Schattenpsychiatrie in der Altenhilfe - Deutsche Gesellschaft für ...
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02/2012 soziale psychiatrie a lt w e r d e n – a b e r w i e ?<br />
<strong>Schattenpsychiatrie</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Altenhilfe</strong><br />
Fehlplatzierung psychisch erkrankter Menschen: Konsequenzen<br />
e<strong>in</strong>er Untersuchung <strong>der</strong> Situation <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
In diesem Beitrag 1 werden ausgewählte Ergebnisse e<strong>in</strong>er Untersuchung <strong>der</strong> Situation psychisch erkrankter Berl<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen<br />
und Berl<strong>in</strong>er aus den Jahren 2003 bis 2006 vorgestellt und diskutiert. Die Studie wurde <strong>in</strong> Kooperation <strong>der</strong> Katholischen<br />
Hochschule <strong>für</strong> Sozialwesen Berl<strong>in</strong> und <strong>der</strong> Freien Universität Berl<strong>in</strong> zur Situation chronisch psychisch kranker<br />
Menschen <strong>in</strong> Heimen durchgeführt (vgl. Vock et al. 2007, Zimmermann 2010). 2 Vo n R a l f - B r u n o Z i m m e r m a n n<br />
Foto: Wolfgang Schmidt<br />
Zwei frische Erlebnisse seien zu Beg<strong>in</strong>n<br />
erzählt: E<strong>in</strong>e Absolvent<strong>in</strong> unserer Hochschule,<br />
die <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e sehr erfahrene<br />
Sozialarbeiter<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sozialpsychiatrie geworden<br />
ist, erzählte mir kürzlich, dass sie <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Pflegeheim e<strong>in</strong>e ehemalige Klient<strong>in</strong><br />
aus dem betreuten Wohnen besucht habe.<br />
Sie fand sie <strong>in</strong> jämmerlichem Zustand vor,<br />
das Personal hätte »ke<strong>in</strong>e Ahnung« von ihrer<br />
Geschichte gehabt, obwohl se<strong>in</strong>erzeit e<strong>in</strong>e<br />
ausführliche »Übergabe« stattgefunden hätte.<br />
Auf dem Flur habe sie weitere chronisch<br />
psychisch kranke Menschen, »erschreckend<br />
jung«, »erschreckend reduziert«, offenbar<br />
hoch dosiert medikamentös behandelt, vorgefunden.<br />
»Das s<strong>in</strong>d genaue die Klienten, die<br />
wir eigentlich im betreuten Wohnen begleiten<br />
[…]. Die Sozialpsychiatrie ist kaputt,<br />
wenn sie so etwas macht«, me<strong>in</strong>te sie frustriert.<br />
Im Rahmen e<strong>in</strong>es Gerichtsgutachtens<br />
lernte ich vor e<strong>in</strong>igen Wochen e<strong>in</strong>e Frau kennen,<br />
die im Jahr zuvor <strong>für</strong> acht Monate <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Heim <strong>für</strong> psychisch kranke Menschen<br />
gelebt hatte. Im Rahmen ihrer psychotischen<br />
Erlebniswelt wähnte sie sich verfolgt und<br />
floh förmlich <strong>in</strong>s Heim. Die Mittvierziger<strong>in</strong><br />
28<br />
wollte dann wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die eigene Wohnung<br />
zu ihrem Ehemann, das Heim jedoch habe<br />
sie eigentlich nicht wie<strong>der</strong> gehen lassen wollen:<br />
»Die haben mich überreden wollen, dazubleiben,<br />
und haben me<strong>in</strong>e Betreuer<strong>in</strong> versucht,<br />
davon zu überzeugen.« Da wären auch<br />
noch e<strong>in</strong>ige an<strong>der</strong>e Bewohner gewesen, die<br />
»genauso fit wie ich waren«. Durch heftiges<br />
Insistieren ihrerseits sei es dann schließlich<br />
doch zum Auszug gekommen. Mithilfe e<strong>in</strong>es<br />
spezialisierten Pflegedienstes sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong>zwischen<br />
e<strong>in</strong>e stabile Situation e<strong>in</strong>getreten, <strong>der</strong><br />
Klient<strong>in</strong> geht es aus ihrer Sicht »fast immer<br />
ganz gut, nur Arbeit fehlt mir«. Aus me<strong>in</strong>er<br />
Sicht hat hier nie e<strong>in</strong>e Indikation zum E<strong>in</strong>zug<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> solches Heim bei dieser Frau bestanden.<br />
E<strong>in</strong>mal dort angekommen, wurde aber<br />
offenbar e<strong>in</strong>e magnetische Anziehung vom<br />
Heim aus <strong>in</strong>itiiert und gerade nicht das Gegenteil,<br />
nämlich e<strong>in</strong> fachliches Konzept zur<br />
Wie<strong>der</strong>beheimatung <strong>in</strong> ihrer Lebenswelt.<br />
Ausgangslage <strong>der</strong> Untersuchung<br />
Zahlreiche H<strong>in</strong>weise hatten seit vielen Jahren<br />
darauf h<strong>in</strong>gedeutet, dass auch im Land<br />
Berl<strong>in</strong> – wie <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Regionen Deutschlands<br />
(Bayer 2004; Dörner 2004; Gromann<br />
2004) – nach weitgehen<strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong><br />
Psychiatriereform immer noch und immer<br />
wie<strong>der</strong> Menschen mit psychischen Störungen<br />
<strong>in</strong> Pflegeheime vermittelt werden und<br />
dort mehr o<strong>der</strong> weniger lange bleiben (müssen).<br />
Um erstmals verlässliches Datenmaterial<br />
zur Verfügung zu haben, wurden die Vorklärungen<br />
<strong>für</strong> die Studie aus dem Fachdiskurs<br />
<strong>der</strong> im Paritätischen Wohlfahrtsverband<br />
Berl<strong>in</strong> organisierten Psychiatrie-Träger<br />
entwickelt. Aus diesen Vorarbeiten konzipierte<br />
die Forschergruppe dann e<strong>in</strong> Forschungsdesign.<br />
Um die Dimensionen des Problems zu<br />
markieren, sei hier angemerkt, dass neben<br />
den nicht gelungenen Enthospitalisierungen<br />
im Kontext <strong>der</strong> Psychiatriereform auch neue<br />
Exklusionstendenzen ausgemacht werden<br />
können, wenn Menschen (zunehmend, wie<strong>der</strong>)<br />
aufgrund ihrer psychischen Störung <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e Heimbetreuung vermittelt werden. Dabei<br />
ist das hier betrachtete Feld vielschichtig<br />
und kompliziert, sowohl was die Art <strong>der</strong> <strong>in</strong>frage<br />
kommenden Heime angeht (Pflegeheim,<br />
Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenheim, Übergangswohnheim<br />
etc.), was die F<strong>in</strong>anzierung des Aufenthaltes<br />
betrifft (SGB XI, XII, Mischf<strong>in</strong>anzierung,<br />
Selbstzahler) als auch h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />
Konzepte (bzw. »Unterbr<strong>in</strong>gungsrituale«) <strong>in</strong><br />
unterschiedlichen Regionen Deutschlands.<br />
