persönliche, innere<br />
Beteiligung des Wissenschaftlers weitestgehend<br />
außen vorzulassen und ihren<br />
Gegenstand auf distanzierte, objektive<br />
Art darzustellen. Außerdem ist in ihr der<br />
Inhalt weitgehend unabhängig von der<br />
Form der Darstellung. In der Kunst hingegen<br />
bilden Form und Inhalt eine Einheit:<br />
Was ein Kunstwerk ausdrückt, liegt<br />
im Zusammenspiel des dargestellten Inhaltes<br />
mit der Form seiner Darstellung.<br />
Zudem präsentiert Kunst ihren Gegenstand<br />
„in erlebnismäßiger Perspektive“,<br />
wie es der Philosoph Franz von Kutschera<br />
ausdrückt, also in einer Weise, für die<br />
ein emotionales und subjektives Erleben<br />
wesentlich ist.
e m B ö s e n . D e n n d e i n i s t<br />
Nichtsdestoweniger erfüllt die Kunst<br />
eine eminent wichtige kognitive Funktion.<br />
Denn auch Kunst vermittelt Einsichten<br />
und Erkenntnisse, und zwar spezifisch<br />
auf anschaulich-erlebnismäßige<br />
Weise. Um solcher erlebnismäßiger Einsichten<br />
willen lohnt sich der Blick gerade<br />
auch auf die Kunst, wenn man sich<br />
mit einem bestimmten Thema möglichst<br />
umfassend befassen möchte.<br />
Dieser Vortrag hat nicht den Anspruch,<br />
selbst erlebnismäßige Einsichten zu vermitteln,<br />
er ist eher wissenschaftliche<br />
Darstellung als künstlerischer Ausdruck.<br />
Doch er hat das Ziel, auf Kunstwerke<br />
aufmerksam zu machen, die der Betrachtung<br />
lohnen, um in der Auseinandersetzung<br />
mit diesen Kunstwerken zu<br />
den verheißenen Einsichten zu gelangen.<br />
Nur wer sich selbst in die Betrachtung<br />
der Kunstwerke versenkt, ihnen Zeit und<br />
Muße widmet, wird mit einem entsprechenden<br />
Erleben beschenkt werden.<br />
Kunst nun ist vielfältig. Wir haben<br />
eben schon die Kunst der Musik genossen,<br />
daneben aber gibt es Literatur, Bildhauerei,<br />
Fotographie, Malerei, Performance<br />
und anderes mehr. Der Vortrag<br />
heute beschränkt sich auf die Bildenden<br />
Künste und nimmt dabei insbesondere<br />
das Glasfenster zum <strong>Vaterunser</strong> in der<br />
Stiftskirche Tübingen in den Blick.<br />
[Am Vortragsabend folgte an dieser<br />
Stelle eine umfangreichere Bilderpräsentation<br />
mit knappen Hinweisen und<br />
Erläuterungen, die hier nicht wiedergegeben<br />
werden kann. Gezeigt wurden<br />
Bilder aus mittelalterlichen <strong>Vaterunser</strong>-<br />
Erklärungen sowie aus Bilderfolgen zum<br />
<strong>Vaterunser</strong> von Hans Holbein d. J., Lukas<br />
Cranach d. Ä., Ludwig Richter, Max Pechstein<br />
und Siegfried Arno Gottlieb Angermüller.<br />
Einen informativen Überblick<br />
über die Geschichte der <strong>Vaterunser</strong>-<br />
Kunst gibt der Artikel „Das <strong>Vaterunser</strong><br />
– Pater noster“ in: Gertrud Schiller (Hg.):<br />
Ikonographie der christlichen Kunst, Bd.<br />
4.1: Die Kirche, S. 147ff., dem auch zahlreiche<br />
Abbildungen beigegeben sind.]<br />
Das <strong>Vaterunser</strong>-Fenster von Wolf-Dieter Kohler<br />
In der Kapelle der Stiftskirche befinden<br />
sich zwei Glasfenster des Stuttgarter<br />
Künstlers Wolf-Dieter Kohler, die<br />
dieser im Jahr 1962, also noch vor der<br />
Renovierung der Kirche, geschaffen hat.<br />
Thematisch sind beide Fenster dem Gebet<br />
gewidmet. Während das rechte Fensterbild<br />
den Gebetsgesang der drei Männer<br />
im Feuerofen zeigt, beschäftigt sich<br />
das linke Fenster mit dem <strong>Vaterunser</strong>.<br />
33
d a s R e i c h u n d d i e K r a f t<br />
Vater unser im Himmel<br />
Nur die erste Zeile des <strong>Vaterunser</strong>s, die<br />
Gebetsanrede „Unser Vater in dem Himmel“,<br />
findet sich in Worten ausgeschrieben<br />
im Fensterbild, und zwar auf den<br />
Schriftbahnen in den beiden Knäufen<br />
oben im Bild. Alle anderen Bitten sind<br />
allein bildlich dargestellt.<br />
Betrachten wir das Bild also näher.<br />
Das Zentrum des Fensterbildes ist eine<br />
Leerstelle: Es ist der schwarze Schnittpunkt<br />
des Fensterkreuzes, der zugleich<br />
Mittelpunkt des das Bild dominierenden<br />
Kreises ist. Dieser Kreis umspannt die gesamte<br />
Breite des zweibahnigen Fensters.<br />
Seine Grenze erfährt er durch den Farbwechsel<br />
der Strahlen, die vom Schnittpunkt<br />
der Kreuzesbalken aus der Mitte<br />
des Kreises hervorgehen. Die Strahlen<br />
im Kreis sind in roter und weißer Farbe<br />
gestaltet, kleine Segmente in gelb. Stehen<br />
die Farben Weiß und Gelb für Gottes<br />
Herrlichkeit und Rot für die Liebe oder<br />
den Geist Gottes, dann wäre Gott keineswegs<br />
außerhalb des Fensterbildes zu<br />
finden, wie ein Interpret gemeint hat,<br />
sondern gerade in seinem Zentrum: in<br />
der Leerstelle des Kreuzmittelpunktes,<br />
von dem die Herrlichkeit und die Liebe<br />
Gottes ausgehen.<br />
Im Kreis selbst ist offensichtlich die gesamte<br />
Menschheit versammelt: ein Asiate,<br />
ein Afrikaner, ein Weißer und ein Südamerikaner.<br />
Sie alle nehmen auf unterschiedliche<br />
Weise eine Gebetsgebärde ein und<br />
34<br />
sind der Mitte, dem Zentrum des Bildes,<br />
betend zugewandt. So steht das zentrale<br />
Bildelement gleichsam wie eine allgemeine<br />
Themendarstellung im Zentrum des<br />
Bildes: das <strong>Vaterunser</strong> als weltumspannendes<br />
Gebet zum herrlichen Gott.<br />
Geheiligt werde dein Name<br />
Zugleich kann das zentrale Bildelement<br />
aber auch als bildliche Umsetzung<br />
der ersten Bitte des <strong>Vaterunser</strong>s<br />
gedeutet werden, „geheiligt werde dein<br />
Name“, denn nichts anderes scheinen<br />
diese Menschen in ihrem Beten zu tun.<br />
Die zentrale Bedeutung der ersten Bitte<br />
für das <strong>Vaterunser</strong> als ganzes hätte auf<br />
diese Weise eine kongeniale Umsetzung<br />
erfahren: aus der Heiligung Gottes gehen<br />
alle weiteren Bitten strahlenförmig<br />
hervor, der Gedanke der ordo der einzelnen<br />
Bitten, der in den mittelalterlichen<br />
<strong>Vaterunser</strong>-Erklärungen von elementarer<br />
Bedeutung gewesen ist, hätte eine<br />
neue Interpretation gefunden.<br />
Mit gleichem Recht kann man die erste<br />
Bitte allerdings auch in den beiden<br />
Fischblasen oben im Fenster dargestellt<br />
sehen: Hier nämlich sehen wir im Himmel<br />
sieben Engel, also den engsten Hofstaat<br />
Gottes, der um eine weitere augenfällige<br />
Leerstelle herum gruppiert ist.<br />
Ganz offensichtlich erfüllen auch die<br />
Engel in ihrem Tun die erste Bitte des<br />
<strong>Vaterunser</strong>s: Sie heiligen den Namen<br />
Gottes.
