22.11.2013 Aufrufe

Wissenschaft und Weltanschauung in der Urgeschichtsforschung

Wissenschaft und Weltanschauung in der Urgeschichtsforschung

Wissenschaft und Weltanschauung in der Urgeschichtsforschung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Wissenschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Weltanschauung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Urgeschichtsforschung</strong><br />

von Prof. Dr. K. H. Jacob-Friesen<br />

Von vielen unserer Fre<strong>und</strong>e werden wir immer wie<strong>der</strong> gefragt, wodurch sich denn die<br />

heutige Auffassung über die älteste Kultur unserer Vorfahren von <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

nationalsozialistischen Zeit mit soviel Propaganda unterstrichenen Lehre unterscheide,<br />

denn <strong>der</strong> vorgelegte F<strong>und</strong>stoff sei doch <strong>der</strong>selbe wie früher auch. Gewiß, <strong>der</strong> Stoff ist<br />

<strong>der</strong>selbe <strong>und</strong> wird immer - mit den durch neue F<strong>und</strong>e bed<strong>in</strong>gten Erweiterungen -<br />

<strong>der</strong>selbe bleiben, aber <strong>der</strong> große Unterschied zwischen früher <strong>und</strong> jetzt ist die Deutung<br />

des Stoffes. Hier stehen sich eben schroff <strong>Weltanschauung</strong> <strong>und</strong> <strong>Wissenschaft</strong> gegenüber.<br />

Was Rosenberg <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Trabanten als <strong>Weltanschauung</strong> bezeichneten, war weiter nichts<br />

als e<strong>in</strong>e Reihe von Dogmen, die zur Gr<strong>und</strong>lage aller Auffassungen gemacht wurden.<br />

Dogmen s<strong>in</strong>d aber Glaubenssätze, <strong>und</strong> Glaube beg<strong>in</strong>nt bekanntlich dort, wo das Wissen<br />

aufhört. Im Gegensatz zum starren Glauben versucht die <strong>Wissenschaft</strong>, durch immer<br />

tiefer schürfende Erkenntnisse zur Wahrheit vorzudr<strong>in</strong>gen, wobei sie nicht so überheblich<br />

ist, alle ihre Wege für die e<strong>in</strong>zig richtigen anzusehen.<br />

Gr<strong>und</strong>lage für alle wissenschaftlichen Forschungen müssen Tatsachen se<strong>in</strong>, aus denen<br />

Beweise gezogen werden können; es dürfen niemals Behauptungen aufgestellt werden,<br />

für die dann erst krampfhaft Beweismaterial herangezerrt wird. Vor allem muß die<br />

<strong>Wissenschaft</strong> unbed<strong>in</strong>gt frei se<strong>in</strong> von allen starren B<strong>in</strong>dungen, sie muß immer<br />

vorwärtsstreben <strong>und</strong> deswegen mitunter auch manche lange für richtig gehaltene<br />

Anschauung durch neue Erkenntnisse, die <strong>der</strong> Wahrheit näher kommen, ersetzen. Dabei<br />

muß e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>satz im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> stehen, nämlich <strong>der</strong>, ke<strong>in</strong>e Wunschbil<strong>der</strong> zu<br />

entwerfen, son<strong>der</strong>n die ganze Härte <strong>der</strong> nackten Tatsachen stets vor Augen zu haben.<br />

Diese Auffassung (siehe E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsens Urgeschichte, 3. Aufl. 1939) stand<br />

natürlich <strong>in</strong> striktem Gegensatz zur Dogmenfreudigkeit des "Reichb<strong>und</strong>es für deutsche<br />

Vorgeschichte".<br />

Welches waren nun die parteipolitisch festgelegten Dogmen? Sie gehen letzten Endes alle<br />

auf die Rassenphilosophie bzw. Rassenphantasie des Franzosen Gob<strong>in</strong>eau zurück. Dieser<br />

schrieb 1854 e<strong>in</strong>e Arbeit über die Ungleichheit <strong>der</strong> Rassen <strong>und</strong> stellte die These auf: Gott<br />

hat drei Rassen geschaffen, die Neger, Mongolen <strong>und</strong> die Weißen. Unheilbar unedel s<strong>in</strong>d<br />

die Neger, die edelsten s<strong>in</strong>d die Weißen. Innerhalb <strong>der</strong> weißen Völker s<strong>in</strong>d die Blonden<br />