So ist e<strong>in</strong>e Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Versorgungslandschaft,<br />
dass es hier vergleichsweise<br />
wenige Plätze <strong>für</strong> psychisch kranke Menschen<br />
<strong>in</strong> Heimen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe<br />
(sog. Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenheime) gibt. 3<br />
In e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige Richtung geht aber <strong>der</strong><br />
Diskurs, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sozialpsychiatrie seit Jahren<br />
geführt wird: Abgesehen von ideologischen<br />
Zuspitzungen <strong>in</strong> Form von Pro o<strong>der</strong><br />
Kontra bezüglich e<strong>in</strong>er Heimversorgung<br />
überhaupt, sollen fachliche und ethische<br />
Grundsätze die Entscheidungen bezüglich<br />
e<strong>in</strong>er Heimversorgung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen Menschen<br />
mit e<strong>in</strong>er psychischen Störung leiten<br />
und bestimmen. Dabei wird e<strong>in</strong>erseits mehr<br />
auf die Art des Hilfebedarfs und dessen angemessene<br />
Deckung rekurriert (etwa Hilfebedarf<br />
rund um die Uhr), an<strong>der</strong>erseits mehr<br />
entlang ethischer Pr<strong>in</strong>zipien, wie etwa Autonomie<br />
und Selbstbestimmung, argumen-
a lt w e r d e n – a b e r w i e ? soziale psychiatrie 02/2012<br />
tiert. Stets sollen aber möglichst umfänglich<br />
und durchgehend <strong>der</strong> Wille und die Vorstellungen<br />
<strong>der</strong> Betroffenen maßgeblich die Entscheidungen<br />
mitprägen (Groth 2004; Feuerste<strong>in</strong>/Kuhlmann<br />
1999; Eikelmann et al.<br />
2005).<br />
Fragestellungen <strong>der</strong> Untersuchung<br />
Die Untersuchung geht folgenden Kernfragen<br />
nach:<br />
– Aufgrund welcher Entscheidungen und Bed<strong>in</strong>gungen<br />
gelangen psychisch kranke<br />
Menschen <strong>in</strong> Pflegeheime?<br />
– Gibt es e<strong>in</strong>e rationale und fachliche Steuerung,<br />
und wer ist daran beteiligt?<br />
– Wie groß ist diese Personengruppe?<br />
– Ist die Betreuung <strong>in</strong> Heimen angemessen?<br />
– Wie und warum werden psychisch kranke<br />
Berl<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen und Berl<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Heimen an<strong>der</strong>er<br />
Bundeslän<strong>der</strong> untergebracht?<br />
Erhebungsdesign, Material und Methoden:<br />
Im Verlauf <strong>der</strong> dreijährigen Forschung konnten<br />
umfangreiche quantitative und qualitative<br />
Daten erhoben und analysiert werden.<br />
Unter an<strong>der</strong>em wurden Pflegeheime mittels<br />
Fragebogen untersucht, Heimbesichtigungen<br />
vorgenommen, diverse Experten unterschiedlicher<br />
Provenienz <strong>in</strong>terviewt 4 und<br />
Fallanalysen aus Interviews mit e<strong>in</strong>zelnen<br />
Heimbewohnern erarbeitet. E<strong>in</strong> aus <strong>der</strong> Praxis<br />
hochkarätig besetzter Beirat unterstützte<br />
die Forscher zudem kont<strong>in</strong>uierlich während<br />
des dreijährigen Forschungsprozesses. Die<br />
Daten wurden nach e<strong>in</strong>schlägigen Methoden<br />
wissenschaftlich quantitativ (statistisch)<br />
bzw. qualitativ ausgewertet (vgl. Corb<strong>in</strong>/Strauss<br />
1996, Flick 1995).<br />
Ausgewählte Ergebnisse<br />
Ergebnisse aus <strong>der</strong> Fragebogenerhebung<br />
Der Fragebogen wurde allen Berl<strong>in</strong>er Pflegeheimen<br />
und zwei Heimen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe<br />
zugesandt. Er umfasste drei wesentliche<br />
Fragekategorien mit diversen<br />
Items:<br />
– Fragen zu den Ausstattungsmerkmalen<br />
<strong>der</strong> Heime,<br />
– allgeme<strong>in</strong>e Fragen zu den Bewohnern und<br />
– spezielle Fragen zu den Bewohnern mit<br />
psychischen Störungen.<br />
Bezüglich <strong>der</strong> Menschen mit psychischer<br />
Störung wurde <strong>in</strong>tensiv nach <strong>der</strong> Gruppe gefragt,<br />
bei <strong>der</strong> im Vor<strong>der</strong>grund e<strong>in</strong>e psychische<br />
Störung steht, unter Ausschluss jener<br />
mit den Diagnosen Demenz o<strong>der</strong> Abhängigkeitserkrankung<br />
sowie ohne jene mit dem<br />
Attribut geistige Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung (bzw. Intelligenzm<strong>in</strong><strong>der</strong>ung).<br />
So sollte die Gruppe von<br />
Menschen identifiziert werden, die unter<br />
»psychischen Störungen im engeren S<strong>in</strong>ne«<br />
leidet bzw. dieser Zuschreibung entspricht.<br />
Abb. 1: Anzahl <strong>der</strong> Bewohner mit unterschiedlichen Diagnosen und<br />
(<strong>in</strong> Klammern) Verteilung auf die untersuchten Heime<br />
Abb. 2: Altersverteilung <strong>der</strong> Bewohner <strong>in</strong> den unterschiedlichen Heimen<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
»Es können neue<br />
Exklusionstendenzen<br />
ausgemacht werden,<br />
wenn Menschen (zunehmend,<br />
wie<strong>der</strong>) aufgrund<br />
ihrer psychischen<br />
Störung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Heimbetreuung<br />
vermittelt<br />
werden«<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Die Heime, die sich an <strong>der</strong> Fragebogenerhebung<br />
beteiligten (Rücklauf: 26%), repräsentierten<br />
knapp 6600 <strong>der</strong> gut 29 000 Heimplätze<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>.<br />
Nach den <strong>in</strong> Abbildung 1 zusammengefassten<br />
Daten wurden von den Heimverantwortlichen<br />
gut 13% <strong>der</strong> <strong>in</strong> Heimen lebenden<br />
Menschen als »im engeren S<strong>in</strong>ne psychisch<br />
krank« und gut 7% als abhängigkeitserkrankt<br />
e<strong>in</strong>geschätzt. Aus diesen Ergebnissen<br />
ließ sich mithilfe an<strong>der</strong>er erhobener Daten<br />
e<strong>in</strong>e mathematische Schätzung <strong>der</strong> Gesamtzahl<br />
<strong>für</strong> das Land Berl<strong>in</strong> errechnen. 5<br />
Aus dieser Berechnung und den vorhandenen<br />
Zahlen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> ergab<br />
sich, dass knapp 3500 psychisch<br />
kranke Menschen <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong>er Pflegeheimen leben,<br />
etwa genauso viele, wie im<br />
ambulant betreuten Wohnformen<br />
versorgt werden. H<strong>in</strong>zu<br />
kommen noch die Menschen,<br />
die <strong>in</strong> Heimen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> (ca. 370)<br />
