Aktuelle Ausgabe 01/2013 - Dr. med. dent. Christian Gobrecht
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Feuilleton<br />
SCHÖNHEITSIDEALE<br />
Andere Sitten,<br />
andere Zähne<br />
Sie müssen nicht immer perfekt weiß blitzen:<br />
Manche Völker finden schwarze Zähne schöner.<br />
Oder spitz zugeschliffene. Das westliche Idealgebiss<br />
dominiert (zum Glück?) nicht überall auf der Erde<br />
Perfekt weiß: US-Filmstar<br />
Julia Roberts<br />
zeigt bei der Oscar-<br />
Verleihung 2000 das<br />
westliche Traumgebiss<br />
16<br />
Bei uns tragen Teenager jahrelang Spangen auf dem<br />
Weg zum westlichen Idealgebiss. Anderswo müssen<br />
Heranwachsende weitaus rustikalere Methoden ertragen,<br />
um das jeweils sozial geschätzte Aussehen zu erlangen.<br />
Da werden Schneidezähne gezogen und<br />
Backenzähne geschliffen, schwarze Farben aufgetragen<br />
oder Lippen tellergroß geweitet.<br />
Bis vor einem Jahrhundert fanden Europäer und<br />
Amerikaner »Naturvölker« eher seltsam, die weder<br />
Schmerz noch Mühen scheuten, ihr Gebiss oder gar das<br />
ganze Gesicht nach den Traditionen ihres jeweiligen<br />
Stammes zu formen. Heute, da Bäckersfrauen Tattoos<br />
und Postboten Piercings tragen, weicht die eurozentrische<br />
Überheblichkeit der politisch korrekten Einsicht: En<br />
vogue ist, was die jeweilige Gesellschaft dafür hält.<br />
Zähne dienen dem Menschen, diesem zutiefst sozial<br />
verwobenen Wesen, eben zu mehr als nur zum Zerkleinern<br />
und Kauen der Nahrung: Sie signalisieren auf den<br />
ersten Blick sozialen und gesundheitlichen Status, Armut<br />
oder Reichtum, Sex-Appeal oder dessen Gegenteil,<br />
gesellschaftliche Zugehörigkeit oder Außenseitertum.<br />
Kein Wunder, dass die Mehrheit dem gängigen Schönheitsideal<br />
anhängt – im Westen dem ebenmäßigen,<br />
perlweißen, perfekten Gebiss.<br />
Dessen Allgegenwart in Medien und Werbung wiederum<br />
scheint eine risikofreudige jüngere Minderheit zunehmend<br />
zu langweilen. Mit dem seit zwei Jahrzehnten<br />
zunehmenden Trend, seinen Körper und damit auch seinen<br />
Mund nach eigenem Gusto zu modifizieren, wächst<br />
DentaLife<br />
auch bei Zahn<strong>med</strong>izinern das Interesse an den »weichen«<br />
Aspekten ihrer Arbeit – ästhetischen und psychosozialen,<br />
ethischen und ethnologischen.<br />
So gründete sich vor zwei Jahren in Mainz ein »Arbeitskreis<br />
Ethno- und Paläo-Zahn<strong>med</strong>izin«, der sich<br />
verstärkt um völkerkundliche, kulturelle und evolutive<br />
Aspekte kreativer Gebiss-Gestaltungen kümmern will.<br />
Und in angelsächsischen Ländern schwillt die Diskussion<br />
an, wo die ethischen Grenzen zahnärztlicher Hilfe liegen,<br />
wenn Patienten ein noch attraktiveres Lächeln und<br />
noch weißere Zähne anstreben, koste es, was es wolle.<br />
Oder, am anderen Ende der Skala, spitz zugeschliffene<br />
Vampir-Zähne und Gebiss-Piercings verlangen. Darf<br />
ein Zahnarzt, der wie jeder Mediziner dem Grundsatz<br />
»Du sollst nicht schaden« verpflichtet ist, solche Wünsche<br />
erfüllen, wenn dabei bis zu drei Viertel der gesunden<br />
Zahnmasse der Ästhetik geopfert werden?<br />
Abgrenzung zu feindlichen Nachbarn<br />
»Die orale Selbstverbesserung der westlichen Welt folgt<br />
in der Regel einer Ästhetik der Makellosigkeit«, argumentierte<br />
kürzlich ein Autorenteam um Niels <strong>Christian</strong><br />
Pausch von der Klinik für Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie<br />
der Universität Leipzig im Dentaljournal<br />
FACE. Dagegen bedeuteten die »rituellen Formen der oralen<br />
Körpermodifikation« bei traditionell lebenden Völkern<br />
in Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien<br />
»Stammeszugehörigkeit und kulturelle I<strong>dent</strong>ität, Initiationszeichen<br />
erworbener Reife oder optisches Abgren-