“ Hört, was der Geist den Gemeinden sagt ” (Offb 2:7 ... - Katholisch.de
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<strong>“</strong> <strong>Hört</strong>, <strong>was</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Geist</strong> <strong><strong>de</strong>n</strong> Gemein<strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>sagt</strong> <strong>”</strong> (<strong>Offb</strong> 2:7)<br />
Ekklesiologie zwischen Neuen Religiösen Bewegungen und neuer<br />
Pentekostalität.<br />
<strong>“</strong> L isten to what the Spirit tells the communities [churches] <strong>”</strong><br />
(Rv 2:7)<br />
Ecclesiology between New Religious Movements and a new<br />
Pentecostality.<br />
<br />
<strong>“</strong> E scuchad lo que dice el Espíritu Santo a las Comunida<strong>de</strong>s<br />
[iglesias]. <strong>”</strong><br />
La ecclesiología entre los Nuevos Movimientos Religiosos y una<br />
nueva Pentecostalidad.<br />
Michael Fuss<br />
Eine bessere Einleitung zu meinem Vortrag könnte es nicht geben<br />
als unseren begeistern<strong><strong>de</strong>n</strong> Papst Franziskus, <strong>“</strong> pastor bonus in<br />
populo <strong>”</strong> (Augustinus), <strong><strong>de</strong>r</strong> zum einen unsere Kirche mit seinem<br />
weltweiten und außereuropäischen Blick bereichert und zum<br />
an<strong><strong>de</strong>r</strong>en seine pastorale Erfahrung mit eben <strong><strong>de</strong>n</strong> Bewegungen, mit<br />
<strong><strong>de</strong>n</strong>en sich unsere Konferenz beschäftigt, in sein pastorales<br />
Programm einfließen läßt.<br />
Wenn hier einige <strong>“</strong>theologische <strong>”</strong> Anmerkungen zur<br />
Herausfor<strong><strong>de</strong>r</strong>ung von Evangelikalen - Pfingstkirchen -<br />
Charismatikern gegeben wer<strong><strong>de</strong>n</strong> sollen, möchte ich diese in einen<br />
holistischen Rahmen stellen. Es kann und soll hier nicht um die<br />
Diskussion dogmatischer Differenzen gehen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um das<br />
Verbin<strong><strong>de</strong>n</strong><strong>de</strong> von Theologie und soziologischer Bestandsaufnahme.<br />
Theologie kann nicht an<strong><strong>de</strong>r</strong>s als spannen<strong>de</strong> Dialektik konzipiert<br />
wer<strong><strong>de</strong>n</strong> – so wie es mein Titel ausdrückt:<br />
Spannung zwischen <strong>de</strong>m <strong>“</strong>Sagen <strong>”</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Offenbarungsbotschaft<br />
durch <strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>Geist</strong> und einem (neuen) <strong>“</strong>Hören <strong>”</strong> und<br />
Reflektieren unserer beginnen<strong><strong>de</strong>n</strong> Konferenz, aber auch<br />
dialektische Spannung zwischen <strong>de</strong>m lebendigen<br />
<strong>“</strong> Gottesgeist <strong>”</strong> und <strong><strong>de</strong>n</strong> strukturierten <strong>“</strong>Gemein<strong><strong>de</strong>n</strong><strong>”</strong> (o<strong><strong>de</strong>r</strong>,<br />
wörtlich übersetzt, <strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>“</strong>Kirchen<strong>”</strong> [ekklesiai]), aus <strong><strong>de</strong>n</strong>en<br />
wir kommen. Diese vier Positionen <strong>de</strong>s Titels lassen sich<br />
zusammenfassen in die duale Dialektik <strong>de</strong>s historischen<br />
Pfingstereignisses als Geburtstag <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche und einer<br />
ursprünglichen Pentekostalität [o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Geist</strong>-unmittelbarkeit]<br />
unseres Glaubens, die diesem Ereignis noch vorausgeht und<br />
es immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> aktualisiert.<br />
Den roten Fa<strong><strong>de</strong>n</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> folgen<strong><strong>de</strong>n</strong> Überlegungen bil<strong>de</strong>t die Metapher<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>“</strong>Essstäbchen-Theologie <strong>”</strong> 1 <strong>de</strong>s Koreaners Cho Yonggi (*1936),<br />
Begrün<strong><strong>de</strong>r</strong> einer <strong><strong>de</strong>r</strong> weltweit größten Freikirchen (Yoido Full<br />
Gospel Church in <strong><strong>de</strong>r</strong> Tradition <strong><strong>de</strong>r</strong> Assemblies of God).<br />
1<br />
H.-S. Bae, Full Gospel Theology and a Korean Pentecostal I<strong><strong>de</strong>n</strong>tity, in A.<br />
An<strong><strong>de</strong>r</strong>son - E. Tang (ed.), Asian and Pentecostal. The Charismatic Face of<br />
Christianity in Asia, Eugene OR, 2011, 427-446.
Essstäbchen bringen die traditionelle Alltagskultur <strong>de</strong>s fernen<br />
Ostens zum Ausdruck; im Unterschied zum westlichen Silberbesteck<br />
sind sie aus billigem Holz geschnitzt, ein alltäglicher<br />
Gebrauchsartikel. Dabei entsprechen sie <strong>de</strong>m kulturellen Prinzip<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Harmonie, <strong><strong>de</strong>n</strong>n mit nur einem Stäbchen kann man nicht essen.<br />
Im Gebrauch entsteht wie selbstverständlich eine konstante<br />
Interaktion zwischen einem festen und beweglichen Element, <strong>de</strong>m<br />
Aufgreifen und Festhalten <strong><strong>de</strong>r</strong> Speise. Nur in dieser Spannung<br />
wer<strong><strong>de</strong>n</strong> die bei<strong><strong>de</strong>n</strong> Stäbchen zur Bedingung <strong><strong>de</strong>r</strong> Möglichkeit <strong>de</strong>s<br />
Essens. Die Dualität <strong><strong>de</strong>r</strong> Funktion bleibt an die Einheit <strong>de</strong>s<br />
Instrumentes gebun<strong><strong>de</strong>n</strong>. In ihrer unbe<strong>de</strong>uten<strong><strong>de</strong>n</strong> Alltäglichkeit<br />
offenbaren die Stäbchen aber auch das dahinter liegen<strong>de</strong><br />
Menschenbild.<br />
Das chinesische Zeichen für Mensch (in) ist zusammengesetzt aus<br />
zwei Stelzen, die sich gegenseitig stützen. Niemand kann<br />
unabhängig von an<strong><strong>de</strong>r</strong>en leben; je<strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch existiert in<br />
lebendiger Alterität. Als ein gemeinschaftliches Wesen strebt<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch nach Harmonie im Verhältnis zu Gott, zur Gesellschaft<br />
und zu sich selbst. Gera<strong>de</strong> in seiner religiösen Ausrichtung lebt<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch nicht nur in <strong><strong>de</strong>r</strong> Bezogenheit auf ein <strong>“</strong> Du <strong>”</strong> (Martin<br />
Buber), son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch auf ein partnerschaftliches <strong>“</strong>Wir <strong>”</strong><br />
(Heribert Mühlen). Gottes Vorsehung und <strong><strong>de</strong>r</strong> freie Wille <strong>de</strong>s<br />
Menschen können nur als versöhnte Gegensätze zur positiven<br />
Lebensbewältigung dienen.<br />
Eine theologische Annäherung an unser Thema muß die kontextuelle<br />
Dialektik ins Auge fassen, die zwischen einer emotionalen<br />
Verankerung in <strong><strong>de</strong>r</strong> Volksreligion und einer geistlichen<br />
Beweglichkeit in <strong><strong>de</strong>r</strong> kirchlichen Gemeinschaft besteht – o<strong><strong>de</strong>r</strong> ist<br />
es heute nicht etwa umgekehrt: die Volksreligion ist in einem<br />
grundlegen<strong><strong>de</strong>n</strong> Wan<strong>de</strong>l begriffen und das kirchliche Christentum<br />
wird als statisch, wenig attraktiv und im wörtlichen Sinn<br />
<strong>“</strong> abgehoben <strong>”</strong> wahrgenommen?<br />
Hier erscheint die Klammer, welche die Fallstudien <strong>de</strong>s<br />
vorliegen<strong><strong>de</strong>n</strong> Forschungsprojekts mit <strong><strong>de</strong>r</strong> theologischen Reflexion<br />
verbin<strong>de</strong>t. Nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Analogie <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschwerdung Jesu (Dei Verbum,<br />
13) trifft die Offenbarungsbotschaft immer auf eine gelebte<br />
Religion <strong>de</strong>s Volkes, und wenn diese sich än<strong><strong>de</strong>r</strong>t, ist ein neuer<br />
Inkulturationsprozeß notwendig. Dem fatalistischen Jammern über<br />
<strong><strong>de</strong>n</strong> rapi<strong><strong>de</strong>n</strong> und weltweiten Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong>schwund von Katholiken<br />
zugunsten pfingstlicher Gemein<strong><strong>de</strong>n</strong> sollte eine ernsthafte Suche<br />
nach <strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>“</strong>Zeichen <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit <strong>”</strong> entsprechen, unter <strong><strong>de</strong>n</strong>en sich ein<br />
grundlegen<strong><strong>de</strong>r</strong> Paradigmenwechsel <strong><strong>de</strong>r</strong> religiösen Erfahrung<br />
an<strong>de</strong>utet.<br />
Dieses Um<strong><strong>de</strong>n</strong>ken zu einem dualen Blick auf Kirchlichkeit enthüllt<br />
eine weitere Dialektik <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>“</strong>Essstäbchen-Theologie <strong>”</strong>. Diese soll<br />