Das <strong>Vaterunser</strong>-Fenster<br />
von Wolf-<br />
Dieter Kohler<br />
(1962) aus<br />
der Kapelle<br />
der Tübinger<br />
Stiftskirche<br />
35
u n d d i e H e r r l i c h k e i t<br />
Nimmt man nun beide Elemente zusammen,<br />
die betenden Vier im Zentrum<br />
und die Engel im Himmel, so ergibt sich<br />
eine weitere Deutung: Im Gebet des <strong>Vaterunser</strong>s<br />
stimmen die Menschen ein in<br />
die Heiligung Gottes durch die Engel,<br />
ganz wie im Gesang des Dreimalheilig in<br />
der Messliturgie.<br />
Außerhalb des göttlichen Kreises<br />
nehmen alle Strahlen eine jeweils andere<br />
Farbe an. Während im Kreis Rot<br />
vorherrscht, ergänzt durch Weiß, tritt<br />
jetzt die Farbe Blau hinzu, die Komplementärfarbe<br />
zu Rot. Interessanter Weise<br />
fehlt im Bild die Farbe Grün bis auf einen<br />
kleinen Farbkleckser. Dabei ist Grün die<br />
Farbe der Mitte, wie Wolf-Dieter Kohler<br />
in einer Rede über die Farben ausführt,<br />
sie evoziert Entspannung, Beruhigung.<br />
Doch entspannt und ruhig ist das Leben<br />
nicht, in dem Menschen in aller Welt<br />
das <strong>Vaterunser</strong> beten. Sie beten es angesichts<br />
der Widersprüche des Lebens,<br />
unter den gegensätzlichsten Erfahrungen,<br />
in einer Welt, die hell und dunkel<br />
ist, in allen Schattierungen, wie sie sich<br />
auch in den Farbverläufen der einzelnen<br />
Strahlen wiederfinden.<br />
Dein Reich komme<br />
36<br />
Wenden wir uns jetzt der bildlichen<br />
Umsetzung der einzelnen Bitten zu, die<br />
um den zentralen Kreis herum angeordnet<br />
sind. Sie sind meines Erachtens<br />
gegen den Urzeigersinn zu lesen, beginnend<br />
links oben. Da die Gebetsanrede in<br />
den Knäufen über den Fensterbahnen<br />
steht und die erste Bitte in den Fischblasen<br />
oder auch im zentralen Kreis<br />
umgesetzt ist, beginnt die Darstellung<br />
mit der zweiten Bitte: dein Reich komme.<br />
Geradezu liebevoll umschließen die<br />
Arme des dargestellten Menschen den<br />
Gekreuzigten, sehnsuchtsvoll blickt er<br />
zu ihm hinauf.<br />
Eben auf diese Weise: sehnsüchtig<br />
erwartet der Beter das Kommen des<br />
Gottesreiches, das doch in ihm, dem Gekreuzigten<br />
bereits gekommen ist, dessen<br />
künftiges Kommen wir aber auch erwarten<br />
und dessen Kommen wir schließlich<br />
im täglichen Leben schon erfahren können,<br />
gerade wenn wir beten. Es ist ein<br />
Reich nicht von dieser Welt, vor allem<br />
aber nicht nach den Vorstellungen dieser<br />
Welt. Der König dieses Reiches ist der<br />
Gekreuzigte. Es umstrahlen ihn Rot und<br />
Weiß: die Liebe, die Sühne, die Herrlichkeit.<br />
Dein Wille geschehe, wie im Himmel<br />
so auf Erden<br />
Die dritte Bitte, „dein Wille geschehe,<br />
wie im Himmel, so auf Erden“, nimmt ein<br />
Motiv auf, das auch in anderen Darstellungen<br />
zu dieser Bitte begegnet, so in einem<br />
Holzschnitt von Ludwig Richter: die<br />
Trauer um ein verstorbenes Kind. Während<br />
in den <strong>Vaterunser</strong>-Bebilderungen<br />
von Hans Holbein und Lucas Cranach die
i n E w i g k e i t . A m e n .<br />
dritte Bitte mit der Kreuztragung Jesu<br />
und bei Holbein auch mit dem Leiden<br />
in der Nachfolge Christi in Verbindung<br />
gebracht wird, ist hier das menschliche<br />
Leid überhaupt in ganzer Härte auf Gottes<br />
Willen zurückgeführt. Doch auch in<br />
dieser Darstellung begegnet die Kreuzigung<br />
in unmittelbarer Nähe, direkt<br />
oberhalb der das Kind tragenden Frau.<br />
So erscheinen unsere Leiden in der Anordnung<br />
der Bildelemente geradezu<br />
umgriffen vom Leiden Jesu, der über<br />
der Frau am Kreuz hängend die Arme<br />
ausbreitet. Das menschliche Leiden, es<br />
gehört zum Kreuz, es ist darin aufgenommen,<br />
und – so die Hoffnung: aufgehoben.<br />
Der Hintergrund der Darstellung<br />
ist blau, kalt. Wie kalt und unbarmherzig<br />
erscheint Gottes Wille im Leiden dieser<br />
Welt. Seine Liebe ist nur zu erahnen, erfahrbar<br />
vielleicht nur dem, der in den<br />
Kreis der Betenden tritt. Doch auch da<br />
ist Gott vorborgen im dunklen Schnittpunkt<br />
des Kreuzes.<br />
Unser tägliches Brot gib uns heute<br />
Auch die Darstellung der vierten Bitte,<br />
„unser tägliches Brot gib uns heute“,<br />
greift auf eine traditionelle Bildlösung<br />
zurück. Dargestellt ist ein familiäres Essen,<br />
über dem der Vater das Tischgebet<br />
spricht. Diesem Gebet ist Erhörung gewiss:<br />
Ein Engel hält segnend seine Hände<br />
über die Szene, über das tägliche Brot.<br />
Vielleicht nimmt die Zusammenstellung<br />
von segnendem Engel und irdischem<br />
Mahl noch einmal die dritte Bitte auf:<br />
wie im Himmel so auf Erden. Nicht zu<br />
übersehen ist schließlich das kräftige<br />
rote Licht, das auf den Tisch fällt und<br />
Assoziationen an das Abendmahl weckt:<br />
Dies ist mein Blut, das für euch vergossen<br />
wird.<br />
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch<br />
wir vergeben unseren Schuldigern<br />
Die fünfte Bitte: „Und vergib uns<br />
unsere Schuld, wie auch wir vergeben<br />
unseren Schuldigern“. Als Kontrastbild<br />
zum zweiten Teil dieser Bitte ist zunächst<br />
ein Mensch dargestellt, der den<br />
Stab eben doch über jemandem bricht,<br />
nicht zur Vergebung fähig ist, entsprechend<br />
auch keinen Blick für die Mitte<br />
hat. Der Mensch rechts daneben erkennt<br />
ganz offensichtlich seine eigene<br />
Schuld, fasst sich an die Stirn und blickt<br />
Verzeihung bittend auf in die Mitte, zu<br />
Gott. Auch die dritte Figur blickt in die<br />
Mitte, wohl wartend, hörend auf das erlösende<br />
Wort der Vergebung.<br />
Der rote Strahl fährt zwischen den<br />
Menschen, der den Stab bricht, und den<br />
einsichtigen Mann, stellt dabei aber zugleich<br />
eine Verbindung her zur Hingabe<br />
Jesu Christi am Kreuz, im Fenster genau<br />
diagonal gegenüber dargestellt: Jesu<br />