o<strong>der</strong> außerhalb Berl<strong>in</strong>s <strong>in</strong> Heimen<br />
(ca. 700) leben. Daraus<br />
lässt sich schließen, dass es sich <strong>in</strong>sgesamt<br />
um e<strong>in</strong>e große Anzahl psychisch erkrankter<br />
Menschen handelt, auch wenn die Schätzung<br />
als grob angesehen werden muss, da<br />
nicht die e<strong>in</strong>zelnen Betroffenen und ihre <strong>in</strong>dividuellen<br />
Merkmale untersucht werden<br />
konnten.<br />
Abbildung 2 zeigt die Altersverteilung <strong>der</strong><br />
psychisch kranken Bewohner <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Heimtypen. Gut erkennbar ist, dass das<br />
Alter dieser Bewohner deutlich unter dem<br />
<strong>in</strong>zwischen typischen Altersdurchschnitt <strong>in</strong><br />
Pflegeheimen liegt, und es zeigt sich dabei,<br />
dass sich die e<strong>in</strong>zelnen Heimtypen bezüglich<br />
<strong>der</strong> Altersstruktur <strong>der</strong> psychisch kranken Bewohner<br />
unterscheiden: Diejenigen <strong>der</strong> psychiatrisch<br />
spezialisierten Heime s<strong>in</strong>d deutlich<br />
jünger als jene, die <strong>in</strong> Seniorenwohnheimen<br />
leben. Es<br />
handelt sich um e<strong>in</strong>e doch erhebliche<br />
Zahl Betroffener, die<br />
diesseits des Seniums, teils bereits<br />
im mittleren Erwachsenenalter,<br />
<strong>in</strong> Heimen leben.<br />
Dieser Befund deutet bereits<br />
an, dass eben nicht e<strong>in</strong>e somatisch<br />
begründete Pflegebedürftigkeit<br />
(etwa durch e<strong>in</strong> hohes<br />
Lebensalter bed<strong>in</strong>gt) <strong>der</strong><br />
Hauptgrund <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Heimbetreuung ist,<br />
son<strong>der</strong>n die (verme<strong>in</strong>tlichen) Auswirkungen<br />
<strong>der</strong> psychischen Störung.<br />
29
02/2012 soziale psychiatrie a lt w e r d e n – a b e r w i e ?<br />
E<strong>in</strong>ige weitere wichtige Ergebnisse <strong>der</strong><br />
Fragebogenuntersuchung:<br />
■ Fast die Hälfte <strong>der</strong> Bewohner lebt <strong>in</strong> Mehrbettzimmern<br />
und zirka 350 <strong>in</strong> Zimmern mit<br />
drei Betten und mehr.<br />
■ Mehr als die Hälfte <strong>der</strong> untersuchten Heime<br />
halten mehr als 90 Plätze vor und gehören<br />
damit zu eher größeren E<strong>in</strong>richtungen.<br />
■ E<strong>in</strong>e Spezialisierung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtungen<br />
bzw. des Personals <strong>für</strong> die Belange psychisch<br />
kranker Menschen f<strong>in</strong>det sich nicht regelmäßig,<br />
auch nicht <strong>in</strong> jenen Heimen, die e<strong>in</strong>e<br />
größere Anzahl psychisch kranker Bewohner<br />
beheimaten.<br />
■ Schwerwiegende Verhaltensauffälligkeiten<br />
werden bei psychisch erkrankten Bewohnern<br />
häufig vom Pflegepersonal bemerkt<br />
bzw. beschrieben.<br />
■ E<strong>in</strong> relativ großer Anteil <strong>der</strong> Bewohner erhält<br />
Psychopharmaka (rund e<strong>in</strong> Viertel) bzw.<br />
Neuroleptika (rund e<strong>in</strong> Sechstel).<br />
Perspektive <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>iken und Heime<br />
Aus den Interviews mit Kl<strong>in</strong>ikmitarbeitern<br />
(Sozialdienst und ärztlicher Dienst) lässt sich<br />
zusammenfassen, dass hier regelmäßig (und<br />
nicht ausnahmsweise) die Weichenstellung<br />
<strong>in</strong> Richtung Heim erfolgt. Im<br />
»Die Heimleiter<br />
räumen e<strong>in</strong>, dass die<br />
Aufnahme von Bewohnern<br />
von ökonomischen<br />
Fragen bestimmt werde<br />
und e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Hauptvoraussetzungen<br />
e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende<br />
›Lenkbarkeit‹ <strong>der</strong><br />
Bewohner sei«<br />
Zusammenhang mit solchen<br />
Vermittlungen wurde durch<br />
das befragte Personal festgestellt,<br />
dass es sich dabei häufig<br />
um »schwierige Patienten«<br />
handele, die e<strong>in</strong>en hohen somatischen<br />
Pflegebedarf hätten,<br />
selbst- o<strong>der</strong> fremdgefährdende<br />
Verhaltensweisen zeigten<br />
o<strong>der</strong> »ke<strong>in</strong> Rehabilitationspotenzial«<br />
mehr aufweisen<br />
würden. Bedeutungsvoll ist<br />
ferner, dass strukturelle Probleme<br />
benannt werden, die zu e<strong>in</strong>er Heimvermittlung<br />
führen. Genannt wird unter an<strong>der</strong>em,<br />
dass<br />
– e<strong>in</strong> hoher Entlassungsdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik<br />
durch die fehlende weitere Kostenübernahme<br />
durch die Krankenkassen bestehe,<br />
– Fragen <strong>der</strong> F<strong>in</strong>anzierung <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e ambulante<br />
Weiterbetreuung ungeklärt seien,<br />
– ambulante E<strong>in</strong>richtungen we<strong>der</strong> strukturell,<br />
konzeptionell noch organisatorisch auf<br />
die Betreuung <strong>der</strong> Schwierigsten e<strong>in</strong>gestellt<br />
seien,<br />
– Steuerungsprozesse <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e ambulante<br />
Betreuung häufig zu langwierig verliefen,<br />
– die Zerglie<strong>der</strong>ung des Versorgungssystems<br />
die angemessene Vermittlung erschwere<br />
und<br />
– die Sogwirkung (s.u.) <strong>der</strong> Heime e<strong>in</strong>e Heime<strong>in</strong>weisung<br />
erleichtere.<br />
Aus allen Interviews ließ sich ableiten, dass<br />
verb<strong>in</strong>dliche operationalisierte Kriterien<br />
fehlen, nach denen die Entscheidung getroffen<br />
wird, dass e<strong>in</strong> Patient <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Heim vermittelt<br />
wird. Vielmehr orientieren sich die<br />
Akteure <strong>in</strong> ihren Entscheidungen an pragmatischen<br />
Gründen. Das sei, so die befragten<br />
Mitarbeiter, beispielsweise dann <strong>der</strong> Fall,<br />
wenn e<strong>in</strong> Patient aus Sicht des Krankenhauses<br />
entlassen werden könnte, e<strong>in</strong> ambulantes<br />
Betreuungsangebot nicht schnell verfügbar<br />
sei, aber e<strong>in</strong> Heimbetreiber förmlich auf<br />
Zuruf und <strong>in</strong>nerhalb von Stunden bereit und<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage sei, e<strong>in</strong>en Patienten zu übernehmen<br />
(sog. Sogwirkung).<br />
Die Verantwortlichen <strong>der</strong> Heime geben ihrerseits<br />
an, dass es »sehr gute Kontakte« zu<br />