im Folgen<strong><strong>de</strong>n</strong> anhand <strong><strong>de</strong>r</strong> Polarität von kirchlicher und<br />
außerkirchlicher Volksreligion sowie ihrer notwendigen
Integration entfaltet wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. Um möglichen Missverständnissen<br />
vorzubeugen soll betont wer<strong><strong>de</strong>n</strong>, dass es sich immer um die eine<br />
Kirche han<strong>de</strong>lt, die von Christus auf <strong>de</strong>m Fundament <strong><strong>de</strong>r</strong> Apostel<br />
begrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong> und die in ihrer sakramentalen Dynamik über ihre<br />
sichtbaren Grenzen hinaus wirkt. So vollzieht sich die<br />
<strong>“</strong> Essstäbchen-Theologie <strong>”</strong> zwischen <strong><strong>de</strong>n</strong> drei Relationen <strong>de</strong>s<br />
trinitarischen Geheimnisses: <strong><strong>de</strong>r</strong> Verankerung <strong><strong>de</strong>r</strong> Ekklesiologie<br />
im universalen Heilswillen <strong>de</strong>s Vaters, im apostolischen<br />
Fundament <strong><strong>de</strong>r</strong> einen Kirche Jesu Christi und in <strong><strong>de</strong>r</strong> katholischen<br />
Vielfalt, die <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Geist</strong> Christi wirkt.<br />
1 Die Verknüpfung von Anthropologie und Theologie<br />
Evangelikale, Pfingstkirchen und Charismatiker sind Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> ihrer<br />
Zeit und ihre neuen Formen <strong>de</strong>s Kirche-Seins haben sich als<br />
unmittelbare Reaktion auf gesellschaftliche Problematik<br />
entwickelt. Soziale Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen als Folge <strong><strong>de</strong>r</strong> Globalisation,<br />
neue Denk- und Verhaltensmuster von entstehen<strong><strong>de</strong>n</strong> post-kolonialen<br />
und postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen Kulturen, aber auch unvorhergesehene Reaktionen<br />
auf Inkulturationsprozesse müssen sorgfältig in ihrer<br />
prophetischen Dynamik analysiert wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. Vielleicht hilft es,<br />
solche neuen Gesellschaftsformen von Religion als re-aktive<br />
Kirchen zu bezeichnen, in <strong><strong>de</strong>n</strong>en sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Glaubenssinn <strong>de</strong>s Volkes<br />
(sensus fi<strong>de</strong>lium) als eine vitale Reaktion auf eine von außen<br />
geplante Evangelisierung manifestiert. Es wäre somit nicht<br />
Aufgabe <strong>de</strong>s Theologen, eine einzige Strategie von Evangelisation<br />
zu entwickeln, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n eher, die Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>- und Rückseite von<br />
Evangelisation gleicherweise als die Fülle <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Geist</strong>sendung zu<br />
erkennen. Freikirchliches Christentum läßt sich dann als Spiegel<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Evangelisation ansehen. Fünf anthropologische Koordinaten<br />
seien hier zu einem Gesamtbild miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong> verknüpft, aus <strong>de</strong>m<br />
sich einige theologische Schlußfolgerungen ableiten lassen.<br />
(1) In seinen Schriften zur <strong>“</strong>Risiko-gesellschaft<strong>”</strong> [ <strong>“</strong> risk<br />
society <strong>”</strong>] stellt Ulrich Beck <strong><strong>de</strong>n</strong> grundlegen<strong><strong>de</strong>n</strong> Wan<strong>de</strong>l in<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> persönlichen I<strong><strong>de</strong>n</strong>tität heraus und sieht starke<br />
Gemeinsamkeiten zwischen neuem spirituellen Bewusstsein und<br />
ethnischen Kulturen. Vor allem analysiert er <strong><strong>de</strong>n</strong><br />
Dreischritt von Initiationsriten. Auf eine Phase <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Loslösung von überlieferten Riten und Glaubensformen folgt<br />
eine liminale Phase mit einem Verlust an sozialer<br />
Sicherheit, aber auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Freiheit zu neuen<br />
Verhaltensformen. Danach ergibt sich eine neue<br />
Einglie<strong><strong>de</strong>r</strong>ung in ein neues Lebensmuster und eine neue<br />
soziale Kontrolle. In Zeiten von gesellschaftlichen und<br />
persönlichen Krisen wird das eigene Leben zum Risiko und<br />
<strong>de</strong>ssen Bewältigung vollzieht sich nicht nur in<br />
traditionellen Kulturen nach <strong>de</strong>m Muster von<br />
Initiationsriten mit unmittelbarem Einfluss auf das<br />
religiöse Verhalten.
(2) Thomas Luckmann spricht von <strong>“</strong> unsichtbarer Religion <strong>”</strong>,<br />
die sich hinter gesellschaftlichen Formen verbirgt. Diese<br />
Begrifflichkeit <strong>de</strong>ckt sich weitgehend mit Clifford Geertz’s<br />
Ansicht von Religion als <strong>“</strong>dichter Beschreibung <strong>”</strong> [ <strong>“</strong> thick<br />
<strong>de</strong>scription <strong>”</strong>] einer Kultur, die <strong><strong>de</strong>r</strong>en inneres Herz zutage<br />
legt. Dokumente <strong>de</strong>s Magisterium sprechen in ähnlicher Weise<br />
von Religion als <strong>de</strong>m lebendigen Zentrum einer Kultur. 2 Im<br />
Umkehrschluß wird man die Tiefenwirkung von kulturellen<br />
Elementen <strong><strong>de</strong>r</strong> Gegenwart – wie etwa <strong>de</strong>mokratische Bewegungen<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Autonomie <strong>de</strong>s Individuums – auf die Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung<br />
<strong>de</strong>s religiösen Bewußtseins untersuchen müssen. Im Rückblick<br />
erscheint die mittelalterliche Christenheit als eine<br />
societas perfecta von Kulturchristentum und spiritueller<br />
Erfahrung; die religiösen Spuren <strong><strong>de</strong>r</strong> post-mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen Welt<br />
wer<strong><strong>de</strong>n</strong> einmal in aller Unterschiedlichkeit ihrer jeweiligen<br />
sozialen Kontexte ein neues Netzwerk von globalen und<br />
lokalen Gemein<strong><strong>de</strong>n</strong> ergeben. 3<br />
(3) Eine solche Gesellschaftsanalyse trifft sich mit <strong>de</strong>m<br />
Urteil von Romano Guardini (1885-1968) über das <strong>“</strong> En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Neuzeit <strong>”</strong> (1947), das für ihn mit einem gewan<strong>de</strong>lten<br />
Menschenbild verbun<strong><strong>de</strong>n</strong> ist. Zum einen ist es <strong><strong>de</strong>r</strong> Mensch <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Massengesellschaft, <strong><strong>de</strong>r</strong> seine Orientierung aus <strong><strong>de</strong>n</strong><br />
populistischen Oberflächlichkeiten schöpft. Rationale<br />
Planung und genormte Produktivität bestimmen weithin sein<br />
Leben. Aber gera<strong>de</strong> die Manipulation seiner Autonomie bietet<br />
auch die Chance zu einer vollen Mündigkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Person,<br />
vorausgesetzt, <strong><strong>de</strong>r</strong> Einzelne besitzt einen Schatz von<br />
Werten, mit <strong><strong>de</strong>n</strong>en er die befreien<strong><strong>de</strong>n</strong> Kräfte <strong><strong>de</strong>r</strong> Religion<br />
gegenüber ihren versklaven<strong><strong>de</strong>n</strong> Aspekten bezeugen kann.<br />
Guardini <strong>sagt</strong> es im Bild: <strong>“</strong>Ohne das religiöse Element wird<br />
das Leben wie ein Motor, <strong><strong>de</strong>r</strong> kein Öl mehr hat. Es läuft<br />
sich heiß. Alle Augenblicke verbrennt et<strong>was</strong>. <strong>”</strong> 4 Religion<br />
be<strong>de</strong>utet für ihn aber nicht einfach die institutionelle<br />
Kirche, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>n</strong> elementaren Erfahrungsgrund, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
spontan und chaotisch aufbricht und sich weithin in vorund<br />
außer-christlichen Traditionen fin<strong>de</strong>t – im prägnanten<br />
Wort von Guardini: <strong>“</strong>Ein neues Hei<strong><strong>de</strong>n</strong>tum wird sich<br />
entwickeln, aber von an<strong><strong>de</strong>r</strong>er Art als das erste. <strong>”</strong> 5<br />
Die<br />
2<br />
Johannes Paul II, Enzyklika Centesimus annus (1991), 24; Dokument Dialog<br />
und Verkündigung (1991), 45.<br />
3<br />
Johannes Paul II, Novo millennio ineunte (2001), 40: <strong>“</strong> [ Die] Schönheit<br />
dieses vielseitigen Gesichtes <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche ist [vielleicht] nur ein Anfang,<br />
eine gera<strong>de</strong> einmal skizzierte Ikone <strong><strong>de</strong>r</strong> Zukunft, die Gottes <strong>Geist</strong> für uns<br />
bereitet. <strong>”</strong><br />
4 R. Guardini, Das En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Neuzeit, Mainz-Pa<strong><strong>de</strong>r</strong>born 1995, 84.<br />
5<br />
Ibid., 88. Vgl. J. Daniélou: Christianisme et religions non chretiennes,<br />