Hingabe befreit zur Einsicht in die eigene<br />
Schuld, erlöst von ihr und ermöglicht<br />
Vergebung.<br />
37
V a t e r u n s e r i m H i m m e l , g e<br />
Und führe uns nicht in Versuchung,<br />
sondern erlöse uns von dem Bösen<br />
Die drei Auferstehenden, die jetzt gegen<br />
den Uhrzeigersinn folgen, bringen<br />
ganz offensichtlich die erbetene Erlösung<br />
von dem Bösen zur Darstellung,<br />
also die siebte Bitte.<br />
Die dunklen Köpfe darüber, die meines<br />
Wissens bisher noch keine befriedigende<br />
Deutung erfahren<br />
haben, hingegen die<br />
sechste Bitte, die Bitte<br />
um Bewahrung vor<br />
der Versuchung.<br />
Es handelt sich bei<br />
diesen Köpfen nämlich<br />
nicht um Totenköpfe,<br />
wie zuweilen<br />
geäußert, sondern um<br />
Dämonenfratzen, die<br />
traditionell dem Thema<br />
der Versuchung<br />
zugeordnet sind.<br />
Ausgeschlossen werden kann, dass die<br />
fragliche sechste Bitte, wie schon vorgeschlagen,<br />
in dem dritten Mann unten<br />
rechts im Fenster dargestellt ist.<br />
Dass, folgt man der Kreisbewegung<br />
gegen den Uhrzeigersinn, zunächst die<br />
Bitte nach der Erlösung von dem Bösen<br />
und dann erst die Bitte um Bewahrung<br />
vor der Versuchung umgesetzt ist, erklärt<br />
sich nun allein daraus, dass der<br />
Künstler die sechste und siebte Bitte offensichtlich<br />
als Doppelbitte verstanden<br />
38<br />
hat, als zwei Seiten ein und derselben<br />
Medaille, was sich exegetisch gut begründen<br />
lässt: Verführe uns nicht zum<br />
Bösen, sondern erlöse uns von ihm.<br />
Gestützt wird diese Interpretation dadurch,<br />
dass in der linken Fensterhälfte<br />
parallel zu diesen beiden Motiven auch<br />
nur eine Bitte, nämlich die dritte, dargestellt<br />
ist – der Engel gehört ja vor allem<br />
zur Tischszene.<br />
Denn dein ist das<br />
Reich und die Kraft<br />
und die Herrlichkeit<br />
in Ewigkeit. Amen.<br />
Der Kreis schließt<br />
sich oben rechts im<br />
Fenster: Der Betende<br />
tritt dem Auferstandenen<br />
gegenüber und<br />
betet ihn an. Weiß<br />
ist die Farbe des Sieges<br />
über den Tod, der<br />
Herrlichkeit, der Vollkommenheit, Rot<br />
die Farbe der Kraft. Entsprechend dominieren<br />
im Hintergrund die Farben Weiß<br />
und Rot, das Blau tritt zurück. Das Reich<br />
Gottes kommt. In der Auferweckung<br />
seines Sohnes hat Gott seine Kraft und<br />
Herrlichkeit erwiesen, hier tritt sie dem<br />
Beter entgegen.<br />
Die Komposition des Fensterbildes<br />
überzeugt: Überaus beeindruckend<br />
kommen der Gekreuzigte und der Auferstandene<br />
direkt nebeneinander im
h e i l i g t w e r d e d e i n N a m e ,<br />
Fenster zum Stehen, der Gekreuzigte<br />
am Anfang des Gebetsweges, der Auferstandene<br />
an seinem Ende. Und auch<br />
darauf sei explizit hingewiesen: Die roten<br />
Strahlen außerhalb des Kreises sind<br />
vollkommen symmetrisch und fallen<br />
so auf den Gekreuzigten, das Abendmahl,<br />
die Sündenvergebung und den<br />
Auferstandenen. Auf überaus anschauliche<br />
Weise stellen die roten Strahlen<br />
so die Verbindung zwischen diesen vier<br />
Grundmotiven des christlichen Glaubens<br />
her. Als Farbe der Sünde und der<br />
Sühne umstrahlt das Rot das Kreuz der<br />
Sühne, das Abendmahl zur Vergebung<br />
der Sünden, die Vergebung selbst und<br />
schließlich den Auferstandenen, der die<br />
Macht der Sünde besiegt hat. Zugleich<br />
steht Rot für die Liebe, aus der Gott dies<br />
alles getan hat: „Also hat Gott die Welt<br />
geliebt, dass er seinen eingeborenen<br />
Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben,<br />
nicht verloren gehen, sondern das<br />
ewige Leben haben“ (Johannes 3,16).<br />
Dr. Kim Apel wurde 1973 im niedersächsischen Braunschweig<br />
geboren. Er ist seit 2010 Pfarrer an der Tübinger Stiftskirche.<br />
39
Dein Reich komme. Dein Wille<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> im interreligiösen Dialog<br />
von Michael Seibt<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> ist ein globaler Basis-<br />
Text. Er gehört der ganzen Menschheit,<br />
nicht nur einer bestimmten Glaubensgemeinschaft.<br />
In einer multireligiösen Welt<br />
ist es sinnvoll, religiöse Basis-Texte nicht<br />
nur mit eigenen Augen zu betrachten.<br />
Wem das <strong>Vaterunser</strong> vertraut ist und<br />
wer es regelmäßig betet, dem fällt möglicherweise<br />
gar nicht mehr auf, was das<br />
Besondere daran ist.<br />
Ich möchte Sie einladen, das <strong>Vaterunser</strong><br />
aus unterschiedlichen Perspektiven<br />
zu betrachten und es mit jüdischen,<br />
buddhistischen und islamischen Augen<br />
zu lesen und oder zu beten.<br />
Wir holen damit das Gespräch zwischen<br />
den Religionen zu uns herein. Wir<br />
sind Menschen im Dialog, auch wenn<br />
wir uns zu einem bestimmten Bekenntnis<br />
halten.<br />
40<br />
Niemand kann heute mehr glauben<br />
als gäbe es nicht neben uns Menschen,<br />
die anders glauben. Die Antwort darauf<br />
ist nicht Gleichgültigkeit, sondern im<br />
Gegenteil Interesse. Vieles von dem, was<br />
auf den ersten Blick anders oder fremd<br />
ist, könnte ja auch für mich wichtig sein<br />
oder werden.<br />
Wir nähern uns dem Thema sinnvollerweise<br />
mit einer fragenden und offenen<br />
Grundhaltung.<br />
Ich spreche im ersten Teil meines<br />
Vortrags im Horizont des christlichen<br />
Glaubens. Danach frage ich, was wir<br />
über das <strong>Vaterunser</strong> erfahren, wenn<br />
wir es aus jüdischer, aus buddhistischer<br />
und aus islamischer Perspektive betrachten.<br />
Ich frage also zunächst im Horizont<br />
des christlichen Glaubens:
geschehe, wie im Himmel,<br />
Welchen Beitrag leistet das <strong>Vaterunser</strong><br />
zur Begegnung von Menschen aus unterschiedlichen<br />
Religionen?<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> gilt als das christliche<br />
Gebet schlechthin. In jedem Gottesdienst<br />