<strong>und</strong> unter diesen wie<strong>der</strong> die Germanen die alleredelsten. Diese, merkwürdigerweise<br />

e<strong>in</strong>em französischen Gehirn entsprungenen Werturteile wurden nun zum<br />

Glaubensgr<strong>und</strong>satz erhoben. Daß ich schon 1928 <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en "Gr<strong>und</strong>fragen <strong>der</strong><br />

<strong>Urgeschichtsforschung</strong>" diese Art Rassenforschung ablehnte <strong>und</strong> im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Ausführungen von Gob<strong>in</strong>eau <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Nachbetern schrieb: Die Rassenphilosophie ist <strong>in</strong><br />

unseren Tagen zum Rassenfanatismus ausgeartet <strong>und</strong> sogar <strong>in</strong> die Politik h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragen<br />

worden", wurde nach 1933 natürlich als Ungeheuerlichkeit betrachtet, so daß ich nach<br />

Art <strong>der</strong> mittelalterlichen Inquisition aufgefor<strong>der</strong>t wurde, diese Sätze öffentlich zu<br />

wi<strong>der</strong>rufen. Da ich dies nicht tat, warnte W. Hülle, <strong>der</strong> nächste Mitarbeiter von H.<br />

Re<strong>in</strong>erth, öffentlich vor dieser Irrlehre. So "lenkte" man im Dritten Reiche die<br />

<strong>Wissenschaft</strong>!<br />

Drei Maßnahmen stützten die "re<strong>in</strong>e Lehre". Erstens wurde alles, <strong>und</strong> mochte es den<br />

größten Uns<strong>in</strong>n darstellen, was zum größeren Ruhme <strong>der</strong> Germanenherrlichkeit dienen<br />

konnte, gutgeheißen. Zweitens wurde alles, was <strong>der</strong> Germanenherrlichkeit hätte Abbruch<br />

tun können o<strong>der</strong> was gar noch höher stand als die nordisch-germanische Kultur, e<strong>in</strong>fach<br />

tot geschwiegen. Und drittens wurde je<strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong>ler, <strong>der</strong> es wagte, aus <strong>in</strong>nerer<br />

Erkenntnis an<strong>der</strong>er Me<strong>in</strong>ung zu se<strong>in</strong>, mit Schlagworten diffamiert.


nicht die weitverbreiteten parteiamtlichen Zeitschriften zur Verfügung, <strong>und</strong> so wurde ihr<br />

Protest sehr häufig übersehen. Aber klar kam die Ablehnung <strong>der</strong> parteiamtlichen Dogmen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Haltung <strong>der</strong> überwiegenden Mehrzahl aller Fachvertreter gegenüber dem Amt<br />

Rosenberg <strong>und</strong> dessen Hauptamtsleiter Re<strong>in</strong>erth zum Ausdruck. Re<strong>in</strong>erth hatte den<br />

Auftrag, die bisher landschaftlich geb<strong>und</strong>enen <strong>und</strong> wissenschaftlich arbeitenden<br />

Prähistoriker im Reichsb<strong>und</strong> für deutsche Vorgeschichte im S<strong>in</strong>ne Rosenbergs zu e<strong>in</strong>en,<br />

er hat diese E<strong>in</strong>igung auch zu 95 % erreicht, aber nicht für sich, son<strong>der</strong>n gegen sich!<br />

Wenn heute noch vielfach behauptet wird, die "Vorgeschichte" sei <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hitlerzeit<br />

belastet worden, so ist das nur dann richtig, wenn man die Ära Re<strong>in</strong>erth damit me<strong>in</strong>t, die<br />

für unsere <strong>Wissenschaft</strong> bewußt den Ausdruck "Vorgeschichte" statt des logischen<br />

"Urgeschichte" gebrauchte. Der Ausdruck "Vorgeschichte" geht auf e<strong>in</strong>e unrichtige<br />

Begriffsbestimmung <strong>der</strong> "Geschichte" zurück, denn <strong>der</strong> Standpunkt Rankes, wonach die<br />

Geschichte erst mit <strong>der</strong> Geschichtsschreibung beg<strong>in</strong>nt, ist längst überholt, <strong>und</strong> Ratzels<br />