in: Etu<strong>de</strong>s 32 (1964), 335: <strong>“</strong> Das Problem von morgen ist nicht das <strong>de</strong>s<br />
Atheismus, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n eines neuen Hei<strong><strong>de</strong>n</strong>tums, das sich selber sucht [. . .] Der<br />
Atheismus ist nur Übergang zwischen jenem Hei<strong><strong>de</strong>n</strong>tum von gestern aus <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
bäuerlichen Kultur und <strong>de</strong>m Hei<strong><strong>de</strong>n</strong>tum von morgen, jenem <strong><strong>de</strong>r</strong> industriellen
Wildnis vitaler Religionsfragmente muss immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> neu<br />
mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Offenbarungsbotschaft verbun<strong><strong>de</strong>n</strong> wer<strong><strong>de</strong>n</strong>.<br />
Diese Gedanken Guardinis führen direkt zum Anliegen einer<br />
<strong>“</strong> Entweltlichung<strong>”</strong> [ <strong>“</strong> moving away from the Church’s<br />
worldliness <strong>”</strong> 6 ] <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche bei Benedikt XVI – und in neuer<br />
Aktualität bei Papst Franziskus. Zeigt sich hier nicht die<br />
Notwendigkeit einer Rückkehr zu <strong><strong>de</strong>n</strong> Wurzeln und zur inneren<br />
Erfahrung <strong>de</strong>ssen, <strong>was</strong> Kirche-sein in <strong><strong>de</strong>n</strong> Herzen be<strong>de</strong>utet?<br />
Religion entspricht <strong>de</strong>m doppelten Wortsinn <strong>de</strong>s griechischen<br />
Archè; zum einen nährt sie sich aus <strong>de</strong>m Ursprung<br />
subjektiver I<strong><strong>de</strong>n</strong>tität und Selbsterfahrung und orientiert<br />
sich an<strong><strong>de</strong>r</strong>erseits am Ursprung einer kulturellen Tradition.<br />
Aus bei<strong><strong>de</strong>n</strong> Polen schafft sie eine spontane Synthese, die<br />
<strong><strong>de</strong>n</strong> roten Fa<strong><strong>de</strong>n</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebensbewältigung bil<strong>de</strong>t.<br />
(4) Die pointierte Re<strong>de</strong> vom Aufbrechen eines <strong>“</strong>neuen<br />
Hei<strong><strong>de</strong>n</strong>tums <strong>”</strong> soll nun nicht in negativer Polemik, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
als neutrale Beschreibung <strong>de</strong>s globalen Umfelds im Sinne<br />
einer religiösen Kreativität verstan<strong><strong>de</strong>n</strong> wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. Religiöse<br />
Erfahrung regeneriert sich spontan aus einer alltäglichen<br />
Dimension, beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s an <strong><strong>de</strong>n</strong> Kristallisationspunkten <strong>de</strong>s<br />
Lebens (Initiation, Hochzeit, Geburt, Lei<strong><strong>de</strong>n</strong>, Tod). Ihre<br />
reiche Symbolwelt wird aus <strong>de</strong>m vergessenen Schatz an<br />
traditionellen Riten adaptiert o<strong><strong>de</strong>r</strong> konstituiert sich neu<br />
in vielfältigen Suchbewegungen. Solche Revitalisierung<br />
elementarer Religiosität wird durch die Erfahrung von<br />
Krisen ausgelöst und erstreckt sich gleichermassen<br />
außerhalb und innerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche. Der saloppe Satz,<br />
<strong>“</strong> Gott hat keine Enkel <strong>”</strong>, trifft die Situation sehr gut.<br />
Gott hat wohl Töchter und Söhne, die eine lebendige<br />
Glaubenserfahrung kultivieren, aber diese Gotteserfahrung<br />
läßt sich nicht unmittelbar an die nächste Generation<br />
weitergeben, falls diese nicht wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um ihre eigene<br />
religiöse Erfahrung macht.<br />
(5) Der Missions-anthropologe Paul G. Hiebert (1933-2007) 7<br />
steuert noch eine wichtige Beobachtung bei. Sowohl das<br />
traditionelle indigene wie auch das neu aufbrechen<strong>de</strong><br />
Weltbild <strong><strong>de</strong>r</strong> nicht-konventionellen Spiritualitätsformen ist<br />
nicht einfach nach <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s platonischen Dualismus in<br />
einer Trennung von natürlichen, materiellen und<br />
übernatürlichen, transzen<strong><strong>de</strong>n</strong>ten Elementen vorzustellen. Es<br />
fehlt die Integration eines mittleren Bereichs, <strong><strong>de</strong>r</strong> die<br />
reiche Schattenwelt <strong><strong>de</strong>r</strong> unsichtbaren Phänomene umfaßt: die<br />
Zivilisation. Das Hei<strong><strong>de</strong>n</strong>tum von morgen, das ist die religiöse Problematik <strong>de</strong>s<br />
mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen Menschen. Auf diese Problematik <strong>de</strong>s mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen Menschen muß die Kirche<br />
Antwort geben. <strong>”</strong><br />
6 Benedict XVI, Speeches (Freiburg im Breisgau, 25.09.2011).<br />
7 P. G. Hiebert, The Flaw of the Exclu<strong>de</strong>d Middle, in Missiology X (1982) 35-<br />
47.
Welt <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Geist</strong>er und Engel, Dämonen und Schicksalskräfte,<br />
Ahnengeister und Heiler, paranormale und magische<br />
Phänomene. Die wissenschaftliche Sicht <strong>de</strong>s Westens tendiert<br />
dazu, diese Dimension auszublen<strong><strong>de</strong>n</strong>, und auch eine<br />
aufgeklärte Kirche sieht häufig über diese Zwischenwelt<br />
hinweg, obgleich die Bibel immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> von solchen<br />
Phänomenen berichtet. Die Vorsehung und Führung Gottes in<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte <strong>de</strong>s Einzelnen und <strong>de</strong>s Volkes sowie <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Bereich <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilung und Wun<strong><strong>de</strong>r</strong> fügt sich zu einer<br />
holistischen Sicht auf <strong><strong>de</strong>n</strong> Menschen, in <strong><strong>de</strong>r</strong> die von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Wissenschaft ausgeschlossene Mittelwelt ihren gebühren<strong><strong>de</strong>n</strong><br />
Platz fin<strong>de</strong>t. Die Orthodoxie <strong>de</strong>s Glaubens wird erst<br />
zusammen mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Orthopraxis und Orthotherapie zu einer<br />
Kraft <strong><strong>de</strong>r</strong> Lebensbewältigung.<br />
Wenn sich also ein <strong>“</strong>neues Hei<strong><strong>de</strong>n</strong>tum <strong>”</strong> immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> aus <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Unmittelbarkeit einer ursprünglichen Vital-religion<br />
konstituiert, dann wird es im umfassen<strong><strong>de</strong>n</strong> Sinn zu einer<br />
Alltagsreligion. Eher als von <strong>“</strong>Pluralismus <strong>”</strong> sollte man<br />
hier von <strong>“</strong>Populismus <strong>”</strong> sprechen. Die unterschiedlichen<br />
lokalen Ausprägungen <strong>de</strong>s neo-Paganismus lassen sich nicht<br />
so sehr charakterisieren durch einen Pluralismus von<br />
unterschiedlichen Religionssystemen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n durch die<br />
Gemeinsamkeit ihres elementaren, populistischen Niveaus.<br />
Slogans wie <strong>“</strong>Wir sind das Volk <strong>”</strong>, <strong>“</strong> Yes we can <strong>”</strong> und<br />
schließlich <strong>“</strong>Wir sind Papst <strong>”</strong>, konstituieren spontan ein<br />
<strong>“</strong> Volk <strong>”</strong> mit kirchen-ähnlicher Struktur und ekstatischer<br />
Begeisterung. Die MacDonaldisierte Massengesellschaft<br />
entläßt ihre Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> in eine religionsproduktive Zukunft.<br />
2 Eine neue Weltreligion<br />
Diese Mosaiksteine fügen sich zusammen in <strong><strong>de</strong>r</strong> Beobachtung, dass<br />
vor unseren Augen eine neue Weltreligion entsteht, die genau <strong>de</strong>m<br />
Muster einer vernetzten, globalen Kultur entspricht. Hier gibt<br />
es keinen einzelnen Grün<strong><strong>de</strong>r</strong> und keine hl. Schrift, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n viele<br />
charismatische Katalysatoren, die jeweils ihre eigene<br />
<strong>“</strong> Offenbarung <strong>”</strong> verkün<strong><strong>de</strong>n</strong>. Sie sind wie die unterschiedlichen<br />
Portale, die ins Internet führen. Wenn sich auch hier ein<br />
grenzenloser Pluralismus von spirituellen Angeboten anbietet, so<br />
scheint es doch angeraten, von <strong>“</strong> Weltreligion <strong>”</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> Einzahl<br />
zu sprechen, weil <strong><strong>de</strong>r</strong> Einzelne diejenige <strong>“</strong>Religion <strong>”</strong> wählt, die<br />
seinen Bedürfnissen am meisten entspricht und die darum für ihn<br />
ein (kürzeres o<strong><strong>de</strong>r</strong> längeres) Glaubensengagement verlangt.<br />
Umgekehrt mögen die spirituellen Gruppierungen als einzelne nur<br />