wird es gesprochen.<br />
In seinem Grundbestand lässt sich das<br />
<strong>Vaterunser</strong> auf Jesus zurückführen. Soweit<br />
wir das erkennen können, stoßen<br />
wir hier auf den Kern der Botschaft des<br />
historischen Jesus.<br />
Charakteristisch für die Gottesbeziehung<br />
Jesu ist die Anrede Gottes als<br />
Vater. Diese Anrede drückt Vertrauen<br />
aus, jedenfalls dann, wenn man mit der<br />
Vaterbeziehung keine Verletzungen verbindet.<br />
Da Vaterbeziehungen wie alle Elternbeziehungen<br />
aber belastet sein können,<br />
empfinden viele diese Gottesanrede<br />
heute als nicht mehr angemessen. Viele<br />
stört auch die männliche Form der Gottesanrede.<br />
Es gibt daher Vorschläge, eine andere<br />
Anrede zu verwenden. Ich werde später<br />
auf die 99 Namen Gottes im Islam zu<br />
sprechen kommen. Davon können wir<br />
uns anregen lassen.<br />
Wir werden freilich den biblischen Text<br />
so stehen lassen und das Gebet Jesu auch<br />
in Zukunft mit dem eingeführten Markennamen<br />
als <strong>Vaterunser</strong> bezeichnen. Da<br />
wissen alle sofort, was gemeint ist.<br />
Die Vater-Anrede ist für Jesus sicher<br />
nicht belastet oder gar diskriminierend<br />
gewesen. Wer Gott als Vater anredet, darf<br />
sich selbst als dessen Sohn oder Tochter<br />
verstehen. Das verleiht große Würde.<br />
Es gibt hier eine Verbindung zu einer<br />
der Seligpreisungen Jesu am Anfang der<br />
Bergpredigt: Selig sind die Friedensstifter.<br />
Von ihnen sagt Jesus, dass sie Söhne<br />
und Töchter Gottes heißen sollen (Matthäus<br />
5,9).<br />
Diesen Zusammenhang gilt es besonders<br />
zu beachten, wenn wir das <strong>Vaterunser</strong><br />
in den Kontext der Religionen stellen.<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> gehört in die Mitte des<br />
Gottesdienstes<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> wird zwar in jedem<br />
christlichen Gottesdienst gesprochen,<br />
aber es steht dennoch nicht im Mittelpunkt<br />
der Liturgie und leider auch nicht<br />
des christlichen Selbstverständnisses.<br />
Das möchte ich erklären.<br />
Wir sprechen das <strong>Vaterunser</strong> am Ende<br />
der Fürbitten. Dort fasst es alles zusammen,<br />
was in den Fürbitten noch nicht<br />
gesagt wurde, nach dem Motto: was<br />
wir sonst noch auf dem Herzen haben,<br />
sagen wir jetzt mit dem <strong>Vaterunser</strong>. Das<br />
Gebet Jesu setzt also die Fürbitten fort<br />
und schließt sie formelhaft ab. Es hat<br />
kaum eigenes Gewicht.<br />
In der Liturgie der Messe ist das <strong>Vaterunser</strong><br />
Tischgebet vor der Feier des<br />
Abendmahls beziehungsweise der Eucharistie.<br />
Nicht das <strong>Vaterunser</strong> ist der<br />
Höhepunkt der Liturgie, sondern Abendmahl<br />
oder Eucharistie.<br />
41
s o a u f E r d e n . U n s e r t ä g<br />
Hier aber begegnen uns ganz andere<br />
theologische Aussagen als im <strong>Vaterunser</strong>.<br />
Beim Abendmahl geht es um die<br />
Erlösung durch den Kreuzestod Jesu. In<br />
den Einsetzungsworten begegnen uns<br />
die Vorstellungen von Opfer und Sühne:<br />
Christi Leib, für dich gegeben; Christi<br />
Blut, für dich vergossen zur Vergebung<br />
der Sünden.<br />
Die Vergebung wird erst möglich, indem<br />
der Mensch Teil hat an der Erlösung<br />
durch das Kreuz Christi. Und da die<br />
Leitung der Eucharistie eines geweihten<br />
Priesters bedarf und die Feier des<br />
Abendmahls eines ordinierten Pfarrers<br />
oder einer Pfarrerin, ist die Vergebung<br />
mehr oder weniger auch an das kirchliche<br />
Amt gebunden.<br />
Ganz anders das <strong>Vaterunser</strong>. Jesus hat<br />
es zu Lebzeiten gelehrt. Da konnte noch<br />
keine Rede sein von der Erlösung durch<br />
das Kreuz. Vielmehr hat Jesus voraussetzungslos<br />
vergeben und geheilt, aus<br />
Liebe heraus. Diesen Auftrag hat er allen<br />
Menschen gegeben. Denn wer Gott, dem<br />
Vater, vertraut, kann wie Jesus vergeben.<br />
Um Missverständnisse zu vermeiden,<br />
muss ich an der Stelle kurz auf unser<br />
deutsches Wort „Schuld“ eingehen. Wir<br />
meinen damit schuldhaftes Fehlverhalten,<br />
für das man Verantwortung trägt.<br />
In der griechischen Sprache des zweiten<br />
Testaments gibt es mehrere Begriffe dafür.<br />
Danach meint Schuld nicht in erster<br />
Linie moralisches Fehlverhalten. Es<br />
geht vielmehr um das Geschuldete, das,<br />
42<br />
was wir einander schuldig bleiben, auch<br />
wenn niemand dafür eine persönliche<br />
Verantwortung trägt. Auch das ist in die<br />
Vergebung eingeschlossen.<br />
Vergeben heißt daher: ich stelle eine<br />
belastete oder zerbrochene Beziehung<br />
wieder her. Wir halten das Trennende<br />
aus. Und halten dennoch zusammen.<br />
Das ist Schalom, Friede im biblischem<br />
Sinne. Ich muss mich dabei nicht mit allen<br />
verstehen, aber ich gebe die grundsätzliche<br />
Bereitschaft zur Begegnung<br />
nie auf. Darauf kommt es an, besonders<br />
zwischen Menschen aus verschiedenen<br />
Religionen.<br />
Die Beziehung hat Vorrang<br />
Die Vergebungsbitte steht im Zentrum<br />
des <strong>Vaterunser</strong>s. An mehreren Stellen in<br />
den Evangelien wird sie betont. Sogleich<br />
nach dem <strong>Vaterunser</strong> lesen wir: „Wenn<br />
ihr den Menschen vergebt, was sie euch<br />
schuldig geblieben sind, so wird euch euer<br />
himmlischer Vater auch vergeben. Wenn<br />
ihr aber den Menschen nicht vergebt, so<br />
wird euch euer Vater auch nicht vergeben.“<br />
Und im Abschnitt über das Töten lesen<br />
wir in der Bergpredigt: „Wenn du deine<br />
Gabe auf dem Altar opferst und dort<br />
kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder<br />
etwas gegen dich hat, so lass dort vor<br />
dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin<br />
und versöhne dich mit deinem Bruder<br />
und dann komm und opfere deine Gabe“<br />
(Matthäus 5, 23-24).