den Kl<strong>in</strong>iken gebe und diese auch <strong>in</strong>tensiv<br />
gepflegt würden. Weiter lassen sich aus dem<br />
Datenmaterial drei Gruppen von Menschen<br />
konstellieren, die (eher) <strong>in</strong> Heime vermittelt<br />
bzw. von ihnen aufgenommen werden: Zum<br />
e<strong>in</strong>en gehören dazu »die von Heim zu Heim<br />
Geschickten«, die als »schwierige« Klienten<br />
beschrieben werden. Sie kommen demnach<br />
<strong>in</strong> vielen E<strong>in</strong>richtungen – also auch <strong>in</strong> Heimen<br />
– aus unterschiedlichen Gründen nicht<br />
zurecht und werden von e<strong>in</strong>em Ort zum an<strong>der</strong>en<br />
bzw. von e<strong>in</strong>er Institution zur nächsten<br />
geschickt. E<strong>in</strong>e zweite Gruppe kann als<br />
»Umhospitalisierte« beschrieben<br />
werden. Darunter s<strong>in</strong>d<br />
jene Bewohner zu verstehen,<br />
die schon lange <strong>in</strong> stationären<br />
E<strong>in</strong>richtungen leben und etwa<br />
aus Langzeitabteilungen psychiatrischer<br />
Kl<strong>in</strong>iken o<strong>der</strong> speziellen<br />
»Chronikerabteilungen«<br />
<strong>in</strong> Heime übergesiedelt<br />
wurden. Die dritte Gruppe besteht<br />
aus denjenigen Personen,<br />
mit denen die Bezirke <strong>in</strong><br />
ihren ambulanten Angeboten<br />
nicht zurechtkommen.<br />
Die neuen Bewohner <strong>der</strong> Heime werden<br />
den Angaben nach aus ganz unterschiedlichen<br />
Situationen von ganz unterschiedlichen<br />
Personen vermittelt, geschickt o<strong>der</strong> sogar<br />
gebracht. Die Heimleiter räumen e<strong>in</strong>,<br />
dass die Aufnahme von Bewohnern ganz<br />
wesentlich von ökonomischen Fragen bestimmt<br />
werde (Belegung, F<strong>in</strong>anzierung, Pflege-<br />
bzw. Betreuungsaufwand) und e<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />
Hauptvoraussetzungen <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e gelungene<br />
Aufnahme <strong>in</strong>s Heim e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende<br />
»Lenkbarkeit« <strong>der</strong> Bewohner sei. Als positiver<br />
Aspekt <strong>für</strong> die (schwer) psychisch kranken<br />
Bewohner wird aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong><br />
Heime ausgemacht, dass das Heim e<strong>in</strong> Zuhause<br />
darstelle, das Sicherheit mit e<strong>in</strong>em unbegrenzten<br />
Verbleib garantieren könne.<br />
Perspektive <strong>der</strong> untersuchten Stadtbezirke<br />
In die Untersuchung wurden wichtige Experten<br />
aus sechs <strong>der</strong> zwölf Berl<strong>in</strong>er Stadtbezirke<br />
e<strong>in</strong>bezogen. 6 In den Bezirken bestanden<br />
unterschiedliche Haltungen zum Thema<br />
Heim, so wurde <strong>in</strong> manchen Bezirken e<strong>in</strong>e<br />
Heimversorgung <strong>für</strong> psychisch kranke Menschen<br />
fachlich ganz ausgeschlossen, <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />
wurden h<strong>in</strong>gegen Ausnahmesituationen<br />
o<strong>der</strong> Kooperationen mit Heimen beschrieben,<br />
die als s<strong>in</strong>nvoll erachtet wurden und <strong>in</strong>sofern<br />
e<strong>in</strong>e Überleitung legitimierten.<br />
Aus den Daten werden unterschiedliche<br />
Umgangsweisen mit den »Schwierigsten«<br />
deutlich, die mal konkreter, mal diffuser geäußert<br />
wurden.<br />
In allen Bezirken bestand aber ke<strong>in</strong>e sichere<br />
Kenntnis über die Individuen o<strong>der</strong> die Gesamtzahl<br />
<strong>der</strong> Betroffenen, die aus <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Region <strong>in</strong> Heimen versorgt werden.<br />
Überall wurde e<strong>in</strong>e verbesserte fachliche<br />
Steuerung gewünscht, zugleich aber Schwierigkeiten<br />
wegen <strong>der</strong> bereits jetzt bestehenden<br />
Überlastung <strong>der</strong> Akteure und Institutionen<br />
angemerkt. Außerdem wurde beklagt,<br />
dass teils spezielle ambulante Angebote <strong>für</strong><br />
die »schwierigen Patienten« fehlten.<br />
In allen untersuchten Bezirken wurden<br />
aber klar die Pr<strong>in</strong>zipien »ambulant vor stationär«,<br />
»regionale Pflichtversorgung«, »Heimatpr<strong>in</strong>zip«<br />
und »Partizipation <strong>der</strong> Klienten«<br />
grundsätzlich unterstrichen:<br />
■ Im Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Pflichtversorgung erklärten<br />
sie sich <strong>für</strong> alle psychisch kranken Menschen<br />
im Bezirk verantwortlich.<br />
■ Das Heimatpr<strong>in</strong>zip (auch: Geme<strong>in</strong>deorientierung)<br />
verpflichte dazu, die psychisch kranken<br />
Menschen des eigenen Bezirks auch dort<br />
zu betreuen.<br />
■ Das Pr<strong>in</strong>zip »ambulant vor stationär« wurde<br />
so verstanden, dass möglichst die gesamte<br />
Versorgung ambulant organisiert werden<br />
solle.<br />
■ Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er partizipativen Orientierung<br />
sollten Betroffene und <strong>der</strong>en Angehörige an<br />
den sie betreffenden Entscheidungen mitwirken<br />
(dieses Pr<strong>in</strong>zip wurde weniger stark<br />
betont und bei Zielkonflikten eher zurückgestellt).<br />
Daneben wurden ganz unterschiedliche<br />
Gründe <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Vermittlung <strong>in</strong> (Pflege-)Heime<br />
angeführt. Aus <strong>der</strong> Fülle <strong>der</strong> Interviewdaten<br />
mit den regionalen Experten lässt sich<br />
rekonstruieren, dass es erhebliche Probleme<br />
dabei gibt, die hohen normativen Erwartungen<br />
an das eigene Tun im Alltag auch zu erfüllen.<br />
Zur Lösung <strong>der</strong> Dilemmata zwischen<br />
moralisch und fachlich hohen Ansprüchen<br />
auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und erlebten Hemmnissen auf<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite werden unter an<strong>der</strong>em folgende<br />
Verarbeitungsstrategien entwickelt:<br />
■ Es wird e<strong>in</strong>e »extreme«, nicht <strong>der</strong> Pflichtversorgung<br />
zugehörige »Restgruppe« beschrieben<br />
– <strong>der</strong>en zahlenmäßige Größe zwar<br />
nicht bekannt sei (»s<strong>in</strong>d nur wenige E<strong>in</strong>zelfälle«)<br />
–, die (im S<strong>in</strong>ne des Systemsprengens 7 )<br />
dadurch charakterisiert sei, dass die zur Ver-<br />
30
a lt w e r d e n – a b e r w i e ? soziale psychiatrie 02/2012<br />
Foto: Ulrike Hergert, Fotowettbewerb altersbil<strong>der</strong>.de<br />
