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Abschied von Wachstum und Fortschritt - Technikgeschichte der ...

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Patrick Kupper: Umweltbewegung <strong>und</strong> Atomenergie ETH Zürich / <strong>Technikgeschichte</strong> / Preprint 2 / Seite 112<br />

Akteure in den Umweltorganisationen kritisch mit einzelnen Aspekten des Betriebs <strong>von</strong><br />

Atomkraftwerken auseinan<strong>der</strong>. Eine gr<strong>und</strong>sätzliche Infragestellung <strong>der</strong> Atomenergiepolitik<br />

fand in dieser ersten Phase aber nicht statt. Am Anfang <strong>der</strong> Beschäftigung stand die Kühlwasserproblematik,<br />

die in den Zeitschriften „Natur <strong>und</strong> Mensch“ <strong>und</strong> „Panda“ thematisiert<br />

wurde. Zu diesem Aspekt gesellte sich im folgenden Jahr die Frage nach den nuklearen Gefahren,<br />

respektive <strong>der</strong> Auswirkungen des AKW-Betriebs auf die Ges<strong>und</strong>heit, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um<br />

in <strong>der</strong> Zeitschrift des Rheinaub<strong>und</strong>es breiten Raum gewährt wurde. Schliesslich gehören<br />

auch die Diskussionen, die losbrachen, als die Motor-Columbus in Kaiseraugst ihr AKW-<br />

Projekt mit Kühltürmen öffentlich auflegten, in diese Kategorie. Wie die Gespräche im SBN<br />

<strong>und</strong> die Einsprache seiner Aargauer Sektion zeigten, dominierte die Perspektive des Landschaftsschutzes,<br />

die die Atomkraftwerke wegen ihrer Kühltürme als ästhetisches Problem<br />

analysierte <strong>und</strong> die Wahl des Standortes als entscheidende Frage identifizierte. 499<br />

In die zweite Phase fallen die Jahre 1972 <strong>und</strong> 1973. In diesen beiden Jahren wurden die Positionen<br />

zur Atomenergie in den Umweltorganisationen auf eine gr<strong>und</strong>legend neue Basis gestellt.<br />

In einem beschwerlichen Deutungsprozess erarbeiteten sich die Akteure zunächst<br />

einmal neue, weiter ausholende Fragestellungen. Daraufhin verständigten sie sich auf neue<br />

Interpretationsmuster.<br />

Der Vorstand des SBN trat im Sommer 1972 in die neue Phase ein, als sich das Spektrum <strong>der</strong><br />

Themenkomplexe, die im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> Atomenergie zu beachten<br />

seien, öffnete. Etwa zur gleichen Zeit begannen sich Leute in <strong>der</strong> SGU, mit <strong>der</strong> Atomenergiefrage<br />

zu beschäftigen. 500 Als entscheidende Etappe in <strong>der</strong> Neuformierung <strong>der</strong> Diskurse konnte<br />

die Ausarbeitung <strong>der</strong> SGU-Stellungnahme identifiziert werden, die sich in einem die einzelne<br />

Organisation übergreifenden Rahmen vom November 1972 bis zum April 1973 hinzog.<br />

Der ausführlich beschriebene Kommunikationsprozess weist alle Merkmale eines Prozesses<br />

f<strong>und</strong>amentalen Lernens auf. Die Kommunikation war verständigungsorientiert: Die Initiatoren<br />

<strong>der</strong> SGU versuchten in vielen Gesprächen, ein passendes Bild über die Atomenergie zu<br />

gewinnen. Die Resultate des Prozesses waren in hohem Masse offen; schliesslich waren sie<br />

mit einer Modifikation <strong>der</strong> kognitiven Regeln <strong>der</strong> Beteiligten verb<strong>und</strong>en. Die Bedeutung<br />

dieser Stellungnahme lag nämlich in erster Linie in ihrer neuen Sichtweise <strong>der</strong> Problemlage.<br />

Sie definierte das <strong>Wachstum</strong> des Energiebedarfs als zentrales Problem, dem die Frage des<br />

AKW-Baus untergeordnet wurde. Die SGU verlangte die Lösung <strong>der</strong> Probleme auf <strong>der</strong> Ebene<br />

einer „Gesamtenergiekonzeption“, auf <strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Bau weiterer Atomkraftwerke<br />

erst entscheidbar sei. Damit transferierte die SGU das AKW-Problem <strong>von</strong> einer technischen<br />

auf eine ökologische Ebene. Indem sie es als Teilbereich des Energieproblems <strong>und</strong> Feld<br />

gesellschaftspolitischer Entscheide definierte, verleibte sie die AKW-Frage gleichsam dem<br />

Umweltdiskurs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Diskussion über die Grenzen des <strong>Wachstum</strong>s ein. Mit dem Wechsel<br />

<strong>der</strong> Diskursebene verschoben sich auch die Zuständigkeiten <strong>und</strong> Autoritäten in <strong>der</strong> AKW-<br />

Frage: Fortan war nicht mehr nur technisches Know-how gefragt, son<strong>der</strong>n auch Kompetenz<br />

in ökologischen Fragen. Hatte die SGU eine Festlegung auf eine AKW-pro-o<strong>der</strong>-contra-<br />

Position vermieden, lehnte <strong>der</strong> WWF wenige Wochen später den AKW-Bau unverblümt ab<br />

<strong>und</strong> betonte insbeson<strong>der</strong>e dessen gesellschaftlichen Auswirkungen. Auch scheute er sich<br />

nicht, in das Ringen um die 'Wahrheit <strong>der</strong> Risiken' einzugreifen, was er mit einer gegen die<br />

Organisation gerichteten Polemik bezahlen musste.<br />

Die dritte Phase begann noch im Jahr 1973 <strong>und</strong> hält gr<strong>und</strong>sätzlich bis heute an. Sie baute auf<br />

den Ergebnissen <strong>der</strong> f<strong>und</strong>amentalen Lernprozesse <strong>der</strong> vorangehenden Phase auf. Ihr erstes<br />

Charakteristikum ist, dass ein hohes Mass an Konsens in <strong>und</strong> zwischen den Umweltorganisationen<br />

herrschte, wie die Atomenergie zu beurteilen sei. Dies zeigte sich 1974 im SBN bei<br />

499 Neben <strong>der</strong> Landschaftsbeeinträchtigung waren die möglichen Auswirkungen <strong>der</strong> Kühltürme auf das regionale<br />

Klima <strong>der</strong> zweitwichtigste Diskussionspunkt.<br />

500 Der Wandel lässt sich auch anhand <strong>der</strong> Artikel in „Natur <strong>und</strong> Mensch“ verfolgen.

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