Ansicht hat sich durchgesetzt: "Geschichte ist Handlung - wie wenig bedeutet daneben<br />

das Schreiben o<strong>der</strong> Nichtschreiben, wie ganz nebensächlich ist neben <strong>der</strong> Tat des<br />

Wirkens <strong>und</strong> Schaffens das Wort ihrer Beschreibung!" Es gibt also ke<strong>in</strong>e Zeit vor dem<br />

Geschehen, vor dem Handeln <strong>der</strong> Menschheit, son<strong>der</strong>n nur e<strong>in</strong>en ältesten Abschnitt <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> menschlichen Geschichte, das ist eben Urgeschichte. Aber aus Angst, unsere<br />

<strong>Wissenschaft</strong> könnte <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Geschichtsforschung nicht als selbständiges Fach<br />

anerkannt werden (als ob die "Alte Geschichte" nicht auch e<strong>in</strong> selbständiges Fach wäre),<br />

wurde nur <strong>der</strong> Ausdruck "Vorgeschichte" amtlich zugelassen, ja, er wurde befohlen! So<br />

überlassen wir gern die "Vorgeschichte" <strong>der</strong> Ära Re<strong>in</strong>erth, <strong>und</strong> die erste Versammlung<br />

nordwestdeutscher Fachgenossen nach 1945 beschloß e<strong>in</strong>stimmig, nur noch von<br />

"Urgeschichte" zu sprechen. Hoffentlich setzt sich diese Maßnahme allgeme<strong>in</strong> durch!<br />

Beson<strong>der</strong>s von <strong>der</strong> philologisch-archäologischen Seite war seit langem e<strong>in</strong>e eigene<br />

hochstehende, germanische Kultur geleugnet worden. Alle "besseren" Kulturgüter sollen<br />

von irgend e<strong>in</strong>em fremden Volk zu uns e<strong>in</strong>geführt worden se<strong>in</strong>. Erst waren die Kelten die<br />

Allerweltskulturbr<strong>in</strong>ger, dann die Phönizier <strong>und</strong> schließlich die Etrusker <strong>und</strong> die Römer.<br />

Von <strong>der</strong> ernsten Forschung, vor allem unter skand<strong>in</strong>avischer Führung - hierbei war<br />

Sophus Müllers <strong>in</strong> Deutschland weitverbreitete <strong>und</strong> <strong>in</strong>zwischen klassisch gewordene<br />

"Nordische Altertumsk<strong>und</strong>e" vom Jahre 1897 richtunggebend - waren diese primitiven<br />

Ansichten längst wi<strong>der</strong>legt. Da mußte es natürlich wie e<strong>in</strong> Keulenschlag wirken, als noch<br />

1935 e<strong>in</strong> hoher kirchlicher Würdenträger die Germanen als "sprichwörtlich faul"<br />

bezeichnete, ihnen jede kulturelle Höhe absprach <strong>und</strong> erklärte, erst "durch das<br />

Christentum wurden die Germanen Kulturvolk. Die Mönche des heiligen Benedikt lehrten<br />

unsere Vorfahren Ackerbau <strong>und</strong> Handwerk."<br />

Wie bei allen <strong>Wissenschaft</strong>en, die <strong>in</strong> weiten Kreisen Interesse gef<strong>und</strong>en haben, sehen wir<br />

auch bei <strong>der</strong> Urgeschichte Übertreibungen nach allen Seiten, sei es durch "Hellseher"<br />

o<strong>der</strong> durch "Dunkelmänner", aber es gibt nur e<strong>in</strong>e Weg vorwärts zu kommen, den <strong>der</strong><br />

Freiheit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wahrheit <strong>der</strong> Forschung, <strong>und</strong> so kann ich als Ziel unserer "K<strong>und</strong>e" nur<br />

den Satz wie<strong>der</strong>holen, den ich 1928 <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en "Gr<strong>und</strong>fragen" aussprach: "Wir Deutschen<br />

dürfen mit vollem Recht stolz se<strong>in</strong> auf die Kultur unserer Vorfahren, müssen uns aber<br />

hüten, durch Schwärmerei <strong>in</strong> Unwissenschaftlichkeit zu verfallen."<br />

Quelle: Die K<strong>und</strong>e Neue Folge Heft 1 u. 2 - Jahrgang 1950

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!