fügung stehenden Rehabilitationsmöglichkeiten<br />
<strong>für</strong> die Patienten erschöpft seien und<br />
ke<strong>in</strong>e wesentliche Än<strong>der</strong>ung mehr erwartet<br />
wird. Pflegebedürftigkeit beg<strong>in</strong>nt somit pragmatisch<br />
dort, wo die Grenzen <strong>der</strong> jeweiligen<br />
bezirklichen E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe erreicht s<strong>in</strong>d.<br />
■ Es wird problematisiert, dass ke<strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichen<strong>der</strong><br />
eigener E<strong>in</strong>fluss auf die Steuerung<br />
bestehe, da die übermittelnden Akteure an<strong>der</strong>e<br />
seien o<strong>der</strong> diese sich außerhalb des eigenen<br />
E<strong>in</strong>flussbereiches befänden (Kl<strong>in</strong>ikmitarbeiter,<br />
gesetzliche Betreuer, Angehörige<br />
etc.).<br />
■ Es werden Sachzwänge geltend gemacht,<br />
weil we<strong>der</strong> die passenden ambulanten Angebote<br />
noch die notwendigen<br />
f<strong>in</strong>anziellen Ressourcen<br />
rechtzeitig zur Verfügung<br />
stünden.<br />
Schließlich wird erkennbar<br />
(implizit) e<strong>in</strong> Graubereich geduldet,<br />
<strong>der</strong> außerhalb des eigenen<br />
Wirkspektrums liegt,<br />
»Es werden Sachzwänge<br />
geltend gemacht, weil<br />
we<strong>der</strong> die passenden<br />
ambulanten Angebote<br />
noch die notwendigen<br />
f<strong>in</strong>anziellen Ressourcen<br />
zur Verfügung stünden«<br />
sche<strong>in</strong>bar nicht genau überblickt wird, <strong>der</strong><br />
aber nach Aussage <strong>der</strong> Experten alles <strong>in</strong> allem<br />
quantitativ nicht bedeutsam sei.<br />
Das Dilemma und das ungute Gefühl vieler<br />
Interviewter bei dem Thema zeigt sich<br />
unter an<strong>der</strong>em im H<strong>in</strong>weis auf zum Teil<br />
fachlich unhaltbare Zustände <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
Heimen o<strong>der</strong> <strong>in</strong> dem Wissen um e<strong>in</strong>en Graubereich<br />
von Heimen (z.B. so genannte Nullerheime<br />
8 ), denen »gewisse Kollegen« bestimmte,<br />
so genannte schwierige Patienten schicken,<br />
»weil die da Mittel haben, mit jedem<br />
fertig zu werden«. An diesem Umstand wird<br />
offenbar nicht wirksam gerührt – genauso<br />
wenig wie an <strong>der</strong> Möglichkeit, Patienten, die<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e Institution<br />
aufnimmt, <strong>in</strong> Heime an<strong>der</strong>er<br />
Bundeslän<strong>der</strong> wie etwa <strong>in</strong><br />
Bayern o<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen zu<br />
verlegen, wo es im Gegensatz<br />
zu Berl<strong>in</strong> noch geschlossene<br />
Heime<strong>in</strong>richtungen gibt.<br />
Heimunterbr<strong>in</strong>gung von Berl<strong>in</strong>ern<br />
außerhalb Berl<strong>in</strong>s<br />
Wie <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Stadtstaaten ist das Heimatpr<strong>in</strong>zip<br />
auch im Land Berl<strong>in</strong> unter beson<strong>der</strong>en<br />
Vorzeichen zu betrachten: E<strong>in</strong>erseits s<strong>in</strong>d<br />
die Bezirksgrenzen nicht <strong>für</strong> jeden Berl<strong>in</strong>er<br />
erlebte Grenzen e<strong>in</strong>es eigenen Heimatgefühls,<br />
an<strong>der</strong>erseits f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n E<strong>in</strong>richtungen, die es <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
nicht gibt (etwa geschlossene E<strong>in</strong>richtungen).<br />
Auch hier kann zum Teil von e<strong>in</strong>er Sogwirkung<br />
gesprochen werden, die von manchen<br />
dieser E<strong>in</strong>richtungen ausgehen. So<br />
kann nicht davon ausgegangen werden, dass<br />
jede Vermittlung e<strong>in</strong>es Berl<strong>in</strong>ers <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>richtung<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Bundesland e<strong>in</strong>e<br />
Fehlplatzierung wäre.<br />
Während die sozialpsychiatrische Betreuung<br />
von Menschen im ambulanten Bereich<br />
und <strong>in</strong> Heimen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe im<br />
Pr<strong>in</strong>zip über die Stadtbezirke und den örtlichen<br />
Sozialhilfeträger adm<strong>in</strong>istrativ gesteuert<br />
wird, wurde dies <strong>für</strong> die Unterbr<strong>in</strong>gung<br />
<strong>in</strong> Heimen außerhalb Berl<strong>in</strong>s zentral an e<strong>in</strong>en<br />
Berl<strong>in</strong>er Bezirk delegiert.<br />
Aus den Interviews mit den hier Verantwortlichen<br />
lassen sich folgende Aspekte zusammenfassen:<br />
■ Etwa 2100 Berl<strong>in</strong>er werden stationär <strong>in</strong> –<br />
teilweise geschlossenen – Heimen außerhalb<br />
Berl<strong>in</strong>s versorgt, davon waren zirka 700<br />
Menschen im oben genannten S<strong>in</strong>ne primär<br />
psychisch krank.<br />
■ Es fanden verstärkt Verlegungen <strong>in</strong> diese<br />
Heime während <strong>der</strong> »Zeit <strong>der</strong> Enthospitalisierung«<br />
statt, aber auch noch danach und<br />
bis heute.<br />
■ Zum Untersuchungszeitraum gab es noch<br />
ke<strong>in</strong>e angemessene Datenerhebung (über<br />
mediz<strong>in</strong>ische und soziale Merkmale, Verläufe<br />
etc.).<br />
■ Die fachliche Steuerung sche<strong>in</strong>t von Berl<strong>in</strong><br />
aus kaum möglich, da sie zu aufwendig ist.<br />
Der neu geschaffene Sozialdienst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abteilung<br />
des zuständigen Bezirksamtes sollte<br />
die fachliche Steuerung verbessern helfen.<br />
■ Es fand wenig Kooperation mit den Herkunftsbezirken<br />
<strong>der</strong> Betroffenen statt, das Interesse<br />
<strong>der</strong> Fachleute aus den Bezirken an ihnen<br />
wird als eher ger<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>geschätzt.<br />
Weitere ausgewählte E<strong>in</strong>zelergebnisse<br />
Nur teilweise gab es spezielle Angebote zur<br />
Rehabilitation <strong>in</strong> Heimen, selten wurde spezialisiertes<br />
Personal vorgehalten und <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em<br />
Fall e<strong>in</strong>e systematische Enthospitalisierung<br />
beschrieben. Häufig fand <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong> Heim fremdbestimmt statt, d.h., dass ke<strong>in</strong>e<br />
regelhafte Partizipation des Betroffenen<br />