relativ wenige Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong> haben; durch ihre Vernetzung haben sie<br />
aber Teil an einer weltweiten religiösen Bewegung und wer<strong><strong>de</strong>n</strong> so<br />
auch für die Statistik interessant. 8<br />
8<br />
Nach verläßlichen Statistiken übersteigen die Anhänger <strong>de</strong>s New Age die
Diese subjektive <strong>“</strong>Weltreligion <strong>”</strong> kennt keine geographische<br />
Begrenzung, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n entspricht <strong><strong>de</strong>r</strong> psychologischen Präferenz <strong>de</strong>s<br />
Einzelnen. Im Unterschied zu <strong><strong>de</strong>n</strong> traditionellen Stifterreligionen<br />
kann sie als reaktive Religion angesehen wer<strong><strong>de</strong>n</strong>, wo<br />
min<strong>de</strong>stens vier Ebenen in wechseln<strong><strong>de</strong>n</strong> Proportionen miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
reagieren. Eine dominante Kultur – weithin die christliche<br />
Tradition als Kulturreligion o<strong><strong>de</strong>r</strong> Religion <strong><strong>de</strong>r</strong> Kolonisatoren –<br />
reagiert mit populären religiösen Vorstellungen und verbin<strong>de</strong>t<br />
sich mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Unmittelbarkeit persönlicher Erfahrungen, die von<br />
einem charismatischen Führer kanalisiert wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. Dieses Mo<strong>de</strong>ll<br />
entspricht <strong><strong>de</strong>n</strong> Forschungen von Harold W. Turner (1911-2002), <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
zwei unterschiedliche Entstehungsformen neuer religiöser<br />
Bewegungen beschreibt. Zum einen läßt sich im Zuge <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
protestantischen Reformation ein Abbrechen <strong><strong>de</strong>r</strong> kirchlichen<br />
Verbun<strong><strong>de</strong>n</strong>heit und das Entstehen <strong><strong>de</strong>r</strong> klassischen Sekten<br />
beobachten. Während aber hier eine bewußte Neu-interpretation<br />
<strong>de</strong>s kirchlichen Dogmas nötig ist, gibt es sehr viel häufiger das<br />
eher spontane Entstehen spiritueller Gruppen als Krisenkulte<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> synkretistische Interaktionen. [Die Zeit verbietet es, hier<br />
konkrete Beispiele zu nennen.] Für H. Turner 9 zeigt sich hier<br />
eine zweite Phase <strong><strong>de</strong>r</strong> Mission als autonomer Inkulturationsprozeß<br />
in <strong><strong>de</strong>r</strong> Bandbreite von <strong>“</strong>Unabhängigen Kirchen <strong>”</strong> (mit eigener<br />
Christologie, aber hierarchischer Unabhängigkeit) über<br />
<strong>“</strong> Hebraistische Bewegungen <strong>”</strong> (wie etwa Mormonen o<strong><strong>de</strong>r</strong> Zeugen<br />
Jehovas mit biblischem Hintergrund aber ohne Christologie) bis<br />
hin zu synthetischen Gruppierungen mit einer kreativen und<br />
beliebigen Kombination spiritueller Fragmente (meist mit <strong>de</strong>m<br />
Adjektiv neo-).<br />
Diese reaktive Weltreligion unterteilt sich in<br />
transkonfessionelle Mega-netzwerke, die unterschiedlichen<br />
Charaktertypen entsprechen und verschie<strong><strong>de</strong>n</strong>e Antworten auf<br />
kulturelle Krisen darstellen. Dazu kommt die soziale Schichtung<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Bevölkerung. Während die ärmeren Leute häufig zu<br />
evangelikalen und pfingstlichen Gruppen abwan<strong><strong>de</strong>r</strong>n, tendieren die<br />
mittleren und höheren Schichten eher zu <strong><strong>de</strong>n</strong> alternativen<br />
Spiritualitätsformen. Hier sollen nur zwei relevante Netzwerke<br />
nach einem sehr vereinfachten Schema genannt wer<strong><strong>de</strong>n</strong>.<br />
(1) Das fundamentalistische Netzwerk verbin<strong>de</strong>t in einer<br />
transkonfessionellen Spiritualität sowohl protestantische<br />
wie katholische Gruppierungen, erstreckt sich aber auch<br />
quer durch die Religionen. Bei oftmals bestehen<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Doppelmitgliedschaft ziehen sich die Gläubigen aus <strong><strong>de</strong>n</strong><br />
angestammten Gemein<strong><strong>de</strong>n</strong> zurück und wer<strong><strong>de</strong>n</strong> gleichsam<br />
ferngesteuert von Neuoffenbarungen o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>n</strong> technischen<br />
Mitteln <strong><strong>de</strong>r</strong> elektronischen Kirche (mit Satelliten-<br />
Gläubigen <strong>de</strong>s Ju<strong><strong>de</strong>n</strong>tums.<br />
9 H. W. Turner, in J. R. Hinnells (ed.), A New Handbook of Living Religions,<br />
London 1997, 584.
programmen o<strong><strong>de</strong>r</strong> Internet-Provi<strong><strong>de</strong>r</strong>n). Vor allem Menschen mit<br />
ängstlichen Befürchtungen angesichts sozialer und<br />
persönlicher Krisen geraten unter <strong><strong>de</strong>n</strong> Einfluß solcher<br />
Botschaften, die eine evangelische Selbstsicherheit<br />
vermitteln.<br />
(2) Dem gegenüber spricht das pentekostal-charismatische<br />
Netzwerk eher die emotionale Seite eines<br />
Erfahrungschristentums an. Neben <strong><strong>de</strong>r</strong> typischen<br />
enthusiastischen Spiritualität und <strong>de</strong>m Verständnis <strong>de</strong>s<br />
Glaubens als Therapie und Heilung wird hier oftmals <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Glaube als <strong>“</strong>Entrückung <strong>”</strong> [ <strong>“</strong> state of rapture <strong>”</strong>] angesehen,<br />
wobei die wahren Gläubigen bereits jetzt an <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Herrlichkeit Christi teilhaben und nicht mehr <strong>de</strong>m irdischen<br />
<strong>“</strong> Tal <strong><strong>de</strong>r</strong> Tränen<strong>”</strong> ausgeliefert sind. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Konsequenz<br />
mangelt die Bereitschaft, soziale Verantwortung zu<br />
übernehmen; die persönliche Heiligung und Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>geburt<br />
stehen im Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>grund.<br />
Nach <strong><strong>de</strong>r</strong> knappen Darstellung <strong><strong>de</strong>r</strong> Reziprozität von kirchlichen<br />
und außerkirchlichen Spiritualitätsformen möchte ich nun in<br />
einem weiteren Teil in eben solcher Kürze einige Aspekte <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
kirchlichen Reaktion auf die Herausfor<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
pfingstkirchlichen Gemein<strong><strong>de</strong>n</strong> aufzeigen.<br />
3 Dialog <strong><strong>de</strong>r</strong> spirituellen Erfahrung<br />
Wie die große Bandbreite <strong><strong>de</strong>r</strong> vorgelegten Studien (dieser<br />
Konferenz) zeigt, ist es an <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit, eine neue Form <strong>de</strong>s Dialogs<br />
mit <strong><strong>de</strong>n</strong> Neuen Religiösen Bewegungen innerhalb und außerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Kirche zu entwickeln. Wenn Kardinal Walter Kasper die Kirchen<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Reformation als <strong>“</strong>Kirchen neuen Typs <strong>”</strong> anspricht, bringt er<br />
neben <strong><strong>de</strong>n</strong> Unterschie<strong><strong>de</strong>n</strong> von Dogma und Selbstverständnis<br />
insbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e ein spezifisches Verständnis <strong>de</strong>s ökumenischen<br />
Gesprächs zum Ausdruck. Wie die Kirche die Elemente von Wahrheit<br />
und Heiligkeit in <strong><strong>de</strong>n</strong> Weltreligionen anerkennt (Nostra aetate,<br />
2), so erkennt sie auch die Elemente <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligung und <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Wahrheit in <strong><strong>de</strong>n</strong> kirchlichen Gemeinschaften an (Lumen gentium,<br />
8). Diese Elemente lassen sich nicht nur theoretisch<br />
diskutieren; sie fließen gera<strong>de</strong> in ihrem praktischen Vollzug als<br />
Weg <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligung zusammen. Theologisch spricht man von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Offenbarungsökonomie und <strong><strong>de</strong>r</strong> Heilsökonomie als <strong><strong>de</strong>n</strong><br />
Kristallisationspunkten <strong><strong>de</strong>r</strong> dogmatischen Darstellung <strong>de</strong>s<br />
Glaubens; bei<strong>de</strong> sind aber von <strong><strong>de</strong>r</strong> Ökonomie <strong><strong>de</strong>r</strong> spirituellen<br />
Erfahrung umfaßt, die ihren Nährbo<strong><strong>de</strong>n</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> Volksreligion<br />
innerhalb und außerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche hat.<br />
Ein theologischer Dialog versteht sich darum auch als<br />
Nachvollzug <strong><strong>de</strong>r</strong> Initiation, als Kontextualisierung und als<br />