l i c h e s B r o t g i b u n s h e u t e .<br />
Interessant ist, dass hier der Begriff<br />
Schuld nicht vorkommt. Es ist lediglich von<br />
einer Störung der Beziehung die Rede im<br />
Sinne von „etwas gegen einander haben“.<br />
Denselben Gedanken nimmt auch das<br />
Markusevangelium auf: „Wenn ihr steht<br />
und betet, so vergebt, wenn ihr etwas<br />
gegen jemanden habt, damit auch euer<br />
Vater im Himmel euch vergebe eure<br />
Übertretungen“ (Markus 11,25).<br />
Es ist also ein zentraler Gedanke in<br />
der Botschaft Jesu, dass der Mensch sich<br />
zuerst versöhnt, bevor er vor Gott tritt.<br />
Zuerst geht es um die menschliche Beziehung,<br />
dann erst um Religion.<br />
Folgerungen für die Praxis<br />
„Wie auch wir vergeben unseren<br />
Schuldigern.“ Dieser Halbsatz aus dem<br />
<strong>Vaterunser</strong> ist bemerkenswert, weil er<br />
keine Bitte an Gott richtet. Der Betende<br />
ist hier selbst aktiv.<br />
Was bedeutet das für die Praxis?<br />
Der Theologe Klaus-Peter Jörns hat<br />
eine Gottesdienstliturgie vorgestellt,<br />
die das <strong>Vaterunser</strong> bewusst in den Mittelpunkt<br />
stellt. Die Bitte um Vergebung<br />
und ihre wechselseitige Zusage ist für<br />
ihn die Mitte des Gottesdienstes. Er lässt<br />
die Gemeinde sich in zwei Gruppen teilen,<br />
die einander gegenüber stehen und<br />
sich einander zuwenden. Dann sagt die<br />
erste Gruppe:<br />
„Wir bekennen vor Gott und euch,<br />
liebe Schwestern und Brüder, dass wir<br />
Gott und Menschen und unseren Mitgeschöpfen<br />
Achtung und Liebe schuldig<br />
geblieben sind. Wir haben dem Bösen<br />
Macht über uns gegeben. Wir bitten<br />
euch, uns im Namen Gottes unsere Sünden<br />
zu vergeben.“<br />
Darauf erwidert die zweite Gruppe:<br />
„In Gottes Namen sprechen wir euch die<br />
Vergebung aller eurer Sünden zu. Euch<br />
geschehe, wie ihr glaubt.“<br />
Und dann umgekehrt.<br />
Jörns hat jüngst in einem Interview<br />
in der Zeitschrift Publik-Forum dazu<br />
Folgendes gesagt: „Dadurch erhält das<br />
<strong>Vaterunser</strong> eine viel größere Brisanz.<br />
Die Gemeinde als Ganzes – und nicht<br />
nur die Pfarrer und Priester – werden<br />
einbezogen in die Vollmacht, zu vergeben,<br />
wie es im <strong>Vaterunser</strong> ja formuliert<br />
ist. Man spürt die von Jesus geschenkte<br />
Würde der Gotteskindschaft, wenn<br />
man einem Menschen gegenüber steht,<br />
der von sich sagt, dass er Achtung und<br />
Liebe schuldig geblieben ist und dafür<br />
um Vergebung bittet; und wenn man<br />
ihm in Gottes Namen die erbetene Vergebung<br />
zusprechen und ihn danach<br />
selbst um Vergebung bitten kann. Auf<br />
diese Weise wird das allgemeine Priestertum<br />
der Gläubigen endlich wahr.<br />
Die Menschen werden einbezogen in<br />
das, was wir alle brauchen: eine Wirklichkeit,<br />
die von Vergebung und Versöhnung<br />
geprägt ist. Die erleben die<br />
meisten Menschen als ausgesprochen<br />
befreiend.“<br />
43
U n d v e r g i b u n s u n s e r e S c h u<br />
Jörns hat Recht: der Gottesdienst soll<br />
entlasten und befreien. Daran muss er<br />
sich messen lassen. Das erwarten die<br />
Menschen zu Recht.<br />
Wenn man nach diesem wechselseitigen<br />
Zuspruch das Abendmahl beziehungsweise<br />
die Eucharistie feiert, kann<br />
die Feier ganz unter dem Vorzeichen der<br />
Freude und der Dankbarkeit stehen.<br />
Es wäre ein wichtiger Beitrag zur<br />
Begegnung der Religionen, wenn die<br />
christlichen Gesprächspartner das Gebet<br />
Jesu in den Mittelpunkt rückten. Das<br />
würde viele Türen öffnen und unsere<br />
Gottesdienste lebendiger und persönlicher<br />
machen.<br />
Lassen Sie mich nun fragen: Was erfahren<br />
wir über das <strong>Vaterunser</strong>, wenn wir es<br />
mit den Augen von Menschen aus anderen<br />
Religionen betrachten? Nehmen wir also<br />
die Perspektive anderer ein. Das ersetzt<br />
freilich nicht die wirkliche Begegnung.<br />
Unter uns leben Muslime, Juden, Buddhisten<br />
und Anhänger zahlreicher weiterer<br />
Glaubensgemeinschaften sowie<br />
Agnostiker und Atheisten. Sie kennen<br />
das <strong>Vaterunser</strong> vielleicht, aber es ist<br />
nicht ihr Gebet.<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> aus jüdischer Perspektive<br />
44<br />
Ich fasse mich hier kurz, weil Pfarrer<br />
Kleinknecht bereits zum <strong>Vaterunser</strong> als<br />
Gebet des Juden Jesus vorgetragen hat.<br />
Ich erinnere nur an Folgendes:<br />
Jesus lehrt das <strong>Vaterunser</strong> als Jude,<br />
nicht als Christ. Er lehrt uns nicht christlich<br />
beten im Unterschied zum jüdischen<br />
Beten.<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> entstand, als Jesus<br />
noch der Zimmermann aus Nazareth war.<br />
Darum ist das <strong>Vaterunser</strong> Gebet zu<br />
Gott, nicht zu Jesus Christus. Jesus<br />
nimmt uns mit hinein in seine Art, auf<br />
Gott zu vertrauen. Das macht es zu einem<br />
Gebet, das zum Judentum hin und<br />
auch zum Islam hin offen ist.<br />
Nimmt man die jüdische Perspektive<br />
auf das <strong>Vaterunser</strong> ernst, wird man sich<br />
mit der Anrede Jesu im Gebet zurückhalten<br />
oder ganz darauf verzichten. Wir<br />
beten gemeinsam mit unseren jüdischen<br />
Freunden zu Gott. Jesus hat seinen Jüngern<br />
nie empfohlen, ihn anzubeten. Als<br />
Jude wäre ihm dieser Gedanke vollkommen<br />
fremd gewesen. Wenn ich öffentlich<br />
im Gottesdienst bete, verzichte ich<br />
daher grundsätzlich auf die Anrede Jesu<br />
im Gebet.