von den Experten beschrieben wird. E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zug<br />
<strong>in</strong>s Heim war also eher als Entscheidung<br />
<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e langfristige Versorgungssituation zu<br />
31
02/2012 soziale psychiatrie a lt w e r d e n – a b e r w i e ?<br />
verstehen, nur selten kam es zu e<strong>in</strong>em<br />
Auszug aus dem Heim <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ambulante<br />
Betreuung.<br />
Die Bewohner selbst (E<strong>in</strong>zelfallanalysen)<br />
hatten sehr unterschiedliche<br />
E<strong>in</strong>schätzungen über ihr Leben im<br />
Heim, die sich teils deutlich von <strong>der</strong><br />
Fremde<strong>in</strong>schätzung <strong>der</strong> Heimleiter unterscheiden.<br />
Ihre differenzierte persönliche<br />
Sicht lässt auf e<strong>in</strong> breites Spektrum<br />
<strong>in</strong>dividueller Erfahrungen und<br />
E<strong>in</strong>stellungen schließen.<br />
E<strong>in</strong> Problem unbekannter Dimension<br />
ist <strong>der</strong> Weg psychisch kranker Menschen<br />
<strong>in</strong> die Obdachlosigkeit bzw. <strong>in</strong> die entsprechenden<br />
Hilfen <strong>für</strong> Wohnungslose. Die<br />
Äußerungen <strong>der</strong> befragten Experten deuten<br />
darauf h<strong>in</strong>, dass <strong>der</strong> Übergang <strong>in</strong> die Obdachlosigkeit,<br />
e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> zu erwartenden<br />
negativen Folgen, nicht selten vorkommt.<br />
Ebenso wurde von vielen Interviewten problematisiert,<br />
dass vermehrt und zu e<strong>in</strong>em<br />
immer früheren Zeitpunkt junge Erwachsene<br />
aus <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong>depsychiatrie<br />
verwiesen würden und hierdurch<br />
e<strong>in</strong>e neue Anfor<strong>der</strong>ung an das sozialpsychiatrische<br />
System erfolgt sei.<br />
Die gesetzlichen Betreuer beklagten verschiedene<br />
Überfor<strong>der</strong>ungen: Sie hätten etwa<br />
sehr viele Betreute mit sehr unterschiedlichen<br />
E<strong>in</strong>schränkungen und Hilfebedarfen,<br />
die zudem <strong>in</strong> verschiedenen Stadtbezirken<br />
lebten. Es bestehe e<strong>in</strong> Zeitmangel, sich <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />
um die jeweiligen Beson<strong>der</strong>heiten<br />
<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Bezirke und die dortige Steuerung<br />
zu kümmern. Bei den Betreuern ließen<br />
sich unterschiedliche Haltungen zur Heimversorgung<br />
von psychisch kranken Menschen<br />
feststellen (von ablehnend bis wohlwollend),<br />
und sie gaben ähnliche Gründe <strong>für</strong><br />
e<strong>in</strong>e Heimverlegung an wie die an<strong>der</strong>en Akteure.<br />
Zusammenfassung und Bilanz<br />
Unabhängig davon, ob e<strong>in</strong>e (Pflege-)Heimunterbr<strong>in</strong>gung<br />
an sich <strong>für</strong> e<strong>in</strong>en psychisch<br />
kranken Menschen nun als angemessen<br />
o<strong>der</strong> unangemessen angesehen wird, können<br />
wir feststellen, dass zum Untersuchungszeitpunkt<br />
<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e sachlich und fachlich<br />
adäquate Steuerung <strong>der</strong> Heimunterbr<strong>in</strong>gung<br />
<strong>für</strong> diese Menschen existierte. Die Platzierung<br />
wurde gänzlich ohne o<strong>der</strong> ohne ausreichende<br />
Abstimmung mit an<strong>der</strong>en Fachleuten<br />
und Institutionen von e<strong>in</strong>zelnen Akteuren<br />
betrieben, war abhängig von Umständen,<br />
die eher mit Problemen des Versorgungssystems<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnen Institutionen<br />
als mit den Betroffenen selbst zu tun hatten<br />
und erfolgte meist über ihre Köpfe h<strong>in</strong>weg.<br />
Den Betroffenen wurden dabei <strong>in</strong> ihrer<br />
Krankheit bzw. <strong>der</strong>en Chronifizierung wurzelnde<br />
unverän<strong>der</strong>bare Eigenschaften zugeschrieben,<br />
die ebenfalls als Begründung <strong>für</strong><br />
e<strong>in</strong>e Vermittlung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Heim dienten. Die<br />
getroffenen Entscheidungen wurden im Regelfall<br />
nie wie<strong>der</strong>, namentlich nicht von externen<br />
Fachleuten überprüft. Die quantitative<br />
Dimension des Problems konnten wir im<br />
Rahmen unserer Studie nicht dezidiert untersuchen.<br />
Anhand von Daten aus an<strong>der</strong>en<br />
Untersuchungen, Schätzzahlen und den erhobenen<br />
Befunden ist aber die Frage <strong>der</strong><br />
langfristigen bzw. dauerhaften Unterbr<strong>in</strong>gung<br />
psychisch kranker Berl<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Pflegeheimen<br />
und <strong>in</strong> Heimen <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe<br />
drängend genug, dass sie e<strong>in</strong>er konzertierten<br />
sozialpolitischen und sozialpsychiatrischen<br />
Antwort bedarf. Diese Befunde stehen<br />
im krassen Gegensatz zu <strong>der</strong> bekanntermaßen<br />
hochqualitativen und im Alltag erprobten<br />
Steuerung im ambulanten und<br />
komplementären Bereich <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>depsychiatrie<br />
Berl<strong>in</strong>s.<br />
Mit unserer Untersuchung konnten wir<br />
recht genau nachzeichnen, wie und wo die<br />
genannten Probleme entstehen bzw. liegen.<br />
Es wird deutlich, dass es ke<strong>in</strong>e systematische<br />
und <strong>in</strong>sofern fachlich bewusst gesteuerte<br />
Vermittlung von Klienten <strong>in</strong> Richtung Heime<br />
gab, son<strong>der</strong>n dass diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Wahrnehmung <strong>der</strong> zuständigen Akteure aus<br />
e<strong>in</strong>er situativen Not heraus entstand. Diese<br />
wurde bald mehr mit e<strong>in</strong>em Mangel an adäquaten<br />
ambulanten Angeboten zur rechten<br />
Zeit, bald mehr mit problematischen Verhaltensweisen<br />
<strong>der</strong> Klienten o<strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>em erhöhten<br />
somatischen Pflegebedarf<br />
erklärt. Alle<strong>in</strong> die Verantwortlichen<br />
<strong>der</strong> Heime hatten<br />
e<strong>in</strong> grundsätzliches Interesse<br />
daran, ihre Plätze zu belegen,<br />
und es wurde e<strong>in</strong>e Tendenz<br />
deutlich, dass sich – m<strong>in</strong>destens<br />
e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Heime – verstärkt<br />
um die Aufnahme chronisch psychisch<br />