unmittelbares (Mit-)Teilen von lebendiger <strong>Geist</strong>erfahrung. Dazu<br />
kommt die Verortung in <strong><strong>de</strong>r</strong> volkstümlichen Religiosität und ihrem
synkretistischem Charakter. Die positive Sicht auf die einfache<br />
Religion 10 <strong>de</strong>s Volkes seitens <strong><strong>de</strong>r</strong> Päpste, trotz ihrer Ambivalenz<br />
und Notwendigkeit zur Reinigung, öffnet <strong><strong>de</strong>n</strong> Blick auf eine neue<br />
Ebene <strong>de</strong>s Dialogs, in <strong><strong>de</strong>r</strong>en Mitte die einfachen Menschen stehen.<br />
So hat Johannes Paul II. häufig seine Wertschätzung zum Ausdruck<br />
gebracht:<br />
<strong>“</strong> Die Volksfrömmigkeit ist eine privilegierte Ausdrucksform<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Inkulturation <strong>de</strong>s Glaubens. Es han<strong>de</strong>lt sich nicht nur<br />
um religiöse Formen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um Werte, Kriterien,<br />
Verhaltensweisen und Haltungen die aus <strong>de</strong>m katholischen<br />
Dogma erwachsen, die das Wissen unseres Volkes begrün<strong><strong>de</strong>n</strong><br />
und seine kulturelle Matrix bil<strong><strong>de</strong>n</strong>. <strong>”</strong> 11<br />
Und er fügt hinzu:<br />
<strong>“</strong> Man darf nicht vergessen, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Proselytismus <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Sekten, wie auch die Gefahr <strong>de</strong>s Säkularismus, ihre<br />
Anhaltspunkte im Verschwin<strong><strong>de</strong>n</strong> jener kulturellen und<br />
religiösen Ausdrucksformen fin<strong><strong>de</strong>n</strong>, die selbst in ihrer<br />
Einfachheit und Begrenztheit <strong>de</strong>m einfachen Volk die<br />
Erfahrungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Religiosität, <strong><strong>de</strong>r</strong> Brü<strong><strong>de</strong>r</strong>lichkeit und <strong>de</strong>s<br />
familiären und sozialen Zusammenlebens zusicherten. <strong>”</strong> 12<br />
Aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Zusammenschau dieser Elemente ergibt sich die<br />
Notwendigkeit einer neuen und spezifischen Form <strong>de</strong>s Dialogs mit<br />
Spiritualitätsformen, die im weiteren Sinn aus synkretistischen<br />
Bewegungen hervorgehen und <strong>de</strong>ssen Metho<strong><strong>de</strong>n</strong> im Einzelnen noch zu<br />
entwickeln wären. Solche spontanen o<strong><strong>de</strong>r</strong> bewusst konstruierten<br />
Aggregationen stehen komplementär zueinan<strong><strong>de</strong>r</strong>; sie bringen eine<br />
neue Phase <strong><strong>de</strong>r</strong> Religionskritik zum Ausdruck, bei <strong><strong>de</strong>r</strong> nicht mehr<br />
die Religion als solche abgelehnt wird, wohl aber die religiösen<br />
Beziehungen <strong>de</strong>s Menschen zu Gott in Frage gestellt wer<strong><strong>de</strong>n</strong>.<br />
An<strong><strong>de</strong>r</strong>s als von Atheismus kann man hier von einem Prä-theismus<br />
sprechen in <strong>de</strong>m Sinn, dass Gott nicht ausdrücklich geleugnet<br />
wird, aber seine Erkenntnis von allen möglichen Zwischenstufen<br />
überlagert ist. Häufig erreichen die Vorstellungen vom <strong>Geist</strong> als<br />
kosmische Energie o<strong><strong>de</strong>r</strong> rein subjektiv-emotionale Erfahrung nicht<br />
die Offenbarung <strong><strong>de</strong>r</strong> personalen Relationen innerhalb <strong>de</strong>s<br />
trinitarischen Gottesbil<strong>de</strong>s.<br />
In analoger Weise bezieht sich diese Form <strong><strong>de</strong>r</strong> Religionskritik<br />
auch auf eine Vorform von Kirche, eine Prä-ekklesiologie, in <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
eine Vielzahl von kirchlichen Elementen vorhan<strong><strong>de</strong>n</strong> ist, aber die<br />
10<br />
Paul VI, Enzyklika Evangelii nuntiandi (1975), 48: <strong>“</strong> Darum nennen wir sie<br />
gern Volksfrömmigkeit, das heißt Religion <strong>de</strong>s Volkes, anstatt Religiosität. <strong>”</strong><br />
11<br />
Johannes Paul II, Apertura <strong>de</strong>i lavori <strong>de</strong>lla IV Conferenza Generale<br />
<strong>de</strong>ll'Episcopato latino-americano (12.10.1992), 13, in Insegnamenti di<br />
Giovanni Paolo II, XV, 2 (1992) 324.<br />
12<br />
Johannes Paul II, An die Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Bischofskonferenz von Ecuador bei<br />
ihrem Ad limina Besuch (21.06.1994), zitiert nach: http://www.vatican.va/<br />
holy_father/ john_paul_ii/ speeches/ 1994/ june/ documents/ hf-jpii_spe_19940621_limina-ecuador_it.html.
vollständige Verbindung mit <strong>de</strong>m mystischen Leib Christi noch<br />
nicht ein<strong>de</strong>utig geklärt ist. Das ökumenische Prinzip <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>“</strong> Hierarchie <strong><strong>de</strong>r</strong> Wahrheiten <strong>”</strong> (UR 11) zeigt hier die<br />
Methodologie <strong>de</strong>s Dialogs an.<br />
4 Die Diskussion um das <strong>“</strong>Subsistit in <strong>”</strong><br />
Die Kirchenkonstitution Lumen gentium, 8, eröffnet eine<br />
Dialektik zwischen <strong><strong>de</strong>r</strong> sozialen und spirituellen Realität <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Kirche. Bei<strong>de</strong> wer<strong><strong>de</strong>n</strong> als weitgehend <strong>de</strong>ckungsgleich angesehen.<br />
Der Text ermöglicht aber gleichzeitig auch ein weiteres<br />
Verständnis, in<strong>de</strong>m er erlaubt, neben <strong><strong>de</strong>n</strong> Kirchen in <strong><strong>de</strong>r</strong> vollen<br />
hierarchischen Tradition auch an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Organisationsformen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Gemein<strong>de</strong> Christi, wie <strong><strong>de</strong>n</strong> Kirchen aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Reformation,<br />
wesentliche ekklesiologische Elemente zuzuerkennen. Damit wird<br />
die Sichtweise <strong><strong>de</strong>r</strong> Trennung und <strong><strong>de</strong>r</strong> Sekten überwun<strong><strong>de</strong>n</strong> und<br />
Evangelikale, Pfingstkirchen und Charismatiker lassen sich als<br />
<strong>“</strong> Zeichen <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit <strong>”</strong> auf <strong>de</strong>m Weg zur einen Kirche Christi<br />
betrachten.<br />
Diese Offenheit ergibt sich genau aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Formel, die häufig als<br />
Engführung auf die katholische Kirche verstan<strong><strong>de</strong>n</strong> wird. Eine<br />
klären<strong>de</strong> Unterscheidung hinsichtlich <strong>de</strong>s vielkommentierten<br />
subsistit in ist darum vonnöten. In Lumen gentium, 8, heißt es:<br />
<strong>“</strong> Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und<br />
geordnet, ist verwirklicht in <strong><strong>de</strong>r</strong> katholischen Kirche, die<br />
vom Nachfolger Petri und von <strong><strong>de</strong>n</strong> Bischöfen in Gemeinschaft<br />
mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, daß<br />
außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligung<br />
und <strong><strong>de</strong>r</strong> Wahrheit zu fin<strong><strong>de</strong>n</strong> sind, die als <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche Christi<br />
eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen [...]<br />
So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer<br />
Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegrün<strong>de</strong>t, um<br />
irdische Herrlichkeit zu suchen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um Demut und<br />
Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten. <strong>”</strong><br />
In einer dogmatisch-hierarchischen Betrachtung 13 wird das<br />
subsistit in weithin exklusiv verstan<strong><strong>de</strong>n</strong> und im vollen Sinn nur<br />
auf die römisch-katholische Kirche bezogen - und dabei wird in<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Konsequenz an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Denominationen das volle Kirche-sein<br />
abgesprochen. Jedoch nimmt bereits das unmittelbare Umfeld <strong>de</strong>s<br />
Textes die Dispensation <strong><strong>de</strong>r</strong> heilsnotwendigen Elemente über ihre<br />
sichtbaren Rän<strong><strong>de</strong>r</strong> hinaus an und fügt die Kirche als sowohl<br />
hierarchische wie geistliche Wirklichkeit zusammen. Das<br />
<strong>“</strong> Subsistit in <strong>”</strong> erscheint also in einer Innen- und Außensicht<br />
als <strong><strong>de</strong>r</strong> eine Leib Christi in <strong><strong>de</strong>r</strong> überbor<strong><strong>de</strong>n</strong><strong><strong>de</strong>n</strong> Vielfalt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Heils- und Wahrheitselemente. So heißt es im selben Abschnitt<br />
13<br />
Kongregation für die Glaubenslehre, Antworten auf Fragen zu einigen<br />
Aspekten bezüglich <strong><strong>de</strong>r</strong> Lehre über die Kirche, Vatikanstaat 2011.