l d ,<br />
w i e a u c h w i r v e r g e b e n<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> aus buddhistischer Perspektive<br />
In unserem Land lassen sich viele Menschen<br />
vom Gebet der Buddhisten beeinflussen<br />
und anregen. Vielleicht deshalb,<br />
weil die Buddhisten beim Beten nicht<br />
reden, sondern schweigen. Sie beten eigentlich<br />
nicht in unserem Sinne, sie meditieren.<br />
Zu bitten, zu danken und zu klagen<br />
gibt es außerhalb von uns hier nichts.<br />
Denn es ist da kein Gott, der unser Reden<br />
hört und darauf eingeht.<br />
In der Meditation sitzt der Mensch da,<br />
atmet ein und aus, Beine und Hände geöffnet<br />
wie eine Schale und lässt die Gedanken<br />
kommen und gehen. An nichts<br />
will der Meditierende haften, an nichts<br />
kleben, auch nicht an seinen Wünschen<br />
und Bitten.<br />
Stattdessen übt er eine bestimmte<br />
Haltung ein, die in den vier edlen Wahrheiten<br />
des Buddhismus zusammen gefasst<br />
ist:<br />
1. Das Leben ist Leiden.<br />
2. Die Ursache des Leidens ist der Durst<br />
nach Leben.<br />
3. Um den Durst zu überwinden muss<br />
man das Begehren aufheben.<br />
4. Das geschieht auf dem Übungsweg<br />
des achtfachen Pfads; dazu gehört<br />
unter anderem die Meditation.<br />
Die Buddhisten kennen darum kein<br />
Gebet, das unserem <strong>Vaterunser</strong> vergleichbar<br />
wäre. Sie beten nicht um das<br />
Kommen des Reiches Gottes. Denn da<br />
kommt nichts, jedenfalls nichts Neues.<br />
Eher das immer wieder Gleiche.<br />
Daher ist das Rad das buddhistische<br />
Symbol. Es dreht sich wie das Leben<br />
selbst. In der Zeit haben wir nichts<br />
grundlegend Neues zu erwarten, zu<br />
wünschen und zu hoffen.<br />
Im Dialog mit der buddhistischen<br />
Auffassung werden wir zu fragen haben,<br />
was eigentlich genau wir erwarten,<br />
wenn wir um das Kommen des Reiches<br />
Gottes beten. Wir sprechen dann gerne<br />
davon, dass es kein Leid und keine Ungerechtigkeit<br />
mehr gibt.<br />
Reich Gottes - zukünftig oder gegenwärtig?<br />
Da dies entweder nicht eintritt oder<br />
immer noch auf sich warten lässt, haben<br />
im Christentum manche das Reich Gottes<br />
in eine jenseitige Zukunft verlagert,<br />
die sie mit der Wiederkunft Christi verbinden.<br />
Wenn er wiederkommt, dann –<br />
so die Hoffnung – wird alles ganz anders<br />
sein. Dann wird er herrschen und die<br />
Mächte des Bösen sind besiegt. Dann ist<br />
die Geschichte an ihr Ziel gelangt.<br />
Diese ursprünglich jüdisch-christliche<br />
Vorstellung von einem positiv besetzten<br />
Ziel der Geschichte hat unsere Sicht<br />
auf die Welt tief geprägt. Das geht so<br />
45
u n s e r n S c h u l d i g e r n . U n d f ü h<br />
weit, dass auch säkulare Philosophien<br />
und politische Ideologien davon erfasst<br />
sind.<br />
So hat der Marxismus geglaubt, dass<br />
es am Ende der Geschichte eine klassenlose<br />
Gesellschaft geben wird. Die<br />
Nationalsozialisten glaubten an das so<br />
genannte dritte Reich, das sie verwirklichen.<br />
Im Mittelalter meinte man mit<br />
dem dritten Reich das Reich des Geistes.<br />
Die Nationalsozialisten kopierten<br />
die Idee und machten daraus ein mörderisches<br />
Reich der Überlegenheit einer<br />
Rasse.<br />
Die <strong>Vaterunser</strong>-Bitte um das Kommen<br />
des Reiches hat also eine sehr zwiespältige<br />
Wirkungsgeschichte. Darum ist<br />
es ein wichtiges Korrektiv, wenn Jesus<br />
selbst das Reich aus der Zukunft in die<br />
Gegenwart verlegt. „Das Reich Gottes<br />
ist mitten unter euch,“ sagt er nach dem<br />
Lukasevangelium.<br />
Wenn es schon da ist, müssen wir<br />
dann überhaupt noch um sein Kommen<br />
bitten?<br />
Die Theologen sprechen an dieser Stelle<br />
von der Spannung zwischen „schon<br />
jetzt“ und „noch nicht“. Zwar ist es schon<br />
jetzt angebrochen, aber eben noch nicht<br />
ganz verwirklicht.<br />
Diese komplizierte Dialektik ist der<br />
Preis dafür, dass wir die Zeit in unserer<br />
Kultur wie einen Pfeil verstehen, der<br />
aus der Vergangenheit in die Zukunft<br />
schießt. Die Gegenwart ist dabei nur der<br />
bedeutungslose Moment des Übergangs<br />
46<br />
von der Vergangenheit in die Zukunft.<br />
Wichtig ist, was kommen wird. Die Prognose<br />
ist entscheidend.<br />
Die Gegenwart wertschätzen<br />
Betrachten wir das <strong>Vaterunser</strong> aus<br />
buddhistischer Perspektive, gelangen<br />
wir zu einer neuen Wertschätzung der<br />
Gegenwart.<br />
Dein Reich komme – das könnte dann<br />
die Bitte darum sein, die Gegenwart des<br />
Reiches wahrzunehmen. So dass nicht<br />
das Reich Gottes zu uns zu kommen hat,<br />
sondern umgekehrt wir zum Reich Gottes<br />
kommen, sprich, dass unsere Wahrnehmung<br />
für die Gegenwart Gottes sich<br />
schärft.<br />
Wir könnten die <strong>Vaterunser</strong>-Bitte<br />
dann so verstehen: Dein Reich, das schon<br />
längst da ist, komme an, bei mir, bei uns.<br />
Und damit sind wir bei der Meditation.<br />
Sie ist eine Übung der Achtsamkeit für<br />
mich selbst, für meine Gefühle, meine<br />
Gedanken, meinen Körper. Sie will den<br />
Menschen lösen von den Verhaftungen<br />
des Ichs an die eigenen Gedanken, Wünsche<br />
und Pläne.<br />
Längst hat sich die Meditation bei uns<br />
etabliert. Asiatische Spiritualität hat<br />
Eingang bei uns gefunden. Das ist nicht<br />
nur eine Modeerscheinung, sondern entspricht<br />
einem tiefer liegenden Bedürfnis<br />
nach Stille, nach Verweilen, nach einer<br />
kontemplativen Art zu leben, die sich<br />
unserer allgemeinen Hektik entzieht.