kranker Menschen bemühen. Die Zulassung<br />
von Heimen bzw. Heimplätzen <strong>für</strong><br />
psychisch kranke Menschen ist e<strong>in</strong>e dr<strong>in</strong>gende<br />
Frage an e<strong>in</strong>e politische Steuerung<br />
und kann nicht alle<strong>in</strong> dem Markt und se<strong>in</strong>en<br />
www.bob-born.de<br />
»Es bestand ke<strong>in</strong>e<br />
sachlich und fachlich<br />
adäquate Steuerung <strong>der</strong><br />
Heimunterbr<strong>in</strong>gung«<br />
Ritualen überlassen werden. Vorgehaltene<br />
Plätze und gar <strong>der</strong>en Zunahme<br />
erzeugen e<strong>in</strong>en Belegungssog,<br />
<strong>der</strong> dysfunktionale Entscheidungen<br />
begünstigt.<br />
Dabei kann konstatiert werden,<br />
dass die meisten professionellen Akteure<br />
ke<strong>in</strong>eswegs zufrieden mit dieser<br />
Situation waren, sie beklagten<br />
vielmehr die Schwierigkeiten und<br />
Hemmnisse zur optimalen Versorgung<br />
und Betreuung bestimmter<br />
Klienten.<br />
Es ist dr<strong>in</strong>gend zu empfehlen, die<br />
benannten Mängel <strong>in</strong> <strong>der</strong> fachlichen, sachlichen<br />
und ökonomischen Steuerung, Organisation,<br />
Kooperation und Vernetzung an den<br />
Schnittstellen zwischen Pflege, E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe<br />
und Wohnungslosenhilfe sehr bald<br />
zu beheben. Auf diese Weise könnten Fehlplatzierungen<br />
und Hospitalisierungen von<br />
psychisch kranken Menschen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und<br />
außerhalb Berl<strong>in</strong>s verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t und die störenden<br />
Barrieren zwischen den e<strong>in</strong>zelnen Systemen<br />
abgebaut werden. Ob und <strong>für</strong> wen welcher<br />
Aufenthalt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Heim <strong>der</strong> E<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ungshilfe<br />
o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Pflegeheim s<strong>in</strong>nvoll<br />
ist, sollte fachlich <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>är nachvollziehbar<br />
begründet se<strong>in</strong>, um dem Betroffenen<br />
bzw. se<strong>in</strong>em gesetzlichen Vertreter auf<br />
<strong>der</strong> Grundlage zutreffen<strong>der</strong> Informationen –<br />
auch über Alternativen – e<strong>in</strong>e autonome Entscheidung<br />
zu ermöglichen.<br />
Grundsätzlich ersche<strong>in</strong>t es aus den vorliegenden<br />
Daten und dem Stand <strong>der</strong> Fachdebatte<br />
ableitbar, dass weniger die Frage <strong>der</strong><br />
Art <strong>der</strong> Institution entscheidend <strong>für</strong> die Problemlösungen<br />
ist als vielmehr die geme<strong>in</strong>same<br />
Bewertung des <strong>in</strong>dividuellen Hilfebedarfs<br />
e<strong>in</strong>es Klienten und die geme<strong>in</strong>same<br />
Konstruktion e<strong>in</strong>es passenden Angebots.<br />
Ebenso s<strong>in</strong>nvoll ist <strong>der</strong> Versuch, diesen Klienten<br />
möglichst Betreuungssett<strong>in</strong>gs anzubieten,<br />
die flexibel auf ihren Unterstützungsbedarf<br />
e<strong>in</strong>gehen und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage s<strong>in</strong>d, se<strong>in</strong>e Autonomie<br />
(weiter) zu för<strong>der</strong>n. Die meisten<br />
Heime selbst haben aber zweifellos auch e<strong>in</strong><br />
erhebliches Entwicklungspotenzial <strong>in</strong> Bezug<br />
auf e<strong>in</strong>e die Autonomie för<strong>der</strong>nde Ausrichtung.<br />
Die Abschottung und Abkopplung<br />
des Heimsektors haben<br />
aber zweifellos zu e<strong>in</strong>er<br />
Fehlentwicklung geführt, die<br />
e<strong>in</strong>deutig exkludierenden Charakter<br />
hat. Diese Exklusionstendenz<br />
wi<strong>der</strong>spricht damit<br />
auch dem Geist <strong>der</strong> UN-Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenrechtskonvention,<br />
die etwa <strong>in</strong> Artikel<br />
18 die »freie Wahl des Aufenthaltsortes« und<br />
<strong>in</strong> Artikel 19 das »moralische Recht auf E<strong>in</strong>beziehung<br />
<strong>in</strong> die Geme<strong>in</strong>schaft« unterstreicht.<br />
Die vergleichsweise hohe Gefahr <strong>für</strong><br />
Menschen mit komplexem Hilfebedarf, <strong>in</strong><br />
32
a lt w e r d e n – a b e r w i e ? soziale psychiatrie 02/2012<br />
Heime e<strong>in</strong>gewiesen zu werden und seltener<br />
<strong>in</strong> autonomieför<strong>der</strong>nde Wohnformen zurückzugelangen,<br />
kann ethisch als äußerst<br />
problematisch beurteilt werden.<br />
Abschließend sei noch bemerkt, dass die<br />
Häufigkeit <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Interviews angesprochenen<br />
so genannten schwierigen, sehr<br />
schwierigen o<strong>der</strong> schwierigsten Klienten<br />
bzw. <strong>der</strong> so genannten Systemsprenger und<br />
<strong>der</strong> durch sie aufgeworfenen Schwierigkeiten,<br />
e<strong>in</strong>e angemessene Versorgung zu f<strong>in</strong>den,<br />
<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis dazu zu stehen<br />
sche<strong>in</strong>t, wie sich die geme<strong>in</strong>depsychiatrische<br />
Fachwelt mit <strong>der</strong> Lösung dieser Problematik<br />
beschäftigt. Jedenfalls lässt sich aus<br />
unseren Daten zum e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong> Mangel daran<br />
erkennen, operationalisierte Kriterien <strong>für</strong><br />
solche Herausfor<strong>der</strong>ungen und spezifischen<br />
Bedarfe zu entwickeln, um zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n,<br />
dass mit denselben Begriffen über Verschiedene(s)<br />
gesprochen wird. Zum an<strong>der</strong>en ist<br />
e<strong>in</strong> Mangel an Lösungsmöglichkeiten im regionalen<br />
Netzwerk geme<strong>in</strong>depsychiatrischer<br />
Akteure und Institutionen aufzuweisen.<br />
Zunächst ersche<strong>in</strong>t es s<strong>in</strong>nvoll, diese<br />
hier geme<strong>in</strong>ten Klienten eher mit e<strong>in</strong>em Begriff<br />
wie Menschen mit komplexen Hilfebedarfen<br />
zu bezeichnen. Sodann ergibt sich <strong>für</strong><br />
das geme<strong>in</strong>depsychiatrische System h<strong>in</strong>sichtlich<br />
jener Personengruppe e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung, denn es ist wichtig,<br />
<strong>für</strong> die wachsende Zahl psychisch kranker<br />