von Lumen gentium:<br />
<strong>“</strong> Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft<br />
und <strong><strong>de</strong>r</strong> geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare<br />
Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische<br />
Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind<br />
nicht als zwei verschie<strong><strong>de</strong>n</strong>e Größen zu betrachten, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
bil<strong><strong>de</strong>n</strong> eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus<br />
menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. Deshalb<br />
ist sie in einer nicht unbe<strong>de</strong>uten<strong><strong>de</strong>n</strong> Analogie <strong>de</strong>m Mysterium<br />
<strong>de</strong>s fleischgewor<strong><strong>de</strong>n</strong>en Wortes ähnlich. Wie nämlich die<br />
angenommene Natur <strong>de</strong>m göttlichen Wort als lebendiges, ihm<br />
unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz<br />
ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche <strong>de</strong>m<br />
<strong>Geist</strong> Christi, <strong><strong>de</strong>r</strong> es belebt, zum Wachstum seines Leibes<br />
(vgl. Eph 4,16).<strong>”</strong><br />
Das methodologische Prinzip bei H. U. von Balthasar ist hier<br />
wichtig, <strong><strong>de</strong>r</strong> im Blick auf die Offenbarung und Heilsmittlerschaft<br />
Jesu Christi vom <strong>“</strong>Sehen <strong><strong>de</strong>r</strong> Gestalt <strong>”</strong> [ <strong>“</strong> Seeing the form <strong>”</strong>]<br />
spricht:<br />
<strong>“</strong> Der Gehalt liegt nicht hinter <strong><strong>de</strong>r</strong> Gestalt, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n in<br />
ihr. Wer die Gestalt nicht zu sehen und zu lesen vermag,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> verfehlt eben damit auch <strong><strong>de</strong>n</strong> Gehalt. Wem die Gestalt<br />
nicht einleuchtet, <strong>de</strong>m wird auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Gehalt kein Licht<br />
wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. <strong>”</strong> 14<br />
Die verborgene Anwesenheit Christi im Heiligen <strong>Geist</strong> erstreckt<br />
sich auch über die Grenzen <strong><strong>de</strong>r</strong> kategorialen Offenbarung hinaus,<br />
und es bedarf eines rechten <strong>“</strong>Sehens <strong>”</strong>, um die <strong>“</strong>Gestalt <strong>”</strong><br />
Christi in <strong><strong>de</strong>r</strong> Gebrochenheit seiner geschichtlichen<br />
Verwirklichungen zu erkennen. Dies be<strong>de</strong>utet nicht die<br />
Anerkennung eines undifferenzierten Pluralismus von<br />
Heilsangeboten, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n gera<strong>de</strong> die Betonung <strong><strong>de</strong>r</strong> Fülle <strong>de</strong>s Heils<br />
in seiner geschichtlichen Einmaligkeit, die in ihm für die ganze<br />
Menschheit anwesend ist. Übertragen auf die Ekklesiologie<br />
be<strong>de</strong>utet dies ein Festhalten an <strong><strong>de</strong>r</strong> einzigen Verwirklichung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
von Christus gewollten Kirche in ihrer vollen Form bei<br />
gleichzeitiger Akzeptanz <strong><strong>de</strong>r</strong> über ihre Grenzen hinausführen<strong><strong>de</strong>n</strong><br />
Dynamik.<br />
A. Grillmeier kommentiert in seinem Konzilskommentar die<br />
Spannung zwischen <strong><strong>de</strong>r</strong> universalen Heilsmittlerschaft Christi und<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Heilsnotwendigkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> katholischen Kirche als die<br />
geschichtlich verfaßte Einheit von Teilkirchen in <strong><strong>de</strong>r</strong> sichtbaren<br />
Gemeinschaft mit <strong>de</strong>m Bischof von Rom. Für ihn ist eine mögliche<br />
Kirchlichkeit außerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong> einen Kirche Christi zu verstehen<br />
als<br />
14 H. U. von Balthasar, Herrlichkeit, I: Schau <strong><strong>de</strong>r</strong> Gestalt, Einsie<strong>de</strong>ln - Trier<br />
1961, 144.
<strong>“</strong> [...] in die Trennung hineingerettete wahre Güter <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Stiftung Christi [...]: das Offenbarungswort und die<br />
Sakramente und auch das Amt, das Priestertum. Dadurch ist<br />
außerkatholische <strong>“</strong>Kirchlichkeit<strong>”</strong> in Teilhabe an <strong><strong>de</strong>r</strong> einen<br />
Stiftung Christi verwirklicht. Auch diese Kirchlichkeit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
nicht-katholischen Kirchen und Gemeinschaften ist von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
I<strong>de</strong>e <strong><strong>de</strong>r</strong> Sakramentalität (Einheit von Zeichen und<br />
Bezeichnetem) her zu klären. <strong>”</strong> 15<br />
Grillmeier verweist auf <strong><strong>de</strong>n</strong> größeren Kontext in Lumen gentium,<br />
15, wo die vorhan<strong><strong>de</strong>n</strong>en ekklesiologischen Elemente positiv<br />
gewürdigt wer<strong><strong>de</strong>n</strong>:<br />
<strong>“</strong>Mit jenen, die durch die Taufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Ehre <strong>de</strong>s<br />
Christennamens teilhaft sind, <strong><strong>de</strong>n</strong> vollen Glauben aber nicht<br />
bekennen o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Einheit <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemeinschaft unter <strong>de</strong>m<br />
Nachfolger Petri nicht wahren, weiß sich die Kirche aus<br />
mehrfachem Grun<strong>de</strong> verbun<strong><strong>de</strong>n</strong>. Viele nämlich halten die<br />
Schrift als Glaubens- und Lebensnorm in Ehren, zeigen einen<br />
aufrichtigen religiösen Eifer, glauben in Liebe an Gott,<br />
<strong><strong>de</strong>n</strong> allmächtigen Vater, und an Christus, <strong><strong>de</strong>n</strong> Sohn Gottes<br />
und Erlöser, empfangen das Zeichen <strong><strong>de</strong>r</strong> Taufe, wodurch sie<br />
mit Christus verbun<strong><strong>de</strong>n</strong> wer<strong><strong>de</strong>n</strong>. [...] Dazu kommt die<br />
Gemeinschaft im Gebet und in an<strong><strong>de</strong>r</strong>en geistlichen Gütern; ja<br />
sogar eine wahre Verbindung im Heiligen <strong>Geist</strong>e, <strong><strong>de</strong>r</strong> in<br />
Gaben und Gna<strong><strong>de</strong>n</strong> auch in ihnen mit seiner heiligen<strong><strong>de</strong>n</strong> Kraft<br />
wirksam ist und manche von ihnen bis zur Vergießung <strong>de</strong>s<br />
Blutes gestärkt hat. <strong>”</strong><br />
An dieser Stelle öffnet sich die ganze Fülle <strong><strong>de</strong>r</strong> kontroversen<br />
Themen, die in ehrlichem Dialog mit Evangelikalen,<br />
Pfingstkirchen und Charismatikern geklärt wer<strong><strong>de</strong>n</strong> müssen. Wenn<br />
sich auf <strong><strong>de</strong>r</strong> einen Seite die volle communio <strong>de</strong>s Leibes Christi<br />
in <strong><strong>de</strong>r</strong> Teilhabe am Sakrament <strong><strong>de</strong>r</strong> Eucharistie zeigt und<br />
gegenwärtig <strong><strong>de</strong>n</strong> aufrichtigen Schmerz über die Trennung offen<br />
legt, so ist auf <strong><strong>de</strong>r</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Seite das Wort von <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche als<br />
<strong>“</strong> universales Heilssakrament <strong>”</strong> (Lumen gentium, 1) durchaus<br />
inklusiv zu verstehen und könnte eine neue Betrachtung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
nicht-katholischen Gemeinschaften ermöglichen.<br />
5 Eine neue Pentekostalität <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche<br />
Ohne ausdrücklich <strong><strong>de</strong>n</strong> Begriff zu verwen<strong><strong>de</strong>n</strong>, ermahnt das<br />
Schlussdokument <strong><strong>de</strong>r</strong> 5. Generalversammlung <strong>de</strong>s Episkopats von<br />
Lateinamerika und <strong><strong>de</strong>r</strong> Karibik in Aparecida (2007) 16 zu einer<br />
neuen Pentekostalität. Der Ruf nach einem <strong>“</strong>neuen Pfingsten <strong>”</strong><br />
15 A. Grillmeier, in Lexikon für Theologie und Kirche. Das Zweite Vatikanische<br />
Konzil. Kommentare, Teil I, Freiburg-Basel-Wien 1966, 175.<br />
16<br />
Deutscher Text in Sekretariat <strong><strong>de</strong>r</strong> Deutschen Bischofskonferenz (Hg.),<br />
Stimmen <strong><strong>de</strong>r</strong> Weltkirche Nr. 41 (2007).