e u n s n i c h t i n V e r s u c h u n g ,<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> aus der Perspektive des Islam<br />
In der Keplerstraße in Tübingen haben<br />
Muslime aus ganz Baden-Württemberg<br />
einen Kellerraum frisch eingerichtet.<br />
Ein durchlaufendes rotes Sofa an allen<br />
vier Wänden wie in einem schwäbischen<br />
Wirtshaus, nur eben keine Holzbank,<br />
sondern plüschig gepolstert. In der Mitte<br />
ein Samowar. An der Wand ein Bild von<br />
der Tübinger Neckarfront und ein weiteres<br />
Bild von einer Moschee in Istanbul,<br />
sowie Kalligrafien. Und ein moderner<br />
Laptop auf dem Tisch in einer Ecke.<br />
Die beiden freundlichen Geschäftsführer<br />
des Vereins Süddialog reichen mir<br />
Tee. Wir kommen ins Gespräch. Meine<br />
Gastgeber erzählen mir Geschichten von<br />
ihren türkischen Landsleuten. Von ihren<br />
Bemühungen um Integration. Davon,<br />
wie wichtig eine gute Bildung sei. Viele<br />
Mitglieder des Vereins haben in Tübingen<br />
studiert. Sie möchten etwas für ihre<br />
Landsleute tun. Sie sagen: Deutschland<br />
ist unsere Heimat, wir möchten, dass es<br />
diesem Land gut geht. Dazu möchten wir<br />
beitragen. Einer der beiden Geschäftsführer<br />
wird demnächst islamischen Religionsunterricht<br />
an einer deutschen<br />
Schule erteilen.<br />
Meine Gastgeber verstehen sich als<br />
Muslime, aber sie wissen, dass es über<br />
den Islam in Deutschland viele schnelle<br />
Urteile gibt. Deshalb betonen sie ausdrücklich,<br />
dass sie keine islamische Mission<br />
betreiben möchten. Es geht ihnen<br />
um Integration.<br />
Mir fällt ein, was in unseren Medien<br />
über muslimische Vereine und Gemeinschaften<br />
oft zu hören ist. Nämlich die<br />
Nachricht, diese oder jene islamische<br />
Organisation werde vom Verfassungsschutz<br />
beobachtet. Das gilt auch für<br />
weltoffene islamische Gemeinden wie<br />
die des Penzberger Imans Benjamin Idriz,<br />
über den kürzlich die „Zeit“ in einem<br />
ausführlichen Dossier berichtet hat.<br />
Der Sozialwissenschaftler Werner<br />
Schiffauer sagte dazu in der „Zeit“: „Die<br />
Aussage ,vom Verfassungsschutz beobachtet‘<br />
wird gleichgesetzt mit: ,ist verfassungsfeindlich.‘“<br />
Doch das Urteil über die Verfassungstreue<br />
steht allein dem Verfassungsgericht<br />
zu. So ist in unserer Gesellschaft<br />
eine Kultur der Verdächtigung entstanden,<br />
die der Begegnung der Kulturen<br />
und Religionen und einem friedlichen<br />
Zusammenleben im Weg steht.<br />
Gerade ihre eigenen Bemühungen um<br />
eine verbesserte Integration wird Muslimen<br />
häufig zum Vorwurf gemacht. Aus<br />
ihrer eigenen Community bekommen<br />
sie zu hören, dass sie den Islam verraten,<br />
wenn sie zu sehr auf die Mehrheitsgesellschaft<br />
zugehen. Und von dort<br />
bekommen sie zu hören, sie hätten nur<br />
Kreide gefressen, betonen die Integrati-<br />
47
s o n d e r n e r l ö s e u n s v o n d<br />
on nur, weil sie in Wahrheit die deutsche<br />
Gesellschaft muslimisch unterwandern<br />
möchten. So stehen gerade die integrationswilligen<br />
Muslime in unserem Land<br />
unter Beschuss von allen Seiten.<br />
Was hat das mit dem <strong>Vaterunser</strong> zu<br />
tun? - Ich erinnere an die Aussage Jesu,<br />
dass wir zuerst hingehen sollen, wenn wir<br />
etwas gegeneinander haben. Zuerst gilt<br />
es Vertrauen zu schaffen. Das gelingt am<br />
besten, wenn wir die in allen Religionen<br />
hochgehaltene Tugend der Gastfreundschaft<br />
beherzigen. Laden wir uns also<br />
gegenseitig ein, lernen wir uns kennen.<br />
Dann werden wir vielleicht auch einmal<br />
über Fragen sprechen können, wie die, ob<br />
der Gott, den Jesus Vater nennt, derselbe<br />
ist wie Allah, zu dem Muslime beten.<br />
Allah ist das arabische Wort für Gott. Allah<br />
ist kein anderer Gott, sondern der eine,<br />
neben dem es keinen anderen gibt. Das<br />
kennen wir aus dem Judentum. Und von<br />
dort kam das erste Gebot ins Christentum.<br />
Der Islam kennt 99 Namen Gottes, soll<br />
heißen, Gott hat viele Namen und ist dennoch<br />
der Eine. Jeder dieser Namen ist nur<br />
eine Annäherung an das Geheimnis Gottes.<br />
Dabei vermeidet der Islam Namen<br />
Gottes, die allzu menschlich erscheinen.<br />
Aus diesem Grund gehört der „Vater“<br />
nicht zu den 99 Namen Gottes.<br />
Hier ein paar Kostproben aus den 99<br />
Namen Gottes:<br />
• Der Barmherzige<br />
• Der Schöpfer, der Erschaffende<br />
• Der voller Vergebung ist<br />
48<br />
• Der Freigebige<br />
• Der wahrhaft Richtende<br />
• Der Feinfühlige<br />
Das sind alles Gottesnamen, die mit<br />
der jüdisch-christlichen Vorstellung von<br />
Gott als Vater gut vereinbar sind und außerdem<br />
den Vorzug haben, geschlechtsneutral<br />
zu sein.<br />
Auf der folgenden Seite habe ich neben<br />
das <strong>Vaterunser</strong> ein wichtiges Gebet<br />
aus dem Islam gestellt und lade Sie ein<br />
zum Vergleich. Es handelt sich um Al-<br />
Fatiha, ein Gebet, das zum regelmäßigen<br />
rituellen Pflichtgebet im Islam gehört.<br />
Über die unterschiedliche Anrede habe<br />
ich gerade gesprochen.<br />
Anstelle der Dein-Bitten im <strong>Vaterunser</strong><br />
steht im islamischen Gebet eine schlichte<br />
Aussage und eine einfache Bitte: Dir<br />
dienen wir und dich bitten wir um Hilfe.<br />
Anstelle der Vergebungsbitte bittet<br />
das islamische Gebet um die rechte Leitung<br />
durch Gott.<br />
Wie das <strong>Vaterunser</strong> endet auch das islamische<br />
Gebet mit einem Lobpreis Gottes.<br />
Wer ist gemeint mit der Formulierung<br />
der „Irregehenden“ oder „derer, die Gottes<br />
Zorn erregt haben“? Wenn damit Angehörige<br />
anderer Religionen gemeint sein<br />
sollten, wäre das Gebet sicher kein Ausdruck<br />