Menschen mit solchen Hilfebedarfen e<strong>in</strong> angemessenes<br />
Angebot <strong>in</strong>nerhalb des Systems<br />
zu konstruieren und sie nicht (etwa <strong>in</strong> Heimen<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wohnungslosigkeit) zu platzieren.<br />
In diesem S<strong>in</strong>ne ergeben sich auch die<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>für</strong> die Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong>sgesamt,<br />
»<strong>in</strong>klusiver« zu werden und solcherart<br />
heimliche Verstecke bzw. e<strong>in</strong>er <strong>Schattenpsychiatrie</strong><br />
und die Wege dah<strong>in</strong> zu unterb<strong>in</strong>den.<br />
Die Geme<strong>in</strong>depsychiatrie alle<strong>in</strong> kann naturgemäß<br />
diese Aufgabe nicht alle<strong>in</strong> schultern.<br />
Es bleibt also auch aus dem Fokus unserer<br />
Untersuchung viel zu tun auf dem Weg des<br />
»community enabl<strong>in</strong>g« und e<strong>in</strong>er »enabl<strong>in</strong>g<br />
community«. ■<br />
Prof. Dr. Ralf-Bruno Zimmermann lehrt an <strong>der</strong> Katholischen<br />
Fachhochschule <strong>für</strong> Sozialwesen Berl<strong>in</strong>.<br />
E-Mail: Ralf-Bruno.Zimmermann@KHSB-Berl<strong>in</strong><br />
Literatur:<br />
Bayer, W. (2004): Haben Heime S<strong>in</strong>n? Haupt- und Nebenwirkungen<br />
von Heimen. In: Soziale Psychiatrie, H. 4,<br />
S. 7–11.<br />
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Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. We<strong>in</strong>heim<br />
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Dörner, K.(2004): S<strong>in</strong>d alle Heimleiter Geiselnehmer?<br />
Qualitätskatalog <strong>für</strong> den zukunftsfähigen »guten Heimleiter«.<br />
In: Soziale Psychiatrie, H. 4, S. 21–25.<br />
Egetmeyer, A./Feller, T./Schäfer-Walkmann, S.<br />
(2003): Die »Schwäbische Heimenquête« des Bezirks<br />
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D./Reker, T. (2005): Integration psychisch Kranker – Ziel<br />
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H. 16, S. 1104–1110.<br />
Feuerste<strong>in</strong>, G./Kuhlmann, E. (1999) (Hrsg.): Neopaternalismus<br />
und Patientenautonomie. Das Verschw<strong>in</strong>den<br />
<strong>der</strong> ärztlichen Verantwortung? In: Feuerste<strong>in</strong>, G.;<br />
Kuhlmann, E.: Neo-paternalistische Mediz<strong>in</strong>. Der Mythos<br />
<strong>der</strong> Selbstbestimmung im Arzt-Patient-Verhältnis. Bern,<br />
S. 9–13.<br />
Flick, U. (1995): Qualitative Forschung. Theorien, Methoden,<br />
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Re<strong>in</strong>bek.<br />
Freyberger, H.J./Ulrich, I./Dudeck, M./Barnow,<br />
S./Kle<strong>in</strong>wort, K./Ste<strong>in</strong>hart, I. (2004): Woran scheitert<br />
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Qualitative Ergebnisse zur »Systemsprengerproblematik«<br />
<strong>in</strong> Mecklenburg-Vorpommern. In: Sozialpsychiatrische<br />
Informationen, H. 2, S. 16–20.<br />
Gromann, P. (2004): Normalisierung im Heim?!<br />
Möglichkeiten und Grenzen ambulanter und stationärer<br />
Versorgung. In: Soziale Psychiatrie, H. 4, S. 15–17.<br />
Groth, K. (2004): Die unendliche und die endliche<br />
Psychiatrie. Über den Umgang mit Chronizität, Zeit und<br />
Verantwortung und die Opfer alter und neuer Krankheitskonzepte.<br />
In: Soziale Psychiatrie, H. 4, S. 26–30.<br />
Vock, R./Zaumseil, M./Zimmermann, R.-B./<br />
Man<strong>der</strong>la, S. (2007): Mit <strong>der</strong> Diagnose »chronisch<br />
psychisch krank« <strong>in</strong>s Pflegeheim? E<strong>in</strong>e Untersuchung<br />
<strong>der</strong> Situation <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Frankfurt am Ma<strong>in</strong>.<br />
Zimmermann, R.-B. (2010): Heimliche Verstecke – Empirische<br />
H<strong>in</strong>weise auf die Exklusion von ›schwierigen<br />
Patienten‹ aus <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de. In: Evangelische Stiftung<br />
Alsterdorf/Katholische Hochschule <strong>für</strong> Sozialwesen Berl<strong>in</strong><br />
(Hrsg.): Enabl<strong>in</strong>g Community. Anstöße <strong>für</strong> Politik und<br />
soziale Praxis. Hamburg, S. 226–237.<br />
Anmerkungen:<br />
1 Der <strong>für</strong> die Jahrestagung <strong>der</strong> DGSP 2011 <strong>in</strong> Ravensburg<br />
geplante Vortrag musste aufgrund e<strong>in</strong>er Erkrankung<br />
des Autors abgesagt werden. In diesem Artikel des<br />
Autors werden Kernaussagen des Vortrags zusammengefasst.<br />
2 F<strong>in</strong>anziert wurde die Untersuchung maßgeblich durch<br />
das <strong>Deutsche</strong> Hilfswerk und die P<strong>in</strong>el-<strong>Gesellschaft</strong> sowie<br />
materielle und personelle Ressourcen <strong>der</strong> beteiligten<br />
Hochschulen.<br />
3 Etwa im Gegensatz zum Regierungsbezirk Schwaben,<br />
<strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>e Vielzahl an solchen Heimplätzen <strong>für</strong> psychisch<br />
kranke Menschen vorgehalten und belegt wird<br />
(vgl. Egetmeyer et al. 2006).<br />
4 So etwa Kl<strong>in</strong>ikmitarbeiter, Heimleiter, Mitarbeiter Sozialpsychiatrischer<br />
Dienste, Psychiatriekoord<strong>in</strong>atoren,<br />
gesetzliche Betreuer und Heimbewohner.<br />
5 Die mathematischen Annahmen und Datenquellen<br />
sowie die Formel <strong>für</strong> die Schätzung f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> Vock<br />
et al. 2007, S. 461 f.<br />
6 Das waren Mitarbeiter <strong>der</strong> Sozialpsychiatrischen<br />
Dienste und die Psychiatriekoord<strong>in</strong>atoren <strong>der</strong> Bezirke.<br />
7 Dieser Begriff wird <strong>in</strong> den vergangenen Jahren (oft allerd<strong>in</strong>gs<br />
unscharf konturiert) <strong>für</strong> e<strong>in</strong>e Gruppe von psychisch<br />
kranken Menschen verwendet, die die Systeme<br />
<strong>der</strong> Behandlung und Betreuung mit ihrem Verhalten<br />
»sprengen« (vgl. Freyberger et al. 2004).<br />
8 Die »Null« steht hier <strong>für</strong> Menschen, denen ke<strong>in</strong>e<br />
Pflegestufe nach SGB XI (soziale Pflegeversicherung)<br />
zuerkannt wurde, damit das Attribut <strong>der</strong> »Pflegestufe<br />
null« erhalten, die allerd<strong>in</strong>gs nicht im SGB XI o<strong>der</strong> den<br />
e<strong>in</strong>schlägigen Verordnungen und Richtl<strong>in</strong>ien benannt<br />
wird.<br />
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