zieht sich wie ein roter Fa<strong><strong>de</strong>n</strong> durch das Dokument und macht sich<br />
damit ein Grundanliegen <strong><strong>de</strong>r</strong> Pfingstbewegung zu eigen. Die Geburt<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche zu Pfingsten wird über das historische Ereignis<br />
hinaus zu einer konstituieren<strong><strong>de</strong>n</strong> Gabe, die ihre missionarische<br />
Dynamik in je<strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit entfaltet. Sowohl das Charisma <strong><strong>de</strong>r</strong> sich<br />
entwickeln<strong><strong>de</strong>n</strong> kirchlichen Institution wie auch die lebendige<br />
Glaubenspraxis <strong><strong>de</strong>r</strong> getauften <strong>“</strong>Heiligen <strong>”</strong> (Röm 1, 7; Kol 3, 12)<br />
gehen auf das Urphänomen <strong><strong>de</strong>r</strong> historischen <strong>Geist</strong>sendung zurück.<br />
Die Universalität o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>“</strong>Ökumene<strong>”</strong> <strong>de</strong>s <strong>Geist</strong>es Christi, die sich<br />
an Pfingsten manifestiert, ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Ermöglichungsgrund sowohl <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
universalen Katholizität <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche (ad extra) wie auch <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Kirche als <strong>Geist</strong>gemeinschaft (ad intra). In <strong><strong>de</strong>r</strong> Öffnung für das<br />
stürmische Wirken <strong>de</strong>s Gottesgeistes bewahrt je<strong>de</strong> Person ihre<br />
Kultur und Originalität und wird doch gleichzeitig in eine<br />
lebendige Solidargemeinschaft <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche integriert. Der Bericht<br />
von <strong><strong>de</strong>r</strong> Taufe <strong>de</strong>s römischen Hauptmannes Cornelius (Apg 10-11)<br />
sieht in <strong><strong>de</strong>r</strong> doppelten Bekehrung <strong>de</strong>s Petrus und <strong>de</strong>s Hei<strong><strong>de</strong>n</strong> <strong><strong>de</strong>n</strong><br />
<strong>Geist</strong> <strong>de</strong>s Auferstan<strong><strong>de</strong>n</strong>en am Werk. Der pfingstliche <strong>Geist</strong> setzt<br />
sich strukturell in eine größere Synodalität und communio-<br />
Ekklesiologie <strong>de</strong>s Volkes Gottes fort, welche die Kirche immer<br />
mehr zu einer <strong>“</strong>Gemeinschaft von Gemeinschaften <strong>”</strong> reifen läßt.<br />
Johannes Paul II versteht <strong><strong>de</strong>n</strong> Prozeß <strong><strong>de</strong>r</strong> Neuevangelisierung<br />
gleichermaßen im passiven wie aktiven Sinn. In <strong>de</strong>m Maß wie die<br />
Kirche sich selbst zur Begeisterung <strong>de</strong>s Anfangs bekehrt, kann<br />
sie auch missionarisch in die Welt hinausstrahlen. 17 Die<br />
ökumenische Weite <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche Christi und das fortdauern<strong>de</strong><br />
Prinzip <strong><strong>de</strong>r</strong> Pentekostalität sind weitgehend <strong>de</strong>ckungsgleich, wie<br />
das Abschlußdokument von Aparecida feststellt:<br />
<strong>“</strong> Der Herr gießt also heute immer noch sein Leben aus, wenn<br />
die Kirche „in <strong><strong>de</strong>r</strong> Kraft <strong>de</strong>s vom Himmel gesandten Heiligen<br />
<strong>Geist</strong>es <strong>“</strong> (1 Petr 1, 12) die Sendung fortsetzt, die Jesus<br />
Christus von seinem Vater empfing (vgl. Joh 20, 21). <strong>”</strong> (n.<br />
151)<br />
Wichtig ist hier die Rückbindung an die Apostolische Tradition<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche und an die eucharistische Gemeinschaft, die aber<br />
offen ist für die Zeichen <strong>de</strong>s <strong>Geist</strong>es Christi über ihre Grenzen<br />
hinaus. Pentekostalität schafft auch eine mütterliche Kirche,<br />
welche die Armen in ihren Sorgen und Nöten annimmt und<br />
beschützt. In diesem <strong>Geist</strong> <strong>de</strong>s Sich-berühren-lassens und <strong>de</strong>s<br />
tatkräftigen Zeugnisses vermag ein je<strong><strong>de</strong>r</strong> die Großtaten Gottes in<br />
seiner Sprache zu verkün<strong><strong>de</strong>n</strong>. Der Missionsbefehl in seiner<br />
klassischen Übersetzung <strong>“</strong>Geht hinaus in die ganze Welt . . . <strong>”</strong><br />
(Mk 16, 15) ruft nicht einfach zur territorialen Aus<strong>de</strong>hnung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Mission auf alle Völker, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n bringt gleichzeitig die<br />
prozesshafte Dynamik einer geistgewirkten Beweglichkeit und<br />
Konfrontation zum Ausdruck: <strong>“</strong> Im Hinausgehen in alle Welt<br />
verkün<strong>de</strong>t. . . <strong>”</strong> [gr.: <strong>“</strong>poreuthentes <strong>”</strong>; lat.: <strong>“</strong>euntes <strong>”</strong>]. Die<br />
Pentekostalität wird hier zum <strong>Geist</strong> <strong>de</strong>s Dialogs, wie Aparecida<br />
anmerkt:<br />
17 Novo millennio ineunte (2001), 40.
<strong>“</strong> In dieser neuen Etappe <strong><strong>de</strong>r</strong> Evangelisierung möchten wir,<br />
dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Dialog und die ökumenische Zusammenarbeit zu neuen<br />
gemeinschaftlichen Formen <strong><strong>de</strong>r</strong> Jüngerschaft und Mission<br />
führen. Wir stellen fest, dass dort, wo <strong><strong>de</strong>r</strong> Dialog<br />
stattfin<strong>de</strong>t, weniger Proselytenmacherei herrscht, dass das<br />
Wissen umeinan<strong><strong>de</strong>r</strong> und die gegenseitige Respektierung<br />
zunehmen und sich Möglichkeiten gemeinsamen Zeugnisses<br />
eröffnen. <strong>”</strong> (n. 233)<br />
6 Einige pastorale Konsequenzen<br />
Bei einer aufmerksamen Lektüre <strong><strong>de</strong>r</strong> Dokumente <strong>de</strong>s Magisteriums<br />
ergibt sich ein Mosaik von Antworten auf die spezifischen<br />
Herausfor<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen dieser konfliktträchtigen Orientierungen und<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Schatten-religiosität im Grenzbereich von ökumenischem und<br />
interreligiösem Dialog. Ohne hier ein konkretes Pastoralkonzept<br />
vorstellen zu können, möchte ich nur eine Liste von relevanten<br />
Texten 18 anführen, aus <strong><strong>de</strong>n</strong>en sich ein Direktorium für die<br />
Pastoral erstellen ließe. Für die pastorale Arbeit einer<br />
<strong>“</strong> dialogischen Apologetik <strong>”</strong> ergeben sich vor allem zwei<br />
dringen<strong>de</strong> For<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen, für die ein institutioneller Rahmen<br />
entwickelt wer<strong><strong>de</strong>n</strong> müsste.<br />
(1) Auf abgestuften hierarchischen Ebenen <strong><strong>de</strong>r</strong> Universalkirche,<br />
von nationalen und gegebenenfalls diözesanen Bischofskonferenzen<br />
sollten <strong>“</strong>Run<strong>de</strong> Tische <strong>”</strong> von Spezialisten geschaffen wer<strong><strong>de</strong>n</strong>,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong>en Arbeit miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong> verknüpft ist. Ihre Aufgabe:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Beobachtung <strong><strong>de</strong>r</strong> multireligiösen und ökumenischen Situation;<br />
Bereitstellung von kritischem Informationsmaterial;<br />
Erarbeitung von katechetischem Material sowie Revision von<br />
Unterrichtsmaterialien;<br />
Formation von Lehrern und pastoralen Mitarbeitern.<br />
Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong> dieser Arbeitsgruppen wären (a) Vertreter <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
interessierten vatikanischen Kongregationen und Räte (Neuauflage<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> interdikasteriellen Arbeitsgruppe <strong><strong>de</strong>r</strong> 80er Jahre), (b)<br />
nationale und lokale Institute, (c) Vertreter von Caritas und<br />
Migrantenseelsorge, (d) Vertreter von ökumenischen und<br />
18<br />
Enzyklika Re<strong>de</strong>mptoris missio (1990); PCID - Kongregation für die<br />
Evangelisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> Völker, Dialog und Verkündigung (1991), 13; Sekretariat<br />
zur För<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong><strong>de</strong>r</strong> christlichen Einheit, Sekretariat für Nichtchristen,<br />
Sekretariat für Nicht-Glauben<strong>de</strong>, Päpstlicher Rat für die Kultur, Sekten o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Neue Religiöse Bewegungen. Ein Zwischenbericht (1986), Origins vol. 16, No. 1<br />
(22 May 1986); Französisches Original in La Documentation Catholique, No.<br />
1919 (1.06.1986); Kongregation für <strong><strong>de</strong>n</strong> Klerus, Direktorium für die Katechese,<br />
1997, 203; Päpstlicher Rat zur För<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong><strong>de</strong>r</strong> Einheit <strong><strong>de</strong>r</strong> Christen, Die<br />
ökumenische Dimension in <strong><strong>de</strong>r</strong> Ausbildung/Bildung <strong><strong>de</strong>r</strong>er, die in <strong><strong>de</strong>r</strong> Pastoral<br />
tätig sind (1998); Johannes Paul II, Novo millennio ineunte (2001);<br />
Päpstlicher Rat für Kultur - Päpstlicher Rat für Interreligiösen Dialog,<br />
Jesus Christ the Bearer of the Water of Life (2003) (unvollständige Liste).