von Toleranz. Es ist aber zu fragen,<br />
ob dies die intendierte Interpretation des<br />
Gebets darstellt.<br />
Urteilen Sie selbst, wie nah oder fern<br />
diese beiden Gebete voneinander sind.<br />
Lassen Sie mich noch einen Blick auf
e m B ö s e n . D e n n d e i n i s t<br />
<strong>Vaterunser</strong><br />
Unser Vater im Himmel!<br />
Dein Name werde geheiligt. Dein Reich<br />
komme. Dein Wille geschehe wie im<br />
Himmel so auf Erden.<br />
Al-Fatiha<br />
Im Namen Gottes, des Allerbarmers,<br />
des Barmherzigen.<br />
Dir dienen wir und dich bitten wir um<br />
Hilfe.<br />
Unser tägliches Brot gib uns heute.<br />
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch<br />
wir vergeben unsern Schuldigern. Und<br />
führe uns nicht in Versuchung, sondern<br />
erlöse uns von dem Bösen.<br />
Denn dein ist das Reich und die Kraft<br />
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.<br />
Führe uns den geraden Weg, den Weg<br />
derer, denen du Gnade erwiesen hast,<br />
nicht den Weg derer, die deinen Zorn<br />
erregt haben und nicht den Weg der<br />
Irregehenden.<br />
Alles Lob gebührt Gott, dem Herrn der<br />
Welten, dem Gnädigen, dem Barmherzigen,<br />
dem Herrscher am Tage des Gerichts.<br />
die Frage werfen, ob Juden, Christen und<br />
Muslime auch gemeinsam beten und<br />
feiern können. Ich möchte pragmatisch<br />
darauf antworten.<br />
Wo man sich freundschaftlich und alltäglich<br />
begegnet, entsteht irgendwann<br />
auch das Bedürfnis nach gemeinsamen<br />
spirituellen Feiern. Gibt es im Leben einer<br />
Stadt einen feierlichen Anlass, oder<br />
trauern die Menschen angesichts eines<br />
Unglücks, warum sollten Muslime und<br />
Christen dann nicht auch gemeinsam<br />
beten können? Es könnte uns alle bereichern.<br />
Das Gebet der Religionen, zu dem<br />
Papst Johannes Paul II. 1986 nach Assisi<br />
eingeladen hat, könnte uns dabei auch<br />
auf lokaler Ebene ein Vorbild sein.<br />
Wenn die Religionspädagogen und<br />
Imame, die künftig in Tübingen ausgebildet<br />
werden, in ihren Berufen angekommen<br />
sind, werden wir eines Tages<br />
„Grüß Gott Herr Iman“ sagen. So der<br />
Titel eines Buches von Imam Benjamin<br />
Idriz. Niemand wird sich darüber wundern.<br />
Ich freue mich auf die Ökumene<br />
der Religionen.<br />
49
d a s R e i c h u n d d i e K r a f<br />
Schlusswort<br />
Deutschland ist ein demokratischer<br />
Verfassungsstaat, der gemäß seinem<br />
freiheitlichen Selbstverständnis allen<br />
hier lebenden Angehörigen unterschiedlicher<br />
Religionen das Recht einräumt,<br />
ihren Glauben zu leben und auch öffentlich<br />
auszudrücken. Unsere Leitkultur<br />
ist der Verfassung verpflichtet, nicht einer<br />
bestimmten Religion.<br />
Das größte Problem in der Begegnung<br />
der Religionen sind nicht die Religionen<br />
selbst. Es ist die Politik, die sich der<br />
Religion bedient, um damit Zäune und<br />
Grenzen aufzurichten. Es gibt keinen jüdischen,<br />
keinen islamischen und keinen<br />
christlichen Staat und auch kein Abendland,<br />
das sich mit einer Religion identifiziert.<br />
Oder anders formuliert, es darf so<br />
etwas nicht geben, und zwar gerade aus<br />
dem Selbstverständnis der Religionen<br />
heraus. Ihre jeweilige Perspektive dient<br />
den anderen, sie herrscht jedoch nicht.<br />
Es kann jedem Land nur gut tun, wenn<br />
Juden, Christen und Muslime in ihren<br />
Traditionen beten und sich von der ganz<br />
anderen asiatischen Spiritualität anregen<br />
lassen. Wenn wir uns dabei so verhalten,<br />
dass bei jeder unserer Versammlungen<br />
auch Menschen aus anderen<br />
Traditionen und Religionen anwesend<br />
sein könnten, erreichen wir eine interreligiöse<br />
Ökumene, die uns auf dem Weg<br />
zum Frieden zwischen den Völkern und<br />
Religionen weiterbringt.<br />
Michael Seibt wurde 1955 in Stuttgart geboren. Er ist seit 2010<br />
Hochschulseelsorger der Evangelischen Studierendengemeinde<br />
Tübingen und Pfarrer an der Tübinger Stiftskirche.<br />
50
t u n d d i e H e r r l i c h k e i t<br />
Literatur zu allen vier Vorträgen<br />
Petra Bahr, Johannes von Soosten (Hg.): Vater unser. Einübung im Christentum.<br />
Frankfurt 2008<br />
Werner Grimm: Die Motive Jesu. Das <strong>Vaterunser</strong> kommentiert und ausgelegt.<br />
Stuttgart 1992<br />
Wolf-Dieter Kohler: Licht und Farbe. Glasmalerei, Ölbilder, Zeichnungen, Wandteppiche,<br />
hg. v. Oliver Kohler, Stuttgart 1988<br />
Eduard Lohse: Das <strong>Vaterunser</strong> im Licht seiner jüdischen Voraussetzungen.<br />
Tübingen 2008<br />
Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus. EKK I/1, Zürich/Neukirchen 5 2002<br />
Fritz Neugebauer: Das <strong>Vaterunser</strong>. Eine theologische Deutung. Leipzig ²2008<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> – Pater noster, in: Gertrud Schiller (Hg.): Ikonographie der christlichen<br />
Kunst, Bd. 4.1: Die Kirche, S. 147ff.<br />
Ulrich Schoenborn: <strong>Vaterunser</strong> der Armen. Die Rezeption des <strong>Vaterunser</strong>s in Lateinamerika,<br />
Veröffentlichung der Universität des Saarlands, 2000<br />
Theo Sorg: Wenn ihr aber betet. Über das <strong>Vaterunser</strong>. Stuttgart/Berlin (Kreuz) 1973<br />
51
i n E w i g k e i t . A m e n .<br />
52<br />
Das <strong>Vaterunser</strong> ist das Gebet, das weltweit<br />
alle Christen mit Gott und untereinander<br />
verbindet. Es wird hier nicht<br />
wissenschaftlich untersucht, sondern<br />
in verschiedene Kontexte gestellt: den<br />
des antiken Judentums, der Politik, der<br />
Kunst und des interreligiösen Dialogs.<br />
Die hier dokumentierten Vorträge wurden<br />
ursprünglich gehalten im Rahmen<br />
der musikalisch-theologischen Woche<br />
zum <strong>Vaterunser</strong> an der Tübinger Stiftskirche<br />
im Mai 2011.