interreligiösen Initiativen.<br />
An dieser Stelle erwähne ich ausdrücklich mit großem Dank die<br />
überkonfessionelle Arbeit <strong><strong>de</strong>r</strong> EZW [Evangelische Zentralstelle<br />
für Weltanschauungsfragen, Berlin], das von Prof. Johs Aargaard<br />
gegrün<strong>de</strong>te Dialogcentret International [Arhus] mit seinen<br />
vielfältigen Kontakten in die Welt <strong><strong>de</strong>r</strong> Orthodoxie sowie die<br />
katholische Arbeitsgruppe von Frau Dr. Frie<strong><strong>de</strong>r</strong>ike Valentin,<br />
Joachim Müller, Hans Gasper mit ihren zahlreichen – und immer<br />
noch aktuellen – Publikationen. Es ist sehr zu bedauern – und<br />
darf hier kritisch angemerkt wer<strong><strong>de</strong>n</strong> – dass gegenwärtig zumin<strong>de</strong>st<br />
im katholischen Bereich kaum noch Interesse an dieser Arbeit<br />
besteht. Ein weltweites Forschungsprojekt seitens <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>Katholisch</strong>en Universitäten (FIUC / IFCU) 19 hat über seine<br />
Erwähnung im IV. Außeror<strong><strong>de</strong>n</strong>tlichen Konsistorium <strong><strong>de</strong>r</strong> Kardinäle<br />
von 1991 hinaus keine Fortsetzung mehr gefun<strong><strong>de</strong>n</strong>.<br />
(2) In zweiter Linie wäre es dringend notwendig, neue pastorale<br />
Dienstämter für qualifizierte Laien zu schaffen, die in <strong><strong>de</strong>r</strong> Lage<br />
sind, eine <strong>“</strong>Diakonie an <strong><strong>de</strong>r</strong> Wahrheit <strong>”</strong> (Fi<strong>de</strong>s et ratio, 2)<br />
auszuüben und eine praktische Orientierung in <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
spirituellen Angebote zu geben. Ihre Aufgabe läßt sich<br />
stichpunktartig umschreiben:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Spirituelle Begleitung für suchen<strong>de</strong> Menschen <strong>“</strong> auf <strong>de</strong>m<br />
Weg <strong>”</strong>, die nach einer Orientierung im Pluralismus <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
konfliktträchtigen Spiritualitätsformen suchen.<br />
Spirituelle Angebote für Menschen, die sich von einer Sekte<br />
gelöst haben und nun Hilfe bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Annäherung an die Kirche<br />
benötigen. Hier wären beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s Personen geeignet, die<br />
selbst einen solchen Konversions-prozeß durchgemacht haben.<br />
Entwicklung von neuen liturgischen Ausdrucksformen und<br />
Symbolen, die offen sind für eine interkulturelle<br />
Integration und die aus <strong>de</strong>m Reichtum ökumenischer<br />
Spiritualität schöpfen. Hier wäre beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s eine<br />
Vertrautheit mit Gebetsformen, aber auch mit Heilungsriten<br />
gefragt, die eine Integration von Körper und Seele<br />
ermöglichen.<br />
Spirituelle Begleitung <strong><strong>de</strong>r</strong> Gemein<strong>de</strong> – nach <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll<br />
traditioneller Bru<strong><strong>de</strong>r</strong>schaften – an Kernpunkten <strong>de</strong>s<br />
alltäglichen Lebens (Geburt, Hochzeit, Begräbnis), die<br />
allzu oft in <strong><strong>de</strong>r</strong> Anonymität bleiben. Aufgabe wäre hier die<br />
Aktualisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> gelebten Volksfrömmigkeit.<br />
7 Zusammenschau [Convergence]<br />
Die Dialektik <strong><strong>de</strong>r</strong> Essstäbchen-Theologie sollte zu einer<br />
aufrichtigen Metanoia, einem missionarischen Denken führen. Die<br />
19<br />
Veröffentlicht in M. A. Fuss (ed.), Rethinking New Religious Movements,<br />
Rome: PUG 1998.
Wahrnehmung einer neuen Pentekostalität als Wesensgrund <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
apostolischen Kirche sollte zu einer pastoralen Performance<br />
hinleiten. Der Römerbrief 12, 2 stellt uns <strong><strong>de</strong>n</strong> gesamten Prozess<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>setzung mit <strong><strong>de</strong>n</strong> christlichen und<br />
außerchristlichen religiösen Bewegungen vor Augen:<br />
<strong>“</strong> Gleicht euch nicht dieser Welt an, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n wan<strong>de</strong>lt euch<br />
und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen<br />
könnt, <strong>was</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Wille Gottes ist: <strong>was</strong> ihm gefällt, <strong>was</strong> gut<br />
und vollkommen ist. <strong>”</strong> (Röm 12, 2)<br />
Im griechischen Original spricht <strong><strong>de</strong>r</strong> Verfasser von <strong>“</strong>dieser<br />
Weltzeit <strong>”</strong> ( <strong>“</strong> a ion touto <strong>”</strong>) und macht einen wesentlichen<br />
Unterschied zwischen <strong>de</strong>m <strong>“</strong>sich angleichen <strong>”</strong> [ <strong>“</strong> b e conformed <strong>”</strong> ]<br />
und <strong>“</strong>wan<strong>de</strong>ln und erneuern <strong>”</strong> [ <strong>“</strong> be transformed by renewing <strong>”</strong>]. Es<br />
gibt wohl keine bessere Definition <strong>de</strong>s mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen New Age und <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
verwirren<strong><strong>de</strong>n</strong> Vielzahl an Neuen Religiösen Bewegungen als das<br />
flüchtige und unbestimmte <strong>“</strong>diese Ära <strong>”</strong>. In <strong><strong>de</strong>n</strong> bei<strong><strong>de</strong>n</strong> Wörtern<br />
ist zum einen das Zeitgenössische und Konkrete (<strong>“</strong> dieses <strong>”</strong>) <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
momentan vorherrschen<strong><strong>de</strong>n</strong> Mentalität, aber gera<strong>de</strong> auch das<br />
Fließen<strong>de</strong> und sich ständig Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>n<strong>de</strong> <strong>de</strong>s religiös-kulturellen<br />
Umfel<strong>de</strong>s ( <strong>“</strong>Zeitalter <strong>”</strong>) eingefangen – in mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ner<br />
Begrifflichkeit die <strong>“</strong>Liquidität <strong>”</strong> 20 <strong><strong>de</strong>r</strong> Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne und <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
angestrebte Durchbruch zu einem neuen Bewusstsein. Der saloppe<br />
Slogan, <strong>“</strong>Die Kirche hat immer die Sekten, die sie verdient <strong>”</strong> ,<br />
bringt genau diese Fluidität zum Ausdruck, aber auch das enge<br />
kritische Verhältnis, das die Kirche zum Hören auf die Welt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
alternativen religiösen Bewegungen einlädt.<br />
Der Römerbrief entfaltet diese kritische Bezogenheit mit <strong>de</strong>m<br />
Wortpaar von <strong>“</strong>schema <strong>”</strong> und <strong>“</strong> morphe <strong>”</strong>. Ein <strong>“</strong>Sich-angleichen <strong>”</strong><br />
[<strong>“</strong>be conformed<strong>”</strong> ] an das nivellieren<strong>de</strong> <strong>“</strong> Schema <strong>”</strong> einer<br />
Massengesellschaft nach <strong>de</strong>m Mo<strong>de</strong>ll einer post-mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen<br />
Bastelbiographie wird zurück gewiesen zugunsten einer<br />
grundlegen<strong><strong>de</strong>n</strong> Verwandlung ( <strong>“</strong>meta-morphesis <strong>”</strong>) [ <strong>“</strong> be<br />
transformed <strong>”</strong>] hin zu einer neuen Form, die <strong>de</strong>m Willen Gottes<br />
entspricht. Kirche als <strong><strong>de</strong>r</strong> in die flüchtige Zeit hineingesenkte<br />
Leib Christi, als <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>“</strong>wahre und angemessene Gottesdienst <strong>”</strong><br />
(Röm 12, 1), wird von Ihm her konstituiert und zeigt sich im<br />
gläubigen Geschehen-lassen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>“</strong> Verwandlung <strong>”</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Gläubigen in<br />
ein <strong>“</strong>lebendiges und heiliges Opfer <strong>”</strong> (Röm 12, 1). Das<br />
Verhältnis von Kirche, kirchlichen Gemeinschaften und nichtkonventionellen<br />
Spiritualitätsformen läßt sich darum nicht mit<br />
einem dogmatisch-formalen Schema festlegen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n nur im immer<br />
neuen Kirche-wer<strong><strong>de</strong>n</strong> von spirituellen Suchern. Hier darf erinnert<br />
wer<strong><strong>de</strong>n</strong> an das wertvolle Wort von Paul VI über die Kirche im<br />
Prozess <strong>de</strong>s ständigen Wer<strong><strong>de</strong>n</strong>s ( <strong>“</strong>in fieri <strong>”</strong>) 21 auf <strong>de</strong>m Weg zu<br />
20<br />
Zygmunt Baumann, Liquid Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nity, Cambridge 2000; Benedikt XVI, Pastoral<br />
visit to Aquileia and Venice. Meeting with representatives of the world of<br />
culture and of the economy, Basilica of Saint Mary of Health - Venice, 8 May<br />
2011.<br />
21 Paul VI, Che ne dite, Generalaudienz 24.11.1971, in Insegnamenti IX (1971)
einer <strong>“</strong>Hierarchie <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligkeit <strong>”</strong> und über die schrittweise<br />
<strong>“</strong> Epiphanie <strong>de</strong>s mystischen Leibes, <strong><strong>de</strong>r</strong> apostolisch strukturiert<br />
und spirituell belebt <strong>”</strong> ist.<br />
Dieser Prozess gilt in beson<strong><strong>de</strong>r</strong>er Weise für <strong><strong>de</strong>n</strong> ökumenischen<br />
Dialog und hier ruft die pfingstlich-charismatische<br />
Herausfor<strong><strong>de</strong>r</strong>ung an die Kirche vielleicht weniger nach<br />
Ausgrenzung <strong><strong>de</strong>n</strong>n nach einer Komplementarität im Sinne <strong>de</strong>s<br />
klassischen Wortes von <strong><strong>de</strong>n</strong> <strong>“</strong>zwei Hän<strong><strong>de</strong>n</strong>, <strong>de</strong>m Sohn und <strong>de</strong>m<br />
<strong>Geist</strong> <strong>”</strong> 22 , mit <strong><strong>de</strong>n</strong>en Gott seine Kirche formt und immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
erneuert. Die Metapher <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>“</strong>Essstäbchen-Theologie <strong>”</strong> kann hier<br />
nochmals hilfreich sein.<br />
1013.<br />
22 Irenäus von Lyon unter Bezug auf Is 64, 7: <strong>“</strong> Du, Herr, (bist) unser Vater.<br />
Wir sind <strong><strong>de</strong>r</strong> Ton, und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk <strong>de</strong>iner<br />
Hän<strong>de</strong>. <strong>”</strong>